Indian Summerrain von caramel-bonbon ((KaRe) Küsse im Monsun) ================================================================================ Kapitel 2: Küsse im Monsun -------------------------- Als Kai an besagtem Samstag kurz vor acht Uhr in der Früh im Türrahmen Rei gegenüber stand, wurde er gleich getadelt, bevor er ihn überhaupt grüßen konnte. „Kai, das darf doch nicht dein Ernst sein!“, maulte Rei und warf verärgerte Blicke auf Kais Jeans. Gleichzeitig zog er ihn am Arm in die Wohnung und schloss die Tür hinter ihm. „Was hast du dir eigentlich dabei gedacht?“, fragte er und zog ihn weiter hinter sich her in einen Raum, den er noch nicht gesehen hatte und sich als das ebenfalls in warmen Tönen gehaltene Schlafzimmer herausstellte. „In Jeans hast du doch viel zu heiß! Naja, wir werden schon was Passendes finden. Setz dich“, plapperte er weiter und drückte Kai auf das große Bett, um sich dann selber vor den dunklen Schrank zu stellen und darin nach etwas Bestimmen zu wühlen. „Hier, das sollte passen“, sagte er nach wenigen Minuten und warf Kai einen Stapel Kleider zu, „zieh dich um, ich warte draußen.“ Das blaubeige Stoffknäuel entpuppte sich als eine lange beige Hose und ein tiefblaues Shirt, beides in demselben luftigen Schnitt wie Reis Klamotten und aus ebenfalls dem gleichen feinen Stoff. Als er fertig angezogen aus dem Zimmer kam, stand er einem lächelnden Rei gegenüber. Offensichtlich gefiel ihm, was er sah. „Viel besser“, nickte er und nahm Kai dessen eigene Kleider aus den Armen, um sie auf eine Kommode zu legen. „Nun komm, Dehli wartet auf uns!“ Lachend ging er ihm voraus und Kai konnte nicht verhindern, dass sich auch sein Mund zu einem Lächeln verzog. Kopfschüttelnd folgte er dem vorauseilenden Chinesen. Rei führte ihn durch halb Neu-Dehli der großen, breiten, geraden Straße entlang. Doch kaum waren sie zweimal abgebogen, waren es nicht mehr Autos, die an ihnen vorbeifuhren, sondern sie fanden sich mitten in einem Getümmel von Fußgängern, Fahrrädern und kleinen lärmenden Motorrädern wieder, die alle kreuz und quer umherirrten und mehrere Beinahe-Unfälle bauten. Kai sah sich plötzlich einer Rikscha gegenüber, die sich durch die Masse quetschte, und musste schnell einen großen Schritt zur Seite machen, wobei er Rei anrempelte. Mit hochgezogenen Augenbrauen starrte Kai ihn schockiert an. Doch dieser musste sich bemühen, sich ein Lachen zu verkneifen und biss sich auf die Unterlippe. „Kulturschock lässt grüßen“, scherzte er und tätschelte Kais Schulter. „Weißt du, bist jetzt hast du nur Neu-Delhi gesehen, mit seinen großzügigen und breiten Straßen und dem vielen Grün, und Connaught Place, das Geschäftsviertel. Beide Quartiere haben viel Geld im Vergleich zum Rest der Stadt. Das hier ist Old Delhi, die Altstadt und hier leben deutlich mehr Menschen, wie dir vielleicht aufgefallen ist“, erklärte Rei und schlängelte sich mit Kai im Schlepptau durch die Menschenmenge. „Aber keine Angst, wir bleiben nicht lange hier“, lachte er, als er Kais Gesichtsausdruck sah, der Bände sprach. „Hoffen wir einfach, dass die Feuerwerksfabrik nicht gerade jetzt explodiert“, hängte er an und schaute gespielt besorgt. Schockiert schaute Kai ihn an. „Hier gibt es eine Feuerwerksfabrik?“ „Ja, und zwar genau neben einer der wertvollsten Moscheen von ganz Delhi. Oder war’s Indien?“ Darüber spekulierend, was es denn nun war, lief Rei unbeirrt weiter. Kai stöhnte auf und fasste sich an den Kopf. Das konnte ja noch heiter werden. Die Läden des immens großen Bazars waren alle noch geschlossen, was daran lag, dass noch Morgen war. Kai mochte sich nicht vorstellten, wie es hier auszuhalten war, wären die engen Straßen und Gassen noch vollgestopfter als ohnehin schon. „Rei, was genau tun wir hier?“, fragte er schließlich, da es ihm nicht ganz wohl hier war. „Wir holen Fahrräder, ist gleich um die Ecke“, antwortete Rei und zeigte nach vorne. Besagte Fahrräder konnte man kaum so nennen. Drahtesel war die deutlich geeignetere Bezeichnung für das, worauf Kai gerade saß. Das ganze Gestell wackelte und war verrostet. Er betete zum Himmel, dass wenigstens die Bremse funktionierte, als er Rei hinterherfuhr. Dieser führte ihn zurück auf die großen Straßen von Neu-Delhi. Gemütlich trudelten sie in die entgegengesetzte Richtung, aus der sie gekommen waren und nun, da Kai gerade in Old Delhi gewesen war, sah er Neu-Delhi aus ganz anderen Augen. Es war großzügig und regelrecht sauber, die Gebäude waren modern und das Viertel fortgeschritten. Er trat kräftiger in die Pedale, um Rei einzuholen. „Oh, hallo!“, meinte dieser überrascht und lächelte. „Hast du dich etwas vom Schock erholt?“, stichelte er, worauf Kai nickte. „Ich glaube, ich war etwas zu verkrampft darauf versessen, dass ich Delhi hasse“, gestand er und genoss das lauwarme Lüftchen, das ihm ins Gesicht wehte. „Du lässt dich aber ganz schön schnell überzeugen“, lachte Rei. „Kommt darauf an, wer mich überzeugen will“, erwiderte Kai jedoch mit einem Schulterzucken. Rei lächelte. Es freute ihn ungemein, was Kai gerade gesagt hatte. „Wart nur ab, was ich dir noch alles zeige!“, sagte Rei und trat in die Pedale. „Ich bin gespannt!“, erwiderte Kai und stieg in das kleine Wettrennen mit ein, das erst endete, als sie vor den Toren eines riesigen Parks hielten. „Hier war ich am Montag“, fing Rei an zu erzählen, während er die Fahrräder abschloss, „und ich war gerade auf dem Heimweg, als ich diesen Jungen mit deinem Geldbeutel vor dir wegrennen sah. Ein Glück, dass ich gerade da war!“ Kai nickte. In der Tat war das ein riesiges Glück gewesen, nicht nur, weil er sein Portemonnaie wieder hatte, sondern weil er, wie sich herausstellte, einen wunderbaren, bezaubernden, attraktiven jungen Mann kennengelernt hatte. „Du willst doch nicht behaupten, dass ich ohne dich verloren gewesen wäre?“, piesackte Kai und blickte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an, versuchte seine Gedanken abzuschütteln. „Natürlich nicht, Kai Hiwatari ist doch nicht auf die Hilfe eines Anderen angewiesen!“, scherzte Rei laut lachend und hatte damit genau Kais Persönlichkeit getroffen, ohne es überhaupt bemerkt zu haben. Kai stimmte in das Lachen mit einem Schmunzeln ein und es war ihm egal, dass er eigentlich gerade über sich selbst lache, er fühlte sich einfach nur gut. „Schau“, sagte Rei plötzlich und zeigte mit einer ausladenden Bewegung über den Park, der sich vor ihnen erstreckte. Überall, wo Kai hinsah, waren bunte Blumenbeete und exotische Bäume. Strahlend streckten sie sich der Morgensonne entgegen, als wollte jede einzelne Blüte der Welt beweisen, dass sie die Schönste war. „Blumen?“, hackte Kai nach. „Mhm, das ist der Rosengarten. Er ist nicht so bekannt und auch nicht so prunkvoll wie der in Chandigarh, aber auch der hier ist schlicht bezaubernd“, schwärmte Rei und sein Gesicht nahm einen Ausdruck tiefster Zufriedenheit an. Kai sog die Luft ein und meinte den süßlichen Duft, den die Blumen ausströmten, riechen zu können. Es war das totale Gegenteil zu Old Delhi. Hier waren kaum Menschen und der Lärm und das ständige Dröhnen des Verkehrs waren wie ausgeschlossen. Kai hätte sich im Traum nicht gedacht, dass sich hier so etwas finden lassen würde, im Zentrum einer der dreckigsten Städte, die er jemals bereist hatte. Dieser Ort wirkte unglaublich beruhigend und er konnte nur zu gut verstehen, warum Rei öfters hierher kam. Immer tiefer hinein führte sie ihr Weg und plötzlich stach Kai etwas ins Auge, was ihn mehr als nur irritierte. Den Blick nicht davon abwendend, rammte er Rei den Ellbogen in den Arm, der aus seinen Gedankengängen aufschreckte und verwirrt in die Richtung schaute, in die Kai zeigte. Zuerst konnte er nichts Auffälliges entdecken, doch als er Kais fragenden Blick sah, fiel es auch ihm auf. Zwei Männer, die nebeneinander spazierten und Händchen hielten. „Achso“, murmelte Rei. Kai hatte offensichtlich das Gefühl, dass in einem solch religiösen Land wie Indien Homosexualität verpönt war, was ja auch stimmte, und klärte ihn über seinen Irrtum auf. „Die sind nicht schwul. Hier ist das ganz normal zwischen zwei Männern, die sich nahe stehen, etwa gute Freunde, Brüder oder gar Schwiegerbrüder. Siehst du die Frau, die etwa zehn Meter hinter ihnen herläuft? Das ist die Frau von einem der beiden.“ Verständnislos blickte Kai ihn an. „Inder sind manchmal schwer zu verstehen“, meinte Rei nickend, doch Kai war bereits ein anderer Gedanke gekommen. Ohne Vorwarnung packte er Reis rechte Hand mit seiner Linken und hielt sie fest. „Dann wäre es in Ordnung, wenn wir auch Händchen halten würden?“, fragte er und blickte Rei in die geweiteten Augen. Ihm stieg die Röte in die Wangen und mit aller Kraft versuchte er, sie zu unterdrücken. Sein Mundwinkel zuckte nach oben. „Naja, Inder sind nicht ganz weltfremd. Sie wissen schon, dass wir da anders denken“, sagte er etwas zögernd, weil er es eigentlich total angenehm fand und nichts dagegen hätte. Doch er vermutete, dass Kai da nicht ganz gleicher Meinung war und löste deshalb sachte seine Hand aus Kais, jedoch nicht, ohne ihm ein kleines Lächeln zu schenken. Der Vormittag verging wie im Flug und ehe Kai sich versah, war es bereits Mittag. Er war froh, dass Rei ihm andere Kleidung angedreht hatte, denn die Hitze drückte schon wieder erbarmungslos auf sie nieder. Die Sonne verschwand zwar hie und wieder hinter einer Wolke, die sich im Verlauf des Vormittags gebildet hatte und es war auch nicht so trocken, doch in den Jeans wäre es ihm mit Sicherheit über kurz oder lang zu erdrückend geworden. Er hatte schon lange nicht mehr so viel Spaß gehabt, auch wenn er sich etwas damit zurückhielt, es offen zu zeigen. Nachdem sie durch den Rosengarten spaziert waren, fuhren sie mit dem Fahrrad weiter, ein wenig aus dem Zentrum hinaus, wo sich Kai einem Elefantengehege gegenüber stehend wiederfand. Alles andere als begeistert ließ er sich von Rei überreden, mit ihm auf einem der Elefanten zu reiten. Sein Widerstand brach schneller ein, als er es gewohnt war, doch Reis Blick, der immer wieder erwartungsvoll zwischen ihm und den gutmütigen Riesen hin und her schweifte, schaffte es im Nu, seine Zurückhaltung in Wagemut zu verwandeln und kurze Zeit darauf saß er zusammen mit einem überglücklichen Rei auf einem der heiligen Tiere. Zugegeben, er fühlte sich wie ein Prinz, hoch auf dem gemütlich hin und er schwingenden Rücken des Tieres, die ganze Welt ihm zu Füßen liegend. Von hier oben sah gleich alles ganz anders aus und er konnte ohne Hast die Landschaft um sie erkunden. Doch er war zu fasziniert und abgelenkt von Rei, der hinter ihm quer auf der Trage lag, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und die Beine über die Stütze baumeln lassend, die Augen geschlossen und ein sanftes Lächeln auf dem Gesicht. Immer wieder ertappte sich Kai, wie es ihm schwer fiel, seinen Blick von ihm loszureißen und viel zu schnell war die immerhin fast einstündige Tour vorbei. Zufrieden schaute er zu, wie Rei den Elefanten zum Dank mit Karotten fütterte, der es ihm dankte, indem er seinen langen Rüssel um dessen Taille schlang und ihn hoch hob. Rei konnte sich kaum mehr halten vor Lachen und auch Kai konnte es sich nicht mehr verkneifen. Zu köstlich war dieses Bild. Rei verabschiedete sich von der, wie sich herausstellte, Elefantendame, mit einem Handkuss, was deren Herz bestimmt zum Schmelzen brachte, da war sich Kai sicher. Nachdem sie ganz in der Nähe ausgiebig zu Mittag gegessen hatten, radelten sie gemütlich zurück zum menschenüberfluteten Hauptbahnhof von Neu-Delhi, wo Rei Kai in einen Zug bugsierte. „Wo geht’s denn hin?“, fragte Kai neugierig, doch Rei schüttelte den Kopf. „Sag ich dir nicht, lass dich überraschen. Du hast zwei Stunden Zeit, dich darauf vorzubereiten“, meinte er verschmitzt und machte es sich auf den eklig mit Plastik überzogenen Sitzen gemütlich, über die er ein riesiges traditionelles indisches Tuch ausgebreitet hatte. Auch Kai hatte eines bekommen und während er aus dem Fenster schaute und die vorüberziehende Landschaft betrachtete, vergaß er auch die Tatsache, dass die Plastikbezüge wohl ein Paradies für Bakterien und Keime waren. Zwei Stunden lang starrte Kai nach draußen, dann hielt der Zug endlich im Bahnhof. Rei beeilte sich um hinaus zu kommen und winkte einem Rikscha-Fahrer, der sie zu ihrem Ziel bringen würde und nach zwanzig weiteren Minuten waren sie endlich da und Kais Augen wurden zu Reis Freude groß und bewundernd. Er konnte fast nicht glauben, was er da sah. Vollkommen und symmetrisch lag vor seinen Füssen hinter einem kleinen Park der Taj Mahal in seiner vollen Pracht. Der elfenbeinig marmorne Palast strahlte eine erhabene Macht aus, die ihm eine Gänsehaut bescherte. Andächtig schritt er die Treppe in den Park hinunter und ignorierte den Inder, der ihm ein Erinnerungsfoto für übertriebene fünfhundert Rupien andrehen wollte. Seine Aufmerksamkeit galt nur noch dem strahlenden Marmorgebäude, das sich in seiner Perfektion vor ihm erhob. Rei lächelte und folgte ihm auf leisen Sohlen. Es war ein Ort des Ruhens und Gedenkens. Selbst die Touristen, die wild herumknipsten, waren still. Und trotz der Tatsache, dass der Taj Mahal ein beliebter Ort für Touristen war, hatte es viel mehr gläubige Inder als Touristen. Rei fasste Kai am Arm und zog ihn sachte mit sich, da es diesem nicht nur die Sprache verschlagen zu haben schien. Doch bei Reis Berührung schien er aus seiner Trance aufzuwachen. Mit einem beschlagenen Glanz in den Augen sah er ihn an. Ein entspanntes Lächeln zierte seinen Mund. Ohne ein Wort sagen zu müssen, folge er Rei und lief neben ihm über den rechten der beiden breiten Wege, die zu beiden Seiten des langen Brunnens lagen. Je näher sie dem Taj Mahal kamen, desto stärker vermeinte Kai dessen vibrierende Spannung zu spüren. Sein Herz schlug unmerklich schneller und als sie vorne bei der Mauer ankamen, tat er es Rei wortlos gleich und zog sich Schuhe und Socken aus. Kaum hatten seine nackten Sohlen den weißen Marmor berührt, fühlte er, wie sich dessen weiche Wärme in seinem ganzen Körper ausbreitete. Es war ein unbeschreibliches Gefühl. „Komm“, flüsterte Rei leise und berührte ihn kurz am Arm, was bei Kai ein Kribbeln hinterließ, als hätte er ihm einen kleinen Elektroschock verpasst, so sehr schienen seine Sinne geschärft. Mit einem kaum bemerkbaren Nicken schritt er dicht neben Rei über den großen Vorplatz, einmal um den Palast herum. Er bemerkte die Affen, die auf dem Geländer saßen und sie beobachteten, er bemerkte die Inder, die selbst still dastanden und andächtig die weißen Mauern anstarrten oder auf den niedrigen Treppenstufen vor den vier Türmen saßen, mit gefalteten Händen, und vor sich hin sinnierten. Er bemerkte das stetige Fließen des Yamuna, der Fluss, der hinter der Mauer ruhig vor sich hin schlängelte. Als sie auf der linken Seite des Marmorpalastes angekommen waren, wurde er von Rei in eine der breiten Nischen gezogen, die sich rund um den Taj Mahal befanden. Er setzte sich auf die Erhöhung und lehnte sich zurück, um die Stimmung zu genießen. Das Vibrieren, das er vorher noch gespürt hatte, hatte unendlicher Ruhe Platz gemacht und er fühlte sich ausgeglichen und entspannt. Tief atmete er die Luft ein und schloss die Augen, um die prickelnde Wärme auf seinem Gesicht zu spüren. Einzig die Wolkendecke, die sich im Laufe des Tages auch hier gebildet hatte, verhinderte, dass er sich das Gesicht im Nu verbrannte. Rei hatte schon befürchtet, dass Kai sich mit seiner hellen Haut schnell einen Sonnenbrand holen würde, doch die Wolken hatten das gekonnt verhindert. Außerdem war es nicht so unerträglich heiß, wie an wolkenlosen Tagen. Auch Rei streckte das Gesicht dem Sonnenlicht, das sich hie und da durch die Wolken kämpfen konnte, entgegen und spürte die tiefe Ruhe in sich. Als Kai blinzelnd die Augen öffnete, konnte er nicht umhin, dass sein Blick sofort auf Rei fiel, der an der Wand lehnte und es einfach nur genoss zu sein, und ein Lächeln seine Lippen umspielte. Wortlos kramte er in seiner Hosentasche nach seinem Smartphone. Es reichte nicht, dass sich dieses Bild in sein Gedächtnis gebrannt hatte, er musste sich vergewissern, dass er es auch in Zukunft immer und immer wieder betrachten konnte. Er hielt das Handy noch immer oben, als Rei die Augen öffnete. Kai musste schlucken. Seine Augen hatten sich im abendlichen Sonnenlicht und dem widerspiegelnden Licht des Taj Mahal in pures flüssiges Gold verwandelt. Mit halb geschlossenen Lidern und leicht geöffnetem Mund war es ein Bild, das eine schlichte Kamera nicht einzufangen vermochte. Und doch konnte er nicht anders, als auf den Auslöser zu tippen. Bevor er kontrollieren konnte, ob das Foto gelungen war, legte Rei seine Hand darüber und drückte es sanft nach unten, ohne den Blick von ihm zu nehmen. Langsam lehnte er sich zu ihm rüber und kam seinem Gesicht dabei immer näher. Kai konnte sich nicht mehr bewegen, als er bereits dessen warmen Atem sein Gesicht streicheln spürte und er hoffte, wünschte sich so sehr, dass Rei ihn küsste, dass es beinahe schmerzte. Doch Rei lehnte sich an ihm vorbei zu seinem Ohr. Die schwarzen Haare kitzelten ihn und er roch den betörenden Duft, der Rei ausströmte, als sein bloßer Hals nahe genug war, um ihn mit einer klitzekleinen Bewegung nach vorne küssen zu können. Er biss sich auf die Unterlippe, um sich davon abzuhalten und hätte beinahe zu fest zugebissen, als er plötzlich Reis Lippen sein Ohr streifen spürte. „Du willst mich doch nicht etwa heimlich anschauen?“, hauchte er in die Muschel und Kai jagte es einen heißkalten Schauer über den Rücken und als er die Luft, die er angehalten hatte, ruckartig ausstieß, konnte er fühlen, dass auch Rei erschauderte, als sie seinen Hals streichelte. „Und wenn doch?“, fragte Kai mit kratziger Stimme zurück. „Hm, was hast du denn davon?“, triezte Rei ihn weiter und Kai konnte spüren, wie sich seine Lippen zu einem Grinsen verzogen. „Genug, dass es sich gelohnt hat, dieses Risiko einzugehen“, antwortete Kai, worauf Rei lachen musste. Mit einem spitzbübischen Grinsen lehnte er sich soweit zurück, dass er ihm direkt ins Gesicht sehen konnte. „Du Ärmster, entschuldige, dass ich dich dem allem ausgesetzt habe“, piesackte Rei und seine Stimme triefte nur so vor Sarkasmus. „Überleg dir schon mal, wie du das wieder gut machen willst“, murrte Kai mit einem schiefen Grinsen. Reis linke Augenbraue schoss in die Höhe, als wüsste er schon genau, wie er das anstellen wollte. Er seufzte. „Leider müssen wir jetzt aber gehen, so dass wir rechtzeitig am Bahnhof sind“, meinte Rei plötzlich und rutschte von der Erhöhung der Nische. Wortlos und in Gedanken versunken starrten beide aus dem Fenster. Der Himmel hatte sich am weiten Horizont blutrot verfärbt, doch über ihnen war er dunkelgrau. Es goss in Strömen und die riesigen Regentropfen prasselten gegen die Fensterscheibe. Im Zug war es feucht und frisch geworden und Rei schlang sich das Tuch um die Schultern. Kaum hatten sie Agra hinter sich gelassen hatte es angefangen zu regnen und kurz vor Delhi glich er einem Monsun. Das Prasseln jedoch hatte eine hypnotisierende Wirkung und beide waren tief in Gedanken versunken, als sie am Bahnhof von Neu-Delhi ankamen. Unter dem Vordach blieben sie stehen und schauten einen Moment in den dunklen Regenvorhang. Ratlos, was sie tun sollten, blickten sie sich an, dann prustete Rei ohne Vorwarnung los. Die Situation war auch zu komisch. Da standen sie nun nach einem wunderschönen Tag am Bahnhof, hatten weder Schirm noch sonst etwas Wasserbeständiges dabei und anstelle dessen standen die Fahrräder noch immer da. Er klammerte sich an Kais Arm fest, um sich den Bauch halten zu können. So hatte er sich den Abschluss ihres Tages nicht vorgestellt. „Wollen wir warten?“, schlug Kai grinsend vor. „Wir sind hier in Indien, Kai, da kannst du warten bis du schwarz wirst!“, presste Rei hervor, dann schien er einen Entschluss zu fassen. Lachend trat er unter dem Vordach hervor. „Komm schon!“ Kopfschüttelnd folge Kai ihm in den strömenden Regen und binnen wenigen Sekunden war er klitschnass. Ein kurzer bestätigender Blick, dann liefen sie los. „Und die Fahrräder?“, brüllte Kai durch das laute Prasseln. „Bringen wir morgen oder so zurück!“ Eigentlich brachte es nichts, dass sie rannten, sie hätten genauso gut gehen können. Denn so oder so waren sie bis auf die Knochen durchweicht, als sie am richtigen Haus ankamen. Rei kramte in seiner Tasche nach dem Schlüssel, um die Haustür aufzuschließen, die um diese Uhrzeit verschlossen war. Die Kleider klebten leicht durchsichtig geworden an seiner Haut und Kai konnte jeden Muskel, jede Sehne darunter zucken sehen. Die nassen schwarzen Fransen hingen ihm ins Gesicht und Wasser perlte daran herunter, über die leicht erhitzte Haut, tropfte vom Kinn. Kai folgte ihnen gebannt und konnte nicht anders, als seine Hand unter dieses Kinn zu legen und Reis Kopf anzuheben. Ohne einen Blick abzuwarten, drückte er seinen Mund auf dessen nasse Lippen. Überrascht machte Rei einen Schritt nach hinten und Kai nütze diesen Schwung, um ihn an die Wand neben der Eingangstür zu drücken. Rei wusste nicht, wie ihm geschah, als er sich zwischen der kalten Wand und Kais erhitztem Körper wiederfand. Und doch hatte er sich zuvor in Agra stark zurückhalten müssen, ihn nicht einfach zu küssen. Umso erregter war er, als Kai ihm nun seinen Mund aufdrängte. Er krallte die Finger in seine Schultern und öffnete leicht die Lippen, um den Kuss zu erwidern. Stürmisch, leidenschaftlich war der Kuss, der sich daraufhin entflammte, während Kai sich an ihn presste und Rei musste mehrere Male keuchend nach Luft schnappen, um nicht vollkommen den Verstand zu verlieren. Doch als Kai sein Knie zwischen seine Beine schob und seine Hüfte mit beiden Händen näher zog, worauf er durch den dünnen und durchnässten Stoff deutlich dessen Erregung spüren konnte, was ihm ein unterdrücktes Stöhnen entlockte, war es um ihn geschehen. Er packte Kai am Handgelenkt und zog ihn mit sich, hinein ins Haus, die Treppe hoch und in die Wohnung. Kaum war die Tür in die Angel gefallen, drängte er Kai dagegen und drehte mit bebenden Händen den Schlüssel im Schloss um. Doch gerade, als Kai ihn küssen wollte, legte er ihm einen Finger auf den Mund. Ungeduldig wartete er, bis Rei ihm das Shirt über den Kopf gezogen hatte und ihn betrachtete. Allein dieser Anblick machte Rei noch mehr an. Er hatte ja schon geahnt, dass Kai gut gebaut war, aber selbst hiermit hatte er nicht gerechnet. Fieberhaft fuhr er mit den Fingern den Konturen der Brustmuskeln nach, hinunter über die Erhebungen der Bauchmuskeln bis zum Hosensaum und öffnete das Band, das die Hose oben hielt, dann zog er sie mitsamt der engen Boxershorts runter, schälte ihm den nassen Stoff von den Beinen. Sofort sprang ihm Kais erregte Männlichkeit entgegen und sein Mund öffnete sich leicht in atemloser Erwartung, diese Größe in seinen Mund nehmen zu können. **[...]** Kai war für seine Verhältnisse relativ gut gelaunt, als er am nächsten Abend in sein Hotelzimmer zurückkam. Er lockerte seine Krawatte bereits im Aufzug. Kaum hatte er die Tür in die Angel geworfen, warf er seine Mappe achtlos auf den kleinen Beistelltisch neben dem Kleiderständer. Das Jackett, das er bereits ausgezogen hatte, kaum dass er durch die große Eingangstür des Bürogebäudes gegangen war, ließ er auf das gemachte Bett fallen. Er würde jetzt duschen, sich etwas Alltagstauglicheres anziehen und dann Rei abholen und ihn ausführen. Daran hatte er den ganzen Tag herumstudiert, ob er das denn wirklich tun könne, oder ob er den Chinesen damit verschrecken würde. Er war zum Schluss gekommen, dass ihm dies herzlich egal war, er möchte seinen Tag einfach mit ihm ausklingen lassen. Von wo dieses plötzliche Bedürfnis nach Nähe zu einem Menschen kam, blieb ihm schleierhaft und er hatte auch überhaupt keine Lust, darüber zu philosophieren. Gerade warf er das weiße Hemd über den Stuhl, der dekorativ im Zimmer stand, als ihm etwas in die Augen stach. Das penetrante, rot blinkende Licht des Anrufbeantworters eroberte seine gesamte Aufmerksamkeit, als er mit zusammengezogenen Augenbrauen auf eine Taste drückte, um die Nachricht abzuhören. Eine Frau erklärte ihm in schlechtem Englisch, dass er um elf Uhr achtzehn eine Nachricht erhalten habe. Ein kleiner Piepton und er hörte eine Stimme, die ihm ungewollt das Herz ein bisschen schneller schlagen ließ, ihm angenehm warme Schauer bescherte. Doch als er den Sinn der Worte verstand, gefror ihm das Blut in den Adern. Hallo Kai, hier ist Rei, du hast mir ja deine Zimmer-Telefonnummer hinterlassen. Hör mal, mein Freund, von dem ich dir erzählt habe, der, dem die Wohnung gehört, er kommt morgen in der Früh zurück und ich werde heute noch abreisen. Tut mir leid. Leb wohl... Ohne jegliche Emotionsregung starrte Kai auf das rote Licht, das aufgehört hatte zu blinken. Sein Kopf war leer, er fühlte sich taub. Es war, als wären sämtliche Gefühle, die er erst gerade kennengelernt hatte, sämtliche Gedanken mit diesen wenigen Worten eliminiert worden. Mit einem kraftraubenden schweren Atemzug hob er die Hand, um die Nachricht zu löschen. Das war es also. Er würde Rei nicht mehr wieder sehen. Er hatte ihm nichts weiter hinterlassen als diese bedeutungsschwere Nachricht und seinem Wissen um seinen Vornamen, seine Wohnstadt und sein Studium. Nicht wo, nicht wann, nicht wie. Regungslos stand Kai im Hotelzimmer, dessen Totenstille nur vom wiederhallenden Bestätigungston durchschnitten wurde, dass die Nachricht gelöscht war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)