Wer hat's geschrieben? von abgemeldet (Das dritte Jubiläum) ================================================================================ Kapitel 8: Interview mit der Elite ---------------------------------- Heathrow empfing mich mit seiner üblichen Betriebsamkeit. Der für seine Größe in aller Welt bekannte Flughafen war vollgestopft mit Menschen, die hektisch ihre Koffer hinter sich her zerrten, um von einer Schlange in die nächste zu kommen. Ich seufzte und setzte mich in Bewegung Richtung Ausgang. Vor ein paar Monaten war ich noch Feuer und Flamme gewesen, als es darum ging, ein geschätztes Mitglied der Schreibzieher-Gemeinschaft zu interviewen. Es war keineswegs selbstverständlich, Zugang in den inneren Kreis zu bekommen. Seit die Schreibzieher vor drei Jahren eine international Einfluss nehmende Gemeinschaft geworden sind, bildeten ihre Mitglieder einen engen Zirkel, der von außen nur schwer einzusehen ist. Doch als ich nun auf dem Weg zu den Taxis war, beschlich mich ein mulmiges Gefühl. Ob sie mir meine Fragen wohl beantworten wird? Aber jetzt konnte ich auch nicht mehr umkehren. Es wurden schon zu viele Dinge in die Wege geleitet, damit ich hier sein konnte, da konnte ich nicht einfach ohne Ergebnis nach Hause kommen. Ich stieg in eines der wartenden Taxen und nannte dem Fahrer die Adresse in einem Londoner Vorort. Der Mann war leicht untersetzt und lächelte freundlich. Während der Fahrt entspannte ich mich ein wenig. So schlimm konnte es gar nicht werden. Bis jetzt war eigentlich noch nichts schief gegangen, die Vorbereitungen liefen problemlos und auch das Flugzeug war pünktlich gelandet. Ich blickte aus dem Fenster und sah den Menschen auf der Straße zu. Für diese Jahreszeit, es war Ende November, war es noch erstaunlich warm und sonnig. Dennoch waren die Straßen belebt von hingebungsvollen Weihnachtsvorbereitungen. Fassaden wurden geschmückt, Läden boten ihre Ware an und man bekam den Eindruck, dass es überall nach Orangen und Glühwein roch. Leider sollte ich Recht behalten, was meine Befürchtung betraf, dass etwas schief gehen würde. Nach einigen Kilometern Fahrt verdichtete sich der Verkehr und kam bald ganz zum Erliegen. Etwas beschämt klopfte ich viel zu spät an die Tür des Hauses, vor dem mich das Taxi abgesetzt hatte. Eine Hausangestellte öffnete und bat mich herein. "Willkommen, sie erwartet Sie bereits." Mit einer kurzen Verbeugung ging sie voran und führte mich auf direktem Weg zu meiner heutigen Gesprächspartnerin. Das Haus war keine kleine Hütte, aber es war auch keine Villa, wie ich schon befürchtet hatte. Sie saß in einem Wintergarten an einem kleinen Tischchen und hatte sich die Zeit des Wartens mit einem Buch vertrieben. Als ich eintrat klappte sie es sogleich zu und legte es weg. "Bitte, setzen Sie sich doch." Sie deutete auf einen Stuhl ihr gegenüber und lächelte. Der erste Eindruck war durchaus sympathisch. Ihre Augen musterten mich mit einem jungen aufgeweckten Glitzern und sie strahlte diese ruhige Gelassenheit aus, die es einem gleich wohler ergehen ließ. "Möchten Sie etwas trinken?" Auf dem Tisch zwischen uns standen neben Gläsern eine Karaffe Orangensaft und Wasser mit Zitronenscheiben. "Äh, ja gerne." Ihr zu sagen, was ich gerne hätte vergaß ich in der Nervosität, aber sie gab ohne Weiteres etwas Saft in ein Glas und reichte es mir. "Sie möchten mir also ein paar Fragen stellen? Nur zu, tun Sie sich keinen Zwang an, ich werde Ihnen mit bestem Wissen und Gewissen antworten." Mein Kopf war wie leer gefegt. Mir fiel keine der zurechtgelegten Fragen ein und auch der Notizzettel in meiner Mappe war vergessen. Ich warf einen Blick auf das Buch und versuchte zu improvisieren. "Was lesen Sie da gerade?" Ich spülte den aufkeimenden Kloß geschickt mit einem Schluck Saft hinunter. "Das ist 'Die silbernen Ringe' von Henry Floss", sie griff nach dem Buch und reichte es mir. "Ein bisschen Fantasy und viel Action." Ich las kurz den Klappentext und gab es ihr zurück. "Lesen Sie häufig aus diesem Genre? Es klingt sehr spannend, bevorzugen Sie so etwas oder darf es auch mal was ruhigeres sein?" "Wenn es spannend und Action-geladen ist, kann ich meist nicht nein sagen", sie lachte kurz auf, "aber ich greife durchaus auch mal auf Alltagsgeschichten und Dramen zurück. Zwischendurch habe ich gelegentlich Lust auf was sanfteres, ist gut für's Gemüt." Ich musste ebenfalls grinsen, es lief schon gar nicht so schlecht. Und die Frau mir gegenüber war wirklich die Ruhe selbst, das half mir sehr, mich selbst wieder zu beruhigen. "Und wenn Sie schreiben, bedienen Sie sich aus denselben Genres?" "Meistens, es kommt immer sehr auf meine derzeitige Stimmung an. Ich neige oft zu Dramen und Alltagsgeschichten, aber lustigerweise entwickeln sich auch immer mal wieder Romanzen, obwohl ich eigentlich gar nicht für so einen Schnickschnack zu haben bin. Momentan aber bediene ich mich vorwiegend an den Geschichten, die ich gelesen habe. Das heißt nicht, dass ich sie klaue, sondern viel mehr, dass ich sie fortführe. Manchmal sogar als Art Auftragsarbeit, wenn sich jemand eine bestimmte Geschichte wünscht." "Das klingt interessant. Sie schreiben also für andere Fortsetzungen von Geschichten? Achten Sie dabei auf bestimmte Zeitepochen? Schreiben Sie zum Beispiel lieber altertümliche Geschichten oder eher Schicksale aus der Gegenwart?" "Wenn ich mich in der Welt einer bereits vorhandenen Geschichte bewege ist das damit so gut wie vorgegeben, daran möchte ich auch nichts ändern. Ansonsten leben meine Figuren mit Vorliebe in der modernen Welt." "Wo können Sie eigentlich am besten Schreiben? Wo fühlen Sie sich am wohlsten?" "Ach, wechseln wir doch ins 'Du', dann ist es nicht mehr so steif. Bist du damit einverstanden?" Es kam für mich völlig unerwartet, dass mir ein Schreibzieher das Du anbot. Einen Moment lang musste ich die Frage verarbeiten. Fast schon schüchtern stimmt ich dann jedoch schließlich zu. "Sehr schön", ein Lächeln umspielte ihre Lippen, "Also, wo ich mich zum Schreiben am wohlsten fühle? Wenn ich konzentriert an einer Geschichte arbeiten will, ziehe ich mich in mein Arbeitszimmer zurück. Dort bin ich dann ungestört und kann in Ruhe schreiben." Meine Gesprächspartnerin schwieg einen Moment. "Möchtest du gerne sehen, wie meine Arbeitsumgebung aussieht?" Jetzt war ich sprachlos und erwischte mich dabei, wie ich die Schreibzieherin anstarrte. Ich hatte mich doch noch kaum von der Frage davor erholt. Hatte ich sie gerade wirklich richtig verstanden? "Sie, ähm, du würdest mir dein Allerheiligstes zeigen?" Sie lächelte. "So kann man es auch ausdrücken, wenn du es als ein solches empfindest. Komm mit." Sie erhob sich und ich tat es ihr gleich. Nebeneinander gingen wir in schlenderndem Gang durch das Haus, eine Treppe hinauf. "Wie bist du eigentlich darauf gekommen, dich in England niederzulassen?" "Ich weiß es selbst nicht genau. Die Gemeinschaft hat uns die Möglichkeit gegeben, uns in jedem Land der Welt anzusiedeln. Die Insel fasziniert mich schon lange, sie hat mich sozusagen angezogen." Wir kamen an eine Tür. Sachte drückte sie die Klinke hinunter und wir traten ein. Das Zimmer war keineswegs so großartig und außergewöhnlich, wie ich es mir vorgestellt hatte. Im Gegenteil, es war eher mit einer kleinen Kammer zu vergleichen, die über und über vollgestopft mit gesammeltem Zeug war. Das wichtigste Möbelstück war natürlich der Schreibtisch an der Wand rechts im Raum. Das Fenster befand sich genau an der gegenüberliegenden Wand, was mich ein wenig verwunderte. War es nicht angenehmer, im direkten Sonnenlicht zu schreiben? Auf dem Tisch befanden sich einige Stapel Papiere und verschiedene Büchlein, aus denen hier und da als Lesezeichen dienende Zettelchen ragten. Außerdem war die gesamte Ablage mit Stiften verschiedenster Arten übersät. "Ich sehe, einen Computer hast du hier nicht, schreibst du alles mit Hand?" "Ja, meistens. Manchmal tippe ich direkt auf der Tastatur, wenn es um einen Abgabetermin geht oder der Text letzten Endes eh digital vorliegen muss. Aber das mache ich dann nicht hier, hierher ziehe ich mich nur zurück, wenn ich den Stift über das Papier gleiten spüren möchte, der Computer steht in einem anderen Zimmer." "Und welche Stifte verwendest du so zum Schreiben?" "Kugelschreiber oder Füller. Das kommt ganz darauf an, ob ich nur eben etwas skizzieren möchte oder des Schreiben willens einen Stift in die Hand nehme. Dieser hier zum Beispiel", sie ging zu dem Tisch und nahm einen Füller in die Hand, "ist einer meiner Lieblinge. Ich verwende ihn nur, wenn ich mit viel Gefühl und Stil schreiben möchte." Der Füller war wirklich wunderschön, bestimmt auch nicht billig. Sie legte ihn wieder zurück und wand sich mir zu. "Möchtest du einen Tee?" "Ja, sehr gerne." Wir setzten uns auf das Sofa und die Hausangestellte brachte uns zwei Tassen Tee. Wir schwiegen eine Weile und genossen die Stille und das Aroma. "So kann ich am besten arbeiten. Eine Tasse Tee und keine störenden Geräusche von draußen." "Das stimmt, äußerst entspannend", ich schlürfte meinen Tee, "Du meintest vorher, du würdest nur am Computer schreiben, wenn du es digital bräuchtest, stellst du viele deiner Werke ins Internet?" "Nein, eher wenig. Das Meiste behalte ich hier bei mir, als Übung oder weil ich es noch nicht reif für die Öffentlichkeit finde. Meistens sind es die wirklich selbst erfundenen Geschichten, die mir einfach so in den Sinn gekommen sind und noch auf Ausarbeitung warten." "Wir haben bis jetzt nur über das Schreiben geredet. Das ist natürlich auch die Hauptsache bei den Schreibziehern, aber jetzt möchte ich wissen, ob du überhaupt noch etwas anderes machst, neben dem Schreiben?" Sie lachte einmal herzhaft. Mittlerweile war unser Gespräch freundschaftlicher, sodass ich wusste, dass sie mir meine Frage nicht krumm genommen hatte. Ich lachte ebenfalls. "Ja natürlich. Ich schwimme oft und spiele auch Tennis. Man muss sich ja auch bewegen, sonst versumpft man völlig im Haus. Manchmal muss ich einfach raus und den ganzen Geschichten entkommen. Ich singe auch sehr gerne. Das mache ich aber nur freizeitmäßig, also nichts professionelles." "Das denke ich mir, mit dem ganzen Schreiben. Aber du scheinst gar nicht so zurückgezogen zu leben, wie man es von den Schreibziehern sonst gewohnt ist." "Naja, Schreiben braucht halt seine Zeit und andere Menschen halten einen vom Arbeiten ab. Das ist so etwas wie ein natürlicher Weg, den wir einschlagen." "Damit komme ich zu meiner letzten Frage, die Frage der Fragen", dass ich schon im Vorfeld Fragen vorbereitet hatte, hatte ich mittlerweile schon total vergessen, irgendwie hatte das Gespräch einfach seinen Lauf genommen, eins folgte dem anderen, "Wie erarbeitest du eine Geschichte? Wie baust du deinen Text auf, wie planst du? Hast du eine bestimmte Strategie?" "Oh ja, immer wieder ein ernstes Thema. Es ist noch nicht allzu lange her, da habe ich noch jedes Mal einfach drauf los geschrieben. Mir kam eine Idee, ich nahm einen Stift und fing an zu schreiben. Doch dann habe ich mich einmal brutal bei einer Geschichte verhaspelt, dass ich gar nicht mehr wusste, wer nun was machen sollte. Seitdem erstelle ich immer ein Storyboard für meine Handlungen, das hilft ungemein. Natürlich flechte ich während des Schreibens immer noch weitere Ideen ein, aber das Grundgerüst bleibt erhalten. Ich spreche jetzt von meinen längeren Geschichten, so 20.000 Wörter aufwärts. Kurzgeschichten handhabe ich immer noch nach dem alten Prinzip. Die Szene und Handlung habe ich da meist schon im Kopf und schreibe nur alles nach der Reihe nieder." "Vielen Dank für deine ehrlichen Antworten. Und den Tee. Du bist wirklich äußerst gastfreundlich." "Es kommt auch nicht häufig vor, dass jemand um ein Gespräch bittet. Es hat mich sehr gefreut, ein wenig Zerstreuung vom Alltag zu finden. Wie bist du eigentlich hergekommen?" "Oh, ich bin mit dem Taxi vom Flughafen hier." "Das muss schrecklich gewesen sein, momentan sind zu jeder Tages- und Nachtzeit die Straßen völlig verstopft." "Wem sagst du das?" Wir lachten. "Lass mich dich zurück zum Flughafen bringen. Ich fahre dich gerne." "Ach, ich möchte nicht, dass du unnötig Mühen auf dich nimmst, ich werde mich schon zurechtfinden." "Aber ich bestehe darauf. Denke daran, ich muss hier auch mal herauskommen. Ich würde dich gerne noch ein Stück begleiten." Zögerlich stimmte ich schließlich zu und sah mit Erstaunen die Freude, die ich damit meiner Gegenüber bereitete. "Habe ich dir eigentlich schon den Garten gezeigt?" So lernte ich, dass die Schreibzieher gar nicht so verschlossen waren, wie es allgemein verbreitet wird. Aber das muss ein Geheimnis bleiben, schließlich handelt es sich hier um die Elite. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)