Zartbitter von life_is_melody ================================================================================ Kapitel 2: Weiße Schokolade --------------------------- »Wollten wir nicht damit aufhören?« »Wer hat das behauptet und wann hat er das behauptet?« Fin antwortete nichts. Was sollte er auch schon großartig sagen? Er war es, der sich mal wieder Gedanken machte, den jetzt schon die Schuldgefühle plagten, obwohl sie den Laden gerade erst verlassen hatten. Ja, sie hatte es schon wieder getan, hatten schon wieder geklaut. Eigentlich hatte Fin geglaubt, dass es ihnen beiden eine Lehre sein würde, seit sie letztes Jahr diese Zartbitterschokolade erwischt hatten. Eigentlich wäre das doch das perfekte Zeichen gewesen. Eigentlich hatte es doch so viel bedeutet wie »Lass die Finger davon.« oder »Jetzt ist es Zeit aufzuhören«. Eigentlich hatte Fin sich auch felsenfest vorgenommen nicht mit Joshua mitzugehen, ihn alleine gehen zu lassen, einfach zu Hause zu bleiben und Herrn König nicht noch um eine weitere Tafel Schokolade zu erleichtern. Und nun war er wieder hier: Joshua ging triumphierend neben ihm, eine kleine Tafel weißer Schokolade in der Hand, wie eine Trophäe oder ein Pokal. Als wäre es etwas Ehrenhaftes diese Schokolade gestohlen zu haben. Fin fühlte sich schlecht – wie jedes Jahr, aber er wusste genau, dass die Schuldgefühle verschwinden würden, schneller als es Fin eigentlich lieb war. Meistens dachte er, sobald die Schokolade verspeist war, schon gar nicht mehr an Herrn König und andas, was sie getan hatten. Natürlich gefiel Fin das nicht. Er mochte es nicht Herrn König und das, was sie ihm angetan haben so einfach und so schnell aus seinen Gedanken zu verdrängen. Herr König hatte es verdient, dass man länger an ihn dachte, hatte es verdient, dass sie sich schämten, dass sie Schuldgefühle hatten. Sie beide! »Tut er dir denn gar nicht Leid, Joshua?«, fragte Fin leise nach, als sie bei seiner Wohnung angekommen waren. Fin öffnete die Tür und ließ Joshua eintreten. Joshua ging voraus, die Treppen nach oben und gab einen überlegenden Laut von sich. Musste er tatsächlich überlegen? »Es ist nicht so, dass ich keine Schuldgefühle habe.«, begann Joshua schließlich, immer noch leicht überlegend dreinblickend. Die weiße Schokolade hielt er immer noch in der Hand, spielte leicht damit, warf sie immer wieder in die Luft und fing sie wieder auf, während Fin seine Wohnungstür öffnete. Wieder ließ er Joshua zuerst eintreten und folgte seinem besten Freund sofort. »Es ist nur, dass ich mir keine großen Sorgen mache. Ich weiß, dass es falsch ist, was wir tun und ich habe immer Schuldgefühle, wenn wir einfach so mit der Tafel aus dem Laden verschwinden, aber sobald wir den Laden verlassen haben, denke ich anders.« Fin schlüpfte aus seinen Schuhen und schlenderte dann in die Küche. Joshua folgte ihm, aber nur, weil er weiterhin sprach. Mit verschränkten Armen lehnte er sich an den Türrahmen. »Sobald wir den Laden verlassen haben, weiß ich, dass wir Herrn König nichts Großartiges angetan haben. Es ist nur eine Tafel Schokolade. Sie kostet nur ein paar Cent. Solche und andere Gedanken vertreiben die Schuldgefühle schnell wieder.« Fin überlegte, während er nach zwei Gläsern griff, eines Joshua reichte und schließlich noch eine Wasserflasche mitnahm, während sie ihr Gespräch ins Wohnzimmer verlagerten – wie immer. Immerhin mussten sie nun die Beweise vernichten. Joshua saß bereits auf der Couch, die Füße am Wohnzimmertisch und war gerade dabei die Schokolade zu öffnen. »Fühlst du dich schlecht?« Fin nickte sofort. »Ja. Auch wenn es nur wenig Geld ist, ist es doch Geld. In all den Jahren hat sich wahrscheinlich viel Geld angesammelt. Hast du je nachgezählt? Wir schulden Herrn König sicherlich viel Geld.« Fin ließ sich neben Joshua auf die Couch plumpsen und griff nach der Schokolade. Sofort brach er eine Rippe ab und steckte sich ein Stück Schokolade in den Mund. »Dafür, dass du solche Schuldgefühle hast, isst du aber immer reichlich viel von der Schokolade, die wir dem armen Herren jedes Jahr einfach so stibitzen.« Joshua lachte laut und Fin schob schmollend seine Unterlippe nach vor, ehe er ein weiteres Stück in seinen Mund schob. Natürlich bereute er. Er bereute es immer die Schokolade gestohlen zu haben, aber zurückbringen konnte er sie schließlich auch nicht mehr. Dann würde Herr König doch genau wissen, wer ihm jährlich die Schokolade stahl, wer ihm schon Unmengen an Geld schuldete und Fin war sich sicher, dass er das Geld von ihnen verlangen würde, dass er es schon eintreiben würde. »Wir haben sie schon geklaut, also können wir sie auch essen.« Joshua lachte laut auf und hob seine Hand, legte sie um Fins Schulter und zog ihn ein bisschen näher zu sich. Fin lächelte leicht, weil er genau wusste, was Joshua nun sagen würde, weil er wusste, was Joshua nun ansprechen würde. »Genau deshalb hab ich dich so gern. Genau deshalb bin ich verdammt froh, dass wir beste Freunde, wenn nicht sogar wie Brüder sind.« »Ich auch.«, hauchte Fin leise. Er war wirklich froh, dass er Joshua hatte, war froh, dass Joshua schon so manchen Scheiß mit ihm durchgemacht hatte, dass er ihm immer zur Seite gestanden hatte, dass Joshua immer für ihn da war, wie ein bester Freund, wie ein Zwillingsbruder. »Apropos klauen und essen.«, begann Joshua, während er an seinem Stück lutschte. Auch wenn Fin und Joshua sich in so vielen Dingen ähnelten, gab es doch viele kleine Unterschiede, die sie zu zwei ganz verschiedenen Persönlichkeiten machte. Joshua hatte diese für Fin komische Angewohnheit, immer an Schokolade zu lutschen, anstatt sie zu kauen – so wie Fin es tat. Aus diesem Grund kam es auch meistens dazu, dass Fin schon mehr als die Hälfte der Schokolade gegessen hatte, während Joshua noch bei seinen ersten Stücken war. Aber Fin störte sich nicht daran – eher im Gegenteil. So bekam er doch den Löwenanteil an der Schokolade und daran hatte er nun wirklich nichts auszusetzen. Anfangs. Später, meistens amn Abend vorm schlafen gehen bekam er wieder unglaubliche Schuldgefühle und betete für Herrn König. Irgendwie musste er diese Schuldgefühle doch wegbekommen! »Hast du eigentlich die Zartbitter noch?« Zartbitter? Fin runzelte kurz die Stirn, musste überlegen, da er gerade ein wenig in Gedanken abgedriftet war und nicht mehr wirklich auf Joshua geachtet hatte. Zartbitter? Was meinte Joshua denn damit? Er mochte doch keine Bitterschokolade, genauso wenig wie Fin sie mochte. Wieso also sollte er welche kaufen? Doch kaum gedacht, erinnerte sich Fin an das letzte Jahr. Er hatte unabsichtlich die Zartbitterschokolade mitgenommen, anstatt der üblichen Milchschokolade. »Ja, ich müsste sie noch irgendwo haben. Warte einen Moment.« Schnell schob Fin Joshuas Hand von seiner Schulter, bemerkte dabei nicht den leicht schmollenden Blick seines besten Freundes, sondern erhob sich nur und eilte zurück in die Küche, um in seinem Süßigkeitenschrank zu kramen. Wobei es wohl eher Joshuas Süßigkeitenschrank war, immerhin bestand Joshua darauf, dass Fin so etwas besaß und auch, dass er immer gefüllt war. Joshua war eine richtige Naschkatze, brauchte er doch mindestens einmal am Tag seine Portion Süßigkeiten, damit er ertragbar war. Wenn er sie nicht bekam, dann war Joshua grummelig, dann war er genervt und vor allem war er dann anstrengend, da er zu einem kleinen, fünfjährigen Jungen mutierte, der unbedingt Süßigkeiten wollte. Joshua neigte dann auch dazu die Arme schmollend vor der Brust zu verschränken, die Unterlippe nach vorn zu schieben und wütend mit dem Fuß aufzustampfen. Fin schmunzelte leicht bei dem Vergleich, passte er doch irgendwie perfekt. Aber wenn Fin ehrlich zu sich war, wenn er wirklich und ernsthaft darüber nachdachte, dann mochte er das an Joshua, dann war das eine der Eigenheiten, der Einzigartigkeiten, die Joshua zu seinem besten Freund machte. Nach kurzem Herumkramen fand Fin die Zartbitterschokolade schließlich etwas weiter hinten im kleinen Schränkchen. Mit dieser bewaffnet ging er zurück zu Joshua und reichte seinem besten Freund die Tafel, während er sich erneut neben ihm auf die Couch setzte. »Willst du sie kosten?« Fin war neugierig, immerhin konnte er sich nicht vorstellen, dass Joshua die Schokolade totstarren wollte. »Na ja, wegwerfen wäre doch ziemliche Verschwendung, oder?« »Wir könnten sie verschenken.«, schlug Fin vor. Dann hätten sie zumindest einmal etwas Sinnvolles und Gutes mit der gestohlenen Schokolade getan. Dennoch wusste Fin bereits nachdem er die Frage gestellt hatte, wie Joshua sie wohl beantworten würde. Tatsächlich schüttelte Joshua nur energisch den Kopf. »Nein. Wir haben sie geklaut, also gehört sie auch irgendwie uns! Jedenfalls will ich die Schokolade sowieso kosten und dann können wir sie auch nicht mehr verschenken.« Fin schmunzelte nur, hatte er doch mit genau dieser Antwort gerechnet. Stumm sah er dabei zu, wie Joshua die weiße Schokolade auf den Tisch legte. Vorsichtig, als würde sich hinter der Verpackung irgendetwas Gefährliches befinden, begann er sorgsam und ziemlich langsam die Verpackung der Bitterschokolade zu lösen und argwöhnisch unter diese zu blicken. Fin beobachtete das alles nur schmunzelnd. Typisch Joshua. »Sieht ein wenig dunkler aus als normale Milchschokolade.« »Die hat auch mehr Kakao-Gehalt. Da muss sie dunkler sein, Joshua.« »Klugscheißer.«, murmelte Joshua leise, was Fin nur dazu brachte schmunzelnd den Kopf zu schütteln. Schnell brach Joshua eine Rippe von der Tafel ab und teilte diese erneut in zwei gleiche Stücke. Eines davon reichte er Fin, der dankend annahm und die Schokolade aber skeptisch betrachtete. Er war nicht wirklich erpicht darauf einen bitteren Geschmack im Mund zu bekommen. Fin mochte nichts Bitteres und Joshua ging es eigentlich genauso. Dennoch bemerkte Fin aus den Augenwinkeln, dass Joshua die Schokolade mutig in seinen Rachen warf. Fin betrachtete das Stück noch einmal eingehend. Konnte es sich nicht schnell in ein Stück Milchschokolade verwandeln, dann wäre sich Fin sicher, dass es ihm schmecken würde. Aber es geschah nichts. Die Zartbitterschokolade blieb und bevor sie nun in Fins Hand zu schmelzen begann, schloss der junge Mann die Augen und warf die Schokolade in seinen Mund. Sofort breitete sich ein bitterer Geschmack auf Fins Zunge und in seiner gesamten Mundhöhle aus und ehe er es verhindern konnte, rann schon etwas von der Schokolade seinen Rachen hinunter, direkt in den Magen. Fin würgte. Verdammt. Das schmeckte eklig, verdammt eklig. Fin behielt die Schokolade im Mund und sah sich schnell um. er versuchte nichts zu schlucken, zu lutschen oder zu kauen, damit sich nicht noch mehr von diesem bitteren und ekligem Geschmack in seinem Mund festsetzte. Er sollte weg. Fin musste diese Schokolade loswerden und zwar sofort. Aus den Augenwinkeln sah er, wie auch Joshua das Gesicht verzog. Anscheinend schmeckte es ihm ebenfalls nicht. Dennoch schluckte Joshua brav alles, was er in den Mund genommen hatte. Fin griff schnell nach dem Taschentuch, das in einer Packung auf dem Tisch lag. Dennoch ging es ihm nicht schnell genug und er würgte schon wieder, weil sein Körper ihm sagte, dass er schlucken sollte, dass er irgendetwas schlucken musste. Doch Fin hielt mit seinem Verstand dagegen, zwang sich nicht zu schlucken, sondern die Schokolade, sobald er das Taschentuch in der Hand hatte, in dieses zu spucken. »Eklig.« Fin streckte die Zunge heraus, versuchte den bitteren Geschmack irgendwie loszuwerfen. Vielleicht half es ja, wenn er etwas nachtrank. Nebenbei bekam Fin mit, wie Joshua einen zustimmenden Laut von sich gab. Eklig, definitiv! »Also eines steht fest.«, begann Joshua, während Fin nach seinem Glas griff und es in einem Zug beinahe vollkommen leerte. Immerhin wollte er diesen verdammten bitteren Geschmack endlich aus seinem Mund bekommen. »Nächstes Jahr holen wir uns ganz sicher wieder die Milchschokolade.« Fin stimmte sofort zu. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)