Zum Inhalt der Seite

Die Klingen des Kaisers

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Bereitschaft

Amir hatte einen Esel beschafft, damit Michel den steilen Weg hinunter in die Kleinstadt reiten konnte, wo eine Postkutschenstation lag. Allerdings würde es wohl ein oder zwei Tage dauern, bis sich ein freier Platz fand, da die beiden Agenten nicht vorbestellt hatten und höchstens bis zu sieben Passagiere aufgenommen werden konnten, zusätzlich zu den Transportgütern.

Michel bedankte sich höflich dafür. Gehen war mit der durchstochenen Wade noch immer schmerzhaft und schwierig. Aber in Anbetracht der Tatsache, dass er ein Duell mit einem Assassinen überlebt hatte, war er nicht gerade böse darum. Shahin, Amir, Mahedj und ihre Mutter waren gekommen, um ihre Schwester oder Tochter und deren Partner zu verabschieden. Michel wollte gerade auf den Esel steigen – gewöhnlich kein Tier für einen Adeligen seines Standes – als er erkannte, wer herankam. „Agrar.....“

Der Verlierer des Ehrenduells hob sofort die Rechte und seine Cousins entspannten sich ebenso wie Sarifa, woraus Michel schloss, dass das ein Friedensgeste war, und sich ihm zuwandte.

„Ich habe gegen dich verloren, Partner meiner Cousine,“ erklärte Agrar sachlich. „Mein Leben gehört dir. Wann immer du einen Auftrag für mich hast – nenne das Ziel und die Person wird sterben. Natürlich,“ ergänzte er höflich: „Wirst du selbst mit vielem fertig.“

„Danke für das Angebot, Agrar.“ Michel nickte ein wenig: „Es schadet nie Verbündete zu haben, gerade auch im Norden.“

Der junge Assassine blickte zu seiner Cousine: „Ich kann nicht dein Partner sein, das ist mir nun klar. Aber bitte, ziehe mich als Ehemann in Betracht.“

Sarifa lächelte: „Wenn ich heiraten will, werde ich es tun. - Michel.....“

Der nahm es als zarte Aufforderung und schwang sich ein wenig mühsam, wenn auch in der Hoffnung, sich nicht zu blamieren, auf den Lastsattel des Esels. Seine Partnerin griff sich die Zügel und so zogen sie aus dem Dorf, noch ein Stück gefolgt von der Familie und den Nachbarn.
 

Michel und Sarifa waren bereits eine Woche unterwegs, als sie auf Grund eines Achsenbruchs der Postkutsche wie auch vier andere Passagiere einen unerwarteten Halt in einem kleinen Weiler einlegen mussten, der sich am Rande des Einflussgebietes der Stadt Pavero befand, einer wohlhabenden alten Fischer- und Handelsstadt an der Küste des Südmeeres, und dem ausgedehnten Königreich von Pisan. Vor ihnen lag eine Strecke von drei Tagen, die durch mehr oder weniger unbewohntes Gebiet führte.

„Gibt es dort Banditen?“ erkundigte sich Sarifa, als sie ein wenig am Rand des Bauerndorfes spazieren gingen.

„Vermutlich, mein Engel. Wer Überfälle plant sucht sich immer das Gelände zwischen zwei Mächten. Aber, wenn ich unseren Kutscher richtig verstanden habe, gibt es nur einen Ort weiter eine richtige Haltestelle, wo dann Reiter dazu kommen, die uns durchgeleiten werden und die nächste Kutsche zurückbringen.“

„Im Preis mit eingeschlossen oder müssen wir dafür bezahlen?“

Wollte seine tendenziell aggressive Partnerin wissen, ob sie ihre Messertalente einsetzen könnte? „Im Preis mit eingeschlossen. - Ich weiß nicht, wie das untereinander abgerechnet wird,“ erklärte er dann ehrlich: „Aber ich vermute, dass der König von Pisan und der Bischof von Pavero sich geeinigt haben.“

„Das verstehe ich sowieso nicht so ganz,“ gestand die Assassine: „König, ja, wie König Emylian in Cinquanta oder hier dann der König von Pisan. Wieso haben manche Städte einen Bischof und andere einen Stadtrat – oder gibt es auch Städte, die einen König haben? Ich wüsste nicht.“

Sie war gut ausgebildet in Geographie, das wusste er, aber anscheinend hatte man in ihrem Dorf weniger Ahnung von der Geschichte des Kaiserreiches. Nun, kein Wunder: „Nein, das heißt, die Herzöge haben eine Stadt und ihr weiter gefasstes Umland. Sieben Stück davon gibt es. Das Andere liegt in der Geschichte. Manche Städte hatten so etwas wie Bürgerkrieg und stellten sich dann unter einen Bischof, um eine gewisse Neutralität zu wahren. Du erinnerst dich an Aquatica, wo sich die beiden herrschenden Familien durchaus nicht grün sind? Das, nur noch ein wenig ärger. Und ein immer wieder vom Kaiser und der Kirche bestimmter Bischof hat keine legitimen Kinder, das Amt kann nicht vererbt werden...also Frieden.“

„Das ist auch so in Pavero.“ Das klang logisch. Und sie konnte sich vorstellen, dass die Bürger der Städte auch auswärtige Regenten willkommen hießen, wenn sie nur in Frieden handeln konnten.

„Ja. Diese Bischofsstädte sind oft relativ wohlhabend - niemand stritt sich je um ein paar verhungernde Leute. Der Bischof von Pavero heißt Konstantin. Er ist...eine Art Neffe des Kaisers.“

„Ah, war das nicht der, dessen Vater hingerichtet wurde?“ Davon hatte ihr Michel doch schon etwas erzählt und sie wollte demonstrieren, dass sie ihrem Ausbilder zugehört hatte.

„Stimmt. Maxim war sein Vater, der Cousin Dagoberts. Er wollte einen gut Teil des Reiches besitzen, mit zwei Begründungen: erstens sei auch der jüngere Sohn erbberechtigt, damit sein Vater, und zweitens Dagobert ein Kind.“

„Letzteres mag gestimmt haben,“ erklärte Sarifa: „Aber es wäre doch idiotisch das Erbe nicht ungeteilt zu hinterlassen sondern es immer weiter unter seinen Söhnen aufzuteilen. Da hätte nach einigen Generationen ja niemand mehr etwas. Außer Krieg.“

„Stimmt, so sahen es auch schon Kaiser Merowin und dessen Vater, auch, wenn es früher durchaus schon vorgekommen war. Das hieß..äh...Realteilung. - Maxim führte drei Mal einen Aufstand, musste sich dann Kaiser Dagobert bedingungslos unterwerfen. Nach dem dritten Mal akzeptierte der keine Entschuldigung mehr sondern ließ ihn hinrichten. Dagobert war damals vierzehn, gerade volljährig geworden, Maxim gegen Ende Zwanzig. Und dieser hatte einen Sohn, Konstantin. Der zählte erst drei Jahre und obwohl er nach dem Recht des Reiches in ein Kloster als Mönch verbannt hätte werden können, noch dazu geblendet, nahm ihn Dagobert – und Uther - zu sich. Mit...lass mich nachdenken...na, als er erwachsen war, erhielt er die Bischofswürde von Pavero. So war sichergestellt, dass er keine erbberechtigten Kinder bekommen würde, aber gut versorgt war. Soweit ich weiß, war er mit dieser Lösung sehr zufrieden. Und Pavero war es auch, denn er war in der Knappenschule ausgebildet worden – und, mit Verlaub, den Städten ist so jemand lieber als ein ungebildeter Bauer, der nur über die Kirche Karriere machte und nichts von Handel oder Bankwesen versteht.“

„Hm. Verständlich.“ Sarifa ordnete ein wenig ihre Kleidung. Wie meist auf Reisen trug sie kein Kleid sondern Hosen. Diesmal hatte sie ihre Rüstung allerdings nicht unter dem Oberteil – sie hatte sie in Paradisa gelassen, um bei den Meuchelmördern nicht als Assassine aufzufallen. Aber das sollte nicht unbedingt ein Problem darstellen, erwartete sie doch keinen professionellen Kampf. Mit einigen hergelaufenen Banditen im Wald würde sie jederzeit fertig werden – ihr Partner ebenso. Und da war dann ja auch noch der Begleitschutz. „Das bedeutet auch, dass Kaiser Dagobert sein Reich nicht teilen wird, sondern es nur einem seiner Söhne hinterlassen will.“

„Ja.“ Michel blickte sich um. In der Schmiede arbeitete der eilig herbeigerufene Wagner noch immer an der Kutsche. Der Aufenthalt hier schien länger zu dauern. Aber das war eben so, zumal auf Reisen, die einen weit durch das Kaiserreich führten. Zwar waren die Fernstraßen in aller Regel in gutem Zustand, aber Steine und ähnliches gelangten immer wieder auf die Wege und gefährdeten die Kutschen und Reiter.

„Korrigiere mich, wenn ich mich irre – aber das würde doch bedeuten, dass sich die Söhne jetzt schon um das Erbe streiten, wenn es nur einen geben kann? Oder hat dann Konstantin auch mitzureden?“

„Nein, zu allem. Konstantin ist Bischof und unverheiratet, keine Kinder – nach alter Regel kann nur ein Mann Kaiser sein, der...äh....naja, Kinder zeugen kann und logischerweise auch verheiratet ist.“

„Das bedeutet, er müsste das Bischofsamt nur niederlegen?“

Michel stutzte: „Nein, eigentlich kann man das nicht mal eben so machen. Das ist eine lebenslange Bindung. Theoretisch...ja. - Und die Söhne...ach du je. Dankward mit seinem etwas sehr leichtfertigen Lebensstil und Markward....nun ja, ich mag ihn nicht sonderlich, vielleicht bin ich da ungerecht. Er mag mich allerdings auch nicht.“

„Wenn er dich für einen Idioten hält könnte das an deiner Rolle liegen,“ erwiderte seine Partnerin prompt.

Michel musste lachen: „Ja, vermutlich. Das Problem ist, dass er keine Rolle spielt, sondern so ist. Nun, da brauchen wir uns keine Gedanken zu machen. Ich vermute allerdings, dass Dagobert deswegen schon einige schlaflose Nächte hatte. Immerhin kann er die Krone nur einem Familienmitglied, einem männlichen Familienmitglied,“ betonte er für die Bluterbin der Assassinen: „Hinterlassen. Denn die Kernlande, das Stammland, werden nur in der männlichen Linie vererbt. Und ein Kaiser ohne Stammland, ohne Geld, hat kein Heer, ist folglich machtlos.“

„Angenommen, der Kaiser würde noch einen Sohn bekommen – ich meine, die Kaiserin ist ja viel jünger – dann könnte er auch den zum Kaiser ernennen?“

„Zum Thronfolger. Ja. Gar nicht schlecht, mein Engel. Das könnte ein Grund für die überraschende Heirat mit Anawiga gewesen sein. Daran habe ich noch gar nicht gedacht. Ich sah immer nur Markward und Dankward.“ Michel zuckte die Schultern: „Ist ja auch gleich. Ich denke mal, in doch lobenswerter Selbsterkenntnis, ich komme als Kaiser sowieso nicht in Betracht.“ Leichte Ironie lag in seiner Stimme, als er sich umwandte, um zu der Schmiede zurückzukehren, wo die Kutsche soeben – endlich - aufgestellt wurde.

Sarifa erkannte, dass und warum er das Gespräch beenden wollte, folgte ihm, und dachte an seine arrogante Rolle, das ewig geschwenkte Taschentuch, das Parfüm und die vielen Rüschen und musste dann doch noch bestätigen: „Nein, irgendwie so nicht.“
 

Fast zwei Wochen später traf die Postkutsche mit den Beiden in Paradisa ein. Sie ließen sich jeder nach Hause bringen, ehe sie sich in der Abenddämmerung am Nordturm des Kaiserpalastes wieder trafen, beide mit Umhängen, die Gesicht und Statur verbargen, um sich mit Raoul über verschwiegene Stiegen zu Graf Uther zu begeben.

Der empfing sie erfreut, dass sie da waren, meinte jedoch: „Ihr geht ein wenig...mühsam, Michel?“ Ein kaum wahrnehmbarer Hauch von Besorgnis lag darin: „ Bitte, nehmt Platz.“

„Nichts von Bedeutung. Es ist bereits verheilt. - In den Bergen lauern manche Fallstricke.“ Mehr wollte er von dem Duell nicht erzählen.

Der Kaiserbruder bemerkte durchaus das winzige Lächeln, das um Sarifas Mund zuckte, aber er hielt es für besser nicht nachzufragen: „Dann werde ich Euch beiden berichten, was inzwischen hier passiert ist. Die Kaiserin war guter Hoffnung, erlitt jedoch eine Fehlgeburt. Dankward kehrte vom Meer zurück. Mit seinem Einverständnis wird er Bischof von Tailina werden und dort eine Akademie für Seefahrer gründen und leiten. Markward leitet momentan die Bergwerke von Gruvenant.“

Michel zog die Brauen zusammen: „Bischof? Ist Dankward schon bewusst, was das für ihn heißt? Keine Frauen, keine Drogen und auch keine Kaiserkrone.“

„Es ist ihm bewusst. Der Dankward, der zurückkehrte, ist erwachsen geworden. Ohne zu viel zu erzählen – ja, ihm ist vollkommen klar, was das bedeutet. Aber er hat die Liebe zum Meer entdeckt und zu manchen anderen Dingen. So haben der Kaiser und ich beschlossen die Vergangenheit ruhen zu lassen.“

„Aber Markward wurde noch nicht zum Thronfolger ernannt?“ warf Sarifa ein.

„Nein. Er wird noch beobachtet. Herzog Pippin, Michel, wenn Ihr das später Eurer Partnerin erklären mögt, wandte sich an mich, dass Markward mit ihm gesprochen hat, ohne das dem Kaiser mitzuteilen. So fragt man sich natürlich, mit wem noch so alles.“ Uther lehnte sich ein wenig zurück: „Es freut mich, dass Ihr beide wieder hier seid. Momentan liegt zwar nichts an, aber ich hätte gern, dass Ihr beide bereit seid für folgende Aufgaben: Sarifa, falls die Kaiserin erneut schwanger ist, möchte ich ihr Euch als ihre neue Hofdame vorstellen. Ihr werdet dafür sorgen, dass weder Anawiga noch dem Kind etwas...Unnatürliches zustößt.“

Die Assassine nickte nur.

Ein wenig erleichtert sah er nach rechts: „Michel, ich bin mir bewusst, dass Ihr Markward nicht gerade liebt – aber, wenn er etwas Verdächtiges unternimmt, möchte ich, dass Ihr ihn übernehmt und herausfindet, was er treibt. Und wer ihn berät. Ich sage es Euch dann.“

Michel lächelte flüchtig: „Keine Sorge, Graf Uther. Ich bin ein Profi. Und ob ich ihn mag oder nicht – er ist der Sohn des Kaisers, der mögliche nächste Kaiser. So werde ich es auch professionell angehen.“

„So ist es gut.“ Er dachte kurz nach, ehe er nur meinte: „Ich bin froh, dass Ihr beide wieder hier seid. Irgendetwas liegt in der Luft, ich kann es spüren – und das gefällt mir nicht. Auch der Kaiser ist dieser Meinung. - Oh, Sarifa, Charibert erwähnte, dass Ihr nach Eurem Pferd sehen solltet. Es geht ihm wohl nicht gut.“

Sabri, dachte die Assassine prompt. Er war schon alt, aber sie hatte ihn ins Herz geschlossen, obwohl Michel sie gewarnt hatte, das man das nie mit einem Pferd tun dürfe. „Danke,“ sagte sie jedoch höflich.
 

So war Sarifa bereits früh am nächsten Morgen auf dem Weg zu den kaiserlichen Ställen vor der Stadt, um nach ihrem alten Wallach zu sehen. Sie bemerkte, als sie an dem Stadttor ihren Passierschein vorwies, dass sich dort draußen etwas tat.

„Was geschieht dort?“ erkundigte sie sich bei dem Wachposten.

„Oh, sie richten den Galgen auf. Heute findet eine Hinrichtung statt. Wollt Ihr zusehen, ma donna?“

„Ich muss zu den kaiserlichen Ställen...“ wehrte sie ab. Nein, das war so nicht nach ihrem Geschmack, auch, wenn sie wusste, dass im gesamten Kaiserreich Hinrichtungen zu der üblichen Rechtsprechung gehörten. Sie bevorzugte die Assassinen-Methode: den Dolch von vorn in das Herz. Aber sie gab gern zu, dass das für die meisten Städte oder auch Königreiche wohl kaum möglich war. So ließ sie sich in ihrer gemieteten Sänfte zu den Ställen tragen – sie hatte dazu gelernt, und nach ihrer Vorstellung bei Hofe wäre es kaum der Tarnung förderlich gewesen hier zu Fuß herzugehen, so gern sie es auch getan hätte.

Sabri ging es in der Tat nicht sehr gut und der zuständige Stallbursche sah sich gezwungen die junge Dame zu beruhigen. Immerhin hatte diese das Ohr des Stallmeisters Charibert, des Herrn über den berittenen, und damit größten, Teil des kaiserlichen Heeres und aller der dazugehörigen Pferde. „Er ist schon alt, ma donna....Er wird bald einschlafen. Aber er hat keine Schmerzen, das kann ich Euch versichern.“

„Ja, das sehe ich.“ Nahm sie zumindest an. Er war das erste und einzige Pferd, was sie je besessen hatte, und sie drückte sich an seinen Hals. Mager war er geworden... Sie nahm sich zusammen. „Nun, gebt ihm, was er benötigt. Ich werde wenn möglich jeden Tag kommen, bis....“

„Ja, wie Ihr wünscht, ma donna.“

In Erinnerung an Michel nahm sie eine Münze im Wert von zehn Gulden aus ihrem Beutel und gab ihrem Gesprächspartner diese, ohne zu ahnen, dass der Mann weder Trinkgeld gewohnt war, geschweige denn in Höhe eines Wochenlohnes. Und dass sie Sabri eine äußerst aufmerksame Pflege gesichert hatte.
 

Als sie sich nach Paradisa zurücktragen ließ, wurde sie bald angehalten. Ein kaiserlicher Gardist kam zu ihr an die Tür der Sänfte: „Ma donna, ich bedauere, hier kommt Ihr nicht mehr durch....“

„Ich verstehe nicht.“

„Es findet eine Hinrichtung statt und es kamen schon sehr viele Menschen. Mit der Sänfte kommt Ihr hier nicht mehr durch. Zu Fuß könnt Ihr es versuchen.“

„Das werde ich dann wohl müssen.“ Sie öffnete die Tür.

Galant half ihr der Mann aus der Sänfte. Ihre Kleidung zeigte eine Adelige, und in der kaiserlichen Hauptstadt tat man gut daran Edelleuten gegenüber aufmerksam zu sein. Man wusste nie, wer wo was tat.

„Danke.“ Sie trat zu den Trägern und bezahlte diese. Sie würden hier warten und sicher nach dem Auflösen der Menschengruppe einen neuen Kunden finden. Sarifa dagegen wandte sich dem Rand der Menge zu, möglichst entfernt von dem Galgen, um über die Wiese dort zur Stadt zu gelangen. Sie fuhr erst herum, als jemand ihren Namen sagte, dann sich eilig korrigierte:

„Vergebt mir, Prinzessin Sarifa. Ich war zu erfreut Euch endlich einmal wiederzusehen, um meine Zunge beherrschen zu können.“

Sie neigte höflich-höfisch mit einem Lächeln den Kopf. Was tat Markward denn hier? Immerhin war er in Begleitung eines braunhaarigen Mannes, der offensichtlich bürgerlicher Herkunft, aber offenkundig wohlhabend war. Zumindest trug er eine teure Kette um den Hals und das dunkle Wams war bestickt. Auf den zweiten Blick erst erkannte sie auch zwei Angehörige der Leibgarden. Der Kaisersohn wurde nicht unbewacht gelassen. „Belasst es nur bei Sarifa,“ meinte sie: „Wir sind nicht bei Hofe.“

„Dann sagt Ihr aber auch Markward....“

Narr, dachte sie. Er trug, wie jeder Sohn des Kaisers, nicht den Titel Prinz – den erhielt nur der designierte Thronfolger. Hielt er sich schon so sicher dafür? „Danke,“ sagte sie jedoch nur. Heute war er zwar wie ein Adeliger gekleidet, aber doch nicht seinem Stand entsprechend, wohl, um hier nicht aufzufallen. Auch seine blonden Haare fielen offen und weich über seine Schultern. Wieder einmal fand sie ihn durchaus nicht übel aussehend.

„Wolltet Ihr Euch auch die Hinrichtung ansehen?“

„Eigentlich wollte ich nur zur Stadt zurück. Ich kam aus den kaiserlichen Ställen....“

„Ach ja, Stallmeister Charibert sorgt sich sehr um Euch.“ Und das war ein guter Grund die Formen zu wahren. Der Stallmeister war ein langjähriger Vertrauter des Kaisers. Nachdem Vater angefangen hatte ihn selbst als Nachfolger aufzubauen sollte er aufpassen, da nichts zu zerstören.

„Warum wird dort jemand hingerichtet?“ erkundigte sie sich dann doch neugierig.

„Ein Dieb.“ Er zuckte ein wenig die Schultern.

Sie stutzte: „Wegen Diebstahls wird man hier gehängt?“

„Oh, nein. Wird das in Cinquanta anders gehandhabt?“ Markward schob sich enger zu ihr, hütete sich jedoch davor ihren Arm zu fassen. Schön langsam vorgehen, ermahnte er sich. „Wenn jemand stiehlt, zum ersten Mal, und nicht aus Hunger, dann erhält er in den linken Oberarm ein Brandmal. Beim zweiten Mal in den rechten. Und beim dritten Mal wird er gehängt. Ich würde sagen, wegen erwiesener Dummheit, denn genug Warnung hat er erhalten.“

Sie wich möglichst unauffällig einen Schritt zurück, anstatt ein Messer zwischen sich und ihn zu halten, wie es ihr erster Impuls war: „Und wenn jemand wegen Hunger stiehlt?“

„So ist es der ausdrückliche Wunsch des Kaisers, dass diesem eine Arbeit verschafft wird. Geht er dieser nicht nach und stiehlt weiter – nun ja.“

„Ich möchte eigentlich da nicht zusehen,“ gestand Sarifa.

Markward wunderte das ein wenig: „Ich habe auf meiner Reise ehrlich gesagt viele junge Damen gesehen, die solche Schauspiele sehr prickelnd fanden. Stört Euch der Tod oder nur das Blut? Das gibt es bei einer Hängung nicht.“

„Mich stört weder Blut noch Tod,“ erwiderte die Assassine prompt: „Nur, dass es als Schauspiel dient.“

„Nun, es dient auch der Abschreckung, findet Ihr nicht? Aber, welch unschönes Thema, meine Teure. Sagt, wann kann ich Euch denn einmal wieder bei Hofe sehen?“

„Oh, das weiß ich nicht....“ Sie hatte keine Anweisung erhalten, aber damit auch keine Einladung. Freilich hatte sie jederzeit Zutritt zu Graf Uther und die entsprechenden Passierscheine, aber das wollte sie gegenüber Markward nicht erwähnen. „Ich denke bald.“

„Wenn Ihr hier, Chilperich, Eure Adresse sagt, werde ich Euch eine Einladung zu einem der nächsten Empfänge zukommen lassen,“ lächelte Markward in freudiger Überraschung. Also hatte Charibert nicht die Hand auf der jungen Dame, sonst hätte sie bereits Einladungen erhalten.

Sarifa stutzte, ehe sie ein wenig abwehrend sagte: „Nun, die nächste kaiserliche Brieftaubenstation ist....“ Sie nannte die Adresse.

Chilperich nickte und Markward lachte auf: „Schon gut, meine Teure. Ich sehe schon, Ihr seid ein sehr anständiges Mädchen aus dem Süden, nicht wahr?“ Umso reizvoller würde die Jagd werden.

Sie sah das Aufblitzen in seinen blauen Augen und der Kaisersohn ahnte vermutlich nicht, wie nahe er daran war, Dolche um die Ohren oder noch lieber woandershin zu bekommen. Jahrelang antrainierte Selbstbeherrschung, anerzogene Kaisertreue sowie Michels Lehren ließen sie jedoch nur sagen: „Ich denke, dort kommt der Verurteilte...Ihr entschuldigt mich gewiss....“ Mit einem weiteren Lächeln ging sie, gerade langsam genug, um es nicht wie eine Flucht erscheinen zu lassen.

„Geh ihr nach, Chilperich. Ich will wissen, wo sie wohnt,“ befahl Markward unverzüglich leise.

Sein Kämmerer gehorchte. Als er nach einer halben Stunde zurückkehrte, musste er zugeben, dass er die junge Dame verloren hatte – und dass er der Meinung war, es sei keine Absicht gewesen.
 

**

Wenn er meint...

Das nächste Kapitel bringt ein „Zwischenspiel“.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Teilchenzoo
2012-09-17T18:06:30+00:00 17.09.2012 20:06
Tja, eine Assassine ist schwer zu verfolgen ... auch wenn ich die Bemerkung mit dem absichtlich verloren süß finde ;). Da lässt wohl jemand gern die bedauernswerten Opfer von Markwards Aufmerksamkeit entkommen. Würde Chilperich jedenfalls sympathischer machen, auch wenn der Brief an die Mutter ihn schon um einiges menschlicher gemacht hat.

Die Hintergrundgeschichten nochmal erklärt zu bekommen war schön. So ist es nochmal klar gestellt. Hm, und konstantin soll also zufrieden sein? Ich habe ihn im Verdacht, der mysteriöse Feind zu sein. Aus Plotgründen jedenfalls wäre seine Einführung damit logisch. Als Figur im Plot käme man aber nicht so leicht darauf.

Die Szene mit Agrar war auch echt schön. Ich bin froh, dass es so ehrenvoll endet, dieses kleine Abenteuer mit dem "Fallstrick".

Lg
Von:  Krylia
2012-09-12T18:14:45+00:00 12.09.2012 20:14
Soviel Unwissenheit möchte man fast bemitleiden. Aber seine selbstgefällige Art macht dieses Gefühl gleich wieder zunichte.

Ich hoffe, er kann aus dem Standpunkt der Brieftaubenstation keine Rückschlüsse auf ihren Lebensstandard ziehen. ó.ò

P.S.: Die Bemerkung von Uther auf Markwards neu enddeckte Leidenschaften war der Hammer. XD

Liebe Grüße,
Krylia


Zurück