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Students, Hell Yeah!

(KaRe)
von

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Die Pinnwand

Als Kai auf das Hauptgebäude der Universität zuschritt, wurde er von vielen Studenten überholt, denn er ging langsam, fast zögernd. Unterdrückt neugierig beobachtete er alles, was um ihn herum geschah. Da waren Studenten, die draussen an den kleinen Tischen der Cafeteria sassen und Kaffee tranken, Studenten, die auf Bänken und der grossen Eingangstreppe hockten und rauchten und sich den neuesten Tratsch erzählten. Erstsemester, die verwirrt dreinschauten und versuchten, die Orientierung nicht zu verlieren. Und Studenten, die sich auf der grossen Wiese in kleinen oder grösseren Grüppchen in der Sonne räkelten.

Es war ein schöner Tag im September, dem ersten Tag des neuen Semesters und alle freuten sich, ihre Kommilitonen nach vier Monaten wieder zu sehen. Alle bis auf einen. Auf Kai traf keine der Beschreibungen zu. Denn er war zwar im dritten Semester, doch er kannte niemanden. Er war erst kürzlich in diese Stadt gezogen um das Studium in dieser Universität weiterzuführen. Und so kam es, dass er vorübergehend in einer schäbigen kleinen Wohnung ein Zimmer gemietet hatte, bis er eines in einer Studenten-Wohngemeinschaft fand, was, wie er hoffte, so schnell wie möglich geschehen würde, auch wenn er generell eine Abneigung gegen die meisten anderen Studenten hegte, ohne wirklichen Grund, aber er war einfach lieber alleine.

Kai schob die Hände tiefer in die Taschen, liess die grauen Stirnfransen ins Gesicht fallen und sich von der Menge in das Gebäude drängen. Er hatte sich die Vorlesungen vom Stundenplan und die Räume vom Gebäudeplan, die beide im Internet kursierten, genau eingeprägt und so trottete er die vielen Stufen hinauf in den zweiten Stock, wo er sich auch gleich vor dem Audimax, einer der grössten Räume der doch eher kleinen Universität, befand, in dem um die fünfhundert Studenten ihren Platz fanden. Gerade als Kai durch eine der zweiflügligen Türen den Raum betreten wollte, wurde er unsanft zur Seite gestossen und wäre fast in den Türpfosten geknallt. Die zwei, die lachend durch die Tür schritten, würdigten ihn jedoch lediglich eines Blickes von der Seite und gaben ein spöttelndes ‚Sorry’ von sich, dann schien er bereits vergessen und sie setzten sich weiterhin lachend in eine der hintersten Reihen. Über so viel Unverschämtheit schüttelte der Russe nur den Kopf, folgte ihnen dann aber und setzte sich in die hinterste Reihe. So hatte er die zwei im Blickfeld und musterte deren Rücken. Sie hatten beide schwarze Haare und der Sprache nach zu schliessen, in der sie sich deutlich hörbar miteinander unterhielten, kamen sie nicht von hier. Auch die Gesichtszüge, auf die er einen kurzen Blick erhaschen konnte, als sie sich an ihm vorbeiquetschten, schienen nicht japanisch.

Immer mehr Kommilitonen setzten sich zu ihnen, bis sich ein beachtlicher Haufen gebildet hatte, die nun alle um die zwei herumsassen und –standen und sich die neusten spannenden Dinge erzählen liessen, mittlerweile in einer Sprache, die auch gewiss jeder verstand.

Uninteressiert an dem Getratsche, wandte Kai seinen Blick von der Traube ab und aus dem Fenster und er fragte sich, wie lange es wohl dauern würde, bis er jemanden kennen lernte. Einerseits, weil er nicht der Typ war, schnell neue Freunde zu finden und andererseits, weil die Möglichkeit dazu an einer Universität nicht besonders gross war, da die meisten Studenten ja doch nur kamen, um sich die Vorlesungen anzuhören, um dann schnellstmöglich wieder zu verschwinden und anderen Dingen nachzugehen.

In Gedanken versunken merkte er nicht, wie ein Professor nach vorne ging und auf die kleine Bühne stand, auf der die Professoren immer standen, um auch ja gesehen zu werden. Erst als dieser sich räusperte, um alle zum neuen Semester zu begrüssen, schreckte Kai auf und wandte den Blick wieder nach vorne. Zwei Reihen vor ihm liessen auch grad die Letzten von den beiden Schwarzhaarigen ab und setzten sich auf ihre Plätze. Kai hatte nun wieder freie Sicht. Ihm fiel auf, dass der eine definitiv männlich, beim Anderen dies von hinten allerdings nicht beim ersten Hinsehen so offensichtlich war. Denn er hatte irrsinnig langes Haar, das er zu einem Zopf geflochten hatte und von der Figur her war er eher zierlich gebaut. Die Art und Weise allerdings, wie er breitbeinig auf seinem Stuhl hockte, war eindeutig männlicher Natur. Und die doch eher muskulösen, drahtigen Arme, die unter seinem T-Shirt zu sehen waren, passten nicht zu einer Frau.
 

Während dieser ersten Vorlesung, in der es ohne grosse Umschweife auch gleich zur Sache ging, musterte Kai ein wenig die Studenten um ihn herum und hörte nur halbherzig zu, was der Professor zu sagen hatte. Während der Pause holte er sich einen Apfel aus der Cafeteria, doch die insgesamt zwei Stunden waren schnell vorbei und noch während der Professor sich verabschiedete, räumten alle ihre Sachen schon wieder zusammen und strömten zu den Türen, um das ersehnte Mittagessen zu bekommen. Die zwei Schwarzhaarigen blieben sitzen und warteten, bis der grösste Andrang abgenommen hatte. Kai tat es ihnen nach, dann begab er sich zu den Toiletten, um sich zu erleichtern. Als er wieder hinaus kam, sah er gerade, wie sein Kommilitone mit den langen schwarzen Haaren einen Zettel an eine Pinnwand pinnte und kaum waren sie um die nächste Ecke gebogen, warf er einen neugierigen Blick darauf. Auf dem gelben Blatt stand gross ‚suche Mitbewohner’ und darunter ein wenig kleiner ‚Dreizimmer-Wohnung mit Balkon nahe Uni; männlich und Nicht-Raucher bevorzugt. Ab Oktober. Bei Fragen und Interesse bitte melden bei Rei Kon’. Die untere Seite des Papiers war eingeschnitten und auf jedem der kleinen Papierstreifen stand seine Handynummer. Kai grinste und riss einen der Papierstreifen ab. Das war ein gar nicht so schlechter Anfang.
 

Als Kai am nächsten Tag wieder an der gleichen Pinnwand vorbeikam, musste er feststellen, dass alle Nummern bereits abgerissen waren. Wenn er eine reelle Chance haben wollte, musste er sich wohl tatsächlich beeilen und ihn anrufen. Wer wusste schliesslich, wie viele Zettel dieser Rei in der Uni verteilt hatte. Also beschloss er, noch am selben Abend sein Glück zu versuchen. Doch zuerst musste er diesen Tag überstehen, also machte er sich auf in den Raum, in dem er als nächstes eine Vorlesung hatte.

Dabei kam er an einem Regal mit allerlei Universitätszeitschriften vorbei und entdeckte einen kleinen Prospekt mit dem hiesigen Sportprogramm und packte ihn sich ohne zu zögern in seine Tasche. Sport gehörte nun mal zu seinem Lebensinhalt und Studenten hatten es da besonders einfach, da die meisten Angebote für Genannte kostenlos waren.

Zufrieden setzte er sich in eine der hintersten Reihen und begann den Prospekt durchzustöbern, als sich zwei Schwarzhaarige in die Reihe genau vor ihn setzten. Sie unterhielten sich wieder, wie Kai jetzt deutlich erkennen konnte, auf Chinesisch. Natürlich verstand er kein Wort. Aber es musste lustig sein, denn plötzlich brach derjenige, der Rei sein musste, in Gelächter aus und zeigte dabei seine makellosen, weissen Zähne. Er wollte gerade etwas erwidern, als er eine Bewegung machte und dabei mit dem Ellbogen seinen Kugelschreiber vom Tisch fegte. Er landete genau neben Kais rechtem Fuss. Dieser hob den Schreiber auf und streckte ihn Rei entgegen.

„Oh, wie ungeschickt von mir, vielen Dank“, lächelte dieser und griff nach dem Stift, sah Kai dabei vehement in die Augen.

„Keine Ursache“, erwiderte er und liess den Kugelschreiber los, worauf sich Rei wieder nach vorne drehte und mit seinem Kumpel weiter redete, als ob nichts gewesen wäre.

Kai allerdings hatte gerade schwer damit zu kämpfen, seine Mine zu wahren. Beinahe wären ihm die Gesichtszüge entgleist. Sämtliche seiner Sinne wurden in diesem Augenblick fast überwältigt, als der Chinese ihn ansah. Zuerst waren da diese Augen, wie Kai es noch nie gesehen hatte. Das helle Bernstein funkelte ihm in einer Intensität entgegen, die ihn fast umhaute. Dann diese samtweiche Stimme, die den Zuhörer nahezu schmelzen liess und schliesslich dieser betörende Duft, den er ausströmte, als er sich ihm zuwandte. Nicht zuletzt das feine Kribbeln, das seine Fingerspitzen auslösten, als er ihn streifte. Er wusste, dass er mit Frauen nichts anzufangen wusste, doch bis jetzt gab es auch noch nie einen Mann, der ihn ehrlich interessierte.

Er brauchte unbedingt etwas trinken. Seine Kehle war staubtrocken. Also kramte er seine Wasserflasche hervor und trank gierig einige Schlucke. Als er die halbe Flasche in sich hineingeschüttet hatte, atmete er zweimal tief ein und wieder aus. Er musste sich unbedingt unter Kontrolle haben. Noch einmal durfte das nicht passieren. Wenn er sich nur vorstellte, wenn ihn jemanden gesehen hätte, wie er Rei so anstarrte, das wäre zu peinlich gewesen. Deshalb würdigte er ihn während des Rests der Vorlesung keines Blickes mehr und versuchte, sich so gut es ging auf das heutige Thema zu konzentrieren.
 

In der Mittagspause holte er sich beim nahegelegenen Bäcker ein Sandwich und setzte sich damit auf eine Bank in der Sonne. Von hier aus hatte er einen guten Überblick auf die grosse Wiese und konnte ungestört einige Studenten beobachten. Die meisten verschlug es bei schönem Wetter nach draussen, wo sie assen und quatschten und lasen und einige ungeniert rumknutschten. Kai wand den Blick ab und entdeckte weiter hinten Rei, mal wieder umzingelt von mehreren seiner Mitstudenten. Er musste wirklich sehr beliebt sein und Kai fragte sich, ob das wohl nur an seinem unverschämt guten Aussehen lag. Er biss in sein Sandwich und riss den Blick vom Chinesen los, um seine Aufmerksamkeit seinem Buch zu widmen. Als er das nächste Mal dorthin sah, wo Rei gesessen hatte, war er verschwunden. ‚Auch gut’ dachte er sich schulterzuckend und konnte sich nun wirklich auf das Geschriebene konzentrieren.

Als der Mittag vorbei war, holte er sich einen Kaffee von der Cafeteria und begab sich vorsichtig in die Aula im ersten Stock, wo die nächste Vorlesung stattfand. Dabei gab er acht, dass er nichts von dem brühend heissen Getränk verschüttete, doch das wäre beinahe schief gegangen, als ihn jemand beim Überholen anrempelte. Als ob der Gang nicht breit genug wäre. Kai erkannte Rei, der ohne Entschuldigung weiterhastete und hob eine Augenbraue. Das war nun schon das zweite Mal innerhalb von zwei Tagen.

Warum der Chinese es so eilig hatte, wurde ihm aber sofort klar, als er auf die Uhr blickte. Er war bereits zu spät, also schob er sich so unauffällig wie mit vollbepackten Armen und Händen eben möglich war durch einen Spalt in der hintersten Tür und setzte sich ganz an den Rand.
 

Es war Abend. Kai sass auf seinem Bett und blickte unschlüssig auf den Papierstreifen mit der Nummer von Rei, während im Hintergrund der Fernseher lief. Er hatte es jetzt schon einige Zeit hinauszögern können, war einkaufen und hatte gelesen, doch all zu spät anzurufen wäre unhöflich gewesen. Warum er so offensichtlich nervös war, konnte oder wollte er sich nicht erklären.

„Das ist doch lächerlich“, schnaubte er schliesslich verärgert, mehr über sich selbst, und tippte endlich die Nummer ein. Mehrere male liess er es klingeln und als er gerade ablegen wollte, meldete sich ein wenig ausser Atem eine Stimme mit „Rei hier“. Kai räusperte sich.

„Hier ist Kai. Ich rufe wegen dem Zimmer an. Ist das noch zu haben?“

„Klar, wird sowieso erst ende September frei. Willst du’s dir anschauen?“

„Gerne!“

„Wie wär’s mit morgen?“

„Klingt gut, ich hab bis fünf Uni.“

„Ich auch. Dann um sechs, ich muss noch einkaufen.“

Rei gab ihm die Adresse und eine kurze Wegbeschreibung und legte auf. Kai war währenddessen einfach nur erleichtert. War doch nun wirklich nicht schlimm gewesen. Denn in dieser Wohnung hier würde er bestimmt nicht mehr all zu lange bleiben wollen.
 

An besagtem Mittwoch sah Kai den schönen Chinesen nur ganz selten. Ständig war er von seinen Anhängseln umzingelt und sass auch viel weiter vorne als die Tage zuvor. Am Mittag hatte er nur fünfzehn Minuten Zeit, um hastig ein Sandwich zu verdrücken, weil schon wieder die nächste Vorlesung anstand. Da es sich dabei um sein Nebenfach handelte, musste er dabei noch in ein anderes Gebäude stressen. Doch etwas Gutes hatte es. Er wusste, dass er sich wenigstens dort voll und ganz auf den Stoff konzentrieren konnte, ohne den Drang zu haben, nach einer ganz bestimmten Person Ausschau zu halten. So kam es, dass diese zwei Stunden ungeheuer lange dauerten, während denen er immer wieder auf die Uhr schaute und den Zeiger stumm anflehte, sich schneller zu drehen.
 

Erleichtert packte er um fünf Uhr seine Sachen zusammen und stürmte als einer der ersten aus dem Universitätsgebäude. Bevor er zu Rei ging, um das Zimmer anzuschauen, das er hoffentlich bald sein Eigen nennen durfte, musste er unbedingt einkaufen gehen. Am morgen hatte er zu seinem Verärgern feststellen müssen, dass sein Kühlschrank beinahe leer war und er keinen Kaffee mehr hatte und er hasste es, am Morgen seinen Kaffee ausfallen lassen zu müssen. Also hastete er vom Universitätsgelände zu den Glasliften, die direkt in den Bahnhof führten. Vor den Liften musste er allerdings warten, denn es hatten sich ziemlich viele Studenten angesammelt, die allesamt ihren Zug nicht verpassen wollten. Dementsprechend wurde er im Lift, als dieser dann auch da war, grob an eine Glaswand gedrückt. Ihm blieb beinahe die Luft weg. Gezwungenermassen blickte er auf die Treppe, die neben den Aufzügen nach unten führten. Auch da sah man einige Studenten nach unten drängen, die, denen es zu blöd war, zuerst lange zu warten, um danach eingequetscht zu werden. Unter denen befand sich auch ein gewisser Chinese mit langen schwarzen Haaren, der grazil die Stufen hinuntertrippelte und Kai fragte sich, wie häufig man einem anderen Menschen zufälligerweise begegnen konnte, ohne dass es auffällig wurde, doch genauso schnell war er im Gewirr von Menschen wieder verschwunden. Kai zuckte mit den Schultern und wandte sich seinen Einkäufen zu.

Zuhause räumte er alles in die vorhergesehenen Regale und warf dann einen Blick auf die Uhr. Höchste Zeit zu gehen. Wenn er pünktlich sein wollte, musste er sich beeilen. Das Haus war dann auch nicht besonders schwer zu finden und es hatte sogar einen Lift. Super, dann musste er nicht in den fünften Stock laufen. Vor der richtigen Tür wollte er gerade auf die Klingel drücken, als er von innen lautes Gebrüll hörte. Offensichtlich wurde gerade jemand ordentlich zusammengestaucht. Plötzlich wurde die Tür geöffnet und ein junger Mann wurde von Rei hinausgeworfen.

„Komm in zwei Stunden wieder, aber lass mich dann gefälligst in Ruhe.“ Er schien echt aufgebracht zu sein. Seine Augen funkelten verachtend und eine Hand hatte er zu einer Faust geballt, die zitterte. Kai wandte den Blick von dem Flüchtenden und räusperte sich. Verwundert sah Rei auf. „Oh, du bist Kai?“

„Sieht ganz so aus.“

„Mh, na dann komm rein.“ Rei ging ihm nach, schloss die Tür hinter sich und lehnte sich daran. „Tut mir leid, das ist nicht immer so hier“, seufzte er und fuhr sich mit der Hand zerstreut durch die Haare, blickte Kai dabei an. „Er… er wohnt hier, leider. Noch. Gott, bin ich froh wenn der endlich hier weg ist“, nuschelte er am Schluss mehr zu sich selbst, doch Kai hörte jedes Wort. Seine Augen verengten sich, als er den Chinesen so vor sich sah, er schien echt fertig zu sein. „Egal, es sind ja nur noch ein paar Tage, dann ist er endlich weg. Na los, komm.“ Er stiess sich von der Türe ab und ging in die Wohnung hinein. Kai folgte ihm in das Wohnzimmer.

„Gemütlich“, merkte Kai und Rei nickte lächelnd.

„Ja, es ist eine tolle Wohnung, zwar nicht sehr gross, aber man hat alles, was man zum Leben braucht und es ist wirklich nah am Zentrum und an der Uni, wie du ja vielleicht bemerkt hast.“

Kai nickte und folgte Rei auf den Balkon. Dort stand ein kleiner runder Klapptisch mit zwei schmiedeeisernen Stühlen. Auf dem Tisch stand ein Windlicht und in der Ecke des Balkons ein grosser Topf mit verschiedenen Pflanzen und Blumen. Kai liess den Blick über die Dächer der Stadt schweifen.

„Wow.“

Rei lehnte sich ans Geländer. „Hübsch, nicht? Ich kann jeden Abend den Sonnenuntergang sehen. Im Sommer geht sie rechts unter, im Winter wandert sie dann nach links“, erklärte er und schaute verträumt gen Westen. „Schade ist es heute so bewölkt.“

Mit diesen Worten ging er wieder hinein und führte den Russen zu einer weiteren Tür. „Das wäre dann dein Zimmer. Kannst ruhig hineingehen. Aber stolpere nicht, Kelvin lebt wie ein Schwein.“

Tatsächlich, überall lagen Kleider und Bücher rum und es müffelte leicht. Rei murrte genervt und riss das Fenster auf.

„Wäre sicher ganz okay, von mir aus können wir wieder raus“, meinte Kai. Sie gingen weiter in die Küche, wo eine Schale mit frischen Früchten und Obst auf einer Ablage stand, von der Kai sich jetzt schon sicher war, dass sie weder von Kelvin dorthin gestellt, noch aufgefüllt worden war.

„Pass auf“, warnte Rei ihn plötzlich und hielt ihn am Arm fest. Auf dem Boden lagen überall Scherben verstreut.

„Hast du ein Glas nach Kelvin geschmissen?“, fragte Kai leicht amüsiert. Rei sah ihn, überrascht von Kais ruhiger Kenntnisnahme, mit geweiteten Augen an und ein Hauch von Rot legte sich um seine Nase.

„Äh, ja, wir hatten eine kleine Auseinandersetzung. War nicht die erste. Und es war auch nicht das erste Glas“, meinte Rei ehrlich und grinste schief. Kai lachte.

„Was hat er denn gemacht?“, fragte er neugierig, schliesslich wollte er vorgewarnt sein, sollte er tatsächlich hier einziehen können. Reis Blick verfinsterte sich und er wandte sich weg.

„Das willst du nicht wissen.“ Kai zog eine Augenbraue in die Höhe, liess es aber dabei beruhen.

Als Rei die Scherben weggewischt und Kai etwas zu trinken gegeben hatte, setzten sie sich ins Wohnzimmer auf das Sofa. „So, nun erzähl mal. Du bist im gleichen Jahrgang wie ich, das weiss ich bereits. Was gibt es sonst noch über dich zu erfahren?“

„Was willst du denn wissen?“

„Antwortest du immer mit Gegenfragen?“

Kai grinste.

„Kommt ganz auf die Frage an.“

„Aha. Also, wo wohnst du im Moment?“

„In einer abgewrackten Bruchbude irgendwo hier in dieser Stadt.“

„Klingt toll. Wie alt bist du?“

„Einundzwanzig.“

„Hast du Haustiere? Oder was dagegen?“

„Mir egal.“

„Eine Freundin?“

„Nein.“

„Bist du verliebt?“

„Nicht dass ich wüsste.“

„Machst du viel Sport?“

„Einige male in der Woche, meist Fitness.“

„Sieht man. Morgenmuffel?“

„Nein.“

„Aber sonst eher muffelig, hm? Okay, das ist eigentlich alles, was mich wirklich interessiert. Hast du Fragen?“

„Hast du ein Haustier?“, kam es ohne zu zögern.

„Nur meinen momentanen Mitbewohner.“

„Eine Freundin?“

„Nein.“

„Verliebt?“

„Nicht dass ich wüsste.“

„Machst du viel Sport?“

„Ja.“

„Morgenmuffel?“

„Manchmal und ich bin zwanzig. War’s das?“

„Warum hast du ein Glas nach Kelvin geworfen?“

Rei entgleisten kurzfristig die Gesichtszüge, doch er hatte sich sogleich wieder im Griff. „Du hast vielleicht einen Nerv, mich so was zu fragen. Das geht dich nichts an.“

„Okay, ich war nur neugierig, immerhin will ich wissen, worauf ich achten muss, damit ich nicht auch noch mit Geschirr beworfen werde.“

Das schien auch Rei einzuleuchten und er seufzte. Kurz angebunden erklärte er ihm monoton, was geschehen war. Dabei fuchtelte er mit der Hand in der Luft herum und blickte irgendwo nach oben in eine Ecke.

„Naja weisst du, Kelvin ist ein verdammter schwuler Playboy und er hatte irgendwie das Gefühl, mich angrabschen zu müssen. Ich hab ihn gewarnt, aber er konnte es einfach nicht lassen. Zufrieden?“

„Du hast richtig gehandelt“, stimmte Kai ihm nickend zu. So ein Idiot. Da hatte er schon die ultimative Chance mit diesem hübschen Chinesen in der gleichen Wohnung zu leben, und dann versaute er es sich gleich auf eine solch derbe Weise.

„Ich weiss, war auch nicht der erste. Hier ziehen etwa alle zwei, drei Monate neue Studenten ein, mittlerweile bevorzuge ich Männer, da die Frauen sich offenbar noch weniger im Griff haben und wie gross ist schon die Chance, einen Mitbewohner zu haben der schwul und so von sich eingenommen gleichzeitig ist? Ich hab’s langsam echt satt. Oh, es regnet.“ Nach diesem radikalen Themenwechsel folgte Kai ein bisschen perplex Reis Blick durch das Fenster nach draussen. Mist. Er hatte nicht einmal eine Jacke mit Kapuze dabei. Oder einen Pullover. Sonst was.

„Ich gebe dir einen Hoodie mit, ich glaub ich habe noch einen, der dir passen könnte. Hier gibt es keine Schirme, ich hasse diese Dinger und Kelvin hat alle seine verloren. Aber morgen in der Uni will ich den Pulli wiederhaben.“

„Das wäre super“, atmete Kai erleichtert auf und wartete, bis Rei mit dem Kleidungsstück aus seinem Zimmer zurückkam.

„Passt wie angegossen“, stellte Rei zufrieden fest und Kai nickte. Dann wurde er Richtung Tür bugsiert. „Ich habe noch Training. Ich melde mich bei dir, wie ich mich entschieden habe. Man sieht sich.“ Mit diesen Worten wurde der Russe vor die Tür geschoben.

„Ja, bis morgen“, sagte dieser noch, doch er war sich sicher, dass die Worte an der Türe abprallten. So zog er sich die Kapuze tief ins Gesicht, schob die Hände in die Taschen und trat hinaus in den strömenden Regen.

Die Bierflasche

„Sorry Kai, es ist schwer sich entscheiden zu müssen, aber der arme Kerl weiss echt nicht, wo er hin soll. Sei mir nicht böse, ja? Irgendwo klappt es bestimmt.“

Mit diesen Worten hatte er ihn abgewimmelt. Kai war ihm nicht böse, so war das nun mal mit diesen Studenten-Wohngemeinschaften, irgendwo würde auch er etwas finden, so wie der Chinese gesagt hatte. Rei wusste nicht ganz, ob er froh war, oder ob er sich doch falsch entschieden hatte, denn ihm war dieser Russe nicht ganz geheuer. Er war zwar ruhig, aber schon fast kalt und auch sonst hatte er eine Art an sich, die ihm Gänsehaut bescherte. Und die Frage, die er ihm praktisch aufgezwungen hatte, war unerhört. Ausserdem war er rein körperlich gesehen grösser und stärker als er und wenn sich doch herausstellen sollte, dass er wie die anderen war, hatte er wahrscheinlich nicht den geringsten Hauch einer Chance. Dennis, ein Biologie-Student im fünften Semester, der von seinen Eltern sozusagen auf die Strasse gesetzt wurde hingegen, stellte sich als lieb und harmlos heraus und obwohl er der Ältere war, schien er von Rei ein bisschen eingeschüchtert zu sein und das war ihm nur recht. So war wenigstens seine Ruhe garantiert.

Der Tag, an dem er endlich Kelvin rauswerfen konnte war endlich da, doch dieser krallte sich an Reis Arm fest und flehte ihn flennend an, das nicht zu tun.

„Das kannst du doch nicht machen! Rei, Rei, es tut mir leid, es kommt auch nie mehr vor, ich werde es nie wieder machen, versprochen! Bitte Rei, lass mich hier bleiben.“ Doch Rei schob ihn grob von sich und funkelte ihn aus verachtenden Augen an. Seine Stimme zitterte, als er versuchte, sich zu beherrschen.

„Vergiss es, Kelvin, du hattest deine Chancen. Mehrere! Jetzt verschwinde endlich und lass mich in Ruhe!“

Ein Knall, und Reis Kopf wurde zur Seite geschleudert. Kelvin hatte sich vor ihm aufgebaut, er bebte vor Zorn.

„Du bist doch selbst schuld, du hast mich provoziert, du wolltest es doch! Schau mich an und sag mir, dass du es selber wolltest!“ Wütend packte er Reis Kinn und zwang ihn, ihm in die Augen zu sehen. Doch was er sah, liess ihn zusammenzucken. Kälte, Hass, Verachtung, Ekel stachen ihm entgegen.

„Raus, sofort.“ Ganz ruhig hatte er diese Worte gesprochen. So ruhig, dass es Kelvin kalt den Rücken hinunterlief. Langsam liess er die Hand sinken und starrte in Reis verengte Augen. Dann drehte er sich abrupt um und rannte aus der Wohnung.

„Dieser Arsch“, murmelte Rei und hielt sich die schmerzende Wange. Es fühlte sich an, als ob sein Kopf explodieren würde, das gab bestimmt ein wüstes Feilchen. Die Hand im Gesicht ging er in die Küche und füllte sich ein Glas mit Wasser. Dann holte er Aspirin aus der Schublade und warf sich eine Tablette in den Rachen.

„Scheisse“, kam es verzweifelt aus seiner Kehle. Er war so froh, dass er diesen miesen Arsch nicht mehr sehen musste, so froh. Ihm war schwindelig. Er zitterte am ganzen Leib. Dieser Kerl hatte es doch tatsächlich geschafft, Panik in ihm auszulösen. Er hätte sich wehren können, aber er hätte ihn spitalreif geschlagen, was dieser Mistkerl zwar verdient hätte, aber nicht Reis Art war, mit Menschen umzugehen. Er hatte sich in die Enge getrieben gefühlt. Ein Klirren liess ihn aufschrecken. Das Glas war ihm zwischen den Fingern durchgerutscht und nun lagen die Scherben im Wasser verstreut in der Küche.

„Scheisse“, fluchte er abermals. Er hatte jetzt echt keinen Nerv für so was.

Hastig verliess er das Haus. Er wollte nicht mehr da sein, wenn Kelvin seine Sachen abholte. Er hatte ihm nichts mehr zu sagen. Und sehen wollte er ihn erst recht nicht mehr. Er musste sich dringend beruhigen und das ging am besten, wenn er ein bisschen durch die Stadt bummelte und irgendwo einen Kaffee trank und las. Gedacht, schlenderte er zu seinem Lieblingscafe und bestellte sich einen grossen Soja Latte zum mitnehmen. Dass er von jeder Seite schräg gemustert wurde, ignorierte er einfach, schnappte seinen Becher und ging nach draussen auf die Terrasse, wo er sich in die hinterste Ecke an einen Tisch setzte und sein Buch aufschlug.
 

„Na, feierst du Kelvins Abgang?“

Überrascht schaute Rei von seiner Lektüre auf, wobei ihm die Ponyfransen aus dem Gesicht fielen.

„Woah, was ist denn mit deinem Gesicht passiert?“, fragte Lee erschrocken. Reis Züge wurden hart und genervt strich er sich durch die Haare.

„Setz dich, ich erzähl es dir!“

Und als er geendet hatte, sass Lee mit zu Fäusten geballten Händen am Tisch und fluchte lauthals und abschätzig über Kelvin. Rei wusste, dass sein bester Freund jetzt am liebsten aufgestanden wäre und Kelvin gesucht hätte, um ihn zu Tode zu prügeln und hätte er die ganze Nacht suchen müssen. Er winkte ab und lehnte sich zurück, tiefer in den Stuhl.

„Egal jetzt, er ist ja endlich weg und so schnell werde ich ihm schon nicht mehr über den Weg laufen. Er ist Geschichte. Schliesslich habe ich ja jetzt einen neuen Mitbewohner, der ist harmlos.“ Das hoffte er zumindest, denn er wusste, dass es nicht gut war, Leute aus purem Mitleid bei sich aufzunehmen, aber einen Versuch war es wert, da er hoffte, mit ihm auch endlich seine Ruhe finden zu können. Kai erwähnte er mit keinem Wort. Er wollte sich von der ganzen Mitbewohnersuche erst mal etwas ablenken und so wechselte er das Thema, in das Lee auch gleich drauf einging.

Er schaute nicht auf die Uhr und so bemerkte er nicht, dass es immer später und dunkler wurde und ein kühler Luftzug unter seine Kleider drang. Lees Magen knurrte unaufhörlich und er beschloss schliesslich, nach Hause zu gehen. Rei hatte keinen Hunger. Er schlenderte etwas durch die Stadt und versank tief in Gedanken. Nach Hause gehen mochte er nicht, obwohl er dort alleine gewesen wäre. Er seufzte und liess sich auf eine Bank sinken. Er war erfüllt mit unterschiedlichen Gefühlen. Einerseits war er erleichtert, dass Kelvin endlich weg war, der tiefe Groll gegen ihn löste sich allmählich auf, andererseits war er zwar nicht nervös, aber trotzdem bedrückt, dass schon wieder ein neuer Mitbewohner einziehen würde und das nicht unbedingt wegen der Sympathie, die er für ihn empfand. Hinzu kam noch, dass er mit seiner Entscheidung nicht gerade glücklich war, denn Kai ging ihm nicht mehr aus dem Kopf. Er wäre bestimmt der perfekte Mitbewohner gewesen. Ruhig, bodenständig, er studierte dasselbe wie er, was hiess, dass sie miteinander hätten lernen können, und er war auch nicht immer da. Dass er etwas muffelig war, damit hätte Rei leben können. Alles war ihm lieber als der schwule Playboy Kelvin. Nicht dass er etwas gegen Schwule hatte, aber Kelvin war ein arrogantes Arschloch, der dachte, alles und jeden flachlegen zu können. Rei schnaufte verächtlich und blickte hoch zu den Sternen.
 

Am nächsten Tag sass Rei ruhig auf seinem Stuhl, hatte den Kopf auf die Arme gestützt und blickte stur nach vorne, doch er sah den Professor nicht, der vorne auf und ab lief und ihnen seinen Stoff predigte, geschweige denn, dass er ihm zuhörte. Er beachtete nicht einmal Lee, der schon die ganze Zeit versuchte, Kontakt mit ihm aufzunehmen. Erst als es zur Pause klingelte, regte er sich und schaute seinen besten Freund emotionslos an.

„Ich habe keinen Bock auf einen neuen Mitbewohner. Warum kannst nicht einfach du zu mir ziehen?“

Sie hatten das Thema schon oft durchgekaut und Rei wusste, dass Lees Eltern ihm den Kopf abreissen würden, käme er auf die Idee, sie und seine Geschwister im Stich zu lassen. Rei seufzte und winkte ab, ehe Lee auch nur ein Wort sagen konnte und klappte den Mund wieder zu. Abwesend liess er den Blick über die Köpfe im Hörsaal gleiten und blieb an einer der Türen hängen, die gerade wieder zuging und durch deren Spalt er einen Blick nach draussen erhaschen konnte. Kai stand am Fenstersims und schlürfte Kaffee.

„Ich komme gleich wieder“, sagte er abrupt, erhob sich und quetschte sich an einigen Studenten vorbei. Lee schüttelte nur den Kopf. Er verstand seinen ansonsten so ausgeglichenen Freund im Moment einfach überhaupt nicht.

„Hallo Kai!“

Angesprochener drehte sich um und sah etwas überrascht den Chinesen auf sich zukommen. Er hatte ihn schon den ganzen Tag lang nicht gesehen und hatte gedacht, dass er vielleicht zu Hause geblieben war. Er nickte ihm zu und bemerkte das blaue Feilchen, das Reis Wange zierte. Seine Augenbrauen zogen sich tief nach unten, sodass sich seine Augen bedrohlich verengten. Rei schluckte kurz bei diesem Anblick.

„Hast du dich mit Kelvin geprügelt?“, fragte er gerade hinaus.

„Nicht direkt“, antwortete Rei und grinste verlegen ob der direkten Art seines Gegenübers, „er wollte nicht gehen, aber als ich ihn trotzdem rausgeworfen habe, fühlte er sich wahrscheinlich in seinem Stolz verletzt, um es kurz zu halten. Halb so wild.“ Rei zuckte mit den Schultern und Kai nickte abermals.

„Sieht übel aus“, kommentierte er trotzdem trocken und setzte seinen Becher an die Lippen.

„Ich werd’s überleben“, meinte Rei gelassen und trat neben Kai ans Fenster, um hinaus zu blicken.

„Und?“, fragte Kai nach einigen Minuten des Schweigens. Rei blickte ihn etwas verständnislos an. Kai seufzte und schloss die Augen. „Was willst du von mir?“

Schulterzuckend schaute Rei wieder aus dem Fenster.

„Weiss nicht, einfach hallo sagen, glaube ich.“

Nach dem kaum hörbar gemurmelten „Hm“ von Kai, schauten beide stumm aus dem Fenster, Kais Kaffee wurde kalt und erst als die Klingel die Pause beendete, schreckten sie aus ihren Gedankentiefen heraus.
 

Es war erst ende November, als überraschend Schnee fiel. Kai hatte sich an die neue Stadt schon einigermassen gewöhnt, sich in den Studentenalltag eingelebt, hatte noch keinen einzigen wahren Freund gefunden, ausser dass er ab und zu mit Rei sprach, ging deswegen drei bis vier mal die Woche ins Training um die Zeit tot zu schlagen, was sich ziemlich schnell äusserte, indem seine Klamotten enger wurden. Reis neuer Mitbewohner entpuppte sich als flennendes Muttersöhnchen. Wenn er gerade mal nicht lernte, telefonierte er mit Mutti, Sport trieb er keinen ausser auf der Xbox, er ernährte sich ungesund und entsprach auch so nicht besonders Reis Vorstellungen von einem angenehmen Mitbewohner. Er hatte wirklich Pech. Als er eines Abends nach der Arbeit müde nach Hause kam, fand er Donnie den Bio-Fuzzie im Wohnzimmer auf dem Sofa hockend vor, sichtlich unruhig zappelnd und offensichtlich auf ihn wartend, denn sobald er Rei bemerkte, erhob er sich und ging auf ihn zu.

„Rei?“

Dieser hob den Kopf, als hätte er ihn nicht bemerkt.

„Oh, hallo Donnie, was gibt’s?“, fragte er, während er in die Küche ging, um sich etwas zu Trinken zu holen.

„Also, weisst du, es ist so“, druckste er rum.

Rei seufzte genervt.

„Spuck schon aus Donnie, was ist los?“

„Also, es ist so, dass, nun ja, wir haben uns wieder vertragen und ich darf wieder nach Hause zurück. Naja, ich hoffe du bist mir nicht böse, dass du schon wieder einen neuen Mitbewohner suchen musst. Tut mir echt leid, aber vielen Dank, dass du mir das Zimmer gegeben hast.“

Hätte Rei nicht abgewinkt, Donnie würde noch immer vor sich hin brabbeln.

„Lass gut sein, wann ziehst du aus?“ Rei war es so leid, dass er mittlerweile gar nicht mehr lange drum herum redete und warf sich ein Stück Käse in den Mund.

„Naja, also wenn du nichts dagegen hast, würde ich so schnell wie möglich nach Hause gehen.“

Rei zog eine Augenbraue nach oben.

„Also morgen. Und wer zahlt mir die Miete, bis ich jemanden gefunden habe? Es ist schon ende November, nicht gerade eine günstige Zeit für einen Umzug.“

„Ähm“, setzte Donnie bereits wieder an, doch Rei gähnte.

„Lass uns das morgen besprechen, ich bin müde und möchte ins Bett.“
 

Wenige Tage später hatte Donnie auch die letzte seiner Socken aus dem Zimmer geholt. Seine Eltern hatten Rei versprochen, für die Miete des nächsten Monats aufzukommen, doch es blieb wieder an ihm hängen einen neuen Mitbewohner zu finden und er hatte bereits einige Exemplare seiner Standardanzeige ausgedruckt. Nun sass er auf dem Sofa und starrte auf die Computerschrift. Kai kam ihm in den Sinn. Eigentlich hatte er sich gleich nach Donnies Einzug überlegt, dass er Kai fragen wollte, ob er nicht doch noch bei ihm einziehen möchte, sollte Donnie wieder gehen. Doch er hatte seine Nummer nicht mehr und so passte er ihn vor der nächsten Vorlesung vor der Uni ab.

„Kai! Warte mal“, rief er ihm zu und lief im Laufschritt zu ihm rüber. Dass er keinen Guten-Morgen-Gruss bekam, wusste er bereits, er hatte sich mittlerweile an die stille und sehr zurückhaltende Art des Russens gewöhnt. „Hör mal, Donnie ist ausgezogen.“

Kai blieb stehen und blickte ihn an.

„Ja und?“

Rei unterdrückte den Drang, die Augen zu verdrehen und sprach stattdessen weiter.

„Du wohnst doch noch in deiner Bruchbude, oder?“ Ein Nicken. „Naja, das Zimmer ist wieder frei und ich dachte mir, bevor ich die Anzeige aushänge, frage ich dich mal, ob du noch Interesse hättest.“

„Hm“, kam als einziges von Kai. Eigentlich gab es gar nicht viel zu überlegen. Er hasste seine momentane Wohnung, zudem war sie viel zu teuer für das, was er dafür bekam. Reis Wohnung war näher an der Uni, hatte einen Balkon, einen Lift, der nicht auseinander zu fallen oder abzustürzen drohte, und Rei wäre wahrscheinlich sowieso der einzige Mitbewohner, mit dem er sich zufrieden geben würde.

„Hast du eine Kündigungsfrist für deine Wohnung?“, hackte Rei nach.

„Einen Monat“, kam die knappe Antwort und Rei grinste.

„Perfekt, dann könntest du anfangs Januar einziehen!“
 

Da Rei Kai mittlerweile zu seinen Freunden zählte, auch wenn er sich nicht sicher war, ob das auf Gegenseitigkeit beruhte, war er der Meinung, dass sie zusammen an die nächste Studentenparty gehen sollten. Er hatte sich schon gedacht, dass Kai nicht sehr viel in seiner Freizeit unternahm, geschweige denn an eine Studentenparty ging. Er sah sofort, dass Kai alles andere als begeistert war, konnte ihn dann trotz allem überreden mitzukommen und so standen sie eine gute Woche später um halb zwölf vor dem Eingang des Clubs. Kai fasste sich an den Kopf.

„Ich fass es nicht, dass du es tatsächlich geschafft hast mich zu dem da zu überreden!“

Rei grinste sein Siegerlächeln und zog ihn an den Türstehern vorbei, die einen kurzen Blick auf ihre Ausweise warfen, hinein in den stickigen, lauten Club.

Nachdem sie ihre dicken Winterjacken an der Garderobe abgegeben hatten, dauerte es gar nicht lange und Kai fand sich umringt von Reis Freunden, wie sich herausstellte vor allem Mädchen. Hübsche Mädchen, wie Kai auffiel. Allerdings passte es ihm gar nicht, so umringt zu sein, weshalb er sich ziemlich schnell verdrückte und an der Bar etwas zu Trinken bestellte. Das Mädchen hinter der Bar hatte einen tiefen Ausschnitt und ihre Brüste drohten beinahe rauszufallen. Kai schüttelte den Kopf. Dass Männer auf so etwas standen, war ihm nicht ganz so verständlich. Er fand das eher billig und während er darüber nachdachte, fiel sein Blick zurück auf Rei, der immer noch damit beschäftigt war, seine Freundinnen zu umarmen. Küsschen hier, Küsschen da. Einen Arm hatte er um die Hüfte der einen gelegt, während er einer anderen durch die Haare fuhr. Dann schien ihm plötzlich etwas in den Sinn zu kommen und er winkte Kai wieder zu sich rüber, um ihn allen vorzustellen.

„Leute, das ist Kai, mein neuer Mitbewohner ab Januar.“

Einer der Typen klopfte ihm auf die Schulter.

„Mal schauen, wie lange du es aushalten wirst. Will jemand wetten?“

Während die einen eifrig wetteten und Rei ihnen lachend zusah, legte eines der Mädchen Kai eine Hand auf den Arm.

„Hast du Lust zu tanzen?“

Kai blickte zu ihr runter. Sie war sicher eines der süssesten Mädchen, die er je gesehen hatte und irgendwie wunderte es ihn nicht, dass Rei mit ihr befreundet war. Im Gegensatz zu ihm schien dieser nämlich ein ziemlicher Frauenheld zu sein.

„Lass mal, ich tanz nicht gerne“, antwortete er dann aber trocken, worauf das Mädchen mit den Schultern zuckte und sich umdrehte, offensichtlich um sich einen anderen Tanzpartner zu suchen. Kai wandte sich seinem Getränk zu.

Auch Rei hatte sich mittlerweile etwas an der Bar bestellt und während er wartete, wandte er seinen Blick nicht von Kai ab. Er trug ein schwarzes Muscleshirt und Rei war sich sicher, dass seine Arme seit ihrem letzten Treffen einiges an Volumen zugelegt hatten. Und offensichtlich war er in der ganzen Zeit noch nicht einmal beim Friseur gewesen, denn seine graublauen Haare hingen ihm ungezähmt ins Gesicht und verdeckten seine Augen. Rei grinste schief. Er sah verdammt gut aus. Aber anscheinend schien er nicht zu wissen, was für eine Wirkung er auf andere hatte, oder er war einfach zu schüchtern. Denn er bemerkte die Blicke, die der Russe von den Mädchen zugeworfen bekam. Als er gezahlt hatte, schnappte er sich sein Bier und gönnte sich gleich einen grossen Schluck, um dann wieder zu seinen Freunden zurück zu gehen. Dort legte er einen Arm um Kais Schulter und zog ihn etwas näher zu sich.

„Sag mal, hast du’s nicht so mit Frauen? Guck mal, wie die dich alle ansabbern. Geh doch mal zu einer rüber“, fragte er ihn direkt ins Ohr, damit Kai ihn auch ja verstand. Dieser schaute ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

„Nein, ich hab’s nicht mit Frauen“, antwortete er wahrheitsgemäss. Rei zog ihn noch etwas näher.

„Bist du etwa schüchtern? Wenn es das ist, könnte ich dir helfen“, bot Rei etwas leiser an, da er fand, die andern müssten sowas nicht mitbekommen.

„Lass mal.“ Kai nahm sich einen Schluck und Rei zog seinen Arm zurück um es ihm gleich zu tun. Dann drückte er ihm seine Bierflasche in die Hand und tänzelte Richtung Tanzfläche.

„Halt mal, ich geh tanzen!“, dann war er auch schon verschwunden und Kai blickte ihm verdutzt nach, sah, wie Rei mitten in einer Horde Mädchen verschwand, die auf ihn warteten und sich lachend und kreischend auf ihn stürzten.

„Ich beneide ihn“, kam es plötzlich von der Seite. Kai blickte einen von Reis Kumpels an.

„Wieso?“

Der andere grinste.

„Die Mädchen laufen ihm nach. Er versteht sich einfach mit allen, geht mit ihnen aus, ist ihr engster Vertrauter, sie teilen alles mit ihm und sie laden ihn ständig zu sich nach Hause ein, wo sie ungeniert in Unterwäsche vor ihm herumlaufen und trotzdem herrscht zwischen ihnen absolut kein Konkurrenzkampf. Ich will auch so sein“, schwärmte er und seine Augen glitzerten Rei bewundernd an.

Wenn Rei wirklich so war, wie dieser Typ gerade beschrieben hatte, wunderte es Kai nicht, warum er keine Frau als Mitbewohner haben wollte und er fragte sich etwas verärgert, wie viele Frauen der Schwarzhaarige im Monat mit sich nach Hause nahm. Er wusste, dass er ihn bei Gelegenheit darauf ansprechen musste, schliesslich hatte er keine Lust, ständig irgendwelche kreischende Mädchen in seiner Nähe zu haben, geschweige denn lautes Gestöhne mit anhören zu müssen. Als er so darüber nachdachte, konnte er nicht verhindern, dass sein Unterbewusstsein sich sein eigenes Bild davon malte, wie der Chinese nackt wohl aussehen mochte, und auch nicht, dass diese Vorstellung von seinem muskulösen dunklen Körper langsam in sein Bewusstsein vordrang. Hastig kippte er sich einen grossen Schluck Bier in den Rachen, um diese Fantasien zu ertränken. Nein, er kannte Reis Vergangenheit mit seinem ehemaligen Mitbewohner und den Grund für dessen Rauswurf und er durfte und wollte nicht daran denken, was sich alles mit diesem Körper anstellen liesse.
 

Es war bereits weit nach Mitternacht und Kai ziemlich müde. Er war sich nicht gewohnt, so lange aufzubleiben und die stickige Luft machte ihn schläfrig. Doch Rei sah nicht danach aus, als ob er schon gehen wollte. Stattdessen hüpfte er sichtlich gut gelaunt und angeheitert auf der Tanzfläche rum und lachte. Kai wollte ihn nicht stören, rammte einem von seinen Kumpels den Ellbogen in die Rippen und meldete sich ab. Allerdings hatte er sich keine zwanzig Meter vom Club entfernt, da wurde er von hinten angesprungen. Rei hatte ihn eingeholt, noch nicht mal seine Jacke angezogen und stand jetzt im T-Shirt vor ihm.

„Sag nicht, du wolltest einfach abhauen, ohne dich zu verabschieden!“, murrte der Schwarzhaarige und verhedderte sich in einem Ärmel. Kai zuckte mit den Schultern und hielt den Saum von Reis Jacke fest, um ihm das Hineinschlüpfen zu erleichtern.

„Ich habe gesagt wir gehen zusammen feiern, das heisst aber auch, dass wir wieder zusammen nach Hause gehen, merk dir das für das nächste Mal, okay?“

Kai nickte und machte Anstalten weiterzugehen, weshalb Rei mit grossen Schritten nachzog. Er wollte ihn unbedingt nach Hause bringen, schliesslich war er ein Gentleman.

Sie redeten nicht viel, während Rei neben Kai herlief, der sein Zuhause ansteuerte, das sich als Einzimmerwohnung in einem grossen, heruntergekommenen, dreckigen Blockhochhaus herausstellte. Rei schluckte trocken und betrachtete sie schmutzige Fassade.

„Hier wohnst du?“, fragte er, worauf er ein Nicken als Antwort erhielt. „Sieht nett aus.“

Kai grunzte.

„Ich würde dich ja noch hoch nehmen, aber ich kann dir leider nichts anbieten ausser Wasser oder Wodka.“

Rei überlegte es sich zweimal, bevor er einen Entschluss fasste und einen Schritt auf die Eingangstür machte.

„Ich denke, Wodka ist in Ordnung.“

Kai grinste und folgte ihm, schloss die Haustür auf und ging dann voraus zum Fahrstuhl, zog die Türe auf und wollte den Chinesen vorlassen, doch der schaute von Kai in den Lift und wieder zu Kai und fing an zu lachen.

„Du willst nicht allen Ernstes mit dem Ding hochfahren? Ich mach da keinen Schritt rein, das Ding sieht aus, als würde es gleich abstürzen!“

Kai zuckte mit den Schultern, trat in den Lift und drückte den Knopf für die oberste Etage, während die Tür sich wieder schloss. Rei biss sich auf die Unterlippe.

„Warte“, rief er und riss die Tür wieder auf, „wenn ich sterbe, ist das deine Schuld.“ Todesmutig machte er den Schritt, der ihn in den Aufzug trug. Er knarrte laut und sackte einige Zentimeter tiefer und Reis Augen weiteten sich. „Hält der uns beiden Stand?“

Auf Kais Gesicht lag ein amüsierter Ausdruck.

„Weiss nicht.“

Rei starrte ihn an.

„Wie, du weisst nicht?“

Kai schaute ihn an.

„Ich bin bis jetzt immer alleine hochgefahren. Ob er dein zusätzliches Gewicht schafft, das sehen wir, wenn wir oben sind.“

Rei fasste sich an den Kopf.

„Ich bring dich um“, nuschelte er und strich sich durch die Haare. Kais Grinsen wurde breiter. Plötzlich ruckelte der kleine Lift heftig und das Licht flackerte. Rei klammerte sich an den Ärmelsäumen fest und blickte Kai an, der sich das Lachen mehr schlecht als recht verkneifen konnte. Müsste Rei nicht jederzeit damit rechnen, abzustürzen, er hätte verharrt und Kai beim Lachen zugesehen, denn seit er ihn kannte, hatte er ihn noch nie fröhlich gesehen und Rei spürte ein freudiges Ziehen im Bauch. Allerdings verschwand das sofort wieder, als der Lift ein weiteres Mal ruckelte.

Er war überglücklich, endlich wieder festen Boden unter den Füssen zu haben, als sie den Lift verliessen, der es tatsächlich ächzend geschafft hatte, sie in den elften Stock zu tragen. Kai schloss die Tür zu seiner Wohnung auf. Die Neugierde nicht verstecken könnend, sah sich Rei sofort überall um. Der Raum war klein. Lediglich ein Bett, ein Regal das aussah wie von Ikea, ein Schreibtisch, der überhäuft war mit Büchern und Papierstapeln, darunter ein einziger Kabelsalat, daneben eine Kommode worauf ein Fernseher stand, direkt auf das Bett gerichtet, ein kleiner quadratischer Klapptisch mit zwei Klappstühlen, mehr nicht. Das kleine Badezimmer fiel beinahe auseinander und die winzige Küche sah auch nicht besser aus, zudem war sie überhäuft mit Packungen von Fertiggerichten und dreckigen Tellern. Reis rechter Mundwinkel zog sich bei diesem Anblick nach unten.

„Das da gibt’s bei mir aber nicht mehr, kapiert?“, sagte er tadelnd an Kai gewandt, während er mit dem Zeigefinger in die Küche zeigte und die Nase rümpfte. Kai nickte.

„Selbstverständlich nicht. Hier bin ich schliesslich alleine.“

Diesmal war es an Rei mit den Schultern zu zucken und er schloss die Tür zur Küche, da drückte Kai ihm auch gleich ein Glas mit Wodka in die Hand.

„Oh, danke!“ Er hob das Glas und prostete Kai zu, der es ihm gleichtat und gleichzeitig setzten sie die Gläser an den Mund und tranken bis auf den letzten Tropfen aus. Reis Rachen brannte.

„Guter russischer Wodka“, lächelte Kai und schenkte nach.

Sie sassen an dem kleinen quadratischen Klapptisch und tranken und redeten, wobei Kai mehr zuhörte und Rei leicht angeheitert über Gott und die Welt quasselte. Der Hunger packte sie nach dem dritten Glas und Kai schob eine Pizza in den Mikrowellenofen, die sie dann genüsslich verspeisten. Als Rei Anstalten machte zu gehen, war schon viel Zeit vergangen und die Flasche fast leer.

„Soll ich dir noch helfen abwaschen?“, fragte er etwas lallend und sichtlich müde, doch Kai winkte ab, worauf Rei lächelte. Er fühlte sich glücklich. Kai war ihm nun etwas näher und er verstand ihn etwas besser, wobei er noch immer nicht wirklich etwas über ihn wusste. Doch er freute sich jetzt noch mehr, mit ihm zusammenzuziehen.

„Willst du nicht vielleicht hier schlafen?“, bot Kai an, doch Rei schüttelte den Kopf.

„Passt schon, ist ja nicht so weit, und so kann ich meinen Kopf etwas durchlüften. Ich nehm aber nicht den Lift!“

Kai lachte und schloss die Tür hinter sich und Rei wartete dann doch auf den Fahrstuhl, der mittlerweile jemand anderen in einen anderen Stock gebracht hatte. Er war einfach zu müde, um jetzt noch die vielen Treppen runterzulaufen und zu angeheitert, als dass er die elf Stockwerke unversehrt hinuntergeschafft hätte und er vertraute darauf, dass das Schicksal noch einiges mit ihm vorhatte.

Die Milch

Kai war gerade von seinem Training nach Hause gekommen und hatte sich bereits ausgezogen, um sich unter die erfrischende Dusche zu stellen, als es an der Tür klingelte. Rei war nicht da und so lag es an ihm, zu öffnen. Murrend zog er sich die Trainingshose wieder an, das würde reichen, und ging zur Tür. Wer auch immer es sein sollte, für ihn war der Besuch bestimmt nicht. Denn es waren Semesterferien und Kai kannte niemanden, der ihn besucht hätte. Dementsprechend verärgert über die Störung drehte er den Schlüssel und drückte die Klinke hinunter, um die Tür aufzuziehen. Der Kerl, der davor im Treppenhaus stand, bekam große Augen. Kai hob eine Augenbraue. Dieses Gesicht hatte er schon mal gesehen.

„I-ist Rei da?“, fragte er leicht außer Fassung und versuchte, einen Blick an Kai vorbei zu erhaschen.

Auf Kais Gesicht stahl sich ein fieses Grinsen.

„Bist du nicht Kelvin?“, überging er die Frage und lehnte sich an den Türrahmen.

Kelvin blickte ihn misstrauisch an, von oben bis unten und musterte seinen nicht gerade unmuskulösen Oberkörper.

„Und wer bist du?“, fragte er zurück, verschränkte trotzig die Arme vor der Brust.

„Rei wäre nicht begeistert, dich hier zu sehen“, überhörte er auch diese.

„Woher willst du das wissen?“

Kelvin wurde langsam sauer, was Kai sichtlich genoss.

„Ich weiß so einiges“, entgegnete er lediglich, „also, was willst du von Rei?“

„Das geht dich nichts an“, knurrte er und reckte den Kopf erneut.

„Du verstehst da etwas nicht, es geht mich sehr wohl an, was du von Rei willst.“ Kais Stimme hatte einen leicht bedrohlichen Unterton angenommen. Er konnte gut verstehen, warum Rei diesen Kerl nicht leiden konnte.

„Was soll das heißen?“, knurrte Kelvin, seine Augen hatten sich zu Schlitzen verengt.

„Du bist ein Idiot, Kelvin“, sagte Kai ruhig, „verschwinde besser.“

Doch das war genau das, was er nicht wollte. Er ballte die Hände zu Fäusten und trat einen Schritt auf Kai zu.

„Lass mich durch“, zischte er wütend und wagte es tatsächlich Kai wegschieben zu wollen.

Ohne zu zögern packte Kai ihn am Arm und riss ihn zurück.

„Suchst du Ärger?“, schrie Kelvin ihn an und versuchte in Rage seinen harten Griff zu lösen.

„Du verstehst wohl nicht“, entgegnete Kai mit dunkler Stimme, „du bist derjenige, der hier anscheinend Ärger will.“

Mit wutverzerrtem Gesicht starrte Kelvin ihn an, riss sich los und holte mit geballter Faust aus, zielte direkt in Kais Gesicht. Doch er hatte es kommen sehen und fast schon abwartend fing er den Schlag mit der rechten Hand ab, langte mit der anderen nach Kelvins Schulter und schubste ihn ohne Rücksicht gegen die Wand. Bedrohend nah kam er mit seinem Gesicht, als er wütende Worte zischte.

„Verschwinde, Kelvin, wenn du nicht im Spital wieder aufwachen willst.“

Kelvin verstummte. Selbst er verstand, dass dies keine leere Drohung war und dass er gegen Kai keine Chance gehabt hätte. Murrend und mit Flüchen um sich werfend wandte er sich ab, nicht ohne einen bösen Blick zurückzuwerfen, den Kai beinahe schon belustigt erwiderte. Er wartete, bis Kelvin nicht mehr zu sehen und hören war, dann verschwand er in der Wohnung und gönnte sich endlich seine wohlverdiente Dusche.
 

Eine halbe Stunde später kam auch Rei nach Hause und ließ sich mit einem Glas Wasser auf das Sofa fallen. Ihm schwirrte der Kopf von der Arbeit und er wollte bloss seine Ruhe haben, einige der Kunden hatten ihm den letzten Nerv geraubt. Mit einem Zug leerte er das Glas bis zur Hälfte, da bemerkte er Kai, der im Wohnzimmer aufgetaucht war und schenkte ihm ein müdes Lächeln, das jedoch sofort wieder gefror, als er Kais Gesichtsausdruck sah.

„Was ist los?“, fragte er stirnrunzelnd.

„Kelvin war hier“, antwortete er ohne Umschweife, er war der Meinung, dass Rei das wissen sollte.

Rei saß plötzlich kerzengerade auf dem Sofa.

„Was?“, schrie er, „wann?“

„Vor etwa einer dreiviertel Stunde“, informierte Kai und zuckte mit den Schultern, als wäre es etwas Alltägliches.

Rei sprang auf, knallte sein Glas auf die Küchenablage, dass Kai befürchten musste, es gleich in hundert Splitter zerschlagen zu sehen, und wühlte in der Tasche, die er zuvor dort abgelegt hatte.

„Dieses Arschloch“, fluchte er, „Was wollte er?“, knurrte Rei, er war außer sich.

„Dich sehen“, antwortete Kai wahrheitsgemäß und zuckte erneut mit den Schultern, gelassen.

Rei brach erneut in einen Schwall wüste Beschimpfungen aus und zog sein Handy aus der Tasche, durchsuchte mit bebenden Fingern seine Kontakte und wählte schließlich Kelvins Nummer. Kai ließ sich auf dem Sofa nieder, das wollte er sich auf keinen Fall entgehen lassen. Amüsiert schaute er Rei zu, wie er ungeduldig wartete, dass Kelvin abnahm.

„Was zum Teufeln sollte das, Kelvin, ich habe dir deutlich genug gesagt, dass du hier nie wieder auftauchen sollst“, schrie Rei in den Hörer, kaum hatte der andere abgenommen.

„Rei“, versuchte dieser zu entgegnen, doch Rei ließ ihn nicht.

„Nichts Rei, wag es nicht noch einmal, mich aufzusuchen!“

Kais Mund verzog sich zu einem Grinsen. Rei so wütend zu sehen, war ein Schauspiel, das sich ihm nur selten bot, doch wenn der Chinese dann einmal seine Stimme erhob, dann deutlich. Kelvin tat ihm beinahe Leid. Dieser versuchte gerade, etwas zu sagen, doch Rei würgte ihn erneut ab.

„Nein, Kelvin, ich will dich nicht mehr sehen, vergiss es!“

„Ja, ich hab’s ja verstanden Rei, dein Neuer hat es mir ja deutlich klar gemacht“, hörte Rei ihn plötzlich knurren und verwundert schweifte sein Blick zu Kai.

„Wer?“, fragte Rei etwas verwirrt.

„Tu nicht so unschuldig, er stand oben ohne an der Tür, hast dir wohl einen Bodyguard angeschafft“, wurde Kelvin abfällig und Reis Augen verengten sich zu Schlitzen.

„Er ist nicht mein Bodyguard“, zischte er ins Telefon.

„Wie auch immer, richte deinem Macker liebe Grüsse von mir aus“, knurrte Kelvin mit deutlich hörbarer Missgunst und legte auf.

„Ich fass es nicht!“, wütete Rei und starrte sein Handy an, „er hat aufgelegt! Der Kerl hat einfach keinen Mumm in den Knochen!“

Immer noch fluchend ging er zurück zur Küchenablage und griff nach seiner Tasche, die er schwungvoll zu sich zog.

Kai hörte ein lautes Klirren.

„Ich fass es nicht“, wiederholte Rei, diesmal ungläubig, und ließ die Tasche sinken.

So sehr es Kai versuchte, er konnte sich ein Lachen nicht verkneifen. Rei schaute ihn böse an, doch als er den Russen so sah und er die nur zu bekannte Situation erkannte, brach auch er in Gelächter aus.

„Aah, ich hasse ihn“, stöhnte Rei genervt auf und ließ sich im Schneidersitz neben Kai fallen, legte den Kopf nach hinten auf die Rückenlehne und starrte an die Decke.

„Verständlich, das war mindestens schon das vierte Glas“, gluckste Kai, die Mundwinkel vor Belustigung zuckend.

Rei drehte den Kopf, um ihn ansehen zu können.

„Du hast mächtig Eindruck hinterlassen, was hast du gemacht?“, fragte er.

„Nichts, was er nicht verdient hätte“, erwiderte Kai nüchtern.

„Hast du ihn etwa geschlagen?“ Rei zog die Luft ein, das wäre ihm überhaupt nicht recht gewesen. Doch zu seiner Beruhigung schüttelte Kai den Kopf.

„Natürlich nicht.“

„Nun, was auch immer du getan hast, es hat Wirkung gezeigt“, seufzte er und schielte zu ihm rüber, „das und die Tatsache, dass du ziemlich gut gebaut bist.“

„Kelvin ist ein Weichei“, erwiderte Kai kühl und verschränkte die Arme hinter dem Kopf.

„Mh, seine Faust ist hart genug“, erinnerte sich Rei gut genug an den Schlag ins Gesicht.

Kai knurrte.

„Glück für ihn, dass ich damals nicht dabei war.“

Wäre er damals dabei gewesen, Kelvin wäre nicht so glimpflich davongekommen. Rei legte die Stirn in tiefe Falten.

„Wieso? Hättest du ihn verprügelt?“, wollte er wissen, doch Kai schüttelte den Kopf.

„Nein, aber ihm eine Lektion in Respekt gelehrt.“

Rei entspannte sich und lächelte. Er mochte keine Gewalt oder Handgreiflichkeiten und dass Kai diesen Standpunkt ebenfalls vertrat, freute ihn ungemein.

„Übrigens, ich soll dir liebe Grüsse ausrichten von Kelvin“, spöttelte Rei, als ihm die letzten Worte wieder in den Sinn kamen.

Kai schaute ihn fragend an.

„Wieso?“

„Weil er denkt du seist mein Macker und er wahrscheinlich Eindruck schinden will, keine Ahnung, was da in seiner hohlen Birne vor sich geht“, grinste er schief.

Eine von Kais Augenbrauen zuckte nach oben.

„Wenn er das denkt, dann hätte er sich das schon versaut, als er da war“, fand er abschätzig.

Rei blickte ihn nachdenklich an.

„Stört dich das nicht?“, fragte er etwas tonlos.

„Was denn?“

„Dass Kelvin denkt, dass du- wir-“, verhaspelte er sich, worauf Kai grinste.

„Bei ihm nicht wirklich, wie du schon gesagt hast, hohle Birne“, antwortete er beinahe schon belustigt.

Rei nickte. Es war seltsam darüber zu reden und noch seltsamer zu hören, dass Kai nichts dagegen hatte. Ausgerechnet Kai, auf den bestimmt eine Menge Frauen flogen. Aber am seltsamsten war, dass es ihm selbst genauso egal war. Sollte Kelvin doch denken, was er wollte, was er mit Kai hatte. Ob er bei jemand anderem als dem kühlen Russen ebenso gedacht hätte, blieb dahingestellt.
 

Eine Weile hingen die Beiden ihren Gedanken nach, bis Rei bemerkte, dass er eigentlich hungrig gewesen war, als er nach Hause gekommen war, und das Kochen dank Kelvin vollkommen vergessen hatte.

„Willst du auch was essen?“, fragte er an Kai gewandt und stand auf.

Kai nickte und folgte Rei in die Küche, wo sie schweigend nebeneinander standen und sich etwas Kleines kochten, nachdem sie erst mal die Scherben zusammengewischt hatten. Nichts Aufwändiges und eigentlich standen sie nur in der Küche und schwiegen sich an, während sie dem Wasser beim verdampfen zusahen. Und trotzdem lag eine entspannte Atmosphäre im Raum, angenehm, und Rei genoss es. Lächelnd rührte er im kochenden Nudelwasser und beobachtete die Nudeln, wie sie im Wasser herumwirbelten.

„Kai, könntest du mir die Tomatensosse aus dem Kühlschrank geben?“, fragte er, als die Eieruhr schrillte.

Kai nickte und wandte sich zum Kühlschrank, während Rei den Topf vom Herd nahm und das heisse Wasser abschüttete. Als er einen großen Schritt nach links machte, um den Topf zurückzustellen, stieß er fast gegen Kai, der ihm eigentlich hatte aus dem Weg gehen wollen und nicht damit gerechnet hatte, dass Rei so flink wieder zurückkam.

„Tschuldigung“, sagte Rei und lächelte.

„Mein Fehler“, korrigierte Kai und schüttete die Sosse in den nun leeren Topf.

Rei nahm das Sieb mit den Nudeln und gab sie ebenfalls hinzu. Dabei streiften sich ihre Schultern und ein Schauer rann ihm über den Rücken, in seinem Bauch prickelte es. Ein Zustand, den er vorsichtshalber ignorierte.

„Sag mal, Rei“, begann Kai zu sprechen und seine Stimme klang merkwürdig rau.

„Hm?“, gab er ihm zu verstehen, dass er hörte.

„Nimmst du nie Frauen mit in die Wohnung?“

Mit großen Augen wandte er den Kopf in Kais Richtung.

„Natürlich nicht, wie kommst du darauf?“

„Ich dachte nur, weil du ein ziemlicher Frauenheld zu sein scheinst“, antwortete Kai schulterzuckend.

„Ach so“, murmelte Rei und schien sich wieder auf das Zubereiten der Teigwaren zu konzentrieren. In Wahrheit war er tief in Gedanken versunken. Er hatte noch nie eine Frau mit nach Hause genommen. Er fragte sich, ob Kai dies angesprochen hatte, weil er es vielleicht vorhatte.

„Du denkst, ich sei ein Frauenheld?“, fragte Rei plötzlich.

„Naja, was ich im Club so mitbekommen habe, scheinen sie sich zumindest um dich zu reißen“, antwortete Kai und reichte ihm zwei Teller.

Rei grinste schief.

„Sagt der Typ, der jede Frau haben könnte.“

Er versuchte, seine Gedanken lediglich auf die Nudeln zu richten und nicht an Kais muskulösen Oberkörper zu denken, dessen alleiniger Anblick ihm eine Gänsehaut bescherte.

„Will ich aber nicht“, sagte Kai knapp und nahm ihm die gefüllten Teller aus den Händen, um sie auf den kleinen Tisch in der Küche zu stellen.

„Scheint so“, gab Rei zurück, nachdenkend, warum dies so sein könnte. Er folgte Kai mit den Augen und beobachtete seine Bewegungen, die den Stoff seines Shirts um seinen Körper spielen ließen. Scharf sog er die Luft ein, um sich wieder auf andere Gedanken zu bringen und nahm zwei Gläser aus dem Schrank. Schwungvoll drehte er sich um, um die Gläser auf den Tisch zu stellen, da stand Kai ganz dicht vor ihm. Beinahe hätte er auch diese beiden Gläser fallen lassen, doch Kai hatte sie bereits fest im Griff.

„Die nehm wohl besser ich“, grinste er schief.

Rei nickte nur. Er konnte grad kaum atmen, diese plötzliche Nähe hatte ihn etwas aus der Bahn geworfen. Nach Fassung ringend fuhr er sich mit der Hand durch die Haare. Was auch immer dieser Typ mit ihm anstellte, es war ihm nicht ganz geheuer und doch musste er sich eingestehen, dass er alleine seine Anwesenheit als prickelnd empfand.

Sie assen schweigend. Und auch danach räumten sie wortlos den Tisch ab und außer dass sie sich noch eine gute Nacht wünschten, redeten sie nicht mehr miteinander. Es war eine angenehme Stille, sie verstanden sich auch so und als Rei im Bett lag und an seine Decke starrte, fühlte er sich gut. Er lächelte, als er einschlief.
 

Der März war für seine Verhältnisse unglaublich warm. Rei genoss es, auf dem kleinen Balkon zu sitzen und über die Dächer hinweg zu blicken, neben ihm auf dem Tisch eine große Tasse Tee. Und auf der anderen Seite saß Kai, die Beine übereinander geschlagen und tief in ein Buch versunken. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen. Wieder einmal. Er lächelte so oft im Moment, wie noch selten, seit er hier wohnte. Aber mit seinen ehemaligen Mitbewohnern konnte er solche Situationen einfach nie teilen, mit Kai hingegen schon und genau so hatte er es sich eigentlich immer vorgestellt. Er stützte den Kopf auf seiner Hand auf und richtete den Blick auf Kai, musterte ihn, bemerkte die kleinen Grübchen über den Augenbrauen, die vor Konzentration gekräuselte Nase. Er kaute leicht auf der Unterlippe. Einige Haarsträhnen verdeckten das rechte Auge. Reis Mundwinkel zuckte und er streckte die Hand aus, um sie wegzuwischen, doch kaum berührten seine Fingerspitzen die Haare, bemerkte er, was er eigentlich tat, und stockte. Etwas ungläubig zog er die Hand wieder zurück, doch Kai hatte ihn bereits bemerkt und sah auf.

„Ist was?“, fragte er.

Rei schüttelte den Kopf.

„Nein, nein nichts.“

„Okay“, nickte Kai und senkte den Blick erneut auf das Buch, während Rei ungläubig vor sich hin starrte und sich fragte, was zum Henker er hier eigentlich gerade getan hatte.

Doch auch die darauffolgenden Wochen ertappte er sich immer wieder dabei, wie er Kai ansah, manchmal sogar beobachtete und sogar regelrecht anstarrte und er konnte es sich einfach nicht erklären, doch er fand es ungewöhnlich faszinierend, ihm auch einfach nur zuzusehen. Geschweige dann ihn anzusehen. Es ließ ihn warm um das Herz werden. Er wusste nicht, ob Kai es bemerkte, doch oft genug schon hatte er von einer Tätigkeit aufgesehen und ihm direkt in die Augen geblickt und Rei schien darin zu versinken und gleichzeitig den Atem anhalten zu müssen, einen langen Augenblick, bis Kai den Blickkontakt abbrach und Rei sich abwandte und an den Kopf fasste. Kai bemerkte dies sehr wohl. Und nur zu gerne hätte er den Blickkontakt weiter aufrecht erhalten, doch ihm kam immer wieder in den Sinn, was Rei mit Kelvin angestellt hatte, als dieser sich an ihn rangemacht hatte und er konnte nicht abschätzen, wie weit er hätte gehen können.
 

Doch eines Abends, nachdem Kai vom Training zurück war, kam Rei ganz unerwartet ins Badezimmer geplatzt, wo er gerade aus der Dusche stieg.

„Kai! Warum hast du nicht abgeschlossen?“, fragte er entsetzt.

„Weil du eigentlich bei der Arbeit sein solltest. Was machst du schon hier?“

„I-ich konnte früher gehen, weil nichts lief. Jetzt zieh dir schon was an, verdammt“, fauchte Rei seinen Mitbewohner an, der sich noch immer abtrocknete.

Kai grinste schief.

„Da ist nichts, was du nicht auch hättest“, entgegnete er gleichgültig.

Rei hielt sich eine Hand vor das Gesicht.

„Das ist es doch nicht“, murmelte er unverständlich, er merkte, wie seine Wangen heiß wurden.

„Warum bist du dann noch hier?“, fragte Kai und lehnte sich ganz nah zu ihm, ein keckes Grinsen auf den Lippen.

Rei schnappte nach Luft um etwas zu erwidern, doch Kais raues Lachen lenkte ihn ab.

„Ähm, äh, weil ich duschen wollte.“

„Die Dusche ist frei.“

„Was?“, fragte Rei, als hätte er sich verhört.

„Die Dusche ist frei“, wiederholte Kai schulterzuckend.

„Ich hab dich schon verstanden!“, fauchte Rei zurück.

„Was ist los Rei, lenkt dich der Zustand, dass ich nackt bin, ab?“

„Du bist ganz schön dreist! Aber, naja“, stockte er.

„Aber naja was?“, fragte Kai amüsiert und kam ihm schon wieder ganz nah.

„Ich bin im Wohnzimmer und schau einen Film, wenn du magst, kannst du mitschauen.“ Hastig drehte Rei sich um und verschwand aus dem Bad. Er hätte sich schlagen können. Was glaubte er eigentlich, was er hier machte. Er fuhr sich durch die Haare, sodass sie ihm zu Berge standen. Fertig mit den Nerven ließ er sich auch das Sofa fallen. Er verstand sich selbst nicht mehr. Kai löste da irgendetwas in ihm aus und es kam ihm vor, als ob er das absichtlich machen würde. Aber Kai war nicht schwul. Er stockte und war sich da plötzlich nicht mehr sicher. Kai hatte zwar nie etwas gesagt, aber eigentlich sprach nichts dagegen. Außerdem war er absolut nicht an Frauen interessiert, wie er selbst schließlich immer wieder betonte. Rei klatschte sich die Handfläche gegen die Stirn. Aber Kai war so das krasse Gegenteil eines Schwulen. Eines klischeehaften Schwulen, korrigierte sich Rei in Gedanken und dachte an Vin Diesel, der wohl muskelbepackteste weiße Schauspieler. Er war auch schwul. Und er selbst war gerade dabei diesem Typen im Bad zu verfallen. Aber er selbst war doch auch nicht schwul. Er stand nicht auf Männer. Und doch musste er sich eingestehen, dass er Kai unglaublich attraktiv und anziehend fand. Mehr war da aber nicht, versicherte er sich selbst.

Mehr war da nicht, dachte er sich nochmal, als Kai sich neben ihn auf das Sofa fallen ließ.

„Was schauen wir denn?“, fragte Kai und setzte ein Glas Milch an die Lippen.

„Weiß nicht, was willst du denn schauen?“

„Lass mal sehen, was so im Fernseher läuft.“

Rei nickte und schaltete erst mal den Fernseher an, zappte dann durch die verschiedenen Kanäle, doch schon bei ‚Two and a half Men’ blieben sie hängen.

„Darf ich mir einen Schluck nehmen?“, fragte Rei und zeigte auf das Glas Milch.

Kai nickte und sah zu, wie Rei sich nach vorne beugte und die Hand danach ausstreckte. Ihre Knie berührten sich. Er sah zu, wie er das Glas an die Lippen setzte, wie die weiße Flüssigkeit in seinen Mund rann, wie er schluckte und das Glas wieder etwas senkte. Wie er sich die Oberlippe ableckte. Kais Atem ging etwas schneller. Unglaublich, dass dieser Kerl so erotisch war, obwohl er manchmal eine echte Kratzbürste sein konnte. Er sah zu, wie Rei das Glas mit einem letzten Zug leerte und als er sich wieder die Oberlippe ableckte, drehte er seinen Kopf zu ihm und blickte ihn an. Kai handelte ohne nachzudenken. Wie im Reflex streckte er die Hand aus und packte Reis Handgelenk. Überrascht riss dieser die Augen auf und öffnete die Lippen, um etwas zu sagen, doch Kai war so nah, dass es ihm den Atem verschlug. Mehr war da nicht, rief er sich in den Kopf, als er in Kais rote Augen blickte, die ihn intensiv anstarrten. Reis Augen verengten sich, als nichts passierte. Er hatte jetzt tatsächlich damit gerechnet, dass Kai ihn küssen würde. Er hatte sich schon darauf eingestellt. Zum Teufel, das war nicht gut, wenn er nun schon so dachte.

„Du hast es ausgetrunken“, flüsterte Kai mit seiner rauen Stimme, die Rei erschaudern ließ.

„Tut mir leid“, murmelte er.

Kai war so nah, dass er seinen Atem spüren konnte. Er selbst bekam kaum noch Luft. Ihm war heiß.

„Es ist leer“, wiederholte Kai.

„Soll ich es wieder auffüllen gehen?“, fragte Rei stockend.

„Nein“, raunte er, „ich hole es mir selber.“

Er zog Rei am Handgelenk zu sich und presste die Lippen auf Reis Mund, den er vor Schreck geöffnet hatte, ließ die Zunge über seine Lippen gleiten. Rei wollte protestieren. Doch er konnte nicht. Von wegen, mehr war da nicht, er wollte mehr, verdammt. Das Glas glitt ihm aus der Hand und er griff in Kais Haare, zog seinen Kopf näher, zog ihn tiefer in den Kuss, der ein wahres Feuerwerk in ihm ausgelöst hatte. Was war nur los mit ihm, er wollte diesen Kerl. Er wollte ihn so sehr, sein Körper schrie regelrecht nach ihm. Kai grinste in den Kuss und verfluchte sich gleichzeitig, dass er so lange gewartet hatte. Er zog Rei zu sich, zog ihn auf sich, so dass er rittlings auf ihm saß. Rei ließ die Hände durch seine Haare gleiten, den Rücken runter und zog ihm das Shirt über den Kopf. Er wollte ihn spüren, er wollte diesen begehrenswerten Körper berühren. Kai tastete unterdessen nach der Fernbedienung, um den Fernseher auszuschalten und kaum hatte er dies geschafft, erhob er sich mitsamt Rei, der ganz langsam an ihm hinunter glitt, bis er wieder Boden unter den Füssen hatte. Es war, als hätte dies sein Gehirn wieder eingeschaltet. Entsetzt starrte er Kai an.

„I-ich- scheisse Mann, was sollte das?“, fluchte er.

„Sag nicht, es hätte dir nicht gefallen“, raunte Kai mit einem Grinsen.

„Es wäre gelogen“, gab Rei verärgert zu.

Kais Grinsen wurde breiter.

„Ich geh dann mal ins Bett, kannst ja mitkommen.“

„Ich sollte dich rauswerfen!“, knurrte Rei.

„Hast du Angst, dass du das, was vielleicht auf dich zukommt, nicht kontrollieren kannst?“

Rei biss sich auf die Unterlippe.

„Ich hasse dich“, flüsterte er.

„Nein“, lachte Kai und küsste Rei auf den Mund, „tust du nicht.“

„Oh doch“, raunte er in den Kuss.

Er verstand es nicht. Eigentlich sagte ihm sein Verstand, dass das, was er hier gerade tat, komplett falsch war. Er wollte einen Mitbewohner, der ihn in Ruhe ließ und nicht einen wie Kelvin, der sich an ihn ranmachte. Doch diesmal war er doch derjenige gewesen, der immer wieder Andeutungen gemacht hatte und er fragte sich, warum. Er hatte sich zwar eingestanden, dass er ihn absolut anziehend fand, doch sich ihm an den Hals zu werfen war keineswegs seine Absicht gewesen. Er stand ja noch nicht mal auf Männer. Und trotzdem, das Gefühl in seinem Bauch, wenn er auch nur in der Nähe war oder ihn anblickte, war unglaublich. Ja, als er das erste Mal in der Wohnung stand, da hatte er noch etwas Panik gehabt, dass er wie Kelvin, ihn einfach schamlos anmachen könnte, und doch war er derjenige gewesen, der nun eindeutig dieses Verlangen verspürt hatte, ihm nahe zu kommen. Ihn zu berühren. Schon als sie im Club waren, hatte er diese Ziehen im Bauch gespürt, aber das war nichts gewesen im Vergleich zu dem, was er jetzt fühlte. Sein ganzer Körper schien in Flammen zu stehen und gleichzeitig bekam er an jeder Stelle, die von ihm berührt wurde, Gänsehaut und er erschauderte. Selbst die Laute, die er von sich gab, bestätigten ihn nur in der Annahme, dass es ihm sehr gefallen musste.

Er wusste nicht, wieso er das tat, doch er wollte es, sein Körper verlangte es. Mit vernebelten Sinnen bekam er halbwegs mit, wie Kai ihm das Shirt über den Kopf zog und ihn an sich presste. Alleine dies löste ein Kribbeln in seiner Lendengegend aus. Er spürte seinen Atem im Nacken und seine etwas rauen Lippen am Hals und er dachte, er müsse sterben, so heiß wie ihm wurde. Noch nie, niemals hatte er sich so gefühlt. Es verschlug ihm den Atem und seine Knie wurden weich. Nicht gerade sanft krallte er sich in Kais nackte Schultern und er spürte, wie er die Arme noch fester um ihn schlang, ihn noch näher zog und den Mund auf seinen presste, er spürte, wie er das Knie zwischen seine Beine schob, die Hand beherzt auf seinen Hintern legte und sich ihre Lenden aneinanderdrückten und er konnte nicht verhindern, dass er in den Kuss hineinstöhnte.

Kaum zu glauben, dass sie noch immer im Wohnzimmer standen. Das dachte sich wohl auch Kai, denn er machte einen Schritt nach vorne und Rei stolperte mit, so wackelig waren seine Beine. Willenlos ließ er sich führen. In Kais Zimmer.

Das Eis

Noch bevor Rei am nächsten Morgen wirklich wach war, kam ihm schlagartig in den Sinn, was in der letzten Nacht geschehen war. Stöhnend klatschte er sich die Hand über das Gesicht und zuckte bei der nächsten Bewegung zusammen. Sein Hintern schmerzte. Und er war noch immer in Kais Bett. Alleine. Na toll, so was passierte normalerweise doch nur, wenn eine große Menge Alkohol mit im Spiel war, doch das war ja genau das Schlimme, er hatte keinen einzigen Tropfen Alkohol gehabt. Herrje, was hatte er nur getan. Sogar sein Rücken tat weh und er erinnerte sich schmerzhaft daran, dass Kai ihn an die Wand genagelt hatte und er in seiner Ekstase nicht bemerkte, wie der Verputz ihm die Haut aufriss. Stöhnend schleppte er sich aus dem Bett und hob seine Hose hoch, zog sie sich schwankend über und machte sich auf in die Küche, um sich erst mal einen Kaffee zu machen. Dort stand bereits Kai, ebenfalls nur mit Hose, am Küchentresen und mit dem Rücken zu ihm gewandt und die roten Striemen quer über seine Schultern und an den Hüften zeigten Rei nur zu deutlich, wie gut es ihm gefallen hatte. Er biss sich auf die Unterlippe und stellte sich neben ihn, um sich einen Kaffee einzuschenken, den Kai bereits aufgekocht hatte.

„Bild dir ja nichts darauf ein, hörst du? Und denkt bloß nicht, dass sich das wiederholen wird“, sagte er mit drohendem Unterton und seine Stimme klang sehr rau.

Kai sagte nichts.

Kaum war der Kaffee eingefüllt, schnappte sich Rei die Tasse und wollte die Küche verlassen, da kam ihm noch etwas in den Sinn.

„What happens in Vegas, stays in Vegas, merk dir das!“

Doch Kai grinste nur verschmitzt und Rei verschwand mitsamt dem Kaffee im Bad, nur um nochmal umzudrehen, weil er die Milch vergessen hatte.
 

In den darauffolgenden Tagen fing Rei mal wieder an, seinem Mitbewohner aus dem Weg zu gehen. Es machte ihn fertig, ihn auch nur zu sehen. Er machte sich nur noch Gedanken über diese eine Nacht, und ob es wirklich kein Fehler gewesen war. Er fühlte sich schrecklich. Und das zeigte sich auch langsam. Auch Lee fiel das auf.

„Alter, was ist los mit dir? Du siehst furchtbar aus!“

„Hab einfach zu wenig geschlafen“, murmelte er, was ja eigentlich auch stimmte.

Die anderen tauschten fragende Blicke aus und Lee zuckte nur ratlos mit den Schultern, während Rei den Kopf auf den Tisch gelegt hatte und ins Leere starrte.

„Achja Conrad, du schuldest mir noch dreissig Piepen!“, wandte sich Lee plötzlich an einen ihrer Freunde. Dieser schaute ihn fragend an.

„Kai ist jetzt schon fast vier Monate bei Rei, du hast auf drei gesetzt, also her mit dem Geld!“

„Mist. Schön für dich, Rei“, meinte Conrad und zog seine Brieftasche hervor.

Rei murrte lediglich.
 

„Alles in Ordnung?“, fragte ihn auch Kai einige Tage später in der Uni, wo er ihn nach einer Vorlesung aufhielt und etwas Abseits zu einem Fenster zog. Rei schaute ihn an mit einer Mischung aus Verwunderung, Trotz und dem Wunsch, so schnell wie möglich so weit weg wie möglich zu fliehen.

„Nichts ist in Ordnung, Kai!“

Er riss sich von ihm los und schaute aus dem Fenster, um sich etwas zu sammeln und seine Stimme wieder in den Griff zu bekommen. Tief atmete er ein und drehte sich um, um ihm in die Augen zu sehen.

„Wir hatten Sex, Kai. Du hast mich gevögelt, verdammt! Und ich hab mich von dir vögeln lassen und das lässt sich nicht mehr rückgängig machen“, sagte er beherrscht und war doch etwas lauter als er gehofft hatte. Eine Studentin, die an ihnen vorbei ging, starrte sie entgeistert an.

„War es so schrecklich?“, fragte Kai.

Rei seufzte und lehnte sich gegen den Fenstersims, fuhr sich wie so oft in letzter Zeit durch die Haare.

„Ich kann an nichts anderes mehr denken, Kai. Jedes mal, wenn ich dich sehe, höre oder auch nur im Bett liege und weiß, dass du gleich nebenan in deinem Bett liegst, muss ich daran denken und es lässt sich einfach nicht abstellen und Herrgott nochmal, es macht mich wahnsinnig!“, redete Rei endlich all seine Gedanken von der Seele. Frustriert stöhnte er in die vorgehaltene Hand.

„So schlimm?“

„Du ahnst gar nicht, wie schlimm“, entgegnete Rei nur mit düsterem Ton.

„Ich kann es erahnen, wenn ich dich sehe“, meinte Kai und Rei blickte ihn verständnislos an.

„Hast du in letzter Zeit mal in den Spiegel geschaut, Rei?“, fragte Kai mit einem unterdrückten Grinsen.

„Was? Nein, wieso? Heilige Scheisse“, rutschte es ihm aus dem Mund, als er sein Spiegelbild im Fenster betrachtete. Er hatte dunkle Augenringe und sein Gesicht wirkte eingefallen und seine Haare standen in jede erdenkliche Richtung wild ab.

„Da! Siehst du? Siehst du? So sehr macht es mich wahnsinnig, ich kann kaum mehr schlafen, weil ich ansonsten doch nur davon träume!“, fauchte er und zeigte auf sein Gesicht, während er Kai mit großen Augen anstarrte. Obwohl Rei total fertig war, musste Kai lächeln. Er hob die Hand und fuhr ihm leicht über die Wange.

„Du siehst auch so gut aus“, murmelte er, was Rei ein müdes, aber ernst gemeintes Lächeln auf die Lippen zauberte.

„Eigentlich siehst du aus, als ob du aus ganz anderen Gründen nicht schlafen könntest“, raunte er grinsend. Rei prustete und schubste Kai an der Schulter nach hinten.

„Du versauter Mistkerl“, fauchte er und lachte. Es tat so gut. Er fühlte sich gut.

„Apropos, hattest du eigentlich keine Schmerzen?“, fragte Kai plötzlich etwas zurückhaltend.

Rei blickte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

„Machst du Witze? Ich habe tagelang Schmerztabletten gefressen wie andere Kaugummi, dass ich überhaupt sitzen konnte“, schnaubte er und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Das erklärt einiges“, entgegnete Kai und entschloss, es dabei zu belassen.

Plötzlich lehnte sich Rei nach vorne und ließ den Kopf gegen seine Brust sinken. Etwas ahnungslos, was er jetzt tun sollte, hob er eine Hand und legte sie auf Reis zerzauste Haare am Hinterkopf. Rei seufzte.

„Warum macht mich das so fertig, Kai? Wieso kann ich an nichts anderes mehr denken?“

Mit fragenden Augen sah er ihn an und irgendwie wirkte dieser Blick verzweifelt. Kai seufzte und streichelte ihm erneut über die Wange und hauchte ihm einen kleinen Kuss auf den Mund. Rei schloss die Augen und erwartete, dass noch mehr passierte, doch Kai hatte sich bereits wieder etwas zurück gelehnt. Überrascht über seine Gedanken wich er ruckartig zurück und schlug mit dem Kopf gegen die Scheibe. Murrend rieb er sich den Hinterkopf.

„Scheisse“, jammerte er.

„Geh nach Hause, Rei, ruh dich etwas aus“, machte Kai den Vorschlag, der eher nach einem Befehl klang, und Rei nickte. Das war im Moment wohl das Beste. Er musste einen klaren Kopf bekommen. Aber irgendwie wollte er einfach nicht alleine sein.

„Kommst du mit?“, fragte er vorsichtig, rang mit sich selbst, diese Frage überhaupt zu stellen.

„Ist sowieso eine sinnlose Vorlesung“, schmunzelte Kai und schulterte seine Tasche.

Rei lächelte. Er war froh, dass Kai mitkam, auch wenn er der Grund war, wieso er nicht schlafen konnte. Doch vielleicht würde genau das dieses Chaos in seinem Kopf etwas ordnen.

„Ich will ein Eis“, murrte Rei, als sie an der Cafeteria vorbei gingen und Kai hatte keine Chance, ihn aufzuhalten, da war er schon vor der Eistruhe.

„Nein, kein Eis“, knurrte Kai, „bitte kein Eis.“

Doch Rei stand bereits vor der Kasse und zahlte und ehe er sich versehen hatte, stand er wieder an seiner Seite, an seinem Eis lutschend. Kai stöhnte innerlich und bemühte sich, diesen Anblick zu ignorieren. Doch das ging nicht lange. Immer wieder linste er zu ihm rüber und musste sich sehr zusammenreissen, ihn nicht einfach zu packen und gegen die nächste Wand zu drücken. Er schaffte es. Zumindest, bis die Wohnungstür hinter ihnen zugefallen war. Er drängte sich von hinten gegen Rei, der gerade die Tür abschloss, und stützte beide Hände neben seinem Kopf ab.

„Lutsch nie wieder Eis, wenn ich in der Nähe bin“, knurrte er ihm ins Ohr und betonte jedes Wort. Rei riss die Augen auf und starrte ihn aus den Augenwinkeln an, doch als er begriff, grinste er schief und hob eine Augenbraue.

„Wieso meinst du?“, fragte er unschuldig. Scheiss drauf, dachte er sich, er konnte nur zu gut fühlen, dass er diesen Kerl spüren wollte, das Kribbeln im Bauch machte es ihm deutlich. Und dass Kai mit den Händen nun über seine Seiten fuhr, machte es auch nicht besser. Ihm wurde heiß und er musste schlucken.

„Weil ich mich das nächste Mal vielleicht nicht mehr beherrschen kann“, raunte Kai und zog Reis Hüften an den Hüftknochen nach hinten.

„Ah“, entfuhr es Rei und er hob die Hände, um sich an der Tür abstützen zu können. Sein Bauch kribbelte wahnsinnig und seine Knie zitterten leicht. Was er da an seinem Hintern fühlte, zeigte ihm nur zu gut, dass Kai sich schon jetzt schwer damit tat, sich zu beherrschen.

Doch nur zu gut spürte er auch seine eigene Erregtheit. Ihm war unglaublich heiß und sein Kopf wie leer gefegt. Er nahm nur noch diesen Körper wahr, der sich von hinten an ihn presste, die großen Hände unter seinem Pullover, die ihn in den Wahnsinn trieben, die etwas rauen Lippen am Hals, die ihm auch noch den letzten Funken Verstand raubten.

Er drehte den Kopf, suchte nach Kais Lippen, drückte den Rücken durch und schlang einen Arm um seinen Nacken, um besser ran zu kommen. Er wollte ihn. Sein Körper wollte ihn. So sehr, dass es beinahe schmerzte. Und Kai erwiderte dieses Verlangen, indem er ihn wild und leidenschaftlich küsste, nicht sanft, nicht vorsichtig, sondern stürmisch und besitzergreifend. Rei drehte sich ganz um und Kai drückte ihn sofort an sich, ließ eine Hand frech in seine Hose gleiten, ließ den Mund erneut wandern über seine Wange zum Ohr, den Hals runter, in den Nacken. Rei erschauderte.

„Kai“, nuschelte er in seine Haare, mit bebender Stimme. Er bekam kaum noch Luft.

„Hm?“, raunte Kai ihm direkt ins Ohr, berührte dabei die empfindliche Muschel mit seinen Lippen.

Rei hatte das Gefühl, in Flammen aufzugehen, er spürte die Hitze in sich aufsteigen und sein Bauch prickelte und kribbelte noch schlimmer als der Rest seines Körpers. Seine Knie waren weich und er klammerte sich an Kais Oberarmen fest.

„Können wir von der Tür weg?“, fragte Rei etwas atemlos und legte den Kopf gegen das Holz.

„Wieso?“, fragte Kai lediglich und beugte sich grinsend über ihn, die Situation nur zu gerne ausnutzend, dass Reis Hals komplett entblösst war.

Rei war ohnehin nicht mehr wirklich in der Lage zu denken. Ihm war nur noch heiß und vor seinen Augen war alles flimmrig. Verlangend presste er seine Lippen auf Kais und begann, an dessen Hosenknopf rumzufummeln. Kai grinste und tat es ihm gleich, hatte jedoch im Gegensatz zu Rei keine Probleme damit, sie zu öffnen und ließ die Hand hineingleiten.

Ein lautloses Stöhnen entrann Reis Kehle und kaum hatte auch er Kais Jeans geöffnet, zupfte er an seinem Pullover. Etwas widerwillig zog Kai die Hand zurück und ließ zu, dass er ihm das überflüssige Kleidungsstück über den Kopf zog. Nachdem auch Rei von seinem Pulli befreit war, drückte er sich sofort an ihn und seufzte leise auf ob der Wärme der nackten Haut. Er ließ die Hände über Kais Arme nach oben gleiten, über die Muskeln, die Schultern, in den Nacken, legte sie an sein Gesicht und zog ihn in einen sanften, doch nicht milder leidenschaftlichen Kuss. Kai fuhr mit den Fingern seine Wirbelsäule entlang, was ihn erschaudern und den Rücken durchdrücken ließ und ihn unweigerlich an ihn presste. Er machte einen Schritt nach vorne, drängte Rei gegen das kühle Holz der Tür, schob sein Knie zwischen seine Beine.

Durch einen Schleier aus Lust und Verlangen schaute Rei ihn an, bemerkte die halb geschlossenen Augen, die ihn fiebrig ansahen, die etwas geröteten Wangen, den leicht geöffneten Mund, den er so gerne küssen wollte, die zerzausten Haare, in die er seine Finger krallen wollte, die blasse und heisse Haut.

„Kai“, flüsterte er, als er dessen Hände spürte, wie sie erneut über seinen Oberkörper streichelten.

„Kai, ich weiß nicht, ob“, fing er etwas zögerlich an, doch Kai verschloss seinen Mund, indem er ihn küsste und Rei konnte nicht anders, als ihm nachzugeben. Er konnte sich schlicht nicht gegen ihn wehren. Er war ihm willenlos ergeben.

„Schalt einfach mal deinen Kopf aus“, raunte Kai gegen seine Lippen.

Rei seufzte und legte den Kopf erneut nach hinten, versuchte, an nichts zu denken. Doch irgendwie wollte ihm dies nun nicht gelingen. Etwas anderes war mit Kais Worten in seinem Kopf aufgetaucht, etwas, was sich nicht so einfach wieder abschütteln ließ.

„Warte Kai“, sagte er mit rauer Stimme und legte ihm einfach die Hand über den Mund, „warte. Hör auf.“

Kai schwieg und sah ihn an, mit den Armen zu beiden Seiten von Reis Kopf abgestützt, und Rei konnte nicht einmal erahnen, was in dessen Kopf vor sich ging, er war schlicht nicht zu durchschauen. Seufzend rieb er sich die Schläfe. Doch diese Gedanken ließen sich nicht mehr ausschalten. Da war etwas, das sich anfühlte wie Zweifel. Und Unsicherheit. Doch es kam so plötzlich und ohne Vorwarnung, dass er keine Ahnung hatte, was er damit anfangen sollte. Den Kopf ausschalten klang zwar gut, doch es löste den Knoten darin nicht. Das Chaos blieb. Und darüber nachzudenken, machte alles nur noch viel schlimmer. Selbst Kai, der ihn immer noch anblickte, war keine Hilfe. Es gab nur etwas, was er jetzt brauchte.

„Kai, es tut mir leid, aber ich kann nicht.“

Abstand.

Kai richtete sich gerade auf, doch er nahm seinen Blick nicht von ihm.

„Wirfst du mich jetzt raus?“, fragte er und seine Stimme war trocken und kontrolliert wie immer.

Rei stöhnte. Ganz kurz hatte er tatsächlich daran gedacht.

„Nein“, sagte er schließlich und biss sich auf die Unterlippe. Er hoffte schwer, dass dies keine falsche Entscheidung war. Doch er konnte ihn irgendwie einfach nicht rauswerfen. Ihn nicht.

Kai grinste schief, bückte sich und hob seinen Pulli hoch. Lässig warf er ihn über seine Schulter und verschwand in seinem Zimmer. Auch auf Reis Gesicht zeigte sich ein kleines, aber nicht ungequältes Lächeln. Kai war halt nicht der Typ, der mehr sagte als nötig. Kein Sorry, kein Danke. Er schnappte sich seinen Pulli vom Boden und ging ins Bad. Jetzt brauchte er eine ausgiebige Dusche.
 

Es brachte alles nichts. Die Tage schlichen sich dahin, an denen Rei keinen einzigen erlebte, an dem er sich nicht damit beschäftigte, an Kai zu denken oder daran, was er mit ihm angestellt hatte. Wie er ihn berührt hatte, wie er ihn geküsst hatte. Verärgert schüttelte er den Kopf und versuchte, sich auf sein Buch zu konzentrieren. Er hatte nämlich ein altes Buch, das er mal bekommen und gleich in eine Ecke geschmissen hatte, ausgegraben und angefangen zu lesen, um sich abzulenken. Zudem hatte er seinen Chef gebeten, ihn etwas vermehrt einzutragen und auch ins Training ging er öfter als zuvor. Doch nichts half. Während der Arbeit musste er an ihn denken, während des Trainings ebenfalls, während der Uni und zuhause sowieso und dass er soviel arbeitete, machte ihn nur müde und unfähiger, seine Gedanken zu zügeln.

„Argh!“, motzte er und klatschte das Buch neben sich auf die Bank, „das darf doch nicht wahr sein!“

Tief atmete er ein um sich zu beruhigen, und er roch, dass der Frühling deutlich in der Luft lag. Überall blühten die Wiesen und Bäume und es war ein wunderschöner milder Tag. Die Sonne schien ihm ins Gesicht und er schloss die Augen um die Wärme in sich aufsaugen zu können. Es tat so gut. Und es schien, als könne er seinen Kopf zum ersten Mal so richtig ausschalten und an nichts denken, einfach nur geniessen.

„Der Medicus?“, fragte plötzlich eine Stimme ganz nahe an seinem Ohr. Überrascht riss er die Augen auf und blickte zum Besitzer der Stimme, die er nur zu gut kannte.

„Was machst du hier?“, fragte er nicht gerade erfreut.

„Ich geniesse das Wetter“, antwortete Kai in seiner knappen Art.

„Und das musst du ausgerechnet hier tun, nicht wahr?“

Rei verschränkte die Arme und würdigte ihn keines Blickes, was diesen jedoch nur zu einem schiefen Lächeln verleitete.

„Warum nicht?“

„Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen, Kai, aber ich meide dich in letzter Zeit etwas.“

„Etwas ist etwas untertrieben“, schmunzelte Kai, „und doch, natürlich ist es mir aufgefallen und ich dachte, vielleicht haben deine Grübeleien zu was geführt.“

Reis genervte Gesichtszüge entgleisten und er ließ die Schultern hängen.

„Nein, haben sie nicht.“

Eine Weile sagte keiner der Beiden etwas. Rei starrte lediglich geradeaus auf den Boden und auch Kai blieb in seiner Position mit den Armen auf der Banklehne aufgestützt, doch er musterte Reis Gesicht, bis es zur nächsten Vorlesung klingelte. Niemand war mehr hier, doch sie beide machten keine Anstalten, aufzustehen und zu gehen.

„Du schweigst mich an“, stellte Kai fest.

Rei grinste unglücklich.

„Ganz schön kindisch, was?“

„Nur ein bisschen“, meinte Kai mit einem zuckenden Mundwinkel und drückte ihm einen Apfel in die Hand, „hier, für dich“, dann verschwand auch er ins Gebäude.

Rei betrachtete den Apfel, den er in seiner Hand drehte und er konnte nicht verhindern, dass sich ein sanftes Lächeln auf seine Lippen legte.
 

Als Rei an diesem Abend hundemüde nach Hause kam, lag Kai bereits auf dem Sofa und schaute fern. Erschöpft hockte er sich einfach vor Kais Beine und ließ sich zur Seite fallen, so dass er mit dem Rücken zu ihm auf dem Sofa lag. Überrascht, wie Kai war, wusste er nicht, was er tun sollte und blieb einfach regungslos liegen. Als sie das letzte Mal auf diesem Sofa saßen, hatte es in seinem Zimmer geendet, doch er wusste, dass es diesmal nicht so sein würde.

Rei schwieg. Er hatte nicht vor, irgendetwas zu sagen, geschweige denn zu tun. Er schaute sich lediglich diesen Film an, der gerade im Fernseher lief, obwohl er keine Ahnung hatte, was es eigentlich für einer war, und er wollte sich erholen. Doch es dauerte nicht lange und die Müdigkeit überfiel ihn. Die Wärme an seinem Rücken trug ebenfalls dazu bei, dass es nicht lange dauerte, bis seine Augen zu fielen. Kai lächelte leicht traurig, als sich Rei plötzlich zu ihm umdrehte und einen Arm um ihn schlang. Seufzend legte auch er einen Arm um ihn und zog ihn etwas näher zu sich.

Das Buch

Wie lange dauert es, um sich zu verlieben?

Wahrscheinlich nur einen einzigen Augenblick. Ein knapper Augenkontakt, eine winzige Berührung.
 

Rei betrachtete den Apfel in seiner Hand.
 

Was braucht es, um jemandem komplett zu verfallen?

Wahrscheinlich reicht eine kleine Aufmerksamkeit. Ein winziges Lächeln, eine unbedachte Geste.
 

Er hatte es noch nicht übers Herz gebracht ihn zu essen. Auch wenn er schon einige braune Dellen hatte und langsam schrumpelig wurde. Schließlich war Kai es, der ihm diesen Apfel in die Hand gedrückt hatte.
 

Wie viel Zeit wird benötigt, um sich so etwas einzugestehen?

Wahrscheinlich soviel, bis der Wille da ist es zu verstehen. Sofort, oder ein Leben lang.
 

Seine Hand verkrampfte sich um den runden Apfel. Sein Gesicht hatte angespannte Züge angenommen.
 

Wann genau hatte er sich eigentlich in ihn verliebt?

Wahrscheinlich gleich am Anfang. Als er vor seiner Tür stand um die Wohnung zu besichtigen. Oder sogar als er ihm seinen Stift gereicht hatte.
 

Schnaubend atmete er aus. Als ob er das so genau wüsste.
 

Wann genau war er ihm eigentlich verfallen?

Wahrscheinlich gleich nachdem er ihn in seine Wohnung geholt hatte. Oder vielleicht auch schon vorher, im Club oder gar bei der Wohnungsbesichtigung.
 

Er fuhr sich mit der Hand durch die schwarzen Haare. Es war zum verrückt werden. Er wusste rein gar nichts.
 

Und wann genau hatte er es sich eigentlich eingestanden?

Wahrscheinlich im Bad, kurz vor ihrem ersten Kuss. Oder bereits viel früher. Als er eigentlich noch gar nicht wusste, dass er ihm verfallen war. Ganz unterbewusst hatte er sich damit abgefunden.
 

Reis Blick wanderte nach draußen. Er saß am Esstisch, einige Bücher vor sich ausgebreitet und hatte versucht zu lernen. Doch seine Gedanken waren immer wieder abgeschweift.
 

Aber erst vor wenigen Tagen war er sich dessen auch wirklich bewusst geworden. Es hatte ihn eigentlich nicht wirklich überrascht. Bei Kai fühlte er sich wohl. Er fühlte sich frei in seinem Denken und Tun. Kai ließ ihm Zeit.

Ein kleines schiefes Lächeln verzog seine Lippen. Kai war nicht der Typ, der sich entschuldigte. Er war auch nicht der Typ, der sich für irgendetwas bedankte. Und er war nicht der Typ, der Fragen stellte. Rei mochte das. Er mochte es wirklich. Denn erst dadurch war dieses Gefühl von Freiheit entstanden.
 

Erschrocken drehte er sich um, als er die Eingangstür knallen hörte. Kai kam vollbepackt mit Tüten in die Küche, wahrscheinlich hatte er sie mit dem Fuß zugeschlagen. Er stellte die Tüten auf den Tresen und zog sich die Jacke aus.

„Bin wieder da“, murmelte er, während er wieder aus der Küche rausging, um die Jacke aufzuhängen.

„Das sehe ich“, lachte Rei, doch das Lachen verstummte sogleich wieder, denn eigentlich war ihm überhaupt nicht nach Lachen zumute. Stattdessen wurden seine Gesichtszüge ernst und er versuchte angestrengt, sich wieder auf seine Bücher zu konzentrieren.

„Wie kannst du hier nur lernen“, grummelte Kai beim Vorbeigehen.

Rei gab auf. Zumindest heute würde er es tatsächlich nicht mehr schaffen. Seufzend lehnte er sich zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf, um sich zu strecken.

„Wo soll ich denn bitte sonst lernen?“

Rei gab sich große Mühe, normal mit Kai umzugehen. Er wollte sich schließlich selbst auch wohl fühlen und wenn er ihn schneiden würde, machte er sich nur selbst einen Strich durch die Rechnung. Allerdings galt das nicht für den Augenkontakt. Da konnte er ihm einfach nicht mehr standhalten. Und er hielt schon beinahe pingelig einen Mindestabstand zu ihm, denn er wollte ihn auf keinen Fall berühren. Wer weiß, was das bei ihm ausgelöst hätte. Nicht unbedingt bei Kai, sondern bei Rei.

„In der Bibliothek“, antwortete Kai und reichte ihm zwei Tüten Milch für den Kühlschrank.

„Warum sollte ich in die Bibliothek gehen?“

„Alleine die Lernatmosphäre regt zum Lernen an“, meinte Kai schulterzuckend.

„Hm, vielleicht versuch ich das tatsächlich mal“, überlegte Rei laut und betrachtete in Gedanken versunken die Salatgurke, was Kai mit einer hochgezogenen Augenbraue bemerkte.

Während sie die Lebensmittel, die Kai gekauft hatte, versorgten, sagten sie mal wieder kein Wort. Eigentlich war es schon seltsam. Es war nicht so, dass sie sich irgendetwas zu sagen hätten, aber sie waren auch nicht beleidigt deswegen oder hätten sich ausgeschlossen gefühlt. Eigentlich war doch alles in Ordnung so. Und doch war da jedes mal ein Ziehen im Bauch, wenn sie sich sahen.

Sie kochten still und assen ebenso wortlos vor dem Fernseher.

„Ach ja, danke noch“, sagte Rei plötzlich aus heiterem Himmel.

Kai stoppte die Gabel auf halbem Weg zu seinem Mund mitten in der Luft und schaute ihn fragend an.

„Na, du hast mich doch vor einigen Tagen ins Bett getragen, als ich da eingeschlafen bin. Danke dafür“, erklärte Rei und lächelte ihn an.

Kai ließ die Gabel sinken und nickte stumm.

„Keine Ursache.“

Schnell schob sich Rei seine eigene Gabel in den Mund und konzentrierte sich wieder auf den Film. Dass er da eingeschlafen war, hatte er keinesfalls gewollt. Doch es war eigentlich ganz schön gewesen, wenn er es sich eingestand. Er bemerkte nicht, wie Kai ihn noch immer ansah, zu sehr war er mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt.

Sie drehten sich um Kai und irgendwie auch nicht. Er konnte es nicht so genau sagen, zu verwirrend und zu chaotisch waren seine Gedankengänge. Und egal, wie viel und lange er nachdachte, er kam nie zu einem aussagekräftigen Schluss. Doch noch schlimmer war, dass es nicht gelingen wollte, an etwas anderes zu denken. Es war ihm ein monolithisches Rätsel, warum er es nicht schaffte, seine Gedanken von ihm loszureissen, denn wann auch immer und so oft er es auch versuchte, sie kamen jedes Mal mit voller Wucht zu ihm zurückgeschossen, als hingen sie an einem Gummiseil. Es war einfach nur zum Durchdrehen.

Kopfschüttelnd erhob er sich vom Sofa. Sein Kopf schmerzte vom vielen Denken und das Chaos war trotz allem noch da. Vielleicht würde es ein wenig Musik schaffen, ihn abzulenken.

Mit einem leisen „gute Nacht“, stellte er seinen Teller in den Geschirrspüler, um dann mit hängenden Schultern in seinem Zimmer zu verschwinden, um auf dem Bett zu liegen und zu beruhigenden Klängen gedankenverloren die Decke anzustarren.
 

Es brauchte viel Zeit, bis Rei die Tatsache akzeptieren konnte, dass er sich in einen Mann verliebt hatte. Es sich einzugestehen war das eine, es selbst akzeptieren zu können, eine vollkommen andere, wie er selbst bemerkte. Mittlerweile war es bereits Ende Mai, die heisse Phase, was das Lernen und Vorbereiten für die Abschlussprüfungen betraf und Rei hatte sich überreden lassen, mit Kai in die Bibliothek der Universität zu gehen, um von deren Lernatmosphäre zu profitieren, wie Kai dem so schön sagte. Doch nun saß er da an seinem Platz an einem großen Tisch, den er mit anderen teilte und starrte auf den leeren Platz ihm gegenüber. Kai war irgendwann zwischen den Regalen verschwunden, um nach einem Buch zu suchen und seither nicht mehr aufgetaucht. Seine Stifte lagen fein säuberlich neben dem geordneten Stapel Zusammenfassungen, ein Ausdruck seiner Ordnungsliebe, wie Rei wusste. Eigentlich war es schon komisch. Er wusste so viel über seinen Mitbewohner, kannte seine Macken, seine Attitüden, seine Launen, mittlerweile war er sogar mehr oder weniger in der Lage, ihn auch ohne Worte zu verstehen. Und war es nicht auch umgekehrt genauso? Er brauchte nichts mehr zu sagen, Kai wusste sofort, wenn er ihm zu nahe kam.

Während Rei über ihr wortloses Verständnis grübelte, nistete sich in seinem Hinterkopf ein Gedanke ein. Eigentlich hatte er nicht mehr daran denken wollen und deswegen den Gedanken verdrängt, was ihm auch vorzüglich gelang, doch über den Verdacht hinaus, dass Kai vielleicht nur mit ihm hatte spielen und ihn necken wollen, breitete sich dieser eine Gedanke immer weiter aus.

Damals, als Kai ihn gegen die Tür gedrückt und ihn geküsst hatte, da blockte Rei einfach so plötzlich ab, nachdem sie sich schon beinahe im Rausch ihrer Lust verloren hatten. Selbst für ihn war es unerwartet gekommen. Für Kai musste es wahnsinnig schwierig gewesen sein, seine Haltung zu wahren, immerhin war er doch so erregt gewesen und Rei anfangs nicht abgeneigt.

Rei biss sich auf die Unterlippe. Er wusste aus eigener Erfahrung, wie schwer es für einen Mann war, einfach mittendrin abzubrechen, geschweige dann ganz aufzuhören. Und Kai, Kai hatte dies kommentarlos hingenommen.

Abrupt stand er auf, was ihm von den ruhig lernenden Studenten einen bösen Blick einbrachte. Er musste etwas wissen. Diese eine Sache könnte alles verändern. Mit lautlosen Converse-Schritten tappte er durch die deckenhohen Regale. Wo auch immer Kai war, er musste ihn finden. Doch die Bibliothek war so groß, dass sich dies einfacher anhörte, als es tatsächlich war. Hie und da versuchte er durch eines der Regale hindurch einen Blick auf die andere Seite zu erhaschen, doch meistens waren die Regale dermaßen zugestellt, dass sich dies als unmögliches Unterfangen herausstellte. Immer weiter nach hinten führte ihn seine Suche, dahin, wo das Tageslicht nicht mehr hinzukam und nur die gelblichen Lampen die Bücher in ein schummriges Licht tauchten. Und genau da wurde er fündig. Mit zögerlichen Schritten ging er auf Kai zu, der am anderen Ende des Ganges stand und seinen Kopf in ein alt ausschauendes Buch gesteckt hatte.

„Kai?“, flüsterte er leise, woraufhin dessen Kopf hochschreckte und er ihn fragend ansah. Durch diesen Blick etwas ermutigt, wurden seine Schritte zielsicherer und er trat neben Kai.

„Was liest du da?“, fragte er scheinheilig und blickte mit zusammengekniffenen Augen auf die aufgeschlagene Seite, um die kleinen Buchstaben entziffern zu können. Doch ehe er etwas erkannte, schlug Kai das Buch zu.

„Rei, was willst du?“

Rei fühlte sich ertappt. Gerade vorhin hatte er noch darüber nachgedacht, dass Kai ihn ohne Worte verstehen konnte, wieso hatte er also das Gefühl gehabt, ihn täuschen und um den heißen Brei rumreden zu können? Er schüttelte leicht den Kopf ob seiner Dummheit.

„Ich wollte dich was fragen“, fing Rei langsam an und aus irgendeinem Grund war er sich nun doch nicht mehr so sicher, ob er es wirklich wissen wollte. Sein Magen zog sich fast schmerzhaft zusammen.

„Dann frag“, bohrte Kai und blickte ihn mit einer hochgezogenen Augenbraue an. Wenn Rei weiter so langsam sprach, würde ihm noch der Geduldsfaden reißen, der ohnehin viel zu überspannt war, seit er ihm aus dem Weg ging und so tat, als ob nichts geschehen wäre. Doch als er den Chinesen zusammenzucken sah, überkam ihn ein ungutes Gefühl. Offensichtlich schien es ihm nicht leicht zu fallen, darüber zu sprechen. Tief atmete er ein.

„Kai, ich muss wissen“, fing Rei dann zaghaft an, er wusste einfach nicht, wie er es formulieren sollte, viel zu überstürzt war ihm dieser Gedanke gekommen und er hatte sich nicht die Zeit genommen, sich etwas zurechtzulegen. Er biss sich auf die Unterlippe, überdachte nochmal kurz, ob er es wirklich tun wollte. „Ich muss wissen“, wiederholte er und trat einen Schritt näher zu Kai, griff nach dem Buch, das Kai noch immer hielt und zog es ihm langsam aus der Hand. „Was empfindest du?“, fragte Rei schließlich und blickte ihn schüchtern, aber erwartungsvoll an, „für mich?“

Kai seufzte. Er hatte geahnt, dass diese Frage irgendwann kommen würde und doch war er alles andere als vorbereitet darauf.

„Warum willst du das jetzt wissen?“, fragte er und seine Augen verengten sich, während er die Augenbrauen tief hinunterzog. Doch er wich nicht zurück. Rei seufzte und legte das Buch auf das Regal neben ihm.

„Ist es Freundschaft?“, begann er sich langsam in das verbotene Gebiet vorzutasten und ließ Kai nicht aus den Augen, dessen Blick jedoch in eine andere Richtung gerichtet war, als wolle er ihm ausweichen. Er mochte solche Konversationen nicht.

„Zuneigung?“, bohrte Rei jedoch weiter und kam einen weiteren Schritt auf ihn zu. Er hatte einen Entschluss gefasst. Sollte Kai tatsächlich etwas für ihn empfinden, dann möchte er es versuchen. Wie auch immer das aussah. Aber er wollte seinem Herzen lauschen und sich einmal von ihm führen lassen. Er biss sich auf die Unterlippe und hob eine Hand, mit deren Finger er leicht Kais Wange berührte.

„Oder ist da noch mehr?“, flüsterte Rei leise, doch er war ihm mittlerweile so nah, dass Kai es ohne Schwierigkeiten hören konnte. Seine Brust war wie zugeschnürt. Er hatte doch selbst nie wirklich darüber nachgedacht, doch jetzt, wo Rei es so aussprach, wurde ihm bewusst, dass es tatsächlich so sein könnte. Etwas überrascht über diese spontane Eingebung, blickte er Rei direkt in die Augen. Dessen Bernsteine glitzerten ihn an mit einer Mischung aus Unsicherheit, Geduld und zaghafter Sehnsucht. Er hob die Hände und legte eine auf Reis, zog sie langsam herunter. Mit der anderen Hand strich er ihm eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht. Er hatte keine Ahnung, was er hätte sagen sollen. In seinem Kopf herrschte gähnende Leere, alles war wie weggefegt. Da waren einfach nur noch diese Augen, die ihn noch immer abwartend anschauten. Zaghaft streichelte er mit seinen Fingern über Reis Kiefer, über den Hals und er konnte spüren, wie Rei unter dieser sanften Berührung zerfloss wie Honig. Ein Ziehen in seinem Bauch ließ ihn beinahe den Atem stocken und er konnte sich einfach selbst nicht mehr daran hindern, seine Hand in Reis Nacken zu legen und ihn etwas nach vorne zu ziehen, die letzten wenigen Zentimeter zu überbrücken.

„Was auch immer es ist, was du mit mir angestellt hast“, raunte er gegen seine Lippen.

Rei erschauderte, als er Kais Nähe und seinen heißen Atem auf seinen Lippen spürte, und es ließ ihn den Atem stocken, und er griff nach Kais Handgelenk und seinem Hemd, um sich daran festzuklammern, denn seine Knie waren so weich, dass er mit Sicherheit eingeknickt wäre.

„Brauchst du noch mehr zu wissen?“, flüsterte Kai und blickte ihm direkt in die Augen, ohne auch nur einen Millimeter zurück zu weichen, und Rei hatte das Gefühl, nichts anderes mehr in seinem Leben zu brauchen als in diese glühend roten Tiefen zu blicken. Er versuchte, wenigstens seine Atmung in den Griff zu bekommen, wenn schon sein Herz außer Kontrolle wild gegen seinen Brustkorb schlug, doch es gelang ihm nicht. Sein Atem ging keuchend und schnell.

„Nein“, hauchte er mit bebenden Lippen und seine Hand bekam ihn am Hinterkopf zu fassen, er krallte sich in die dunklen Haare und zog näher zu sich, berührte kurz Kais Lippen mit seinen und er fühlte sich, als würde er gleich implodieren. Sein Bauch spielte verrückt und seine Haut kribbelte überall und kalte wurden von heißen Schauern abgelöst, als Kai ihn leicht und sehnsüchtig zurück küsste. Zu lange hatte er darauf warten müssen, als dass er sich diese Gelegenheit entgehen lassen würde. Er schlang einen Arm um Reis Taille und zog ihn besitzergreifend an sich, drückte diesen begehrenswerten Körper an sich. Rei schlang seinerseits die Arme um ihn, presste sich an ihn, küsste ihn verlangend, gierig, zog kurz mit den Zähnen an Kais Unterlippe und als ihre Zungen sich endlich berührten, seufzten sie beide leise in den Kuss.

Rei hatte eigentlich schon lange nicht mehr genügend Luft. Doch er konnte und wollte nicht von diesen Lippen ablassen und hin und wieder schaffte er es, kurz nach Luft zu schnappen, während Kai an seiner Lippe leckte oder sich seinen Hals entlang küsste. Kais Hände brannten heiß unter seinem T-Shirt und hinterliessen fiebrig kribbelnde Spuren, überall da, wo er ihn berührt hatte. In seinem Kopf war nur noch Nebel. Er konnte keinen anständigen Gedanken mehr fassen, da war nur noch Kai. Kai und seine Nähe, seine Hitze, seine Berührungen, sein Duft, seine leicht heisere Stimme, das kratzige Häutchen an der Unterlippe. Überrascht keuchte er auf, als er eine Hand zwischen seinen Beinen spürte, die langsam über die Beule strich und ihm wurde kurz schwindelig, sodass er sich am Regal festhalten musste, um nicht einfach einzusacken.

„Hm, da scheint es jemandem aber zu gefallen“, raunte Kai mit heiserer Stimme in sein Ohr und er konnte deutlich das Grinsen heraushören. Die Röte stieg ihm noch zusätzlich in die erhitzten Wangen und mit Entzücken stellte Kai fest, dass Rei sich nicht dagegen sträubte.

Angespornt von den unterdrückten Lauten, die Rei von sich gab, öffnete er dessen Hose und er strich mit etwas Druck über das pochende Fleisch. Rei keuchte auf. Er schien nicht wirklich mehr viel Kontrolle über sich zu haben. Kai grinste und ließ sich auf die Knie sinken, wo er sich Reis Männlichkeit entlangküsste und ihn dann langsam in den Mund nahm.

Überwältigt von Kais heißem Mund, stöhnte Rei ungehalten auf. Und plötzlich war er wieder da. Er riss die Augen auf, als er bemerkte, wo sie hier waren und wie laut er eben gewesen sein musste. Schockiert klatschte er sich eine Hand vor den Mund, mit der anderen schob er Kai von sich weg.

„Was tust du da?“, fragte er flüsternd und halb erstickt. „Das geht doch hier nicht!“

Kai schaute ihn grinsend an, als er sich erhoben hatte, und wischte sich über den Mund.

„Stimmt, du wärst wohl zu laut und würdest die Studierenden am lernen hindern“, entgegnete Kai amüsiert.

„Das meine ich doch nicht!“, keifte Rei, konnte aber nicht verhindern, dass sich seine Wangen rötlich verfärbten. „Und ich bin nicht laut!“, hängte er an, als er seine Hose geschlossen hatte und boxte Kai in den Oberarm. Doch der schaute ihn lediglich mit einer hochgezogenen Augenbraue an.

„Was wolltest du damit eigentlich bezwecken?“, bohrte Rei nach.

„Ach, ich wollte bloß dein Las Vegas etwas ausbreiten“, grinste Kai und ging voraus, wo er sich an seinen Platz setzte. Rei war stehen geblieben, als er den Sinn hinter diesen Worten erkannte und lief dunkelrot an, beim Gedanken an das Geschehene.

„Idiot“, flüsterte er, als er sich ihm gegenüber hinsetzte und konnte nicht umhin, dass es doch irgendwie liebevoll klang.

Das Glas

Unweigerlich stahl sich ein kleines Lächeln auf Kais Lippen. Er war gerade erst nach Hause gekommen. Es war schon seltsam, aber die kleine Wohnung, die er mit Rei teilte, war im letzten halben Jahr tatsächlich sein Zuhause geworden, etwas was für ihn eigentlich unüblich war, stets unterwegs, ungebunden, unabhängig. Und nun stand er hier auf dem kleinen Balkon, mit dem schmiedeeisernen Tisch und zwei passenden Stühlen, von dem aus er über die hellroten Ziegeldächer blicken konnte, und fühlte sich daheim. Der Nomade ist sesshaft geworden. Nicht zuletzt hatte er dies Rei zu verdanken. Seinem Rei.

Mit zuckendem Mundwinkel ließ er die Finger über Reis Buch gleiten, das aufgeschlagen auf dem kleinen Tisch lag, ein warmer Luftzug blätterte einige Seiten um. Mit einer behutsamen Bewegung schloss er es und blickte dann in die Ferne. Er vermisste seine Heimat nicht. Für ihn gab es keinen Grund mehr, dahin zurück zu kehren. Vor allem nicht jetzt, wo er Rei gefunden hatte. Er wusste, dass es etwas naiv klang, schließlich musste er in Betracht ziehen, dass ihre Beziehung nicht für die Ewigkeit gedacht war. Was war schon für die Ewigkeit, dachte er und ließ die Hand über das Geländer gleiten, während der Abendwind ihm einige Haarsträhnen ins Gesicht wehte. Und doch, wie lange die Beziehung mit Rei auch halten würde, diese Zeit ließ er sich nicht nehmen. Diese Zeit würde er genießen und auskosten.

Kais Blick wanderte in den Himmel, wo das helle Blau ihn blendete und er die Augen schloss. Die Sonne streichelte zärtlich über sein Gesicht und wärmte seine Haut. Sie hatten sie viel zu wenig gesehen in den letzten Monaten, zu oft waren sie in der Bibliothek um zu lernen und zu häufig hatten sie sich in ihrer Wohnung verschanzt, um ihre Zweisamkeit zu genießen. Er musste an die Zeit kurz vor den Prüfungen denken und schmunzelte. Stress ließ sich einfach nicht schöner abbauen.

Er grinste und betrat schließlich wieder das Wohnzimmer, ging weiter in die Küche, wo er sich ein Glas aus dem Hängeschrank nahm und es mit eiskaltem Wasser füllte. Gierig trank er einige Schlucke. Eigentlich wollte er ja duschen, das Krafttraining war bei dieser Hitze, die momentan herrschte, schon anstrengend genug gewesen, doch dann wurde seine Aufmerksamkeit auf ein knallorangenes Post-It gelenkt, das an der Kühlschranktür klebte.

’Bin noch kurz einkaufen!’ stand in übergrosser, doch Reis typisch schlanker Schrift darauf. Kai knüllte das Post-It zusammen und warf es in dem Mülleimer. Er war froh, dass Rei sich noch immer so verhielt wie am Anfang. Natürlich nicht mehr abweisend, worüber er glücklich war, aber es war nicht so, dass Rei zu einem verliebten Trottel mutiert wäre, der ihn mit fiepender Stimme bemutterte und ihm hier und da Küsschen und Herzchen hinschrieb. Und darüber war er unglaublich erleichtert. Nicht, dass er ihn so eingeschätzt hätte, aber die Beziehung, die sie führten, war so normal und natürlich, dass es schien, als wäre es schon immer so gewesen. Außerdem hasste er Herzchen.

Es störte ihn auch nicht, dass Rei ihre Beziehung in der Öffentlichkeit nicht zu sehr zeigen wollte, vielleicht würde das irgendwann einmal so sein, aber er war sowieso nicht der Typ, der etwas so Persönliches zur Schau stellen musste. Er genoss lieber im Stillen. Und er begnügte sich damit, dass sie sich hier in der Wohnung ausleben und austoben konnten, hier in ihrem eigenen kleinen persönlichen Las Vegas.
 

Kai schreckte aus seinen Gedanken auf, als er ein dumpfes Geräusch an der Wohnungstür hörte. Sich darüber wundernd und beinahe schon über unachtsame Nachbarn nerven wollend, ging er darauf zu, da flog sie ihm beinahe entgegen, als Rei sie mit einem ausladenden Hüftschwung aufstiess. Mit je einer Tüte in der Hand trat er ein. Da erblickte er Kai, der etwas perplex im Eingang stand.

„Oh, hey!“, sagte er überrascht lächelnd und versuchte irgendwie, die Türe mit dem Fuß zuzuschieben, ohne dass es knallte.

„Hey“, entgegnete Kai. Ohne ein weiteres Wort langte er an Rei vorbei und schloss die Tür, wofür dieser dankend nickte und seine Flip-Flops in eine Ecke kickte.

Kai schluckte. Rei hatte seine Jeansshorts angezogen, die über dem Knie bereits endeten und die ihm seiner Meinung nach so unglaublich gut stand. Sie betonte seinen Hintern äußerst vorteilhaft. Kai konnte seinen Blick beinahe nicht mehr davon losreißen. Musste er dann aber wohl oder übel, als Rei sich zu ihm umdrehte.

„Ich hab ganz vergessen, dass ich heute ja eigentlich dieses eine Essen machen wollte, weißt du welches? Das mit de-“, doch weiter kam er nicht. Kai war plötzlich vor ihm und drückte ihm seinen Mund auf. Seine Augen weiteten sich einen Moment überrascht, doch dann erwiderte er den Kuss nur zu gerne. Wie sehr hatte er sich daran gewöhnt. Kai zu küssen fiel ihm so leicht und es war einfach nur atemberaubend und jedes Mal fing sein Körper an, wirklich überall wie wild zu prickeln und zu kribbeln. Er seufzte, als Kai ihm mit den Händen unter das locker liegende weiße Shirt fuhr, ihm langsam über den Rücken strich.

„Kai, ich bin ganz verschwitzt“, protestierte er halbherzig.

„Als ob mich das stören würde. Ich komme direkt vom Training“, raunte Kai gegen Reis Halsbeuge und leckte über diese eine empfindliche Stelle unter dem Ohr, die ihn schmelzen ließ.

„Haah“, war das einzige, das Rei dazu noch sagen konnte. Wie sehr war er diesem Mann doch verfallen. Und wann immer Kai vom Training kam, waren seine Muskeln etwas angeschwollen, er war erhitzt und erregt und dann nahm er sich einfach, was er wollte und diese unverschämte Dreistigkeit war genau das, was Rei so schwach werden ließ. Erobert werden, das fühlte sich manchmal einfach nur gut an, genauso gut, aber komplett anders, als wenn er ihn mal dominierte. Und doch wollte er die beiden Tüten, die er immer noch hielt, in die Küche bringen.

Er machte einen Schritt auf Kai zu, welcher ihn sofort packte und an sich presste und ihn leicht hoch hob, so dass seine Füße knapp über dem Boden baumelten. Vorsichtig trug Kai ihn so zum Küchentresen, den Kopf nach oben zu Rei gestreckt und ihn nahezu ununterbrochen küssend. Vor dem Tresen ließ er ihn langsam zu Boden gleiten und Rei konnte schon jetzt nur zu deutlich spüren, was mit Kai geschah. Als er den Kuss abbrach und die Augen öffnete, blickte er direkt in seine verschleierten Augen.

Rei drehte sich, um die Tüten auf den Tresen zu stellen. Doch kaum hatten sie die Platte berührt, spürte er Kais Hände an seinen Hüften. Ruckartig zogen sie ihn nach hinten und Rei musste sich abstützen, um nicht unkontrolliert nach hinten zu fallen. Keuchend sog er die Luft ein, als er Kais Körper spürte, der sich an ihn presste, die Hände, die verlangend unter seine Kleider glitten. Unterdrückt stöhnte er auf, als Kais eine Hand den Weg unter seine Boxershorts fand.

„Oh Rei“, raunte Kai, das Gesicht in Reis Haare vergraben.

Kai wollte ihn. Jetzt gleich. Oder er würde durchdrehen. Den ganzen Tag schon hatten seine Gedanken verrückt gespielt und ihm immer wieder Bilder und Fantasien in den Kopf projiziert und er hatte sich im Training etwas verausgabt, nur um sich im Griff haben zu können. Doch jetzt, wo Rei vor ihm stand, noch dazu diese kurze Jeansshorts trug, und einfach nur sexy aussah, da wollte er sich nicht mehr zusammenreißen müssen. Jetzt nicht mehr, wo er doch endlich haben konnte, was er begehrte.

Er spürte, wie Reis Körper unter ihm bebte und er unbewusst seinen Hintern an seiner Lende rieb. Ihm wurde heiß. Er war so süchtig nach ihm. Beherrscht drehte er Rei wieder um, der ihn mit vor Lust verhangenem Blick ansah, die Wangen gerötet, der Mund einen Spalt breit geöffnet. Kai küsste ihn. Er konnte gar nicht anders, er fühlte sich wie ein Stück Metall, das willenlos von einem riesigen Magnet angezogen wurde, und dieser Magnet war Rei. Fast schon grob packte er ihn und drückte ihn gegen den Küchentresen. Rei schlang seine Arme um Kais Kopf und Nacken und zog ihn tiefer in den berauschenden, stürmischen Kuss, in dem beide versuchten, die Oberhand zu gewinnen, bis Kai abbrach und sich an seinem Hals zu schaffen machte.

Rei ließ seine Hände über Kais Schultern und Arme gleiten, fühlte die Muskeln unter seinen Fingern, das heiße Fleisch. Mit leichtem Druck fuhr er mit den offenen Handflächen über die muskulöse Brust, den Seiten entlang, hinunter zum Saum von Kais Shirt. Mit einer fließenden Bewegung zog er ihm das Kleidungsstück über den Kopf und ließ es zu Boden gleiten. Er wollte diesen Körper ohne hinderlichen Stoff berühren.

Er seufzte, als er Kais geschickte Finger den Knopf und Reissverschluss seiner Shorts öffnen, die Hände gierig darunter schieben und seine Pobacken fest umschliessen spürte. Mit einem Ruck hob er ihn auf den Küchentresen und drängte sich zwischen seine Beine, lehnte sich nach vorne, um Rei zu küssen, stützte sich dabei selber auf der Platte ab. Rei krallte die Hände in Kais Haare und genoss Kais verlangende Liebkosungen, die er langsam nach unten fortsetzte, den Hals runter, das Schlüsselbein entlang, zu den empfindlichen Brustwarzen, über den Bauch. Mit verschleierten Augen beobachtete Rei, wie Kai sich an seiner Hose zu schaffen machte, sich erwartungsvoll über die Lippen leckte, um sich dann mit geöffnetem Mund über seine Lende zu beugen.

Der Versuch, ein Stöhnen zu unterdrücken, misslang kläglich und er riss eine Hand zum Mund, um ihn zu verschliessen, merkte dann aber, dass er sie wohl brauchte, um sich irgendwo festhalten zu können und so streckte er sie neben sich aus, um sich auf dem Tresen abzustützen. Dabei stieß er aus Versehen an das Wasserglas, das Kai zuvor dort abgestellt hatte. Es schwankte gefährlich, bis es schliesslich umkippte und auf den Rand zurollte, wo es hinunter fiel und auf dem Boden aufschlug, wo es zersplitterte.

Kai hatte dies mitbekommen und konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Es war so typisch für Rei, andauernd gingen in seiner Nähe Gläser kaputt. Es hätte ihn nicht weiter gestört, doch Angesicht der Tatsache , dass sie beide barfuss waren, schlang er seine Arme um Reis Taille und zog ihn an sich, so dass dieser seine Beine um ihn schloss und sich an ihm festhielt.

Mit genau gesetzten Schritten trug er ihn aus der Küche und schritt in die Richtung seines Zimmers. Dort hatte alles angefangen. Das Glas damals war zwar nicht kaputt gegangen, aber ebenfalls auf dem Boden gelandet. Witzig, wie das Leben manchmal spielte. Und hieß es nicht, dass Scherben Glück bringen sollten? Wenn dem wirklich so war, dann würden sie wohl noch lange, lange Zeit zusammen bleiben.

Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen und Rei in den Armen schloss er die Tür zu seinem Zimmer, zu ihrem ursprünglichen Las Vegas.

Und zurück blieb einzig ein kaputtes Glas.



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Kommentare zu dieser Fanfic (39)
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Von: abgemeldet
2012-01-02T00:04:09+00:00 02.01.2012 01:04
So, dann wollen wir auch mal den Epilog lesen, damit wir diese FF abschließen können ^^
Ich bin gerade etwas überrascht, dass er sp abrupt kommt, aber gut ^^~

Ich mag den Teil, wo Kai sich bewusst macht, dass die Beziehung zwar wundervoll, aber nichts für die Ewigkeit ist. Das ist realistisch.

>hier in ihrem eigenen kleinen persönlichen Las Vegas.
Liebe an diesen Satz <3

hrr, dieser Teil mit dem erobert werden ist einfach nur total heiß beschrieben, wenn das so weiter geht, werd ich hier noch wuschig xD
Was mir jetzt nur nicht gefällt ist, dass du Rei irgendwie, vielleicht auch unbewusst, hier wieder in die leicht weibliche Rolle drängst - ich meine Kai trägt ihn durch die Gegend. Sowas mag ich nicht, es sei denn, der Körperliche Unterschied ist wirklich sehr krass ...

Ansonsten kann ich nur sagen, dass es ein wundervoller Abschluss für diese, zwar recht einfache, aber angenehm zu lesende FF ist ^^
Von:  whitePhobia
2011-12-13T21:50:23+00:00 13.12.2011 22:50
Schön das am Ende noch einmal ein Glas zerbrochen ist. Ich hatte schon fast sehnsüchtig darauf gewartet. Eigentlich schade, dass es schon zu Ende ist. Sehr schöne Geschicht mit einem netten Abschluss.
Von:  tenshi_90
2011-12-04T22:01:01+00:00 04.12.2011 23:01
Das war so eine tolle FF! :)

Schade, dass es schon alles war.. aber es war echt klasse :) Und die Gläser ziehen sich wie ein roter Faden durch die Story :)

Die beiden sind so süß zueinander :)

LG
Von:  SkyAngel
2011-12-04T21:43:44+00:00 04.12.2011 22:43
<333
Von:  blackangel_tsukuyomi
2011-12-04T17:48:07+00:00 04.12.2011 18:48
Und schon ist es vorbei.
Die FF ist so schön.
Ist wirklich schade,dass sie schon vorbei ist,aber du hast ja noch andere FFs um die du dich kümmern musst.
Und ich werde zusehen,dass ich zu deinen anderen FFs komme,sobald die Zeit da ist.
Bin schon gespannt was du wieder in Planung hast.
Bis zur nächsten FF.
LG
Von:  Jackie20
2011-12-04T15:36:38+00:00 04.12.2011 16:36
eine tolle ff
sehr schön geschrieben
finde es zwar schade das sie schon zuende ist
und ich freu mich schon wahrnsinig auf
deine neuen ffs
bai
Von: abgemeldet
2011-12-04T15:26:42+00:00 04.12.2011 16:26
Hey!

Ich fand deine Ff ganz toll. Der rote Faden mit den Gläsern war ein wunderbares Detail, das zwar immer wieder auftauchte, aber dabei eher subtil blieb. Gibt auch andere Storys, wo dem Leser solche Dinge quasi direkt ins Gesicht geschlagen werden, mit einem großen roten Ausrufezeichen "Achtung! Das muss bemerkt werden, weil das zu diesem und jenem führt!"
Deine Ff war für mich auch immer in kleiner Lichtblick in meinen stressigsten Wochen, die im August mit dem Praktikum anfingen. Hab mich immer wieder gefreut ein neues Kapitel zu sehen und zu lesen. :)

LG Kairelle
Von:  Minerva_Noctua
2011-12-04T13:06:56+00:00 04.12.2011 14:06
Schöne FF^^!
Wirklich toll geschrieben und wunderbar bildhaft. Ich kann mir alles ganz genau vorstellen:)
Natürlich finde ich es schade, dass es schon vorbei ist und ein Adult-Kapitel wäre nett gewesen;)
Was mir vor allem noch gefallen hätte, wäre noch ein Kapitel gewesen, dass quasi zwischen den Ereignissen vom letzten Kap und dem Epilog spielt. Es fehlt ein wenig etwas. Es war ein schöner Abschluss, aber auch etwas zu schnell.
Ich hoffe, du schreibst noch weiter so schöne FFs.
Ich habe Schachmatt mit dem Himmel schon gelesen, dazu schreib ich dir dann auch bei Gelegenheit ein Kommi^^.

Liebe Grüße,

Minerva
Von: abgemeldet
2011-12-02T21:10:52+00:00 02.12.2011 22:10
Die Einleitung gefällt mir. Besonders süß und subtil finde ich das mit dem Apfel.

>Sollte Kai tatsächlich etwas für ihn empfinden, dann möchte er es versuchen.
Das ist ein klein wenig unbeholfen ausgedrückt. Ich würde eher schreiben: Dann wollte er es versuchen.

Lol, das mit dem Las Vegas am Schluss find ich witzig >D
So, jetz is mein Kommi leider etwas kürzer, als die anderen, aber ich fand das Kapitel trotzdem spitze ^^

Bis demnächst.
Von: abgemeldet
2011-12-02T20:59:52+00:00 02.12.2011 21:59
Ich finde es gut, dass sie das ohne Alkohol getan haben - so hat man keine Ausrede, nichts worauf man es schieben kann |D
Rei nimmt den Kaffee mit ins Bad? lol XD

Ich finde es gut, das du Rei so offen zu Kai sein lasst und ihn nicht so ein verkrampftes, kleines pü sein lässt.
Anfangs hatte ich ja, wie du weißt, die leise Befürchtung, aber du hast mich mal wieder vom Gegenteil überzeugt =)
Außerdem bist du mal die erste, die darauf eingeht, dass Analsex verdammt nochmal da erste Mal genauso wehtut, wie "normaler" Sex. Und zwar ziemlich. Der Hintern ist ja nicht von Natur aus dafür gemacht, das weibliche Organ ja schon ...

Ich finde, das war ein sehr schönes Kapitel. Ich mag die Art, wie die beiden miteinander umgehen, bzw, wie du das beschreibst. Es ist weder kitschig, noch trocken, du hast wirklich die goldene Mitte getroffen.


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