Lautlose Worte von life_is_melody ================================================================================ Kapitel 1: Gebärdensprache -------------------------- Schwerfällig ließ sich Jakob auf den harten Boden sinken. Mit dem Rücken lehnte er sich sofort an die kratzige Rinde des Baumes. Endlich Ruhe. Endlich allein. Endlich abschalten. Niemals hätte der junge Student gedacht, dass das Studium für ihn so hart werden würde. Natürlich hatte er von Anfang an gewusst, dass er dank seines kleinen Handicaps, wie viele Menschen es immer nannten, mehr Probleme als seine Kommilitonen haben würde, dass vieles für ihn schwerer sein würde, dass er sich doppelt und dreifach so sehr anstrengen musste. Dennoch hätte er nie damit gerechnet, dass es tatsächlich manchmal so schlimm für ihn sein könnte. Auch heute war wieder einer dieser Tage gewesen an denen Jakob besser zu Hause geblieben wäre. Gruppenarbeit. Wie sehr er das doch hasste. Es war nicht so, dass er nicht gerne mit seinen Kommilitonen zusammenarbeitete. Eher war es genau umgekehrt, seine Mitstudenten mieden ihn. Bis zu einem gewissen Grad konnte Jakob das auch verstehen, bis zu einem gewissen Grad nahm er es ihnen auch nicht übel. Dennoch verzieh und verstand er es nicht, warum ihn alle behandelten, als wäre er anders. Er war anders, aber nicht viel, nicht gravierend. Zumindest sah Jakob das so. Er war nach wie vor ein normaler Mensch und vor allem: er war doch nur stumm. Jakob verstand nicht ganz, wieso einige seiner Kommilitonen tatsächlich zu glauben schienen, dass er auch taub war. Wieso sonst sollten sie über ihn lästern, während er nur wenige Meter neben ihnen stand? Oder waren sie einfach nur dumm? Jakob seufzte und lehnte den Kopf zurück, schloss seine Augen. Er dachte an diese Arbeit bei Kelsch, die ihm nun bevor stand. Eigentlich hatte er vor gehabt diesen Kelsch nach der Vorlesung aufzusuchen, hatte sogar schon einen Brief geschrieben, den er dem Professor überreichen wollte. Sachlich, neutral und seiner Meinung nach überzeugend hatte Jakob in diesem beschrieben warum es besser wäre, diese Arbeit alleine zu schreiben. Natürlich hatte er an seine Stummheit und an die Kommunikation, die dadurch nur bedingt möglich war, appelliert, hatte Argumente hervorgebracht und diese auch gut beschrieben. Und dann waren diese verheerenden Worte gefallen. »Ich werde keinen Partnertausch oder sonstige Entschuldigungen zulassen. Ich habe die Gruppenarbeiten eingeteilt und genau so will ich Ihre Arbeiten pünktlich auf meinem Tisch haben. Elektronische Abgaben sind nicht erwünscht. Ich will sie ausgedruckt und ...« Jakob würde fluchen, würde laut fluchen, wenn er es könnte. Er hasste es. Jakob hatte mitbekommen wer sein Partner war und für sich hatte der junge Student beschlossen, dass es ihn nicht schlimmer hätte treffen können. Da wäre ihm sogar dieser egoistische und Studenten-hassende Student lieber gewesen, der gelegentlich in der Bibliothek aushalf. Daniel. Gerade Daniel. Jakob hob seine Hand und legte sie auf seine Brust, spürte wie sein Herz schneller schlug. Schon wieder würde er gerne fluchen. Jakob hasste es, dass allein Daniels Name ausreichte, dass allein ein Gedanke an ihn ausreichte, damit Jakobs Herz schneller schlug, damit ihm wärmer wurde und es in seinem Bauch leicht kribbelte. Wütend schlug Jakob mit der Faust auf den Boden. Verdammt. »Jakob?« Jakob erschrak und wandte sich schnell um, fasste sich mit seiner Hand sofort ans Herz. Hinter dem Baum lugte ein weiterer Student hervor. Seine roten Haare glänzten ein wenig, zumindest kam es Jakob so vor als ob sie glänzen würden, und seine Sommersprossen sorgten dafür, dass das Grinsen nur noch liebevoller aussah. Spinnst du?, formte er sofort mit seinen Händen in Gebärdensprache. Idiot, wollte er eigentlich noch hinzufügen, doch da hatte sich Daniel schon mit einem breiten Grinsen im Gesicht neben ihn gesetzt und eine Hand um die Schulter des anderen gelegt, ihn näher an sich gezogen. Jakob konnte nicht verhindern, dass ihm schon wieder ein bisschen wärmer würde. Wahrscheinlich waren auch seine Wangen ein wenig röter geworden. Ach, wieso musste er noch immer so reagieren? »Tut mir Leid, Jakob.«, vernahm der junge Student die sanfte Stimme seines Freundes und nur eine Sekunde später spürte er die weichen Lippen des anderen auf seiner roten Wange, die daraufhin einen noch dunkleren Ton annahm. Verdammt. Er wollte doch nicht so reagieren! »Schmoll nicht, Jakob.« Ich schmolle nicht »Natürlich schmollst du. Ich kenn dich, Jakob. Du schmollst. Ist es wegen der Arbeit bei Kelsch? Wahrscheinlich. Hab ich nicht Recht? Du willst sie nicht mit mir schreiben. Ach, komm schon, Jakob.« Jakob sagte nichts darauf. Er wusste, dass Daniel seine Meinung nicht teilte, dass er sich wahrscheinlich sogar freute mit ihm zusammen zu arbeiten. Gut, sie konnten so noch mehr Zeit miteinander verbringen, konnten noch öfter zusammen sein und hatten dieses Mal sogar einen Grund dazu. Dennoch gefiel Jakob das alles nicht. Er schob die Hand des anderen von seiner Schulter und rückte etwas weiter von Daniel weg. »Oh, du schmollst wirklich nicht. Du bist zickig!« Dieser verdammte Idiot! Jakob wandte sich wütend zu dem anderen Studenten um und ballte seine Hände zu Fäusten. Zickig? Er war sicher nicht zickig. Er hatte gute Gründe dafür, dass er diese Arbeit nicht mit Daniel schreiben wollte, hatte gute Gründe dafür, wieso es besser für sie beide wäre, wenn sie die Arbeit nicht zusammen schreiben würden. Aber Daniel kapierte mal wieder gar nichts. Jakob seufzte schwer und stand auf, wollte eigentlich gehen, denn er hatte nichts mehr zu sagen. Jedoch kam der junge Student gar nicht dazu auch nur einen Schritt zu tun, da wurde er schon am Arm gepackt und grob wieder zurück auf den Boden gezerrt, plumpste regelrecht auf diesen und spürte, wie sein Hintern leicht schmerzte. Was soll das? »Jetzt hau nicht gleich ab, Jakob!« Jakob sagte nichts weiter. Was sollte er darauf auch schon großartig sagen? Sie hatten sowieso keine andere Wahl. Sie mussten diese Arbeit zusammen schreiben, mussten sie gemeinsam schreiben. Jakob wusste, dass Kelsch bei so etwas keine Widerworte zuließ, dass er es niemals zulassen würde, dass sie ihre Partner tauschten. Jakob konnte nur hoffen, dass alles gut ging, dass Daniel und er diese Arbeit überstehen würdem. Jakob sah den anderen Studenten nicht an, konnte ihn nicht ansehen, weil er genau wusste, dass Daniel eine Erklärung von ihm wollte, sie eigentlich sogar verdient hatte. »Echt, da mach ich mir die Mühe, katzbuckele vor Kelsch, damit er mich mit dir zusammen diese Arbeit schreiben lässt und dann bist du es, der nicht mit mir zusammenarbeiten will. Was hab ich dir denn getan, Jakob?« Jakob hielt inne, runzelte die Stirn und traute seinen Ohren nicht wirklich. Du warst bei ihm?, fragte Jakob zögernd nach. Aber woher…? Hatte Daniel etwa gewusst, dass Kelsch diese Arbeiten von ihnen verlangen würde? Woher? »Ich hab mich bei älteren Semestern umgehört. Kelsch macht jedes Mal so eine Arbeit und bevor er sie uns aufgeben konnte war ich bei ihm. Du weißt wie er ist. Aber ich hab gebettelt und ihm tausend Mal versprochen, dass er es nicht bereuen wird und so sehr gekatzbuckelt wie noch nie zuvor und das nur, damit wir diese verdammte Arbeit zusammen schreiben können. Verdammt, Jakob. Was soll das jetzt?« Jakob senkte den Kopf. Wieso…? Doch Daniel fiel ihm ins Wort. »Weil ich dich liebe, du Idiot!« Jakob hob den Kopf und blickte den anderen an, schluckte schwer und fühlte sich im Moment so schlecht wie noch nie zuvor. »Ich hab das gemacht, damit ich bei dir sein kann, damit wir Zeit miteinander verbringen können, noch mehr Zeit, damit ich dich immer um mich haben kann. Ich hab das für uns getan, Jakob.« Jakob lächelte sanft und hob seine Hände. An Daniels Blick sah er, dass der andere erwartete, dass er wieder etwas sagen sollte, dass Daniel erwartete, dass er etwas zu sagen hatte, aber das hatte er nicht. Zumindest nicht jetzt. Zuerst einmal musste er etwas anderes tun. Sanft legte er seine Hände an die Wangen des anderen, musste Daniel nun einfach berühren, musste ihn sanft und zärtlich berühren, denn das hatte er verdient. Eigentlich hatte er noch viel mehr verdient. Tut mir Leid, formte Jakob mit den Lippen. Er wusste nicht, ob Daniel ihn verstand ob er die Worte von seinen Lippen lesen konnte oder nicht. Daniel ließ es sich nicht anmerken, ließ nicht erkennen, ob er die Worte lesen konnte, ob er sie annahm oder nicht. Deshalb beugte sich Jakob weiter nach vorn, wollte Daniel küssen, als Entschuldigung und auch als Entschädigung für das, was er ihm wohl angetan hatte, für die Sorgen, die er ihm bereitet hatte, für das, was er von seinem Freund gedacht hatte. Doch Daniel zuckte leicht zurück. Jakob schluckte schwer, verharrte kurz vor den Lippen des anderen. Bitte, formte er noch einmal mit seinen Lippen, wartete noch einen Augenblick, ehe er einen erneuten Versuch startete und die letzten Millimeter zwischen ihren Lippen überwand. Jakob seufzte sofort leise auf, als er Daniels Lippen auf den eigenen spürte, als er spürte wie der andere den Kuss sanft und vorsichtig erwiderte. Daniel war ihm nicht böse, nicht wenn er ihn so küsste, nicht wenn er seine Arme um den anderen schlang. Daniel war ihm nicht böse und Jakob fiel ein Stein vom Herzen. Daniel war es, der den Kuss schließlich löste und Jakob senkte wieder den Blick Ich hatte Angst., begann Jakob, wagte es aber nicht seinen Freund anzusehen. Wir streiten, wenn wir viel Zeit miteinander verbringen. Deshalb habe ich Angst vor der Arbeit. Ich will mich nicht streiten. Nicht mit dir. »Ach, Jakob.« Daniel seufzte schwer und Jakob sah wieder auf. Er wusste, dass sein Verhalten vielleicht in den Augen des anderen kindisch war, aber Jakob hatte Angst. Daniel bedeutete ihm viel, bedeutete ihm mehr, als er mit der Gebärdensprache ausdrücken konnte. In der Gebärdensprache blieb ihm nämlich nur ein einziges Zeichen. Jakob spürte, wie Daniel nach seiner Hand griff und blickte sofort zu ihm auf. Er lächelte sanft und leicht, sogar liebevoll. Verzieh er ihm? War er ihm überhaupt böse gewesen? Jakob ließ es zu, dass Daniel seinen Mittelfinger und seinen Ringfinger zur Handinnenfläche knickte, ganz sanft und vorsichtig. Schließlich hob Daniel seine Hand und tat es gleich, knickte Ring- und Mittelfinger ein, während er alle anderen Finger ausstreckte. Ich liebe dich. Auch Jakob hob seine Hand. Ich liebe dich auch. Jakob ließ seine Hand schließlich wieder sinken und stürzte sich in Daniels Arme, umarmte ihn stürmisch und drückte sich fest an den anderen, legte den Kopf auf die Schulter des anderen und begann zu reden, begann seine Lippen zu formen und sagte Daniel all diese Worte, die ihm auf den Lippen lagen. Kein einziger Ton entwich seinem Mund, aber dennoch bewegte Jakob seine Lippen, wollte es sagen, wollte es hinausbrüllen, wollte Daniel alles sagen, was er für ihn empfand, aber es ging nicht. Es funktionierte einfach nicht. Er hatte nur diese lautlosen Worte für seinen Freund und wahrscheinlich würde er ihm nie vollkommen sagen können, wie viel er ihm bedeutete und was er alles für ihn empfand. Aber es war nicht notwendig, denn Daniel verstand ihn auch so, verstand ihn ohne Worte, ohne von seinen Lippen lesen zu müssen und oft sogar ohne Gebärden. Daniel verstand jedes einzelne lautlose Wort, dass Jakob von sich gab. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)