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Abschied eines Waldgeistes.

Mido auf Reisen!
von

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Routine

Ich konnte diesen Satz einfach nicht mehr hören.

Sein Name war stigmatisiert – Er war das Gute, er konnte alles besser. Vor allem besser, als ich. Alle vermissten ihn. Aber niemand würde mich vermissen. Trotzdem stand ich jeden Morgen auf und blickte in die Gesichter der Anderen, die mich als das hinnahmen, was ich war, aber es nicht zu schätzen wussten. Ich war es doch, der uns alle zusammen hielt! Still vor sich hin leben. Jahr für Jahr. Zeitgefühl? So etwas hatten die anderen nicht. Ich wunderte mich jedes Mal, warum es mir gegeben war. Die Jahre machten einen müde. Sie machten einen erschöpft. Erschöpft, vom aufpassen und davon, Streitereien zu schlichten.

Und am Abend wieder der Satz:

„Glaubst du er kommt bald zurück?“

Natürlich antwortete ich immer so, wie alle anderen es hören wollten. Das war ja meine Aufgabe. Aber eigentlich… Wollte ich es nicht. Ich wollte diesen Kerl nie wieder sehen! Er hatte einfach alles kaputt gemacht. Vielleicht hatte er uns ja sogar verraten. Vielleicht würden uns die verlorenen Wälder nicht länger vor anderen Menschen schützen. Vielleicht würde uns der Deku Baum nicht einmal mehr beschützen können. Vielleicht würde es uns bald nicht mehr geben. Ein verletzender Gedanke.

Aber ich wurde ihn nicht mehr los.
 

Ich tat das, was ich jeden Tag tat, quälende Routine, und bemerkte wie jeden Tag, quälend, wie langsam die Zeit verging. Ich lehnte an einer Felswand und stierte in die Luft. Meine Fee wollte nicht einmal mehr mit mir reden. Ich wäre verbittert, sagte sie. Wenn mir etwas nicht passen würde, sollte ich daran arbeiten. Wie sollte ich an etwas arbeiten, dass nicht meine Aufgabe war? Niemand kam zu mir und sagte mir: Los, Mido, zieh aus und rette die Welt!

Wahrscheinlich auch, weil ich ihm dann einige nette Takte erzählen würde – Das tat aber nichts zur Sache. Ich musste hier bleiben und auf die Anderen aufpassen. Sie fühlten sich so sicher und lebten einfach vor sich hin. Sie dachten, ihnen würde nie etwas passieren, weil der Deku Baum uns beschützte. Und, weil dieser bestimmte Kokiri da draußen war und uns alle retten würde. Es gab niemanden, der dem gegenüber kritisch war. Vermutlich hatten sie nie Enttäuschung kennen gelernt. Sie lebten ihr Leben still und friedlich vor sich hin und akzeptierten es einfach. Vielleicht war es ihnen aber auch egal. Oder sie logen.

Am schmerzhaftesten war, dass sie an ihn glaubte.

Salia.

Salia glaubte an ihn. Auch, wenn sie ihn Jahre nicht mehr gesehen hatte. Sie ging in die Verlorenen Wälder, vielleicht hätte er sich ja bei seiner Rückkehr verlaufen. Sie suchte ihn fast jeden Tag. Manchmal blieb sie hier, weil sie Angst hatte, ihn zu verpassen, falls er zurück käme. Die Möglichkeit er wäre gestorben? Für sie undenkbar. Ich hatte Angst, sie damit zu konfrontieren. Sie würde nie wieder dieselbe sein.

Sie würde mich dafür hassen.

Dabei war sie das Einzige, was mir so viel an diesem Ort bedeutete!

Natürlich fühlte ich mich verantwortlich für das Wohlergehen der Kokiri, meiner Brüder und Schwestern… Aber Salia… Sie war anders. Sie war meine beste Freundin. Sie brachte mich immer wieder zum Lachen, wenn wir sprachen. Und sie verletzte mich am tiefsten. Sie war so naiv.

Und jeden Abend…

„Glaubst du er kommt bald zurück?“

„Ja, sicher. Es ist Link. Unkraut vergeht nicht.“

Sie lachte jedes Mal darüber und lächelte mich wissend an. Es war immer das Gleiche.

Jeden Abend saßen wir auf dem Baumstamm, sie lehnte sich an mich, seufzte und spielte auf ihrer Okarina. Ich hatte ihr eine Zweite geschnitzt, nachdem Link ihre bekommen hatte. Die Erste hatte ich ihr ebenfalls angefertigt. Es machte mich wütend, dass er wohl irgendwo in der Weltgeschichte damit herumtingelte und darauf spielte, als wäre es seine eigene. War er überhaupt jemals für etwas dankbar gewesen? Wusste er überhaupt, wie viel sein Leben wert war? Er wusste es nicht einmal zu schätzen. Sonst wäre er nicht verschwunden. Auch, wenn Salia mir immer wieder versicherte, er käme zurück und es wäre seine Bestimmung… Ich konnte dem keinen Glauben schenken. Wie auch?

Das war absolut seltsam.
 

Ich schnaubte.

Niemand hier wusste das eigene Leben zu schätzen!

Eine Mädchenstimme riss mich aus meiner Starre. „Mido? Ach, hier bist du ja.“ Etwas verwirrt schüttelte ich den Kopf und blickte zur Quelle der Stimme. „Warum warst du nicht an unserem Treffpunkt? Es ist schon lange Zeit…“ Ja, auch sie hatte ein Gefühl für Zeit entwickelt. Es war Salia. Ich stieß mich von dem Felsvorsprung ab und lächelte schief.

„Tschuldigung.“

„Macht nichts. Hast wohl über das Grummeln die Zeit vergessen.“, sagte sie und lachte leise.

Ich verzog das Gesicht. Natürlich dachte sie, dass ich mich wieder über irgendetwas aufregte – und natürlich hatte sie damit recht. Weibsbild, ich verfluche dich! Warum kennst du mich nur so gut?!

„Kommst du jetzt mit oder willst du Wurzeln schlagen?“

Ich lachte etwas geknickt. „Haha… Wurzeln schlagen… Der war gut…“ Verlegen trat ich gegen einen Kiesel, der in den kleinen Bach unweit von hier flog. Dann ging ich ihr entgegen.

„Ich muss mit dir über was Wichtiges reden.“

Nun war ich hellhörig geworden – Ich blickte auf.

Es ist eine Herzensangelegenheit – Und ich brauche deine ehrliche Meinung.“

Unverständnis

Ich wusste nicht, was sie mit einer Herzensangelegenheit verband. Nur noch weniger konnte ich mir vorstellen, wie gerade ich ihr helfen sollte, mit sich im Reinen zu sein. Ich war ein Junge und vor allem aber war ich nicht der Gefühlvollste. Warum fragte sie niemand anderen? Fado, meine Schwester, beispielsweise. Sie verstanden sich doch sonst so gut. Oder machten sie mir das nur vor, damit ich mich nicht sorgte? Nein, das konnte nicht sein, denn wie sollten sie überhaupt wissen, dass ich mich tatsächlich um ein anderes Wesen außer mich sorgte? Das war vollkommen abwegig. So in meine Gedanken versunken nickte ich nur zustimmend und folgte ihr wortlos.

Zumindest, bis wir uns von unserem eigentlichen Treffpunkt weg bewegten.

Ich schob die Hände in die Hosentaschen.

„Wohin willst du eigentlich mit mir?“, fragte ich sie ruhig und betrachtete ihre Rückseite. Sie blickte über die Schulter zu mir und sah mich etwas besorgt an. Eine Antwort bekam ich allerdings nicht, sodass ich die Augen verdrehte. Sicherlich irgendein Mädchenmist, den sie privat mit mir besprechen musste, weil es ihr peinlich war. Salia war eigentlich der beste Freund, den ich je hatte. Das Problem war nur: Sie war ein Mädchen.

Und dementsprechend gab es Themen, die ich zu vermeiden wusste und ich hoffte, es war ihr in den Jahren aufgefallen. Anscheinend nicht, denn sie führte mich geradewegs in die verlorenen Wälder hinaus, was mir doch etwas seltsam vorkam. Ich fand nicht alleine heraus, und das wusste sie. Zwar verfügte ich über einen ausreichenden Orientierungssinn dafür, aber wenn ich das Gefühl hatte, mich zu verlaufen, wurde mir schwarz vor Augen – Eine Schwäche, gegen die ich nichts machen konnte.

Es war so düster, dass ich die Hand vor Augen nicht erkannte.

Erst jetzt fiel mir ein, dass ich ja eigentlich jemanden hatte, der mir den Weg leuchten konnte, falls ich Salia denn aus den Augen verlor – Es kam nicht dazu. Sie packte meine Hand. Zittrig hielt sie sie in ihrer kühl schwitzenden Hand, geradezu lächerlich schwächlich. „Salia, was hast du?“, fragte ich sie sachte und blieb stehen, hielt sie davon ab, weiter zu gehen.

„Vertrau mir einfach.“

Ihre Stimme glich einem Flüstern und meine Sorge um sie wuchs immer weiter.

„Ist etwas passiert? Geht es dir nicht gut?“, fragte ich mit leiser Stimme, denn ich fühlte mich unwohl dabei, die Stille des Waldes zu brechen, in dem man nur noch das Zirpen der Zikaden vernehmen konnte.

„Ich... Will das nicht hier mit dir bereden.“

Ich konnte nur erahnen, dass sie sich mit der anderen Hand durch das Gesicht fuhr und verstohlen einige Tränen wegwischte. Ich konnte sie nicht weinen sehen. So folgte ich ihr schweigsam in den tiefen Wald. Der Wind pfiff durch die Blätter und die Wetterlage verschlechterte sich stetig seit heute Morgen. Es begann, zu nieseln. Man konnte es als einen dieser unheilschwangeren Momente bezeichnen, dem man die Gefahr absehen konnte. Oder einen Schicksalsschlag. Ein mulmiges Gefühl breitete sich in meinem Magen aus und ich schluckte schwer. Je näher wir dem Tempel kamen, desto mehr zog sich meine Kehle zu und ich konnte nur noch schwer atmen. Mir wurde es eng in der Brust.

Dann, plötzlich, blieb sie stehen.

„Hier können wir sprechen, glaube ich.“, sagte sie.

Hier, in der Lichtung, war es stiller, allerdings bekam man auch den Regen eher ins Gesicht. Es war zum Glück nicht viel Regen, aber sie sah ziemlich fertig aus, sodass das bisschen Wasser vielleicht schon genügen konnte, um sie krank zu machen. Ich würde darauf achten, dass wir nicht zu lange hier blieben, denn ich konnte nicht zulassen, dass ihre Gesundheit Schaden nahm.

„Dann fang mal an.“, meinte ich und löste meine Hand von ihrer. Die Hände verschwanden, wie so oft, in den Hosentaschen. Erwartungsvoll blickte ich sie an und zog die Brauen hoch. Sie biss sich auf den Lippen herum und druckste, spielte mit ihren Händen und brauchte etwas, um ihre Sprache wiederzufinden.

„Mido, ich...“

„... Was?“

Das, was danach kam, sollte mir die Kehle zuschnüren.
 

Die Enge in meiner Brust nahm zu, als ich ihre Stimme nur noch erahnen konnte, denn jedes Wort mehr, das sie sagte, machte mich ohnmächtiger und matter. Dennoch war es nur eine einfache Bitte und auch, wenn ich mir nichts sehnlicher gewünscht hatte, als dass sie jemals diese Worte aussprach, so machten sie mich in diesem Moment nur noch krank. Über ihre zittrigen Lippen kamen nur leise Geräusche. Ich konnte sie nur mit Mühe zu einem Satz zusammenfügen, als ich ihr in die betrübten blauen Augen starrte und die Wassertropfen – Obgleich vom Regen oder der Tränen – Über ihre blassen Wangen rollen sah. Erst dann konnte ich den Worten, die über ihre zartblauen Lippen kamen, Sinn verleihen.
 

„Bitte, Mido, verlass unser Dorf und den Wald.“
 

Ungläubig betrachtete ich sie.

Es sah nicht aus, als würde sie es wollen.

Was wollte sie mir schon sagen? Ich war das Oberhaupt unseres Stammes! Ich hatte das Sagen! Warum wollte sie mich vertreiben? Wollte sie mich nicht mehr um sich haben? Und die Anderen? Ging ich ihnen auf die Nerven? Ich konnte nicht vermeiden, dass ich sie verletzt ansah. War es schon länger so? Es waren all diese Fragen, die ich ihr stellen wollte, aber es nicht konnte. Es schnürte sich mir die Kehle zu und ich schloss die Augen einen Moment, nur, um tief einzuatmen, um Worte zu finden, um mit ihr zu reden.

Ich hörte sie schluchzen.

Natürlich – Erst rammte sie mir das Messer in den Rücken und jetzt tat es ihr unsagbar Leid. Hatte sie jemand voraus geschickt? Hatten sie hinter meinem Rücken darüber abgestimmt, ob es besser wäre, wenn ich ginge? Ob sie lange daran gearbeitet hätten, wie sie mich loswürden? Vermutlich wollten sie mir nicht einmal Böses. Sie konnten mich nur nicht mehr ertragen und darum musste ich weg. Und Salia sollte es mir schonend beibringen.
 

„Mido?“
 

Ihre Stimme war gebrochen.

Als ich ihre Hände auf meinen Schultern spürte, fühlte ich, wie der Boden unter mir nachgab.

Merle

Als ich meine Augen öffnete, hielt ich das alles für einen schlechten Traum, den ich in meinem Wahn gehabt hatte. Ich fühlte mich wie gerädert und vor allen Dingen aber so, als hätte ich eine Gedächtnislücke. Wenn das tatsächlich ein Traum war, hatte ich denn dann den ganzen Tag verschlafen? Ich blickte zum Fenster herüber – Der Morgen brach herein und überflutete das Land mit einer goldenen Wonne. Der Tau schimmerte auf den Grashalmen und ich konnte mir bis heute nicht erklären, wie er dahin kam. Eine Geschichte des Deku Baumes war gewesen, dass die Feen sie dort Nacht für Nacht anbrachten, damit wir ein schöneres Erwachen hatten. Allerdings hielt ich es nicht für glaubwürdig, denn meine Fee würde niemals etwas tun, was jemand anderem dienlich sein könnte. Außerdem war sie faul.

Aber… Tautropfen?

Ich stützte mich auf meine erbleichten, schwachen Arme und richtete mich auf, sah aus dem Fenster. Es war tatsächlich Tau. Es musste geregnet haben. Und das ganze Dörfchen war seltsam still. War es vielleicht doch kein Traum? Ich würde mir nichts anmerken lassen und mein Haus verlassen. Wenn man mich darauf ansprach, warum ich noch hier war, wusste ich, dass diese Schreckensvision der Realität entsprach. Ich schob mich auf die Bettkante, ließ die Füße baumeln und blickte mich nüchtern um. Es hatte sich nichts verändert – außer mir. Mir war kalt, meine Kleidung war feucht und klebte an mir. Noch dazu waren es nicht meine Schlafsachen. Eine stille Unruhe beschlich mich und ich stieß mich von dem Holzklotz, der sich Bett schimpfte, ab.

Ein Recken, ein Strecken, und die Wirbelsäule schob sich zu Recht.

Als ich meine Knochen wieder an den richtigen Stellen meines Körpers wahr nahm, wusch ich mir mit der Hand durch das Gesicht und fühlte mich noch müder, als zuvor. Etwas schwach auf den Beinen schlurfte ich zu meinem Kleiderschrank. Er war noch voll. So nahm ich neue Kleidung hervor und zog mich an, denn trocken zu sein gefiel mir besser. Nachdem die Morgentoilette erledigt war verließ ich das Haus und blieb im Türrahmen stehen, um mir einen Überblick zu verschaffen.

Heute wirkte alles so fremd auf mich.

Niemand war zu sehen, es war eine geräuscharme Kulisse. Nichtmal ein leises Lüftchen wehte. Die Luft stand und war schwülwarm. Das gestrige Spätsommergewitter hatte uns im Stich gelassen, denn abgekühlt hatte es sich nicht. Ich nahm einen tiefen Atemzug und schritt in Richtung meines üblichen Platzes: Dem Spross des Deku Baumes musste ich noch einen Morgengruß mitteilen. Das tat ich immer. Mühelos balancierte ich über die Steine im Bach, bevor ich durch den steinernen Gang zum Dekuspross schritt. Doch etwas hielt mich ab. Es fühlte sich an, als würde mich ein Stein am Kopf treffen. Ein summender Stein. Und nun ein schreiender Stein.
 

„Pass doch auf wo du hingehst, oder hast du Dekunüsse auf den Augen, hm?“, wurde ich angefahren, doch ich würde diese Stimme sofort erkennen. Es handelte sich dabei um meine Fee, Merle. Von Zeit zu Zeit, wenn sie in Eile war, vergaß sie manchmal, mit wem sie sprach. Zu ihrem Leidwesen, denn ich war kein netter Gesprächspartner. „Pass du doch auf! Wer von uns kann denn fliegen!? Wenn ich so klein wäre wie du, würde ich den Mund nicht so weit aufreißen!“, schnarrte ich zurück. Sie flimmerte vor Zorn. „Du bist so ein Ekelpaket! Wenn ich nur ein Kokiri wäre, dann würde ich…!“

So liefen viele Morgen bei uns ab.

Trotzdem konnte sie nicht ohne mich und ich auch – irgendwie – nicht ohne sie.

Und wie so oft fiel eine andere Stimme in unser Gefecht ein, die uns dazu veranlasste, sofort still zu schweigen und uns jedes Mal darüber zu wundern, warum er uns hören konnte. Der Dekuspross erhob die Stimme und klang ganz ruhig, aber dennoch herrisch und bestimmt.

„Beruhigt euch, ihr Beiden.“

„Natürlich, Herr.“

Wir sprachen gleichzeitig und schwiegen auch unisono, als er seinen Satz fortsetzte.

„Mido, wieso bist du hier?“

„Ich bin jeden Morgen hier… Das ist meine Aufgabe…“, erwiderte ich etwas verwirrt und runzelte die Stirn. Merle surrte zustimmend. Immerhin sagte sie einmal etwas nicht komplett Dämliches!

„Nein, das ist es nicht.“
 

Seine Worte machten mich noch verwirrter, doch im selben Atemzug erklärte er, warum es nicht mehr zu meinen Aufgaben gehörte, ihn zu bewachen. Oder überhaupt mich um meinen Stamm zu kümmern. Mich traf der Schlag und ich musste mich unweigerlich setzen.

„Es ist nicht mehr deine Aufgabe. Ich bat Salia, mit dir zu reden. Du musst das Dorf verlassen, Mido. Wir können dich nicht länger hier behalten. Es tut mir Leid, es dir so mitteilen zu müssen.“

Ich verbarg mein fahl gewordenes Gesicht in meinen Händen, rang nach dem letzten bisschen Selbstbeherrschung in mir. Warum tat man mir das an? Warum wollten alle davon wissen, außer mir? Hatte Merle es gewusst? Ich hatte sie nicht für so gefühlskalt gehalten… Ich atmete tief ein.

„Warum?“, brachte ich mit zitternder Stimme hervor.

„Du gehörst nicht zu uns…“

Ich gehörte nicht dazu?

Nur schwammig sah ich meine Hülle vor mir, meinen Körper der sich erhob, hinaufschoss in den Stand und hörte meine schreiende, aufgebrachte Stimme, die sich das erste Mal gegen den richtete, der uns erlaubte, zu leben. So sehr ich auch mein Leben wertschätzte – In diesem Moment war es, als würde man es mir nehmen.

„Ich gehöre nicht dazu?! Ich habe mich mein ganzes Leben lang um diesen Stamm gekümmert! Und um dich auch! Ich bin ein Eins-A-Kokiri, mich könnte man präsentieren! Ich habe alles für euch gegeben! Ich habe jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde für euch geopfert und ihr dankt es mir so!? Wieso?!“

Immer mehr hörte ich, wie aus meiner zitternden Stimme ein Schreiweinen wurde.

Warme, salzige Tränen flossen über meine Wangen und ich schämte mich schon jetzt dafür.

„Ihr seid mein Leben!“, krächzte ich, bevor ich mich Merle zuwandte. „Wusstest du es auch!? Ihr alle wusstet es! Warum hast du mich belogen? Wolltet ihr mich schon von Anfang an loswerden?“

Meine Fee sank zu Boden, sah schwach und zerbrechlich aus.

„Aber… Mido… Du kannst nicht gehen…“, wisperte sie und flog schwankend hinauf, gegen meinen Torso und hielt sich dort fest. Sie schien keine Kraft mehr zu haben. Auch sie hatte nicht davon gewusst. Ich hob die Hände, hielt sie darin.

„Du wusstest nichts davon?“

„Nein…“, gestand sie mir. „Aber… Wenn du gehst, was wird dann aus mir?“

Ich wusste nicht warum, aber ausnahmsweise schien ich mir um Merle mehr Gedanken zu machen, als um mich. Ich faltete die Hände und blickte den Dekuspross feindselig an, schnaubte und baute mich auf. „Weißt du eigentlich, was du uns damit antust? Du kannst uns nicht trennen! Wir gehören zusammen!“

Seine nächsten Worte trafen mich noch tiefer.

„Nein, eigentlich nicht. Sie gehört nicht zu dir. Du bist keiner von uns. Du bist kein Kokiri.“
 

Kein Kokiri?

Ich öffnete die Hände und sah zu dem kleinen Geschöpf, das dort in meiner Hand lag, und mich schon mein ganzes Leben lang, seit ich denken konnte, begleitete. Kläglich zitterte sie. Wir kannten uns schon so lange. Ich war der Anführer der Kokiri geworden und sie hatte mich dabei begleitet. Jeden Tag und jede Nacht. Wir hatten alles zusammen durchgestanden.

Jeder Kokiri bekam eine Fee.

Wenn ich keiner war – Warum hatte ich sie dann? Und vor allem: Was war ich?

Geschwister

Die Antwort sollte man mir schuldig bleiben.

Der Dekuspross vertröstete mich, meinte, ich solle jetzt gehen. Was mit Merle geschah wollte er mir nicht sagen. Wahrscheinlich auch, weil ich nicht weiter danach gefragt hatte, sondern sie nur an mich drückte und davonrannte. Es war nicht meine Art, mich vor Problemen zu flüchten, aber das war zu hart für mich. Sie alle wussten davon und hatten Salia ausgesucht, damit ich ging. Wenn sie das wollten, dann würde ich eben verschwinden! Anscheinend schadete es ja unserem – nein, pardon – ihrem Stamm. Ein Kokiri war ich ja nicht. Aber es konnte doch gar nicht sein! Ich hatte doch meine Schwester hier, Fado!

Bevor ich zu mir rennen konnte, suchte ich sie auf.

Schon seit wir klein waren, wusste ich, wo sie sich versteckte, wenn es ihr schlecht ging. Und dieser Ort sollte mich nicht enttäuschen. Sie saß dort, im hohen Gras, und schluchzte. Ihre Hände hatte sie schützend vor ihr Gesicht gelegt. Meist versuchte sie leise zu weinen, doch diesmal gelang es ihr nicht. Ich wollte sie umarmen, aber Merle hielt mich in meinen Händen davon ab. Ich hob meine Mütze an, setzte sie darunter, damit sie bequem lag und ich wieder eine Hand frei hatte. Ich versuchte, mich zu fangen, bevor ich durch das Gras schritt und vor meiner kleinen Schwester stehen blieb.
 

„Fado.“

Sie hielt inne und blickte erschrocken auf.

Selten hatte ich gesehen, wie sie mich aus ihren blauen, großen Augen so schuldbewusst und doch entsetzt ansah. Als wollte sie es nicht wahr haben, dass man ihr den Bruder nahm. Und ich wollte meine Schwester nicht verlassen.

„Ist es wahr?“

Vielleicht wollten sie mich nur auf den Arm nehmen, weil ich so streng mit ihnen war. Sie wussten, dass ich ihnen das nie verzeihen würde. Ich vertrieb den Gedanken, dass vielleicht doch alles gut war. Und Fado schwieg und begann wieder zu weinen. Ich zog sie am Arm zu mir hoch – Solch eine Grobheit war sie von mir gewohnt, immerhin waren wir nicht immer ganz liebevoll miteinander umgegangen, doch würde ich sie nie gegen jemanden tauschen wollen. Sie war mein Ein und Alles. Vielleicht bedeutete sie mir so viel, wie Salia.

Sie jaulte auf, weil sie solche Schmerzen hatte. Meist war das nur Farce und es ging ihr ganz gut.

„Rede mit mir, Fado! Wenn du mich liebst, rede mit mir! Ich bin dein Bruder!“, schrie ich sie an. Sie befreite sich aus meinem Griff und fiel auf den Boden, plumpste auf ihren Hintern und wusch sich über das Gesicht. Dann antwortete sie mir, mit leiser aber gefasster Stimme.

„Es ist wahr. Du… Bist nicht mein Bruder.“

„Warum tut ihr mir das an?“

Allmählich war ich nicht nur vom Dekuspross, sondern von all meinen Freunden enttäuscht.

Ich wandte mich von ihr ab und versuchte mich zu beruhigen, sonst würde ich wohl irgendetwas zerstören müssen und ich wollte dabei nicht unbedingt auf sie losgehen. Wenn ich erst einmal wütend war kannte ich kein Ende. „Ist es noch nicht genug, dass ich gehen muss? Warum spielst du mir vor, meine Schwester zu sein? Schon seit ich klein war…

„Ja – Seit du klein warst. Fällt dir nichts auf, du Genie? Der Einzige, der hier mal klein war, bist du!“, sagte sie und ich spürte ihre Arme um meinen Körper. Sie war wohl aufgestanden. Trotzdem stand sie sehr wackelig. „Du bist so groß geworden. Zwölf Jahre schon fast… Ich liebe dich so sehr wie mein eigenes Fleisch und Blut. Du bist doch mein Bruder…“

Mir wurde einiges klar.

„Ach. Ich bin also dein Bruder?“, fragte ich mit düsterer Stimme. „Kleiner Bruder? Großer Bruder? Hm? Was für ein Bruder denn?“

Fado hielt mich fester.

„Sei nicht so gemein.“

„Ihr wollt mich hier raus schmeißen, dabei habe ich mich Jahre lang um euch gekümmert!“

„Wir hätten dich nicht gebraucht… Ich weiß nicht, wie lange ich schon so alt bin, wie ich bin, oder wie lange ich in diesem Körper stecke. Aber du – Du hast alle Freiheiten. Du lebst ganz offen. Du bist nicht an diesen Wald gebunden, oder an den Dekuspross. Oder an mich…

Ich riss mich aus ihrer Umarmung, wandte mich zu ihr um.

Wie ich sie ansah, konnte ich nur erahnen, denn sie zuckte zusammen und blickte mich ängstlich an. Ihre Lippen zitterten und sie senkte den Blick.

„Es wäre besser, wenn du jetzt gehst.“

„Ja, das glaube ich allerdings auch!“, zischte ich. „Dann kümmere dich mal um dich selbst!“

„Es tut mir so Leid.“

„Ja, mir tut es auch Leid. Dass ich dich als meine Schwester gesehen hab, meine ich.“

Situationsbedingt war ich wirklich sauer auf sie, sonst hätte ich ihr wohl nie so weh getan oder sie in diesem Maße angeschrieen. Auch, wenn wir uns wirklich oft gestritten hatten, hatte ich sie noch nie verletzt, zumindest nicht ernsthaft. Es war ein Gespräch, das auch noch Jahre später zwischen uns stehen sollte und ein großes Konfliktpotential hatte. War es richtig gewesen, mir eine Schwester vorzuspielen, nur, um mich glauben zu machen, dass ich ein Kokiri war? Oder hätte man mich erst gar nicht aufnehmen müssen? Ich erinnerte mich an Link. Auch er hatte uns verlassen. Ich konnte mich an unsere gemeinsame Kindheit nicht erinnern, alles war zu verschwommen. Aber alleine an seinem Wachstum als Person konnte ich erkennen, dass auch er kein Kokiri gewesen sein konnte. Kein Kokiri hatte bisher persönliches Wachstum bewiesen – Oder den Wald verlassen. Um also zu wissen, was ich war, musste ich wissen, wer Link war.

Und es gab nur eine Person, die es mir sagen konnte.
 

Ich setzte meinen Weg fort, denn ich wusste, dass Salia mich bereits bei mir zuhause erwarten würde. Wohl, um sich bei mir zu entschuldigen und nach dem Rechten zu sehen. Das Gras gab unter mir nach, als ich wütend zu meiner Hütte stapfte, die Tür öffnete und diese stärker als erwartet aufsprang. Im Inneren der Hütte stand Salia, die sich darüber erschrocken hatte. Sie blickte mich an, wandte den Blick einen Moment ab – wohl um sich zu sammeln, und sah wieder auf. „Ist alles in Ordnung?“ Das war wohl die dümmste Frage, die sie mir in diesem Moment hätte stellen können. Bis gerade hatte ich noch etwas von ihr wissen wollen, aber mit dieser Frage war auch das vorbei. Ich betrachtete sie nur mit hochgezogenen Brauen, äußerte mich nicht weiter und ging zu meinem Kleiderschrank, dessen Türen ich aufriss. Heraus zerrte ich ein paar Kleidung, Ersatzschuhe und meine Geldbörse, sowie eine Tasche, um diese Dinge zu verstauen. „Mido, sprich doch bitte mit mir…“ Ich fuhr herum und sah sie an, wollte sie eigentlich anschreien, aber so, wie sie dasaß, konnte ich es einfach nicht. Sie hatte sich auf mein Bett gesetzt und die Hände in den Schoß gelegt, blickte mich aus matten Augen heraus an und strahlte eine unglaubliche Traurigkeit aus, mehr, als es meine Schwester getan hatte.

„Ich weiß doch, dass nichts in Ordnung ist… Aber… Ich muss mit dir reden. Ich will nicht, dass du einfach so gehst. Du sollst dich immer an mich erinnern… Und du sollst wissen, warum du uns verlassen musst.“

„Da erzählst du mir nichts Neues – Ich bin kein Kokiri und ich muss weg.“

„Es ist mehr als das.“

Mir fiel der Beutel aus der Hand.

Es war mehr als nur diese kleine Begründung, die mein Leben verändern sollte? Was denn noch? Wollte sie mir jetzt noch erzählen, dass ich sterben musste? Oder dass ich kein menschliches Wesen, sondern ein Tier war? Fassungslos, aber doch voller Erwartungen starrte ich sie an und trat näher an sie heran.

„W… Was?“

„Es geht um Link.“

Ich konnte eine Woge des Zorns unterdrücken, als mir wieder einfiel, dass ich mich auch erkundigen wollte – Über Link. Neben ihr ließ ich mich nieder und nickte. „Ja, darüber wollte ich mit dir auch noch sprechen.“ Salia sah zu mir hinüber und schien nicht minder erstaunt, als ich es gerade war. „Was? Wieso das denn?“, fragte sie ungläubig und verschränkte die Arme vor dem Bauch, versuchte mir, in die Augen zu schauen, doch ich blickte stur geradeaus. Eine Weile des Schweigens entstand, als sie mich leise fragte: „Glaubst du, er denkt manchmal an mich?“. Ich zuckte die Schultern. „Weiß ich nicht. Aber ich weiß, dass ich oft an dich denken werde. Und vielleicht ist das mehr, als man von ihm sagen kann.“

Salia nickte und blickte geistesabwesend in die Leere.

„Wenn… Viele Jahre vergehen würden… Würdest du dann immer noch an mich denken?“

„Ich werde für immer an dich denken.“, sagte ich. „Du bist das Beste an diesem Ort. Keine Ahnung, ob Link das auch begriffen hat. Wenn er es hätte, wäre er vielleicht nicht gegangen.“

Ich spürte ihren zierlichen Körper, als sie sich gegen mich lehnte und ihren Kopf auf meine Schulter legte.

„Ich muss dir etwas gestehen.“

Was hatten sie nur in letzter Zeit alle mit ihren Geständnissen?

„… Link war auch kein Kokiri… Und er ging nicht, weil er es musste. Bis vor einigen Wochen konnte ich noch mit ihm reden. Wir verstanden uns, ohne einander zu sehen. Er musste nur mein Lied auf der Okarina spielen und es war, als wären wir zusammen. Doch, seit einiger Zeit…

Gesellschaft

Vielleicht hätte ich ihm nie so kritisch gegenüber stehen dürfen. Es war ein Fehler gewesen, jemanden als etwas zu behandeln, was er nicht war. Weder als Kokiri, so wie man mich behandelte… Noch wie ein Ungetüm, so wie ich ihn behandelt hatte. Es war einer dieser Momente in den man den vollen Durchblick hatte. Und dennoch war alles wie verschleiert. Ich konnte nicht sehen, worauf Salia hinaus wollte, vielleicht wollte ich es auch nicht sehen. Dass mir dasselbe Schicksal wie ihm erlag. Vertrieben zu werden. Hätte ich ihn besser behandelt wäre es ihm vielleicht besser ergangen und er wäre gestorben, ohne böse von mir zu denken… Aber… War er gestorben?

Die Antwort blieb ungewiss.

„Doch, seit einiger Zeit… Spüre ich ihn nicht mehr.“

Sie schluckte schwer, hatte wohl einen Kloß im Hals. Ich bemerkte es an ihrer etwas kratzigen Stimme. Sie faltete die Hände in ihrem Schoß, ihre Stirn lag in Falten und sie wirkte unglaublich besorgt und traurig. So war sie immer, wenn es um Link ging, und es nervte mich auf gewisse Weise. Selbst meine Schuldgefühle, die ich vor nur wenigen Sekunden hatte, konnte ich jetzt nicht mehr nachvollziehen. Ich war wütend. Und das zu Recht. Ich wurde hier herausgeschmissen und sie machte sich nur um diesen blonden Mistkerl Sorgen? Wo war ich nur die ganzen Jahre gewesen? Link war zumindest nicht an ihrer Seite gewesen. Ich hingegen war nie von ihr gewichen und ihr immer den Rücken gestärkt. Wollte sie es mir so danken?

„Aha.“, machte ich knapp.

Mir fiel nicht ein, was ich dazu noch sagen sollte, auch, wenn ich schon wusste, dass sie sich nur noch schlechter fühlen würde, weil ich ihr nicht zeigte, wie Leid es mir für sie und ihn tat. Wie sollte es auch mein Leid sein? Mir geschah immerhin dasselbe und ich musste jetzt damit fertig werden. Ich hatte keine Zeit für jemand anderen! Auch, wenn ich das Ganze zu einem anderen Zeitpunkt in einem vollkommen neuen Licht sehen würde, war ich komplett erkaltet. Das Gesprächsthema Link war nicht gerade eine Kur für meine Nerven.

„Es interessiert dich gar nicht…“, sagte sie. „Habe ich dich eigentlich jemals interessiert? Du musst mich ja richtig hassen, so, wie du auf mich reagierst…“

Ich zog die Brauen hoch.

„Oh, für dich interessiere ich mich. Aber nicht für diesen Fatzke. Ich muss immerhin auch heute hier weg sein. Ich dachte, wir könnten unsere letzten Stunden angenehmer gestalten, aber das willst du wohl nicht.“

Salia erhob sich ruckartig. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen.

„Du hast Recht. Ich will gar nichts mehr von dir!“

Über die Schulter sah sie zu mir, als sie ruckartig losrannte und das Haus verließ, wobei ihr grünes Haar ziemlich zerzaust aussah. In ihrem Augenwinkel hatte ich eine Träne erkennen können. Normalerweise würde ich ihr nachlaufen und würde mich entschuldigen. Salia war die einzige Person, bei der mir das in den Sinn käme. Aber selbst die Idee stieß mich ab. Meine Erinnerungen an mein Zuhause ergrauten schon, bevor ich es verließ. Schon während ich meine Sachen packte, mir auffiel, dass ich keine Antworten auf meine Fragen erhalten hatte, und mein Zimmer ein letztes Mal herrichtete, vergaß ich, wie sie aussahen. Jeder Einzelne schien mir gerade so fremd.

Eigentlich hatte ich mir erhofft, mit ihrer Unterstützung das Dorf verlassen zu können. Dass sie mich zumindest vermissen würden. Als ich am Abend die Wälder verließ, wartete dort niemand auf mich. Auf Link hatte man gewartet. Zumindest Salia hatte das getan. Aber sie war nicht hier. Sie hasste mich. Ich wusste nicht, ob ich rechtens gehandelt hatte… Aber es hatte mich unsagbar wütend gemacht, dass sie kein Verständnis für meine Situation aufbrachte. Mit Sack und Pack, Schwert, Schild und Schleuder verließ ich schlurfend die Gemeinde, die einst meine Brüder und Schwestern waren. Jetzt waren sie Fremde. Und ich war ein Niemand.
 

Alleine.
 

Die Abenddämmerung färbte das Land düster, es wurde dunkel und ich war verlassen und einsam. Ich verlor meinen Weg vor den Augen und mein Ziel ebenso. Einmal komplett neu anfangen. Ein neues Leben aufbauen. Als 11jähriger. Es war nicht das, was man sich als einen Traum oder besonders angenehm vorstellte, aber ich nahm mir vor, dass ich zumindest diese Nacht überleben würde. Ein kleines Ziel, mit dem man beginnen sollte. Ich wusste nicht, wohin ich sollte, was ich tat oder – am schlimmsten – wer ich war. Ich war ein weißes Blatt Papier. Ich hatte keinen Namen und keine Herkunft. Ich würde „der in den grünen Klamotten“ sein. Falls ich denn jemals andere Lebewesen finden würde, die mich nicht töten wollen würden. Meine erste Nacht außerhalb des Waldes. Nur per Zufall hatte ich eine Höhle gefunden, in die ich hinunter klettern konnte und in der ich sicher war. Meine Reise würde ich zu Tagesanbruch fortsetzen. So hatte ich zumindest den Hauch einer Chance, irgendwohin zu finden. Schlafen würde ich trotzdem nicht. Erst in der nächsten Ortschaft, die ein Bett für mich aufwies, würde ich Ruhe finden. Alles, was ich zur Erhellung der Höhle bei mir führte, war eine Fackel, die nicht mehr lange brannte. Ich drückte den Stock in den Boden, dass er stand, bevor ich in meinem Rucksack kramte. Ich war dazu gekommen, etwas zu Trinken mitzunehmen und einige Kräuterbonbons. Das war zwar nicht viel, aber es sollte mich die Nacht wach halten. Gesellschaft konnte ich mir abschminken. Notdürftig hatte ich das Laken von meinem Bett gerissen und mitgenommen. Es sollte mich wohlmöglich warm halten. Ich legte mich also unweit der Fackel zur Ruhe, nur, um zu dösen. Schlaf war zu gefährlich.

Ich musste planen.

Eine Strategie musste her.

Mit „am Tag reisen“ kam man nicht besonders weit.

Der Deku Baum hatte mir oft Geschichten erzählt, darüber, dass es noch andere Orte als den Wald gäbe, wo sie lagen und wofür sie berühmt waren. Nur wenig hatte ich mir merken können, aber ich erinnerte mich an eine Stadt namens Kakariko. Sie lag wohl nordöstlich von hier und war einen Tagesmarsch entfernt. Wenn man nicht trödelte. Morgen würde ein harter Tag werden. Wenn ich dort ankam, was würde ich dort vorfinden? Der Deku Baum war alt und wohlmöglich waren seine Informationen nicht die Aktuellsten. Alles, was ich tun konnte, war darauf zu vertrauen. Mehr hatte ich nicht…

Ich hatte zehn Bonbons und eine Feldflasche Wasser – Im Gegenzug dazu standen knappe 24 Stunden. Selbst die kleinste Mahlzeit musste also eingeteilt werden und ich durfte mich nicht verausgaben. Ich kam zu dem Ergebnis, dass ich, wenn ich nur döste, heute Nacht zwei Bonbons, und am nächsten Tag Acht essen würde. Die Flasche musste ich mir gut aufteilen. Ich hatte keine andere Wahl.

So schloss ich die Augen, um in einen „kontrollierten Schlaf“ zu fallen. Es gelang mir ganz gut, bis ich ein Summen wahrnahm…
 

„Mir ist… so schlecht…“

Wie von alleine öffnete ich die Augen und fand eine hell erleuchtete Höhle vor. Das lag nicht nur daran, dass ich wohl nicht ganz so kontrolliert geschlafen hatte, da der Morgen hereinbrach, sondern auch daran, dass ich Gesellschaft hatte. „Was ist nur passiert? Wo bin ich hier…?“ Ich richtete mich auf und sah auf Merle hinab, die auf dem Höhlenboden lag und etwas schwach mit den Flügeln schlug, sich allerdings nicht erheben konnte. Schließlich spürte ich, wie sie meinen Blick erwiderte. Ich streckte meine Hand nach ihr aus und hielt sie in den Handflächen.

„Alles okay bei dir?“, fragte ich sie.

Dieses kleine, leuchtende Feelein würde wohl meine einzige Gesellschaft sein, die ich den Rest meines Lebens noch genießen durfte, also musste ich mich gut um sie kümmern. Eigentlich war sie auch gar nicht so übel. Ich beobachtete sie, woraufhin sie mir zustimmte.

„Wir sind schon in der Steppe. Ich habe mir überlegt, dass wir nach Kakariko wandern.“, informierte ich sie. Sie lag still da. Wohlmöglich musste man sie erstmal ordentlich wecken. Ich nahm meine Feldflasche an mich und feuchtete meine Fingerspitzen an, woraufhin ich sie sachte berührte, sie mit ein paar Tropfen Wasser benetzte. Schon ging es ihr besser und sie konnte sich sogar in die Luft aufraffen.

„Danke. Ja. Das halte ich für eine gute Idee. Ist nicht weit weg… Eine sehr schöne, kleine Stadt.“

Ich zögerte und fragte schließlich: „Warst du schon mal dort?“.

„Kleiner, es gibt keinen Ort, an dem ich nicht war.“

Sie schüttelte sich und ich wusste nicht, was ich seltsamer finden sollte. Dass sie mich als klein betitelte, dass sie sich schüttelte, oder, dass sie schon so viel von der Welt, in der wir lebten gesehen hatte. Ein Positives hatte es aber… Wenigstens kannte sich einer von uns hier aus.

Ich grinste.

„Na dann, super. Machen wir uns gleich auf den Weg.“
 

Hätte ich gewusst, was mich auf dem Weg erwartete, hätte ich das wohl nicht so leichtfertig gesagt.

Ein unglücklicher Fall

Rückblickend hatte ich es mir leichter vorgestellt, aus einem zwei Meter tiefen Loch heraus zu klettern. Leider war es nicht so einfach, wie vermutet, sodass ich schließlich ziemlich geschändet auf dem Boden lag. Die Hände hatte ich mir ganz schön aufgescheuert und ich war mir sicher, dass ich irgendeinen Teil meines Gepäcks dort unten hatte liegen lassen. Wahrscheinlich würde ich es erst im Nachhinein vermissen und mir dann irgendwo etwas Neues besorgen müssen. Ohne besonders viele Rubine war das etwas schwer. Das, was ich bei mir trug reichte vielleicht gerade einmal für ein Frühstück aus. Und wer wusste schon, wie inflationär die Preise hier draußen waren? Ich raffte mich auf, nachdem ich die Vermutung hatte, wieder genügend Luft zu bekommen. Dann sah ich in die Höhle herunter. Es war zu dunkel, um zu sehen, was ich vergessen hatte, aber das Gefühl ließ mich nicht los.

Ich schüttelte über mich selber den Kopf und erhob mich. Und selbst wenn – Etwas unsagbar Wichtiges konnte es kaum gewesen sein. Zumindest nichts, was mir auf meinem Tagesmarsch nach Kakariko fehlen könnte.

So blickte ich mich zu allererst einmal um.

Die Steppe erschien mir auf den ersten Blick unglaublich weit. Auf den zweiten Blick jedoch erkannte ich, dass Kakariko nicht so weit von hier entfernt sein musste. Von Weitem erkannte ich ein großes, umzäuntes Gelände. Davon hatte mir der Deku Baum noch nicht erzählt, aber ich würde schon herausfinden, was das war. Gleich, nachdem ich mir eine Niederlassung in Kakariko gesucht hatte. Also musste ich hier draußen einfach weiterleben?

„Wir gehen, Merle.“, sagte ich und schulterte meine Tasche. „Immerhin müssen wir heute Abend irgendwo unterkommen und ich will sicher nicht noch einmal in so einem Dreckloch schlafen.“ Eigentlich erwartete ich eine schnippische Antwort, aber dubioserweise kam nichts von der kleinen Fee zurück, die anscheinend noch ziemlich müde neben mir schwirrte und ihr Bestes tat, sich in der Luft zu halten. Sie gähnte. Ob das ihre Art war, mir zuzustimmen, oder ob sie einfach zu erschöpft war, um sich mir entgegenzustellen, war mir etwas unklar, aber im Grunde störte es mich nicht. Es war mir lieber, als wenn sie mich nun nerven würde, wenn ich sowieso schon angespannt war. Ich verstand nicht, wieso es mir verboten wurde, im Wald zu leben, wenn ich kein Kokiri war. Jahre lang hatte ich dort gelebt. Was hatte sich an mir geändert, dass es auf einmal nicht mehr richtig wäre?

Und was sollte ich hier tun?

Mein Leben einfach so fortzusetzen erschien mir falsch und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass es nicht unbedingt an mir lag, dass ich das Dorf verlassen musste. Es hatte einen anderen Grund und ich würde ihn herauskriegen. Allerdings wollten sie mich sicher nicht mehr wieder sehen. Ich würde mit meinem Besuch abwarten. Es gab ein Thema, das mich brennend interessierte und das nicht nur, weil es den Streit zwischen Salia und mir ausgelöst hatte. Auch, weil ich mich schon länger fragte, ob an meiner Vermutung etwas dran war.

Link.

Ob er wohl gestorben war?

Salia hatte doch etwas erwähnt… Hätte ich ihr besser zugehört wüsste ich nun vielleicht mehr. Sie sagte, sie würde ihn nicht mehr spüren, aber was hieß das schon? Es schien mir sowieso recht seltsam, dass sie ihn spüren konnte, wenn er nicht da war. Konnte nicht mit rechten Dingen zugehen. Es war egal, wie feste ich an Salia dachte, ich konnte sie nicht spüren und sie mich wahrscheinlich auch nicht. Hatte sie Link zu diesem Zweck die Okarina mitgegeben? Aber sie war nicht so laut, als dass man sie bis in unsere Wälder hören konnte. Natürlich war etwas Besonderes an diesem Instrument, wie auch an Salias. Wenn sie spielte hatte ich das Gefühl, dass sie alles ändern könnte. Es schien mir sonderlich, dass Töne eine Reaktion wie diese in mir hervorrufen konnten, doch ich mochte mir nicht erklären, was dahinter steckte. Es war beunruhigend. Wenn an der Sache etwas dran war, was wäre, wenn jemand Falsches die Okarina in die Hände bekäme?

Ich überdachte das.

Mehr, als meinen Weg fortzusetzen, konnte ich nicht tun. Ich hatte keine Ahnung, wohin mich mein geradeaus führte oder der Weg, auf dem ich ging, aber ich meinte, vorhin noch im Abendlicht eine Brücke gesehen zu haben. Ob ich auf dem richtigen Weg war? Ich verfiel erneut meinen Gedanken.

Vielleicht lag es nicht an dem Instrument, sondern an Link.

Eventuell mochte er eine wichtige Rolle spielen, die nur meine Freundin verstand und mir schleierhaft war. Wahrscheinlich hatte sie ihn deswegen gehen lassen. Aber warum dann mich? War es ihr lästig geworden, dass ich nicht an ihn glaubte? Ich zweifelte. Leider konnte ich mir absolut nicht erklären, warum ich nicht bleiben durfte. Aber dass ich kein Kokiri war, konnte nicht der Grund sein. Soviel stand, für mich zumindest, fest.

Es waren zu viele Fragen und zu wenige Antworten.

„Mido!? Vorsicht!“

Merles Stimme erschrak mich.

Ich zuckte zusammen, rutschte aus und spürte Kälte um mich herum, fühlte mich schwerelos. Ein dumpfer Schlag auf den Kopf – Ich verlor das Bewusstsein.

Ihr Verlobter?

Das Erste, an was ich mich erinnern sollte, war ein schrecklicher Würgereiz und das Spucken von Wasser, während ich mich fühlte, als würde ich ersticken. Ich rollte mich auf die Seite und zog meine Beine an, hustete und schnaubte, ehe ich wieder Luft bekam. Schwächlich blieb ich liegen. Überall um mich herum hörte ich das Rauschen von Wasser und leise Stimmen, die sich unterhielten. Eine Stimme näherte sich mir.

„Oh, du bist wach!“

Die Stimme war mir fremd, stammte aber definitiv von einem weiblichen Wesen. Allerdings wusste ich noch nicht, wie dieses Wesen zu mir stand, daher wollte ich zuerst nicht reagieren und mich vielleicht besser tot stellen, aber anscheinend war das Wesen nicht blind.

„Ich sehe, dass du lebst. Und, dass du atmest.“, informierte sie mich.

Also musste ich mich doch geschlagen geben. Als ich mich aufrichtete blickte ich in ein großes, violettes Augenpaar. Als ich so saß, überkam mich eine weitere Welle des Hustens, so dass ich mich nur gerade so schnell genug abwenden konnte, hustete und wieder hinfiel.

„Nichtmal bedanken kannst du dich. Ich habe dir das Leben gerettet. Nur einmal zur Information.“

Ich erholte mich, blickte zu dem Wesen hinauf. Was war sie? Sie legte ihre Hände in ihr blaues, schuppiges Antlitz. Schuppig? Blau? Ich konnte nicht anders, als sie anzustarren, denn eine Spezies wie diese war mir noch nie untergekommen! Sie erinnerte mich ein bisschen an die Fische, die bei uns im Wald in den Bächen herum schwammen. Ob man dieses Mädchen auch essen konnte? Ich bezweifelte, dass sie lecker war, denn sie sah zäh aus. Während ich so darüber nachdachte, knurrte mein Magen. Und das nicht gerade leise. Zu lange war mein letztes Essen her und wenn ich noch an die leckeren gegrillten Fische dachte, merkte ich, dass ich im Moment wohl einen ganzen Kokiri herunterschlingen könnte, wenn es nicht absolut abartig wäre, andere, sprechende Lebewesen zu verspeisen. Verwirrt über meine eigenen, seltsamen Gedanken schüttelte ich den Kopf.
 

Aber bevor ich den Mund noch öffnen konnte sprach das Fischmädchen weiter.

„Was starrst du mich denn so an, hä? Noch nie einen Zora gesehen? Du weißt wohl nicht, wen du vor dir hast! Ich bin die Prinzessin der Zora! Prinzessin Ruto!“ Abgesehen davon, dass sie eine Prinzessin war, und ich mich unhöflich benahm, fragte ich mich, ob sie sich selber nur gerne reden hörte, oder sich wohl über alles liebte. Und, ob mich das interessieren sollte. „Ehrlich gesagt, nein.“, gab ich plump von mir. „Aber es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen.“

Ich stand auf und schüttelte mich zu aller erst einmal, bevor ich mir ihre Hand schnappte und sie schüttelte.

Sie sah mich angewidert an und zog ihre zierliche Hand weg.

„Nein, wie unhöflich und ungebildet. Erst Duzen und dann Händeschütteln? Wo sind wir denn hier? Bei den Goronen!?“ Was auch immer Goronen waren, sie schienen zumindest kein Volk zu sein, das viel Klasse hatte. Ich zog die Braue hoch. „Entschuldige.“

„Du weißt wohl auch nicht, wie man mit einer Prinzessin umgeht, hm? Dann bist du wohl nicht vom selben Stamm wie mein Verlobter… Auch, wenn ihr euch echt ähnlich seht… Ich wünschte, er käme bald zurück…“

„Aha.“, machte ich knapp und wandte mich ab, um Ausschau nach Merle zu halten. Sollte dieses Mädchen doch fantasieren, schon verlobt zu sein und eine Prinzessin zu sein. Irgendwie war sie verdammt abgehoben und das fand ich unfreundlich – nicht, dass ich besonders freundlich war.

„Er hieß Link, und er war viel netter als du.“

„Das interessiert mich relativ we… Sagtest du Link!?“

Ich drehte mich auf den Absätzen zu ihr um und sie lächelte verlegen. Link? Das musste ein Versehen sein… Aber wenn ich ihm so ähnlich sah… Vielleicht meinte sie die Kleidung! Natürlich, Link musste hier vorbeigekommen sein! Und wenn sie von einem netten Kerl sprach, dann war er sicher gemeint, immerhin war er ja der Frauenheld schlechthin… Aber dass er sich direkt mit einer dahergelaufenen Prinzessin einlassen würde? Ich wusste ja nicht so Recht…

„Ja, Link. Mein Verlobter. Er ist vom Stamme der Kokiri und sooo stark! Er hat mich aus Jabu Jabus Bauch befreit und die Barinade verprügelt! Aber dann ist er einfach gegangen… Ich habe ihm unseren Verlobungsstein mitgegeben, damit er sich für immer und ewig an mich erinnert!“

Es verschlug mir die Sprache.

Aha. Salia ließ er alleine, aber mit dieser Prinzessin hier verlobte dieser unsensible Dummkopf sich direkt? Ich war keinesfalls sensibel, aber hier sah sogar ich, dass irgendetwas seltsam war. Bedeutete unser Volk ihm denn gar nichts? Nein, nicht unser Volk… Die Kokiri, zu denen wir nicht mehr gehörten. Meine Stirn lag in Falten und ich verschränkte die Arme, betrachtete Ruto eindringlich.
 

„Verlobungsstein.“, wiederholte ich. „Wie habe ich mir das vorzustellen?“

Vielleicht war es ja gar keine richtige Verlobung sondern nur eine Art Spiel… Außerdem erinnerte es mich an das Relikt der Kokiri – Den Kokirismaragd… Der Deku Baum hatte uns einst erklärt, dass er wichtiger wäre, als wir alle dachten. Warum, verstand ich bis heute nicht.

„Meine Mutter hat ihn mir gegeben, als sie starb. Aber das kannst du vergessen, der gehört nur Link, auch, wenn du mich sicher auch gerne auf der Stelle zur Frau nehmen würdest.“

Ich blickte sie mit hochgezogener Braue an, ehe ich stumpf konterte: „Oder auch nicht. Es geht um Link. Wir glauben, er schwebt in Gefahr. Ich brauche die Informationen.“.

Warum hatte ich mich noch gleich zu Links persönlichem Leibwächter ernannt?

Es war jedenfalls interessant, seine Spuren zu verfolgen, und wenn ich erfahren konnte, was mit ihm geschehen war, vielleicht konnte ich Salia dann beruhigen. Vielleicht saß dieser kleine Idiot einfach irgendwo und verlobte sich mit noch mehr Prinzessinnen.

„Was? Link? In Gefahr?“, echote sie.

„Sonst würde ich es doch nicht sagen, oder?“

Ruto setzte sich. Anscheinend schien sie wirklich schockiert darüber.

„Na, in Ordnung. Ich sage dir, was du wissen willst…“, begann sie und stand schließlich wieder auf. „Folg mir zuerst in mein Gemach. Wir werden uns dort unterhalten. Deine Fee ist auch dort.“
 

Ich schob die Hände in meine klitschnassen Hosentaschen und bemerkte erst jetzt, dass es ziemlich kalt war. Wenn ich mich nicht erkälten würde, wusste ich auch nicht weiter. Dieser ganze Stress in letzter Zeit. Nervige Prinzessinnen, das Dorf verlassen und einem Dummkopf nachsteigen, der sich mit jeder verlobte, die ihm über den Weg lief. Zumindest hatte ich jetzt für den Rest meines traurigen Lebens ein tolles Hobby gefunden. Ironischerweise befasste sich jenes mit der Person, die ich am meisten auf dieser Welt hasste.

Eine Tür wurde geöffnet und Ruto ging hindurch.

Sie setzte sich auf ihr Bett und senkte den Blick.

„Mach die Tür bitte hinter dir zu. Setz dich, wohin auch immer du willst. Ich werde reden.“

So leicht war es, ihren Willen zu brechen? Ich schloss die Tür und setzte mich auf einen Stuhl, der aus einem weiß-bläulichen Gestein angefertigt war. Das Rauschen der Wellen hörte man selbst hier noch.

„Wie kommst du darauf, dass ihm etwas zugestoßen ist?“

Die Frage machte mich einen Moment lang mundtot, weil ich mir dachte, dass sie mir nicht glauben würde, aber mehr als die Wahrheit hatte ich nicht.

„Also, es gibt so ein Mädchen, bei uns im Wald – Ihr Name ist Salia.“

„Ein Mädchen? Liebt Link sie?!“

Sie hatte wohl nur ihre Verlobung mit ihm in ihrem hohlen Köpfchen.

„Nein, aber das ist auch jetzt gar nicht wichtig! Sie hat eine Art Verbindung zu ihm und seit kurzem nimmt sie ihn nicht mehr wahr. Sie hat Angst, dass ihm etwas zugestoßen ist und deswegen bin ich los, um ihn zu suchen.“

Eigentlich war das nicht der Grund gewesen, warum ich mein Dorf verlassen hatte, aber davon musste das Mädchen hier ja nichts wissen. Am Ende würde sie mich noch heraus schmeißen, weil ich keinen Namen hatte. Ach ja, einen Namen! Ich musste ihr meinen noch sagen.

„Ich heiße im Übrigen Mido.“, stellte ich mich der kleinen Prinzessin vor.

Sie atmete tief ein und aus.

„Und diese Salia, sie mag ihn?“

Ich schlug die Hand wie aus Reflex gegen die Stirn. Hier könnte jemand gestorben sein, aber ihr war es vollkommen egal!

„Ja, ich glaube schon.“, antwortete ich ehrlich.

„Was hat sie, was ich nicht habe? Sie ist nichtmal eine Prinzessin! Sag mir, dass Link sie wirklich nicht so liebt, wie er mich liebt!“

Es war ein Moment, in dem ich meinen Kopf gegen die Wand schlagen wollte. Wie konnte so ein junges Ding über die Liebe reden? Selbst ich maßte mir das nicht einmal an.

„Ich habe keine Ahnung, wie er dich liebt, oder ob er sie liebt, aber er hat uns verlassen, also kann die Liebe ja nicht besonders groß gewesen sein…“, sagte ich trocken. „Und jetzt sag mir schon, was ich wissen will.“

Nur aus dem Augenwinkel sah ich Merle, die es sich in einem Schrank bequem gemacht hatte und wohl andere Sorgen hatte. Sie hatte Glück, dass sie dieses Armutszeugnis an Ernsthaftigkeit nicht mitbekommen musste. In meinem Kopf machten sich Schmerzen breit… Ich konnte mit diesem Mädchen einfach nicht umgehen und wenn sie ihre Antwort noch mehr als ein paar Sekunden herauszögerte würde ich sie zu gegrilltem Fisch verarbeiten!
 

„Und du bist so tapfer, ihm nachzureisen?“

„Naja, tapfer, haha…“

Vielleicht würde ich ihr auch nicht weh tun.

„Oh nein, stell dein Licht nicht unter den Scheffel. Es ist so mutig und nobel von dir, das zu tun!“

Naja, eigentlich war sie vielleicht nicht einmal so schlecht. Ich grinste breit und nickte. Ja, und wie mutig und nobel ich war! Mit einer Hand zog ich mir die Mütze vom Kopf und wrang sie aus.

„Also, Mido…“, begann sie.

„Eigentlich nennt man mich eher den Großen Mido! Ich führe die Kokiri an.“

„Oh, ein Anführer? Wie erhaben…“, sagte sie und sah ein wenig sinnierend aus. Ja, wie erhaben ich war! Ich war so unglaublich erhaben! Und Link war es nicht.

„Großer Mido, mit welcher Information kann ich dir behilflich sein?“

Unzerbrechlich sein

Diese direkte Frage stieß mir irgendwie vor den Kopf. Warum wusste ich nicht. Ich hatte keine Ahnung, was genau ich fragen oder sagen sollte, weil meine größte Sorge war, was ich tun sollte, wenn ich hier draußen war und zu niemandem gehörte. Ich hatte doch alles gut gemacht und trotzdem hatten sie mich weggeschickt. Und das angeblich der Rasse wegen. Die Bewandtnis war doch nicht ernst gemeint gewesen von ihnen. Und jetzt ging ich und suchte nach dem Wesen, den ich am meisten hasste, ohne zu wissen, warum. Ich hatte nicht einmal hinterfragt, warum ich es tat. Ich wusste es nicht.

„Mido?“

Sie riss mich aus meinen Gedanken.

„Entschuldige…“, säuselte ich etwas geistesabwesend. Was für einen Grund hatte es? Warum sollte ich ihn mein Leben lang suchen wollen? Wem wollte ich etwas beweisen? Wenn sie mich verbannt hatten, dann konnte ich auch nichts anderes mehr tun, als mich davon fern zu halten. Also musste ich mich auch von Link fernhalten und einfach vergessen. Zumindest versuchen, zu vergessen. „Ich glaube, ich gehe lieber. Entschuldige, dass ich dich… Euch… gestört habe… Ich bin mir sicher, es geht ihm bestimmt ganz gut.“ Mit einem leichten Kopfschütteln erhob ich mich von dem Stuhl. Wenn ich zurückdenke, war es eine unglaublich schlimme Tat. Ich ließ sie im Unklaren und belog sie sogar noch. Ich wusste nicht, ob es ihm gut ging. Ich wollte es gar nicht wissen.

„Aber… Was…“

Ich hörte sie verwirrt hinter mir stammeln, als ich Merle aus dem Schrank fischte. Sie erwachte nur langsam und gähnte ausgiebig. Dann sah ich zu Ruto herüber. „Warum bist du dann gekommen? Willst du mich auf den Arm nehmen?“ Ich zuckte die Schultern auf ihre Anschuldigungen, weil ich nicht wusste, was ich sagen sollte. Sie brauste auf, bewarf mich mit Teilen ihrer Einrichtung und erklärte mir, dass ich mich verziehen sollte, dass ich sie dreckig belogen hatte und ein widerliches Wesen war, dass sie sich solche Sorgen machte um Link. Dann sagte sie etwas, was ich nie vergessen würde:

„Du bist doch nur zu feige, um etwas zu tun!“

Ja, ich war zu feige.

Auch, wenn ich ein riesengroßes Selbstbewusstsein hatte, und mir Meinungen von anderen nie zu Herzen nahm – weil ich halt so war, wie ich war! – traf mich ihre grollende Stimme wie ein Schlag in die Magengrube, und das nicht zu gering. Ich fühlte mich einen Moment lang dumpf und wie erstickt, dann senkte ich den Blick und verließ stillschweigend den Raum. Es war das erste Mal, dass ich mit eingekniffenem Schwanz wie ein kleines Wolfsheimerjunges still und leise parierte. Selbst gegen den Deku Baum hatte ich mich aufgelehnt. Aber hier schien – und fühlte ich mich auch – machtlos. Ausgeliefert zu sein war ein miserables Gefühl und ich war froh, dass ich es so viele Jahre von mir ferngehalten hatte. Aber irgendwann kam immer ein erstes Mal und das war meines. Wahrscheinlich eines der wichtigsten Ereignisse für mein Leben.
 

Merle richtete sich in meinen Händen auf.

Es war mir aufgefallen, wie schwach sie geworden war, dass sie immer matter strahlte und ihre Stimme fast verloren hatte. Konnten Feen krank werden? Ich sah zu ihr hinunter, während ich in Richtung des Ausgangs ging. „Du siehst nicht besonders gut aus.“, sagte ich. Sie sagte schwach und trocken: „Danke, du bist auch hässlich.“. Ich rang mir ein Lächeln ab.

„Mido… Der Deku Spross ruft mich zu sich.“

Tatsächlich hätte ich es mir denken können. Kein Kokiri hieß auch keine Fee. Wie Navi bei Link hatte bleiben können, war mir ein Rätsel. Sie erklärte mir, dass, je mehr wir uns von den Wäldern entfernten, umso schwächer fühlte sie sich. Ich wollte nicht, dass es ihr schlecht ging, aber verlieren wollte ich sie auch nicht. Sie war der einzige Umgang, den ich noch hatte! Sonst war ich alleine… Es war schade, dass es keine Stadt in unmittelbarer Nähe zu den Wäldern gab. Wir hätten zusammen bleiben können. Verständnisvoll nickte ich. „Dann… flieg zurück. Und pass gut auf dich auf. Ich werde dich mal besuchen kommen, das verspreche ich dir.“, flüsterte ich ihr zu und strich mit der Spitze meines Zeigefingers über einen ihrer Flügel. Es war ein trauriger Abschied. Wir kannten uns seit ich denken konnte und wir kamen ohne einander nicht aus. Der Grund dafür war, dass uns niemand so gut verstand, wie der jeweils andere. Wir waren uns so ähnlich, dass es war, als würde ich einen Teil von mir selbst gehen lassen.

Unbeholfen sprang ich durch den Wasserfall und war immer noch komplett durchnässt. Mein Gepäck hatte ich in Rutos Zimmer gesehen und wieder mitgenommen. So stand ich da, mit Merle in meinen Händen.

„Geh jetzt nach Kakariko. Alle Vertriebenen und Verfolgte finden dort ein Heim.“, versuchte sie mir zu erklären. „Kakariko wurde von einer Shiekah errichtet, die der Königsfamilie dient. Vielleicht wirst du sie dort auch finden und kannst sie persönlich fragen.“

Ich nickte.

Zwar hatte ich nicht viel Ahnung von der Außenwelt, aber von den Shiekah hatte ich schon gehört und wusste, dass sie ein außerordentlich weises Volk waren… Wenn auch sie so weise war, vielleicht konnte sie mir weiter helfen? Ich würde endlich wissen, was ich war. Und wohin ich gehörte…

„Bitte pass auf dich auf. Ich werde jetzt los fliegen.“

Sie schlug mit den kleinen, zerbrechlichen Flügeln, die aussahen, wie ein wunderschönes Mosaik. Leider war es wohl das letzte Mal, dass ich diese Fee sehen würde… Oder zumindest glaubte ich das. Warum musste mir das passieren? Am liebsten wollte ich sie nicht gehen lassen, einfach die Hände schließen und sie festhalten. Ich würde sie ziemlich vermissen.

Sie hob ab.

„Ich komme dich besuchen. Bitte pass auf Salia auf.“, meinte ich leise. Ich hörte sie leise Glucksen. Ich wusste, dass sie meine Freundin hasste, allein, weil sie sehr einnehmend war… Aber…

„Bitte, tu es für mich.“
 

Ein kalter Windhauch umgab mich, ich spürte die Kälte des Wassers und sah, dass das Gras sich dem Wind neigte. Ein Sturm würde aufziehen. Und ich wollte nicht unbedingt hineingeraten. Dunkle Wolken zogen den Horizont entlang und bevor ich sie aufhielt, ließ ich sie lieber gehen.

Ich sah das Licht verschwinden, und wusste, dass ich nun endgültig nicht mehr zu ihnen gehörte.

Ich war frei. Und doch verlassen.

Mit gesenktem Blick verweilte ich einen Moment, die Arme um meinen Oberkörper geschlungen und nach Bedachtsamkeit ringend. Jetzt bloß nicht den Kopf verlieren.

Nicht den Kopf verlieren…

Tief atmete ich ein, füllte meine Lungen mit der kühlen Luft und schmeckte immer noch das Wasser auf meinen Lippen. Wie sollte ich mich bloß eingliedern? Für was sollte ich noch leben? Ich hatte keine Aufgabe mehr. Jetzt, wo ich nicht mehr zu ihnen gehörte und Link für mich als Thema abgelehnt hatte.

Es war Zeit, ein neues Leben aufzubauen.

War es eine Strafe, oder war es eine Chance?

Ich würde mich schon durchschlagen, selbst, wenn ich dafür gegen die ganze Welt kämpfen musste.
 

Ein düsteres Grollen leitete meinen Weg ein, das plötzliche Einsetzen eines Platzregens begleitete mich, während ich in Richtung des Todesberges ging. Hier würde mein neues Zuhause sein. In Kakariko…

Ich musste einfach nur unzerbrechlich sein.

Mutoh und seine Söhne

Den Jutebeutel über der Schulter und die Beine in die Hand genommen, wanderte ich schnellen Schrittes. So wollte ich nicht vom Gewitter überrascht werden, welches zwar nicht sonderlich plötzlich, aber mit überzeugender Kraft aufgezogen war. Seitdem meine Begleiterin verschwunden war, war mir recht blümerant zu Mute, doch musste ich weiterziehen. Der Gedanke, von nun an mit anderen Wesen zu leben, mir vielleicht neue Freunde zu suchen, ließ mich schuldig fühlen, denn niemand konnte meine alte Gemeinschaft ersetzen. Sollte ich mich schuldig fühlen, wenn sie mich hinausgeworfen hatten? Hatten sie es nicht eigentlich so verdient? Warum sollte ich mir kein schönes Leben machen?

Mit dem Verlassen der Wälder war ich ganz schön in die Bredouille geraten.

Was sollte ich tun?

Zuerst war es ratsam, eine Arbeit zu suchen.

Doch in diesem Aufzug (und dem Umstand, keine Geschichte zu haben) würde sich wohl niemand, der klaren Verstandes war, mit mir arrangieren wollen. Ich zog die Nase kraus, als ein kugelrunder Tropfen – platsch! – darauf landete, und mich daran erinnerte, mich zu beeilen.

„Ja, ja!“, fluchte ich still und legte einen Zahn zu, sah schon den Eingang in das Dörfchen. Ich musste zumindest diese Nacht irgendwo unterkommen und wenn diese Impa nicht dort war, wo Merle es mir vorgeschlagen hatte, war ich aufgeschmissen. Die Gegend sah nicht sonderlich bequem aus, und das Wetter nicht gut genug, um draußen zu schlafen. Zumindest eine Höhle würde mir keinen Schutz bieten, denn darin würde ich wohl ertrinken. Sollte ich mich in dieser Ortschaft niederlassen?

Ich zog die Mütze tiefer ins Gesicht und nahm die Stufen in schleppendem Tempo. Durch Wind und Wetter zu gehen war doch anstrengender, als erwartet und ich fragte mich: Wenn ich das hier schon anstrengend fand, wie sollte es dann mit dem Rest meines Lebens stehen? Man hatte mir erzählt, wenn man älter wurde, musste man hart arbeiten, um sein Brot zu verdienen. Ob ich es jemals zu etwas bringen würde? Ich ging einen Schritt zuviel, die Treppe war vorbei, und stolperte, stützte mich auf dem Boden ab, dem ich nun unangenehm nahe war. Ich hob den Blick und sah durch den Regen hindurch eine kleine Stadt.
 

Vor dem Tor, das sich mir offenbarte, stand ein Wachmann. Er schien die Sicherheit der Stadt zu gewährleisten. Zudem war er eine Person, die aussah, wie ich. Nur in anderer Kleidung. Ich richtete mich auf und klopfte meine Kleidung ab, ehe ich ihn kurz musterte. Wachen waren mir nicht geheuer – Ich beschloss, weiter zu gehen, doch anscheinend hatte er meinen etwas zu auffälligen Blick bemerkt.

„Kleiner, was machst du denn bei so einem Wetter noch draußen? Hast du kein Zuhause?“

Er lachte und wollte wohl einen Scherz machen. Für mich war das gar nicht so witzig. Ich sah zu ihm hinüber. „Nein, habe ich nicht.“

Das Lachen blieb ihm im Hals stecken und er lehnte die Lanze an das Tor, blickte mich von oben bis unten an. Anscheinend wollte er mir nicht so recht glauben, oder aber, er sah Gestalten wie mich hier nicht so oft. Vielleicht brauchte er aber auch einfach nur Ablenkung von der Arbeit.

„Na, wenn das so ist… Ich muss hier Wache stehen, aber du findest dich sicher in der Stadt zurecht. Dir wird bestimmt ausgeholfen. Niemand würde einen kleinen Jungen im Stich lassen.“

Er rieb sich das Kinn und verengte die Augen nachdenklich, als er wieder die Lanze an sich nahm. Ich beschloss, weiterzugehen, denn er konnte mir offensichtlich nicht helfen. Seinen Blick im Rücken spürte ich noch einige Meter, bis ich eine weitere Person wahrnahm. Sie saß an einen Baum angelehnt, leicht in sich zusammengekauert und war erschreckend blass. Ich hatte Scheu, ihn anzusprechen, daher unterließ ich es. „Noch so ein widerlicher grüner Kerl.“, hörte ich ihn leise murmeln, als ich an ihm vorbeiging. Nur über die Schulter sah ich zu dem kahlen Baum nach, an dem er gelehnt saß und den Kopf schüttelte. Ein seltsamer Ort. Hoffentlich waren hier nicht alle so.

Ich entschied, einen Moment lang inne zu halten und mich umzusehen. Als ich den Blick etwas mehr hob, entdeckte ich, getrübt von Regen, eine Mühle, vor ihr stand ein Brunnen. Bei so einem Wetter würde sicher keiner mehr zu einer Mühle gehen… Zu meiner Linken sah ich eine Treppe, die in Richtung eines Berges führte. Sein Gipfel war von weißem Rauch umgeben. Außerdem erblickte ich eine Aussichtsplattform. Doch sonst waren hier nur Häuser. Ich hatte wohl keine andere Wahl, als mich weiter umzusehen. Da Brunnen meist die Mittelpunkte von Städten darstellten, machte ich mich auf den Weg dorthin. Doch auf halber Strecke hörte ich aus einem Wohnhaus lautes Gerede, Schmatzen und Gelächter. Vielleicht konnte ich mich dort erkundigen, denn es schienen nette Leute zu sein.

Schwach lehnte ich mich auf die Türklinke.
 

Alle Blicke wandten sich zu mir und das Gelächter verstummte.

Es war ein seltsames Schweigen, ehe ich meine Stimme wieder fand.

„Entschuldigt die Störung… Ich bin nicht von hier… Ich brauche Hilfe.“

Allein zuzugeben, Hilfe zu brauchen, war schon entmutigend genug. In dem Haus fand ich eine Frau mit einem burgunderfarbenen Hemd vor, einen etwas älteren Herren und – anscheinend – ihre drei Söhne. Das Knistern von wärmendem Kaminfeuer lag in der Luft und ich konnte das verbrannte Holz riechen, so, wie auch das Essen auf dem Herd. Die Frau sah mich besorgt an.

„Komm doch erstmal rein, du kleiner Floh.“

Ich nickte und schloss die Tür hinter mir.

„Bitte, setz dich doch, nimm Platz. Du holst dir da draußen noch den Tod.“

Worte konnten nicht ausdrücken, wie glücklich ich war, nicht wieder verscheucht zu werden. Ich ging zu dem Stuhl, der in der Raummitte am Tisch stand, und ließ mich auf diesen fallen, zog die Mütze vom Kopf.

„Ich danke Ihnen, Ma’am.“, sagte ich mit etwas heiserer Stimme.

„Worum geht es, Zwergnase?“

Die barsche Stimme des Älteren brachte mich dazu, ihn etwas schockiert anzusehen. Er grinste mich breit an und sah mich aus wohlwollenden, dunklen Augen heraus an. Sein Bart zuckte an der Oberlippe, als er mit mir sprach. Auf dem Kopf war er allerdings kahl. Allgemein sah er wie ein netter, alter Mensch aus, allerdings auch sehr streng. Seine Stimme verriet, dass er wohl öfter laut wurde.

„Ich… brauche Hilfe.“, gestand ich. „Ich komme aus dem Wald und brauche eine Unterkunft für diese Nacht… Ich habe auch etwas Geld dabei. Ich würde auch arbeiten!“

Er rümpfte die Nase, schnäuzte dann in ein Taschentuch. Der Geruch von Braten lag in der Luft. Seine Frau richtete sich einen Moment das Haar.

„Na, da können wir dir nicht helfen! Hier ist alles voll! Meine Söhne brauchen viel Essen und Platz. Zumindest willst du arbeiten, nicht wie mein schrecklicher Sohn, der sich nachts draußen herumtreibt. Grauenhaft, sage ich dir…“, begann er, und erzählte dann, wie abscheulich sich sein Sohn verhalte, wobei seine Stimme immer lauter wurde, aber seine Worte immer nichts sagender.

„Mutoh!“, schalt ihn die Frau. „Nun erschreck den Kleinen nicht so. Schau mal, wie blass er schon ist. Der braucht was zwischen die Rippen. Der fällt ja schon vom Fleisch. Na, eine Portion haben wir schon noch über, aber mit einer Unterkunft können wir nicht dienen, entschuldige.“

„Weib! Er soll wissen, was man im Leben erreichen muss, um nicht zu werden, wie Grog!“

Ich musste matt lächeln.

Die Frau schöpfte einen Löffel Suppe, so, wie die Söhne sie schon aßen, und füllte eine Schüssel, die sie mir reichte. Ich wusste nicht recht, was in der Suppe war. Das Essen von außerhalb war mir schon immer seltsam vorgekommen, aber jetzt, wo ich es sah, fand ich es noch undefinierbarer.

„Möchtest du noch Braten in die Suppe?“

Braten? In die Suppe? Ich kam nicht drumherum, sie leicht verwirrt anzusehen, und den Kopf zu schütteln. Ich nahm zögerlich den Löffel und tunkte ihn in die braune Brühe, in der allerlei Gemüse schwamm, bevor ich ihn an die Lippen setzte und das Gebräu schlürfte. Schmeckte gar nicht einmal so schlecht. Sofort nahm ich einige weitere Löffel.

Der Mann lachte.

„Haha, ein gesunder Appetit, der Bursche, das muss man ihm lassen! Er wird sicher mal ein stattlicher Mann. Ja, haha.“

Ich setzte die Schüssel an die Lippen und trank den Rest.

„Danke, es war köstlich!“, sagte ich flugs und wischte mir mit meinem Arm über den Mund. Die Frau nickte und lächelte mich an. Breite Grübchen zierten ihre molligen Wangen, als sie mir den Teller vom Tisch nahm und ihn abspülte, wobei sie immer wieder Ärger mit dem dunklen, krausen Haar hatte, das ihr ins Gesicht fiel.

„Nun, jetzt, wo ich drüber nachdenke, weiß ich vielleicht einen Ort, an den du dich wenden könntest, um die Nacht zu verbringen. Die sind immer glücklich, wenn sie einen haben, der ihnen bei der Arbeit hilft. Und dann noch so ein netter, ansehnlicher Bursche.“

Ich fühlte mich geschmeichelt. Ein kleiner Hoffnungsschimmer kam in mir auf, vielleicht war es aber auch nur die angenehme Wärme, die das Essen in meinem Bauch verbreitete. Aufmerksam blickte ich zu der Frau hinüber.

„Ja, die Leutchen, hinter dem Todesberg! Ich sehe sie selten hier im Dorf, sie nehmen lieber Umwege. Ich glaube, sie haben Ziegen, Schafe und ein Gaul. Da freuen sie sich immer, wenn man ihnen hilft. Mutoh, was meinst du?“ – „Die? Ja, die sind in Ordnung. Gute, bürgerliche Leute. Sehr fromm. Immer am arbeiten. Der Herr ist sehr stark, die Frau eine gute Köchin und die Tochter… nun, sagen wir, sie ist… ganz nett.“ Er schnalzte mit der Zunge und ließ sich einen weiteren Löffel Suppe einschenken. „Keine Schönheit, das Mädchen, auch nicht sonderlich klug, aber sie hat ein Herz – So wie der Rest der Familie. Wäre die nicht was für dich?“ Er grinste. Ich verzog das Gesicht. Mädchen? Nein, danke.

Aber der Ratschlag genügte mir.
 

„Mutoh, bring ihn doch kurz rüber. Das ist doch kein Weg.“

Man sah ihm seine Begeisterung über den Vorschlag, seiner Frau im Gesichte an, bevor er versuchte, die Arbeit auf seine Söhne abzuwälzen, die davon gleichermaßen wenig überzeugt waren. Als die Hausherrin sich anbieten wollte, erhob ich mich.

„Ich finde mich schon zurecht, danke sehr. Das Essen war sehr lecker. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“

Gemächlich trottete ich zur Tür.

„Und du bist sicher, dass das geht?“, fragte die Frauenstimme. „Ja, machen Sie sich keine Sorgen. Immerhin habe ich es vom Wald bis hier hin auch geschafft.“ Und so verschwand ich wieder in der kühlen Nässe.

Ein neues Ziel

Ich nahm an, dass es sich bei dem Todesberg um den großen Berg handelte, den ich gesehen hatte, als ich das Dörfchen betreten hatte. Die Treppe zur nächsten Ebene lag direkt vor dem Hauseingang, sodass ich mich flugs die Treppen hinauf schlich. Auch, wenn der Späherturm sehr einladend auf mich wirkte, war mir klar, dass das nicht der gewollte Weg war. Es donnerte laut. Ich fuhr zusammen und wandte mich nach links. Dort erwarteten mich zwei Häuser und eine weitere Treppe – Von hier aus sah ich erneut eine Wache, die den Eingang zum Berg bewachte. Ich ging zu ihr und nahm mir vor, mich nach dem Weg zu erkundigen.

„Guten Abend. Mir wurde gesagt, hinter diesem Berg würde sich eine Familie befinden, die Schafe und Ziegen hütet – Liege ich richtig in der Annahme?“

„Nun, prinzipiell schon, aber da hier im Moment öfter Erdrutsche von statten gehen, kann ich dich nicht passieren lassen. Hinter der Mühle gibt es einen weiteren Weg, dazu musst du über den Zaun steigen. Ich hoffe, das hilft dir weiter, kleiner Mann.“

Es hieß also schon wieder Umwege machen.

Nachdem ich mich bedankt hatte, nickte ich ihm zu und ging den Weg zurück, steuerte auf den Brunnen zu. Das Gekrächze von Krähen lag in der Luft und ich fühlte mich etwas unbehaglich. Ich blickte das Schild etwas fragend an, weil ich nur wenige der Lettern entziffern konnte. Lesen war nicht meine Stärke gewesen – war es noch nie. Ich schob mich an dem Stück Holz vorbei und blickte hinunter. Das Wasser stand relativ hoch und war düster. Eine Leiter führte hinab. Wahrscheinlich gab es Zeiten, in denen das Wasser nicht so hoch gestanden hatte, oder er war manchmal verstopft, sodass man sich darum kümmern musste. Ich wollte jedenfalls nicht der sein, der da hinunter musste. Als mir von dem Anblick der Tiefe schlecht wurde, und ich erneutes Donnergrollen hörte, verzog ich mich lieber. Ich ging die Treppe zur Mühle hinauf, hatte allerdings nicht wirklich vor, sie zu betreten. Nur leise hörte ich Musik hinaus dringen, aber ich wollte nicht wissen, wer abends darin Musik spielte. Eine Leiter erblickte ich hier nicht – Nur hinter dem Zaun, den ich ohne weiteres nicht überwinden konnte. Hinter mir fiel mir eine Kiste auf. Sie sah nicht aus, als würde man sie oft bewegen. Ich war keine Person, die Umwege mochte. Ich stemmte mich gegen die Kiste, schob es ein wenig. Kein großes Stück. Dann konnte ich auf sie klettern und zu der anderen Ebene gelangen. Tatsächlich konnte ich nach dem Zaun weites Land sehen.
 

Jetzt musste ich nur noch klettern.

Ich trat wenige Schritte zurück, nahm hurtig Anlauf und sprang ziemlich weit oben an den Zaun, krallte mich an diesem fest. Ein Blitz erleuchtete die Umgebung und zeigte die Silhouette eines kleinen Hofes, den ich von hier aus erblicken konnte. Jetzt nur nicht aufgeben!

Tief atmete ich ein und griff in den morschen Holzstab über mir, trat eine Sprosse höher und schaffte es schließlich oben auf den Zaun. Pardauz, ließ ich mich auf die andere Seite hinunterfallen und rang erschöpft nach Luft. Ich armer Tropf war vollkommen eingerostet. Ich wusch mir mit der Hand über das Gesicht, bevor ich mich wieder aufrichtete. Es war nicht mehr weit. Und wenn sie sich so sicher waren, dass mir diese Familie helfen konnte, würde es sich lohnen. Schnellen Schrittes und gegen den Wind bewegte ich mich auf das Haus in der Ferne zu. Jeder Schritt kam mir wie eine Ewigkeit vor, doch musste es nur eine recht kurze Weile gewesen sein. Das Haus stand fest auf dem durchnässten Boden, die Scheune gleich anbei. Nebst ein laveder Brunnen. Sie gingen sicher in die Stadt, um Wasser zu holen. Das Quäken eines Kindes schnitt die Luft.

„Komm schon mit, du Zicke!“

Das Meckern einer Ziege breitete sich aus. Ich konnte in etwa orten, von wo es kam.

„Du musst jetzt wieder rein! ... Aua! Nicht beißen! Ich hab’s Papa versprochen! Beweg dich endlich… du doofe Ziege!“ Ein Hecheln. Es war ein Mädchen, das sich wohl größte Mühe gab, eine entlaufene Ziege zurück in den Stall zu bringen. Ich ging dem Geräusch nach und erblickte ein Kind, das etwa so groß war wie ich. Es zog die Ziege bei den abgestumpften Hörnern in die Richtung der großen Scheune und tat sich einen Abbruch daran. Das sollte mich eigentlich nicht stören, hätte ich nicht ein Heulen gehört – Dazu noch ein ziemlich Lautes. Das Mädchen hielt inne und die Ziege ebenso. Sie wagte es nicht, sich umzudrehen. Und ich wagte es mich fast nicht, hinzusehen. Ein Wolfsheimer, der sich wohl verlaufen hatte, baute sich hinter dem Mädchen auf. Reflexartig hatte ich die Schleuder gezogen und blind geschossen. Glücklicherweise hatte ich sein Auge erwischt. Er jaulte auf, fiel zu Boden und war kurz abgelenkt. Ich steckte die Schleuder ein und zog das Schwert vom Rücken, rannte zu dem Mädchen, das ich bei Seite schubste.
 

„Nimm das!“

Der Wolfsheimer richtete sich zu seiner ganzen Größe vor mir auf und wehrte meinen Schlag ab. Gleich danach streifte er mich mit seiner Tatze. Ich hatte ihn wohl wütend gemacht. „Argh!“ Einige Schritte stolperte ich zurück, blickte aus dem Augenwinkel zu dem Mädchen, dass die Ziege an sich drückte. „Verzieht euch, na macht schon!“, keifte ich sie an, wehrte mit größter Mühe einen weiteren Schlag ab. Sie gab einen quiekenden Laut von sich und drehte mit der Ziege um, die bereitwillig mit ihr davonlief. Der Wolfsheimer heulte, holte zum erneuten Schlag aus. Blind stach ich zu und traf seinen Torso. Er gab ein unterdrücktes Jaulen von sich, wich einige Schritte zurück. Der nächste Stoß saß – Er bewegte sich nicht mehr. Das Blut tropfte auf die Koppel und er tat seine letzten Atemzüge. Ich zog mein Schwert aus dem Tier, fiel dann selber erschöpft zu Boden.

„Papa, Papa, der Junge ist…“

Die Stimme des Mädchens verstummte. Ich blickte über die Schulter und sah sie an der Hand ihres alten Herren. Die Ziege stand angebunden an der Tür. Ich tastete nach meinem Schwert, fand es, und steckte es unabgewischt in die Scheide. Dann ließ ich mich auf das Gras zurückfallen und spürte, dass mir etwas schwindelig war. Erst, als ich an mir hinab blickte, sah ich, dass mein Oberteil zerfetzt war. Ich hatte Glück gehabt, denn mich hatte er nur gestreift. Nur ein wenig Blut trat aus.

Ich sah, wie er das Mädchen stehen ließ, zu mir kam und mich beäugelte, dann hob er mich hoch, als wäre ich eine Feder. Der Mann war in der Tat recht stark. „Gwen, geh ins Haus und mach eine warme Schüssel Wasser fertig. Nimm eine Große. Mach Mutter wach. Ich bringe ihn rein und kümmere mich dann um Pebbel.“

„Tut mir Leid, Papa. Ich hätte Pebbel nicht rausholen dürfen…“

Als ich sie überkopf hängend wegrennen sah, wusste ich, dass das wohl eine lange Nacht werden würde. Ich machte den armen Leuten so viel Mühe – Andererseits hatte ich aber auch ihre Tochter gerettet.

Immerhin lebte ich noch.

Hubo und Jenna... Und Gwen

Als die Tür geöffnet wurde strömte mir schon eine angenehme Wärme entgegen. Ich wurde auf den Küchentisch gelegt, sah, wie der Hausherr die Galoschen abstreifte. Das Mädchen stellte eine große Wanne mit heißem Wasser auf den Tisch neben mich. Die Tür ging wieder auf und der Mann ging wieder hinaus, wohl, um sich um die Ziege zu kümmern. Mit leichtem Argwohn näherte sich das junge Mädchen mir und stemmte ihre Unterarme auf den Tisch, blickte mich an. Ich tat mich schwer, die Augen aufzuhalten, und blickte zu ihr hinüber. Sie kniff die Augen leicht zusammen, als sie mich betrachtete.

„Was guckst du denn so?“, meinte ich leise. Natürlich musste ich sie zuerst einmal anpöbeln. Es war wohl einfach eine Eigenart von mir. Sie presste die Lippen aufeinander und zuckte die Schultern, ging dann ein paar Schritte zurück, ehe sie mich von oben bis unten musterte. War ich ein Ausstellungsobjekt?

„Du… hast komische Sachen an.“, bemerkte sie mit einer Schärfe in der Stimme, dass ich Angst hatte, sie würde mich gleich zum Tode verurteilen. Das Mädchen verschränkte die dürren Ärmchen vor der Brust und neigte den Kopf, während sie mich weiterhin betrachtete. Ich fühlte mich richtig begafft. Das Geräusch von knarrendem Holz ertönte und aus dem Augenwinkel sah ich, wie eine Frau mittleren Alters eine Treppe hinabstieg, in der Hand eine Öllampe. Hier unten war ebenfalls eine angezündet, so, wie der Ofen. Sie stellte die Öllampe ab und schien erst einmal realisieren zu müssen, dass ein verwundeter Kokiri auf ihrem Küchentisch lag.

Sie zupfte ihr knielanges Nachtgewand zu Recht und kam näher.

Gwen, steh nicht so hier rum wie bestellt und nicht abgeholt. Frag Papa lieber, ob du helfen kannst.“ – „Hab schon gefragt, Papa sagt nein.“ – „Hm… Dann hol einen Verband.“

Das Kind blickte mich noch einen Moment an, dann setzte es sich in Bewegung.

Die dünne Frau mit den rosanen Wangen setzte sich an den Tisch. „Kannst du das Oberteil ausziehen? Wir müssen die Wunde auswaschen, sonst entzündet sie sich noch.“, sagte sie mit warmer Stimme. Ich nickte, setzte mich auf, und zog mein Hemd über den Kopf aus. Sie tunkte einen Lappen in das warme Wasser.

„Du bist nicht von hier, oder? Deine Kleidung… Kommst du aus dem Wald? Ich weiß noch, als ich dort früher Pilze sammeln musste, war ich oft dort. Du bist ein Kokiri, richtig?

Ich erkannte, dass sie eine ziemlich weise Frau sein musste, denn viele wussten gar nicht von uns – zumindest hatte der Deku Baum mir das damals ans Herz gelegt. Nur nebenbei befeuchtete ich meine Lippen, als sie den Lappen an die Wunde legte und sie auswusch.

„Ja, das stimmt. Oder, zumindest war ich das mal.

Sie lächelte, als sich ihre Vermutung bestätigte.

„Musstest du gehen?“, fragte sie. „Du bist schon älter als die, von denen ich gehört habe. Nicht viel älter, aber ein bisschen.“

„Naja, sie meinten, ich wäre keiner von ihnen und haben mich rausgeworfen. Dabei habe ich sie angeführt.“

Der Unmut war in meiner Stimme deutlich zu hören. Eigentlich hatte ich die Arme verschränken wollen, aber mir fiel ein, dass die Dame an meinem Brustkorb zu Gange war und es nicht klug wäre, ihre Arbeit zu behindern. Ich hörte schnelle, tapsige Schritte, als das Mädchen – sie hieß wohl Gwen – zurückkam und den Verband auf den Tisch legte. Dann sah sie mich wieder so seltsam an.

„Gwen, schau mal, ob du ein altes Hemd von Papa auftreiben kannst. Ich befürchte hier braucht jemand eine Unterkunft.“

„Und wo soll der schlafen?“, fragte sie und klang etwas genervt.

„Bei dir im Zimmer, wenn du ihm nicht den Kopf abbeißt, Liebling.“

Sie war ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. Das Mädchen blies die Wangen auf und machte sich wieder auf den Weg, trampelte missmutig die Treppe hoch. Sie wirkte so unglaublich unsympathisch auf mich – Das konnte sie jedoch nicht von ihren Eltern haben. Ihre Mutter legte den Schwamm bei Seite und begann, meinen Oberkörper zu verbinden, während wir uns eine Weile lang anschwiegen. Anscheinend wusste sie mehr, als ich sagen musste. Hätte ich eine Mutter, würde ich mir genau so eine wünschen. Sie schob eine Strähne ihres braunen Haares aus dem Gesicht und lächelte mich müde an, als sie fertig war.

„So, da wären wir auch schon. Wie heißt du denn eigentlich?“

„Mido.“

„Hm… Mido… Ein süßer Name für einen kleinen Fratz, wie dich…“ Ihre Hand wanderte zu meiner Wange und sie kniff sanft hinein. Es missfiel mir ein wenig, immerhin war ich der große Mido! … Oder war es gewesen. Schnell ließ sie wieder von meiner Wange ab und seufzte vollkommen hingerissen. Sie schien Kinder gern zu haben.
 

Ein lautes Knallen ertönte und die Tür ging wieder auf. Vollkommen durchnässt kam der Herr des Hauses wieder hinein. Er hatte Mühe wegen des Windes die Tür hinter sich zu schließen.

„Was für ein Sauwetter draußen. Nee, nee. Und dann macht die Kleine noch so einen Kokolores. Ich weiß nicht mehr ein und aus mit dem Mädel!“, sagte er mit rauer Stimme, bevor er die Jacke auszog. „Und die Galoschen sind auch noch im Eimer.“

Er schnappte sich ein Handtuch und trocknete sein volles, schwarzes Haar, indem er es durchrubbelte. Dann warf er das Handtuch auf die Theke und kam ebenfalls zum Tisch.

„Junger Mann, danke, dass du unserer Kleinen das Leben gerettet hast. Ich hab das Mistvieh draußen beseitigt. Aber sag mal, was machst du denn zu so einer Stunde hier draußen?“

Der eindrucksvolle Mann legte seine Hand, so groß wie eine Pranke, in mein Haar und wuschelte hindurch. Dann klopfte er mir auf die Schulter, und das ebenfalls nicht sonderlich schwach.

Seine Frau ergriff das Wort für mich, während ich durch den Schulterklopfer noch durchgeschüttelt war.

„Er kommt aus dem Wald. Der Ärmste wurde verstoßen. Schatz, kann er hier wohnen? Nur ein paar Tage. Eine kleine Weile, bis er etwas Eigenes hat. Ich meine, schau ihn dir an, er ist so süß!“ – „Selbst das süßeste Schaf beißt dir einen Finger ab!“

Er wandte sich wieder an mich.

„Sag, Junge, kannst du arbeiten?“

Ich nickte.

„Na, Hubo, dick und bräsig sieht er ja nicht gerade aus, oder? So ein kleiner Bursche kann sicher arbeiten. Und er ist noch so nett. Nur ein paar Tage, Liebster. Ich bitte dich.“

Er runzelte die Stirn, beugte sich zu mir vor, kniff die Augen leicht zusammen, so, wie es auch seine Tochter tat, dann schnaubte er, richtete sich wieder auf und machte eine weitläufige Geste, die wohl mitteilen sollte, dass es ihm egal war. Dann allerdings sagte er zu seiner Frau: „Du bürgst für ihn, Jenna. Wenn er Mist baut…!“ – „Ach, das tut er schon nicht, wirst schon sehen.“
 

Wieder schnelle kleine Schritte.

Das Mädchen stand mit dem Nachthemd auf dem Treppenansatz und blickte zu uns hinüber.

Na, das würde heiter werden.

Unerwünschter Untermieter

Der schwere Leinenstoff sollte mich über Nacht wohl warm halten, aber es war schon Herausforderung genug, ihn anzuziehen, vor allem, wenn ich dreimal hineinpassen würde. Jenna raffte das Nachtgewand auf, damit sie es besser koordinieren konnte. Ich beobachtete sie dabei, betrachtete ihre Hände. Sie hatte lange, sanft aussehende Finger, kaum sichtbar durch die pfirsichfarbene Haut schimmerten die blassblauen Adern. Allgemein waren auch ihre Fingernägel sehr gepflegt, wenn auch nicht besonders lang. Der Halbmond schimmerte in einem blassen Elfenbein. Sie musste nicht hart arbeiten, ihre Hände waren sanft. Ich erkannte die Stelle, an der sie den Kochlöffel hielt. Eine waschechte Hausfrau.

Vorsichtig blickte ich zu ihr auf. Unsere Blicke trafen sich und sie lächelte. Lose hingen ihr ein paar Strähnen ins Gesicht, den Rest ihres Haars hatte sie nachlässig zusammengebunden. Ihre rosafarbenen, geschwungenen Lippen bildeten ein Lächeln – auf ihren Wangen erschienen zarte Grübchen. „Arme hoch, ich zieh es dir an.“ Wortlos nickte ich und hob die Arme. Sie war definitiv eines der hübschesten weiblichen Wesen, die ich je gesehen hatte! Ihre Anwesenheit beruhigte mich ungemein. Wie konnte ihr Kind nur so verzogen sein? Sie zog mir das Loch über den Kopf, ich fand meinen Weg in die Ärmel. Das Gewand war viel zu groß und ich hatte das Gefühl, darin zu versinken.

„Upps, das ist wohl doch ein bisschen größer, als ich dachte. Aber na ja, für heute muss es gehen.“, sagte sie mit lebhafter und freundlicher Stimme. Auch ich musste lächeln. Die Frau war wirklich nett. Sie hatte wohl einen guten Draht zu anderen Menschen, das merkte man direkt. „Jetzt hopp, runter vom Tisch und ab ins Bett. Den Rest bereden wir dann morgen. Gwen wird dich zum Frühstück wecken.“

Ich rutschte ein Stück weit nach vorne, bis meine Beine über den Tisch baumelten, dann sprang ich hinunter und sah in ihre moosgrünen Augen. „Danke noch einmal für Ihre Gastfreundschaft.“ Sie kicherte und winkte ab. Auch zu dem Mann sah ich herüber. „Auch Ihnen besten Dank.“
 

Er nickte wortlos und schien mit seinen Galoschen beschäftigt zu sein, die er genau unter die Lupe nahm. Etwas zögerlich wandte ich mich von den Hausbesitzern ab, drehte mich um und sah schon dicht hinter mir die Tochter stehen, die nur eine Nasenbreite von mir entfernt war. Ein Schreck durchfuhr mich.

„…“

Beidseitiges Schweigen herrschte und sie blickte mich recht forschend an, jedoch mit einer gewissen Abneigung im Blick, die ich nicht deuten konnte. Sie stemmte die Hände in die mageren Hüften, bevor sie sich schwunghaft umwandte. Ihr langes Haar peitschte mir ins Gesicht. Einen Moment lang sah ich so nur einen braunen Schleier, dann klärte sich das Bild und ich sah sie die Treppenstufen hinauftrampeln. Ich sah zu Jenna hoch.

„Mach dir keine Sorgen, sie kann nicht gut mit anderen Kindern.“

Die Mutter zuckte die Schultern und lächelte entschuldigend.

Ich wusste nicht, was mit diesem seltsamen Mädchen los war. Sie benahm sich unmöglich – und das sogar für meine Verhältnisse! Ohne ein Wort zu verlieren folgte ich Gwen recht hektisch, denn sie würde sicher nicht auf mich warten, wenn sie mich schon so behandelte. Kopflos hechtete ich die Treppe hoch, als ich schon in sie hineinrannte. Anscheinend hatte sie doch am obersten Treppenabsatz auf mich gewartet. „Ah!“, machte ich und stolperte zurück, fiel die Treppe fast wieder hinunter, schaffte es mich allerdings noch am hölzernen Geländer festzuhalten. Ein stechender Schmerz durchdrang meine Hand. Hatte mir wohl einen Splitter gefangen.

„Du blöde Kuh, kannst du nicht aufpassen, wo du rumstehst?“, zischte ich ihr leise zu. Sie zuckte gleichgültig die Schultern und wandte sich erneut auf den Absätzen um. Eine Woge der Wut stieg in meinem Bauch auf. Es war nur eine Nacht. Vielleicht fand ich morgen schon etwas Eigenes. Ich musste sie nur heute Nacht ertragen… Und die meiste Zeit davon schlief ich sowieso…

Als ich mich gefangen hatte, ging ich ihr wieder nach, während sie den kurzen Flur entlang lief. „Auf der anderen Seite ist Mamas und Papas Schlafzimmer.“, informierte sie mich und blieb dann vor einer hellen, hölzernen Tür stehen. „Das ist mein Zimmer.“

„Du meinst unser Zimmer. Ich bin heute Nacht auch da.“, berichtigte ich sie.

„Nein, mein Zimmer. Und wenn du etwas anpackst, werde ich dich leider verprügeln müssen.“

Ich war baff.

Ohne weitere Zeit zu vergeuden legte sie die Hand an die Türklinke. Im Zimmer brannte noch Licht – es schien uns entgegen, als sie die Tür öffnete und wartete, bis ich hineinkam. Es war kein Zimmer, wie man es von einem Mädchen erwartete. Es war einfach nur ein Zimmer. Ein großes, sperriges Bett stand vor dem Fenster, überzogen mit einer orangenen Bettwäsche, die mir in den Augen brannte. So knallige Farben war ich aus meiner Heimat nur bedingt gewohnt. Auf dem Bett lagen einige Kissen. Es war groß genug für vier Leute und stabil gebaut. Gwen ging zu ihrem Kleiderschrank und nahm Schlafkleidung heraus, die sie achtlos auf das Bett schmiss.

„Das Bad ist auf der Mitte des Flurs. Da wirst du jetzt hingehen und deine Schuhe ausziehen. Und die Hose auch. Mit Straßenklamotten kommst du mir nicht ins Bett, sonst darf ich es wieder saubermachen.“

„Aber…“

„Nichts aber. Das Nachthemd ist lang genug. Ich guck dir bestimmt nichts weg. Außerdem bist du hässlich. Und jetzt geh und zieh dich um, wasch dir die Finger, so dreckig wie du bist.“

Sie brachte den Geduldsfaden, der sowieso schon zart genug war, zum Reißen.

Ich schloss die Tür hinter mir, dann baute ich mich vor ihr auf. Die Hitze, die mir in die Wangen schoss, spürte ich eindeutig. Vor Wut lief ich puterrot an und wusste gar nicht mehr, was genau ich eigentlich zu ihr gesagt hatte. Nur düster hatte ich in Erinnerung, dass ich gemeint hätte, dass sie dankbarer hätte sein sollen, dass ich sie gerettet hatte, dass sie selber keine Schönheit war und außerdem auch noch eine dämliche Tussi. Entgeistert sah sie mich an, hob schließlich aber die Brauen. Der Moment dauerte etwas zu lang, um überzeugend zu sein, doch dann begann sie zu weinen.

Schluchzend warf sie sich auf ihr Bett.

Meine Wut war wie verflogen.

Ohje, was hatte ich denn da angerichtet? Ich durfte in ihrem Zimmer übernachten, nahm ihr einfach so den Platz weg und dann wollte ich mich nichtmal an ihre Regeln halten? Ich war so ein unsensibler Klotz. Die Einsicht trieb mir sofort wieder die fahle Blässe ins Gesicht.

„Hey… Hey Gwen… Alles in Ordnung bei dir? Ich wollte das nicht. Tut mir so Leid.“

Sie schluchzte lauter und schnappte sich ein Kissen, mit dem sie ihr Gesicht verdeckte.

„Du bist gar keine dämliche Tussi… Ich bin blöd… Du gibst mir dein Zimmer und dann bin ich noch so blöd zu dir… Ich geh jetzt ins Bad, bitte sei mir nicht böse.“

Sie schniefte. Das war mir Antwort genug.

Wir alle hatten einen langen Tag und auch, wenn ich sie gerettet hatte, musste sie mir dafür doch eigentlich nicht dankbar sein. Das hätte doch jeder gemacht – niemand wäre so herzlos gewesen! Langsam verließ ich den Raum, ging in das mäßig große Bad. Dort wusch ich mir Gesicht und Hände, zog die Hose unter dem knielangen Nachthemd aus und stellte die Schuhe in die Ecke, damit ich nicht das ganze Haus dreckig machte. Wo meine Mütze war wusste ich nicht. Sie musste mir abhanden gekommen sein. Gemächlich ging ich zurück zu unserem gemeinsamen Schlafraum, öffnete die Tür. Gwen hatte sich wohl wieder einbekommen und saß recht betroffen am Bettrand, wusch sich klammheimlich über die Augen. Als ich die Tür mehr, als nur einen Spalt öffnete, versteckte sie ihren nassen Ärmel hinter ihrem Rücken.

„Alles wieder gut?“, fragte ich und schloss die Tür hinter mir.

„Ich hab gar nicht geweint. Mir geht es super. Nur weil du einen Charakter wie eine Zappelqualle hast, kann ich ja nichts dafür. Ich geh mich jetzt umziehen.“
 

Ihre Worte überschlugen sich, sie nahm ihre Schlafkleidung und verschwand aus dem Raum. Wow, so viele Beleidigungen an einem Tag und das alles nur von Mädchen – das erklärte, warum ich auch keine Mädchen mochte. Nur kurz hatte ich ihr nachgesehen, dann blickte ich mich wieder in dem Zimmer um. An der Wand hingen selbstgemalte Bilder in die Wand geschlagen mit Nägeln. Zeichnen war nicht gerade ihr Talent. Mit Mühe konnte ich einige Regionen, die ich heute erkundet hatte, erkennen. Wohlmöglich hatte sie schon viel gesehen. Ein Bild machte mich stutzig.

Ein Wald, Wesen in grüner Kleidung – Kokiri?

Ich näherte mich dem Bild sachte, auf dem ein Schriftzug stand, den ich nicht lesen konnte. Die Tür öffnete sich und das Mädchen gähnte ausgiebig, bevor sie zu mir kam.

„Das sind die Kokiri. Mama hat mir oft von ihnen erzählt. Ich hab das gemalt. Sieht nicht so toll aus, aber sonst ist das Zimmer so düster und hässlich.“

Woher wusste ihre Mutter so viel über uns?

Unauffällig blickte ich zu Gwen herüber, dann wieder auf das Bild.

Geheimhalten konnte ich es ja schlecht, immerhin wusste sie ja, dass ich aus dem Wald kam, wenn sie dem Gespräch zwischen Jenna und mir gelauscht hatte. Ich sah mir die Kokiri genauer an. Sie sahen meinen Freunden nur begrenzt ähnlich.

„Der da ist blöd.“, meinte sie und zeigte etwas unkoordiniert mit dem Finger auf einen Rothaarigen. „Und die da auch.“ Dann zeigte sie auf eine Grünhaarige. Ich interpretierte etwas zuviel hinein. Sollten diese Strichmännchen Salia und mich darstellen?

„Wieso? Die sehen doch gar nicht so übel aus. Ich mag den da nicht.“

Ich zeigte auf einen, der weiter abseits stand. Seine Haare waren so stechend gelb, dass sie mir in den Augen wehtaten. Das Mädchen holte tief Luft und sah mich verständnislos an, bevor sie entsetzt den Kopf schüttelte und sich abwandte.

Auch ich sah wieder zu ihr hinüber.
 

„Erzählt deine Mutter oft von ihnen?“

Gwen schwieg und kratzte sich verlegen hinter dem Ohr.

„Ja, alles so Kindergeschichten. Aber aus dem Alter bin ich raus, weißt du?“

Da war ich mir nicht so sicher. Ich hob eine Braue, ehe sie sich auf ihr Bett schmiss und an die Decke sah. Die war ja sogar noch jünger als ich, und dann erzählte sie mir von ihrem Alter?

„Du heißt also Mido, ja?“

„Ja…“

„Ich bin Gwen, aber das weißt du ja schon.“

Guten Morgen, liebe Sorgen!

Mit einem letzten Blick auf das Bild begab ich mich ebenfalls zu dem Bett. Dieses Mädchen machte mich noch völlig meschugge. Bedacht löste sie den geflochtenen Zopf braunen Haares, zog das Haarband heraus und warf es gedankenlos auf den Zimmerboden, bevor sie es ausbreitete. Durch den Druck, der auf ihm lag, warf es Wellen, der Haaransatz war hingegen recht glatt. Sie schien nach einem Gesprächsthema zu suchen, damit wir uns nicht anschweigen mussten. Auch, wenn wir uns nicht sonderlich grün waren. Gwen hatte die Hände ihrer Mutter geerbt, jedoch waren diese rauer, weil sie wohl öfter ihrem Vater bei der Arbeit auf dem Hof half. Als sie ein Thema fand schnalzte sie laut mit der Zunge und eröffnete das Gespräch.

„Du hast doch gesagt, du kommst vom Wald? Wie ist es da? Gibt es da eine Stadt? Hast du schon mal einen Kokiri gesehen?“, löcherte sie mich und ich hob die Brauen. Zu viele Fragen in viel zu kurzer Zeit. Ich setzte mich in den Schneidersitz und lehnte meine Arme auf die Knie.

„Es ist ganz nett dort. Eine Stadt würde ich das aber nicht nennen, mehr ein Dörfchen…“, sagte ich und überdachte meine Worte. Ja, wir waren nichtmal ein Dörfchen. Vielleicht eine kleine Ansammlung von Häuschen. Dann versuchte ich mich auf ihre letzte Frage zu konzentrieren. „Ja, ich wohnte bei ihnen. Aber dann bin ich gegangen. Ist eine ziemlich lange Geschichte.“

Sie verschränkte die Arme vor der Brust.

„Du willst mich auf den Arm nehmen! Echt? Ich würde sie gerne mal sehen… Aber… Deine Kleidung… Bist du ein Kokiri?“ Ihre Stimme war dermaßen neugierig und ihr Blick durchbohrte mich fast. Ihre dunklen, grünen Augen blitzten interessiert auf und sie lehnte sich näher zu mir herüber, um mir genauer zuzuhören. Schnell und aufmerksam klimperte sie mit den Wimpern. Es fiel mir schwer, mich zu konzentrieren. Da war die Müdigkeit, und da war die Tatsache, dass ich nicht wusste, wer oder was ich war. Ich war einfach nur. Und das reichte. Ich zuckte die Schultern. Sie blickte mich noch verwirrter als zuvor an, als sie zu begreifen schien und ihr Blick sich veränderte. Ihre Unterlippe schob sich ein Stück nach vorne, sie sah traurig aus. „Natürlich nicht, du bist ja viel zu alt, um einer zu sein… Und eine Fee hast du auch nicht…“ – „Ich hatte mal eine.“

Ja, und dass ich sie verloren hatte, war nichtmal einen halben Tag her. Zumindest war ich in der Gewissheit, dass es ihr Zuhause gut ging und sie sich nicht mit mir herumquälen musste. Die Erinnerung an sie machte mich etwas traurig. Durch die ganze Aufregung wäre ich fast davon abgelenkt gewesen.

„Wie toll… Ich hätte auch gern eine.“

Sie ließ sich auf das Bett fallen und lag, die Viere von sich gestreckt, dort.

Na, ob sie wirklich eine wollte, nur, um sie später zu verlassen, war eher zweifelhaft. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn man mich Merle gar nicht nahe gebracht hätte. Eine andere Frage tauchte auf – wie war ich in die Wälder gekommen? Wie sollte ich dort gelandet sein? Ich war sicher nicht vom Himmel gefallen. Aber wenn ich es herausfinden würde, vielleicht würde es schmerzhafter sein, als die Ungewissheit, mit der ich bisher gestraft war. Dann lebte ich lieber weiter mit der Illusion.

„Aber… Warum hast du denn keine mehr?“, fragte sie schließlich.

„Naja, es hat sich herausgestellt, dass ich wohl doch kein Kokiri bin. Deswegen musste ich auch gehen. Leider.“

„Dann hast du ja gar nichts mehr…“

Ihre Stimme klang so bedauernd, dass es fast weh tat, sie zu hören.

Der Ausdruck in ihrem Gesicht wurde immer trüber, sie senkte den Blick und zog schließlich die Decke über sich. Ich legte mich hin und tat es ihr gleich. Ja, dann hatte ich gar nichts mehr. Und so, wie sie es sagte, war es etwas Schlechtes, dabei hatte ich gerade vorgehabt, neuen Mut zu fassen und mir ein neues Leben aufzubauen. Aber was, wenn man mich auch hier verstoßen würde? Eine abstoßende Nervosität breitete sich in meiner Magengegend aus und ich drehte mich auf die linke Seite, betrachtete den Splitter, den ich mir in der Hand gefangen hatte, zog ihn vorsichtig mit den Fingern heraus und warf ihn auf den Fußboden. Selbst, als ich die Augen schloss, sah ich ihr Gesicht mit den rosigen Wangen und den Mandelaugen vor mir, wie sie mich bedauerte.

Umso näher ich dem Dämmerzustand kam, umso mehr verschmolz es mit dem von Salia.

Am Ende blieb mir doch nichts anderes übrig, als zu schlafen.
 

Geweckt wurde ich durch ein sanftes Rütteln am Arm und der Aufforderung, aufzuwachen. Das Rütteln wurde immer fester, bis ich schließlich die Augen öffnete. Auf gleicher Höhe sah ich den Saum eines ockerfarbenen gemusterten Kleides. Ich drehte mich auf den Rücken und sah gen Decke, wo ich auch das Gesicht meines Weckdienstes sah. „Na, endlich bist du wach. Es gibt Frühstück.“ Gwen legte die Hände an die verlängerten Stoffenden ihrer Halbschürze, die sie sich um die Hüfte band. Ihr Haar war schon geflochten. Allgemein sah sie nicht so schrecklich aus, wie gestern Abend. Nur beschwerlich konnte ich mich aufsetzen, streckte mich, sodass alle Knochen knackten, und gähnte herzhaft, bevor ich aufstand.

Ich zog die Hose unter dem Nachthemd an, wodurch sie nichts sehen konnte.

„Ein Kleid? Ist das nicht unpraktisch zum Arbeiten?“, fragte ich sie.

„Oh, ich muss heute nicht arbeiten. Du bist ja da. Heute helfe ich Mama im Haushalt. Du solltest viel Frühstücken, es wird nämlich anstrengend.“

Auch, wenn es mich ärgern sollte, dass sie die harte Arbeit auf mich abwälzte, wurde mir in Sekundenschnelle klar, dass ich auch das versprochen hatte und sie dafür wohl einmal faulenzen konnte. Vermutlich hatte sie es sich verdient. Ich zog das Nachthemd über den Kopf aus und runzelte die Stirn.

„Wo ist denn mein Hemd?“

„Kaputt? Der Wolfsheimer hat es zerrissen. Wir haben es weggeworfen.“

Sie steckte sich einige Haarnadeln fest, wobei sie mit zusammengezogenen Augenbrauen in den Spiegel sah und mich beobachtete.

„Achja. Stimmt ja… Hast du einen Gürtel oder so was für mich?“

„Klaro. Bedien dich an meinem Kleiderschrank, wenn es dir nicht zu feminin ist.“

„Ich will ja nur einen Gürtel.“, brummte ich, als sie wohl schon innerlich begann, mich als Mädchen abzustempeln. So stand ich auf und ging zum Kleiderschrank, fand einen etwas breiteren, abgetragenen Gürtel vor, wobei ich Zeit hatte, den Rest ihrer Garderobe zu betrachten. Sie bestand zum größten Teil aus Shorts und Hosen und ein paar Blusen, die weiter waren, um sich besser darin bewegen zu können. Außerdem Kniestrümpfe und kurze Strümpfe. Ich nahm das Nachtgewand von letzter Nacht an mich und warf es über, zog es mit dem Gürtel fester und enger, damit es mir nicht im Weg war.

„Ich glaube, so kann ich heute leben.“, merkte ich an und stopfte das Hemd in meine Hosen. Sie wandte sich um und zuckte gleichgültig die Schultern. „Du musst wissen, wie du arbeiten kannst.“

Charmant war auch etwas Anderes.

„Wieso so schlecht drauf? Immerhin hast du heute nur Haushalt.“, meinte ich etwas erstaunt.

„Nur? Ich hasse den Haushalt! Ich darf wieder kochen, nähen, bügeln, putzen, staubwischen und was weiß ich nicht! Argh! Und die blöde Spange will auch nicht halten!“ Sie rammte sie in ihren Pony, der über ihre linke Gesichtshälfte schräg abfiel. „Zieh dich adrett an, hat sie gesagt. Eine Frau trägt nicht dauernd Hosen…“

Leise fluchte sie in sich hinein.

Ich hob die Brauen.

„Ja, aber du bist doch ein Mädchen. Du solltest dich darüber nicht beschweren. Ihr seht viel schöner aus, als wir, darum solltet ihr das auch zeigen.“, meinte ich recht überzeugt und nickte, mich selbst bestätigend. Ja, man musste sagen, dass Männer nicht das schönste Geschlecht waren. Aber sie schien einfach nicht in die Rolle einer Frau hineingeboren zu sein.

Gwen schnaubte.

„Du hast ja Recht. Jetzt lass uns aber frühstücken gehen. Ich hab alles vorbereitet, meine Eltern stehen auch jeden Moment auf.“ Sie hatte alles vorbereitet? Das Mädchen riss das Fenster auf, um durchzulüften, dann verließen wir gemeinsam das Zimmer. Der wohlriechende Duft von frisch gebackenen Brötchen strömte durch das Haus – da hatte sie sich aber mehr als genug Mühe gemacht.

„Ich wasche mir noch die Hände und das Gesicht.“, meinte ich. Sie nickte und ging nach unten.

Irgendwie war ich gespannt, was heute passieren würde. Ich wusste aus Erzählungen, dass es noch eine Ranch in der hylianischen Steppe gab, die wesentlich bekannter war, aber die hielten wohl keine Ziegen und Schafe. Der Gedanke an eine neue Arbeit machte mich aufgeregt und ich freute mich schon darauf, etwas Neues kennenzulernen. Vielleicht würde es ja ganz lustig werden! Mit einem Handtuch trocknete ich mein Gesicht und ließ mir den gestrigen Abend noch einmal durch den Kopf gehen.

So unausstehlich war das Mädchen ja nicht und vielleicht konnte ich so zu ihr durchdringen, dass man im Stande war, ein normales Gespräch zu führen. Vielleicht konnte sie mir Kakariko zeigen, wenn wir mit der Arbeit fertig waren. Ich musste sie unbedingt fragen!

Schnell stolperte ich die Treppen hinunter.

„Gwen? Magst du mir nach der Arbeit Kakariko zeigen?“, fragte ich sie mit überschwänglicher Freude. Sie zog die Brauen zusammen und sah mich an, als würde ich scherzen.

„Wenn du nach der Arbeit noch genug Kraft dazu hast, könnten wir darüber nachdenken.“

„Ist es denn so anstrengend?“

„Du wirst dich noch wundern.“

Kurzfristiges Geschenk

Der Arbeitsbeginn rückte schneller an, als mir lieb war.

Während wir frühstückten, wurde der Tagesplan besprochen, der nicht gerade spärlich ausfiel; so viel Arbeit war ich von daheim gar nicht gewohnt, wo es allerhöchstens einmal hieß, ein paar fiese Monster zu verprügeln und sich die Probleme der Anderen anzuhören! Ab und zu musste man dann mal etwas schnitzen, aber großartig zu tun gab es nicht. Dann und wann einmal. Gwen beschmierte ihr Brot mit so viel Fruchtkompott, das das Messer an dem Brettchen festklebte, als sie es erst einmal hinlegte. Hubo und Jenna bedienten sich an dem, was sie wohl immer aßen, denn sie hatten wohl schon ihre Routine gefunden. Nur mir fiel es schwer, mich zu entscheiden, da ich mitunter das meiste von dem, was sie mir anboten, nicht kannte. Die Auswahl war riesig und mein Magen viel zu klein, doch duften tat es gut, vor allem das frische Brot. Mein Blick wanderte über die Platte, doch das Einzige, das mir bekannt vorkam, war der Kompott. Er erinnerte mich entfernt an eine Frucht, die in unseren Wäldern wuchs, und die wir oft verarbeiteten. Sie sah ein bisschen aus, wie ein Gesicht, wenn wir sie pflückten. Es waren kleine, rote Beeren, die wir Pacham nannten. Wir leiteten es von dem Geräusch ab, wie wir sie aßen. Zuerst das Pac, mit dem man die dünne Schale von der Frucht trennte, dann das Ham, wenn wir sie aßen. Sie waren sehr beliebt, vor allem, weil sie sehr süß schmeckten und damit genau die Portion Energie lieferten, die wir brauchten, wenn wir unser Dorf in Ordnung halten wollten. Für manche war es immer ein bisschen zu süß gewesen, wie auch für mich, sodass ich meistens bittere Kräuter untermischte. Etwas skeptisch betrachtete ich das Einmachglas, bevor ich danach über den kompletten Tisch griff um es mir zu nehmen. Bei uns war das ganz normal, hier anscheinend aber nicht, denn man sah mich etwas verwundert an. Ich konnte den verwunderten Blick nur erwidern.

Jenna hob die Brauen.

„Hier fragt man für gewöhnlich, ob man einem etwas geben kann. Das ist einfacher.“, informierte sie mich. Wie peinlich. Nun, aber woher sollte ich es denn auch wissen? Hier hatten sie ganz andere Sitten. Ich nahm den Kompott an mich. „Entschuldigt.“, meinte ich leise mit gedämpfter Stimme und nahm das Messer, verstrich etwas auf der Scheibe Brot und stellte es in meiner Nähe wieder ab. Mir wurde Milch eingeschenkt. Dabei hatten sie hier doch gar keine Kühe? „Trink etwas Ziegenmilch, damit kriegst du das pampige Zeug leichter runter. Gwen kann es aus dem Einmachglas essen, ihr macht das hier als einzige nichts aus. Aber es klebt ganz schön.“ Hubo grinste zu mir herüber, als er mir erklärte, dass seine Tochter wohl vor keinem Essen scheu war. Ich nickte bestätigend und nahm zuerst einen Schluck Milch. Der Geschmack schien mir aus der Ferne bekannt zu sein… Doch er war etwas anders. Weniger süß, ein bisschen streng.

„Wir trinken sie hier alle, nur Jenna verträgt sie nicht.“

„Naja, was heißt vertragen, sie riecht komisch.“, meinte die Frau und verzog etwas das Gesicht. Wenn man dachte, man hätte alles gesehen, kam eine Frau eines Ziegenhirten daher und beschwerte sich über riechende Milch. Dabei sollte sie den Geruch doch eigentlich aus dem Stall gewöhnt sein? Ich ließ es vorerst bei einem Schluck und ließ den Geschmack auf mich wirken. Es war nicht das Leckerste, aber man konnte es trinken. Trotzdem zog ich Wasser vor. Ich nahm die Brotschnitte auf die Hand, klappte es zusammen und nahm einen großen Biss. Es dauerte nicht lange, bis ich feststellte, dass es kein Pacham war.

Ich schluckte herunter.

„Was ist das?“, fragte ich.

Gwen blickte mich an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen, bis sie sich daran zu erinnern schien, dass ich nicht aus dieser Gegend kam. Sie legte ihr Brot hin. „Das sind Beeren, die bei uns hinter dem Haus wachsen. Ich habe keine Ahnung, wie sie heißen, aber roh schmecken sie auch ganz toll.“ – „Gwen, lass das, er wird während der Arbeit nur Beeren essen, wenn du es ihm verrätst.“ – „Ach Papa, lass ihn doch. Ich mach es doch auch nicht anders.“ – „Ja, junge Dame, deswegen bleibst du auch heute hier und ich nehme den Buben mit.“

Der Streit ging mich nur wenig an, wobei es ohnehin nicht ausartete. Ich machte ein Geräusch, als wollte ich sagen: Ja, ich habe es zur Kenntnis genommen. Dann biss ich erneut herein. Der Geschmack war etwas säuerlich auf der Zunge im ersten Moment, dann wurde es so süß, dass mein Gesicht beinahe zu einer Grimasse wurde, doch ich konnte mich beherrschen. Diese Süße war nicht so unangenehm, wie die, unserer Früchte. Ich leckte mir über die Lippen und sah auf meine Finger hinab, die komplett mit dem Aufstrich eingesaut waren und nun tierisch klebten. „Warum klebt das eigentlich so?“, fragte ich.

„Ich habe sie selber mit Honig eingekocht, darum wohl.“, mutmaßte Gwen und Jenna begann zu lachen. Ich verstand nicht recht, warum, bis sie sich ebenfalls zu Wort meldete.

„Nein, das liegt daran, dass du immer fünf Zentner Zucker dazugibst. Als wären die Beeren nicht süß genug.“

Gwen schmollte.

„Ihr esst es doch, also muss es euch schmecken. Wenn es euch nicht schmeckt, macht es doch selber.“, brummte sie und Jenna belächelte sie, erklärte daraufhin allerdings, dass es ihr sehr wohl schmecke und dass sie eine wundervolle Hausfrau abgeben würde. Gwen schmollte mehr.

Mit einem großen Schluck Ziegenmilch und einem letzten Bissen in das Brot erhob ich mich schließlich, so tat es auch Hubo. Er streckte seinen riesigen Körper und ließ das Brettchen stehen, sagte mir, ich solle meines auch stehen lassen, denn wir hätten nun zu tun. So nickte ich und wir bereiteten uns auf die Arbeit vor. In einer fremden, warmen Jacke verließ ich schließlich das Haus und wir gingen zur Scheune, die sich nicht gerade hoch, sondern eher breit hinter dem Haus erhob. Für heute sollten wir ausmisten und dafür sorgen, dass wir die Ziegen bei Laune hielten, so wie auch die Schafe. Da es in der Nacht stark geregnet hatte, wollten die Tiere ihre Scheune nicht verlassen, und so mussten wir schauen, dass wir sie aus unserem Arbeitsbereich hielten. So wechselten wir uns ab; zuerst durfte ich die Ziegen bespaßen, dann musste ich ausmisten. Als wir die Hälfte der Arbeit hinter uns hatten, schleppte Gwen zwei große Eimer mit Abfällen an. „Wir haben heute Schalen und alte Pilze, und Reste vom Brot.“, sagte sie und stellte es auf eine Art Podest, damit die Schafe und Ziegen noch nicht heran kamen. Sonst hätte sich das Ausmisten nicht gelohnt. Ich war wieder dabei, die Tiere zu bespaßen und die Schafe zu bürsten. Gwen gesellte sich zu mir. „Sie mögen dich gerne.“, meinte sie und beobachtete mich. Ich streichelte dem Kitz, Pebbel, den Kopf. „Du machst deine Arbeit gut. Wann meinst du, kannst du gehen?“

Ich fühlte mich ein bisschen, als würde sie mich loswerden wollen.

„Hey, ich gehe ja nachher schon. Dann suche ich mir etwas. Keine Sorge, du musst dein Zimmer nicht ewig mit mir teilen.“ – „So hab ich das doch gar nicht gemeint.“ Doch sie ging, ohne mir zu erklären, wie sie es denn gemeint habe und ließ mich mit den Tieren stehen. Hubo hielt in der Arbeit inne und wandte sich zu mir um, lehnte sich auf die Mistgabel.

„Keine Sorge. Ich schätze, Jenna wollte nur Bescheid wissen, wie lange du bleibst, damit sie es in das Essen einkalkulieren kann.“ Seine Augen fixierten mich und ich konnte dunkle, kurze Bartstoppeln erkennen, die sich über sein Kinn ausbreiteten. „Aber ewig kannst du wirklich nicht bleiben. Ein, zwei Wochen, allerhöchstens, wenn du mir gut zur Hand gehst. Es ist nicht so, dass es mit dem Geld nicht funktioniert, aber der Platz reicht nicht und ihr beide werdet langsam erwachsen. Wir machen uns nur die üblichen Gedanken. Ihr solltet nicht so lange aufeinander hocken, bevor ihr euch wirklich leiden mögt und dann getrennt werden müsst.“

Ich verstand eine lange Zeit nicht, was er mir damit hatte sagen wollen.

„Wieso leiden mögen? Sie faucht mich doch ständig an.“, sagte ich etwas trocken und hob die Brauen. Hubo lachte. Sein Lachen war dunkel wie seine Stimme, aber doch einnehmend und sympathisch. Vor allem aber war es laut. Ich zuckte die Schultern, weil ich nicht wirklich verstand, was es zum Lachen gab. Er musste lächeln und murmelte etwas davon, dass wir alle noch so naiv und unschuldig wären, während er sich wieder der Arbeit widmete und ich mich dem Ziegenkitz, das meckerte und nach meiner Aufmerksamkeit verlangte, die ich ihm nur zu gerne geben wollte.

Erst zu Mittag wurden wir erlöst, als wir zum Essen gerufen wurden.

Doch auch diese Unterbrechung weilte nicht lange, es herrschte kaum Wortwechsel, denn man hatte viel zu tun und wollte so schnell wie möglich weiter machen, um früher aufhören zu können. Auch mich betraf das, denn ich hatte noch Pläne. Jenna hielt beim Essen inne und sah mich etwas geistesabwesend an, bevor sie zu Hubo blickte.

„Gib ihm nachher etwas Geld, er braucht Kleidung. Das hat er sich verdient.“

Der Mann von großer Statur nickte und aß weiter.

„Und macht heute nicht so lange. Mir ist zu Ohren gekommen, dass die Beiden zusammen heute in die Stadt wollen um sich nach etwas für ihn umzusehen.“ – „Klappt schon.“

Gwen und ich sprachen kein Wort.

Stur blickte sie auf den Teller, während ich sie ansah.

Ich hatte das Gefühl, dass etwas mit ihr nicht stimmte, aber das lag wohl immer noch daran, dass wir uns ein Zimmer teilen mussten… Oder dass sie wusste, dass ich vielleicht eine oder zwei Wochen bleiben durfte. Vielleicht war sie aber auch nur wütend, dass sie im Haushalt arbeiten musste. Sie erwischte mich dabei, wie ich sie anstarrte und sah mich tadelnd an, zog die Nase kraus und aß dann weiter. Auch ich aß zu Ende.
 

Wir standen wieder in der Scheune.

„So, mit den Schafen und mit den Ziegen sind wir fertig.“, bemerkte Hubo und wischte sich den Schweiß von der breiten, etwas faltigen Stirn. Er gähnte. „Na, dann haben wir nur noch Parr vor uns.“ – „Parr?“ – „Das ist unser Hengst.“

Ich malte mir aus, was wir nun machen mussten.

„Aber er ist momentan nicht hier. Er ist auf der Lon Lon Farm und wird von einigen Ärzten untersucht. Wir machen das immer so, damit er nicht so weit zu uns herauskommen muss. Meistens kaufen wir dann auch dort ein paar Lebensmittel.“, erklärte er mir und fuhr sich durch das schwarze Haar, während er die Mistgabel in die Ecke stellte. Dann schien er kurz nachzudenken. „Aber, wenn du und Gwen schon unterwegs sind, dann könnt ihr ihn ja abholen. Er ist ganz ruhig und friedlich, keine Sorge. Aber reiten dürft ihr auf ihm nicht! Bis heute Abend dürftet ihr das ja schaffen, sonst übernachtet ihr dort. Ihr geht nicht in der Nacht durch die Steppe, dass das klar wäre.“

Ich nickte.

„Damit wärst du dann entlassen. Aber warte.“

Mit der Hand in der Tasche kramte er etwas, zog dann eine Geldbörse hervor und zählte etwas ab, kam zu mir und nahm meine Hand, legte mir einige Rubine in die Hand und nickte. „Das sind 200 Rubine. Das sollte für eine Kleinigkeit zu Essen und neue Kleidung für dich reichen. Macht euch sofort auf den Weg.“ – „Danke! Ich danke Ihnen sehr.“ Ich beeilte mich, in das Haus zurück zu kommen und stellte meine dreckigen Schuhe vor der Tür ab. Gwen saß in der Küche, machte wohl Pause, und flocht sich erneut ihr Haar. Wahrscheinlich war sie doch eiteler, als sie zugab.

„Na, was machst du denn hier?“, fragte sie und zog die schmalen Augenbrauen hoch.

„Wir sollen zur Farm und euren Hengst abholen, dann können wir mir Kleidung kaufen.“

„Jetzt sofort? Warte kurz, ich ziehe mir nur ein Paar Hosen an.“

Sie ging in ihr Zimmer.

Hektisch zählte ich die Rubine nach und wusste nicht, was billig oder teuer war. Gut, dass ich sie dabei hätte, denn sie könnte mir ganz sicher behilflich sein. Das Mädchen kam die Treppen heruntergepoltert, stand schließlich in kurzen, dunklen Hosen, Kniestrümpfen und einem kurzärmligen Oberteil vor mir. Sie zog ihre Jacke an, dann noch Stiefel. Ihre Haare ließ sie offen, wobei sie so ganz anders aussahen, als ich sie mir vorgestellt hatte! Störrisch und widerspenstig fiel es von der Schulter ab in Wellen. Als wir gemeinsam schlafen gegangen waren hatte ich es nur ganz anbei mitbekommen, aber nun konnte ich wirklich verstehen, warum sie ihre Haare stets als Zopf trug.

Sie räusperte sich.

„Hopp.“, meinte sie und schob mich aus der Tür, wo auch ich meine Schuhe wieder anzog.

Eine angenehme Anspannung machte sich in mir breit und ich war gespannt, wie es noch an anderen Plätzen dieser Welt aussah.

Auf der Koppel

Ziemlich grob für ein Mädchen schob sie mich aus dem Haus, drängte mich regelrecht zum Gehen; wahrscheinlich, weil sie keine Lust mehr hatte, den Haushalt zu erledigen und ihrer Mutter zu helfen. Selbst verabschieden tat sie sich nicht, sondern ging stur voraus, zog an mir vorbei. Alles, was ich tun konnte, war ihr beeindruckt nachzusehen, während ihr Haar mir ausnahmsweise nicht ins Gesicht peitschte. Gwen war etwas, was man eigen nennen konnte; regelrecht eine Führungspersönlichkeit. Ob es das war, was sie einen glauben lassen wollte? Erst, als ich bemerkte, dass mir der Mund offen stand, schloss ich ihn wieder, ähnlich einem Fisch, und folgte ihr. Tatsächlich war sie das letzte Wesen, von dem ich solch eine Reaktion erwartet hatte, als ich sie in der letzten Nacht mit dem Kitz auf der Koppel gesehen hatte, wo sie durchaus etwas hilflos gewirkt hatte. Jetzt stand hier ein selbstbewusstes, junges Mädchen vor mir, das älter wirkte, als es war.

„Beeilst du dich ein bisschen?“, mäkelte sie und sah über die Schulter, zu mir hinüber. Ihre dunkelgrünen Augen funkelten mich an und waren etwas einnehmend, sodass ich sie eine Weile nur anstarren konnte. Wie unsympathisch. „Ich kann nicht fliegen.“ Darüber, so ruhig bleiben zu können, wunderte ich mich tatsächlich. Es war, als wäre ihre Provokation an mir abgeprallt, was sie ebenso erstaunte, denn sie zog die Brauen hoch und ging einfach weiter. Tatsächlich war ich doch eine aufbrausende Persönlichkeit, aber ich war noch nie einer anderen, so aufbrausenden Person begegnet, wie ihr, sodass mir meine eigene Reaktion ziemlich neu war. Ich steckte die Hände in die Hosentaschen, wie so oft. Nachdem wir über den Zaun geklettert waren, waren wir vom Tempo wieder gleichauf und verließen Kakariko, nachdem wir uns darauf geeinigt hatten, uns das Einkaufen für den Abend aufzubewahren, weil die Steppe – zumindest laut Hubo – nachts gefährlich war. Verwundet zu werden wäre nicht wünschenswert.

Nicht zuletzt, weil ich Ärger bekäme, wenn ihr etwas zustieße.

Die Steppe war weitläufig und ich konnte mich vorerst kaum orientieren, so war ich doch ganz froh, den Sturkopf dabei zu haben, der wohl niemals außer Atem kam. Nach einer Weile hielt sie an, mitten in der Steppe und sah zu mir hinüber. „Du redest nicht mit mir.“ Was für eine kluge Feststellung. Ich zuckte die Schultern, weil ich nicht wusste, warum ich es nicht tat. Wohlmöglich, weil wir uns selber unglaublich wütend machen konnten und ich es nicht in einen Streit ausarten lassen wollte. Andererseits aber auch, weil ich in einer Streitsituation nicht nachgeben können würde. „Du kannst mich nicht leiden, oder?“ Sie ließ mir ja keine andere Wahl. Einen kurzen Moment schwieg sie, dann ging sie, ohne eine Antwort zu erhalten weiter. Es war eine angespannte Stimmung, die Luft kochte. Es fühlte sich nicht so an, als würde sie überhaupt mit mir darüber reden wollen, sondern nur mit mir streiten wollen. Das wollte ich wiederum nicht. Antriebslos folgte ich ihr, woraufhin sie erneut abrupt stehen blieb. Ich rempelte sie versehentlich an, blieb schließlich auch stehen. Sie beschwerte sich nicht darüber, dass ich sie angerempelt hatte, doch…

„Dir ist auch alles egal. Erst tust du so, als wärst du ein Held und rettest mich und schleichst dich dann in meine Familie ein. Und dann willst du noch in mein Zimmer. Du bedankst dich ständig und meinst es auch noch ernst. Es ist so eklig, wie du versuchst, ihnen zu gefallen.“ – „Ihnen?“ – „Mama und Papa.“

Ich kam nicht darum herum, sie ratlos anzusehen.

An sich versuchte ich nicht, irgendjemandem zu gefallen, sondern versuchte nur, meinen Soll zu erfüllen, damit ich konfliktlos eine Weile dort unterkommen konnte. Was war so schwer für das Mädchen daran, es zu verstehen? Gwen wandte sich zu mir um, und sah aus, als hätte ich sie mit meiner Nachfrage noch mehr verletzt, als sowieso schon.

„Was willst du eigentlich von uns? Warum bist du so nett? Irgendetwas mit dir stimmt nicht.“ Ich zog die Braue hoch, meine Stirn lag in Falten und ich versuchte, zu verstehen, was sie überhaupt von mir wissen wollte, denn ich sah in dieser Situation gar keinen Konfliktbedarf. Aber sie war ein Mädchen, sie sah überall Konfliktbedarf!

„Naja, ich möchte doch eine Weile bei euch leben, deswegen möchte ich euch auch helfen. Ich bin doch kein Parasit.“, erklärte ich ihr. Sie schnaubte und verschränkte die Arme. Anscheinend gefiel ihr meine Antwort nicht. Oder meine Ehrlichkeit. Vermutlich sagte ihr beides nicht zu.

„Ich warne dich. Wenn du die Gutmütigkeit meiner Mutter ausnutzt, werde ich dich mit meinen eigenen Händen erwürgen.“

Ich begann, zu verstehen.

Wahrscheinlich hatte sie Angst um ihre Familie, und dass ich nicht so nett war, wie ich tat. In ihren Augen war ich jemand, der sich einschlich und ihr vermutlich sogar ihre Eltern stehlen wollte, durch einfache Nettigkeiten wie die Hilfe, die sie bei mir noch wertschätzten, ihr jedoch nicht mehr anerkannten. Und trotzdem liebte sie ihre Eltern. Ein Lächeln zeichnete sich auf meinen Lippen ab. „Keine Sorge. Ich hatte nie Eltern, dann brauch ich auch deine nicht.“ – „Es geht mir nicht darum.“

Worum ging es ihr dann?

Ich verstand das Mädchen nicht mehr.

„Ist ja auch egal. Du verstehst das sowieso nicht. Du gehörst ja nicht zu uns.“

Dann ging sie weiter, während in meinem Magen nur ein unangenehmes Gefühl zurück blieb. Ich erinnerte mich daran, wie ich zu jemand Anderem sagte, dass er nicht zu meinem Volk gehörte. Und dann forderte ich ihn auf, zu verschwinden. War das eine indirekte Aufforderung? Sie wollte mich vermutlich gar nicht in ihrer Nähe haben, so, wie sie sich äußerte. Es schnürte mir etwas die Kehle zu, der Gedanke, wieder vertrieben zu werden, aber ich ließ es mir nicht anmerken, folgte ihr weiterhin. Am liebsten wollte ich zurück zu meinen Freunden, aber ich war keiner von ihnen und sie würden mich nicht mehr bei sich aufnehmen. Alles, war mir übrig blieb, war, sie zu vergessen.

„Aber ich kann verstehen, warum sie dich rausgeschmissen haben. Scheint dich ja kaum zu jucken, dass sie dich verleugnen.“

„Es interessiert mich aber.“

„Und warum kämpfst du dann nicht um die Anerkennung?“

Es war schon plötzlich genug gekommen, dass sie die Anderen verstand, dann beratschlagte sie mich auch noch. Die Welt schien Kopf zu stehen, denn normalerweise war ich doch derjenige welche die Anderen beratschlagte und ihnen half. Anscheinend wollte sie mir helfen. Oder mir einen Anstoß geben.

„Da gibt es nichts zu kämpfen. Ich kann meine Abstammung nicht ändern.“

„Ich frage mich, warum sie dich dann sonst so viele Jahre bei sich haben leben lassen.“

Jetzt war sie doch tatsächlich auf demselben Stand wie ich angekommen. Ich zuckte die Schultern und wandte den Blick von ihrem Rücken ab, den ich die ganze Zeit angestarrt hatte, denn etwas anderes bekam ich nicht zu sehen, so schnell wie sie ging. Um die Anerkennung kämpfen. Ein lustiger Vorschlag, aber wofür denn bitte? Um ihnen zu zeigen, dass ich etwas Besseres war, als Link, der sich nun nicht mehr blicken ließ? Das wussten sie doch hoffentlich schon sowieso. Immerhin war das bisher mitunter der Sinn meines kurzen Lebens gewesen. Die ständige Rivalität, der Konkurrenzkampf.

Irgendwie vermisste ich das. Der Boden unter uns gewann an Steigung, und als ich den Blick wieder hob, sah ich den Eingang zur Farm, auf den wir zusteuerten. So, wie man es mir damals erklärt hatte, sollten wir nun in etwa in der Mitte der Steppe angekommen sein. Ich blickte mich um, hatte allerdings nicht viel Zeit, um mir genaueres einzuprägen, als die Richtung, aus der wir kamen.
 

Das Gelände der Farm war riesig.

Gwen steuerte an zwei Hauseingängen vorbei, in Richtung der Pferdeweide, die umzäunt war. Einige Pferde liefen herum, man vernahm Wiehern und allgemeine Aufregung. In der Mitte der Koppel stand ein kleines Mädchen, vor zwei andersartigen Pferden. Eines war ein Fohlen, das den Kopf auf die Schulter des Mädchens gelegt hatte, das Andere war ein wahrhaftiger Riese. „Da ist er.“, kündigte Gwen an. „Du brauchst keine Angst zu haben, er ist ganz zutraulich.“

„Ich habe keine Angst.“

Wir betraten die Koppel, die durch die Abenddämmerung gold-rot eingefärbt war. Das Mädchen sang eine ruhige Melodie, die mir persönlich kaum zusagte. Als es uns erblickte hielt es inne, lächelte und winkte uns zu. Gwen kam ihr näher und umarmte sie mit einem breiten Grinsen. „Hallo, Malon. Lange nicht gesehen.“

Malon war also ihr Name.

Ihre blauen Augen funkelten regelrecht und schon begannen die Mädchen, zu gackern. Abgesehen davon sahen sie sich recht ähnlich. Malon warf ihr rotbraunes Haar über die Schulter und kicherte über eine Anekdote, die ihr erzählt wurde, trat verlegen auf der Stelle. Ich war nicht interessiert. So versuchte ich, ihnen zu entgehen, bevor eine von ihnen auf mich aufmerksam wurde, denn bei Mädchen hielt es sich so: Wenn sie einen Jungen erst einmal entdeckten, wurde er lebhaft in ihre Gespräche eingebunden, die nur einen Zweck verfolgten: Den Buben bis zum bitteren Ende zu quälen!

Der große Hengst schnaubte, blickte auf mich hinab. Ich erwiderte den Blick, ehe ich auf ihn zuging und die Hand auf seine Nüstern legte. Er brummte. Nein, Angst hatte ich vor ihm wirklich nicht. Da schon eher vor seiner Besitzerin. Bei dem Gedanken an Gwen, die hinter mir stand und sich mit Malon unterhielt, verzog ich das Gesicht. Sie würde sicher unausstehlich auf dem Rückweg sein, wenn sie mir erzählte, wie lustig es mit ihrer Freundin gewesen war. Doch die Ruhe, die ich vor ihr hatte, hielt nicht lange.

„Das ist übrigens Mido. Er hat mich gleich an den Jungen erinnert, von dem du mir mal erzählt hast, der auch so grün angezogen war. Wie hast du ihn noch gleich genannt… Grille?“ – „Grashüpfer.“ – „Ja, irgendwie so. Nur ich habe das Gefühl, dass er hier ein bisschen unausstehlicher ist.“ – „Was du nicht sagst.“

Sie würden mich jeden Moment ansprechen.

Aber anstatt sofort überfallen zu werden, tippte mich das Mädchen sachte an. Ich drehte mich zu ihr herum und sie lächelte mich an, bevor sie sich mir vorstellte. Sie hieße Malon und wäre die Tochter des Besitzers dieser Farm. Es war das Übliche. Ich stellte mich auch ihr vor (natürlich als der große Mido!) und wir kamen kaum ins Gespräch, größtenteils, weil ich sie abblockte. Immerhin hatten wir zu tun und ich wollte zeitig zuhause sein! Sie fragte mich noch, ob ich Link grüßen konnte, wenn ich ihn denn sah. Meine Antwort war ein gleichgültiges Schulterzucken, ehe es schon immer später wurde und wir den Hengst schließlich vom Gelände führten.

Erst, als wir außer Hörweite waren, drehte sich Gwen zu mir um.

„Ich kann sie nicht ausstehen.“

So? Dafür hatten sie sich gerade noch furchtbar angeregt unterhalten.

Aber das war wohl so eine Mädchensache.
 

Der Hengst wieherte und schließlich legte er sich auf den Boden, als wir erst eine Weile unterwegs waren. Gwen seufzte und versuchte, ihn zum Weitergehen zu bewegen. Vergebens. Der Himmel begann, düster zu werden. Sie zerrte an dem Strick, damit er aufstand, murrte etwas Unverständliches, das nach einer Aneinanderreihung von Beleidigungen klang, bis sie aufgab. „Warum stehst du eigentlich nur so behämmert darum? Versuch du es mal!“ Sie drückte mir das Tau in die Hand, ich zog halbherzig daran. Der Hengst blieb liegen. „Lass uns doch einfach reiten.“, schlug ich vor.

„Papa hat’s mir verboten.“, brummte Gwen.

Mir aber nicht. Und jetzt komm. Ich will noch vor heute Nacht zuhause sein. Und einkaufen. Vor allem einkaufen.“, bestimmte ich und stieg mit etwas Mühe auf den prächtig besattelten Rücken, auf dem noch Platz für sie war. Sie zögerte einen Moment lang, gab dann ihrem Gewissen nach und nahm hinter mir Platz. Wie von selbst legte sie die Arme lasch um meine Hüften, damit sie wohl nicht hinunterfiel, wenn wir uns in Bewegung setzten. Ich fischte nach den Zügeln und nahm sie an mich.

„Wie heißt er noch gleich?“, fragte ich.

„Parr.“

Ein seltsamer Name für ein Pferd. Ich fuhr ihm durch die lange, helle, von der Sonne ausgeblichene Mähne und überlegte, wie ich ihn dazu brachte, zu tun, was ich von ihm wollte, aber das war nicht mehr von Nöten. Er erhob sich, zögerlich. Ich wurde etwas nervös, denn das Tier war doch sehr groß und ich hatte Angst, ihn nicht unter Kontrolle zu haben. Ich schluckte schwer und spürte, wie Gwens Griff fester wurde. Anscheinend war ich nicht als Einziger besorgt.

„Los.“

Nur zögerlich zog ich die Zügel sanft an.

Wie genau ich es geschafft hatte, dass das Pferd tat, was ich von ihm wollte, war mir schleierhaft, denn geritten war ich noch nie vorher in meinem Leben. Gwen sah mir über die Schultern und es platzte aus ihr heraus: „Wie hast du das denn gemacht? Ich dachte, du kommst aus dem Wald?“ – „Dachte ich auch“. In einem langsamen Trab setzte er sich in Bewegung, wir thronten über der Landschaft, überblickten alles. So würde es nicht lange dauern, bis wir zuhause ankamen! Ich grinste fröhlich darüber, zumindest etwas geschafft zu haben, wenn ich schon die ganze Zeit nur vertrieben wurde.

Vielleicht würde ja alles wieder gut werden?

Gwen lehnte sich über meine Schulter, drückte ihre Wange gegen meine und grinste.

„Vergiss, was ich gerade gesagt hab. Du bist doch ganz in Ordnung.“

Ich lachte.

„Natürlich bin ich ganz in Ordnung. Sogar mehr als das! Ich bin der große Mido!“

Nur 200 Rubine

Sie japste nach Luft und krallte sich fester in den Leinen, der meinen Oberkörper bedeckte, während sie sich an mich presste. „Er geht dir durch!“, jaulte sie in mein Ohr. Mit schmerzverzerrtem Gesicht sah ich über die Schulter zu ihr, während der schneller werdende Trab schneller wurde und uns zu genüge durchschüttelte. „Schrei nicht so! Das Pferd geht mir nicht durch! Er gehorcht mir!“ Sie jaulte erneut und drückte mich beinahe so sehr, dass mir davon der Magen weh tat. Ich hörte bereits davon, dass Frauen für gewöhnlich sehr hysterisch waren, auch, wenn ich es weder bei Salia, noch bei meiner Schwester oft erlebt hatte, aber dieses Geschöpf schlug dem Fass den Boden aus! Das Schreien schien das Pferd noch nervöser zu machen, sodass es abrupt anhielt. Ich hatte Glück, mich gerade noch so halten zu können, während Gwen an mir riss, um nicht herunter zu fallen.

„Was ist denn jetzt? Wir müssen weiter!“, informierte ich den Gaul, der selbstzufrieden prustete und schließlich langsamer, als zuvor ging. Dann blickte ich Gwen an, die ihre Augen zaghaft wieder öffnete. „Ich dachte, ihr hättet das Tier erzogen.“, sagte ich trocken. Der vorhin noch so ängstliche Blick wich und sie sah mich trotzig an.

„Erzieh du es doch besser, wenn du der Meinung bist, dass mein Vater das nicht kann.“

„Vermutlich kann er das auch nicht!“

„Vermutlich kannst du einfach nicht reiten.“

Ich verzog das Gesicht und wusste, dass sie Recht hatte, schnaubte, wie es das Ross getan hatte, und wandte meinen Blick wieder geradeaus. So wie es aussah waren wir vorhin doch ganz schnell unterwegs gewesen, denn wir waren Kakariko ein großes Stück näher gekommen. Das Pferd hielt inne und scharrte beharrlich mit dem Huf auf dem Boden herum, wieherte leise und schüttelte leicht den Kopf. Ich streichelte über seine Mähne. Wenn es doch bloß weitergehen würde! Ich sandte ein Stoßgebet an die drei Göttinnen und schon setzte sich das Huftier in Bewegung. Vielleicht hätte ich in meinem Leben öfter beten sollen! Gemächlich ging es weiter, ohne den Anschein einer Belastung. Für ihn mussten wir wie Luft sein. Ob ich auch einmal so stark werden könnte?

„Parr ist kein Schmusehengst.“, informierte mich Gwen. „Du musst ihm den nötigen Respekt entgegen bringen. Tu nicht immer so, als wärst du ein großer Herrscher. Die Zeiten sind vorbei.“

Ich zuckte die Schultern.

Eigentlich war es mir nicht so egal, wie ich tat, aber sie musste nicht wissen, dass mich ihre Aussage doch ziemlich traf. Mehr, als ich zuerst angenommen hatte. Vorsichtig streichelte ich ihm weiter die Mähne, blickte in die Ferne. Kakariko zeichnete sich immer deutlicher vor uns ab, die Umrisse der Stadt wurden schärfer. Ich grinste. Das mit dem Einkaufen würden wir noch schaffen, da musste ich mir zumindest keine Gedanken mehr machen. So genoss ich die Stille und war froh, dass das geschwätzige Mädchen den Mund hielt, denn noch mehr solche Ausführungen wie gerade konnte ich wirklich nicht gebrauchen. Auch, wenn sie mich zuvor noch in den Himmel gelobt hatte, waren diese Zeiten jetzt nach einer zu kurzen Weile vorbei gewesen. Ob sie überhaupt wusste, dass es mich verärgerte? Prüfend drehte ich meinen Kopf nur ein wenig, betrachtete sie unauffällig über meine Schulter hinweg.

Gwens Körperhaltung war lockerer geworden, das spürte ich auch an meinem Bauch, weil sie sich nicht mehr mit ihren kurzen Fingernägeln in meine Kleidung bohrte. Etwas abwesend sah sie in der Gegend herum, schien schon schläfrig zu sein. Ihrem Gesicht war kaum eine Regung zu entnehmen und daran zu raten, was sie fühlte, tat ich mir schwer. Ihre sonstige innere Ruhe war verflogen und irgendetwas schien sie zu beunruhigen. Was, konnte ich nicht einmal vermuten. Die Farbe in ihren Augen war düster, beinahe erloschen. Als sie bemerkte, dass ich sie ansah, erwiderte sie den Blick, mit ihrer typisch aufmüpfigen Art und zog die Brauen hoch, als würde sie mich anpöbeln wollen. Sagen tat sie allerdings nichts.

Wir fanden uns einige Zeit später vor den Toren Kakarikos wieder.
 

„Gwen, du verstehst das nicht, ich brauche das!“

„Du brauchst so vieles! Und am Ende kaufst du doch nichts!“

Ein Streitgespräch war entbrannt, erneut, als ich mir ein Oberteil ausgeguckt hatte. Es war gelb, strahlte regelrecht und es hatte viele Taschen. Perfekt für einen jungen Kerl wie mich, vor allem, weil es praktisch war. Da war die Farbe mir doch kein so großer Dorn im Auge. Wer interessierte sich schon für die Optik? Ich hielt es vor mich, zupfte an dem Stoff herum, fachmännisch, als hätte ich von dem, was ich da sah, Ahnung. Gwen schlug mir auf die Hand, tadelnd. „Lass die Finger davon. Das ist schrecklich verarbeitet. Siehst du nicht die Nähte? Die lösen sich doch schon!“ – „Na und? Für 80 Rubine kann man da doch nichts sagen!“ – „Ich wünschte, ich hätte mal 80 Rubine, davon bekäme ich tausende Oberteile!“ – „Hast du aber nicht. Und ich kaufe das Teil, so!“ Ich kramte in der Hosentasche, schnaubte, zählte das Geld ab. Gwen nahm mir das Teil ab, doch statt es zu tragen, hängte sie es wieder auf den Holzbügel und es verschwand. „Bist du verrückt geworden, Weib? Ich wollte das!“, fuhr ich sie an. Sie zog ein anderes Teil hinter ihrem Rücken hervor. „Ich fände das viel besser…“, sagte sie nach einigem Drucksen und zeigte es mir. Eigentlich wollte ich es mir gar nicht genauer angucken. „Geh weg mit deinem Mädchenzeug! Ich brauche etwas für echte Männer! Mit vielen Taschen!“

Ich riss es ihr aus der Hand, um es wieder wegzuhängen, kam aber über einen weiteren Blick nicht hinweg, betrachtete es eindringlich. Der Stoff war leicht und dunkelrot, war nicht so auffällig, wie das Andere. Der Gürtel, der dazu am Bügel hing, für einen Aufpreis von 10 Rubinen war aus braunem Leder, sah recht stabil aus und war sicher ein nettes Accessoire. Außerdem konnte er nützlich werden, falls man mal auf die Schnelle etwas befestigen musste. Ich untersuchte die Brusttasche des Hemdes und stellte fest, dass dort genug Platz war für ein paar Kleinigkeiten. Aber zugeben, dass es vielleicht besser war, als mein Vorschlag…? Ich sah auf das Preisschild. 30 Rubine. Was zur…

„Na gut. Ich nehme es. Aber nur, weil es billiger ist.“

Gwen grinste verschmitzt, als ich mich anders entschieden hatte und zog außerdem noch eine Wasserflasche hinter dem Rücken hervor. „Dann hatte ich mir noch das hier gedacht.“ Warum gab mir das Mädchen so etwas? Skeptisch musterte ich sie, nahm ihr die Flasche misstrauisch aus der Hand. „Hast du noch mehr gefunden?“, fragte ich sie mit trockener Stimme. „Eigentlich hab ich sogar schon ein paar Sachen zusammen gehangen.“

… Was dachte die sich eigentlich?

Vielleicht sollte ich es mir einfach mal so ansehen. Nur interessehalber.

Ich folgte ihr und erblickte ein Repertoire von Dingen, die ich selber wohl nie gekauft hätte (daher verstand ich auch nicht ihren Aufruhr, dass ich angeblich alles brauchen würde – ich meine, hallo?) aber doch ganz ansprechend fand. „Die Handschuhe finde ich toll! Ich würde ja selber solche tragen, aber mir sind sie viel zu groß.“ Sie wedelte mit dunklen, fingerlosen Handschuhen. „Ich trag doch nicht das, was du tragen willst, wie sehe ich denn aus?“, erwiderte ich frech, nahm die Handschuhe dann doch an mich. Wenn sie mir nicht gefielen, konnte sie sie halt haben. Nicht, dass es mich auch nur im Geringsten interessieren würde.

„Aber, wofür hast du denn den Schultergurt rausgesucht?“, fragte ich sie argwöhnisch.

„Man weiß ja nie!“

Ich runzelte die Stirn.

„Und warum eine Hose mit Hosenträgern? Das ist doch total unpraktisch!“

„Nein, beim Arbeiten ist das super! Nichts rutscht!“, versuchte sie mir zu erklären und grinste. „Ich hab selber viele Hosenträger-Hosen.“ Also würde ich am Ende doch rumlaufen wie ein Mädchen? Eigentlich hatte ich mir das ein bisschen anders vorgestellt. Schnell rechnete ich durch, stellte aber schnell fest, dass mir am Ende noch Schuhe fehlen würden und ich für die kein Geld mehr haben würde.

„Irgendwas muss ich weglegen, ich brauch noch Geld für Schuhe, sonst kann ich bald barfuss laufen.“, meinte ich nachdenklich und betrachtete die Sachen. Was davon war entbehrlich? Natürlich brauchte ich keine Feldflasche. Und den Schultergurt auch nicht. Aber ich wollte es unbedingt haben! So dachte ich hin und her, was ich eher entbehren konnte, als der Verkäufer zu uns kam.

„Ein bisschen viel für so kleine Leute, wie euch.“, meinte er.

„Er ist neu hier, kommt von weiter weg und kauft heute groß ein.“, antwortete Gwen und beobachtete, wie ich die Kleidung inspizierte. Irgendwas musste weg. Entscheidungen waren nicht so meine Stärke. „Wir suchen noch ein paar Schuhe und denken nach, was wir weglegen können. So viel Geld haben wir dann doch nicht.“ – „Wie viel denn?“ – „200 Rubine.“ – „Das ist aber ganz schön viel… Aber für Schuhe noch zusätzlich reicht es nicht…“

Er ging.

Nach einer langen Weile des Überlegens, war ich kurz davor, alles wegzuwerfen und einfach wieder zu gehen. Ich hörte das Pferd vor dem Haus wiehern und es war wohl auch schon ungeduldig. Ich seufzte schwer und reckte mich, bevor ich die Bügel packte.

„Kinder, es ist schon so spät, ich muss zumachen. Nehmt euch einfach die Schuhe, zahlt, und geht. Ist ja nicht mit anzusehen.“, sagte der alte Mann. Ich hob den Blick, sah in seine treuen, dunkelblauen Augen und lächelte. „Danke, das ist sehr nett von Ihnen.“

Widerstandslos gab ich ihm die Rubine.

Nur einen Augenblick später fiel die Tür hinter uns ins Schloss und ich war bepackt mit zwei Beuteln. Wie sollte ich denn so reiten? Mein Blick glitt zu Gwen, welche müde lächelte.

Ja, es war Zeit zum Schlafen, so langsam.

„Lass uns nach Hause gehen. Reiten will ich nicht mehr.“, meinte ich und packte die Zügel, während ich die Taschen in einer Hand hielt. Ein Mädchen musste bei mir nichts Schweres tragen, vor allem nicht, wenn sie den ganzen Tag gearbeitet hatte. Das Pferd erhob sich aus dem Sitz, als ich an den Zügeln zog, bevor wir losgingen.

Wieder sah ich zu Gwen herüber.

„Du warst vorhin so komisch in der Steppe.“

Sie seufzte und antwortete mir nicht, weil sie wohl selber nicht so genau wusste, warum, bevor sie mir eine Tasche abnahm. Dagegen konnte ich nicht wirklich viel tun, aber wenn sie es gerne tat, wollte ich sie auch nicht davon abhalten. Der späte Abend erhob sich über dem Land und erst, als die Sterne am Himmel standen, kamen wir zuhause an. Das Wetter war durchgehend etwas kühl, aber nicht unangenehm gewesen, sodass keiner von uns hatte frieren müssen. Durch das Wiehern des Pferdes angetrieben kam Hubo auch schon herausgeschossen.

„Da seid ihr ja endlich! Schrecklich mit euch Beiden. Ihr solltet doch nicht so spät unterwegs sein.“

„Ja, das sind wir auch nur, weil Mido ein Mädchen ist und sich nicht für ein Teil von Klamotten entscheiden kann.“, sagte Gwen beherzt und flott, dann grinste sie fast vom einen Ohr bis zum Anderen. Ich rollte die Augen und Hubo musste schmunzeln. Er kündigte an, dass er vorhabe, Parr in den Stall zu bringen, zu Abend gäbe es nur Brot für uns, und ein paar gebratene Eier. Ich verstand nicht, wie man Eier essen konnte. Wir hatten sie ja auch nicht von den armen Vögeln im Wald geklaut und gegessen – Das machte man einfach nicht. Als ich Gwen diesen Gedankengang offenbarte lachte sie über mich und erzählte mir, es wären Hühner, welche die Eier extra für uns legten, damit wir sie essen konnten. Na, als Kokiri konnte man doch nicht alles wissen!

Ich widerstand nur schwer der Versuchung, in das Zimmer zu rennen und die neue Kleidung sofort anzulegen, um zu testen, wie ich in ihr aussah, und wie sie sich anfühlte. Verstohlen warf ich einen Blick in die Tasche, bevor ich dem Mädchen in das Haus folgte, wo wir zu Abend essen würden.
 

Was wohl noch auf mich zukommen würde?

Nach diesem anstrengenden Tag fiel ich wie ein Stein in das gemeinsame Bett und so schliefen wir ein, müde vom Arbeiten und vom Einkaufen, vom Ausflug in die Steppe. An eine neue Unterkunft hatte ich nicht weiter gedacht.

Goodie: Wie wir uns kennenlernten.

Warnung: Anderer Point-Of-View als sonst. Dieses Kapitel ist viel mehr als Goodie gedacht und als Erfrischung vom ständigen Mido-Gegrummel. Habt viel Spaß beim Lesen!
 

Ihr Puppengesicht, das stets schläfrig anmutete, sagte mir am meisten zu. Gelangweilt sahen ihre großen Augen in die weite Welt, beobachteten genauer, als sie anmuten ließen. Was würde ich dafür geben, wenn sie mich nur einmal ansehen würde. Ich schob meinen Helm zu Recht und wandte meinen Blick von ihr ab, spürte meine Wange hochrot glühen. Ein gestandener Mann, der ein Mädchen beobachtete, das ihn immer wieder aufs Neue erröten ließ. Ich wusste alles über sie! Ich kannte ihren Namen, ihr Alter, ihre Lieblingsfarbe, was sie gerne aß, was sie auf die Palme brachte, dass sie bei der alten Hexe im Laden aushalf. Jenna – Ein wundervoller Name.

Doch meinen Namen kannte sie wohl nicht einmal.

Ich erinnerte mich an den letzten Sommer, als sie im Kleid vor dem Laden stand, im Korb einige Früchte, die Lippen leicht geöffnet und die Menschen beobachtend, so, wie sie es auch dieses Jahr tat, bevor sie in den Laden ging, und ihre Arbeit erledigte. Ich war nun 19. Ein Alter, in dem man nicht erwachsen war, aber sich vollkommen so fühlte. Nur mit dem Unterschied, dass wenige die Reife besaßen, dies von sich zu behaupten. Ich hingegen hielt mich für reif.

„Hubo, hast du das Mädel schon wieder angestarrt? Geh doch mal rüber. Seit Jahren dieselbe Leier.“, begann mein Kollege, lachte und stützte sich auf die Lanze, deren Spitze er in den Boden gerammt hatte. „Ganz schön blind bist du. Dich starrt sie doch genau so an.“

Ich sah zu ihm hinüber und schob das Visier hinauf, ehe ich besonnen, wie ich war, antwortete: „Erzähl keinen Unfug. Was soll ich schon bei einem Mädchen wie ihr, hm? Hast du sie dir mal angesehen?“.

Und er begann mich nachzuäffen, sprach zeitgleich was ich sprach.

„Diese Haare, diese Augen, diese Hände…“

Dann lachte er erneut und machte eine weitläufige Geste dafür, dass ich endlich zu ihr gehen sollte. Na, wenn er sich amüsierte. Ich würde mich jedenfalls nicht zum Deppen machen, indem ich zu ihr ging. Scheu blickte ich über meine Schulter, sie sah weg und wandte mir den Rücken zu, verschwand in dem Laden.

Wie lange richtete ich meine Augen schon nur auf sie?

Mein Brustkorb platzte, ich hatte das Gefühl, mein Herz würde sich weiten, und schrecklich warm wurde mir auch. Es schnürte mir die Kehle zu und ich verzog das Gesicht, holte tief Luft. Schrecklich. Warum musste ich mich nur immer in die unnahbaren und wunderschönen verlieben? Das war unfair. Ich sah noch einige Momente auf die Stelle, wo sie gestanden hatte und erblickte ihren Hut, der auf dem Boden lag. Sie musste ihn vergessen haben! Meine Chance! Es würde sicher nicht aufdringlich wirken, wenn ich ihn ihr zurückbrächte.

Es gab nur zwei Szenarien.

Das Erste war, dass ich ihr den Hut zurückbrächte und sie sich bei mir bedankte. Wir würden mit einander reden, sie würde sich in mich verlieben und wir würden heiraten und einen prächtigen Jungen zeugen!

Das Zweite war, dass sie mich, den Hut in der Hand, herausscheuchte und mir den Besen nachwarf. Irgendwie erschien mir diese Möglichkeit sehr viel nahe liegender. Ich wog ab, ehe ich eine Hand auf meiner Schulter spürte.

„Bring ihn ihr.“

„Aber…“

„Komm mir nicht wieder mit den Szenarien! Ich hab noch eins für dich: Was, wenn einfach gar nichts passiert?“, sagte mein Kollege mit etwas krächzender Stimme und sah mich aus kecken blauen Augen an. Ich senkte den Blick. Was für eine Überwindung!

„Wenn du es tust, spreche ich auch die Süße an, die dauernd bei diesem komischen Talon herumhängt.“ – „Du bist keine wirklich gute Partie, gegen jemanden, der eine Farm erben wird.“ – „Sei doch still und geh.“

Er schubste mich durch das Tor und ich sah erbost über die Schulter zu ihm.

Jetzt gab es kein Zurück mehr.

Flink ging ich zu dem Hut, hob ihn hoch.

Ein wunderschöner, heller Sommerhut. Und er saß auf ihrem Kopf! Ich betrachtete ihn eingängig und fragte mich, ob es komisch wäre, wenn ich mal dran riechen würde, nur um zu wissen, wie ihr Haar duftete. Ich verwarf den Gedanken. Das wäre in der Öffentlichkeit vielleicht sogar für mich ein bisschen zu seltsam. Tief holte ich Luft, setzte mit größter Anstrengung einen Schritt vor den Anderen und hatte Angst, umzukippen. Ich stand vor der Tür und starrte sie an. Nur die Hand geben, an die Klinke legen, und den Hut zurück geben.

Das musste ich doch schaffen. Ich war Soldat!

Es wäre lächerlich, nun zurück zu schrecken.

Doch bevor ich eine Wahl hatte, öffnete sich die Tür und ein liebreizendes Geschöpf erschien vor mir. Unsere Blicke trafen sich und ich hatte das Glück, einen Helm zu tragen, denn so sah man nicht, dass mein Gesicht genau so rot war, wie ihre Wangen nun.
 

„Argh, Papa, ich will das nicht jedes Mal hören!“, sagte Gwen und warf den hölzernen Suppenlöffel nach mir. „Behalt das für dich!“ Ich hob den Löffel vom Boden auf und musste unweigerlich schmunzeln.

Es war vielleicht kein Junge geworden…

Aber perfekt war es trotzdem.

Abendliche Unterhaltungen

Jenna hustete schwächlich, aber krampfhaft.

Eine Woche war vergangen, seitdem ich mit Gwen eingekauft hatte. Seither hatte sich nichts Neues ereignet. Schlimmer noch: Alles schien zu stagnieren. Ich konnte mich kaum vom Gedanken an die anderen Kokiri lösen, sah sie immer noch als meine Geschwister und meine Freunde, die sie eigentlich nicht waren. Ich hatte den Gedanken schließlich einfach verdrängt, ohne wirklich damit abzuschließen, denn mit mir hatten sie auch nicht richtig abgeschlossen, so plötzlich, wie sie mich loswerden hatten wollen. Zumindest vermutete ich das.

Kühl brauste der Wind um das Haus, es war tiefster Herbst.

Wohlmöglich war Gwens Mutter daher erkrankt, wobei sie ohnehin meist sehr schläfrig und nicht besonders gesund aussah. Irgendwo tat sie mir schon Leid, aber ich kannte ihre Geschichte nicht, sodass ich nicht wusste, ob sie sich das nicht selber zuzuschreiben hatte, dass sie nun so leiden musste.

„Mama, leg den Löffel weg. Ich kümmere mich darum. Schlaf ein bisschen.“, sagte Gwen und nahm ihr den Löffel aus der Hand. Jenna legte die Hand an die Stirn, stützte sich auf die Küchenzeile und atmete tief ein und aus, bevor sie schwach nickte. Dann ging sie. Ich war nun neun Tage hier und dieser war der Traurigste von allen. Ich hatte das Gefühl, eine Last zu sein, selbst, wenn ich nach Kräften aushalf.

Es war still in der Küche.

Nur leise knisterten die Flammen im Ofen, die den Raum wärmten. Die Luft roch angenehm und doch bedrückte mich der Moment. Ich lehnte mich auf den Tisch, an dem ich saß. Hubo war unterwegs und würde erst wiederkommen, wenn der Mond am Himmel stand. Das würde nicht mehr lange dauern, aber man bemerkte, dass das Leben mit ihm zusammen verschwunden war. Normalerweise ging es hier immer recht beherzt zur Sache, man rief, man sprach, man jagte Gwen durch das Haus und neckte sich ein bisschen. Heute war all das ausgeblieben. Es war ein trauriger Tag. Ich meinte, den kalten Wind spüren zu können, doch es war nur Einbildung.

Nur leise hörte ich, wie Gwen das Essen im Topf herum schob und dabei immer wieder den Boden des Gefäßes berührte. Sie hatte sich auf die Zehenspitzen stellen müssen, um hineinzusehen, damit sie wusste, was sie da tat. Ich neigte meinen Kopf und betrachtete sie. Auf mich wirkte sie schon jetzt wie eine alte Frau in der Hausfrauengarderobe vor dem Ofen. Kurz ließ sie den Löffel los und festigte das Haartuch, mit dem sie die Haare zurück gebunden hatte, nachdem das Haarband gerissen war in einem Anflug von Wut. Dann nahm sie den Löffel wieder an sich, rührte weiter und war stiller als sonst. Grundsätzlich war sie heute nicht so streitsüchtig, wie sonst.
 

„Wo ist dein Vater eigentlich?“, überwand ich mich, zu fragen.

„Er ist mit Pebbel beim Arzt.“

Ach, das Kitz. Ich nickte bestätigend, dachte nach, warum. Das Tier war doch nie krank gewesen! Im Gegenteil – Es wirkte noch lebendiger als all die anderen Ziegen, die sie hielten und war auch für sein Alter recht stark. Wäre es krank gewesen hätte ich es gemerkt.

„Glaubst du, Pebbel geht es gut?“

Auf meine Frage schwang sie herum und warf den Löffel nach mir. Ich schaffte es nicht, auszuweichen, bekam ihn gegen die Wange, doch anstatt mich über den Schmerz zu beschweren war ich erstaunt, wie erzürnt sie mich anblickte. Ihr Schädel war zinnoberrot angelaufen, Tränen standen in ihren Augen und sie schniefte.

„Was weiß ich! Und jetzt gib mir den blöden Löffel!“

Ich war zu ruhig, um jetzt mit ihr zu streiten, stand auf und gab ihr kommentarlos den Löffel, den ich vom Boden aufgehoben hatte. Sie wusch ihn unter Wasser ab, fuhr sich mit dem Ärmel verstohlen über die Augen und rührte weiter.

„Entschuldige, dass ich gefragt hab.“, meinte ich, blieb jedoch stehen und lehnte mich an den Rahmen, der Flur von Küche trennte. „Ich wollte dich nicht nerven. Koch lieber weiter, ich geh nach oben. Ruf mich, wenn du Hilfe brauchst.“

„Wie willst du mir schon helfen…“

Ich sah das als Nein.

Normalerweise läge mir schon der ein oder andere freche Spruch auf den Lippen, dass ihr ohnehin nicht mehr zu helfen wäre, oder ähnliches, aber ich verkniff es mir, presste die Lippen aufeinander und nickte, wandte mich von ihr ab und ging. Den Rest des Abends hatte ich vor, auf dem Zimmer zu verbringen, doch ein jämmerliches Husten im oberen Stockwerk hielt mich davon ab. Es war Jenna. Sie klang, als ginge es ihr wirklich schlecht. Vielleicht konnte sie ja meine Hilfe gebrauchen? Leisen Schrittes ging ich zu Hubos und Jennas Schlafzimmer, welches ich vorher noch nie betreten hatte, klopfte zögerlich an.

„Darf ich reinkommen?“, fragte ich.

„Ja.“

Stockend öffnete ich die Tür und sah zuerst durch einen Schlitz hinein. Jenna saß auf dem Bett, in der Hand einen Becher Wasser. Ich huschte durch den Spalt in den Raum, schloss die Tür leise hinter mir. Sie nahm einen Schluck und klopfte neben sich auf das Bett. Anscheinend war ihr Gesellschaft ganz recht. Ich setzte mich neben sie, sah zu ihr auf. Ein angenehmes Schweigen entstand, bevor sie müde lächelte. „Warum bist du hier?“, fragte sie mit heiserer Stimme, fuhr sich durch das zerzauste, braune Haar, um es zu richten, doch da war anscheinend schon alle Hoffnung aufgegeben.

„Hab mir Sorgen gemacht… Der Husten klang so schlimm und ich wollte helfen.“

Sie legte eine Hand in mein Haar und streichelte hindurch. „Kleiner, alles ist okay.“

Ihre Augen schienen warm aufzuglimmen, durch das Licht der Kerze, als sie mich an sich zog und so an ihr lehnen ließ, den Arm um mich gelegt. Es wunderte mich etwas, aber vermutlich war das einfach ihre Art.

„Ich war schon immer krank.“, sagte sie. „Das ist Gewöhnungssache. Chronisch, sagt der Arzt. Wie die Krankheit heißt, weiß ich nicht. Aber…“ Sie nahm einen Schluck Wasser. „… Ich weiß, dass du dir über so etwas keine Gedanken machen solltest, mein kleiner Schatz.“

Ich sah auf in ihre Augen, während sie mich anstrahlte.

Auch auf meinen Lippen zeichnete sich ein Lächeln ab und ich legte meinen Kopf auf ihre Schulter. Mit mütterlicher Fürsorge streichelte sie über meinen Rücken und seufzte.

„Dauernd mach ich Gwen und Hubo Sorge... und nun auch noch dir.“

„Mir geht es genau so. Ich habe das Gefühl, Ihnen ständig Sorgen zu bereiten. Aber mir machen Sie keine Sorgen. Zumindest nicht so, dass es mich stören würde.“

Sie sah mich mit geneigtem Kopf an, trank noch einen Schluck Wasser. Ich seufzte. Eigentlich wollte ich mich ihr nicht so offenbaren, aber sie hatte eine Art an sich, die mich weich machte und von der ich dachte, dass es in Ordnung war, mit ihr darüber zu reden. Solch eine nette Person. Ihre Hand wanderte wieder in mein Haar, sie streichelte mich und lächelte.

„Du kannst mir alles erzählen.“

„… Naja… Ich habe ja immer noch keine andere Bleibe und… Ich liege euch auf der Tasche. Das ist unangenehm für mich. Ich hab auch schon wirklich gesucht, aber keiner will mich bei sich aufnehmen! Gwen hat mir vorgeschlagen, mal in die anderen Städte zu gehen, aber… Ich weiß doch nicht einmal, wo ich hier genau bin. Es ist alles so doof.“

Jenna zog ihre Hand zurück, legte sie in ihren Schoß und senkte den Blick.

„Hm, ja, ich verstehe…“

„Es ist einfach so, als hätte euch mir die Götter geschickt.“

Die Hylianerin lächelte ruhig, ließ sich zurückfallen auf das Bett und seufzte ebenfalls, entgegnen tat sie allerdings vorerst nichts. Ich blickte zu ihr und erkannte Gwen in ihr wieder. Allerdings eine viel ruhigere und erwachsenere Gwen. Dann, plötzlich, erhob sie sich, wie von neuer Kraft gepackt und grinste mich an.

„Na, gegen den Willen des Himmels kann man nichts machen.“

Verwirrt sah ich sie an und zuckte die Schultern.

„Ja, das glaube ich auch. Oder so ähnlich.“, murmelte ich und wusste nicht, was ihr Aufruhr so plötzlich sollte. Ihr verschmitztes Grinsen blieb und sie deutete auf meine Wange. „Du hast da übrigens Essen an der Wange.“

„Oh.“ Ich wusch es am Ärmel ab. „Ja, Gwen hat vorhin den Löffel nach mir geworfen.“

Jenna lachte. Oder zumindest wollte sie es, aber ihre Stimme hielt das für keine gute Idee, sodass sie nur besonders schadenfroh grinsen konnte, dann fragte sie mich, ob ich ihr diesen Sachverhalt genauer erläutern könnte. So erzählte ich ihr relativ flugs davon, worüber wir geredet hatten und sie schmunzelte.

„Sie ist nicht so grob, wie sie immer tut. Ich merke doch, wie es zwischen euch läuft… Ständig neckt ihr euch. Aber das darfst du ihr nicht böse nehmen.“, erzählte mir Jenna leise und erklärte mir, warum es so war, wie es war. Gwen war ein sehr einnehmendes, junges Mädchen und sie mochte ihre Eltern nicht teilen, oder überhaupt alles, was ihr gehörte. Gerade mit Jungs hatte sie immer Probleme, wollte sich immer behaupten. Daher auch das Wetteifern mit mir, vor allem in den letzten Tagen. Dass das Fass heute übergelaufen war lag nur daran, dass es eine schwere Situation für sie gewesen war, da sie das Zicklein doch sehr gerne zu haben schien.

Es fiel mir nicht schwer, das nachzuvollziehen.

Wir schwiegen einen Moment, Jenna stubste mich an und lächelte.

„Ich glaube, sie hat dich gerufen.“

„Niemals.“, meinte ich trocken. „Dazu ist sie viel zu stolz.“

Nur leise hörte ich von unten ein: „Mido, beweg deinen dicken Hintern hier runter, oder ich verprügele dich so dermaßen, dass…“ – den Rest verstand ich nicht, da sie wohl mehrere Flüche vor sich hinmeckerte. Naja, vielleicht hatte Jenna doch Recht. Ich rollte die Augen und grinste, dann stand ich auf.

Vorsichtig packte sie meinen Arm, zog mich zu sich und umarmte mich kurz fest, dann ließ sie mich gehen.
 

Erst später sollte ich erfahren, dass genau dieses Gespräch mein ganzes Leben verändert hatte.

Eigensinniges Schlafverhalten

Ich bettete meinen Kopf auf das Kissen.

„Und, wie war diese Salia so?“, fragte Gwen mich aus heiterem Himmel heraus. Wir lagen nebeneinander im Bett und sahen an die Decke, hatten einen harten Tag hinter uns. Nach dem Streit mit Gwen hatte sich herausgestellt, dass es Pebbel gut ging und er sich wohl nur eine Wunde aufgebissen hatte, woraufhin das Kitz nun einen Schutzkragen trug, damit die Wunde verheilen konnte. Natürlich war das Tier nicht erfreut darüber, denn nun konnte es nicht so herumtollen, wie es das sonst tat. Laut Hubo hatte es sich sofort schlafen gelegt und seinen Besitzer keines Blickes mehr gewürdigt. Der Streit mit Gwen war hinterher so verlaufen, wie jeder Streit bisher in meinem Leben: Es hatte keine Aussprache gegeben und keine Entschuldigungen. Das alles war einfach nicht passiert.

So, wie auch bei dem Streit mit Salia.

Ich zuckte die Schultern.

„Du musst doch wissen, wie sie war. Du hast mir doch letztens noch von ihr erzählt.“

Gwen legte sich auf die Seite und sah zu mir hinüber. Ich warf ihr einen desinteressierten Seitenblick zu, wandte mich von ihr ab. Leider hatte ich überhaupt keine Lust mit ihr über diese Person zu reden. Nicht jetzt. Und vermutlich auch sonst nie mehr. Auch, wenn es mir schwer fiel, über sie hinweg zu kommen, wie über meine Schwester Fado, so tat ich doch mein Bestes.

Ich spürte, wie sich die Matratze bewegte. Sie hatte sich aufgesetzt und lehnte sich nun über mich, sah zu mir hinunter und blickte mich besorgt an. Wahrscheinlich konnte sie sich gar nicht vorstellen, was in mir vorging und war deswegen so aufdringlich. Ob ihr im Leben überhaupt einmal etwas Schlechtes widerfahren war? Der Wind brauste und der Regen prasselte laut gegen das Fenster, sodass ich schließlich noch genervter wurde. Leise brummte ich und drückte sie bestimmt, aber sanft, von mir hinunter. Wieder näherte sie sich mir und neigte den Kopf. Kalt zog es durch den Raum, aber ich wollte mich nicht bewegen, denn vielleicht würde sie so denken, dass ich tot war und das Interesse an mir verlieren. Sie seufzte, ließ von mir ab und legte sich erneut auf den Rücken.

„Hast wohl vergessen, wie sie aussieht und wie sie ist, hm?“

Ihre Frage spannte mich ziemlich an, und ich bemerkte, wie ich mich beherrschen musste, sie nicht anzufahren. Es war für mich wahnsinnig schwierig, so gelassen zu bleiben, wie ich gerade war, denn normalerweise regelte sich bei mir alles damit, dass ich mich entweder prügelte oder andere Leute zusammenstauchte. Warum ich versuchte, mich nicht an ihr auszulassen, wusste ich nicht. Wohlmöglich, weil sie mir fremd war und ein Mädchen, da wollte ich einfach nicht so sein.

„Naja, ist ja auch egal.“

Ich blickte über die Schulter zu ihr hinüber. Sie hatte sich von mir abgewandt, hatte mir den Rücken zugedreht. Gwen erinnerte mich einen Moment lang unweigerlich an Fado, die oft genauso reagiert hatte, wenn ich nicht mehr mit ihr reden wollte, meist allerdings, weil ich müde war, anstatt aus Böswilligkeit. Ich griff nach der Decke und zog sie über uns Beide, legte mich wieder auf den Rücken und bemerkte, wie schön warm es wurde, wenn man zu Zweit in einem Bett lag und nicht alleine in einem Loch schlafen musste. Ich hatte es vermisst, so, wie ich auch meine Schwester vermisste, die mich jahrelang betrogen hatte. Erst jetzt nahm ich bewusst wahr, dass es zu Zweit viel schöner war. Und loswerden wollte ich meine einzige Freundin auch nicht.

„Gut, ich erzähle dir etwas über sie und über die anderen Kokiri, aber du darfst mich nicht stören.“, beschloss ich. „Wenn du es so unbedingt wissen möchtest.“ Gwen drehte sich zaghaft zu mir um und nickte. Anscheinend schien sie sich wirklich für mein Volk zu interessieren, was ich überhaupt nicht nachvollziehen konnte, denn es war doch das Normalste, was es gab. Seltsamer jedoch fand ich diese eieressenden Sonderlinge, die in dieser Stadt ganz ohne Wald lebten. Aber jedem stand es ja bekanntlich frei, seine Steckenpferde selbst zu wählen und wenn sie von meinem Volk so begeistert war, dann wollte ich sie gerne glücklich machen. Auch, wenn ich nicht mehr zu ihnen gehörte, und sie somit nicht mehr mein Volk waren.
 

„Also… Hm… Wie fange ich an… Ja, genau.“, sagte ich und nickte.

„Es war einmal ein blonder Junge…“

„Bist du das?“, unterbrach sie mich.

„Nein. Ich bin nicht blond, du Blindschleiche.“, gab ich ihr als Hinweis und räusperte mich, bevor ich mir durch das Haar fuhr und mich aufsetzte, denn so bekam ich viel mehr Luft, als im Liegen und es war leichter, zu sprechen. Dann fuhr ich fort. „Dieser blonde Junge, der nicht ich bin, hieß Link. Ich hab ihn nie leiden können. Ich hatte das Gefühl, dass er kein Kokiri ist, darum hab ich ihn auch immer gehänselt. Bei uns ist es üblich, eine Fee mit sich zu führen. Nun, er verfügte über keine, daher war er meiner Meinung nach kein ganzer Kokiri.“

„Du hast auch keine Fee.“, fiel sie mir ins Wort.

„Dazu komme ich ja jetzt, meine Güte. Wie ein kleines Kind.“, brummte ich.

Sie blies die Wangen auf und verhielt sich damit noch kindlicher, als sonst. Wahrscheinlich hielt sie ihre Bemerkung für klug und befand es für toll, dass ihr so etwas Wichtiges aufgefallen war, wo es das doch sonst keinem war. Das lag wohl daran, dass es hier normal war, keine zu haben.

„Jedenfalls… war ich der Anführer der Kokiri und hab alle zum Freund gehabt… Zumindest glaube ich das. Link hat die ganze Zeit mit Salia herumgehangen und sie mir weggenommen! Sie war meine beste Freundin! … Meine einzige Freundin. Die anderen Mädchen konnten mich nicht leiden. Und jetzt geht er einfach weg und verlobt sich mit irgendeiner Dahergelaufenen. Er hat den Deku Baum getötet und ist einfach gegangen. Und ein Kokiri war er auch nicht, trotzdem hat er eine Fee bekommen. Meine haben sie mir genommen, als ich das Dorf verlassen habe.“, erklärte ich ihr, wohl als Kurzfassung. „Ich hab mich mit Salia zerstritten, als ich gegangen bin. Und eine Schwester hatte ich auch. Ihr Name ist Fado. Aber meine richtige Schwester ist sie ja auch nicht.“

Gwen zog die Brauen zusammen.

Sie sah aus, als würde sie etwas sagen wollen, eingerollt in die Decke, die Haare wild liegend und mit forschendem Ausdruck im Gesicht. Der Wind pfiff wieder um das Gemäuer und sie zog die Decke höher.

Als sie nichts erwiderte fuhr ich fort.

„Du wolltest mehr über Salia wissen?“, fragte ich und sah sie nicken. „Hm… Tja, wo fange ich da an? … Sie ist ein sehr hübsches Mädchen, und hatte ein strahlendes Lächeln… Und…“ Ich erinnerte mich kaum noch an sie, dabei hatte ich sie doch erst vor einigen Tagen gesehen. „… Meine beste Freundin. Und sie spielt Okarina.“ Tatsächlich konnte ich mich nur begrenzt an ihre Äußerlichkeiten erinnern, am ehesten an ihr Gesicht und ihre Haare. Charakterlich konnte ich sie ebenfalls kaum einschätzen. Der Streit mit ihr hatte mich komplett aus der Bahn geworfen und ich wusste nicht, was ich zu ihr noch sagen sollte.

Etwas ratlos verweilte ich so.

Der Einzige, an den ich mich problemlos erinnern konnte, war Link. Aber warum? Ich spürte, wie Gwen näher zu mir rutschte und ihren Kopf auf meinem Schoß ablegte.

„Ist nicht schlimm, wenn du nicht über sie reden magst. Mochtest du sie sehr gern?“

„Wahrscheinlich mehr, als jeden Anderen, den es gibt.“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Sie blickte mich bemitleidend an und legte die Arme um meine Taille. Sollte das eine Umarmung sein? Ich vermutete einfach einmal, dass es so war und musste lächeln, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. So breit lächeln, dass es den Anschein hatte, als würde es mir besser gehen, als zuvor. Ihr Gesicht hatte sie irgendwo im Stoff meines Nachthemdes vergraben und sah schließlich zögernd wieder zu mir auf.

„Und deine Schwester, wie war die so?“

„Eine Nervensäge.“, konnte ich schlicht und einfach antworten, aber das war auch schon das Einzige, was mir zu Fado einfiel, außer, dass wir zusammen in einem Bett geschlafen hatten. Gwen grinste und vergrub ihr Gesicht wieder in meinem Bauch, woraufhin ich hinunter sah und eine Augenbraue hochzog. Schrecklich, dieses Mädchen. Sie konnte sich nicht entscheiden, ob sie mich mögen sollte, oder hassen.

„Du bist auch eine Nervensäge.“

Auf meine Aussage lachte sie etwas gedämpft in den weißen Stoff, ließ mich dann los und setzte sich neben mich, lehnte sich an und grinste weiterhin. Ich wusste nicht, wieso es ihr so gute Laune machte, dass ich sie beleidigte, aber wenn es ihr gefiel, konnte ich ihr gerne alle Worte an den Kopf schleudern, die ich noch kannte. Aus dem Augenwinkel fielen mir die Grübchen auf, die sie bekam, wenn sie so lächelte, wie nun; außerdem bemerkte ich, wie sie mit der Nase kräuselte. „Ich wünschte, ich hätte auch Geschwister. Ich würde sie die ganze Zeit nur aufziehen. Wir würden so viel Spaß miteinander haben.“ So dachte sie also? Ich legte den Kopf schief. „Ach ja?“ „Ja. Wir würden zusammen auf Bäume klettern, und mit Holzschwertern kämpfen!“, verkündete sie. Ich reckte mich, ließ dabei einen Arm um ihre Schulter wandern, woraufhin sie mich etwas verwirrt ansah. Mein abweisender Blick wurde urplötzlich zu einem breiten Grinsen und ich begrub sie unter mir, drückte ihre Arme über den Kopf.

„Tatsch mich nicht an!“, fauchte sie, bevor ich drohend eine Hand hob, bevor ich mich auf ihre Achseln stürzte und diese gewaltig durchkitzelte. Sie jauchzte auf begann zu lachen, fluchte aber mittendrin erstickt, dass wir nicht so laut sein dürften. Ich ließ mich davon nicht beirren und erst, als sie keine Luft mehr bekam, und vollkommen erschöpft war, ließ ich sie frei.

Sie atmete schwer und sah mich feindselig an.

„Ich werde mich rächen!“

„Klar wirst du das. Aber erst morgen. Weißt du, wir dürfen nicht so laut sein.“, meinte ich mit einem süffisanten Grinsen auf den Lippen, woraufhin sie mit ihrem Kopfkissen nach mir schlug. Natürlich traf sie. Ich nahm es ihr ab.

„Nein, nein. Jetzt ist Schluss. Du musst jetzt schlafen.“, bestimmte ich.

„Du hast mir gar nichts zu sagen.“

„Pscht!“

Sie gehorchte und zog eine Schnute, bevor sie die Decke über den Kopf zog.

Der würde ich noch zeigen, was es hieß, sich Geschwister zu wünschen. Es war absolut schrecklich, wenn man dauernd von jemand anderem genervt wurde, der immer meinte, alles besser zu wissen. Und wenn sie sich morgen wirklich rächen wollen würde, würde ich dasselbe einfach wieder machen. Ich schlüpfte ebenfalls unter die Decke.

„Gute Nacht, Nervensäge.“, meinte ich keck.

„Nacht, Großmaul.
 

Verdammt, so war das jetzt aber nicht geplant gewesen!

Sie konnte doch nicht einfach das letzte Wort haben…!

Oder..?

Ich lehnte mich über sie und sah in ihr Gesicht. Die Augen waren geschlossen, die Strähnen hingen wild über ihnen. Anscheinend versuchte sie wirklich, zu schlafen. Na so unausstehlich war sie vielleicht doch nicht. Nach einer Weile wurden die Gesichtszüge entspannter und ich hörte ein leises Säuseln. Wahrscheinlich war sie nun eingeschlafen. Matt lächelnd ließ ich mich nun neben sie sinken und schloss ebenfalls die Augen. Von der Welt hatte ich heute genug. Es war Zeit, sich zu erholen.
 

Doch so, wie ich am nächsten Morgen erwachte, war es klar, dass ich mich nicht besonders gut erholt hatte. Als ich die Augen öffnete, fühlte ich mich irgendwie erdrückt. Ich versuchte die Decke von mir zu schieben, ertastete jedoch einen warmen Körper. Mein Blick folgte meinen Händen und ich sah Gwen, die komplett über mir lag, die Füße baumelten von der Seite aus dem Bett heraus, die eine Hand lag irgendwo über meinem Kopf, die Andere war von sich gestreckt. Ich schob sie von mir, tat mich dabei schwer, doch schließlich wachte sie von selber auf und wich von mir.

Schrecklich.

Wir sprachen nicht mehr darüber, doch das war nicht das einzige Mal, dass mir ihr Schlafverhalten die Ruhe nahm, denn so erklärte sich schließlich, wieso ich auch die letzten Tage immer seltsame Schmerzen hatte.

Büchertürme

Als ich aufwachte, fand ich mich nicht zwischen einigen hunderttausenden Büchern wieder die drohten umzukippen, und mich unter sich zu begraben. Im Gegensatz zu der Begebenheit, die sich in meinem Traum ereignete. Es war noch tiefe Nacht, als ich die Augen öffnete und Gwen auf mir erblickt hatte. Ich hatte Mühe, sie von mir hinunter zu schieben und zuzudecken (was ich auch nur tat, damit sie nicht krank wurde, denn ich hatte keine Lust ihre Arbeit zu übernehmen), bevor ich das Bett verließ und erst einmal durchatmen musste. Was hatten die nur alle mit ihren Büchern? Ich konnte den Aufruhr nicht ganz nachvollziehen, denn ein paar Buchstaben auf Pergament waren nicht das, was ich als anregend bezeichnen würde.

Ich blickte an mir hinab.

Ja, jetzt stand ich hier, und nun? Schlafen konnte ich nicht mehr. Diese verdammten Bücher hatten mich aufgeweckt, dabei hatte ich mit diesen doch gar nichts zu schaffen. Etwas aufgekratzt biss ich mir mehrere Male auf die Unterlippe und ging ein paar Schritte auf und ab, spürte das Holz unter meinen Füßen nachgeben und versuchte mich zu fangen, war immer noch aufgebracht über die Träume, die ich hatte. Zuerst war alles so schön gewesen. Ich war im Wald, an dem Ort wo ich herkam, bin mit Salia durch die Verlorenen Wälder gegangen und dann…

Ich hatte Salia selbst im Traum nicht vor Augen gehabt. Sie war wie eine Lichtgestalt gewesen, die nicht mit mir redete, sondern nur anwesend war, meine Hand berührte, manchmal meinen Arm oder meine Schulter, und schwieg. Dennoch wusste ich, dass ich ihr zu folgen hatte. Und dann brachte sie mich nach Kakariko, jedoch ohne durch die Steppe zu eilen. Wir waren einfach da. Sie verschwand und stattdessen war Gwen an meiner Seite, mit welcher ich zugleich im Wohnzimmer saß zwischen mannshohen Bücherstapeln. Sie nahm eines an sich und drückte es mir in die Hand, redete in fremden Zungen auf mich ein und wollte, dass ich las. Dann brach alles über uns zusammen.

Ich war aufgewacht und sie lag auf mir.

Egal, wie oft ich versuchte gedanklich nachzuvollziehen, was passiert war, ich konnte es nicht verstehen. Stattdessen fühlte es sich an, als würde ich mich vom eigentlichen Ereignis entfernen. Ich schluckte schwer, blickte zum Bett, auf dem Gwen unverändert lag.
 

Sie durfte es nie erfahren!

Niemand hier durfte davon erfahren!

Sonst würde wirklich alles über mir zusammenbrechen. Was würde man nur von mir denken?

Sie würden sagen „Das ist doch dieser Kleine, der nicht…“ – Ich konnte den Gedanken nicht einmal zu Ende führen. Ich musste etwas unternehmen. Es juckte mir in den Fingern, mich auf den Sattel des Hengstes zu schwingen, die Zügel an mich zu nehmen, und zu fliehen. Aber das konnte ich nicht. Sie hatten mir so sehr geholfen. Doch was sollte ich stattdessen tun?

Nervös wischte ich mir den kalten Schweiß von der Stirn.

Vielleicht würde es gar nicht auffallen.

Ich setzte mich zurück auf das Bett, starrte erst auf meine Knie und fühlte mich, als hätte mich ein Monster gefressen und daraufhin wieder ausgespuckt; dann kroch ich zurück unter die Decke. Es war schon das, wovor ich damals Angst hatte. Aus eigener Faulheit hatte ich mich in diesen Mist hineingeritten und bemitleidete mich jetzt dafür, es selber Schuld zu sein. Himmel, war ich erbärmlich. Ich starrte an die Decke, bevor ich ein unruhiges Nesteln auf der anderen Seite des Bettes vernahm. Gwen zog die Bettdecke höher ins Gesicht, wohl im Halbschlaf. Hatte ich sie geweckt? Sie erzitterte und zog die Nase hoch. Na super. Jetzt war sie krank und ich war es Schuld, weil ich sie nicht gewärmt hatte! Wäre ich doch bloß liegen geblieben! Wahrscheinlich durfte ich mir etwas anhören, sobald sie aufwachte. Dann holte ich meine Pflicht als Bettwärmer lieber nach. Vorsichtig zog ich sie in meine Arme und verzog das Gesicht. Mädchen waren fürchterlich anstrengend.

„Was soll das…? Lass mich los, du ekliger, blöder…“, brummte die Kleine und stemmte sich mit lächerlicher Kraft gegen meine Arme, bevor sie weiterschlief.

„Jaja, du mich auch.“, erwiderte ich leise und seufzte.

Noch immer war ich zu aufgekratzt um weiter zu schlafen, also würde ich wohl warten müssen, bis es Zeit zum Aufstehen war. Allerdings hatte Gwen auch erwähnt, dass Wochenende war, und wir ausschlafen konnten. Warum immer dann, wenn ich Albträume hatte? Für mich gab es also kein Ausschlafen. Etwas erbost über mich selbst schloss ich meine Augen. Ja, dann musste ich mich halt zwingen! Doch ehe die Müdigkeit auch nur einen Blick auf mich werfen konnte, hörte ich eine nicht ganz so unbekannte Stimme sagen: „Nein, ich meins ernst. Lass mich wirklich los.“.

Nach einem Zögern blickte ich zu Gwen, die mich mit einem ebenfalls nicht ganz so unbekannten Blick ansah, der wohl sagen wollte, dass ich gleich ein paar Zähne ärmer war, wenn ich nicht von ihr ablassen würde. In jenem Moment löste ich meine Arme von ihr und zog die Brauen hoch.

„Ich dachte, du schläfst.“

„Ja, und ich dachte, du würdest mich nicht antatschen.“

„Dann haben wir beide falsch gedacht?“, fragte ich und versuchte dabei möglichst charmant zu klingen, was allerdings in die andere Richtung losging, sodass sie sich von mir löste und ans andere Ende des Bettes robbte, wobei sie mir die ganze Bettdecke stahl.

„Ich wollte nur nicht, dass du krank wirst.“, beschwerte ich mich leise und hoffte, damit nicht wirklich einen Streit vom Zaun zu brechen, was ich im Nachhinein auch nicht tat. Sie sah über die Schulter zu mir und runzelte die Stirn.

„Und das soll ich dir glauben?“

Etwas ratlos sah ich sie an, ohne ihr wirklich antworten zu können.

„… Warum bist du eigentlich wach?“, fragte sie mich schließlich, woraufhin sie sich wieder zu mir drehte und mir etwas Bettdecke abgab. So musste ich wieder näher zu ihr rutschen. Ob ich ihr wirklich erzählen konnte, dass ich schlecht geträumt hatte? Dann würde sie mich sicherlich für ein Weichei halten. Etwas geistesabwesend blickte ich sie an, während ich abwog, dann entschied ich mich dafür es ihr zu sagen.

„Schlecht geträumt…“

„Achso… Wovon denn?“

Kam selten vor, dass sich jemand für meine Albträume interessierte! Wobei ich auch sonst niemandem von solchen Träumen erzählt hatte… Aber das war sicherlich nicht die erste Nacht, in der mich Albträume vom Schlafen abhielten. Besonders schlimm war es die Zeit um Links Verschwinden herum gewesen, doch die unterschieden sich vollkommen von meinen normalen Träumen.

„Bin mir nicht sicher, ob du das wissen solltest.“, erklärte ich ihr.

„Wieso denn nicht?“

Weil sie ein seelenfressendes Mädchen war, das mich zu jeder Gelegenheit so sehr demütigte, dass ich mir wünschte, im Boden zu versinken? Darum vielleicht? Oder nur, weil sie sich ständig über mich amüsierte und darüber, dass ich anders war? Vielleicht auch einfach, weil sie ein herzloses kleines Monster war? Eine von diesen Möglichkeiten würde es schon sein!

„… Verstehe schon… Wir kennen uns noch nicht lange genug.“, sagte sie, ohne dass ich antworten konnte. „Mach mich das nächste Mal aber nicht wach, bitte.“

Ich nickte und beobachtete, wie sie die Augen schloss und die Decke bis über die Nase zog, die Beine wieder an den Körper anzog und zu mir gewendet einschlief. Diesmal aber wirklich.
 

Irgendwie beneidete ich sie ja schon.

Allein schon, wie sie lebte.

Sie wurde nie verletzt oder verscheucht. Sie hatte ein paar wunderbare Eltern und musste sich nicht darum Gedanken machen, wo sie den nächsten Tag verbringen würde. Ich würde gerne genau so leben können. Gwen war unglaublich stark und ich kam mir neben ihr unglaublich schwach und dumm vor. Sie war zwei Jahre jünger als ich und dennoch so klug, dass ich mich manchmal fragte, woher sie so viel wusste.

So ein Leben hätte ich auch gerne.

Ich wäre kein bauernschlauer Vollidiot, der sich bei seinen einzigen Freunden unbeliebt machte und schließlich seine Gemeinde verlassen musste, weil er nicht dazugehörte. Weil er ungeliebt war, wenn man es ehrlich sagen wollte. Wenn ich es mir ehrlich vorhalten wollte. Ja, wenn ich das denn wollte, war ich nicht einmal bauernschlau. Ich war einfach nur ein Vollidiot und das in jeder Hinsicht. Aber zumindest war ich einsichtig genug, um nicht noch ein Mistkerl zu sein. Aber immerhin noch Mistkerl genug, um meine beste Freundin dazu zu bringen, mich zu hassen.

Ich musste abstoßend sein.

Aber ich konnte doch nicht mein ganzes Leben lang darauf sitzen bleiben, ein abstoßender Vollidiot zu sein. Ich musste doch irgendetwas daran ändern können! Vielleicht würde es zu aller erst einmal helfen, die Wahrheit zu sagen.

Auch, wenn sie weh tat.

Und wenn Gwen mich dafür demütigen würde.

Im Endeffekt war ich es doch selber Schuld.

Doch sollte ich sie jetzt dafür wecken? Nur um ihr einen Grund zu geben, sich noch mehr über mich lustig zu machen? Ich schenkte ihr einen nachdenklichen Seitenblick. Wenn sie so klug war, dann würde sie doch erkennen, dass es gemein wäre, sich über mich lustig zu machen, wenn ich mit einer wirklich wichtigen Angelegenheit ihre Aufmerksamkeit suchte. Und es war mir doch wichtig. Ich wollte doch etwas ändern.

Ich spürte wie meine Augen schwerer wurden.

Vielleicht morgen?

Wenn ich es morgen täte, würde ich es vergessen. Es aufschieben, so wie jedes Mal und mich wieder davor drücken. Mich davor drücken, mir selber zu zeigen, dass ich im Endeffekt doch nichts konnte und zu dämlich war, das zu tun, was Andere taten. Dass ich irgendwie zurückgeblieben war als Person.

Als Halbperson.

So, wie ich Link immer so schön genannt hatte, wenn ich über ihn sprach. Die Halbperson ohne Fee. Kein Hylianer und kein Kokiri. Und doch hatte er so viel mehr als ich. Vielleicht konnte ich auch so eine gute Halbperson werden? Nur ohne das plötzliche Verschwinden? Nein, so durfte ich gar nicht erst denken.

Ich musste einer von ihnen werden. Ein Hylianer. Bis man mich nicht mehr wieder erkannte als Kokiri. Alles was sie hatten musste komplett auf mich übergehen und schließlich musste ich eins mit ihnen werden. Vielleicht würde dieses ätzende Gefühl dann verschwinden. Wertlosigkeit.
 

Ich legte eine Hand an Gwens Schulter.

Sollte ich es riskieren und mich ändern? Es wäre doch nur ein weiterer Fortschritt. Es wäre nichts Schlechtes. Nur ein weiterer Schritt in die richtige Richtung. Wenn sich schon alles änderte, warum dann nicht auch ich? Mit einem tiefen Atemzug nahm ich allen Mut zusammen, fasste in den warmen Stoff, umklammerte ihre sanfte Schulter und schüttelte sie leicht. Nach nur ein paar Augenblicken sah ich in das tiefgrüne Augenpaar, das mich schläfrig anblickte.

„Was ist denn jetzt schon wieder?“

Die Stimme des Mädchens füllte den Raum aus und gab mir Kraft, mich dazu zu überwinden, ein weiteres Mal in so kurzer Zeit um Hilfe zu bitten. Sie gab mir Kraft, über meinen Stolz hinweg zu sehen. Ich wollte so sein, wie sie es mir vorlebte! Zumindest in diesem Aspekt!

Ich triumphierte über den Kloß in meiner Kehle.

Alles sollte besser werden!

„Bitte bring mir bei, wie man liest und schreibt.“
 

Gwen blickte mich an, als wäre ich von allen guten Geistern verlassen und zog die Brauen hoch, immer noch schläfrig. Nur zögerlich löste sie meine Hand von ihrer Schulter und vergrub ihren Kopf im Kissen. Nun, zumindest scheiterte es nicht an mir.

„Wie kann man das nur nicht können?“, hörte ich sie leicht gedämpft brummen. Sie legte die Arme um das Kissen und drückte es an sich, gähnte hinein und führte weiter für mich unverständliche Dinge aus. Nicht, weil ich zu dumm war, um zu begreifen, sondern weil ihre Stimme immer leiser wurde.

Ich fasste ihre Schulter erneut, schüttelte sie.

„Das ist superwichtig!“, beteuerte ich. Sie knurrte auf, hob ihren Kopf aus dem Kissen und sah mich erzürnt an. Wahrscheinlich hätte ich sie nicht dermaßen nerven sollen.

„Morgen.“, vertröstete sie mich, bevor sie ihren Schädel wieder im Kissen versenkte.

Schwach und nun doch müde ließ ich mich in das Kissen zurückfallen.

Dann morgen.
 

Der Wind flaute ab. Der Regen prasselte nicht mehr gegen das Gemäuer. Und schließlich nahm auch die Kälte ab.

Ich war mir sicher, nun endlich etwas Gutes getan zu haben.

Und vielleicht – aber auch nur vielleicht – würde es endlich wieder bergauf gehen.

Abreise

„Morgen.“

Es waren erlösende Worte gewesen, die mir den Schlaf gebracht hatten und tatsächlich hatten wir schon am nächsten Abend begonnen, zu lernen. Es war eigentlich nicht schwer, denn das System unserer Schrift war leicht zu begreifen. Trotzdem war es für mich ähnlich dem Lernen von Vokabeln und Floskeln. Das Schreiben war schwieriger, denn Zeichnen lag mir schon nicht – wie also sollte ich säuberlich Worte verfassen können die ich gerade erst gelernt hatte? Es war alles sehr verwirrend für mich, doch am Ende des Tages konnte ich zumindest unsere Namen auf das Blatt Papier schmieren. Das kratzende Geräusch unter dem Federkiel animierte mich dazu, weiter zu schreiben und mein Schriftbild im Allgemeinen zu verbessern. Die Ergebnisse von zwei Tagen waren meiner Meinung nach schon herausragend. Gwen hingegen sagte, es wäre nichts Besonderes dabei.
 

Beim ersten Zusammenfinden der Familie am dritten Tag, welches das Frühstück war, wurden nach dem Essen ernsthaftere Themen besprochen. Ernsthaft im Sinne davon, dass ich mich wahrscheinlich am liebsten sofort wieder verkriechen wollte, denn irgendwo tat es schon weh.

„Mido, du musst uns bald verlassen.“

Hubos Stimme füllte den Raum. Er lehnte sich vor, die Ellebogen auf den Tisch und sah mich ernst an. Auch, wenn er ein sehr ernster Mensch war hatte ich noch nie solch eine Ernsthaftigkeit in der kurzen Zeit, die wir uns kannten, in seinem Blick gesehen. Das dunkle Blau in seinen Augen war noch dunkler und matter als sonst. Ich rutschte etwas zurück und erbleichte, wobei mir klar war, dass ich diesen Ort schon bald hätte verlassen müssen. Ein Problem war nur, dass mich niemand bei sich aufnehmen konnte, denn von der meisten Arbeit verstand ich nicht viel. Vor allen Dingen, wenn es darum ging, dass man Grips haben musste. Nervös spielte ich mit meinen Händen, die auf meinem Schoß lagen und nickte kraftlos.

„Hast du schon etwas Neues gefunden?“

Ich schüttelte den Kopf.

Es wurde seltsam still. Jenna erhob sich vom Tisch, ohne bisher ein Wort gesagt zu haben oder etwas gegessen zu haben, und ging. Gwen blickte betreten zu Boden. Während mein Blick durch den Raum schweifte, weil ich den Hausherren nicht länger ansehen konnte, fielen mir einige Dinge auf, die ich bald wohl nicht mehr sehen würde. Ich rutschte im Stuhl herunter, nur ein Stück. Es war meine Pflicht gewesen einen Ort zu finden, an dem ich leben konnte. Aber ich hatte es verbockt. Ich hatte so vieles verbockt. Und das nur, weil ich meine eigenen kindischen Wünsche verfolgen wollte, statt mich einzufügen in die Gesellschaft.

„… Aber mich will ja niemand…“, murmelte ich, als ich das Gefühl hatte dass Hubo darauf wartete, dass ich mich rechtfertigte. Ein weiterer Augenblick der Stille, als Gwen aufschnellte und mit den Fäusten auf den Tisch schlug, mich anschrie.

„Das bist du doch selber Schuld! Du bist so dämlich! Warum hast du dich nicht noch mehr bemüht!? Du bist ein fauler, kleiner Junge! Werd erwachsen.“

Das sagte mir jemand, der jünger als ich war.

„Es tut mir Leid.“

„Ich hab genug gehört!“, fauchte sie und stampfte die Treppe hinauf.

Mein Blick folgte ihr und ich bemerkte, dass sie Recht hatte. Ich war nutzlos. Ich ließ meinen Kopf auf den Tisch sinken und lehnte meine Stirn an das Holz, ließ die Arme hängen. Ich hatte so wenig geholfen! Ich hätte mehr tun können. Stattdessen wollte ich lesen und schreiben lernen. Wozu? Ich war sowieso dumm wie zehn Schritte hylianische Steppe. Es hatte keinen Sinn, hier länger zu bleiben, da ich sowieso mehr Last als Hilfe war, ganz realistisch betrachtet.

Schließlich schob ich meine Arme doch unter meinen Kopf, schluckte schwer.

„… Da kann man wohl nichts machen…“, hörte ich Hubo mit tiefer Stimme sagen. Er seufzte auf und erhob sich, schob den Stuhl wieder an den Tisch und ging an mir vorbei, hinaus. Allerdings nicht, ohne mir vorher einmal durch das Haar zu wuscheln.

Ich fühlte mich gedemütigt.

Nicht von ihm, sondern von mir selber.

Ich hätte so viel aus mir machen können und verschloss mich einfach vor alles und jedem. Wie hatten die Kokiri mich leiden können? Mochten sie mich überhaupt? Immer, wenn etwas diskutiert wurde, wurde zuerst Salias Meinung eingeholt. Dann erst meine. Wenn sie nicht vorher Link fragten. Das lag wohl daran, dass man mir nicht vertrauen konnte. Zumindest ging ich jetzt mit mir ins Gericht. Ich war schon immer nutzlos und feige gewesen! Es war schon ganz gut, dass ich nicht mehr da war.

Ich hatte weinen mögen, aber nicht eine Träne verließ mein Auge. Ja, ich war es selber Schuld. Da war nichts dran zu rütteln. Ich hätte es besser machen können. Also hatte ich kein Recht dazu, mich zu bemitleiden. So schnell wie möglich sollte ich wahrscheinlich meine Sachen packen und dann einfach verschwinden – einen Termin dafür hatte man mir ja nicht genannt. Daher sollte ich jetzt alles vorbereiten. Alles, was ich hatte. So in etwa nichts? Was für eine Ironie. Gerade, wo ich dachte, etwas gefunden zu haben, entriss man es mir wieder. Und als ich damals dachte, bei den Kokiri alles zu haben, hatte ich doch eigentlich nichts. Trotz der ganzen Tragik war das doch irgendwo belustigend. Aber so lief es doch mein ganzes Leben lang. Dort, wo ich vermutet hatte meinen schlimmsten Feind zu finden, fand ich jemanden, der genau so litt, wie ich. Und dort, wo ich dachte, eine gute Freundin zu haben…

Ich schüttelte den Kopf.

Es wäre besser, ich würde es vergessen.

Ich atmete tief ein und rang nach Fassung, die ich erfolgreich bewahrte, bevor ich ebenfalls die Treppen hinaufging. Aufbruchsstimmung machte sich in mir breit. Damals hatte ich mich gar nicht so erlebt. Eigentlich hasste ich es, mich zu verabschieden. Ich sah zu meiner Linken. Die Schlafzimmertür stand einen Spalt weit offen. Dann zu meiner Rechten. Gwens Zimmer war geschlossen. Zuerst wollte ich nach Jenna sehen. Es war ihr nicht wohl in letzter Zeit und heute hatte sie nichts gegessen. Bevor ich ging wollte ich zumindest wissen, dass bei ihr alles in Ordnung war, immerhin war sie immer so freundlich und verständnisvoll zu mir gewesen.
 

Mit der üblichen Zurückhaltung ging ich zur Tür.

„Komm rein, Mido. Ich hab dich kommen hören.“

Nach kurzem Zögern schob ich mich durch den Spalt, wollte die Tür nicht unbedingt öffnen. Im Schlafzimmer war es etwas schummrig, die Vorhänge waren vor die Fenster gezogen und eine Öllampe erleuchtete gerade einmal die Seite des Betts, auf welcher die zierliche Frau saß. Sie hatte die weiße Tagesdecke über ihren Schoß gezogen und saß aufrecht, blickte mich mit einem nicht ganz eindeutigen Blick an, klopfte neben sich auf das Polster. Ich ging auf sie zu und nahm neben ihr Platz. Sie legte ihre Hand auf meine Schulter. Die Haut war warm, doch trotzdem jagte sie mir einen kalten Schauer über den Rücken und ich senkte den Blick. Es tat mir alles so Leid. Von unten hinauf blickte ich sie an und nahm erst einen Moment später Notiz davon, wie erbärmlich ich wohl aussehen musste. Und dass sie mich das erste Mal nicht anlächelte oder mit sich selbst im Reinen war. Ihre Mundwinkel sanken hinab und sie zog mich an sich heran, umarmte mich fest. Ich legte meine Arme um ihren Körper und vergrub mein Gesicht in ihrem Oberteil. Es war eine Situation, in der Worte unnötig waren. Ob sie sich mit Hubo darüber gestritten hatte, wann ich abreisen musste? Ich wollte keinesfalls einen Keil in die Familie treiben. Das wollte ich vor allem Gwen nicht antun. Sie sollte sich glücklich schätzen, dass sie Eltern hatte. Meine Kehle war wie zugeschnürt und ich bemerkte, dass sich eine Woge von Schmerz in meinem Brustkorb ausbreitete, ich versuchte die Wehmut zu unterdrücken, presste die Lippen aufeinander. Es war der Beginn eines Ticks den ich später viel exzessiver ausleben sollte: Ich biss mir auf die Unterlippe und krallte mich beinahe in ihren Rücken. Dann brach es aus mir heraus. Ich schluchzte auf. Warme Tränen benetzten den Stoff, den sie am Körper trug. Beruhigend streichelte sie mir über den Rücken und löste einen Arm aus der Umarmung, streichelte mir über das Haar.

Sie war so eine gute Mutter.

Erneut beneidete ich Gwen. Ich würde alles dafür tun, nur um eine Mutter wie Jenna zu haben. Um überhaupt eine Mutter zu haben!

„Ich wünschte auch, du könntest bleiben.“, sagte sie leise und löste die Umarmung schließlich ganz, lehnte ihre Stirn an meine und sah mir in die verheulten Augen, nahm meine Hände in ihre. „Glaub mir, das wünschte ich wirklich.“

Ich musste stärker weinen, jaulte auf, japste nach Luft. Nicht nur sie wünschte sich das!

„Aber wir kennen dich kaum… Und wir wüssten nicht, ob ein weiteres Kind in unser Budget passt… Geschweige denn, ob du und Gwen harmonieren würdet. Wir hätten nicht einmal ein Zimmer für dich. Und Jungs und Mädchen auf einem Zimmer, das funktioniert nicht.“

Sie löste sich komplett von mir.

„Ihr wart immer so gut zu mir.“, murmelte ich gebrochen unter Tränen und fasste wieder nach ihren Händen. „Danke, danke für alles. Ich hab so wenig getan. Und du, du bist so eine gute Mutter. Ich will gar nicht mehr gehen. Ich mag euch alle so gern.“ Es fiel mehr schwer, zu kontrollieren was ich sagte. Aber es war die Wahrheit. Dabei war ich ja eigentlich nicht so sehr der Freund der Wahrheit, vor allem damals nicht, was Link anging. Ich hatte ihm Unrecht getan.

Jenna rang nach einem Lächeln, sah mich aus glasigen Augen an und streichelte mit dem Daumen über meinen Handrücken. Zumindest war nun alles gesagt, was gesagt werden musste. Ich beruhigte mich nicht sonderlich schnell, aber schaffte es doch irgendwie, mit dem Weinen aufzuhören. Wir sprachen nicht mehr viel. Ich teilte ihr nur noch mit, dass ich am Folgetag gehen würde. Sie nickte. Danach lagen wir uns noch eine Weile in den Armen, nicht sonderlich lange, aber lange genug, dass ich das Gefühl hatte, stark genug zu sein, um mit Gwen zu reden. Langsam hatte ich mich erhoben, mich verabschiedet und das Zimmer verlassen. Auf dem Weg zur Tür, die nur einige Schritte entfernt war, machte ich mich auf alles gefasst: Schläge, Tritte, Spucken, Schimpfen, Schreien, Haareziehen und andere schmerzhafte Dinge. Zu guter Letzt sah ich vor meinem inneren Auge schon, wie sie mich die Treppe hinunterstoßen würde und schließlich mit einem Tritt in meinen Hintern aus dem Haus befördern wurde. Aber dazu hatte sie das Recht. Ich hielt inne, als ich vor der Tür stand und nahm mich zusammen. Zaghaft legte ich meine Hand an die Klinke, drückte sie hinunter, lehnte mich gegen die Tür.
 

Sie war zugesperrt.
 

Darauf war ich nicht gefasst gewesen.

„Bleib weg! Ich will dich nicht sehen!“, hörte ich sie mit wackeliger Stimme schreien. „Du kannst mir gestohlen bleiben! Ich mag dich nicht!“

„Aber… ich will mich doch nur entschuldigen.“

Ich hörte einen Knall an der Tür und vermutete, dass sie einen ihrer Schuhe dagegen geworfen hatte. Gut. Ich glaube, sie wollte mich tatsächlich nicht sehen.

„… Kann ich später mit dir reden?“

Eine Antwort bekam ich nicht.

Zögerlich schob ich die Hände in die Hosentaschen und senkte den Blick, verweilte noch einige Augenblicke in der Hoffnung, dass sie mir vielleicht nachträglich aufmachen würde. Tat sie aber nicht. Auch sonst traten keine Geräusche aus dem Zimmer oder andere Lebenszeichen. Nun, dann nicht. Auf den Absätzen wandte ich mich ab und ging zum Treppenabsatz. Was tat ich denn nun? Hubo hatte mich nicht nach Hilfe gefragt, Jenna wollte nun wahrscheinlich ihre Ruhe und Gwen hatte mich ausgesperrt. Ich erinnerte mich daran, dass heute der Einkaufstag war. Es war gut möglich, dass Hubo gegangen war und nicht mehr anzufinden war. Vielleicht hatte er auch Parr mitgenommen. Es war sicherlich leichter, mit Satteltaschen einzukaufen.

Spontan fiel mir nur noch ein, dass ich mich etwas um die Tiere kümmern könnte, die noch hier waren, damit ich das Gefühl hatte zu etwas nütze zu sein. Ich schlurfte die Treppen hinunter, zog die Schuhe vor der Haustür an und ging hinter das Haus und hörte die Ziegen schon meckern, betrat auch schließlich den Stall. Hubo traf ich nicht an, allerdings war Parr noch hier. Die Tatsache verwirrte mich ein wenig, doch ich tat das, was wir jeden Tag taten. Ich ließ die Ziegen heraus und kümmerte mich dann um den Hengst. Ich öffnete die Tür und sah den Rappen vor mir stehen. Treu sah er mich aus dunklen Augen heraus an, woraufhin ich den Blick erwiderte. Er scharrte mit dem linken vorderen Huf über den Boden – es war der einzige weißgezeichnete Fuß, den er hatte. Hubo hatte mir erklärt, dass es eine Art Bauernweisheit gab, die über die Färbung der Füße sprach und dass ein weißer Fuß davon zeugte, dass das Tier außerordentlich treu war. Ich hoffte, dass er nicht wirklich an so etwas glaubte, aber ich hatte das Gefühl, dass es bei Parr der Wahrheit entsprach. Der Hengst erinnerte mich sehr an seinen Halter. Auch er war unglaublich ruhig und machte einen weisen Eindruck. Meine Hand wanderte in seine lange, weiße Mähne und ich musste lächeln. Ja, wir standen uns gut, auch, wenn wir nur selten miteinander zu tun hatten.

Ich holte die Bürste, ging dann zurück zu dem Kaltblüter und wies ihn an, die Kabine zu verlassen. Er tat, wie ich es ihm sagte, denn er war wohlerzogen. So nahm ich die Bürste und begann, dem Tier das Fell zu striegeln.

„Dich werde ich auch vermissen.“, meinte ich. Parr schnaubte. Dumm war das Tier immerhin nicht. Ich war mir fast sicher, dass es merkte, dass etwas falsch lief. Alleine schon, weil ich mich alleine um ihn kümmerte. Der Hengst neigte den Kopf und schien mich anzusehen, dann ging er in die Knie, lag aufrecht. Ich erschrak zuerst, und wusste dann, dass ich meine Arbeit so zwar leichter fortsetzen konnte, aber irgendwie gefiel es mir nicht. „Hey! Ich hab nichts von Hinlegen gesagt! Schlafen kannst du nachts.“, beschwerte ich mich. Das Pferd schnaubte erneut und harrte aus. „Na, schön. Wie du willst. Irgendwann leg ich mich auch einfach hin. Dann werden wir sehen, wer hier machen kann, was er will.“ Ich striegelte ihn weiter, bis er unruhig wurde, und sich wieder erhob. Liegen tat er wohl nur ungern, aber wahrscheinlich hatte Hubo ihn so abgerichtet, dass er sich beim Striegeln sofort hinlegte. Na, wem es denn gefiel.

„Du bist ein komisches Tier.“

„Du auch.“

Ich zuckte schwer zusammen, fuhr herum.

Zuerst hatte ich tatsächlich gedacht, Parr würde mir antworten, doch dann nahm ich im Türrahmen eine Person wahr, mit der ich ohnehin noch reden wollte.

Abschiedsbrief

Peinlich berührt und irgendwie ertappt starrte ich auf den Boden, als sich mir schwere Schritte näherten. Es war wirklich schwer gewesen Abschied zu nehmen. Zumindest von Jenna, welche nun oben auf ihrem Zimmer war und sich wohlmöglich schlecht fühlte, dass ich gehen musste. Doch nun kam der Herr des Hauses auf mich zu. Und er sah nicht wirklich erfreut aus, auch, wenn ein mattes Lächeln seine Lippen zierte. Er blieb vor mir stehen und nahm mir die Bürste ab.

„Auf.“, meinte er.

Das Pferd erhob sich und er führte es zurück in die Box, woraufhin er sich zu mir umwandte und mich etwas besorgt ansah. Anscheinend hatte er keine bessere Idee, als ich und ich musste tatsächlich abreisen. Jetzt, wo ich schon Abschied genommen hatte, von ihm, fehlte nur noch Gwen und dann konnte ich beruhigt von dannen ziehen. Er legte mir eine Hand auf die Schulter und drückte sie leicht. Es stahl mir den Atem und nur zögerlich erwiderte ich den Blick, den ich auf mir spürte. Die dunkelblauen Augen schienen mich mit ihrem weisen Blick genau zu analysieren. Noch weiser ließen sie die Falten aussehen. Es waren nicht viele, aber sie waren da, gleich unter den Augen, ähnlich den Augenrändern, die ich hatte, wenn ich zu wenig schlief. Erst bei genauerem Hinsehen fielen sie mir wirklich auf. Seine freie Hand strich sich unbeholfen durch das Haar und er wusste nicht so recht, was er sagen sollte, auch, wenn sein Mund geöffnet war. Als es ihm auffiel, schloss er ihn schnell wieder – dabei hatte er ausgesehen, wie ein Fisch. Auch wortlos verstand ich ihn ganz gut. Die Hand, die vorhin noch in seinem Haar war, sank hinab und er wandte den Blick von mir ab.

„Ich finds schade. Ich finds wirklich schade, dass du gehst.“

„Ich auch.“

Nun konnte ich ihn auch nicht mehr ansehen. So standen wir voreinander und blickten uns nicht an, sahen aneinander vorbei, und versuchten uns zu kontrollieren. Immerhin waren wir echte Männer. Und wenn ich einmal werden wollte, wie Hubo, dann war heulen nicht gerade die stärkste Lösung in diesem Fall. Ich musste mein Schicksal annehmen.

„Weißt du… Ich hab mir immer einen Sohn gewünscht.“

Zaghaft blickte ich zu ihm auf.

„Und jetzt hast du eine Tochter, die sich wie ein Junge aufführt.“, sagte ich und grinste. Es war ein schlechter Versuch, die Stimmung aufzuheitern und einen kurzen Moment lang war er sogar erfolgreich. Der Mann vor mir schmunzelte und sah mich nun ebenfalls an. Es war ein seltsamer Moment, der gleichzeitig angenehm, aber auch unangenehm war. Natürlich würde er jetzt denken, dass ich ihm die Schuld dafür gab, dass ich gehen musste. Aber das tat ich nicht. Es war ganz natürlich, dass man irgendwo seinen Platz hatte und ich hatte meinen eben woanders. Nur nicht hier oder in den Wäldern.

„Sie ist wundervoll. Es hätte mich gar nicht besser treffen können.“

„Na, ich weiß nicht. Mir ist sie zu zickig…“, gab ich zu und neigte den Kopf etwas, wog innerlich ab. Doch, sie war mir zu zickig. Ein bisschen erinnerte sie mich an… Wie hieß sie noch?

„Papperlapapp, zickig. Sie ist ein Mädchen. Sie darf das. Besser als ein Sohn, der sich benimmt wie ein Mädchen, hm?“, fragte er und zog die Brauen hoch. Er grinste mich an und wuschelte mir durch das Haar. Ich verzog das Gesicht. Ich verhielt mich zumindest meinem Geschlecht entsprechend! Sobald er die Hand hinausgenommen hatte, strich ich mein Haar wieder glatt. Ich konnte es nicht haben wenn es wirr lag. Es fühlte sich seltsam an.

Hubo legte einen Arm um meine Schultern und verließ die Bestallung mit mir. Richtige Worte des Abschieds wurden nicht gesprochen. Aber ich schätze, es war einfach nicht seine Art. So konnten wir es beide besser verschmerzen.

Vor dem Stall blieben wir stehen.

„Hast du alles, was du brauchst?“

„Ich denke, das geht so. Ich bin auch so hergekommen.“, sagte ich ehrlich.

„Gut. Wenn du uns verlässt, gehst du nordöstlich. Dort liegt Hyrule, eine große Stadt. Sicher findest du da etwas.“, erklärte er mir. Ich nickte bestätigend. Hyrule, also. „Momentan geht es dort hektisch zu. Warum weiß ich auch nicht. Es wird gemunkelt, aber so richtig Klartext spricht da keiner. Wenn dir etwas seltsam vorkommt, zieh am besten einfach weiter.“

Ich verstand damals nicht, dass es sich um den Sturz des Königs handelte.

Oder genauer: Darum, dass unsere Welt zu einem Schreckensregime werden sollte.

Geführt werden sollte die Diktatur durch einen mächtigen Alleinherrscher: Ganondorf.
 

Es fielen keine weiteren wichtigen Worte zwischen Hubo und mir.

Wir sprachen ein wenig über die Örtlichkeiten in der Nähe und über die verschiedenen Kulturen, die es gab. Es war überwältigend, wie viel dieser Mann von der Welt zu wissen schien. Wenn er und Jenna eine Tochter bekamen, war es irgendwie klar, dass auch diese viel wissen musste. So viele Erfahrungen, die er mit mir teilte, waren für mich undenkbar. Seine Truppe wurde von Gerudos bestohlen, er tanzte zusammen mit den Goronen und mit dem König der Zoras war er praktisch auf Du und Du. Damals wurde es toleriert, dass Soldaten in die fremden Ländereien eindrangen, um zu helfen, wenn es Probleme gab. Es wurde oft in Anspruch genommen und man verstand sich sehr gut. Von den Kokiri sprach er jedoch nicht. Eigentlich interessierte es mich auch kaum. Es war viel zu faszinierend, zu erfahren, wie viele verschiedene Kulturen es gab und was sie feierten. Doch eines feierten alle: Das Fest der Göttinnen. Die Religion schien etwas zu sein, das vielen Menschen Zusammenhalt gab. Und wenn es jemand damit nicht so genau nahm, dann war es auch nicht so schlimm. So wie ich. Ich verschwendete ehrlich gesagt nur wenige Gedanken daran, woher ich kam und wohin ich ging. Erst wieder mehr, seitdem man mich verstoßen hatte… Aber selbst das war nur der kleinste Teil meiner Gedanken, denn ich musste mich um so vieles mehr kümmern.

„Und bald wird es wieder gefeiert.“, informierte er mich. „In drei Wochen ist es schon wieder so weit. Du bist herzlichst zum Festessen bei uns eingeladen.“

Er ließ von mir ab und grinste.

„Danke. Das ist supernett.“, erwiderte ich und musste ebenfalls grinsen. „Also, nur, wenn ihr euch keine Umstände macht für mich.“ Denn das wollte ich ganz sicher nicht!

Hubo schüttelte den Kopf und winkte ab.

„Ach was.“

Es entstand ein angenehmes Schweigen.

„Und jetzt?“, fragte er und schob die Hände in die Hosentaschen.

„Jetzt muss ich noch Gwen Tschüss sagen.“

Er nickte und verschwand wieder im Stall. Ich ging wieder auf das Haus zu, öffnete die schon vertraut gewordene Tür und ging die Treppen hinauf, deren Zahl ich bereits im Kopf hatte, vom ganzen Mitzählen. Ich schlurfte über den Dielenboden und klopfte kurz an, bevor ich die Tür öffnete.

Das Zimmer war nicht abgeschlossen gewesen.

Außerdem war es leer. Das Fenster war geschlossen und dennoch war es ziemlich kalt. Wo auch immer Gwen war, ich hoffte, ich müsste sie nicht wieder vor einem Wolfsheimer retten. Auf dem Schreibtisch lag ein Stück Papier. Ich trat näher heran und erblickte Gwens Schrift. Nur wenige Teile konnte ich lesen.

Schien so, als müsste ich mir Hilfe holen… Aber wäre es nicht peinlich, zu fragen?

Jenna würde mich verstehen.

Ich nahm das Blatt Papier an mich und betrat das Schlafzimmer, klopfte natürlich vorher an, und wurde hereingebeten. „Kannst du mir was vorlesen?“ Und ausnahmsweise wurde sogar nicht einmal nachgefragt, warum ich es nicht selber las.

Allerdings übertraf der Brief alles, von dem ich dachte, was darin stehen würde.
 

„Hör mal gut zu, du Hosentaschenheld! Ja, so nenne ich dich, weil du klein bist und blöd. Ich hab keine Lust, mich von dir zu verabschieden. Am besten du verziehst dich einfach. Du nervst mich gewaltig. Ich freu mich schon, wenn ich mein Bett wieder für mich habe und du fettes Ungetüm weg bist. Alles Liebe, Gwen. P.S.: Wehe, du lässt irgendetwas mitgehen!“
 

Ich sah zu Jenna auf.

Ihr Blick war wohl genau so verwirrt, wie meiner.

„Ich find mich gar nicht dick.“, meinte ich und strich über meinen Bauch.

Aber abgesehen davon: Wo war dieses kleine Monster nun schon wieder hin?

„Mach dir mal keine Sorgen. Die kommt wieder.“ Jenna lächelte schief. „Wahrscheinlich versteckt sie sich irgendwo.“

… Na, wer es glaubte.

„Hm. Ich geh sie besser suchen.“

„Tu dir keinen Zwang an.“, sagte die ältere Frau und wandte den Blick von mir ab. Ich stopfte den Brief in meine Hosentasche und ging zurück in Gwens Zimmer. Wenn ich sie gefunden hatte würde ich sie nach Hause schicken und dann gehen! Es wäre also gar nicht falsch, schon mal die Tasche mitzunehmen. Ich blickte mich noch einmal im Zimmer um. Wahrscheinlich würde ich sie alle ziemlich vermissen. Ich konnte gar nicht sagen, wen ich mehr vermissen würde. Ob Jenna, Hubo oder doch Gwen. Sie alle hatten ihre Macken, aber deswegen mochte ich sie noch mehr.

Jenna war durch ihre Leichtgläubigkeit geprägt, aber dennoch gut zu allen Leuten, denen sie begegnete.

Hubo war sehr streng, doch durch seine strenge Hand fiel es einem leichter, zu lernen und ihm zu vertrauen.

Und Gwen… Gwen war einfach nur ein Nervenbündel. Aber man konnte sie durchaus lieb gewinnen, wenn man Zeit dazu fand, sich mit ihr auseinander zu setzen und einfach mal übersah, dass sie geisteskrank und unfreundlich war. Ich mochte sie, irgendwie.
 

Ich schulterte die Tasche und ging ein weiteres Mal die Treppen hinab. Ein weiteres Mal? Nein, ein letztes Mal. Ich genoss das Knarren unter meinen Füßen und das Gefühl des kalten Geländers unter meiner Hand. Wahrscheinlich würde ich es nie wieder berühren.

25, 26, 27.

Ich sprang von der letzten Stufe. Noch vor einigen Tagen war Gwen vom Treppenansatz gesprungen und hatte mich unter sich begraben, als wir miteinander gerauft hatten. Den blauen Fleck und die Bissspuren im rechten Oberarm hatte ich immer noch (und sie schmerzten auch weiterhin!). Mit neu gefasstem Mut blickte ich zurück, die Treppen hinauf, dann wieder geradeaus und ging auf die Haustür zu.

Ich packte die Klinke.

Ein Zurück gab es nun nicht mehr. Und irgendwie machte es mir keine Angst mehr. Ich wusste, dass ich irgendwo weiterleben konnte. Vielleicht nicht hier und vielleicht auch nicht in den Wäldern. Aber es gab so viele andere Geschöpfe da draußen; irgendwo – und da war ich mir sicher – gab es auch sicher einen Platz für mich!

Kraftvoll drückte ich die Klinke hinunter und betrat diese große Welt, dort draußen. Und ich wünschte mir ich hätte es nicht getan, denn schon als ich einen Schritt heraus getan hatte landete eine Schneeflocke auf meiner Nasenspitze.

Es würde eine kalte Reise werden.

Und wenn Gwen tatsächlich irgendwo da draußen war, dann sollte sie vielleicht besser wiederkommen.

Shiek und Impa

Nur noch verschwommen nahm ich meine Umgebung wahr als der Wind heftiger wurde, und mir Schneeflocken in die Augen blies. Nur mit gesenktem Blick konnte ich meinen Weg fortsetzen. Das Schneegestöber wurde immer dichter und ich hatte das Gefühl, nicht voran zu kommen. Davon war ich ziemlich genervt, ebenso, wie von diesem plötzlichen Temperatursturz. Regelrecht durchgefroren hob ich die Beine, eins nach dem anderen, immer wieder um mich durch den matschigen Boden zu kämpfen, denn gepflastert war der Weg hierher nicht gerade. Beschwerlich kam ich voran und erblickte schließlich den Zaun, über den ich damals geklettert war. Ich wusste, dass es nun nur noch ein kleiner Umweg war, damit ich in die Stadt kam. Ein kleiner Umweg, der bei solch einem Wetter nur Probleme bereitete!

Denn kaum hatte ich ihn erreicht sah ich auch schon Soldaten, die ihn sperrten.

Vielleicht kam ich noch durch?

Schnellen Schrittes näherte ich mich ihnen.

„Halt, junger Mann! Hier geht es nicht weiter. Diese Passage ist zu gefährlich.“

Sofort spürte ich, wie man eine Hand auf meine Schulter legte und mich zurück drückte.

„Aber ich muss weg!“, widersprach ich. „Es ist dringend, wirklich! Glauben Sie mir doch!“

„Nichts ist wichtiger als dein eigenes Wohl. Bitte geh.“

„Das will ich doch, aber Sie lassen mich ja nicht!“

Ich wurde weiter weggedrückt.

„Ich sehe keinen Grund, warum du passieren solltest. Durch den Schnee können Teile des Gesteins abbrechen. Der Todesberg ist zwar sehr stabil, aber wir wollen kein Risiko ein… Hey, Moment mal!“

Flugs hatte ich mich an ihm vorbeigedrängelt und rannte.

„Ich hab dafür keine Zeit! Da draußen ist jemand, der meine Hilfe braucht!“, rief ich und versuchte, so schnell voran zu kommen, wie möglich, was mir der Gegenwind sehr erschwerte. Mein Herz brannte in meinem Brustkorb, es war glühend heiß und diese Hitze stieg auch in mir auf. Kälte konnte mir nichts mehr anhaben! Ich hatte etwas zu tun! Und auch, wenn sie mich nicht leiden konnte, hatte ich trotzdem eine Verpflichtung. Es konnte doch nicht sein, dass ich sie einfach nie mehr wieder sehen würde. Unser Treffen war vom Schicksal bestimmt gewesen. Es wäre doch nur logisch, wenn wir einander wieder sehen würden. Es musste so kommen. Alle Worte die sie mir rücksichtslos an den Kopf geknallt hatte – ich hörte sie immer wieder und konnte sie nicht vergessen. Wenn ich schon mir nichts beweisen konnte, dann wenigstens ihr. Ich wollte kein hilfloses Etwas sein!

Auch, wenn ich etwas Angst hatte davor wie sie reagieren könnte.

Ich holte tief Luft und spürte meine Fingerspitzen wieder, die sich von selbst erwärmten, bevor ich anhielt. Ich stand am Tor zu Kakariko. Dieses Tor war schon verschlossen. Sie musste es noch geschafft haben, wenn sie tatsächlich hier war.

Aber wie dorthin kommen?

Ich zögerte nicht lange. Dann würde ich mich eben vielleicht verletzen, wenn ich hinüberkletterte. Ich packte die eisigen Metallstangen, kämpfte mich über das Tor und sprang zur anderen Seite wieder hinunter.
 

Kakariko war menschenleer.
 

Die Häuser lagen grau in grau. Oder vielmehr weiß in grau. Der Schneematsch war über die ganzen Straßen verteilt und ließ die Stadt unfreundlich wirken. Etwas verwirrt sah ich mich um, denn so hatte es hier noch nie ausgesehen. Sofort war meine räumliche Orientierung geschwächt und ich fühlte mich verloren. Ich durfte nicht nachgeben. Sollte ich nach ihr rufen?

„Gwen!?“, brachte ich lauthals krächzend heraus, und bemerkte, wie schnell die Kälte meinen Hals angriff. Ich war das einfach nicht gewöhnt. Bei uns gab es kein so wechselhaftes Klima und wenn es mal schneite, dann bekamen wir davon nur insofern etwas mit, dass wir die Tiere unserer Wälder fütterten, wenn der Winter zu plötzlich eintrat und sie verwirrt waren. Sonst allerdings hatten wir wirklich wenig mit der kalten Jahreszeit zu tun, vor allem, weil wir dann vorzogen, beieinander zuhause zu sitzen und gemeinsam Spiele zu spielen. Manchmal tranken wir aber auch nur aufgebrühte Kräuter. Ich erinnerte mich genau! Oft saß ich den ganzen Winter lang mit…

Wie hieß sie noch?

Ich konnte mich noch an ihren blonden Pony erinnern und daran, dass sie mich immer ganz schön aufgeregt hatte. Aber wie hieß sie noch gleich? Ich versuchte mich zu erinnern, als knirschende Schritte meine Aufmerksamkeit auf sich zogen. Schnell blickte ich vom Eismatsch auf und sah zwei Gestalten auf mich zukommen. Genau erkennen konnte ich sie nicht, nur, dass eine klein und die Andere groß war. Vielleicht war eine davon Gwen?
 

„Gwen!?“

Keine der Gestalten reagierte.

Ich näherte mich ihnen, mit ein wenig Angst im Bauch, schlurfte über den nasskalten Boden. Eine Gwen sah ich jedoch nicht. Die kleinere Silhouette verschwand hinter der Größeren. Zum Vorschein kam eine ältere Frau die ihre kurzen, silbernen Haare in einem Zopf trug. Mit geneigtem Kopf sah sie mich an und schwieg. Ich schwieg ebenfalls.

Dann ging ich weiter.

Erst im Gehen fiel mir die zweite Person auf.

Es war ein Junge, etwa in meinem Alter. Sein blondes Haar fiel in sein Gesicht und er sah ziemlich ruhig aus, doch als er bemerkte, dass ich ihn ansah, erwiderte er den Blick. Seine roten Augen sahen mich beunruhigt an. Plötzlich fasste er nach dem Handgelenk der Frau.

Sie hielt inne und blickte zu ihm, dann zu mir.

Vor Schreck war ich stehen geblieben.

„Was…?“, fragte sie etwas perplex und sah wieder zu dem Jungen. „... Nur ein Junge.“

Von wegen, nur ein Junge! Ich war der große Mido! Wahrscheinlich hatte er das erkannt und nun großen Respekt vor mir. Ich zog die Brauen hoch und legte den Kopf schief. Sie beugte sich zu ihm hinunter, er schien ihr etwas in das Ohr zu flüstern, dann sah sie wieder auf und näherte sich mir.

„Was machst du so alleine hier?“

„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.“, sagte ich und wich einen Schritt zurück. Erwachsene wollten mich immer nur von meinem Ziel abhalten! Die Farbe verschwand wahrscheinlich aus meinem Gesicht und ich war noch nervöser als sowieso schon.

„Nicht ich will das wissen.“

„Aha. Warum fragt er mich dann nicht selber?“, meinte ich. „Hat er Angst oder was?“ Ich versuchte einen Blick auf ihn zu erhaschen, er jedoch verschwand wieder hinter der Frau. Sein Gesicht war bis über die Nase verdeckt. Was stimmte mit ihm nicht?

„Antworte bitte.“

„Können Sie vergessen. Ich hab zu tun!“

Nicht besonders freundlich wimmelte ich sie ab und wandte mich um, um weiter zu gehen, doch dann spürte ich einen Griff an meinem Handgelenk. Es war eine kleine Hand. Als ich über die Schulter sah, stand er dort und sah mich aus seinen ungewöhnlich gefärbten Augen an.

„Lass mich!“, forderte ich und riss mich los. „Was soll das? Hast du keinen Mund oder was? Nerv nicht! Ich hab weitaus Wichtigeres zu tun!“ Er schloss die Augen, dann hörte ich das erste Mal eine Stimme, die mich in die Zukunft begleiten sollte.

„Wir wollen dir helfen.“

Ich zog die Brauen hoch.

„Ah, das Muttersöhnchen kann sprechen, hä? Wie wollt ihr mir denn bitte helfen? Ich muss mich beeilen.“

Nur zögerlich hob er den Blick von meinem Brustkorb in mein Gesicht. Wohl ein ziemlich zurückhaltender Zeitgenosse. Nervös spielte er mit den eigenen Fingern und atmete tief ein. Was hatte er für ein Problem? Ich verstand ihn nicht.

„Mein Name ist Shiek.“

„Und ich bin Impa. Wir wollen nur wissen, was mit dir los ist. Es ist nicht schön, dass du hier alleine herumirrst.“, informierte mich die Frau und sie verschränkte die Arme vor der Brust. Der Blonde tat es ihr gleich, zögerte und löste sich wieder aus der Pose. Ohje. Männlichkeit war wohl nicht seine Stärke. Ebenso wenig wie ein wirklich überzeugendes Auftreten. Irgendetwas an ihm störte mich. Aber… Impa… Den Namen hatte ich schon einmal gehört…

„Wo kommst du her?“

„Jetzt gerade oder allgemein?“, fragte ich sie verwirrt. Vielleicht wusste sie wirklich etwas.

„Er kommt aus dem Wald.“ Die ruhige Stimme des Blonden machte mich hellhörig. Ich sah ihn argwöhnisch an. Woher wusste er das?

„Das ist richtig, ja. Und ich suche nach jemandem.“, fuhr ich langsam fort. Vielleicht hatte er auch einfach nur ein sehr gutes Einfühlungsvermögen und viel Erfahrung? Wirklich wie jemand ganz normales wirkte er ja nicht, mit diesem großen Wappen auf der Kleidung. Ich musterte sie und stemmte die Hände in die Hüften.

„Was bist’n du für einer?“, meinte ich.

„Ich bin ein Shiekah.“

„Shiekah.“, echote ich und zog die Brauen zusammen. Nie gehört. Auch in Ordnung. Vielleicht waren diese Shiekah ja ein kleines Völkchen von seltsamen Leuten, die Spaß daran hatten, Gedanken zu lesen und… ja, seltsam zu sein.

„Shiek, der Shiekah. Hmpf. Nicht sehr einfallsreich. Mein Name ist Mido.“, sagte ich und schnappte seine Hand, wollte diese schütteln, als er sie schnell und erschrocken zurück zog. Aufgewühlt blickte er mich an und trat einen Schritt zurück. War wohl nicht sein Ding. Komisch, diese Shiekah.

„Möchtest du uns jetzt erzählen, wo dein Problem liegt?“, fragte Impa und sah mich besorgt an. Ich war immer noch verwirrt davon, dass er mir so plötzlich seine Hand entrissen hatte und nickte etwas abwesend, rieb meine Hände aneinander, um mich zu wärmen. Das Herumstehen ließ einen wirklich auskühlen.

„Ich suche ein Mädchen. Ich hab keine Ahnung, wo sie hin ist, aber so wie ich sie kenne, ist sie wahrscheinlich hierher gelaufen. Sie wollte ihre Ruhe.“, meinte ich und wandte den Blick ab. Ja, von mir wollte sie ihre Ruhe. Und jetzt lief ich ihr nach.

„Und was hast du für einen Grund, sie jetzt zu stören?“, fragte Shiek.

Ich blickte auf.

„Wie kommst du darauf, dass ich sie stören würde!? Ich mach mir nur Sorgen, okay?“

Shiek schwieg und senkte den Blick erneut. Den Augenkontakt zu halten war auch nicht das, was er wirklich gut konnte. Ich wurde nicht schlau aus ihm. Und je länger ich bei ihm war, desto unwohler fühlte ich mich in seiner Nähe. Er schien so viel zu wissen – und das gefiel mir gar nicht!

„Vielleicht ist sie schon wieder zuhause. Mach dir besser keine Sorgen und geh auch nach Hause.“, beruhigte mich Impa und machte eine kurz angebundene Geste. Ich schüttelte den Kopf.

„Sehen Sie, das ist ja das Problem. Ich habe bei ihr gewohnt und jetzt muss ich gehen. Und irgendwie scheint sie wütend zu sein, weil ich nicht mehr da bin, oder weil ich da bin. Keine Ahnung. Ich kann nicht nach Hause. Alles was ich tun kann, ist sie nach Hause zu bringen und mir dann etwas Neues zu suchen.“

Die Frau blickte mich nachdenklich an und nickte langsam.
 

„Na, was machen wir denn dann mit dir?“

Wenn ich das nur wüsste.

Shiek und Impa II

Das Wort „Sorgen“ war mir im Halse stecken geblieben, als ich erneut darüber nachdachte, was man denn nun bitte mit mir anstellen sollte. Ich konnte ja schlecht erfrieren. Oder doch, natürlich könnte ich es. Aber ich hatte nicht wirklich die Affinität dazu. Immer noch spürte ich den weisen Blick der Dame auf mir, die mich gefunden hatte, und senkte den Blick, um sie nicht ansehen zu müssen. Furchtbar unangenehm war das Gefühl, ihnen zur Last zu fallen. Das würde ich wohl noch mein ganzes Leben lang tun – anderen Wesen zur Last fallen. Hatte ich das jemals nicht getan? Die Schneeflocken machten meine Haare nass, als sie schmolzen und schließlich sah ich zu Shiek hinüber.

Wir tauschten einige Blicke aus, von denen ich nicht so recht wissen sollte, was sie bedeuteten. Als würde er durch mich hindurch sehen. Seine Augen waren matt und sahen beinahe tot aus, als würde er gar nicht mehr in seinem Körper verweilen. Schließlich senkte auch er den Blick, bevor ich zu Impa aufsah. Sie strich sich durch das kurze Haar, seufzte leise auf.

„Komm erstmal mit. Wir finden schon etwas für dich.“

Ihre vollen Lippen bildeten ein Lächeln und ich betrachtete ihre magentafarbenen Augen. War es möglich, dass…? Shiek starrte mich regelrecht an. Als er sah, dass ich dies bemerkt hatte, blickte er schnell beiseite, als wäre das nie passiert. Zumindest wäre es eine Möglichkeit… Sie legte eine Hand in mein Haar und wuschelte mir hindurch. Was auch immer alle an meinen Haaren fanden, es gefiel mir, dass sie so dachten, denn so hatte ich die Gewissheit, dass ich trotz meiner aussichtslosen Situation nicht wie ein Streuner aussah. Das war zumindest ein kleiner Trost. Impa machte einen Schritt nach vorne, wartete ab, bis wir uns ebenfalls bewegten, dann folgten wir ihr. Der Schnee lag auf dem Boden und es war so kalt geworden, dass es stellenweise wirklich ein unangenehmes Gefühl war, durch die sonst so freundlichen Straßen Kakarikos zu schlendern. Ich blickte auf ihren Rücken, während sie so vor uns daher ging. Ihre Kleidung schien nicht die wärmste zu sein und dennoch fror sie nicht. Eine bewundernswerte Frau. Doch dann, plötzlich, eine Berührung. Ich wurde gepackt, am Handgelenk. Als ich über die Schulter sah, war es Shiek, der mich festhielt und recht hastig bei Seite zog, während Impa nichts Böses ahnend weiterging. Ich stand vor ihm, recht perplex, als er mich von oben bis unten ansah.

„Du kennst ihn…“

Verwirrt legte ich den Kopf schief. Wen sollte ich denn kennen? Der Shiekah blickte mich weiterhin an, musterte mich genau und griff schließlich recht dreist in meine Tasche, als er meine Feenschleuder hervorzog. Ich entriss sie ihm. „Lass das!“, schalt ich ihn. „Das ist meine! Willst du Prügel?“

Er nahm sie mir wieder ab.

„Tatsächlich. Wie ich es mir gedacht habe. Eine Waffe der Kokiri. Sehr interessant, wirklich.“

Anstatt mit mir zu sprechen, schien er mehr in diese Tatsache versunken, dass ich… Einen Moment mal! Ich legte meine Hand um den hölzernen Griff und steckte die Schleuder zurück in den Beutel, bevor ich mit einer Stimme voll Argwohn fragte: „Wen soll ich denn deiner Meinung nach kennen?“. Er riss die Augen auf und schüttelte nur den Kopf, beteuerte, es seie gar nicht so wichtig, und es wäre nichts. Natürlich. Mädchen sagten das auch ständig. Und dann bewarfen sie einen mit Steinen – ich kannte das immerhin von… ja, von welchem Mädchen eigentlich? Ich sah blondes Haar vor mir, doch es verschwand, vermischte sich mit dem von Shiek. Von meinen Erinnerungen verwirrt ignorierte ich ihn und ging dann den Spuren im Schnee nach, die nur noch leicht zu erkennen waren, nachdem wir Impa verloren hatten. Dann sah ich sie dort stehen, vor einer in sich zusammengesunkenen Gestalt, die mit Schnee bedeckt war und leise in sich hineinschluchzte.

Ich hielt inne, doch Shiek spurtete schon zu der Dame und dem Wesen, das sich zu ihren Füßen befand.
 

Schwer schluckend setzte auch ich mich schließlich in Bewegung, doch blieb stocksteif stehen, als ich hörte, mit wem sie sprach. „Ich habe die ganze Zeit auf Euch gewartet… Ich brauche Eure Hilfe…“ Es schnürte mir die Kehle zu, als sich das Wesen aufrichtete und noch kleiner als Shiek und ich war. „Es ist wirklich dringend!“ Sie berührte Impas Hände, sah sie flehend an. Es war niemand geringeres als…

„Gwen!?“

Die kleine Gestalt sah an Impa vorbei, erblickte mich und wischte sich verstohlen über das Gesicht, wohl mit der Intention angeblich Schneeflocken entfernen zu wollen. Dann ging sie an ihr vorbei und sah mich von oben bis unten an. Anscheinend hatte sie gehofft, dass ich schon im Schnee erfroren war oder durch andere Dinge umgekommen war, aber nicht mit mir. Ich war der große Mido! So stemmte ich die Hände in die Hüften und richtete mich vollkommen auf, ehe sie auf mich zukam und vor mir stehen blieb. „… Was machst du denn hier?“, fragte sie und ich hörte keine Spur der sonstigen Abneigung heraus. „Wolltest du nicht gehen?“ Ich zog die Braue auf diese Fragen hoch und wich aus meiner starken Pose. Natürlich wollte ich gehen, aber ich konnte sie doch schlecht zurücklassen. Nur zu interessieren hatte sie das nicht, sonst würde sie mir garantiert einen boshaften Spruch gegen den Kopf schmettern und mich gleichermaßen traurig und wütend stehen lassen.

„Hab Impa getroffen und sie wollte mir was Neues besorgen.“

Die Fremden stellten sich ebenfalls zu uns, ich hörte sie leise miteinander sprechen.
 

„Schlecht… Plan… Durchsetzen…“

„Impa, … unwichtig… zuhause… Sicherheit…“
 

Nur ein paar Wortfetzen konnte ich aufschnappen, bevor sich die Dame zu mir umwandte und das ungleiche Paar – mich und Gwen – betrachtete. Hinter ihren Augen brausten die Gedanken geradezu und sie schien zu überlegen, was sie nun mit mir machen sollte. Und vor allen Dingen auch mit ihr. „Also, da ihr Beide das selbe Problem habt, hat sich das ja nun geklärt.“, meinte sie. „Du hast sie gesucht – hier ist sie. Sie wollte dass du bleibst – da hast du ihn.“

Gwen schüttelte wild den Kopf.

Ich konnte nicht deuten, ob sie damit zeigen wollte, dass sie das nicht gesagt hatte, oder ob das alles in Wirklichkeit gar nicht so einfach ging. Jedenfalls musste ich das Wort erheben um alles richtig zu stellen. „Das ist aber gar nicht das wichtigste Problem.“, erklärte ich. „Ich habe kein Zuhause, das ist viel wichtiger. Ich wollte nur nicht, dass ihr was passiert.“ Gwen lachte, als sie hörte, dass ich kein Zuhause hatte. Naja, Schadenfreude war nun einmal die schönste Freude. Das sah ich ein und gönnte es ihr auch, schließlich war sie mich ja nun los und musste mich nicht mehr ertragen. Impa schwieg und es schien immer noch, als würde sie darüber nachdenken, was mit mir zu tun war.

„Kannst du denn nicht zurück?“

„Unser Haus ist zu klein und wir können ihn nicht ewig mitfinanzieren!“, sagte Gwen und blickte sie erwartungsvoll an. Ich wusste nicht, ob es am Schnee lag, an ihrem Blick, oder aber daran, dass Impa selber Mutter war (musste sie ja, immerhin hatte Shiek viel von ihr!), doch es war ein Winterabend, an dem Wunder keine Wunder blieben und Wünsche in Erfüllung gingen. Sie presste die Lippen zusammen und seufzte schließlich.

„Weißt du, Kleines… So schwer wird das schon nicht sein, wenn wir alle anpacken.“

Ich sah, wie Shiek sich an ihrem Arm festhielt und zu ihr aufsah, mit einem Blick, den ich zuvor bei einem Wesen seines Alters noch nie gesehen hatte. Solch eine Reife würde mir wohl verwehrt bleiben. Anscheinend hatte er ein gutes Wort für mich eingelegt, denn nun lächelte er matt.

„Also heißt das, ich kann bei ihnen bleiben?“, fragte ich und meinte damit Gwens Familie. Impa nickte und lächelte wissend. „Ja, das darfst du. Doch das wird eine Menge Arbeit.“

Und damit war es besiegelt.

Nicht nur meine Wohngelegenheit, sondern mein Schicksal.

Auch, wenn ich es damals kaum wahrnahm, wusste ich dass etwas mit diesem Jungen nicht stimmte. Nur was es war mochte sich mir nicht erklären. Ein glückliches Grinsen hatte sich auf meine Lippen gelegt und wir hatten uns auf den Heimweg gemacht, nur ich und meine neue Schwester. Wie es wohl war, eine Schwester zu haben? Ich hatte nur eine düstere Vorstellung davon. So düster, wie verblasste Erinnerungen.

Vor der Haustür blickten wir uns an, ohne eine Ahnung von dem zu haben, was uns erwartete, dennoch mit einem Lächeln – es war einer ihrer seltenen freundlichen Momente gewesen – und öffneten die Tür aus dunklem Holz, streiften auf der Türmatte die Schuhe ab und brachten sie in das Bad. Ohne bemerkt zu werden huschten wir in das Zimmer zurück und schlossen die Tür. Wir wollten es zu einer Überraschung machen, denn schon am nächsten Morgen würde der Umbau seinen Lauf nehmen, so hatte man uns versichert. Gwens moosgrüne Augen funkelten vor Aufregung, ihre Wangen wurden rosig und sie ging aufgeregt im Zimmer auf und ab. Wir besprachen noch eine Menge, bis wir abends schlafen gingen, immer noch unbemerkt.

War ich hier nun zuhause?



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Kommentare zu dieser Fanfic (36)
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Von:  ViGaMi
2014-11-09T17:24:06+00:00 09.11.2014 18:24
Hatte ich zum Schluss kurz nen Schock xD
Von:  ViGaMi
2014-11-09T17:09:18+00:00 09.11.2014 18:09
Och Mido, die arme Gwenni ist doch auch müde... *Gwen leicht über die Haare streich* *Gwenn wacht auf und knallt mir eine lass mich Pennen!!!* sorry *an der Nase reib*
Von:  ViGaMi
2014-11-09T16:52:15+00:00 09.11.2014 17:52
Tja Mido, wieso hast du denn seltsame schmerzen? XDDD aber das war so witzig:"Gute nacht Nervensäge" "gute nacht Grossmaul" xD

Von:  ViGaMi
2014-11-09T16:41:39+00:00 09.11.2014 17:41
Ohne, arme Jeanna :( naja aber am Ende musste ich so lachen: MIDO!!! BEWEG DEINEN DICKEN HINTERN HIERRUNTER ODER ICH VERPRÜGELE ICH SO DERMASSEN, DASS %#^{* :^+£>$... XD
Von:  ViGaMi
2014-11-09T14:58:07+00:00 09.11.2014 15:58
Wieso getrennt werden? Wenn Mido in Kakariko leben sollte, währe er doch in der Nähe...
Von:  ViGaMi
2014-11-09T14:48:15+00:00 09.11.2014 15:48
So, jetzt muss ich mich bei Gwen entschuldigen... Sie ist so riiiichtiiiiig sympatisch geworden :D *sich herzhaft bei Gwen entschuldig* *Gwen einen Keks geb*
Von:  ViGaMi
2014-11-09T14:34:08+00:00 09.11.2014 15:34
Bis jetzt mag ich gen noch nicht wirklich...
Antwort von:  ViGaMi
09.11.2014 15:34
Gwen* Autokorrektur lässt grüssen...
Von:  -Ciel_Phantomhive-
2011-12-10T20:02:33+00:00 10.12.2011 21:02
owwwwwwwwwwwwwwwwwwwwww!!! >////<
So süß wie eh und je <3
Ich LIEBE Gwen und Mido!! *__*
Echt toll, das sie nun so etwas wie Geschwister werden sollen??!!
Ach ich freue mi wieda, wenn es weiter geht!!! ^♥^
*freu*
*hibbel*
*HAB DICH MEGA LIEB*
*knuffels*

Lg. deine
-Ciel_Phantomhive-
Antwort von:  ViGaMi
09.11.2014 18:53
Ich hoffe, dass es überhaupt noch weitergeht 😔
Von:  WolfWolfi
2011-11-24T21:58:25+00:00 24.11.2011 22:58
Schön das Mido Gwen gefunden hat x3
Und er bleibt bei ihr, ach ist das schön xD

Von:  -Ciel_Phantomhive-
2011-10-28T07:25:27+00:00 28.10.2011 09:25
Hab es nun gelesen!
Fand es wie immer zwei gute Kappi's.
und wie WolfWolfi schon sagte bin auch ich gespannt ob Mido, Gwen nun findet ;)
Natürlich auch wie es nun mit den altbekannten Shiek und Impa weitergeht"! xD
Nun ja~
schreib schnell weiter!!!!

Lg.
-Ciel_Phantomhive-


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