Herz aus Stein von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 25: Ein kleines Bisschen mehr ------------------------------------- XXV. Ein kleines Bisschen mehr Kunibert lehnte keuchend gegen eine Wand, die gewiss nicht besonders hygienisch war. Aber das war gerade nicht der Punkt. Das hier … hatte er noch nie getan. Einfach in eine Bar und mit dem Ersten mit, der ihm optisch gefiel. Kein Flirt, nur Augenkontakt, ein paar Worte und dann ab in eine dunkle Gasse, wo sich schon andere vergnügten, wie das geile Seufzen und Stöhnen von überall her verhieß. Und jetzt … war er einer von ihnen. Heiße Lippen schlossen sich um sein brennendes Geschlecht. Endlich … Berührung … ein anderer Mensch … ein Schwarzhaariger mit markanten Zügen, aber das war fast egal … nur fühlen, fühlen, die Hitze, den Druck … seinen hungrigen Körper … Es dauerte nicht lange, bevor er unter dem kundigen Zungenschlag des anderen explodierte. „Scheiße!“ lachte der. „Du hattest echt Druck, was?“ „Ja …“, stammelte Kunibert benommen. Der andere Mann stand auf, grinste breit, noch immer sein Sperma auf dem Gesicht verteilt. „Jederzeit gerne mehr“, grinste er, kramte in seiner Tasche, drückte ihm einen Adresszettel in die Hand und wischte sich mit einem Taschentuch halbwegs sauber. „Ruf mich an, wenn dir mal nach einer richtigen Nummer ist. Bist du ein Top?“ „Äh … wohl ja …“, murmelte Kunibert, ungelenk den Zettel in die Hosentasche stopfend, während er mit der anderen Hand sein Bestes gab, sich wieder zu verstauen. „Ausgezeichnet!“ frohlockte der andere. „Du bist echt rattenscharf. Ruf mich an! Frag nach Alexandre!“ „Okay …“, erwiderte er und wankte davon. Garantiert nicht. Jetzt, wo die Erregung verflogen war, fühlte er sich nur schlecht. Freiheit? Das sollte die viel besungene Freiheit sein? Er fühlte sich wie ein Affe, der sich an einem Bananenbaum gewetzt hatte. Dabei war das ein Mensch gewesen! Alexandre. Aber … er hätte sonst wie heißen können, das war hier völlig irrelevant. Hier war man kein Mensch, nur … geil … Und das war er gewesen, und dann waren da immer diese Sommersprossen vor ihm aufgetaucht … Das hier war die Alternative?! Ganz blöde Idee. Okay, die Erfahrung musste man wohl mal gemacht haben. Aber das hier war es nicht, nicht für ihn. Mochte man ihn einen Spießer schimpfen. Aber jetzt fühlte er sich nur eklig. Er wollte nach Hause. Oh Gott, er hatte Cedric allein gelassen! Hoffentlich war alles okay mit ihm, hoffentlich hatte er nichts mitbekommen, hatte einfach nur weiter geschlafen! Warum hatte er das eigentlich getan? Ach ja, weil sein dämlicher Schwanz danach geschrien hatte … aber nicht hier nach, Dreck! ……………………. Als er am nächsten Morgen endlich etwas übernächtigt in die Puschen kam, hatte Cedric bereits Brötchen geholt und saß mit überkreuzten Beinen Zeitung lesend auf seinem Platz in der Küche. „Du hättest nicht warten müssen mit dem Essen“, murmelte er zu ihm, als er mit hängendem Kopf hinein schlurfte. Cedric sah ihn scharf an, legte die Zeitung weg und sagte nichts dazu. Der hatte das mitbekommen, der Zettel war auch weg gewesen … „Ich habe dir ein Brötchen mehr mitgebracht – Katerfrühstück“, meinte er nur. „Ich habe nichts getrunken, bin ja gefahren“, wehrte Kunibert ab und ließ sich auf seinen Stuhl fallen, der daraufhin missmutig ächzte. „Das meinte ich nicht“, sagte Cedric nur ruhig. „Danke auf jeden Fall!“ stöhnte Kunibert und grub sein Gesicht kurz in die eigenen Hände. Irgendwie fiel es ihm schwer, Cedric jetzt direkt in die Augen zu schauen. „Was, keinen Spaß gehabt?“ bohrte Cedric harmlos. „Anfangs: ja. Dann: nein“, gestand Kunibert beschämt. „Ist schon okay … Es ist nur Spaß, mach dir nicht so einen Kopf“, riet Cedric, butterte sein Mohnbrötchen und belegte es sorgsam mit Serrano-Schinken. Cedric wusste also haargenau, was los war – und war trotzdem ganz cool. Okay, Cedric hatte es viel doller getrieben als er, da schockte ihn das wohl nicht so …? Aber dennoch fand Kunibert die Reaktion verwirrend. „Nein“, erwiderte er, „ist es nicht. Ich bin ungeeignet. Wahrscheinlich die totale Enttäuschung für die schwule Welt. Ich bin echt ein moralinsaurer Langweiler.“ „Quatsch“, meinte Cedric ungerührt. „Du bist bloß … ein bisschen anders.“ „Wie – anders?“ wollte Kunibert misstrauisch wissen. „Weiß ich nicht“, sagte Cedric und sah ihn aus seinen stechenden grünen Augen an. „Eben anders. Deswegen bist du hier – und der Rest der Welt nicht. Deswegen mag ich dich – und den Rest der Welt nicht. Deswegen rennst du hinter den Steinen her – und der Rest der Welt nicht. Deswegen machst du mit deinem Freund Schluss – und der Rest der Welt nicht. Deswegen bist du die Monsterbanane – und der Rest der Welt nicht.“ Kunibert musste fast lächeln. „Ja, wahrscheinlich.“ „War er echt so unfähig?“ fragte Cedric und zog eine seiner dunkelroten Augenbrauen hoch. Kunibert zuckte betreten mit den Schultern. „Keine Ahnung. Wahrscheinlich nicht. Habe nicht so viele Vergleichsmöglichkeiten. Aber selbst, wenn er der Oberkönner gewesen wäre … die Situation, das ganze Gehabe … nein. Nicht meins. Du darfst ruhig lachen.“ „Ich lache nicht“, erwiderte Cedric ernst und machte sich an den Blauschimmelkäse. „Aber … Cedric“, presste Kunibert heraus. „Ich glaube trotzdem … ich sollte besser ausziehen … etwas Eigenes zum Wohnen finden …“ „Warum?“ fragte Cedric alarmiert. ………………………………………………………………………………………….. Kunibert wurde puterrot. Seine Finger schlossen sich um sein Brötchen, dass es nur so krümelte. Cedric fühlte, wie seine Unterlippe einsam vor sich hin schlabberte. Natürlich begriff er. Sein Herz raste plötzlich … nicht weg gehen … ich kann das nicht … oberheiß … mein Freund … Einsamkeit … ihre Routinen … anfassen … nettes Arschloch … und … und … und … „Du … du … bist scharf auf mich …?“ stammelte er verstehend. Kunibert wurde sogar noch röter, rätselhaft, wie das ging. „Ich …“, keuchte er, „du bist mein Freund … und ich habe dich sehr gern … ich weiß ja, was … und ich … ich respektiere das!!! Natürlich! Ich fühle mich so mies. Aber … ich bin … ich bin … eben kein Mönch … und das andere … kann ich nicht … ich mag das nicht … ich will das nicht … und … Wir hängen uns hier ständig auf der Pelle … und du hast so viele Sommersprossen!“ Cedric konnte ihn nur wortlos anstarren. Es machte ihm keine Angst. Es schockierte ihn nicht. Aber dennoch war er im besten Falle wirre. Er schluckte mehrfach hart. „Kunibert …“, flüsterte er. „Ich … ich habe dich auch gern … Und ich bin auch nicht total blind! Aber ich weiß nicht … ich weiß nicht … ob ich das kann …“, brachte er hervor. Kunibert! Nicht weggehen … Freund … und …? „Was?“ fragte Kunibert und starrte ihn aus riesigen blauen Augen an. Cedric schloss die Augen. „Ich bin echt ziemlich im Arsch. Und ich will, dass du da bist. Aber … ich bin nicht tot! Der alte Cedric, ja, irgendwie? Aber mir ist auch nicht alles abgefallen! Ich habe eine Höllenangst! Aber es ist noch da. Irgendwo. Und es sagt mir … irgendwie … eben mehr als Freundschaft ... ganz, ganz blöd …weiß ich auch nicht… Wenn du jetzt erst recht abhauen willst … okay …“, gestand er ihm zu. Irgendwie war ihm ganz merkwürdig. Irgendwer hatte ihm eine Grille ins Herz, ein Schaf in den Magen und eine Schildkröte ins Hirn implantiert. Kunibert schwieg kurz. „Ich will nicht weg“, gab er zu. „Aber ich will dir nicht weh tun! Dir Angst einjagen! Dich verletzen! Ich weiß auch nicht, was ich will … wohin ich will … aber hier … ist es gut. Echt. Und dann … dann warst du am Fenster, morgens … du hast mich nicht gesehen, du hattest überall Sommersprossen … und ich … so etwas habe ich noch nie gesehen … da ist mir irgendwie eine Sicherung raus gesprungen, aber ich musste ja irgendetwas tun!“ „Deswegen bist los?“ fragte Cedric ungläubig. Die Brötchen waren längst vergessen. Kunibert ließ nur den Kopf hängen. „Ich dachte, das sei eine Alternative“, gestand er schließlich. „Wird ja immer gesagt: locker-flockig, ohne Konsequenzen, nur Spaß … ich wollte dich nicht behelligen, aber irgendwo musste es hin! Du solltest dich nicht bedroht fühlen, indem ich dich anglotze oder so! Aber das geht nicht … ich kann das nicht …“ Cedric konnte nur benommen den Kopf schütteln. „Das ist echt das Netteste, das je einer für mich getan hat“, sagte er schließlich. „Dass ich mich in irgendwelchen dunklen Gassen herum getrieben habe?“ schnaufte Kunibert fassungslos. „Irgendwie ja“, grübelte Cedric. „Irgendwie ja. Und ich bin echt … lädiert.“ „Ich weiß“, nickte Kunibert geschlagen. „Du hast mich am Fenster gesehen?“ fragte er. „Ja … du wolltest den Griff ermorden“, murmelte Kunibert und starrte in seine Kaffeetasse. „Von vorne?“ bohrte Cedric nach. Das Viehzeug in seinen Organen kam in Bewegung, ohne dass er es hätte stoppen können. Kunibert nickte. „Okay …“, meinte er und stand auf. Kuniberts Blicke folgten ihm. „Dann schau jetzt genau hin. Das bin ich … von hinten.“ ………………………………………………………………………………………………… Cedric zog etwas zittrig mit den Fingern sein Shirt hoch, nur ein kleines Stück, aber es reichte. Auch sein Rücken war ein einziges Universum aus Sommersprossen – durchzogen mit einem irrwitzigen Geflecht heller Narben. „Oh Gott!“ stammelte Kunibert entsetzt. Cedric ließ sein Shirt wieder fallen und drehte sich zu ihm um. Er blickte ihn seltsam ruhig an. „Immer noch so inspirierend?“ fragte er. „Oh Gott, Cedric!“ konnte Kunibert nur wiederholen. „Was haben sie dir angetan?!“ Cedric sah ihn nach wie vor schweigend an. Dann sagte er: „Findest du mich immer noch geil?“ „Nein“, erwiderte Kunibert, sich wieder halbwegs fangend. „Ich finde dich schön. Das ist ein Unterschied.“ „Ich bin aber keiner deiner Steine“, wies Cedric ihn zurecht. „Nein … bist du nicht. Du bist kein Stein. Du bist Cedric. Es gibt Tausende von Steinen – aber es gibt nur einen Cedric“, sagte Kunibert stur und blickte ihm ins Gesicht. „Aber jetzt ist dir alles vergangen …?“ wollte Cedric wissen. Kunibert lachte nur etwas verzweifelt. „Leider nicht. Du bist doch nicht nur … dein Körper. Und auch mit den Narben … das spielt keine Rolle. Darum geht es nicht! Nicht wirklich. Es ändert gar nichts. Ich verstehe nicht … aber du bist auch so wunderschön … wie ein Labyrinth … was haben die dir angetan …?“ „Das ist … nicht mehr von Bedeutung. Was genau, das darf nicht … nicht mehr … Das ist vergangen. Nicht jetzt. Wir sind jetzt. Hier. Was … was ist das … wir … Freunde … aber mehr …?“ wollte Cedric zögernd wissend, immer noch aufrecht vor Kunibert stehend. Kunibert musste ausnahmsweise mal den Kopf in den Nacken legen. „Ich weiß nicht … es ist gut … will helfen … aber …“, stammelte er. Cedric sah hinab. Kunibert hatte nicht bloß einen äußerst ansehnlichen Körper, sondern auch ein wirklich schönes Gesicht, das er gern hinter seiner Clowns-Maske verbarg, hohe Wangenknochen, sanft geschwungene, blonde Brauen, eine scharfe, dennoch wohlformte Nase, einen üppigen, männlichen Mund … wirklich, einer der schönsten Männer, die er trotz ausgiebiger Studien je gesehen hatte. Oder kam ihm das nur so vor? Warum? Weil er die Person dahinter mit all ihren Spleenigkeiten nicht nur sah, sondern auch mochte? Kunibert war nicht bloß ein Bild, er war … ganz. Kunibert eben. „Kunibert …“, hörte er sich sagen. „Ich weiß nicht, was mit mir ist. Aber das, was du fühlst … ist schon okay … Ich bin nicht sauer. Du machst mir keinen Schiss. Ich weiß ja, dass du niemals … niemals … Weißt du, Oberarschloch-Cedric ist auch nicht ganz so hinüber, auch wenn er längst nicht mehr das Sagen hat. Ich bin nicht einfach … und ich weiß echt nicht … aber … aber … ich mag dich auch nicht nur …“ Kunibert starrte ihn einfach nur mit offenem Mund an. „Kunibert …?“ versuchte Cedric ihm irgendeine Reaktion zu entlocken. Kunibert schüttelte sich leicht. „Was geht hier vor?“ flüsterte er. „Weiß … weiß ich auch nicht so recht“, gestand Cedric, dem seltsam schwindelig war. „Aber ich will … bei dir sein … irgendwie …“ Kuniberts Hand streckte sich nach ihm aus. Nach einem kurzen Zögern ergriff Cedric sie und ließ sich heran ziehen. Kunibert roch so gut … wie ein Duft-Kokon, in den sonst niemand eindringen konnte … Er senkte den Kopf, seine Gedanken purzelten durcheinander, seine Hand griff in Kuniberts Haar … er war gestreichelt worden, aber er konnte das auch … und dann drückte er seine Nase ganz kurz in das blonde Chaos, das noch immer ein bisschen feucht von der Dusche war. Gut … auch etwas angsteinflößend … aber es war auch gut … nicht sinnlich, sondern keusch, tastendes Vertrauen, wankendes Drängen … was wollte er …? Das hier … Kuniberts Hand tastend etwas zitterig in seinen Haaren … so … was war das …? Zärtlich. Das war es. Ehemals gleichbedeutend mit albern und sentimental. Hier nicht. Kunibert sah ihn staunend an. „Cedric …“, sagte er. Cedric ließ sich einfach treiben, ließ den Kopf gegen Kuniberts sinken, fühlte die Wärme des nahen anderen Körpers, Kuniberts Hand bebend auf seiner Schulter … das hier war der schlimmste Exzess ever … nicht sein Körper … aber auch … und der Rest … alles … so gut … in Kunibert verkriechen … ihn beschützen, den elenden Steine-Deppen … Er war irre geworden. Machte nichts. „Ich hätte nie gedacht, dass das je über meine Lippen kommen würde, warum haben dich deine Eltern nicht Max, Christian oder Paul nennen können …“, flüsterte er. „Aber: Kunibert … oh, Kunibert … Geh nicht fort von mir …“ Oh Gott! Er bat um etwas! Er war so jämmerlich! Oder? Zu spät. Es war raus. „Mache ich nicht“, murmelte Kunibert nur. „Mache ich nicht … Ich will doch gar nicht weg …“ Kiffen war nichts dagegen. So gut … so gut … Kunibert wollte bleiben … wollte ihn … aber er konnte das doch gar nicht … Er hob den Kopf. „Es ist doch völlig okay“, sagte er, „wenn du, wenn es dich juckt, um die Blöcke ziehst.“ „Nein“, sagte Kunibert und schüttelte sich ein kleines Stück lösend resolut den Kopf. „Das ist nicht mein Ding. Ganz unabhängig von dir. Ich hab’s versucht … aber: nein. Will ich nicht. Monsterbanane hat gesprochen. Es geht ja nicht nur darum. Bitte … denk nicht immer sofort daran! Das … das ist doch irgendwie gar nicht der Punkt hier …? Fühl dich um Gottes Willen zu nichts gedrängt! Dein Rücken … oh Gott! Besser ein Schritt zu wenig als einer zu viel. Oder eben gar kein Schritt. Da bin ich wie die Steine … ich bin da, ich kann warten. Und ich bleibe auch stehen, wenn gar nichts passiert. Das, was immer hier gerade geschieht … ich weiß es auch nicht, aber dagegen kann das andere nicht anstinken? Aber darf ich …“ „Ja … hol dir ruhig im stillen Kämmerlein bei Bedarf einen runter“, gestand ihm Cedric halb lachend halb seufzend zu. „Tust du doch eh schon, oder? Das ist völlig okay, brauchst‘ kein schlechtes Gewissen haben ... Und davon bin ich bisher jetzt auch nicht krepiert. Dein kleines, dreckiges Geheimnis …“ „Hey, das meinte ich nicht!“ protestierte Kunibert errötend. „Hör auf ständig daran zu denken! Ich bin kein …“ „Du bist ein Mann. Ein schwuler Mann. Und … das, was hier läuft, ist eben nicht bloß platonisch, wie es aussieht. Aber ich brauche echt …“, setzte er an. „Zeit, natürlich“; ergänzte Kunibert. „So viel du eben brauchst. Selbst wenn nicht … ich habe dich trotzdem gern. Ich bin dein Freund, so oder so.“ Kuniberts Hand streichelte weiter durch sein Haar. „Du bist ein Idiot“, meinte Cedric irgendwie verzückt, drehte den Kopf und blickte ihm ins Gesicht. „Aber kein blöder Idiot. Ein netter Idiot.“ „Damit kann ich leben“, grinste Kunibert. Bei dem Anblick konnte Cedric auch nicht anders als lächeln. „Du kannst es ja doch!“ sagte Kunibert leise lachend. „Was denn?“ fragte Cedric verwirrt und lachte einfach grundlos mit. „Lächeln. Lachen“, sagte Kunibert und strich ihm etwas zögerlich mit dem Daumen über die Wange. Seine Haut prickelte merkwürdig bei der Berührung … warnend, aber irgendwie auch erstaunt angetan. „In der Tat … ich muss krank sein. Ich sollte dringend zum Psychiater“, erwiderte Cedric kurz ernsthaft, dann lachte er wieder. Das war so völlig verrückt, was war das nur, was war das nur … als würde sein Hirn an einen Helium-Ballon geknotet gen Himmel aufsteigen … Er wandte sich mit dem ganzen Körper Kunibert zu. Sich auf die Lippe beißend fragte er: „Darf ich?“ Kunibert nickte stumm und sah wieder zu ihm auf. Da war etwas in seinen Augen … in seinem ganzen Gesicht … seit wann fragte er …? Er nahm …? Nein … Und das hier … das konnte er … vielleicht … ausprobieren … Er trat einen Schritt vor und schlang Kunibert die Arme um den Nacken, zog langsam ihn an sich, atmete tief diesen warmen Geruch ein und schloss die Augen. ………………………………………………… Kunibert wagte kaum zu atmen aus Angst, plötzlich aufzuwachen … aber er war wach. Und nicht er war es, der seine Arme um einen von seiner Panik bedrohten Cedric schlang, sondern Cedric war es, der ihn hielt, ihn drückte, ihn fast unmerklich streichelte, ein vorsichtiges, tastendes, sich versicherndes Geben. In Kunibert stand alles Kopf. Was geschah da bloß gerade? War das nicht fast egal, wenn es sich so anfühlte, und wenn man sich irgendwie so völlig sicher war, dass es richtig war? Sein Bauchgefühl nickte bedächtig vor sich hin und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. Aber sein Kopf verstand nur Bahnhof. Er wusste ja schon lange, dass er Cedric gern hatte, dass der Cedric, den er kennengelernt hatte, das einfach irgendwie, irgendwann in ihm wachgerufen hatte, mochte er früher auch ganz anders gewesen sein. Aber dieser Cedric war nicht kalt und versteinert, nicht mehr, dieser Cedric … war sein Cedric, sein Freund und der Mann, den seine blöden Sinne nun einmal begehrten. Seit er hier angekommen war, drehte sich alles irgendwie um Cedric, mal in fernen Bahnen, mal so nah, dass ihre Oberflächen aneinander kratzen. Aber Cedric war kein Schwarzes Loch, sondern wie ein Planet nach einer Katastrophe, der sich wieder zu drehen begann und Gravitation erzeugte. Kein liebliches Elflein, kein Nullachtfünfzehn-Typ, sondern … egal, Cedric. Aber ihm war schon klar, dass das mit ihnen, was immer es genau sein mochte, wo immer sie das hinführen mochte, auch nicht gerade Standard sein würde. Es war völlig undenkbar, ihn einfach leidenschaftlich an sich zu reißen und ins Schlafzimmer zu schleifen und seine Sehnsucht zu erfüllen. In Cedrics Schlafzimmer erst Recht nicht, dort lauerten nach wie vor diese abscheulichen Kommunisten-Ratten. Jeder echte Kommunist war ihm dagegen absolut sympathisch. Oh man … aber so lagen die Dinge eben … die Menschen waren keine ewig gleichen Stereotypen, auch wenn Cedric wahrscheinlich doch noch deutlich spezieller war als der Rest. Geduld … er würde Geduld brauchen … und es notfalls auch akzeptieren können, dass sein physisches Begehren so eben nicht erfüllbar war. Das war schon … hart, aber Cedric zu bedrängen, nein, das ging nicht, das ging ganz und gar nicht … Aber diese Sache da an der Mauer … nein … oh weh … Geduld … Geduld … Hoffnung und … überhaupt, das Beste war sowieso, diese Freude auf Cedrics Gesicht zu sehen und zu wissen, dass er sie hervorgerufen hatte, irgendwie … Cedric streichelte noch immer etwas linkisch durch sein Haar, als sei ihm diese Geste völlig neu. „Was ist das nur?“ hörte er ihn eher zu sich selbst murmeln. „Was ist das nur?“ Er langte nach oben und legte seine Hand vorsichtig auf Cedrics Schulterblatt. Er zuckte nicht zurück. „Das ist … das ist gut“, flüsterte Cedric. „Das ist gut so … wie armselig, verrückt und …“ „Schon okay, mach dir keine Gedanken“, sagte Kunibert zu ihm. „Ich will …“, setzte Cedric an und schien irgendwie seine Ohren faszinierend zu finden. Ihm hatte noch nie jemand die Ohrmuschel derart akribisch gestreichelt, aber dennoch wollte er diese Erfahrung gewiss nicht missen. „Ich muss … lernen“, beschloss er. „Muss es wieder lernen. Händchenhalten kann ich ja schon. Und das hier … auch. Oh Wonne, oh Glück. Ich war so eine Schlampe … und auch stolz drauf! Himmel … aber … echt, ich fange hier so ziemlich bei null wieder an.“ Kunibert löste sich ein Stückchen und blickte zu ihm hoch. „Da werde ich dir auch nicht weiterhelfen können“, sagte er, während er völlig zusammenhangslos grinste. „Mit Schlampen und schlampig Sein kenne ich mich wiederum null aus. Und das musst du doch gewiss nicht sein – willst du doch auch gar nicht. Aber das andere … ich meine … öhm … wie nennt man das am besten? Intimität? Suchst du das? Nicht um meinetwillen, bitte …“ „Nein! Nein …“, beruhigte ihn Cedric. „Das ist gewiss keine Gefälligkeit – so verzweifelt bin ich auch nicht, dir das als Bestechung in Aussicht zu stellen, damit du bleibst, und es doch nicht erfüllen zu können. Nein … ich will das ja … ein Funke davon ist nach wie vor da, es ist nicht … aus, nicht völlig, aber es macht mir schon … Angst, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Aber ich muss – und ich will. Ein bisschen wieder … ich sein. Frei … frei sein … von der Furcht, von der Erinnerung… Wieder fühlen können… mich, dich… aber … das kann ich eben nicht mal eben so … Hältst du das durch? Kann auch sein, dass ich scheitere, aber ich werde es probieren.“ „Klar halte ich das durch. Du willst mir schließlich keine Nadeln unter die Fingernägel jagen – und mein Leben dreht sich um viele Dinge …“, erinnerte ihn Kunibert. Cedric wiegte sich nachdenklich hin und her. „Ach man, Kunibert… das mag zwar sehr edel sein, aber Biologie ist Biologie. Irgendwann ist das Fass voll. Bei dir wahrscheinlich später als bei anderen, mag sein, aber wenn es so weit ist … wie gesagt, ich bin da nicht kleinlich.“ „Ich aber“, sagte Kunibert. „Und jetzt… wie wär’s, wenn wir was machen?“ „Monopoly?“ ächzte Cedric. Kunibert musste lachen. „Nein … was … es ist wunderschön da draußen. Arschkalt, sicher, aber … warst du als Kind auch im Winter hier?“ wollte er wissen. Cedric nickte und tastete weiter durch sein Haar mit kurzen Exkursionen zu seinen Ohren. „Was hast du damals gerne gemacht? Mit deinem Opa meine ich?“ fragte Kunibert. „Äh … wir waren spazieren … sind Schlittschuh gelaufen auf dem Tümpel hinten im Wald … wir haben Schneemänner gebaut … Kindersachen eben“, erzählte Cedric. Kunibert löste sich vorsichtig und stand auf. Er sah runter. Cedric war für hiesige Verhältnisse eigentlich keineswegs winzig, eher unterer Durschnitt – er selbst war einfach ein langes Elend. Wenn er stand, reichte ihm Cedric gerade mal bis zur Brust, aber das spielte keine Rolle. Eigentlich hatte er es nie mit den Kleinen, Zarten gehabt, aber Cedric war so absolut anders, dass es einfach schnuppe war, dass sie zusammen aussahen wie Mikey Mouse und Goofy. Er senkte den Kopf und drückte kurz etwas fassungslos darüber, dass das hier wirklich geschah, seine Lippen auf Cedrics Flammenhaar. Nur fühlen, nicht küssen. „Schlittschuhe haben wir nicht“, sagte er. „Aber Handschuhe. Und geschneit hat es auch. Komm, lass uns einen Schneemann bauen.“ Cedric legte den Kopf in den Nacken und sah ihn kurz an, als habe er sie nicht mehr alle, dann aber lächelte er erneut. „Du bist echt bekloppt. Aber ich bin auch bekloppt. Also gut. Bauen wir einen Scheiß-Schneemann. Ich habe sogar noch eine Karotte in der Küche gesehen. Kohle … mmm … geht auch Rattenscheiße? Nein, zu klein … verbranntes Holz aus dem Kamin? Hut … Hut wird schwierig …“ „Die Strickmütze, die mir meine Schwester geschenkt hat! Ich hasse das Teil!“ fiel Kunibert ein. „Ist die geschmackvoll oder was?“ wollte Cedric wissen. „Naja … sie ist regenbogenfarbend, weil sie meint, ich sollte auch mal für die Rechte der Schwulen demonstrieren gehen …“, erklärte Kunibert. „Ähhh!“ ekelte sich Cedric. „Da bin ich mehr für Worte als für Gesten … her mit dem Teil!“ „Gebongt!“ nickte Kunibert und flitzte los. ………………………………………………… Cedric musste zugeben, dass er wohl etwas neben sich stand. Er baute einen Schneemann. Mit Kunibert. Seinem Freund. Seinem … mehr als Freund. Und es war echt ganz okay. Ganz witzig, wenn man einen auf Mini-Monsterbanane machte. Aber wessen Meinung zählte hier wirklich? Eben. Ein bisschen Monsterbanane war schon in Ordnung. Eine Riesenhilfe war er nicht, Kunibert war echt ein Bastelfreak und nun mal deutlich engagierter und kräftiger als er, aber dennoch tat es gut, einfach mal eine Runde kindisch zu lachen. Das war … aufregend, genau. Sie hatten einen Schritt getan, irgendwohin, gemeinsam und jetzt … jetzt waren sie eben … mehr. Was auch immer. Sie eben. Und es gab wieder … Dinge. Möglichkeiten. Leben. Ein bisschen. Konnte immer noch in die Grütze gehen, gewiss, aber jetzt … jetzt nicht. Er war nicht allein, nicht mehr, es gab ihn und Kunibert, und sie lebten hier und trieben Blödsinn am Rande des Steinfeldes. Ihre Nasen wurden rot vom Frost, und Cedric musste lachen, als Kunibert die Demo-Mütze feierlich auf das Haupt des Schneemanns stülpte. Das sah echt Scheiße aus … gut, dass Kuniberts Schwester das nicht sah. Der kurze Blick, den er im Krankenhaus auf sie hatte erhaschen können, hatte ihm deutlich gesagt, dass mit dieser Nachwuchs-Walküre gewiss nicht gut Kirschenessen war. Wahrscheinlich haute die Kunibert platt, wenn sie das hier spitzkriegten sollte. Da beneidete er Kunibert nur bedingt – aber wenn er noch Geschwister gehabt hätte, würden ihn alle wahrscheinlich viel eher noch in Ruhe lassen. Aber so gab es keinen Ersatz auf der Haupterben-Bank, nur die zweite Wahl … Tja, Pech gehabt, er war nicht auf der Welt, um nach deren Pfeife zu tanzen. Es wurde früh dunkel zu dieser Jahreszeit. Nachdem der Schneemann vollendet war, spazierten sie schweigend zwischen den Steinen umher, bis es gar nicht mehr ging. Als sie zurück ins Haus traten, waren sie trotz dicker Kleidung ziemlich durchgefrostet. Er trabte in die Küche, machte Tee, Kunibert warf den Kamin an, dazu brauchten sie keine Worte. Einmütig schlürften sie ihre Heißgetränke und starrten in die Flammen, und es war gut wie jeden Abend. Aber … das war eben jetzt nicht mehr alles. ……………………………………… Die Tage zogen ins Land, wurden Wochen, und sie füllten sie auf gehabte Weise. Doch nun kam auch dieses Neue dazu, dieses „mehr“, dieses „sie“. Berührungen. Vorsichtig, aber stetig. Versichernd, nicht fragend oder nach mehr bittend, gar drängend. Kunibert schien es irgendwie genau zu wissen, wie es ging, wo die Grenze war. Und die Furcht, die in ihm lauerte, bekam keine Nahrung, so dass er begann, sie immer mehr zu vergessen, wenn Kunibert einen Arm um ihn schlang oder ihm ein keusches Küsschen auf die Stirn zu geben wagte. Es war die Art von Zärtlichkeit, die auch Geschwister in Familien teilen mochten, in denen es liebevoll zuging. Von solchen Familien hatte Cedric wenig Ahnung, aber es sollte sie ja geben. Doch ganz tief in ihm war etwas, das ihm irgendwann begann zu flüstern, dass das noch nicht genug sei. Für ihn. Er war immer schon gierig gewesen. Und er wollte auch nicht auf ewig verharren, das hatte er lange genug getan. Er lauschte. Wartete. Dachte nach. Diskutierte mit den Ratten darüber. Stelle sich vor den Spiegel im Badezimmer und starrte sich an, als wisse der etwas. Immerhin sagte der ihm, dass er tatsächlich noch da war und dass er aktuell deutlich besser drauf war, als es lange Zeit der Fall gewesen war. Er konnte sogar lächeln, ohne dass eine Grimasse daraus wurde. Lächeln, wenn er daran dachte, dass er den Abend auf dem Sofa verbracht hatte, entspannt an Kunibert gelehnt, Hand in Hand und trotzdem noch über die Plattheit des Filmes hatte meckern können. Die Grimasse kam, wenn er daran dachte, dass da durchaus noch etwas in ihm war, dass Kunibert keinesfalls wie seinen lieben großen Bruder wahrnahm. Ab und an flackerte es hoch. Der größte Teil von ihm fand das höchst gruselig, aber da war auch ein Rest, der verzweifelt hoffte und der auch nicht Zombie-Cedric war. Vielleicht weil dieser Rest wusste, dass das Flackern Kunibert galt – und nicht mehr jedem und allen wie einst. Nicht Fleisch, sondern Kunibert, aber auch … viel Sinn ergab das nicht. Aber seine geknickten Antennen nahmen sehr wohl war, dass Kunibert schon mehr in ihm weckte als rein platonische Zuneigung. Blöd nur, dass er mit diesem „mehr“ gar nicht recht umgehen konnte. Also was nur tun? Zurück ging nicht. Stillstand ging, aber das war es nicht, was er bei allem Erschauern wollte. Es ging nur voran. Irgendwie. Er war schließlich immer noch Cedric Kalteis, in welcher Form auch immer. ………………………….. Cedric stellte die Tasse ab und drehte sich zu ihm um. Er lächelte kurz, dann griff er nach Kuniberts Hand. Mit ein paar kurzen Worten verständigten sie sich darauf, den ersten Teil von „Shrek“ auf DVD zu gucken. Inzwischen war Cedric so weit, sich auch neue Filme aus der harmlosen Ecke anschauen zu können, auch wenn er damit zu kämpfen hatte. Dennoch hielt er durch. Jetzt war es ein Mittwochabend, und sie taten, was sie immer taten. Cedric lehnte sich auf dem Sofa gegen ihn und strich ab und an gedankenverloren über seinen Kopf oder sein Knie. Kunibert sah zu, sich auf den Film zu konzentrieren und stillzuhalten. Es war ihm schon klar, dass es ein weiser Entschluss war, Cedric, was Berührungen anging, die Initiative zu überlassen, auch wenn das nicht einfach war. Wie gerne hätte er ihn an sich gezogen … Immer wieder musste er daran denken … Aber da blieben ihm nur sein Kopfkino und eine abgeschlossene Tür. Es war gerade mal halb neun, als der Nachspann lief, und Cedric sagte: „Ich bin müde … war früh auf.“ „Schon okay …“, murmelte Kunibert. „Dann … bis morgen früh…“ Aber Cedric regte sich nicht. Kunibert sah ihn an und fragte: „Was möchtest du?“ Cedric senkte den Kopf und biss sich auf die Lippen. Kunibert überlegte kurz, dann versuchte er sein Glück: „Möchtest du … dass ich … bleibe?“ Cedric schwieg kurz, dann erwiderte er, ein wenig hektisch mit den rot bewimperten Lidern zuckend: „Ja … wenn das geht …?“ Kunibert atmete tief ein. Ein langer Weg … ein erster Schritt. „Sicher“, sagte er. „Das wäre … das wäre schön … wenn du das möchtest? Aber … nicht oben … die Ratten …“ „Schon klar“, antwortete Cedric mit einem leichten Grinsen. „Sonst fressen die noch deine Quanten. Das Bett hier unten … ist ja recht breit … das … das geht schon …“ „So breit auch nicht … also…“, gab Kunibert zu bedenken. Irgendetwas schien ihn zu würgen. Oh Himmel! Das würde nicht leicht werden. Egal! Egal! Egal! „Breit genug! Das muss gehen. Du weißt … aber … aber … ich muss irgendwo anfangen …“ „Klar. Versuchen wir es. Wenn’s nicht geht …“, gab Kunibert zu verstehen. „Verdufte ich. Aber … ich will nicht verduften. Ich will, dass das geht. Einfach nur … nah. Okay?“ fragte Cedric und sah ihn entschlossen an. „Okay“, sagte Kunibert nur. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)