Reflection von queermatcha (In my heart just keep on bleeding, I can't stand myself too long...) ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Die Tage nachdem Taka Toru in der U-Bahn gesehen hatte, vergingen ziemlich zäh und langsam. Immer wieder erwischte der junge Sänger sich dabei, wie er an den Schwarzhaarigen dachte. Wie in seinen Gedanken die tiefbraunen Augen Torus auftauchten. Das ging sogar soweit, dass Kyoko ihn während einer abendlichen Schicht in der Pianobar fragte, ob alles okay sei. „Du bist so abwesend die letzten Tage.“, sagte sie, stemmte die Hände in die Hüften und musterte Taka von oben bis unten. „Ist irgendetwas passiert? Vielleicht in der Musikschule?“ Taka, der sich ein wenig ertappt fühlte, schüttelte schnell den Kopf und hoffte, dass er jetzt nicht rot anlief. „N-nein… Alles gut.“, stotterte er und seufzte innerlich. Super, Taka! Verfänglicher konntest du nicht antworten, was? Und natürlich merkte Kyoko, dass er nicht die Wahrheit sagte. Auf ihre schmalen Lippen legte sich ein breites Grinsen. „Sag bloß, du hast ein hübsches Mädchen kennen gelernt? Hast du dich verknallt?“ Sie wuschelte Taka durchs Haar, der daraufhin nur leise grummelte. „Nein, hab ich nicht. Es ist alles okay. Wir müssen jetzt auch weiter die Tische decken, die Gäste kommen gleich.“, nuschelte der kleine Sänger dann in seinen nicht vorhandenen Bart und ließ Kyoko einfach stehen, die ihm nur schmunzelnd hinterher sah. Während Taka nun also anfing, Servietten und Kerzen auf den Tischen zu verteilen, dachte er verwirrt daran, was Kyoko ihn gefragt hatte. Wirkte er etwa verknallt? Das war doch total absurd. Und vor allem, was sollte Taka denn darauf antworten? „Ich bin nicht verknallt, aber ich muss die ganze Zeit an einen Typen denken, den ich gar nicht kenne. Ich hab auch schon von ihm geträumt.“ Super Plan, klar. Wirkt auch überhaupt nicht bescheuert oder so. Ohne zu merken, dass Kyoko ihn immer noch beobachtete, seufzte Taka schwer und versuchte, sich dann wieder nur auf seine Arbeit zu konzentrieren. Am nächsten Sonntag war Taka viel zu früh in der Musikschule. Er wollte in Ruhe noch den Text eines Liedes lernen, das Frau Kawamura im Moment mit ihren Schülern einübte. Weil seit ein paar Tagen eine Schulklasse in der Jugendherberge wohnte, in der Taka sein Zimmer hatte, war es dort recht laut, und das hinderte den kleinen Sänger daran, in Ruhe lernen zu können. Deswegen war er früher in die Musikschule gefahren. Dort war es ruhig und er konnte sich aufs Lernen konzentrieren. Taka saß, ganz versunken in die Noten und den Text seines Liedes, auf einem der dunkelblauen Sofas in der geräumigen Lobby der Musikschule, als er auf einmal Stimmen hören konnte, die aus Richtung des Sekretariats kamen. Neugierig blickte er auf. Zu seiner Überraschung erkannte er die Stimme seiner Lehrerin, und eine weitere, männliche. Keine zehn Sekunden später kam Frau Kawamura dann auch schon um die Ecke – und sie stützte einen jungen Mann, der sich allem Anschein nach den Fuß verletzt hatte, denn er humpelte. Gerade erkannte Taka auch schon, wen seine Lehrerin da stützte, da kam Toru auch schon hinterher gelaufen. „Mann, Alex, du bist so ein Vollidiot!“, lachte der Schwarzhaarige, trug die Tasche des Amerikaners, während dieser sich langsam mit Frau Kawamura in Richtung der Haupteingangstür bewegte. „War doch klar, dass es nicht gut gehen kann, wenn du einfach so mit dem Skateboard die große Treppe runter donnerst!“ Alex blickte seinen Kumpel an. „Du hast doch damit angefangen und gesagt, es wäre bestimmt lustig, das auszuprobieren!“ Direkt kam ein Kopfschütteln von Toru, der Alex‘ Rucksack achtlos über die Schulter geworfen hatte. „Das war doch nur ein Scherz! Aber ich hätte wissen sollen, dass ein Trottel wie du das natürlich sofort ausprobieren muss.“ Taka hörte, wie Frau Kawamura laut seufzte. „Ihr habt echt nur Unsinn im Kopf, oder? Jetzt schaffen wir es nie, die ganzen Bücher rechtzeitig ins Lager zu räumen.“ Die Gesangslehrerin hatte gerade zuende gesprochen, da fiel ihr Blick auf Takahiro, und erhellte sich. „Takahiro!“, rief sie erfreut. „Kannst du bitte mal herkommen?“ Nach kurzem Zögern nickte Taka. Er ließ sein Musikbuch in seinem offenen Rucksack verschwinden, schloss den Reißverschluss dessen und erhob sich. Langsam und schüchtern lief er auf Frau Kawamura und die beiden jungen Männer zu, die ihn von oben bis unten zu mustern schienen. Taka versuchte tunlichst zu vermeiden, Toru in die Augen zu sehen, und blickte so seine Lehrerin an. „Was für ein glücklicher Zufall, dass du schon hier bist, Takahiro.“, lächelte diese dann, und er nickte nur. „Was gibt es denn?“, fragte der junge Mann leise. „Nun, wie du siehst, hat Alex hier sich verletzt.“, gab die Lehrerin zur Antwort. „Ich muss ihn ins Krankenhaus fahren, sein Knöchel scheint verstaucht zu sein, wenn nicht sogar Schlimmeres.“ Sie seufzte leise. „Es gibt nur ein Problem, und zwar haben wir eine große Lieferung neuer Musikbücher bekommen. Die stehen alle am Osteingang beim Sekretariat und müssen unbedingt noch ins Lager geräumt werden, ansonsten könnte es sein, dass sie gestohlen werden. Würdest du Toru bitte helfen, sie vom Eingang weg zu räumen? Ich weiß, es ist viel verlangt, aber es ist ein Notfall. Du würdest mir einen großen Gefallen damit tun.“ Bei Frau Kawamuras bittendem Blick konnte Taka gar nicht anders, als zu nicken. „Natürlich. Gar kein Problem.“, sagte er leise und sie lächelte erleichtert. „Vielen Dank, Takahiro. Unsere Gesangsstunde heute wird wohl leider ausfallen müssen, ich kann Alexander so nicht allein lassen. Würdest du bitte deinen Klassenkameraden noch Bescheid sagen, wenn ihr mit den Büchern fertig seid?“ Ein erneutes Nicken von Taka. „Danke, du bist wirklich unsere Rettung.“, sagte seine Lehrerin da nur, was den Sänger dazu brachte, leicht zu lächeln. Dann verließen sie und der verletzte Alexander, der inzwischen auch über starke Schmerzen klagte, auch schon im Schneckentempo das Gebäude. Erst, als Taka ein leises Räuspern rechts von sich hörte, blickte er auf und schluckte leicht. Jetzt war er allein mit Toru, und blickte ihn das erste Mal richtig an. Der Gitarrist sah ihn mit festem Blick aus dunklen, unergründlichen Augen an, und aus einem für Taka noch unerklärlichem Grund bekam der Sänger eine leichte Gänsehaut. Er hatte noch nie jemanden mit so einem durchdringenden Blick gesehen, und ein wenig schüchterte Taka das schon ein. Umso überraschter war er, als Toru dann plötzlich lächelte, und sofort wirkte sein gesamtes Gesicht sehr viel sanfter und weniger streng. „Dein Name ist also Takahiro, hm?“, ertönte die tiefe Stimme des Schwarzhaarigen, und Taka nickte viel zu schnell. „J-ja, ich bin Takahiro, aber du kannst mich Taka nennen.“, kam es wie aus der Pistole geschossen von dem jungen Sänger, der daraufhin vor Scham sofort rot anlief. „Also… wenn du möchtest.“, schickte er noch leise hinterher und spielte nervös am Träger seines Rucksacks herum. „Gut, Taka also.“, nickte Toru da. „Ich bin Toru.“ Kurz schwiegen beide. „Du… bist derjenige, den ich vor einiger Zeit im Flur umgerannt habe, stimmts?“, kam dann auf einmal von Toru, und Taka nickte erneut, diesmal etwas langsamer. „Naja, also eigentlich hab ich dich ja eher umgerannt…“, erwiderte Taka daraufhin. Schmunzelnd legte der Gitarrist den Kopf ein wenig schief und strich sich eine Strähne seines schwarzen Haares hinters Ohr. Diese kleine Geste faszinierte Takahiro so sehr, dass er den Größeren beinahe wieder angestarrt hätte, aber glücklicherweise hatte er sich im Griff. „Nun…“, fing Toru dann wieder an, „…da war unser erstes Zusammentreffen ja nicht so optimal. Tut mir echt leid, dass ich dich so angeblafft hab damals.“ Überrascht hob Taka den Blick und erntete erneut ein Lächeln des Schwarzhaarigen. „Ich hatte an dem Tag die Ergebnisse einer Mathematik-Klausur zurückbekommen und die waren katastrophal. Ja, und deswegen war ich auch dementsprechend schlecht gelaunt. War echt nicht okay von mir.“ Taka hatte ja mit allem gerechnet, aber nicht mit einer Entschuldigung. Irgendwie erfüllten ihn die Worte des Gitarristen mit Freude, und er lächelte. „Schon okay. Jeder hat mal einen schlechten Tag.“, sagte er und lächelte ein wenig. Seltsamerweise konnte er dem Schwarzhaarigen nicht böse sein, schon gar nicht, wenn dieser ihn so anlächelte. „Sehr schön! Dann lass uns mal schnell die wertvollen Bücher in Sicherheit bringen, was?“ Toru klatschte einmal in die Hände, machte auf dem Absatz kehrt und marschierte in Richtung Osteingang davon. Taka konnte sich ein kleines Schmunzeln nicht verkneifen, bevor er sich dann ebenfalls in Bewegung setzte, um dem Größeren beim Aufräumen der Bücher zu helfen. „Mann, sind die Teile schwer!“, ächzte Toru, als er ein Bündel der nagelneuen Musikbücher auf eines der hohen Regale im Lager der Musikschule wuchtete. Takahiro und er hatten fast eine halbe Stunde gebraucht, die ganzen Bündel vom Osteingang ins Lager im ersten Stock zu schleppen, und danach mussten die Dinger auch noch in den Regalen verstaut werden. Weil Taka ein ganzes Stück kleiner war als Toru, reichte er diesem immer ein Bündel, und der Schwarzhaarige hob es nach oben auf das Regal. Taka fiel das Schleppen der Bücher nicht so schwer, weil er das Heben von schweren Dingen ja aus dem Supermarkt gewohnt war, aber Toru klagte nach einer Weile schon über Kraftlosigkeit. „Lass uns eine kurze Pause machen und einen Kaffee trinken, ja?“, schlug der schlanke Gitarrist irgendwann vor und lehnte sich erschöpft gegen das Regal. „Ich könnte auch eine Zigarette vertragen.“ Taka schmunzelte und nickte. „Okay.“, sagte er nur. Sie verließen den Lagerraum, für den sie von Frau Kawamura einen Schlüssel bekommen hatten. Die die Bücher ja jetzt nicht mehr am Osteingang herumstanden und im Lager sicher vor Dieben waren, war es kein Problem, eine kleine Pause einzulegen. Taka und Toru liefen die Treppen ins Erdgeschoss hinunter, wo in der Lobby zwei Getränkeautomaten standen. Schnell zogen sie sich etwas – Taka wählte einen heißen Cappuccino und Toru einen schwarzen Kaffee – und traten dann hinaus in den kleinen Innenhof. Inzwischen war es schon später Nachmittag, und es herrschte etwas mehr Betrieb in der Schule. Immer wieder öffnete sich hinter den beiden jungen Männern, die auf einer Bank neben der großen Treppe am Haupteingang Platz genommen hatten, die große Flügeltür, und andere Musikschüler strömten heraus, liefen an ihnen vorbei und verschwanden in Richtung der nahegelegenen U-Bahn-Station. Die Sonne ging unter und während Taka die letzten Strahlen auf der Haut spüren konnte, zündete Toru sich eine Zigarette an, nahm einen Zug und bließ den Rauch hoch in die Luft. „Du bist in der Klasse von Frau Kawamura, oder?“, fragte Toru irgendwann und ließ den Blick über den Weg schweifen, der von der Musikschule zur Straße führte. Taka blickte ihn an und dachte sich, dass Toru ein wirklich schönes Profil hatte. „Ja, im ersten Semester.“, gab er zur Antwort und blickte dann auf seine Kaffee-Dose, öffnete diese, um einen kleinen Schluck von seinem Cappuccino zu kosten. Er schmeckte sehr lecker, weswegen Taka direkt noch einen Schluck nahm. „Ich bin schon seit über drei Jahren hier, und ich finde, die Kawamura ist eine der besten Lehrerinnen. Ich hab mal ein, zwei Stunden in ihren Unterricht herein geschnuppert und fand das sehr interessant. Aber Gitarrespielen liegt mir dann doch eher als singen.“ Lächelnd blickte Toru Taka an und klemmte sich dann seine Zigarette zwischen die vollen Lippen, um seinen Kaffee zu öffnen. In diesem Moment, als das warme Licht der untergehenden Sonne Torus Gesicht so anstrahlte und Schatten darauf warf, klopfte Takas Herz ganz plötzlich etwas höher. Juns Worte, in denen er Toru als letzten Idioten dargestellt hatte, kamen ihm mit jeder weiteren Sekunde, die er mit dem Schwarzhaarigen verbrachte, unglaubwürdiger vor. „Sie ist eine tolle Lehrerin. Ich fühle mich bei ihr sehr gut aufgehoben.“, gab Taka daraufhin zurück und scharrte mit dem Fuß ein kleines Muster in die lockere Erde unter seinen Füßen. „Etwas anderes zu hören hätte mich jetzt auch gewundert.“ Aus Torus Stimme war ein leichtes Schmunzeln heraus zu hören, bevor er dann einen kräftigen Schluck Kaffee nahm. „Ah~ das habe ich jetzt gebraucht!“, grinste er dann, lehnte sich zurück und streckte die Beine von sich. Obwohl es schon Anfang November war, waren die Temperaturen recht mild, sodass sie nicht frieren mussten. Im Gegenteil, es war sogar ziemlich angenehm, so mit Toru im Hof zu sitzen und einfach nur ein wenig auszuruhen. „Und was machst du sonst so, außer von Frau Kawamura zu lernen, wie man singt?“, fragte Toru nach einer Weile des Schweigens, und blickte Taka neugierig an, nippte immer wieder an seiner Kaffee-Dose. „Gehst du auch zur High School?“ Kurz keimte in Taka leichte Panik auf. Was sollte er nun sagen? Die Wahrheit? Aber dann würde Toru bestimmt nachhaken, warum Taka als Minderjähriger im Supermarkt arbeiten musste und warum er nicht mehr bei seinen Eltern lebte. Und Taka hatte Angst, sich dem jungen Mann, den er ja gar nicht kannte, zu offenbaren, weil dieser ihn vielleicht ablehnen könnte. Und genau das wollte Takahiro nicht, er wollte Toru noch näher kennen lernen. Deswegen nickte er nur und trank wieder von seinem Cappuccino. Die Antwort schien Toru auch schon zu genügen, denn er erwiderte das Nicken nur leicht, nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und warf den Stummel dann auf den Boden vor der Bank, trat ihn mit dem Schuh aus. „Wie alt bist du eigentlich?“, fragte Toru dann und erhob sich, streckte sich ein wenig. „Ich bin 16.“, nuschelte Taka, und Toru schmunzelte. „Wow, dann bist du ja älter als ich. Ich bin 15.“, sagte er. Mit großen Augen hob Taka den Blick und starrte den Schwarzhaarigen an. „15? Echt?“ Die überraschte Reaktion des Kleineren ließ Toru lachen. „Ja, so reagieren die meisten. Ich bin echt noch 15, aber es dauert nicht mehr lange und ich hab Geburtstag.“ Lächelnd nickte Toru in Richtung der Eingangstür. „Ich würde sagen, wir beenden mal unsere Arbeit, oder was meinst du?“ Leicht nickte Taka und trank den Rest seines Cappuccinos, bevor er die leere Dose dann in dem Mülleimer verschwinden ließ, die neben der Bank stand. Toru tat es ihm gleich und der junge Sänger erhob sich, um seiner neuen Bekanntschaft zurück ins Schulgebäude zu folgen. Während sie in den ersten Stock zum Lager liefen, blickte Taka die ganze Zeit auf Torus Rücken und seinen Hinterkopf. Niemals hätte er gedacht, dass der charismatische Gitarrist jünger als er selbst sein könnte. Aber er hatte ja auch nicht damit gerechnet, jemals wirklich mit ihm ins Gespräch zu kommen, und sich dann auch noch so gut mit ihm zu verstehen. Taka fragte sich wirklich, was nun stimmte – Juns Vorwürfe gegenüber Toru oder das Verhalten, das der Gitarrist ihm gegenüber an den Tag gelegt hatte. Der junge Sänger hoffte, noch öfter Zeit mit dem Schwarzhaarigen verbringen zu können, um das herauszufinden. Aber eines wusste er jetzt schon – er fühlte sich in Torus Gegenwart wohl. Und das war toll. Dass Taka ja eigentlich noch seinen Klassenkameraden wegen der gestrichenen Gesangsstunde Bescheid sagen sollte, hatte der junge Sänger vollkommen vergessen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)