Reflection von queermatcha (In my heart just keep on bleeding, I can't stand myself too long...) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Takahiro! Mensch! Komm endlich her!“, schrie der Chef eines großen Supermarktes quer durch den Verkaufsraum. Ächzend ließ der Gerufene eine Palette Milchkartons auf den Boden sinken und wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. „Ich komme ja schon…“, murmelte der junge Mann leise und schlurfte schweren Schrittes durch die Reihen des Supermarktes. Eine knappe Woche war vergangen, seit Taka sein Elternhaus verlassen hatte. Seine Eltern hatten sich nicht gemeldet, und langsam aber sicher war dem jungen Sänger klar geworden, dass er nun ganz allein war. Zum Glück hatte er sich ein wenig Geld angespart, sodass er noch am Abend, an dem er gegangen war, ein Zimmer in einer Jugendherberge hatte nehmen können. Drei Tage lang hatte er sich eingegraben und vor sich hin gelitten. Immer wieder auf sein Handy gestarrt, in der Hoffnung, seine Eltern könnten anrufen. Fast den ganzen Tag hatte er in seinem Futon gelegen und so einige Tränen vergossen, hatte sein Zimmer wirklich nur verlassen, wenn seine wenigen Lebensmittel zur Neige gingen. Dann, irgendwann, hatte er gemerkt, dass er mit seinem Geld nicht mehr lange auskommen würde. Eine Woche vielleicht. So ein Zimmer war teuer mitten in Tokyo. Und da war ihm klar geworden, dass er jetzt für sich allein sorgen musste. Gut, das würde vielleicht nicht einfach werden. Aber wenigstens konnte Takahiro sein Leben selbst bestimmen, würde sich nicht wieder verbiegen müssen. Die Trennung von seinen Eltern tat sehr weh, hatte aber auch irgendwie etwas Befreiendes. Immer hatten sie ihn unter Druck gesetzt. Immer hatten sie ihm Vorschriften gemacht. Niemals war er gut genug für sie gewesen. Wie auch, wenn der eigene Vater einer der erfolgreichsten Sänger Japans war und von seinem Sohn erwartete, schon in jungen Jahren in seine Fußstapfen zu treten? Das konnte doch nur schief gehen. Also war es vielleicht besser so. Auch, wenn es schmerzte. Am vierten Tag nach dem Verlassen seines Elternhauses hatte Takahiro sich aufgerappelt. Sich seine besten Klamotten angezogen und dann auf die Suche nach einem Job gemacht. Es war ihm egal, was. Hauptsache, er konnte sich erst einmal über Wasser halten. Der junge Mann scheute sich nicht davor, für sein Geld hart zu arbeiten. Trotz des Reichtums seiner Eltern – und ihrer Berühmtheit – war er immer sehr bodenständig und bescheiden gewesen. Das Einzige, was er wirklich wollte, war singen. Schon als ganz kleiner Junge hatte er seinen Vater immer bewundert, hatte mit ihm gemeinsam gesungen. Einige Auftritte hatte er schon gehabt, Gesangsunterricht auch schon. Ihm wurde eine sehr schöne Stimmfarbe zugesprochen und sehr viel Potential, auch, wenn Taka sich immer wunderte, dass es Menschen gab, die ihn gern singen hörten. Der junge Mann hatte so gut wie gar kein Selbstbewusstsein, was ihm oft zu schaffen machte. Aber ohne das Singen konnte er nicht leben. Es war sein Leben. Und deswegen träumte er davon, irgendwann in einer Band zu singen. Lieder schreiben zu können. Wirklich RICHTIG singen zu können, mit Gefühl und Leidenschaft. Nicht wie bei News. Taka hatte die Zeit bei Johnny’s Entertainment gehasst. Es war eine Art modernes Gefängnis für die jungen Männer gewesen. Alles, wirklich alles, war ihnen vorgeschrieben worden. Wie sie zu singen hatten. Was sie zu singen hatten. Ihre Klamotten. Ihr Tanzstil. Ja, selbst ihr Gesichtsausdruck! Nach nur einer Woche hatte Takahiro gewusst, dass all das nichts für ihn war. Er fühlte sich eingeengt, bevormundet, ja, richtig eingesperrt. Er war Sänger. Musiker mit Leib und Seele. Und keine Marionette, die nur auf den Kommerz aus war. Natürlich, seine Bandmitglieder waren alle sehr nett und äußerst talentiert. Taka hielt es für Verschwendung, diese tollen Sänger für Johnny’s zu verheizen. Aber di e meisten von ihnen schienen sich in dieser Gruppe wohl zu fühlen und gaben auch ihr Bestes. Am liebsten hätte der junge Sänger aber schon nach einer Woche abgebrochen. Aber das hatte er sich anfangs nicht getraut. Sein Vater hatte darauf bestanden, dass er in dieser Firma eine Art Grundausbildung zum Sänger durchlaufen sollte. Laut des Schlagersängers war das der Einzige Weg für einen jungen Mann in der heutigen Musikbranche, Fuß zu fassen. Weil sein Vater sehr streng war und sich keineswegs umstimmen ließ, hatte Takahiro anfangs die Zähne zusammen gebissen. Wie heißt es so schön? Augen zu und durch. Vielleicht würde alles ja noch besser werden, dachte er sich damals. Mit 15 Jahren also war er Mitglied einer Boygroup. Es vergingen einige Wochen, aber es wurde nicht besser. Im Gegenteil. Sie veröffentlichten als News eine Single, hatten ein paar Auftritte, drehten auch ein Promotion Video. Aber Taka fühlte sich schrecklich dabei. Es kam ihm vor, als hätte das alles kein Herz. Die Musik und die Texte wurden von Anderen geschrieben, so konzipiert, dass damit so viel Geld wie möglich gemacht werden konnte. Das war für Takahiro nicht die Definition zur Musik. Er liebte die Musik, wollte seine Gefühle dadurch ausdrücken und Menschen berühren. Und nicht ihre Portmonnaies leeren. Immer öfter bekam er sich mit dem Manager von News in die Haare, stritt sich auch ab und zu mit seinen Bandmitgliedern. Zwei Monate war er bei Johnny’s, als er einfach nicht mehr konnte. All das setzte ihm unglaublich zu . So sehr, dass er gar keinen Spaß mehr am Singen gehabt hatte. Und das machte ihm Angst, denn das war ihm vorher noch nie passiert. Also ging er zu seinem Manager und sagte, er wolle aufhören. Der Manager musterte ihn nur kurz und nickte dann. „Ich glaube, das hier ist nicht das Richtige für dich.“, hatte er gesagt und Takahiro hatte zustimmend genickt. Am nächsten Tag hatten sie seinen Vertrag mit Johnny’s aufgelöst, woraufhin seine Eltern natürlich benachrichtigt worden waren. Und dann hatte Taka den schlimmsten Streit seines Lebens mit seinen Eltern gehabt, woraufhin er dann ausgezogen war. Und jetzt war er hier. In einem kleinen Convini nahe des Shinjuku-Bahnhofs. Er lief zu seinem Chef, der mit in die Hüfte gestemmten Händen vor dem Kühlregal stand. „Bist du etwa immer noch nicht mit der Milch fertig?“, fragte er erbost. „Wofür bezahle ich dich eigentlich? Die Eier müssen auch noch eingeräumt werden! Danach fegst du die Gänge und kümmerst dich darum, dass die Glasfenster an den Türen sauber sind! Verstanden?“ Ergeben nickte Taka nur und lief zurück zu seinen Milchpaletten. Seit drei Tagen arbeitete er hier in diesem Laden und sein Rücken fing langsam an, durch diese ungewohnte Belastung zu schmerzen. Aber er hielt es aus. Es war ja für seinen Lebensunterhalt. Und für seinen Traum. Denn Taka wollte sich private Gesangsstunden finanzieren und bis er sich das leisten konnte, würde es wohl noch dauern. Er konnte sich wohl glücklich schätzen, dass er überhaupt eine Arbeitsstellte gefunden hatte. Normalerweise war es fast unmöglich, in seinem Alter ohne einen High-School- oder Universitätsabschluss etwas zu finden. Aber der griesgrämige alte Mann, der sein Chef war, hatte dringend eine Aushilfe gesucht und Taka kurzerhand eingestellt. Und deswegen gab der junge Sänger sich auch große Mühe, denn er wollte ja nicht wieder gefeuert werden. Er wollte für seine ungewisse Zukunft und seinen großen Traum, weiterhin Musik machen zu können, kämpfen. Auch, wenn das allein unglaublich schwer war. Am späten Nachmittag hatte Takahiro Feierabend. Er bekam seinen Tageslohn bar ausgezahlt – er musste sich erst noch ein Konto bei irgendeiner Bank einrichten – und setzte sich dann erschöpft in ein kleines Nudelsuppenrestaurant. Seit dem Frühstück hatte er nichts mehr gegessen und dementsprechend hungrig war er. Eine nette junge Kellnerin kam auf ihn zu und er gab seine Bestellung auf, ließ den Blick ein wenig schweifen. Überall liefen schwer beschäftigte Leute herum, viele im Anzug und mit Aktenkoffer. Einen Vollzeitjob in einem Büro konnte Taka sich gar nicht vorstellen. Also, für den Anfang vielleicht schon. Um zu überleben. Aber der Arbeitsplatz seiner Träume war die Bühne. Und wenn es nur eine winzig kleine war. Hauptsache, er durfte singen. Als eine Gruppe junger Leute in Schuluniform das Ramen-Restaurant betrat, beobachtete der Brünette sie ein wenig. Sie kamen wahrscheinlich gerade aus der Schule, waren ausgelassen, lachten viel. Der junge Mann seufzte. Er hatte noch nie großartig Freunde gehabt, weil er so unglaublich schüchtern war. Das lag einfach in seiner Natur. Aber jetzt wünschte er, er hätte wenigstens einen Freund, mit dem er Zeit verbringen könnte. Der ihm beistand. Jemanden, dem Taka vertrauen konnte. Ja, so jemand fehlte definitiv jetzt im Leben des jungen Sängers, der gedankenverloren seine Suppe schlürfte, nachdem sie ihm serviert worden war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)