Weil sie keine Raben mögen... von Night_Baroness ================================================================================ Kapitel 1: Weil sie keine Raben mögen... ---------------------------------------- Nachdem sie die Nachricht erhalten hatte, saß sie einfach nur da. Ihr glasiger Blick spiegelte sich im Fensterglas ebenso wieder, wie in jedem Regentropfen, der die feuchte Scheibe hinab lief. Sie weinte nicht. Er war erleichtert darüber. Allein die Vorstellung, wie sie zusammenbrechen und schreien würde, wimmern und flehen, anklagen und in Frage stellen würde, hatte ihn davon abgehalten früher zu kommen. „Wie ist es passiert?“ Ihre Stimme klang abwesend. Kalt. Als wären die Töne aus purem Eis in die stickige Luft gemeißelt worden. „Er hat ihm in den Kopf geschossen. Er war sofort tot.“ Er versuchte sich nicht anmerken zu lassen, wie die Wut ihn im hochkam, sich breit machte und wie ein dunkler Schleier alles umhüllte und pechschwarz färbte. „Das ist gut.“ Obwohl sie auf den ersten Blick vollkommen ruhig wirkte, fiel ihm auf, dass ihre Hände zitterten. Die dünnen, blassen Finger schlossen sich immer wieder krampfend um eine Falte ihres Kleides. Als sie seinen Blick bemerkte, bemühte sie sich hastig es zu verbergen. „Wie lange ist es jetzt schon her?“ „Vier Tage. Wir verfolgten gerade diesen Bankräuber, als er sich abseilte, um ihn allein zu stellen. Aber als der Verbrecher keinen Ausweg mehr sah, geriet er in Panik, und drückte den Abzug.“ Peng. Er erinnerte sich gut an den Klang des Schusses. Als hätte er ihm das Trommelfell zerschnitten. Alle Vögel in der Umgebung waren aufgescheucht worden, hatten ihre gewohnten Plätze auf den Stromleitungen und Baumwipfeln verlassen und waren davon geflogen. Weit weg. Obwohl er schon hunderte von Pistolenschüssen in seinem Leben gehört hatte, wusste er, dass er diesen Moment niemals vergessen würde. „Dann ist er wie ein Held gestorben.“ Auf ihren hellen Lippen erschien ein zaghaftes Lächeln. „So hat er es sich immer gewünscht. Schon als wir klein waren. Immer sagte er zu mir, dass er so sterben will, dass ihn niemand mehr vergisst. Niemals.“ Er ballte die Hände zu Fäusten. Heldentod. Was für ein sinnloser, eitler, ironischer Tod. Kein Held starb und die, die starben waren keine Helden. „Sie hätten ihn retten können!“ Er schlug so heftig gegen die Wand, dass der Putz abbröckelte. „Direkt gegenüber dem Gebäude in dem er erschossen wurde, waren Scharfschützen positioniert. Ein einziger kleiner Befehl und sie hätten geschossen. Ein Wort und er wäre gerettet worden. Dieses eine Wort hat ihn getötet!“ Der Zorn ließ seine smaragdgrünen Augen Flammen speien. Seine Stimme wurde laut und schneidend wie die Klinge eines Schwertes. Sie sagte nichts mehr. Schweigend blickte sie nach draußen in die verregnete Landschaft. Auf der Balustrade des kleinen Balkons, der direkt an ihr Zimmer anschloss, landete unterdessen ein Rabe, der das typische nachtschwarze Gefieder zur Schau stellte, welches den Regen abperlen ließ. Er schüttelte sich. „Er hätte nicht gewollt, dass wir sie dafür hassen.“ Sie war nun durch und durch gefasst. Nicht einmal mehr die zarten Hände ließen irgendeine Bewegung erkennen. Sie war wie zu Stein erstarrt. „Aber er hätte gewollt, dass sie handeln. Er hätte gewollt, dass sie auf Befehle scheißen und sein Leben retten und ihn nicht sterben lassen wie irgendeinen verwahrlosten Hund.“ Er trat näher an sie heran und musterte mit eiskalten Augen ihr mattes Spiegelbild. „Nicht jeder hat den Mut für seine Ideale einzustehen und eigene Entscheidungen zu treffen, die ihnen vielleicht zum Verhängnis werden könnten. Die meisten sind froh darüber, ihr ganzes Leben lang Befehle zu befolgen und völlig überfordert, wenn man von ihnen erwartet selbst zu denken.“ Ein heiseres Lachen entwand sich seiner trockenen Kehle. Ohne Freude. Ohne Leben. „Was für ein schrecklich dummer Grund um zu sterben.“ Der Rabe saß starr wie eine Statue und musterte den regennassen Garten mit stoischer Miene. „Es kein guter Grund um jemanden sterben zu lassen. Aber der verschuldete Tod ist ein guter Grund um sich zu ändern, meinst du nicht?“ Er schüttelte verächtlich den Kopf. „So jemand kann sich nicht ändern oder hast du je eine Marionette mit durchgeschnittenen Fäden laufen sehen? Sie können das nicht rückgängig machen was sie getan haben und müssen deshalb auch mit den Folgen leben. Ich werde sie bezahlen lassen.“ Niemand, der diese Worte aus seinem Mund gehört hätte, hätte an deren Ernsthaftigkeit gezweifelt. Sie lagen wie düstere Nebelschwaden in der Luft. Eine bittere Vorahnung auf eine neue, fremde Zeit. Der Rabe stieß einen markerschütternden Schrei aus, der sich mit dem Donner schnitt. Ein scharfkantiges Messer, das die Stille erbarmungslos zerschneidet, um sie ihrer eigenen Bedeutungslosigkeit vorzuführen. „Weißt du, warum sie sie nicht mögen?“ Er sah das Mädchen überrascht an. Ihr Abbild lächelte. „Die Raben. Weißt du, warum sie sie so sehr hassen?“ Er zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Weil sie schwarz sind und früher als Todesboten galten? Oder weil sie Nesträuber und Aasfresser sind?“ Als ob das wichtig wäre. „Nein.“ Sie stand langsam auf, wohl bedacht darauf keinen falschen Schritt zu machen. „Weil sie nicht gefallen wollen. Sie haben keine bunten Federn, keine zarten Singstimmen. Sie hüpfen nicht vor Cafétischen auf und ab, um einen kleinen Brotkrümel zu erbetteln. Sie schämen sich nicht für die Hässlichkeit der Welt, für ihre grausamen Ecken und Winkel. Ganz im Gegenteil, sie führen sie vor. Sie halten der Welt einen Spiegel vor und sagen Sie dich an, das bist du, das ist aus dir geworden. Und manchmal denke ich, dass sie Recht haben. Ich mag die Lügen nicht. Ihre Art, sich wie schattenhafte Geister in unsere Seelen zu schleichen und dort wie fette Götter ihren Platz beanspruchen und ihn nicht mehr hergeben. Da ist mir die Wahrheit, auch wenn sie noch so grausam ist, hundertmal lieber.“ Als ein greller Blitz über den tief dunkelgraunen Himmel zuckte, erhob der Rabe sich anmutig und flog hinaus in die aschfahle Landschaft. „Und was ist, wenn deine Wahrheit auch nur eine weitere Lüge ist?“ Sie lächelte traurig. „Dann habe ich nichts mehr zu verlieren.“ Als er das herrschaftliche Haus verließ, wusste Jin aus irgendeinem Grund, dass er sie niemals wiedersehen würde. Er spürte es einfach. Obwohl keiner von ihnen beiden es ausgesprochen hatte, hatten sie es in diesem Moment beide erkannt. Gerade als er in seinen Porsche steigen wollte, hörte er einen dumpfen Knall wie von einem Stein, der auf eine Wasseroberfläche auftrifft. Alle Vögel in der Umgebung stoben gehetzt hinauf in den schattenverhangenen Himmel und ließen nichts als die Stille zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)