Die Chroniken der Uchiha von astala7 (Der verfluchte Clan) ================================================================================ Kapitel 3: Ukagau Shittō - Lauernde Ungerechtigkeit --------------------------------------------------- Jeder Mensch geht anders damit um, wenn eine geliebte Person stirbt. Manche können sofort weinen und versuchen, ihre Trauer aus sich heraus zu schwemmen. Bald schon können sie wieder lachen, aber du wirst nie sicher sein, was wirklich in ihnen vor geht. Manche werden wütend und suchen einen Schuldigen, jemanden, an dem sie sich rächen können. Sie brauchen ein Ventil für ihre Gefühle. Sie sind so verletzt, dass sie lieber anderen Schmerzen antun, als sich selbst eine Blöße zu geben. Und wieder andere begreifen den Verlust erst nach langer Zeit. Sie können stunden- oder tagelang unter Schock stehen. Beinahe ist es erschreckend, wie kalt und vernünftig sie sich geben. Aber gerade diese Personen werden auf lange Sicht am meisten von einem solchen Verlust geprägt. Sie werde niemals vergessen. In ihnen wächst der Wunsch, selbst etwas zu verändern. XxX Winter 09 „Ihr beide habt wirklich großartige Arbeit geleistet.“ Ayaka lächelte und umarmte die Geschwister zärtlich. „Hey, das ist doch peinlich...“, protestierte Shinoi und auch Madara löste sich so rasch wie möglich aus der Umarmung seiner Tante. Immerhin hatten sie die Zeltstadt schon erreicht. Onkel Hayao und ihr Teamführer Reizei waren zwar schon gegangen, aber Madara wollte nicht bei solch intimen Liebkosungen gesehen werden. Immerhin war er schon neun Jahre alt und ein richtiger Ninja! Ayaka lachte auf die Zurückweisung hin nur herzlich und strich Shinoi noch einmal liebevoll über die Wange, da wo sie einen tiefen Schnitt von einem Kunai abbekommen hatte. Zum Glück hatten sie die Wunde schnell verarzten können, sodass wohl keine Narbe zurückbleiben würde. „Das Land des Reißzahns kann jetzt wieder sicher sein. Gemeinsam mit euch haben wir die feindlichen Shinobi, die das Land des Löwen angeheuert hat, aufhalten können. Ihr habt uns wirklich sehr dabei geholfen.“ „Das war doch ohnehin nur möglich, weil sie keine Unterstützung kriegen konnten“, murmelte Madara. „So viel haben wir jetzt auch nicht beigetragen.“ Tatsächlich hatten sie die meiste Zeit über auf das Lager aufpassen, Essen machen und Feuerholz sammeln müssen, während die Erwachsenen die Feinde ausspioniert hatten. Erst beim Überfall hatte auch Madara richtig mithelfen dürfen. Da er mit seinem Sharingan schon recht gut umgehen konnte, hatte er es nicht nur vermeiden können, verletzt zu werden, er hatte auch ganz alleine zwei Gegner besiegt. „Trotzdem, ihr könnt wirklich stolz auf euch sein, alle beide! Macht nur immer weiter so.“ Ayaka verabschiedete sich winkend von ihnen und betrat die Zeltstadt. Shinoi und Madara gingen in die entgegengesetzte Richtung zu ihrem heimatlichen Zelt davon. Drei Wochen waren sie insgesamt weg geblieben. Madara vermisste seinen kleinen Bruder Izuna und seine Eltern. Jetzt endlich würde er sie wiedersehen! Shinoi war auch schon ganz aufgeregt. „Oto-san! Okaa-san! Wir sind wieder da!“ Das Mädchen riss die Zeltplane zur Seite. Madara lugte hinter ihr hervor ins Innere. In dem Zelt saß ihre Mutter, Noriko, aber sie war nicht allein. Ihr gegenüber saß Nayoko, ein besonders geachteter und starker Sharingankrieger. Er hatte seine langen, dunkelbraunen Haare hochgesteckt, damit sie ihn nicht störten. Außerdem trug er die mit vielen Protektoren verstärkte Ninjakleidung für schwere Gefechte. Auf dem dunkelblauen Tuch mit dem Uchiha-Symbol, das er sich als Zeichen des Teamführers um die Hüfte gebunden hatte, waren einige dunkle Flecke zu sehen. Vermutlich angetrocknetes Blut. Nayoko kam gerade erst von einer schweren Mission zurück. Wirklich erschüttern aber tat die beiden Geschwister der Anblick ihrer Mutter. Ihre kurzen Haare sahen immer ein wenig zerzaust aus, aber ansonsten pflegte Noriko immer auf ihr Äußeres zu achten und Haltung zu bewahren. Jetzt aber saß sie gebeugt da und ihre Augen waren rot vom Weinen. Als sie zum Zelteingang blickte und ihre Kinder bemerkte, schluchzte sie laut auf und verbarg ihr Gesicht in einem Taschentuch. „Ich werde Sie jetzt allein lassen, Noriko-sama“, sagte Nayoko leise und stand auf. Als er jedoch bei den Kindern war, sah er noch einmal zurück. „Es tut mir wirklich sehr Leid. Aber sie brauchen nicht in Trauer zu versinken. Es war eine große Ehre.“ „Okaa-san... Was meint er damit?“, fragte Shinoi leise, als Nayoko fort war. „Oh, ihr Lieben... Kommt her, meine Kleinen, kommt zu mir..!“ Madara und Shinoi setzten sich neben ihre Mutter und sie schloss ihre Kinder in den Arm. „Ich liebe euch, meine Kinder... Vergesst das nie. Ich bin so froh, dass ihr zurückgekehrt seid.“ „Kaa-san, was ist denn los?“, wollte Madara wissen. „Und wo ist Oto-san? Sollte er nicht schon von seiner Mission zurück sein?“ Erneut brach Noriko in Tränen aus. Shinoi strich ihr tröstend über den Kopf und sah ihren Bruder hilflos an. „Kaa-san... Ist er etwa...?“ Noriko schüttelte sich und wischte sich die Tränen mit dem Taschentuch ab. „Es tut mir so Leid, Kinder. Euer Oto-san wird nicht mehr zurückkommen.“ Madara, der eben noch die Hand erhoben hatte, um die Tränen seiner Mutter zu trocknen, erstarrte mitten in der Bewegung. „Was?“, fragte er lautlos. „Nayoko-san... Er hat es mir eben mitgeteilt. Seiko hat seine Mission nicht überlebt. Die Satsou haben ihn getötet.“ „Was... Das... Das ist unmöglich!“ Shinoi wich erschrocken vor ihrer Mutter zurück. „Oto-san... Oto-san kann doch nicht...!“ „Shinoi-chan...“ „Nein!“ Madaras Schwester sprang auf. „Das kann nicht sein! Oto-san hat so viel trainiert. Warum muss ausgerechnet er sterben!?“ „Shinoi!“ Aber Shinoi hatte sich bereits umgewandt und stürmte aus dem Zelt. Madara sah zu seiner Mutter und fühlte... nichts. Da war nur eine große Leere in ihm. Er begriff nicht. Oto-san sollte tot sein? Getötet auf seiner Mission? Nein... das ging nicht. Er würde gleich hier herein in das Zelt kommen und fragen, was es zum Abendessen gab. Richtig. Es war ja schon spät. Essenszeit. Gleich würde... nein. Oto-san würde gar nichts mehr tun. Oto-san war tot. „Wie...?“, wollte Madara fragen, doch er konnte nicht zu Ende sprechen. „Dein Vater war sehr tapfer, Madara-chan“, flüsterte Noriko leise. „Er hat sich ganz allein einer Übermacht von zwanzig Ninja gestellt. Sein Team hat.... hat einen Hinterhalt vorbereitet, in den er sie gelockt hat.“ Noriko schluchzte auf. „Seiko ist jetzt ein Kamikaze no Senshi, Madara-chan. Er weilt jetzt bei unsere ruhmvollsten Ahnen im Jenseits...“ Sie versuchte zu lächeln, aber die Tränen liefen ihr nur umso schneller über die Wangen. „Seine letzten Worte, die galten uns... Er sagte, dass er uns alle liebt, Madara-chan... Wir können wirklich stolz auf ihn sein...!“ Seine Mutter umarmte ihn erneut und Madara spürte, wie sein Oberteil an seiner Schulter durchnässt wurde, da, wo seine Mutter ihre Tränen zu verbergen versuchte. Zaghaft erwiderte er die Umarmung. Er stand unter Schock. Er begriff wirklich nicht, was die Worte seiner Mutter bedeuteten. Er begriff nicht, dass Seiko niemals mehr in das heimatliche Zelt treten, dass er niemals mehr mit Madara zusammen trainieren würde. Er begriff nur, dass seine Mutter schrecklich traurig war, obwohl sie so viel mit Oto-san gestritten hatte. Sie war schrecklich traurig und sie war schwach, so schwach. Sie lag in Madaras Armen und Madara musste sie trösten und sie beschützen, ja, das vor allem, sie beschützen vor aller Trauer. „Wir schaffen das, Kaa-san“, flüsterte er. Ein Ninja sagte niemals: 'Es wird alles wieder gut.' Denn das wurde es nicht. Aber sie konnten den Schmerz überwinden, den Schmerz und die Tränen. Sie konnten darüber stehen. „Wir schaffen das...“ Madara blieb noch lange bei seiner Mutter, bis sie sich einigermaßen wieder beruhigt hatte. Als er das Zelt schließlich verließ, um nach seinen Geschwistern zu suchen, hatte sich die Leere in seinem Inneren in eine tiefe Kälte verwandelt. Das Gefühl erinnerte ihn an die Empfindung, die er hatte, wenn er tötete. Am stärksten war es bei seinem ersten Mord gewesen, dem bisher erst drei weitere gefolgt waren. Zunächst war er so aufgewühlt gewesen, getrieben von dem Wunsch, seine Schwester und das Lager zu beschützen. Doch dann plötzlich war da diese Kälte. Er tötete seine Gefühle ab und legte all sein Sein auf bloße Effizienz aus. Madara wusste, wenn er zu sehr über den Tod von Oto-san nachdachte, dann würde ihn das in eine tiefe Trauer stürzen, aus der er sich vielleicht erst nach Wochen befreien konnte. Das durfte er nicht zulassen. Er musste jetzt stark sein, für seine Mutter und für seine Geschwister. Er musste für sie da sein und sie trösten. Shinoi und Noriko waren Frauen, die waren da ohnehin sensibler und Izuna war noch so schrecklich jung. Madara war jetzt der Mann in der Familie. Er musste die Rolle seines Vaters übernehmen. Also lag es an ihm, ihre Trauer auf sich zu nehmen. Auch wenn er dafür seine eigenen Gefühle beiseite schieben musste. Madara fand Shinoi auf dem Trainingsplatz, den Oto-san so fort benutzt hatte. Sie hockte unter einem Baum mit einer Shuriken-Zielscheibe, die Beine angewinkelt und mit ihren Armen umschlungen. Ihre langen schwarzen Haare hatte sie wie einen Vorhang um ihr Gesicht gezogen. Die Tränen konnte sie verbergen, nicht aber ihr leises Wimmern. Madara trat langsam zu ihr und setzte sich neben sie. Eine Weile schwiegen sie einfach nur gemeinsam. Shinoi tastete nach Madaras Hand und hielt sie ganz fest. „Er hat so... so verbissen versucht, stärker zu werden...“, schluchzte das Mädchen. „Sie haben mir erzählt, was passiert ist... Er hätte ihnen doch allen zeigen können, dass er gar kein Sharingan braucht! Warum musste er denn sterben!? Ich hasse ihn, warum hat er sich entschieden, uns zu verlassen!?“ Madara legte vorsichtig einen Arm um ihre Schultern. Er mochte ganze fünf Jahre jünger und anderthalb Köpfe kleiner sein, aber in diesem Moment war er ein großer Bruder. „Die Uchiha haben ihn dazu gedrängt. Sie sehen nur, was sie sehen wollen“, flüsterte Madara. „Und Unfähigkeit gehört nicht dazu.“ Da stieß ihn Shinoi von sich. „Wie kannst du so etwas sagen? Oto-san ist nicht unfähig!“ „Er war nicht in der Lage, das Sharingan zu erwecken“, entgegnete Madara mit ruhiger Stimme. „Er war ein großartiger Shinobi, unglaublich mutig und stolz. Er ist einen harten Weg gegangen und hat trotzdem nicht aufgegeben. Aber das ist alles egal, Shinoi. So wunderbar er als Ninja auch war, als Uchiha hat er versagt.“ Madara lehnte sich zurück und fuhr leiser fort: „Aber er war nicht nur ein Uchiha. Er war auch unser Vater.“ „Und er ist ein großartiger Vater!“ „Nein, das war er nicht“, widersprach Madara, der im Gegensatz zu ihr bereits in der Vergangenheitsform von ihrem Vater sprach. „Eigentlich war er sogar ein ziemlich schlechter Vater. Wann hat er sich schon mal um uns gekümmert?“ „Aber... Aber er hat uns geliebt!“ Shinoi weinte schon wieder. „Er hat uns geliebt, das weißt du doch...“ „Aber Liebe reicht eben manchmal nicht aus“, flüsterte ihr Bruder. „Gefühle reichen nicht aus, wenn ihnen keine Taten folgen. Seiko war ein schlechter Uchiha. Ein schlechter Vater. Und bei all den Streiten mit Mutter war er wohl auch ein schlechter Ehemann. Hm. Um genau zu sein, war er wohl auch kein sehr guter Ninja. Auf Missionen ist er ja nie viel gegangen, oder?“ „Hör auf!“, rief Shinoi empört. „Du... Du magst ja Recht haben, aber... Aber jetzt ist Vater tot und... und er hat doch alles wieder gut gemacht!“ Keuchend stand sie auf und sah zornig auf ihn herab. „Er hat eine so schwierige Mission ganz allein zum Erfolg gebracht. Das kann doch nur ein sehr guter Ninja, oder etwa nicht? Er ist ein Kamikaze no Senshi und damit sehr wohl ein würdiger Uchiha!“ Wieder liefen ihr die Tränen in Strömen über die Wangen, aber diesmal beachtete sie sie nicht. „Aber all das... Das hat er trotzdem nicht für die Uchiha getan. Oder für die Mission. Er hat das für uns gemacht, Madara! Für dich und mich und Izuna und Mutter. Weil er uns liebt! Weil er nicht will, dass wir ihn als Versager sehen. Damit hat er alles wieder gut gemacht, alles! Also sprich nicht so von ihm, als... als ob...!“ Madara lächelte. Das war so unangebracht, dass Shinoi ins Stocken geriet. „Siehst du?“, fragte der Junge leise. „Deswegen hat er sich entschieden, uns zu verlassen. Also heul nicht so rum. Wir haben großes Glück, einen so tollen Ninja als Vater zu haben.“ Shinoi starrte ihn an, zwei Sekunden, fünf, zehn... „Oh, Madara-chan..!“ Da fiel sie ihm wieder um den Hals und weinte sich erneut bei ihm aus, wie schon seine Mutter zuvor. „Ich werde ihn so vermissen!“ Madara hielt sie einfach nur fest und war für sie da. Irgendwann hatte auch sie sich ausgeweint und erhob sich schniefend wieder. „Wir... Wir müssen Izuna-chan sagen...“, meinte sie schluchzend. „Das mache ich schon“, erwiderte Madara. „Geh du zurück zu Kaa-san. Ich will nicht, dass sie allein ist.“ „Ja... ja, das mach ich... Ist das wirklich okay für dich?“ Ihr Bruder nickte nur und Shinoi wandte sich ab, wider Willen erleichtert. Madara fand seinen kleinen Bruder bei den Mädchen Rika und Nori. Er strahlte übers ganze Gesicht, während er seinen Cousinen stolz erzählte, dass er jetzt endlich die Gokakyu beherrschte. „Izuna-chan!“, rief Madara, „statt mit ihnen zu prahlen, solltest du deine Jutsus lieber trainieren, meinst du nicht auch?“ Izuna schien überhaupt nicht begeistert. „Das habe ich jetzt oft genug getan. Nur damit du's weißt, ich arbeite schon am Hosenka no Jutsu!“ „Dann habe ich genau das Richtige für dich. Komm mal eben mit, Izuna-chan.“ Der Junge folgte seinem großen Bruder vor sich hin murmelnd. Außer Hörweite der Mädchen, die den beiden neugierig hinterher sahen, meinte er: „Hör mal, Nii-san, ich hab ja an sich nichts dagegen, wenn du mich Izuna-chan nennst. Aber vor den anderen könnte es doch wenigstens ein Izuna-kun sein, oder?“ Madara lächelte gequält. Sie waren jetzt weit genug von den Zelten weg, um unliebsame Zuhörer auszuschließen. „Jedenfalls bin ich froh, dass du endlich wieder da bist, Nii-san“, meinte Izuna vergnügt. „Es war total langweilig hier ohne dich und Shinoi. Ihr habt mal wieder ganz viele böse Ninja besiegt, nicht wahr? Und Oto-san hat euch dabei geholfen!“ Izuna war gerade mal sieben Jahre alt. Es war nicht fair. Es war einfach nicht fair. „Ja, Oto-san hat uns sehr geholfen...“, murmelte Madara. „Er war in einem anderen Team, aber er hat alles für uns gegeben.“ „Ist er auch schon wieder zurück?“, wollte Izuna wissen. Abrupt blieb Madara stehen. Verwirrt tat es ihm sein Bruder gleich. „Was ist denn, Nii-san?“ „Oto-san kommt gar nicht mehr zurück. Oto-san ist tot.“ Keiner der beiden Brüder sagte daraufhin etwas oder wagte auch nur, einen Finger zu rühren. Eisiges Schweigen legte sich über sie. Nur der Wind fuhr unbeirrt durch die Bäume, die so unverschämt waren, die ersten Knospen des Frühlings zur Schau zu tragen. Fast eine Minute lang schwiegen die beiden. Ganz langsam drehte sich Madara zu seinem kleinen Bruder um. Izuna schrie und weinte nicht und er versuchte auch nicht, die Worte des Älteren infrage zu stellen. Über den Tod machte man keine Witze, das wusste selbst ein Siebenjähriger. So etwas sagte man nicht, wenn man sich nicht sicher war. Oto-san war tot. Jedem Uchiha wird von klein auf beigebracht, dass der Tod jeden erwischen kann. Dass es ganz schnell gehen und die Nachricht ganz überraschend kommen kann. Durchschnittlich hat jedes Zelt alle zehn Jahre einen solchen Verlust. In harten Zeiten auch mal alle fünf. Statistisch gesehen war Madaras Familie bereits überfällig. Um solche Zahlen kümmerten sich die Kinder freilich recht wenig. Aber auch sie wussten, dass ihre Familie nicht auf ewig so bestehen würde. Dazu hatten sie zu viele Cousinen und Cousins, die mindestens ein Elternteil verloren hatten. Aber all diese Lehren hatten Izuna dennoch nicht auf diese Nachricht vorbereiten können. Für ihn war es ein Schock. Er hatte die kleinen Risse in dem friedlichen Gefüge seiner Familie übersehen. Für ihn war die Welt bis heute noch vollkommen heil gewesen. Aus dieser Welt wurde er nun brutal heraus gerissen. Als Madara sich zu seinem kleinen Bruder umdrehte, begegnete er einem Blick aus weit aufgerissenen Augen. Starre Augen, zu Boden gerichtet, in eine ferne Zukunft blickend. Rote Augen. „Wer...?“, fragte der kleine Junge erstickt. Madara zögerte. „Es waren Ninja vom Satsou-Clan. Er lockte sie in einen Hinterhalt. Unser Oto-san wird als Kamikaze no Senshi gefeiert, weil er sich freiwillig für die Mission opferte.“ Der junge Ninja hielt kurz inne, beschloss dann aber, dass er genauso gut alles erzählen konnte. „Nayoko-san hat erzählt, dass er es tat, damit wir stolz auf ihn sein können. Weil er uns sehr lieb hatte.“ Izuna schluchzte leise. Er rieb sich mit dem Ärmel über die Augen und als er sie wieder öffnete, waren sie kohlschwarz. Aber Madara wusste, was er gesehen hatte. „Ich bin stolz auf ihn“, flüsterte Izuna. „Ich bin ganz doll stolz auf ihn!“ Madara trat zu dem Jungen und nahm ihn in den Arm. Izuna verkrampfte sich, versuchte seine Tränen zu unterdrücken, aber er hielt ihn trotzdem fest. Da ließ er seinen Tränen schließlich doch freien Lauf und zum dritten Mal an diesem Tag wurde Madaras Oberteil durchnässt. Aber das kümmerte ihn nicht. Izuna brauchte ihn. Shinoi brauchte ihn. Kaa-san brauchte ihn. „Lass uns zu Mutter und Shinoi zurückgehen“, sagte er leise zu seinem Bruder, als dieser sich etwas beruhigt hatte. „Wir müssen in unserer Familie jetzt ganz fest zusammenhalten. Auch du... Izuna-san.“ Die Bestattung fand zwei Tage später statt. Dank Seikos Opfer waren die restlichen sieben Ninja mit nur geringfügigen Wunden zurückgekehrt. Wie es der Brauch war, wurde für ihn ein riesiger Scheiterhaufen errichtet. Das Feuer war nicht nur das Symbol der Uchiha und die Höhe der Flammen, beziehungsweise die Menge an verwendetem Holz ein Maß für den Mut des Kriegers, sondern auch eine Gegenmaßnahme gegen feindliche Shinobi. Das Sharingan war eine gefährliche Waffe und schon viele Ninja hatten versucht, einen Uchiha zu töten, nur um sein Augenlicht an sich zu nehmen. Indem sie die Körper ihrer toten Kameraden dem Feuer übergaben, schützten sie zugleich ihren Clan. Auch wenn Seiko seit Jahrzehnten der erste Kamikaze no Senshi war, der kein Sharingan besaß, so beinhaltete seine Bestattung doch alle Ehren eines solchen. Der Leichnam seines Vaters war in schwarze Tücher gehüllt, die das Uchiha-Zeichen zierte. Madara durfte sein Gesicht nicht noch einmal sehen, um Abschied zu nehmen. Seiko war einer Brandbombe zu nah gekommen und bot keinen angenehmen Anblick mehr. Madara hätte das wenig gekümmert, aber wenn er ging, würde auch Izuna mitkommen wollen und das wollte er seinem Bruder ersparen. Als die Flammen schließlich aufloderten, standen die Uchiha eng beieinander um den Scheiterhaufen herum. Die meisten schwiegen in stillem Gedenken an den Verstorbenen. Noriko jedoch stimme leise einen der traditionelle Klagegesänge an. Die düsteren, traurigen Töne wehten über die Zeltstadt. Hinter den Bäumen ging die Sonne unter. Bestattungen wurden immer zu dieser Tageszeit abgehalten. Eine Zeit, in der selbst der Himmel in Flammen stand. Shinoi stimmte leise in den Gesang ihrer Mutter ein und ihr folgte Tante Suri, die Schwester Seikos, sowie deren Tochter Rika. Dann begannen auch die anderen Frauen zu singen und schon bald war die Luft erfüllt von den Klängen ihrer Lieder. Madaras Zelt würde ein Dreivierteljahr trauern. Zum neuen Jahr würde erneut das Feuerfest gefeiert werden, an dem von allen im Kampf gefallenen Kriegern Abschied genommen würde. Dann würde man von ihnen erwarten, dass sie Seiko vergaßen und wieder zum Alltag übergingen. Oder, wie die Ältesten sagten: dass sie nach vorne und in die Zukunft blickten, statt sich in der Vergangenheit zu verlieren. In diesem Moment aber, am heutigen Tage, da trauerten alle Uchiha gleichermaßen um den Kamikaze no Senshin, jenen Ninja, den sie so oft verspottet und missachtet hatten. Madara sah in die heißen Flammen, die die letzten Reste seines Vaters verschlangen. Und endlich konnte auch er weinen. Der Krieg gegen die Satsou war das Ende der mehr oder weniger friedlichen Zeiten. Das war auch bitter nötig gewesen, denn den Uchiha war so langsam das Geld ausgegangen. Durch den Konflikt zwischen dem Land des Löwen und dem des Reißzahns war ihre Wirtschaft wieder ordentlich angekurbelt worden. Der einzige Verlust war ein eher unbedeutender Ninja ohne Sharingan. Dafür hatte dessen zweiter Sohn sein Bluterbe erweckt, wie sich einige Wochen nach der Bestattung herausstellte. Alles in Allem also ein großartiger Erfolg. In der Zeltstadt herrschte Hochstimmung und nach nur fünf Tagen wurde sogleich der nächste Auftrag angenommen, der ihre Leute in Kriegsgebiet schickte. All das rief in Madara eine regelrechte Abscheu hervor. Das Problem aber war, dass er nicht wusste, gegen wen er seinen Ärger richten sollte. Es regte ihn auf, dass die Uchiha so bereitwillig wieder in den Krieg zogen und sich dieser Gefahren aussetzten – aber eigentlich machte er sich ja nur Sorgen um seine Verwandten. Es regte ihn auf, dass sie über das Opfer seines Vaters so rasch hinweg sahen – aber sie hatten ja auch aufgehört, abwertend von ihm zu reden. Es regte ihn auf, dass so kurz nach dem Tod seines Vaters und mitten im Krieg schon wieder ausgelassen gefeiert wurde – andererseits war es eine Feier zu Ehren seines kleinen Bruders Izuna, der nun ebenfalls die Sharingan besaß. Es regte ihn auf, dass seine Mutter in den Krieg zog und sie allein ließ – obwohl er natürlich wusste, dass das ihre Aufgabe war. Es gab niemanden, auf den er richtig wütend sein konnte. Also versuchte Madara, seinen Zorn in einem überaus harten Training abzulassen. Da er seine Geschwister nicht verletzen wollte, meldete er sich auch freiwillig für Missionen, an denen nun kein Mangel mehr herrschte. Er begleitete verschiedene mehr oder weniger wichtige Personen durch Kriegsgebiete, kämpfte mit Banditen, half bei der Rettung von insgesamt vier Erpressungsopfern und zwei Kriegsgeiseln, bereitete zwei Überfälle auf feindliche Shinobi vor und wirkte an einem aktiv mit. Die Gelegenheiten, bei denen er in der Zeltstadt verweilte – die inzwischen bereits dreimal weiter gezogen war – wurden immer weniger. Das war aber nicht weiter schlimm, weil er jetzt immer öfters mit seiner Mutter, Shinoi, oder ab und an sogar Izuna auf Mission ging. Noriko war eigentlich dagegen, dass er sich so sehr engagierte. Viel lieber hätte sie alle Missionen auf sich genommen, um sie vor den Gefahren zu schützen – oder noch lieber wäre sie mit ihren Kindern gemeinsam daheim geblieben. Aber auf ihre Wünsche achtete niemand. Es war Krieg und in diesen Zeiten mussten alle ran. Die Ältesten – der Rat der Sieben war zu einem Rat der Fünf zusammengeschrumpft – sprachen von einer saisonalen Kriegszeit. Eine Saison kehrte ungefähr alle fünfundzwanzig Jahre wieder. In dieser Zeit war nämlich die nächste Generation herangewachsen, die die Schrecken des Krieges nicht kannte und sich vergnügt ins Abenteuer stürzte. In der Regel hielt eine solche Saison fünf bis sieben Jahre an. Diesmal sollte sie wesentlich länger anhalten. * Sommer 11 Der erste Krieg, den Madara ganz allein entschied, war ein Bürgerkrieg. Drei Jahre nach Seikos Tod, im Sommer nach Madaras elften Geburtstag, waren auf der Welt so viele Kriege ausgebrochen, dass die kleine Anfrage des Grünen Landes eigentlich abgelehnt hätte werden müssen. Aber Noriko und Shinoi kämpften gemeinsam im Land der Bären und Izuna begleitete eine Gruppe Kaufleute durch das Krisengebiet im Land des Tees. Madaras Zelt war leer, als er von seiner letzten Mission zurückkehrte und er hatte die Ältesten gebeten, ihm so schnell wie möglich irgendeinen neuen Auftrag zu geben. Im Grünen Land, auch das Land des Gemüses genannt, wurde die Bevölkerung einer Stadt namens Tokushima von einer kleinen Minderheit unterdrückt. Es musste eine Art Bande sein und sein Auftrag bestand darin, den Kopf eben jener Bande abzuschlagen. Im übertragenen Sinne, versteht sich. Das Grüne Land war etwa achtzehn Tagesreisen von ihrem jetzigen Lager entfernt. Madara aber war ja ein Ninja und selbst wenn er kein Pferd hatte – sie waren viel zu laut für einen Shinobi – so war er doch trainiert genug, um der Reise zuversichtlich entgegen zu blicken. Er wollte in spätestens sieben Tagen dort sein. Madara war es natürlich gewöhnt, schneller als gewöhnliche Menschen unterwegs zu sein. Schließlich konzentrierte er beim Sprinten Chakra an seinen Fußsohlen, sodass seine Sätze doppelt so lang waren wie normalerweise. Außerdem hatte er wirklich viel trainiert und war abgehärtet. Es lief darauf hinaus, dass er nach dem vierten Tag, den er mit nur einer zweistündigen Pause zum Schlafen und drei weiteren kleinen fürs Essen durchgerannt war, ziemlich erschöpft zusammenbrach. Von da an ließ der junge Ninja es etwas ruhiger angehen. Immerhin war es so heiß, dass die Luft zu kochen schien. Also ließ er seinen Rucksack einfach am Ufer des nächsten Baches ins Gras fallen und gönnte sich eine Erfrischung. Ein Blick hoch zur Sonne entlockte ihm ein leises Ächzen. Diese Hitze! Madara beschloss, lieber eine Weile im Schatten der Bäume auszuruhen und nachts weiter zu reisen. Das war ohnehin viel ninjahafter, fand er. Während der Shinobi seinen Proviant auspackte und seine Mahlzeit zu sich nahm, dachte er an die kleine Herberge, bei der er vor zwei Tagen seine Essensvorräte aufgefüllt hatte. Die Leute dort hatten ihn ungewöhnlich feindselig behandelt. Das Wechselgeld hatte ihm der Wirt mit einer solch unmissverständlichen Unhöflichkeit auf den Tresen geknallt, dass es ihn gejuckt hatte, sein Kunai zu ziehen. Auch die Gäste in dem kleinen Wirtshaus waren misstrauisch gewesen. Als er eingetreten war, waren sofort alle Gespräche verstummt und die Blicke hatten sich ihm zugewandt. Für ihn war es das erste Mal, dass er Erfahrungen mit Diskriminierung machte. Für die einfachen Leute war er auf den ersten Blick als Ninja zu erkennen. Die schwarze, knielange Hose und sein dunkelblaues Oberteil mochten ja noch als normal durchgehen, aber das Netzhemd, das er darunter trug, war nur bei den Shinobi Mode, genau wie die weißen Bandagen um Knöchel und Handgelenke. Sie verbargen ein paar schwarze Tätowierungen mit Beschwörungssiegeln: Selbst vollkommen nackt trug er stets ein Waffenarsenal mit sich herum, das den berüchtigsten Bandenanführer einer Straßengang vor Neid erblassen lassen würde. Hinzu kam das Katana, dessen schmale Klinge er ganz offensichtlich auf den Rücken geschnallt hatte, sowie die Standartausrüstung mit Kunaitasche um die Hüfte und Shurikenfach um seinen rechten Oberschenkel herum. Wer ein bisschen Ahnung von Ninjas hatte, der erkannte dann noch das kleine Fächersymbol an hinten seinem Kragen. Als Uchiha wiesen ihn auch seine blasse Haut und die blauschwarzen Haare aus, die mittlerweile schulterlang wären, würden sie nicht in alle erdenklichen Richtungen abstehen. In der Regel genügte jedoch schon ein Blick in seine roten Augen, um einem Gegner klar zu machen, dass mit ihm nicht gut Kirschen essen war. Die Leute in dem Wirtshaus erkannten ihn an seinen Waffen. Überhaupt hatten die Menschen ein Problem mit Waffen, wie ihm seine Mutter mehrmals erklärt hatte. Sie fürchteten sich vor dem, was sie anrichten konnten. In Kriegszeiten stritten sich die Länder praktisch um die Ninja-Clans, während sie in Friedenszeiten links liegen gelassen wurden. Die Abneigung der gewöhnlichen Bevölkerung den Ninja gegenüber war in Kriegszeiten, wenn sie den Schrecken selbst erlebten, den die Shinobi brachten, am höchsten. Wer in diesen Zeiten ein Ninja war, der war nicht unbedingt gerne gesehen unter den Gewöhnlichen. Und da man keine Ahnung hatte, wer alles Ninja war, war man misstrauisch gegenüber jedem Fremden und feindselig gegenüber jedem Reisenden, der Waffen trug. Hatte der betreffende Ninja dann auch noch ein Bluterbe, wurde er mit dem Teufel höchstpersönlich gleichgesetzt. Diese Abneigung ging so weit, dass ein Ninja keine Geschäfte mit etwaigen Stahlwerken machen konnte, ohne sich zu verkleiden. Die Ninja aber brauchten den Stahl, um ihre Waffe daraus zu machen, denn die entsprechenden Händler verlangten in Kriegszeiten absolute Wucherpreise. Auch sie waren schlecht auf die Ninja zu sprechen, da einige Clans die Ware mit Blutgeld bezahlten. Es am Lagerfeuer erzählt zu bekommen und es selbst zu erleben war jedoch etwas anderes. Madara hatte nie sehr viel Kontakt mit Gewöhnlichen und er kümmerte sich auch nicht groß um sie. Entweder er hielt sich in der Zeltstadt unter seinen Verwandten auf, oder er erfüllte Missionen und hatte mit feindlichen Shinobi oder mit Gewöhnlichen zu tun, die seine Hilfe brauchten. Deswegen war das Verhalten der Gäste und des Wirtes neu für ihn und er stellte für sich fest, dass er es nicht mochte. Ein schrilles Quieken riss ihn aus seinen Gedanken. Ein hoher, herzzerreißender Jammerton, der ganz und gar nicht menschlich anmaßte. Madara horchte auf, ein Kunai bereits in der Hand und nahm Verteidigungsstellung an. Als kein Feind kam und das Jammern immer näher kam, schlich er vorsichtig zum Bach hinüber, von dem das Geräusch kam. Dort sah er ein graues Fellknäul im Wasser schwimmen. Den erbärmlich um sich schlagenden, krallenbewehrten Pfoten zufolge war es eine Katze und sie drohte zu ertrinken. Madara entspannte sich wieder – offenbar keine Gefahr. Mit so einem räudigen Vieh hatte er nichts zu tun. Die weiße Katze wurde von der schnellen Strömung des Baches hin und her geschleudert und immer wieder unter Wasser getaucht. Offenbar kam sie nicht aus eigener Kraft an Land. War wahrscheinlich beim Fischen hineingefallen oder so. Madara seufzte leise, zog die Schuhe aus und watete ins Wasser. Es war nicht schwer, die Katze abzufangen. Weitaus mühseliger war es, das wild um sich schlagende Vieh solange festzuhalten, bis er wieder am Ufer war. Ein mageres Ding. Das bot keine ordentliche Mahlzeit. Also ließ er zu, dass sie ihm aus dem Arm sprang. Die Katze fauchte laut und verschwand im Gebüsch. „Undankbares Vieh...“ Madara kehrte zu seinem Baum zurück. Sechs Stunden Schlaf sollten genügen. Dann würde die Sonne untergehen und er konnte sich wieder auf den Weg machen. Den Vorfall mit der Katze vergaß er schnell. Tokushima war eine ziemlich große Stadt. Um genau zu sein war es die größte, die Madara je gesehen hatte. Sein Einsatzgebiet waren für gewöhnlich weite Steppen, undurchdringliche Wälder, kaum besiedelte Inseln oder andere Schlachtfelder, auf denen man nicht allzu viel kaputt machen konnte. Er konnte nicht behaupten, dass die Stadt ihm gefiel. Die Häuser waren viel zu hoch. Einige besaßen sogar zwei Stockwerke! Da er nicht unbedingt auf sich aufmerksam machen wollte, konnte er schlecht über die Dächer springen und wenn er zu Fuß zwischen all diesen Türmen entlang schritt, fühlte er sich eingeengt. In seinem heimatlichen Lager war ein Zelt nie über zwei Meter hoch. Hier aber waren all diese Steinklötze, mit vielen Giebeln und Balkonen und engen Gassen und... Madara versuchte sich vorzustellen, er wäre in einem Wald. Aber Bäume waren viel schlanker und sie rochen auch ganz anders. Hier war alles so... künstlich. Dabei befand er sich noch im guten Viertel. Der Ninja brauchte etwa eine Stunde, um sich durch das Gewühl und über den Marktplatz zu kämpfen. Auf der Suche nach der Adresse seiner Kontaktperson blieb er auf einmal stehen und sah sich verwundert um. Es war, als hätte er eine unsichtbare Grenze überschritten. Hinter ihm die schrecklich hohen, aber wenigstens sauberen Häuser, vor ihm gedrungene Hütten mit Wellblechdächern und vor Schmutz starrenden Mauern. Auf dieser Seite der Stadt schien alles ein wenig dunkler zu sein. Madara hätte sich hier vielleicht wohler gefühlt, wäre nicht der überwältigende Gestank gewesen. Die Bewohner dieses Viertels schienen ihren Unrat einfach aus der Tür heraus auf die Straße zu kippen. Es war durch und durch widerwärtig und am liebsten wäre Madara auf dem Absatz umgekehrt. Aber Auftrag war Auftrag und so ergab er sich seinem Schicksal und machte sich auf die Suche nach irgendeiner Hausnummer oder wenigstens einem Straßenschild. Dergleichen schien hier jedoch nicht bekannt zu sein. „Was denn, du willst nicht zahlen?!“ Madara wandte sich um, als er diesen Ruf vernahm. Die meisten Leute, die er bisher in diesem Teil der Stadt getroffen hatte, waren nur in bessere Lumpen gekleidet und liefen geduckt und möglichst unauffällig daher. Ihm hatte man nur hin und wieder einen kurzen Blick zugeworfen und war dann weiter geeilt. Einer dieser grauen Gestalten stand vor seiner Hütte, die aussah, als könnte sie der nächste Windstoß umwehen. Er versuchte sich möglichst klein zu machen und rang nervös die Hände. Der Kerl, der gerufen hatte, stammte eindeutig von der anderen Seite. Seine Kleider bestanden aus feinen Stoffen und waren viel bunter als die des anderen. Außerdem war er dick. Arme Leute waren nie dick. Als wenn das nicht schon genug wäre, standen hinter ihm drei muskulöse Typen, die sich schützend um ihn herum postiert hatten und nach allen Seiten Ausschau hielten. „Ich schwöre, Herr, bis nächsten Monat habe ich das Geld zusammen... Bitte, meine Kinder haben jetzt schon zu wenig zu essen...“ Madara hielt einen vorbei eilenden Passanten an und fragte leise.: „Entschuldigen Sie, können Sie mir sagen, was da vorne los ist?“ Der Mann hob verärgert den Kopf und sah zu dem ungleichen Paar hinüber. „Das ist der alte Giro. Hat einen Kredit aufgenommen, um seine Mühle zu bezahlen. Keine gute Idee. Der Fluss ist über die Ufer getreten und hat alles überschwemmt. Jetzt kann er seine Schulden nicht zurückzahlen. Armer Kerl.“ „Du hättest es dir vielleicht dreimal überlegen sollen“, sagte der bunt gekleidete Mann auf der anderen Straßenseite, „bevor du dir so viele Bälger anschaffst. Ich gebe dir noch einen weiteren Monat Aufschub. Du solltest dich beeilen – die Zinsen werden natürlich wieder verdoppelt.“ Der alte Giro stöhnte. „Aber ich kann doch schon jetzt den Betrag kaum aufbringen!“ Der andere zuckte die Schultern. „Dein Problem. So lautet der Vertrag, das wusstest du vorher.“ Die Szene hatte immer mehr Zuschauer bekommen. Aus der Menge trat ein junger Arbeiter hervor, der noch seinen Spaten in der Hand hielt. „Jetzt machen Sie mal halblang!“, protestierte er. „Sie haben den armen Mann schon in den Ruin getrieben, jetzt lassen Sie ihn gefälligst in Ruhe!“ Einer der drei Bewacher des Reichen trat drohend auf den Sprecher zu. „Ruhe könnt ihr haben, wenn ich mein Geld wieder sehe!“, rief der Dicke aus. Zu dem Mann mit dem Spaten gesellten sich noch zwei weitere, die wie zufällig je einen Hammer und eine Hacke in der Hand hielten. Die Sache drohte, aus den Fugen zu geraten. Madara tastete nach seiner Kunaitasche. „Psst! Sie da! Ja, Sie!“ Madara drehte sich um und gewahrte einen kleinen schmutzigen Jungen, der sich halb hinter einer Häuserecke versteckt hielt und ihm eindringlich zuwinkte. „Kommen Sie mit!“ Der Shinobi warf noch einen Blick auf den Streit auf der Straße zurück, in dem die ersten Männer bereits handgreiflich wurden. Lautes Geschrei und wilde Anfeuerungsrufe schallten durch die Menge der Zuschauer. Madara wandte sich um und folgte dem kleinen Jungen. Der war fast so schmutzig wie die dunklen Ecken zwischen den Hütten, aber dafür erstaunlich flink. Für den Shinobi war es natürlich trotzdem kein Problem, ihm zu folgen. Der Junge führte ihn zu dem scheinbar einzigen richtigen Haus in diesem Teil der Stadt. Es war ganz aus Holz, wirkte aber einigermaßen stabil. Die Tür öffnete sich mit einem lauten Knarren und im Inneren roch es nach Heu. Ein alter Speicher, schlussfolgerte der Ninja. Zur Zeit würde er aber scheinbar als Versammlungsraum zweckentfremdet. In der Mitte waren ein Haufen alter Kisten zu etwas angeordnet, das wohl einen Tisch darstellen sollte. Um ihn herum saßen ungefähr ein Dutzend Männer verschiedenen Alters, alle ziemlich schmutzig, ziemlich einfach gekleidet und ziemlich mager. Anscheinend waren sie gerade in einer regen Diskussion vertieft gewesen, denn einer von ihnen war aufgestanden und knallte gerade seine Faust auf den Tisch, wobei er ausrief: „Wir müssen jetzt handeln, verdammt noch mal!“ Dann wandten sich alle Köpfe in Richtung Tür. „Das ist er!“, flüsterte der schmutzige Junge, grinste breit und verließ die Scheune so schnell, wie er gekommen war. Madara vermutete, dass er seine Auftraggeber gefunden hatte. „Guten Tag“, grüßte er höflich und trat näher. „Ich bin Uchiha Madara und ich suche einen gewissen Kindou Makoto.“ Einer der Männer ließ davon ab, den jungen Ninja anzustarrten und richtete den Blick auf den Redner von vorhin. „Was soll der Scheiß? Du hast gesagt, dass du den Besten holst, den du kriegen kannst!“ Der Redner lief rot an und ballte die Hände zu Fäusten. „Bei einer simplen Anfrage und bei dem Preis schicken die halt nur Halbwüchsige in diesen Zeiten!“, rechtfertigte er sich. „Immerhin ist er ein Uchiha.“ „Du hättest dich wenigstens an die Senju wenden können“, motzte ein Dritter. „Die sind jetzt der aufsteigende Stern, ich sag's dir!“ Madara war über diese Worte empört. Er räusperte sich möglichst diskret und meinte: „Ich kann Ihnen versichern, dass ich über genügend Kampferfahrung verfüge, um diesen Auftrag zu Ihrer Zufriedenheit auszuführen. Ich gehöre zu den besten Nachwuchskämpfern des Uchiha-Clans, der selbstverständlich der fähigste Clan auf der ganzen Welt ist.“ Senju! Also wirklich! Madara hatte diesen Namen erst drei oder viermal in den Gesprächen am Lagerfeuer aufgeschnappt, in denen es um die Konkurrenz ging. So wichtig konnten die also gar nicht sein. „Es muss eben auch so gehen“, brummte der Redner und wandte sich an Madara. „Ich bin Kindou Makoto und ich habe dich im Namen aller Bewohner des Grünen Landes angeheuert, die unter diesen Bastarden leiden müssen.“ „Ein wenig mehr Informationen wären schon nicht schlecht“, gab Madara zurück. „Wer ist dieser Shandokya?“ Das war der Name des Mannes, für dessen Ermordung er bezahlt werden sollte. Die schmutzigen Männer rutschten unruhig auf ihren Sitzen auf dem blanken Holzboden hin und her. „Setz dich doch erst einmal zu uns, Junge...“ Madara hob eine Augenbraue. „Es heißt 'Uchiha-san', wenn ich bitten darf.“ Trotzdem setzte er sich dazu. Makoto begann zu erzählen: „Shandokya tauchte auf, nachdem im Grünen Land vor fünf Jahren der Daimyo gestürzt wurde. Die neue Regierung hat total bescheuerte Gesetzte erlassen. Sie erlauben einem einzelnen Menschen, unheimlich viel Reichtum anzuhäufen, während um ihn herum alles in Armut versinkt. Es ist nicht nur Shandokya, auf der anderen Seite der Stadt wimmelt es von solchen Leuten, aber er ist es, der die richtig großen Geschäfte abwickelt. Wegen ihm haben hier Hunderte ihre Arbeit verloren. Im Norden kämpfen sie darum, die Regierung wieder zu stürzen, aber diese reichen Säcke bezahlen einfach ein paar Leute dafür, dass sie alle niederschlagen. Wir haben hier einen ausgewachsenen Bürgerkrieg. Tokushima war lange Zeit noch von den Unruhen verschont. Viele der führenden Köpfe haben sich hierher zurückgezogen und immer noch einigermaßen dafür gesorgt, dass die Bevölkerung nicht zu unzufrieden wird. Aber jetzt ist das Maß einfach voll! Wir haben kein Geld, um ganze Ninja-Clans zu bezahlen, damit sie uns helfen, den Bürgerkrieg zu gewinnen. Aber das brauchen wir auch nicht. Das machen wir schon alleine und wir sind stolz darauf! Aber wenn nur Shandokyo weg wäre, dann würde hier erst einmal alles zusammenbrechen: Dann hätten wir wenigstens eine Chance. Der Typ wohnt in einem riesigen Haus, fast schon ein Schloss, etwas außerhalb der Stadt. Rund rum hat er Zitronenplantagen angelegt, die übrigens den örtlichen Gemüsehandel zugrunde gerichtet haben, wie auch überall im Land. Man kann es jedenfalls nicht verfehlen. Er sitzt da und lässt sich bedienen, während nebenan die Arbeiter für einen Hungerlohn schuften!“ Hier hielt er kurz inne und sah misstrauisch auf Madara herunter. „Aber ich bin mir wirklich nicht sicher, ob du... Äh, Sie... Ob das gut wäre für Sie.“ Madara sah ihn missmutig an. „Ninja lernen von Kindesbeinen auf, wie man sich im Kampf zu behaupten hat. Und ich kann Ihnen versichern, dass ich bereits Erfahrung im Töten habe.“ „Aber-“ „Abgesehen davon“, unterbrach er ihn einfach, „sterben Ninja in der Regel sowieso recht früh. Wenn Sie einem alten Ninja begegnen, ist er mit großer Wahrscheinlichkeit ziemlich unfähig und nur noch zum Kochen und Kinderhüten gut – oder er ist so fähig und damit teuer, dass Sie ihn niemals bezahlen könnten.“ Madara schüttelte den Kopf. „Aber Ihre Anfrage hörte sich eher so an, als ginge es um ein verschlafenes Dorf, das von einer Gruppe Banditen erpresst wird. So sieht mir die Sache hier nicht gerade aus.“ „Naja“, Makoto schien nun peinlich berührt, „wie gesagt, wir haben nicht viel Geld und es ist ohnehin schwer, an einen Ninja ran zu kommen:“ Der Uchiha seufzte theatralisch. Eigentlich könnte er die Mission ablehnen und gleich wieder umkehren. Das wäre sein gutes Recht. Aber dann wäre er den ganzen Weg umsonst gegangen und selbst wenn die Bezahlung unverhältnismäßig war, so konnte er in diesem Fall den Leuten keinen Vorwurf machen. Hm. Vielleicht konnte er sich in besagtem Schloss ja ein wenig bereichern, bevor er dessen Herrn ermordete. Das war ohnehin die übliche Vorgehensweise bei Missionen, deren Auftraggeber ärmer waren als die Opfer. Man beugte damit den verführerischen „Ich bezahl dir das Doppelte!“-Effekt vor. Ein Ninja musste treu zu seinem Herrn stehen. „Also schön“, beschloss Madara schließlich. „Ich nehme den Auftrag an.“ Schon allein, um diesen Narren zu zeigen, dass der Uchiha-Clan um Welten besser war als irgendwelche Senju! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)