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Die Chroniken der Uchiha

Der verfluchte Clan
von

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Kamikaze no Senshi – Der Kamikaze-Krieger

Stolz ist einer der größten Flüche der Menschheit. Ehre und Respekt sind Dinge, für die sie bereit sind zu töten – und notfalls auch, ihr eigenes Leben zu geben. Was zurück bleibt, sind trauernde Familien, die der Ehrgeiz des Verstorbenen zerbrochen hat. Manchmal ist es eine Chance für einen Neuanfang. Oft ist es der Grundstein einer ewig währenden Verbitterung. Meistens ist es die Quelle neuen Schmerzes.
 

XxX
 

Frühling 08
 

„Nein, Izuna-chan, wenn du das Kunai so hältst, tust du dir nur selber weh“, sagte Madara belehrend zu seinem kleinen Bruder.

„Ich krieg das schon hin, Nii-san! Lass mich nur endlich werfen!“

Kopfschüttelnd trat Madara beiseite und gab die Zielscheibe frei, die in hundert Schritt Entfernung aufgestellt war.

„Geh lieber näher ran, Otoutou-chan!“, rief eine Stimme von oben.

Izuna, der gerade mit dem Wurfmesser gezielt hatte, zuckte zusammen und ließ das Kunai fallen. Er hatte Shinoi nicht bemerkt, die oben im Geäst des Baumes hinter ihnen saß. Die Kunoichi grinste und winkte ihm zu. „Ich werd doch nicht die erste Trainingsstunde meines kleinen Bruders verpassen!“

Izuna war jetzt sechs Jahre alt. Er kannte die theoretischen Grundlagen von Chakra, Gen- und Ninjutsu und Madara hatte ihm ein paar einfache Taijutsugriffe beigebracht. Aber erst jetzt bekam er richtige Waffen in die Hand. Madara, der sein Sharingan vor zwei Jahren erweckt hatte, beherrschte bereits die grundlegenden Ninjakünste: Henge, Kawarimi, Bunshin. Verwandlung, Tausch und Doppelgänger. Außerdem hatte seine Mutter, Noriko, die von seinem neuen Sharingan absolut begeistert war, ihm das Clanjutsu Gokakyu, die Feuerkugel und einfache Genjutsu beigebracht, sowie allerhand andere Ninjatricks. Damit war er bestens gerüstet für die ersten einfachen Missionen, die er bereits erledigte. Dazu gehörte die Begleitung mehr oder weniger wichtiger Persönlichkeiten auf Reisen, die Überwachung der gewöhnlichen Kriminalität und andere Jobs, die in Friedenszeiten anfielen.

Ja, im Moment herrschte Frieden und das fast überall auf der Welt. Irgendwo weit im Norden tobte ein Krieg zwischen den Samurai und den Shinobi, aber daran waren die Uchiha nicht beteiligt. Der Krieg mit den Kaguya vor zwei Jahren war ihr letzter gewesen und den hatten sie gewonnen. Die zerstreuten Irokuda waren ihres Namens beraubt worden und hatten sich den Uchiha unterworfen. Sie kämpften nun für Madaras Clan und lieferten die Löhne bei ihnen ab, ihre Kinder waren als Geiseln zu einem verbündeten Adeligen gegeben worden. Das war nötig gewesen, weil die Uchiha in diesem Krieg einige Mitglieder verloren hatten. Unter Ninjas war es üblich, dass sich Mitglieder eines nahezu ausgestorbenen Clans oder einfache Leute, die das Handwerk neu erlernen wollten, unter die Herrschaft der großen Familien stellten.

Dieser Krieg jedenfalls hatte die Position der Uchiha gestärkt. Dennoch, das hatte Madara in einem Gespräch zwischen seinen Eltern belauscht, ging es nun wieder langsam bergab. Die Einnahmen aus den einfachen Missionen reichten nicht mehr aus, um den Wohlstand der Familien zu sichern. Für die Lösung des Problems wurden bereits viele Möglichkeiten diskutiert: Man könnte mehr Mitglieder aus der einfachen Bevölkerungsschicht ausbilden und damit auch mehr Missionen annehmen. Aber ihr Gebiet hatte stets nur eine begrenzte Zahl an Auftraggebern und mehr Ninja hieße auch mehr Mäuler zu stopfen. Hingegen musste man die jungen Ninja besser ausbilden, damit sie auch schwierigere Missionen übernehmen konnten. Deswegen sollte Izuna neben der Waffenhandhabung auch gleich die Chakrakontrolle lernen. Sein Training übernahm Madara, der wiederum das meiste von Shinoi lernte, denn ihre Eltern waren oft auf Missionen. Nun, ihre Mutter jedenfalls, ihr Vater trainierte ebenfalls eine Menge.

Madara hob das Kunai auf, das Izuna fallen gelassen hatte und reichte es ihm. „Hier. Versuch's nochmal.“

Der Junge griff danach. „Jetzt pass mal auf“, rief Izuna und schleuderte das Kunai so weit er konnte. Mit einem dumpfen 'Klonk' traf es die Zielscheibe und fiel zu Boden.

„Hä? Warum ist es denn nicht stecken geblieben?“

Madara lief rasch zu der schwarz-weißen Zielscheibe hinüber. „Also, getroffen hast du jedenfalls...“

Oben von ihrem Sitz in den Bäumen aus lachte Shinoi laut auf. Sie deaktivierte ihr Sharingan, mit dem sie die Flugbahn des Kunais verfolgt hatte. „Du willst wissen, warum es nicht stecken geblieben ist?“ Sie kam herunter gesprungen, wuschelte Izuna einmal durch sein kurzes, schwarzes Haar und grinste. „Weil es sich in der Luft gedreht hat. Es ist mit dem stumpfen Ende aufgekommen, verstehst du?“ Noch einmal lachte sie auf. „Das war der schlechteste Wurf, den ich jemals gesehen habe“, neckte sie ihn. „Man sagt zwar, ein Ninja, der mit Steinen wirft, kann einen Anfänger schlagen, der Shuriken benutzt, aber deswegen musst du deine Waffen noch lange nicht wie Steine schmeißen.“

„Du bist gemein“, empörte sich ihr kleiner Bruder, „das war doch mein erster Versuch!“

„Das stimmt schon, Izuna-chan“, sagte sie, jetzt etwas sanfter, „aber für einen Shinobi gibt es meistens keinen zweiten.“

Mit diesen Worten wandte sie sich um. „Ich gehe schon zurück zu den Zelten. Bald gibt es Mittagessen, macht nicht mehr so lange!“

Madara kam von der Zielscheibe zurück und stellte sich neben Izuna, der trotzig die Fäuste geballt hatte und Shinoi hinterher starrte.

„Naja... Wenigstens hast du getroffen“, meinte er schulternzuckend. „Lass uns weitermachen.“

Infolge der nächsten Stunde brachte Madara seinem Bruder die richtige Handhabung der Wurfmesser bei. Als Izuna das Hundert-Schritt-Ziel sicher in die rote Mitte traf (ohne, dass das Kunai herausfiel), wollte er aufhören, doch Izuna protestierte dagegen:

„Lass uns doch noch weiter machen, Nii-san! Ich schaff bestimmt auch zweihundert Schritt!“

„Dazu müsstest du Chakra in deinen Wurf legen und das kannst du noch nicht. Außerdem fällst du immer noch vom Baum runter, wenn du versuchst, senkrecht den Stamm hoch zu klettern. Nein, wir machen morgen weiter.“

„Ach, dann geh du doch schon vor“, meinte er beleidigt, „ich komme dann nach.“

Madara zuckte mit den Schultern und schickte sich an zu gehen. Außer Sichtweite seines kleinen Bruders jedoch konzentrierte er sein Chakra an seinen Fußsohlen und lief senkrecht einen Baumstamm hinauf. Dann machte er es sich auf einem dicken Ast gemütlich, von dem aus er den Jungen beobachten konnte und stellte sich auf eine lange Wartezeit ein.

Ihr Trainingsplatz lag etwas von der Zeltstadt entfernt und natürlich kam es nicht infrage, dass Madara seinen Bruder hier vollkommen schutzlos allein ließ. Als der Ältere war es seine Pflicht, über ihn zu wachen. Es würde Izuna gut tun, wenn er das heimlich tat und er seine Trainingserfolge allein und ohne fremde Hilfe erreichte. Von seinem Mittagessen verabschiedete sich Madara lieber schon mal. Er erinnerte sich noch gut an die Zeit, als er sich selbst heimlich hinaus geschlichen hatte, um stundenlang sein neues Sharingan zu trainieren. Wenn er so darüber nachdachte – ob wohl damals Shinoi über ihn gewacht hatte?

Madara lächelte still und griff sich eine Schriftrolle, in der verschiedene Jutsus beschrieben waren. Ein wenig Lektüre würde ihm helfen, die Zeit totzuschlagen.
 

Izuna trainierte tatsächlich noch den ganzen Nachmittag lang. Als er sich endlich, schwitzend und keuchend, daran machte, die Zielscheibe abzubauen, schlich Madara um den Trainingsplatz herum und tat, als wäre er eben erst hinzu gekommen.

„Wir haben dich beim Essen vermisst“, behauptete er und sein Bruder sah auf, erschöpft, aber glücklich.

„Hab wohl etwas die Zeit vergessen“, meinte er. „Aber willst du sehen, was ich schon kann, Nii-san?“

Ermunternd nickte Madara ihm zu. Der Junge zückte ein Kunai und ritzte damit drei Kreuze in jeweils drei nah beieinander stehende Bäume. Dann kehrte er den Zielen den Rücken zu, zog noch zwei weitere Wurfmesser hervor und atmete einmal tief durch. Madara beobachtete ihn neugierig. Er hatte nur hin und wieder zu Izuna hinüber gesehen. Sein Bruder hatte sich verbessert, das wusste er sicher. Wie sehr, das würde er jetzt sehen.

Izuna nahm Anlauf. Er rannte von den Zielen weg, hundert Schritt, zweihundert, wurde immer schneller. Dann raste er senkrecht einen Baum hinauf, kopfüber einen überstehenden Ast entlang und schleuderte die Kunai zu den drei markierten Bäumen. Gerade mal zwei Sekunden hatte er sich an dem Ast halten können, nun fiel er herunter, drehte sich noch einmal in der Luft und landete sicher auf seinen Beinen.

Madara sah zu den Kreuzen hinüber. Auf zweihundert Schritt Entfernung hatten die Kunai das Holz an den markierten Stellen glatt durchschlagen und ein kleines Loch hinterlassen, bevor sie sich in den Boden dahinter gebohrt hatten. Izuna hatte nicht nur die Zielübungen gemeistert, sondern war auch mit seiner Chakrakontrolle ein gutes Stück weitergekommen.

Sein kleiner Bruder kam zu ihm herüber, ein erwartungsvolles Lächeln im Gesicht.

„Das war sehr gut, Izuna. Heute früh noch der schlechteste Werfer der Welt und jetzt ein solches Kunststück. Das hast du wirklich gut gemacht“, lobte ihn Madara.

Izuna strahlte übers ganze Gesicht. Er jubelte auf und umarmte seinen großen Bruder voller Freude.

Madara drückte ihn ebenfalls vorsichtig an sich, auch wenn ihn diese Euphorie etwas überraschte. Aber war das nicht natürlich? Ständig wurde ihnen gesagt, sie sollten noch besser werden, dem Clan Ehre bringen, ihre Eltern stolz machen. Selbst in einem Lob klang das immer mit:

Mach weiter so und du wirst das-und-das erreichen. Genau so etwas erwartet man von einem Uchiha. Du wirst einmal ein großer Shinobi werden, wenn du dich weiter so schnell verbesserst. Es ist gut, dass du so ehrgeizig bist, lass jetzt bloß nicht nach!

Jedes Lob enthielt schon wieder die nächste Aufgabe. Kein Freiraum für Fehler, für ein kurzes Ausruhen. Madara aber hatte dem Jungen einfach nur gesagt, dass er es gut gemacht hatte. Ohne Bedingungen. Ohne Zwang. Einfach nur gut gemacht. Das war alles, was Kinder brauchten.
 

Auf dem Weg zurück zum Lager erzählte ihm Izuna lang und breit, auf welche Probleme er beim Training gestoßen war und wie er sie gelöst hatte. Madara hörte ihm geduldig zu und beantwortete ihm bereitwillig alle Fragen, die er zu anderen Schwierigkeiten noch hatte. Doch während Izuna fröhlich vor sich hin plapperte, bemerkte Madara nicht weit entfernt noch andere Geräusche. Scheinbar waren sie nicht die Einzigen, die so spät noch trainierten. Der junge Shinobi hielt Izuna an und forderte ihn mit einer Geste auf, zu schweigen. Eigentlich nur aus Neugier schlichen die beiden Jungen näher, bis Madara erstaunt inne hielt. Aus dem Stimmenwirrwarr konnte er nun, wenn er sehr genau lauschte, seinen Vater heraushören. Langsam schlichen die beiden noch näher, bis sie einzelne Worte ausmachen konnten. Jetzt erkannten sie auch die anderen Sprecher: Es waren Kin, ihr Onkel väterlicherseits, und ein Ninja namens Konjo.

„Warum nochmal hast du dich von der Mission zum Watanuki-Schrein abgemeldet, Seiko?“

„Für dich immer noch Seiko-san“, knurrte ihr Vater verärgert.

„Ich weiß, warum du dich abgemeldet hast, Seiko“, erwiderte Kin, ohne seinem Einwurf die geringste Beachtung zu schenken. „Du bist dir zu gut für die einfachen Arbeiten.“

„Unsinn, Kin-san“, widersprach der andere, „er weiß durchaus, dass er entbehrlich ist. Deswegen trainiert er ja auch so viel. Vielleicht erschien ihm die Mission ja aber zu schwer?“

„Oh, es tut mir Leid, wenn ihr mit ein paar betrunkenen Schlägern nicht fertig werden konntet“, zischte Seiko angriffslustig.

Ein dumpfer Laut ertönte. Die Brüder konnten nicht sehen, was passiert war, aber ein ersticktes Keuchen sagte ihnen, dass die Typen ihren Vater wahrscheinlich gegen einen Baum gepresst und ihm dadurch die Luft abgeschnürt hatten.

„Du willst ein Uchiha sein?“, flüsterte Kin gehässig. „Du wirst niemals das Niveau von jemandem erreichen, der das Sharingan benutzen kann. Jemand wie uns! Sieh es endlich ein, du bist ein Verlierer.“

„Ein Verlierer und ein wertloser Abzweig unseres Clans“, fügte Konjo hinzu. „Vergiss endlich dein albernes Training, es bringt dir ohnehin nichts. Erkenne deinen Platz. Deinesgleichen sollte lieber die niederen Arbeiten übernehmen. Betrunkene Schläger sind doch genau dein Level, Seiko.“

Der gedemütigte Ninja erwiderte nichts. Kin und sein Kamerad verpassten ihm noch einmal einen Stoß, bevor sie von ihm abließen. Als sie sich danach zurück zogen, konnten die Brüder erstmals einen Blick auf sie erhaschen. Die beiden Shinobi sahen zu ihnen herüber und grinsten.

Madara packte seinen kleinen Bruder an der Schulter, um ihn zurückzuhalten, als er bemerkte, wie dieser sich wütend auf die beiden Männer stürzen wollte. Warnend schüttelte er den Kopf.

Als die Uchiha weg waren, stieß sich Seiko von dem Baum ab. Er hob den Blick, als Izuna ein unbeabsichtigtes Geräusch machte. Als er seine beiden Kinder sah, die seine Demütigung mit verfolgt hatten, wurde er bleich.

„Oto-san!“, rief Izuna jetzt aus und lief zu ihm hinüber. „Oto-san, warum hast du nichts zu ihnen gesagt? So dürfen sie nicht mit dir reden! Du musst dich doch wehren!“

Langsam trat auch Madara neben ihn und strich dem Kleineren über das Haar. Sein erster Impuls war, Izuna beizupflichten. Dann aber sah er seinen Vater an und erinnerte sich an die letzten Monate zurück. Wenn er genau darüber nachdachte, gab es genug Anzeichen, dass solche Drohungen öfter vorkamen. Und irgendwie, in der verdrehten Logik des Clanstolzes, konnte er die Argumente der beiden Shinobi nachvollziehen und wusste, dass sie allgemein anerkannt waren. Verbal konnte sein Vater sich nicht gegen sie zur Wehr setzen und wenn er sie körperlich angriff, würde er sie zu einem offiziellen Kampf herausfordern müssen, wenn er seine Ehre wiederherstellen wollte. Einen solchen Kampf konnte er nicht gewinnen, wenn seine Gegner das Sharingan benutzen.

„Weiß Kaa-san davon?“, fragte Madara leise und ernst. Eigentlich war die Frage überflüssig. Madara hatte früh gelernt, bei den Streiten seiner Eltern wegzuhören, aber etwas bekam man immer mit und eben diese Bruchstücke ergaben nun einen Sinn.

„Es ist nicht so schlimm“, behauptete ihr Vater mit einem mühsam aufgesetzten Lächeln, das vor allem Izuna galt. „Die beiden werden sich schon wieder einkriegen. Ich weiß, dass viele denken wie sie und ich werde keinen Streit anfangen, nur weil einer von ihnen es ausspricht.“

„Du bist ein großer Shinobi“, sagte Izuna ganz ernst und nahm seine Hand, „und wenn ich erwachsen bin, will ich auch mal so werden wie du.“

Ihr Vater blinzelte ein paar Mal und wandte kurz den Blick ab, bevor er in die Hocke ging und Izuna sanft umarmte.

„Ich danke dir, mein Sohn“, flüsterte er und Madara war sich sicher, dass er Tränen unterdrückte.

Izuna, fest davon überzeugt, dass jetzt wieder alles gut war, lächelte bereits wieder, als ihr Vater wieder aufstand.

„Jetzt lasst uns zurück zu den Zelten gehen“, meinte der Ninja.

Madara folgte seiner Familie, doch auf dem Rückweg dachte er lange über das Gehörte nach. Er fand es ungerecht und schrecklich grausam, wie sein Vater behandelt wurde, aber er mochte es sich gar nicht ausmalen, wie das für ihn sein musste. Der ständige Streit mit Mutter, die Verachtung des ganzen Clans, sein erfolgloses Training und jetzt auch noch seine Kinder, die das alles mit erlebten. Es war einfach nicht fair.
 

Die folgenden Wochen verbrachte Madara mit kleinen Missionen und dem Training seines Bruders. Beiden waren nun aber die Sinne geschärft worden für gewisse Gesten und Andeutungen, die im Clan umgingen. Die Verachtung und Missbilligung ihrem Vater gegenüber war im Grunde deutlich zu spüren. Ihre Eltern stritten immer häufiger und Verzweiflung lag über ihrem Zelt wie ein schweres Leichentuch. Auch Shinoi war oft traurig und in sich verschlossen. Wenn sie keine Aufträge zu erledigen hatte, leistete sie den Jungen Gesellschaft. Nur wenn die Geschwister zusammen waren, konnten sie wirklich ausgelassen miteinander lachen.

Die Kinder, besonders Shinoi und Madara, die ihre Aufträge dank ihres Sharingans stets zu vollster Zufriedenheit ausführten, waren die einzige Freude, die Noriko und Seiko noch teilten. Deshalb verbrachten sie auch so viel Zeit wie möglich mit ihnen. Trotzdem blieb die Stimmung angespannt.

Aus den Wochen, in denen die Erwartungen an Madara im gleichen Maße stiegen, wie sie für seinen Vater sanken, wurden schließlich Monate. Auch Izuna verbesserte sich sehr. Sein siebter Geburtstag kam und ging. Er lernte die grundlegenden Ninjutsu und Madara ging mit ihm gemeinsam auf seine erste Mission. Obwohl sie nur ein paar Handwerkern beim Flicken eines Strohdachs helfen sollten, war der Junge ganz aufgeregt.

Ein ganzes Jahr noch verging in dieser wackeligen Harmonie, ein Jahr, an dessen Ende auch Madara auffiel, dass sie mehr Krieger verloren hatten als gewöhnlich. Vier Männer waren es diesmal, keinem davon stand er besonders nahe, aber gekannt hatte er sie alle. Im Winter wurde zum Jahresende wie üblich die Trauerzeremonie für die Gefallenen abgehalten. Traditionell gab es ein riesiges Lagerfeuer, zur Erinnerung an die Feuerbestattungen im vergangenen Jahr. Die Uchiha standen darum herum, starrten in die Flammen und gedachten ihrer Verwandten, während einige von ihnen Klagelieder anstimmten. Zwei Monate später feierte Madaras Familie den Geburtstag der drei 'Winterkinder', wie Noriko sie scherzhaft zu nennen pflegte. Da ihre Geburtstage mit dem 24.Dezember, dem 03. Januar und dem 10. Februar so nah beieinander lagen, feierten sie ihn meistens als einen Tag an Izunas Geburtstag. Madara wurde neun Jahre alt, Izuna sieben und Shinoi vierzehn.
 

*
 

Winter 09
 

Etwa eine Woche später, Madara und Shinoi kamen gerade von ihrem gemeinsamen Training zurück, erwartete sie eine Überraschung.

Die Geschwister klopften sich den Schnee von den Schuhen, bevor sie das heimatliche Zelt betraten. Draußen brach bereits die Nacht herein, aber ihr Vater war immer noch nicht da, nur ihre Mutter.

„Gibt es schon Abendessen?“, fragte Shinoi mit einem Blick auf den großen Kessel über der Feuerstelle in der Mitte des Zeltes, in der eine Suppe kochte.

„Ja, aber wir haben kein Salz mehr“, erwiderte Noriko. „Ich habe Izuna losgeschickt, damit er etwas von eurem Onkel Kira holt. Ich wollte mit euch beiden reden...“

„Sicher. Was gibt es?“, fragte Madara und setzte sich zusammen mit seiner Schwester auf die Sitzkissen.

„Ihr habt eine Mission zusammen. Ein Nachbarschaftsstreit zwischen dem Land des Reißzahns und dem des Löwen, aber Letztere haben ebenfalls Ninja zur Abwehr angeheuert. Eure Aufgabe ist es, dort hin zu gehen und herauszufinden, was ihr Auftrag ist. Es geht natürlich um Gebietsansprüche, deshalb könnte es zu Kämpfen kommen. Ayaka-san, Reizei-san und Hayao-san werden euch helfen, die Ninja zu verjagen, falls das nötig sein sollte.“

Die drei Ninja, die seine Mutter genannt hatte, waren allesamt Professionelle. Ayaka und Hayao waren Norikos Geschwister. Es war noch gar nicht so lange her, da hatte Erstere einen kleinen Sohn, Kagami, geboren und seitdem nicht mehr in einer Schlacht gekämpft. Sie besaß auch kein Sharingan, dafür war sie aber sehr geschickt und eine gute Strategin. Außerdem war sie Meisterin des Kenjutsu, der Schwertkunst. Ihr Bruder Hayao wohnte im Zelt direkt neben Madara und überwachte den Waffenhandel des Clans, sodass er seinen Neffen ab und an ein paar neue Shuriken schenken konnte. Vor drei Jahren hatte er seine Frau im Krieg verloren. Daraufhin hatte er sich in die Arbeit gestürzt und war zu einem noch gefährlicherem Gegner geworden. Reizei schließlich war wie Hayao ein erfolgreicher Sharingankrieger, mit dem Madara irgendwie über seine Großmutter mütterlicherseits verwandt war.

Dass ausgerechnet diese Drei sie auf ihrer Mission begleiten sollten, führte den Geschwistern den Ernst der Lage nur allzu deutlich vor Augen.

Noriko hatte sich derweil zu ihnen gesetzt. „Ihr sollt noch heute Abend aufbrechen“, erklärte sie ihren Kindern. „Das hat der Rat so beschlossen.“ Der Rat der Ältesten, bestehend aus den verbliebenen sieben Ninja der vergangenen Generationen. Sie stellten alle Missionen und trafen die Entscheidungen.

„Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit, aber...“

„Schon gut, Okaa-san“, beruhigte sie Madara. „Shinoi und ich werden das schaffen.“

Die Kunoichi lächelte ihn liebevoll an. „Ich weiß, dass ihr beide stark seid. Wirklich. Aber das ist dein erster Auftrag in Feindesland, Madara-chan, und ich mache mir einfach Sorgen...“

„Ich werde auf Madara-chan aufpassen“, versprach Shinoi, wobei sie eine besondere Betonung auf das verniedlichende „-chan“ legte. Da Madara das Sharingan besaß, hatte er eigentlich das Recht, auf dem gebräuchlichen „-san“ zu bestehen (und für gewöhnlich tat er das auch) jetzt aber fiel sein Protest mager aus. Seine Schwester wuschelte ihm grinsend durch sein blauschwarzes Haar.

„Passt auf euch auf, alle beide. Das müsst ihr mir versprechen“, verlangte Noriko. „Und kommt zu mir zurück.“

Ihre Kinder sahen sie kurz erstaunt und wider Willen betroffen an. Dann aber falteten sie die Hände und verbeugten sich feierlich vor ihrer Mutter, die doch sonst immer so stark war und der jetzt Tränen in den Augen standen.

„Wir versprechen es.“

Noriko lächelte erleichtert. Dann schloss sie die Geschwister in die Arme und drückte sie ganz fest.

„Eure Gegner sind wirklich gefährlich“, flüsterte sie ihnen zu. „In einer anderen Ecke des Landes haben sie bereits Unruhe gestiftet. Euer Oto-san ist heute früh mit einem Team dorthin aufgebrochen, damit sie der Truppe, der ihr begegnen werdet, nicht zu Hilfe eilen können.“

„Er hat sich gar nicht von uns verabschiedet!“, protestierte Shinoi. Ihre Mutter lächelte traurig.

„Du weißt doch, wie er ist, meine Kleine.“

„Von Izuna können wir uns doch aber noch verabschieden, oder?“, fragte Madara. Noriko zögerte, nickte dann aber.

„Er müsste gleich hier sein. Wir essen noch zusammen Abendbrot und dann brecht ihr auf. Eure Sachen habe ich schon gepackt. Bitte verratet Izuna keine Details, ich will nicht, dass er sich Sorgen macht.“

„Die solltest du dir auch nicht machen“, wiederholte Shinoi lächelnd.

In diesem Moment trat Izuna ins Zelt ein und die Familie genoss das gemeinsame Mahl. Es war ein friedliches Beisammensein. Shinoi erzählte ihnen ein paar neue Witze und Izuna prahlte vor seiner Mutter mit dem neusten Jutsus, das er gelernt hatte. Als sie fertig waren, erzählten Madara und Shinoi ihren kleinen Bruder, dass sie nun bald auf eine gemeinsame Mission aufbrechen würden. Erst war der Junge enttäuscht, als er erfuhr, dass sie eine Weile wegbleiben würden. Doch er überspielte seine Gefühle rasch, indem er Shinoi damit stichelte, dass ihr fünf Jahre jüngerer Bruder sie bereits eingeholt hatte und sie schon gemeinsam auf Missionen gingen. Shinoi gab ihm eine Kopfnuss, bevor sie ihn heftig umarmte und ihm einen Kuss auf den schwarzen Haarschopf drückte.

„Wir sind so bald wie möglich wieder zurück“, versprach Madara, „und nächstes Mal gehen wir beide wieder zusammen auf Mission, Otoutou-chan.“

Izuna lächelte und Madara prägte sich sein Gesicht ganz genau ein, bevor er mit seiner Schwester das Zelt verließ. Er wusste, dass für ihn als Ninja nun bei jedem Aufbruch die Wahrscheinlichkeit, ihn wieder zu sehen, sinken würde.

Vor dem Zelt wartete bereits Ayaka, ihre Tante. Sie lächelte den Kindern freundlich zu und reichte ihnen ein paar Rucksäcke, die ihre Mutter ihr gegeben haben musste. Gemeinsam gingen sie zum Rand der Zeltstadt, wo Hayao und Reizei bereits warteten. Norikos Bruder sah ihr tatsächlich ziemlich ähnlich: Seine Gesichtszüge hatten die selbe Strenge, sein kurzes, schwarzes Haar stand wie bei Madaras Mutter nach allen Seiten ab. Seine Hände waren groß und voller Schwielen, da er neben dem Waffenhandel auch manchmal selbst Klingen schmiedete, wenn das Geld knapp war. Von der Schläfe bis zum Kinn entstellte eine lange Narbe sein Gesicht, die sein rechtes Auge nur knapp verfehlte.

Seine Schwester Ayaka war die zierlicher. Ihre Haut war so blass, dass sie fast durchsichtig wirkte und ihr schwarzes schulterlanges Haar schimmerte bläulich im Licht des aufgehenden Mondes.

Reizei hingegen war besonders groß gewachsen. Seine Miene war ernst und wachsam. Sein langes, mattschwarzes Haar war im Nacken zu einem Zopf gebunden. Er nickte den jungen Geschwistern einmal kurz zu. Die Leitung dieser Mission würde ihm obliegen.

Bevor er das Signal zum Aufbruch gab, warf Madara noch einen Blick zurück zu seinem heimatlichen Zelt. Dann aber wandte er sich ab und folgte seinem neuen Team. Er fühlte sich befangen, aber er war nicht sensibel genug, um die böse Vorahnung zu empfangen, wie es Shinoi tat.
 

*
 

Seiko taumelte keuchend zurück. Mit der rechten Hand tastete er an seiner Seite entlang und spürte eine warme, feuchte Flüssigkeit über seine Finger rinnen. Aber der Schmerz war nicht weiter schlimm. Die Waffe hatte ihn bloß gestreift.

Seiko hob grimmig den Kopf und sah seinem Gegner entgegen. Der feindliche Shinobi grinste ihn an und zückte ein Katana.

„Ich hab den Zweiten erledigt, Seiko-san! Der Fluchtweg ist frei!“

Dieser Ruf kam von seinem Partner Hikaku. Für einen Moment spielte Seiko tatsächlich mit dem Gedanken, sich zurückzuziehen. Doch nein, das konnte er nicht machen. Weglaufen war nicht seine Art. Außerdem war Hikaku gerade mal sechzehn Jahre alt und auch wenn er das Sharingan besaß, führte doch Seiko als der Ältere ihr kleines Team an. Dieser Bursche hatte ihm nichts zu befehlen. Sie konnten einfach nicht zulassen, dass der Wachtrupp zu der größeren Gruppe an Ninja zurückkehrte, der er angehörte. Dann wäre der geplante Überraschungsangriff dahin.

Der verbliebene Späher hieb mit dem Schwert nach ihm, doch Seiko rettere sich mit einem Sprung nach hinten. Hastig schloss er einige Fingerzeichen.

„Gokakyu no Jutsu!“

Ein riesige Feuerkugel schoss auf den Shinobi zu. Doch dieser war weder schwach noch langsam. Er benutzte das Erdelement, um sich in den Untergrund zu retten und die Attacke wirkungslos über seinen Kopf hinweg rasen zu lassen.

Diesen Trick durchschaute Seiko jedoch schnell und formte rasch weitere Fingerzeichen.

„Magen: Jubaku Satsu“, murmelte er dabei und an seinen Partner gewandt: „Übernehmen Sie, Hikaku-san.“ Hinter ihm sprang der junge Ninja auf einen Baum hinauf, denn er hatte die Fingerzeichen und damit seinen Plan erkannt.

Aus der Erde schossen mit einem Mal kräftige grüne Ranken. In ihnen wand sich der feindliche Ninja und versuchte sich vergeblich aus der eisernen Umklammerung zu befreien. Er wusste nicht, dass die Pflanzen lediglich eine Illusion waren, die ihm Lähmung vorgaukelten. Dass Seiko kein Sharingan besaß, bedeutete nicht, dass er sich nicht mit Genjutsu aus kannte.

Hikaku schoss von seinem Ast herunter. Ohne viel Federlesen rammte er dem scheinbar Gefesselten ein Kunai in die Brust. Der Shinobi stöhnte hustete ein paar Mal, als Blut in seine Lunge drang. Dann riss er ungläubig die Augen auf und sackte schließlich röchelnd zusammen.

Das aber war Hikaku nicht genug. Bevor Seiko es verhindern konnte, hatte er dem Mann vorsorglich die Kehle durchgeschnitten.

Erst jetzt löste Seiko sein Jutsu auf.

„Sie haben ihn besiegt“, meinte der Jüngling. „Er ist tot. Sind Sie jetzt zufrieden?“

Das war er nicht, aber Seiko ging nicht auf die Bemerkung ein. Er warf seinem Partner nur einen unwilligen Blick zu.

„Sie verstehen wohl den Ernst der Lage nicht. Höchstwahrscheinlich befinden wir uns am Anfang eines neuen Krieges. Bis wir wissen, was genau der Auftrag des Satsou-Clans ist, müssen wir sie als unsere Feinde ansehen.“ Es missfiel ihm, dass er einen so jungen Ninja siezen musste, aber das war nicht zu ändern. Die Höflichkeit verlangte diesen Umgang mit jedem Sharinganträger, wenn er nicht ausdrücklich etwas anderes erlaubte. Und auf so gutem Fuß standen die beiden nicht miteinander, zumal sie nur entfernt miteinander verwandt waren.

Hikaku schnaubte verächtlich. „Umso wichtiger ist es doch, nicht frühzeitig auf uns aufmerksam zu machen. Wir hätten uns zurückziehen sollen, nachdem wir entdeckt wurden! Das Lager des Satsou-Clans umfasst gut zwanzig kampffähige Ninja. Wenn sie ihre Wachen vermissen, könnten sie unsere gesamte Truppe entdecken und wir sind gerade mal zu acht.“

„Sie wissen genau, dass die eigentliche Verantwortung bei Reizei-sans Gruppe an der Grenze liegt. Wir sind ja nicht so dumm, dieses Lager einfach so zu überfallen. Unser Auftrag ist es, sie aufzuhalten, wenn sie ihren Kameraden zur Hilfe kommen wollen. Aber um zu erfahren, ob sie das überhaupt vorhaben, brauchen wir einen von ihnen lebend!“ Seiko deutete anklagend auf die Leiche. „Sieht der so aus, als könnte er uns noch irgendetwas sagen?“

„Wie bitte?!“, fuhr ihn sein Partner an. „Sie sind doch derjenige, der unbedingt weiter kämpfen wollte! Ich wäre gleich zurückgekehrt, nachdem ich den Ersten getötet hatte und sich ein Fluchtweg ergab.“

„Dann hätte ihr Lager erfahren, wer wir sind. Wir mussten sie töten, aber eben nicht sofort!“

Hikaku hatte seine Sharingan noch immer nicht deaktiviert, ein deutliches Zeichen für seine Wut. „Sie haben doch gesagt, dass ich das machen soll!“

Seikos Augen funkelten wütend. „Ich habe gesagt, Sie sollen übernehmen. Kann ich wissen, dass Sie ihn sofort abstechen? Es hätte gereicht, ihn schwer genug zu verletzen, damit er nicht mehr fliehen kann.“

Hikaku zitterte vor Wut und ballte die Hände zu Fäusten.

„Von jemandem wie Ihnen lasse ich mich nicht kritisieren!“, knurrte er böse.

Seiko beachtete den Seitenhieb nicht. An dergleichen war er gewöhnt. Trotzdem versetzte es ihm einen Stich.

„Ob Sie meine Worte annehmen oder nicht, ist mir egal. Aber machen Sie sich endlich nützlich und helfen sie mir, die Leichen zu verscharren.“

Seiko war zu dem leblosen Körper hinüber getreten, der auf Hikakus Konto ging. Rasch schloss er einige Fingerzeichen.

„Doton: Chidōkaku.“

Die Erde um die Leiche herum senkte sich ab und zog sie hinab in einen weiten Krater. Auf einen Wink seiner Hand hin schloss sich das Erdreich wieder darüber, bis das Grab nicht mehr zu sehen war.

Hikaku warf ihm nur einen raschen Blick zu, bevor er dasselbe mit dem zweiten Shinobi tat. Seiko spürte, wie ihn bei diesem Anblick erneut Neid und Wut überkamen. Hikaku beherrschte kein Doton. Die Veranlagung für die Elemente waren bei jedem Ninja unterschiedlich stark ausgeprägt, im Mindestmaß jedoch bei jedem vorhanden. Deswegen war es Hikaku mit seinem Sharingan möglich, Seikos Jutsu einfach zu kopieren, obwohl er das Erdelement nie zu beherrschen gelernt hatte. Er selbst hingegen hatte für diesen einfachen Trick lange hart trainiert und er war stolz darauf, sowohl Katon, das Feuer, als auch Doton, die Erde, zu beherrschen. Dieser Bursche aber schüttelte das so einfach aus dem Ärmel!

Als sie ihre Arbeiten erledigt hatten, machten sich Hikaku und Seiko auf den Rückweg. Ihr acht Mann starkes Team hatte sich aufgeteilt, das feindliche Zeltlager auszuspähen. Am vereinbarten Treffpunkt stellten die beiden fest, dass sie die letzte Gruppe waren. Rasch sagten sie die Parolen auf, die übliche Abwehrmaßnahme gegen Henge und schlossen sich der Beratung an. Ihr Teamführer, ein Mann namens Nayoko, hörte sich ruhig alle Berichte an.

Schließlich sprach er selbst: „Anhand der gesammelten Informationen machen die Gesprächsfetzen, die ich aufschnappen konnte, nun endlich Sinn. Leider ist jetzt ziemlich sicher, dass diese Ninja ihrer Gruppe an der Grenze beispringen werden. Sie planen, morgen schon aufzubrechen. Sie wollen alle gemeinsam kämpfen und in den Krieg ziehen. Die Sache ist größer, als wir gedacht haben. Es ist nicht nur ein kleiner Nachbarschaftsstreit, das Land des Löwen will das des Reißzahns überfallen. Wir müssen sofort handeln. Diese Shinobi dürfen die Grenze nicht erreichen.“

„Aber sie haben mehr als die doppelte Übermacht!“, protestierte eine Kunoichi aus ihrer Reihe. „Im direkten Kräftemessen würde das zu viele Opfer fordern. Der Satsou-Clan soll doch auch ein Kekkei Genkai haben.“

„Es wird nur noch schwach vererbt, aber ja, Sie haben Recht, Kaori-san. Es wäre ohne Zweifel gefährlich.“

„Wir brauchen einen Lockvogel“, stellte Hikaku fest. „Bei einer solchen Übermacht können wir den Feind nur auslöschen, wenn wir ihn in einen Hinterhalt locken. Jemand muss sie ablenken und in die richtige Richtung locken.“

„Nur, dass dieser Jemand recht geringe Überlebenschancen hat...“

Schweigen legte sich über die Gruppe. Ein tiefes, erdrückendes Schweigen, gleich einem schweren Leichentuch. Ninja, die während einer Mission starben – und es galt als absolut unehrenhaft, auf irgendeinem anderen Wege aus der Welt zu scheiden – warfen ihr Leben fort aufgrund von Dummheit und Unfähigkeit, setzten es aufs Spiel im allgemeinen Risiko, oder sie opferten es für die Mission oder das Leben ihrer Kameraden.

Bei der vorliegenden Aufgabe zu sterben wäre ohne Zweifel ein überaus ehrenvoller Tod. Die Kamikaze no Senshi, jene Krieger, die sich auf eine Mission begaben, die von vornherein ihren eigenen Tod forderte, wurden in ihrem Clan als die größten Helden verehrt.

Auf der anderen Seite war der Clan ohnehin nicht allzu groß und jeder Verlust wiegte schwer in ihren Reihen. Deswegen war es die Pflicht eines jeden Ninja, seine Kameraden zu beschützen. Nicht aber um den Preis der gesamten Mission.

Die unausgesprochene Frage: „Wer soll es machen?“, klang jedem von ihnen in den Ohren.

Die Uchiha senkten den Blick. Sie gingen in sich und schauten tief in sich hinein. Natürlich waren sie alle zu der Bereitschaft erzogen worden, sich für ihre Kameraden zu opfern. Es tatsächlich zu tun erforderte jedoch eine ganz andere Art von Mut.

„Ich mache es.“ Seiko hob den Kopf und sah seinen Teamführer entschlossen an. „Ich werde der Lockvogel sein.“

„Machen Sie sich nicht lächerlich“, erwiderte einer der anderen Shinobi. „Wir müssen einen besonders starken Krieger wählen, damit zumindest die Chance besteht, er könnte zurückkommen. Für Sie wäre das der sichere Tod und wir hätten nicht einmal Gewissheit, dass Sie es auf die Reihe kriegen.“

Diese Worte waren überaus hart, aber sie trugen nur zu Stärkung von Seikos Entschluss bei.

„Wir können ebenso wenig das Risiko eingehen, einen unserer besten Krieger oder gar unseren Teamführer zu verlieren. Ich bin in dieser Gruppe zu entbehren. Mir ist durchaus klar, dass ich für die Uchiha einen geringeren Wert habe, weil ich mein Sharingan nicht aktivieren konnte. Dies ist meine Chance, dennoch zu wahrer Ehre zu gelangen. Ich habe genug trainiert, um diese Mission erfolgreich zu erfüllen.“

„Sie wollen es also gar nicht für uns, Ihre Kameraden, sondern nur für sich selbst tun?“, fragte Nayoko stirnrunzelnd nach.

Seiko schüttelte den Kopf. „Ich tue es für meine Kinder. Sie sollen nicht in der Schande leben, ihr Vater sei ein unfähiger Feigling.“ Seine Stimme war ganz ruhig, als er das sagte. Insgeheim hatte er schon seit Jahren über diese Möglichkeit nachgedacht. Er ertrug die missbilligenden Blicke seiner Verwandten nicht mehr und er litt unter den Streiten mit seiner Frau. Am meisten aber machte ihm die Demütigung zu schaffen, vor seinen eigenen Kindern verhöhnt zu werden. Er hielt es nicht mehr aus. Seiko wollte seinen Ahnen in einer würdigen Umgebung gegenüber treten und er wollte seinem Zelt keine Schande machen. Diese Mission war genau das Richtige für ihn.

„Dann werden wir Ihren Entschluss akzeptieren, Seiko-san“, sagte Nayoko. „Sie werden die feindlichen Shinobi für uns in die Falle locken.“

Es wurde nicht lange diskutiert. Niemand anderes bot sich an. Keiner versuchte, ihn von seinem Entschluss abzubringen. Seiko war in der Tat entbehrlich.

Der Shinobi verbeugte sich höflich. „Ich danke Ihnen. Es wird mir eine Ehre sein.“

Jedes Wort war genau so gemeint. Seiko sah sich um und bemerkte, dass sich etwas in den Blicken der Uchiha verändert hatte. Sie waren wohlwollend, ja respektvoll. Nirgendwo sah er Mitleid oder Trauer um seinen baldigen Tod, aber das wollte er auch gar nicht. Als ein minderwertiges Werkzeug hatte er den einzigen Entschluss gefasst, mit dem er dennoch von Nutzen sein konnte. Er hatte sich freiwillig für eine Aufgabe gemeldet, zu der er nur aus moralischen und prinzipiellen Gründen nicht verpflichtet wurde.

„Ich liebe meine Frau“, sagte er leise, „und ich liebe meine Kinder. Bitte richtet ihnen das aus.“

Nayoko nickte, bevor er die Schriftrolle zusammen band, auf der er alle gesammelten Informationen notiert hatte.

„Dann lasst uns jetzt gehen.“
 

XxX
 

Vokabeln:

Nii-san=(großer) Bruder

Oto-san=Vater

Kamikaze=Göttlicher Wind (wörtl.)



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  bombenmeister
2011-07-15T00:08:07+00:00 15.07.2011 02:08
Klasse Chapter, hoffe du schreibst bald weiter^^
Der Vater tut mir irgendwie Leid.
Aber ich bin mal gespannt, wie es jetzt weiter geht.


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