Kaffee und Vanille von Jeschi ================================================================================ Prolog: Die Kammer des Schreckens --------------------------------- Ein wenig missmutig sehe ich mich in der leeren Wohnung um, die ich seit circa fünf Minuten mein Eigen nennen kann. Ich weiß noch nicht, was ich davon halten soll. Bisher macht sie auf mich nicht unbedingt den besten Eindruck. Alles ist noch leer und karg. Die Wände sind mit einer hässlichen weiß-grauen Tapete überzogen, die an einigen Stellen abgerissen ist, und der Boden ist nicht mit Teppich oder Sonstigem ausgelegt, sondern besteht nur aus dreckigem Holz. Groß ist es auch nicht. Es gibt einen kleinen Flur, der in einen etwas größeren Wohnraum mündet. Von Flur aus geht eine Tür ins Bad weg. Vom Wohnraum aus eine in ein keines Schlafzimmer und eine in eine winzige Küche. Ich stoße mit dem Fuß gegen eben jene Türe und sie schwingt auf. Ich sehe mich um. Neben einer altmodischen Küchenzeile steht ein kleiner vergilbter Kühlschrank und ein Ofen. Der Wasserhahn des Spülbeckens tropft munter vor sich hin. Ich verziehe den Mund, aber sage nichts dazu. „Nichts besonderes, das gebe ich zu. Aber man kann es hier aushalten,“ lächelt mich der Vermieter übertrieben begeistert an und watschelt mit einem komischen Altmännergang zum Wasserhahn, um ihn richtig zu zu drehen. Er hört tatsächlich das Tropfen auf und ich denke, dass das zumindest ein Anfang ist. Ich mustere ihn, während er sich unsicher am Nacken kratzt. Er ist klein und schon ein wenig buckelig. Dabei sieht er gar nicht so alt aus. Er hat relativ wenig Falten und eine Glatze. Ein wenig erinnert er mich an Gollum… „Ich muss dann weiter zu den anderen Jungs. Du kommst ja jetzt sicher auch alleine zurecht.“ Er sieht mich hoffnungsvoll an. Wahrscheinlich hat er keinen Bock, sich länger als nötig mit seinen Mietern zu unterhalten. Ich nicke also und er fummelt mühsam einen Schlüssel von einem dicken Schlüsselbund. Mein Schaaatz, denke ich und muss kichern. Er sieht mich nur undefinierbar an. Danach darf ich irgendeinen Wisch unterschreiben, von wegen, ich hätte den Schlüssel zu Zimmer 217 erhalten, ehe er mir diesen auch übergibt. „Ich schick die Möbelpacker dann gleich zu dir hoch,“ versichert er mir noch, ehe er geht. Ich versuche mich an Höflichkeit und begleite ihn bis zur Türe, schließe diese dann erleichtert und lehne mich dagegen. Komischer Typ! Tief atme ich ein und lasse meinen Blick noch einmal durch mein neues Reich schweifen. Wenigsten ist alles einigermaßen sauber. Gut. Den Boden muss ich mal kehren und so, aber man kann es nicht dreckig nennen. Alles in Allem hätte es mich doch schlimmer treffen können. Und mehr habe ich von einem Studentenwohnheim eh nicht erwartet. Studentenwohnheim. Ich lächle leicht. Ich habe mein Abitur zum Glück recht erfolgreich bestanden und bin nun an der Sporthochschule in Köln angenommen worden. Mein großer Traum, seit ich als kleiner Junge Basketballspielen gelernt habe. In all der Zeit, in der ich unter anderem in der Schulmannschaft als Vizekapitän tätig war, wusste ich, dass ich irgendwann einmal mein Hobby zum Beruf machen möchte. Und nun studiere ich tatsächlich Sport und vielleicht werde ich ja mal als Lehrer und Trainer anderen diesen Sport näher bringen können. Zufrieden mit mir, lächle ich, als es an der Türe klopft. Ich öffne diese schwungvoll. Ah, die Möbelpacker, denke ich und lasse diese herein. Das ging ja wirklich schnell. Die nächste Zeit verbringe ich damit, den Männern zu sagen, wo sie welche Kiste und welches Möbelstück hinstellen sollen. Ich habe so viel Kram, dass ich mich frage, ob das überhaupt alles in die kleine enge Bude passt. Als einige Zeit lang gar keiner mehr auftaucht, trete ich hinaus in den Flur des Wohnheims. Der sieht auch nicht viel besser aus. Er ist mit grauem Holz ausgelegt, während die Stufen ihren Ursprung beibehalten haben und aus hässlichen Steinfließen bestehen. Es passt überhaupt nicht zusammen. „Vorsicht Heinz,“ ertönt da die Stimme eines Möbelpackers, „sonst stößt du den Schrank an!“ Ich trete die erste Treppe hinunter und blicke vom ersten Stock hinunter ins Erdgeschoss, wo zwei Männer sich anbrüllen, während sie meine kleine Kommode durch die enge Türe jonglieren und dann die Treppe in Angriff nehmen. Ich steige wieder nach oben und kurz darauf sind auch sie im ersten Stock angekommen und haben noch eine Treppe vor sich. Was bei der ersten gut geklappt hat, klappt jetzt allerdings gar nicht mehr. Sie bringen die Kommode etwas in Schieflage, um sie um die Kurve herum zu tragen, als ein lautes ‚RATSCH’ ertönt. Kommode meets Treppengeländer. Na Glückwunsch. „Passen sie doch ein bisschen auf, bitte,“ rufe ich verzweifelt und blicke pikiert auf das abgeschrammte Eck. „Die ist schon Generationen alt,“ fauche ich, als das gute Stück in meinem Flur zum stehen kommt und ich mir den Schaden genauer angucke. „Wissen Sie wie viel die wert ist?“, brause ich auf. Ich meine, die Kommode ist hässlich. Sie ist aus dunklem Holz und passt keineswegs zu meinen anderen, wesentlich helleren Möbeln von Ikea. Aber sie bedeutet mir viel, weil sie ein Erbstück meiner Großmutter ist. Das interessiert die Kerle aber nicht. Sie entschuldigen sich nur halbherzig, werfen mir einen genervten Blick zu und gehen wieder nach unten, die restlichen Sachen hoch schleppen. Ich sehe ihnen immer noch wütend nach, von meiner anfangs guten Laune ist jetzt nicht mehr viel übrig. Wenigstens kann es jetzt kaum noch schlimmer kommen! Ich bin immer noch mit dem inspizieren der abgeschrammten Ecke beschäftigt, als man mir ein Futon in mein Zimmer trägt, dass irgendwie nicht mir gehört. Ich runzle die Stirn und gehe dazwischen, als sie es ins Schlafzimmer tragen wollen. „Moment! Das ist nicht mein Bett!“ Und so bleiben sie stehen und es wird im Flur abgestellt. Man sieht mich ratlos an, als wenn ich jetzt wüsste, was man damit anfangen soll. „Das ist mein Bett,“ ertönt in dem Moment eine Stimme und ein Junge springt die letzten paar Stufen hoch und öffnet die Türe zur Wohnung neben meiner. Während er sie anweist, wo sie sein Bett hinzustellen haben, kommt auch mein Bett. Ich trete wieder in den Wohnheimflur, damit die Männer platz haben und sehe zu dem anderen Jungen, der genervt neben mir steht und ständig dazwischen ruft, wenn man eine seiner Kisten in meine Wohnung tragen will. „Da muss man auf dem Boden pennen, weil sie es nicht hinkriegen, am gleichen Tag die Möbel zu liefern, dann heißt es, man bekommt sie erst nächste Woche und jetzt komm ich vom Friseur und diese unfähigen Idioten verteilen mein Zeug im ganzen scheiß Wohnheim!“, flucht er, ohne eine Atempause zu machen, und ich weiß nicht, ob er das nun zu sich selbst, oder zu mir sagt. „Na super,“ stöhne ich und auch er kann sich aussuchen, ob ich das nun zu mir selbst gesagt habe, oder ob es eine Antwort auf sein Gerede gewesen war. Ich bin jedenfalls nur noch angepisst. Ich hoffe, es zieht nicht noch jemand um diese Zeit ein, es reicht schon, wenn jetzt keiner mehr weiß, wem was gehört. Das heißt, dass ich vermutlich bald meine ganzen Kisten untersuchen muss, ob nicht eine von meinem liebreizenden Nachbarn dabei ist. Eben jener herrscht in dem Moment einen Möbelpacker an („Die Kiste gehört auch mir! Sieht man doch, dass da mein Name drauf steht!!!“) und ich überlege, ob ich ihn ein wenig beruhigen soll, ehe er noch wen verprügelt, als ein lautes Klirren ertönt. Ich fahre zusammen und blicke zum Treppenabsatz, wo eine Kiste auf dem Boden aufgekommen ist. „MEINE KAFFEEMASCHINE!“, brülle ich empört und muss mich korrigieren. Der Tag kann noch schlimmer werden! „Tut mir Leid, mein Junge,“ entschuldigt sich der Mensch, der schon für meine kaputte Ecke verantwortlich war, und wuchtet die Kiste in meine Wohnung. „Ist mir aus der Hand gerutscht,“ erklärt er im Vorbeigehen und ich werde das Gefühl nicht los, dass sie ihm absichtlich aus der Hand gerutscht ist, weil ich ihn so angefaucht habe. Wenigstens scheint die Spitze des Eisbergs jetzt endgültig erreicht. Der Rest des Umzugs verläuft nämlich unfallfrei und irgendwann sind die Möbelpacker endlich weg. „Unfähiges Pack,“ faucht mein neuer Nachbar weiter munter vor sich hin, kaum ist der letzte Mann verschwunden. „Allerdings,“ gebe ich ihm Recht und mir fällt auf, dass wir uns noch gar nicht richtig begrüßt haben. „Hey übrigens,“ grinse ich. Er blickt mich kurz verwirrt an, ehe er ebenfalls grinst und ein ‚Hey’ erwidert. „Dann geht’s ja jetzt wohl ans auspacken,“ stöhnt er und blickt über die Schulter in seine Wohnung. „Leider wahr,“ stimme ich zu und sehe ihm nach, während er in sein kleines Reich tritt und die Türe hinter sich schließt. Erst, als diese ins Schloss gefallen ist, raufe ich mich zusammen, auch in meine Bude zu gehen. Ich habe jetzt schließlich keine Zeit für neue Nachbarn. Hier warten schließlich Kisten über Kisten freudig darauf, ausgepackt zu werden. Meine Laune vergeht mir allerdings, als ich im Flur zum stehen komme und sich die Tür hinter mir mit einem lauten Knall schließt. Ich sehe auf das Chaos von Kisten, Möbeln und Sonstigem, das alles an seinen Platz geruckt werden muss. Irgendwie habe ich plötzlich das dringende Bedürfnis, wegzurennen. Aber dann werde ich erst Recht nicht fertig. So schiebe ich die erste Kiste über das dreckige Parkett und öffne sie mit einem Cutter. Schon grinsen mir die Überreste meiner geliebten Kaffeemaschine hämisch entgegen und die Lust verlässt mich wieder. Mürrisch lasse ich Kisten Kisten sein und schrubbe zu meinem Sessel, um mich darauf fallen zu lassen. In der Küche beginnt der Wasserhahn wieder zu tropfen und ich komme mir ein wenig verarscht vor. Irgendwie ist gerade alles scheiße, denke ich und blicke mich in meiner persönlichen Hölle um. Um das noch zu untermalen, dringt im nächsten Moment ohrenbetäubender Krach – in Form von extrem gewöhnungsbedürftiger Musik – aus der Nachbarwohnung. Ich stöhne auf und nehme mir doch vor, auszupacken. Entspannen kann man bei dem Lärm eh nicht mehr und ich habe auch keine Lust, es mir schon jetzt mit meinem cholerischen Nachbarn zu verscheißen, in dem ich mich beschweren gehe. Also schleppe ich ein paar Kisten in die Küche, werfe die Überreste meiner Kaffeemaschine in den Müll und mache mich daran, meine Teller und alles weiter auszupacken. In der Küche bin ich schnell fertig, aber wirklich schlimm wird das Wohnzimmer, in dem ich einfach all meinen Kram unterbringen muss. Vorher sollte ich aber vielleicht ein wenig kehren… Es ist schon elf Uhr nachts, als ich keine Lust mehr habe, weiter auszuräumen, Möbel zu stellen und Staub zu wischen. Ich weiß nicht genau, was ich die ganze Zeit gemacht habe, jedenfalls steht noch immer alles voll mit unausgepackten Sachen. Das einzige Gute ist, dass der Verrückte neben mir seine Musik ausgemacht hat. Ich seufze und komme mir ein wenig vor, als wäre ich in der Kammer des Schreckens gelandet. Müde lasse ich mich auf mein Bett fallen, schließe die Augen und bin so gleich eingeschlafen. Kapitel 1: Bandproben und Kaffeejunkies --------------------------------------- Ich möchte gerade zum Bäcker, um den Tag mit einem leckeren Croissant zu beginnen, als sich ein merkwürdiges – wenn auch sehr lustiges – Schauspiel vor mir auftut. Ich rede von meinem Nachbarn, welcher fast gänzlich von zwei Einkaufstüten verdeckt wird und dabei ist, diese die Treppe hoch zu wuchten. Fast stolpert er noch über den hässlichen Teppich, der in der Mitte des noch hässlicheren Flurs ausgelegt ist und von dem der Wohnheimsleiter darauf beharrt, dass er auch unbedingt dort liegen bleiben muss. Zu meinem wirklichen Erstaunen knallt er nicht hin, sondern findet seine Balance wieder und schleppt seine Einkäufe weiter zur Türe. Eigentlich eine gute Idee. Übermorgen – heute ist Samstag - werde ich meinen ersten Tag an der Hochschule haben und damit beginnt sicher eine stressige Woche, in der ich nicht mehr zum einkaufen kommen werde. Ich beschließe, nach dem Frühstück auch noch mein Zeug kaufen zu gehen, während ich das emsige Kerlchen weiter beobachte. Er scheint mich nicht zu bemerken, ist sicher zu beschäftigt. Gerade versucht er nämlich, seinen Schlüssel in seiner Gesäßtasche zu finden, während er weiterhin mit den Tüten balanciert. Drei lose Äpfel, zu oberst einer dieser Tüten, rollern schon gefährlich nahe zum Rand. Ein wenig sehe ich noch zu, ehe ich mein Amüsement beiseite schiebe und mir ein Herz fasse. „Kommst du klar?“, biete ich ihm meine Hilfe an. In dem Moment findet er den Schlüssel und schiebt ihn in das dafür vorgesehene Loch. „Natürlich, kein Ding,“ meint er betont fröhlich und reißt an der Türe. Sie öffnet sich nicht. Ich trete näher und sehe endlich sein Gesicht, das eindeutig genervt aussieht. „Warum krieg ausgerechnet ich die Wohnung mit der klemmenden Türe?“, flucht er schon wieder und ehe ich eingreifen kann, reißt er noch einmal mit aller Kraft daran. In dem Moment springt sie auf und er taumelt zurück, landet mit all seinen Einkäufen auf dem Boden. Ich blicke den Äpfeln nach, die gemütlich den Gang entlang rollen. „ICH HASSE ES!“, brüllt das entnervte Wesen auf den Boden und sieht mich an. Ich kann mir ein belustigtes Grinsen nicht verkneifen, obwohl das nicht zu seiner Laune beitragen wird. „Sag. Jetzt. Nichts.“, fordert er mich auf und sammelt dann mit wenigen Handgriffen sein Zeug wieder zusammen. Ich helfe ihm und suche nach den verschollenen Äpfeln. Wenig später stehen wir uns gegenüber, er mit seinen Einkäufen in der Hand, ich mit ein paar Äpfeln. „Danke,“ lächelt er mich an und wirkt schon wieder besänftigt. Dann meint er entschuldigend: „Ich hab mich noch gar nicht vorgestellt. Ich bin Valentin. Und du bist…?“ Zum ersten Mal sehe ich ihn richtig an. Er ist ein ganz hübsches Kerlchen, aber vor etwa einem Jahr hätte ich ihn wohl noch als Freak abgestempelt, mit seinen schwarzen Haaren, den umrandeten Augen und den engen Klamotten. Zu der Zeit damals, ist jedenfalls Jona zu uns in die Basketballmannschaft gekommen. Seinerseits auch ein Emo, aber der talentierteste Spieler, der mir je untergekommen ist. Und nebenbei auch noch ein wunderbarer Freund. Seitdem wir ihn in der Mannschaft hatten, sind unsere Vorurteile wie weggeblasen. Lange Rede, gar kein Sinn, ich blicke meinen neuen Nachbarn an, der mich erwartungsvoll mustert, seine Einkäufe an seinen schlanken Körper gepresst. Da fällt mir auf, dass ich noch gar nicht geantwortet habe. „Joshua,“ sage ich also hastig, „Aber du kannst mich ruhig Josh nennen.“ „Okay, Josh,“ meint er und tritt in seine Wohnung. „Komm doch mit rein, dann mach ich uns einen Kaffee…“, er sieht mich breit grinsend an, „Hast du sicher nötig, nachdem diese Idioten deine Kaffeemaschine demoliert haben.“ Er wartet nicht darauf, ob ich ihm folge, sondern geht einfach davon aus. Und weil ich eh nichts sehr viel besseres zu tun habe und in der Tat für einen Kaffee morden würde, folge ich ihm. Ich bereue es allerdings sofort, denn Valentins Wohnung ist ein einziges Chaos. Ich dachte ja, ich hätte in meinen paar Zimmern noch genug zu tun, aber er hat fast noch gar keine Kiste ausgeräumt. Dafür fliegen überall Klamotten und CDs herum. „Valentin bemerkt meinen amüsierten – und auch irgendwie erleichterten – Blick und meint lahm: „Hey… sorry… ich habe noch keinen Kleiderschrank.“ Ich blicke skeptisch auf die vollen Kisten. „Außerdem will ich streichen. Da lohnt es sich nicht, erst alles auszupacken. Sonst wird’s nur dreckig.“ Ich hab das Gefühl, dass das nur die halbe Wahrheit ist, aber ich sage nichts, grinse nur. Er reicht mir einen Kaffee, den ich mit Freuden an mich nehme. „Streichen könnte ich meine Wohnung eigentlich auch mal,“ bemerke ich dann und lasse mich auf einem Küchenstuhl nieder, blicke zu Valentin. „Jetzt erzähl mal. Was studierst du?“ Irgendwie scheine ich da sein Lieblingsthema getroffen zu haben, denn er strahlt mich an und setzt sich mir gegenüber, ehe er meint: „Ich bin auf der Musikhochschule.“ Dann erzählt mir in knappen Sätzen, dass er auf diese Schule möchte, seit er in der Grundschule das erste Mal vor anderen hat singen müssen. Anscheinend ist er auch noch extrem clever, denn er hat die dritte Klasse übersprungen und wohl auch sonst hart gearbeitet. Er hat wohl sogar in einer Band gespielt, ehe er hier her kam. „Cool,“ pfeife ich anerkennend und sehe ihn dann fragend an: „Und was willst du dann später machen?“ Er scheint darüber nachdenken zu müssen. „Am liebsten würde ich ja mit meiner Band auf Tour gehen,“ grinst er dann. Ich muss lachen. „Aber ansonsten unterrichten.“ „Das würde ich auch gerne,“ gestehe ich. Er lächelt mich an und streicht sich eine Strähne aus dem Gesicht. Seine Frisur sieht aus, wie explodiert. Steht ihm aber total. „Hast du schon eine neue Band gefunden?“, frage ich dann und er nickt. „Wir heißen ‚True Blood’*. Uns gibt es jetzt seit einer Woche. Kennen gelernt haben wir uns an einem Schnuppertag an der Schule. Da war uns sofort klar, dass wir zusammen Musik machen wollen. Gestern hatten wir auch schon Probe. Ist zwar noch alles andere, als harmonisch, aber das wird schon. Wir sind alle sehr talentiert, weißt du.“ Dann errötet er ein wenig und entschuldigt sich, dass dies sicher eingebildet klang. Ich winke ab und finde das niedlich. „Gar nicht. Du kannst doch zu deinem Talent stehen. Und was genau spielst du?“ „Gitarre. Und Klavier. Aber in der Band mach ich nur Gitarre und die Vocals.“ „Cool,“ meine ich erneut und ich frage ihn, ob ich mal zuhören darf. Daraufhin nickt er euphorisch und ich glaube, ich konnte ihm gar keine größere Freude machen. Schon lustig. „Jetzt erzähl aber du mal,“ fordert er mich daraufhin auf. „Das du unterrichten willst, weiß ich ja jetzt, aber was genau studierst du eigentlich?“ Also erzähle ich ihm, dass ich Sport studiere und dass ich versuchen werde, in das Basketballteam der Hochschule zu kommen. „Und du warst Vizekapitän in deinem alten Team? Klingt ja ungemein cool,“ befindet er und gießt sich seinen zweiten Kaffee ein. Ich habe gar nicht mitbekommen, dass er seine Tasse schon leer hat. Ich blicke auf meine halbvolle Tasse und leere diese ebenfalls. „Na ja,“ winke ich dann ab. „Basketball ist einfach mein Leben.“ Dann schwärme ich ein wenig, auch wenn er gar keine Ahnung von dem Sport zu haben scheint und bitte ihn letztlich um eine weitere Tasse Kaffee. „Ich bin total auf Entzug,“ meine ich peinlich berührt, worauf er nicht weiter eingeht, sondern mir nur nachschenkt. „Ich würde sterben ohne Kaffee,“ erwidert er irgendwann und fragt dann, ob er mal zu einem meiner Spiele kommen darf. Ich willige ein, schon alleine, weil er mich so bittend ansieht. „Insofern ich es ins Team schaffe,“ füge ich hinzu. Dessen bin ich mir aber eigentlich recht sicher. Das sage ich aber lieber nicht. Danach trinken wir schweigend unseren Kaffee zu Ende, ehe ich mich verabschiede. Ich möchte noch ins Fitnessstudio, ein wenig Kraft für die Probespiele tanken und einkaufen muss ich ja auch noch. Am Montag habe ich eigentlich recht gute Laune. Ich habe am Samstag und den ganzen gestrigen Tag die restlichen Kisten ausgeräumt, alles andere ist auch erledigt und ich verstehe mich gut meinem Nachbarn. Meine gute Laune wird allerdings gedämpft, als der erste Tag in meiner neuen Schule schon in einem reinen Desaster endet. Zuerst komme ich zu spät, weil ich mich verlaufe und im falschen Raum lande, dann rempelt mich in der Pause jemand an und schüttet mir dabei noch seinen Kaffee über mein Hemd, und zu guter Letzt wurde ich Zeuge davon, dass sich total viele Menschen für das Vorspielen im Basketball eintragen, die größer und sportlicher aussehen, als ich. Können die sich nicht für Fußball eintragen oder für… Rugby, frage ich mich mit bitterer Miene, während ich den Heimweg antrete. Ein wenig missmutig schließe ich meine Wohnungstüre auf und will mich gerade mit depressiver Stimmung isolieren, als es unten klappert und Valentin mit wütendem Gesicht die Treppen hoch stürmt. Irgendwie regt sich der Junge zu viel auf. „Lass mich raten,“ meine ich und sehe ihn – noch immer fix und fertig – an, „Dein Tag war genauso beschissen, wie meiner?“ Er bleibt vor mir stehen und nickt. „Unser Drummer hat uns sitzen gelassen. Folglich hatten wir einen extrem beschissen Auftritt. Und jetzt haben wir wohl kaum Chancen, beim Sommerfest zu spielen.“ Das Sommerfest*. Davon hat er mir gestern schon berichtet. Wohl eine Art Stadtfest, bei dem die Hochschule eine Band ins Rennen schickt. „Natürlich haben wir noch die minimale Chance, bis Mittwoch einen neuen Dummer zu finden, der auch noch mit uns harmoniert. Weil am Mittwoch nämlich noch mal Vorspielen ist.“ Er rauft sich die Haare – schwerfällig, weil er nämlich einen Starbuckskaffee mit sich herumträgt. Das wird in der Tat schwer, in zwei Tagen jemand neues zu finden, da kann ich ihn leider nicht wirklich aufheitern. Er tritt jedenfalls mit voller Kraft gegen die Wohnungstüre, die daraufhin gleich noch schiefer aussieht, als eh schon. Danach scheint er sich abreagiert zu machen, dann sein Körper entspannt sich etwas. „Also,“ meine ich in dem Moment langsam und beiße mir auf die Lippen, ehe ich fortfahre. „Ich kann auch Schlagzeug spielen. So als Notlösung…“ In dem Moment mutiert er zu einem wahren Atomkraftwerk, strahlt mich an und fällt mir spontan um den Hals. „Oh, ich liebe dich! Danke Josh. DANKE!“ Und im nächsten Moment hat er Hummeln im Arsch oder so. „Ich gebe dir später die Songs rüber, damit du üben kannst!“, ruft er und stürmt auf und davon, um die anderen Leute aus seiner Band zu benachrichtigen. Ich sehe ihm nach und seufzte. Was hat mich geritten, so etwas anzubieten? Als hätte ich keine eigenen Sorgen. Was interessieren mich dann seine Probleme? Wir kennen uns ja kaum. Aber jetzt gibt es kein Zurück mehr… Es ist später am Abend, als jemand an meiner Türe Sturm klingelt. Ich kann mir denken, wer es ist und mühe mich aus meinem Sessel, um zu öffnen. Tatsächlich steht vor mir ein schon beinahe vertrautes Bild: Valentin mit einem Coffee to go in der Hand. Ich kenne ihn zwar kaum, aber ich weiß, dass er ständig Kaffee mit sich herum trägt. Ich glaube, ich habe ihn noch nie ohne Kaffee gesehen. In der anderen Hand hat er jedenfalls einen ganzen Haufen Noten, Songetexte und CDs, was er alles krampfhaft umklammert. „Hey,“ begrüße ich ihn und lasse ihn eintreten. „Leg das Zeug einfach auf dem Küchentisch ab.“ Das tut er nur all zu gerne, eh er sich in meiner Wohnung umblickt. Ich bin froh, dass ich vorhin noch aufgeräumt habe und jetzt wirklich alles ordentlich ist. Nur noch die zusammengefalteten Umzugkartons im Flur zeugen davon, dass ich erst vor kurzem eingezogen bin. „Hier riecht’s voll nach Vanille,“ stellt er als erstes fest, was mir persönlich gar nicht auffällt. Wahrscheinlich bin ich einfach daran gewöhnt. Könnte das Waschmittel sein… „Ist wirklich hübsch hier,“ meint er dann. „Danke,“ erwidere ich und sehe ihm zu, wie er sich weiter umsieht. Weil das auf Dauer ein langeiliges Schaupsiel ist, blicke ich auf den ganzen Kram, der sich auf meinem Tisch häuft und zerre wahllos einen Zettel hervor. Ich blicke auf das Textbaltt in meiner Hand. „’Losing you’ von ‚Dead by April’,“ lege ich vor und zieh die Brauen hoch. „Muss ich die kennen?“, wende ich mich an Valentin. Die Frage bereue ich in dem Moment, in dem er zu mir herumfährt und mich aus großen, empörten Augen ansieht. „’Dead by April’ ist eine der geilsten Bands ever!“, klärt er mich dann auf. „Natürlich musst du die kennen!“ Empört reißt er mir den Zettel aus der Hand, um damit vor meiner Nase herum zu wedeln. „Und diesen Song musst du unbedingt drauf haben, weil meine Stimme da total gut zur Geltung kommt!“ Fast macht er mir ein wenig Angst, wie er sich da hineinsteigert. Aber weil ich verstehe, dass das wichtig für ihn ist, sage ich nichts dazu und hoffe nur darauf, dass der kleine Wirbelwind vor mich nicht platzt, vor lauter Aufregung. „Ich krieg das schon hin, keine Angst,“ beschwichtige ich ihn also lieber und nehme mir ein neues Blatt. ‚Something’ von ‚Escape the fate’. Ich verkneife mir, nach dieser Band zu fragen. Sonst explodiert er noch… „Die Songs, die ganz wichtig sind, habe ich rot markiert,“ erklärt er mir und irgendwie ist fast jeder Song rot markiert. „Die anderen kannst du ja üben, wenn du noch Zeit dafür hast!“ Er lässt sich auf einem Stuhl nieder, der in der Küche steht und trinkt seinen Kaffee leer. „Wäre wirklich super, wenn du dich da ein wenig rein findest, damit wir morgen Nachmittag proben können.“ Eigentlich habe ich dafür ja gar keine Zeit. Aber irgendwie kann ich ihm keinen Wunsch abschlagen, während er hyperaktiv auf meinem Stuhl rumwackelt und mich anlächelt. Und ich habe mich ja auch angeboten. „Worauf habe ich mich da nur eingelassen,“ söhne ich dennoch und wuschle ihm durchs Haar. „Hey, nicht,“ quiekt er daraufhin sofort. „Für die Frisur hab ich ne Stunde gebraucht,“ murmelt er dann und grinst mich an. Eine Stunde, denke ich entsetzt und frage mich, wie man sich als Kerl nur so lange frisieren kann. Aber Valentin ist eh eine Sache für sich und bei dem geordneten Chaos auf seinem Kopf ist es irgendwie klar, dass man das nicht in fünf Minuten fertig bekommt. „Außerdem bist du selbst Schuld. Du hast dich angeboten,“ geht er auf mein Gestöhne zuvor ein. Und damit sind wir auch schon wieder beim springenden Punkt. „Ich hoffe nur, ich bereue es nicht,“ necke ich ihn. Er grinst zurück und verspricht: „Wirst du nicht.“ Dann springt er auf. „So. Und jetzt geh ich erst Mal einen Kaffee trinken.“ Und schon ist er weg und ich sehe ihm nach. Was für ein Junkie, grinse ich und frage mich, was er sich eigentlich noch so alles in den Kaffee kippt. Koffein hin oder her, dieser Tatendrang kann doch nicht normal sein. Ich strecke mich genüsslich und blicke dann wieder auf meinen Küchentisch, schnappe mir ein paar Blätter und pflanze mich damit auf meinen Lieblingssessel. Aber im Ernst, man. Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Der zweite Tag in meiner Schule ist wesentlich entspannter. Ich bin Pünktlich, die Lesung interessant und die Liste mit den Spielern ignoriere ich einfach, so gut es geht. Erfreut, über den gelungen Verlauf des bisherigen Tages, stehe ich gegen vier Uhr in meinem Bad und zupfe an meinen Haaren herum. Zugegeben, meisten föhne ich sie und wuschle noch mal durch und dann fallen sie so, wie sie sein sollten. Und das, obwohl sie fast kinnlang sind. Heute scheinen sie mich aber ärgern zu wollen. Ich kann tun, was ich will… meine braune Haarpracht macht nicht mit. Vielleicht bilde ich mir das aber auch nur ein, weil Valentin mich mit seiner Stunde Haarpflege irgendwie irritiert hat. Als es klingelt, fahre ich entsetzt zusammen – jetzt sieht mich jemand auch noch so - und eile dann zur Türe. „Valentin?“, stelle ich erstaunt fest, als ich diesen erblicke. Er wollte erst in einer Stunde hier sein, um mich zur Probe abzuholen. „Huhuuu,“ macht er jedenfalls und wirbelt förmlich in meine Wohnung. „Ich wollte dir für heute Absagen. Ich hab in meiner Klasse einen Kerl gefunden, der sehr gerne die Drums übernehmen würde und die Songs schon von seiner alten Band kennt. Also der ideale Kandidat für eine dauerhafte Besetzung.“ „Oh“, meine ich nur und bin ehrlich enttäuscht, was mich am meisten verwundert. Ich blicke pikiert auf den Kaffeebecher in seiner Hand, um ihm nicht in die Augen sehen zu müssen. „Trinkst du eigentlich noch was anderes?“, rutscht es mir heraus und schon wieder habe ich was gefunden, auf das er empört reagieren kann. „Natürlich!“ Er wedelt mit dem Kaffee herum, so dass ein wenig herausspritzt. „Wasser!“ „Und auf wie viel Liter kommst du dann am Tag? Zehn?“ Ich muss ihn einfach ein wenig ärgern. „Natürlich nicht,“ murrt er und stemmt die Hände – so gut es eben geht – in die Hüften. „Allerdings behaupten immer alle, dass ich eine Blase hätte, wie ein Mädchen.“ Jetzt muss ich lachen und ertappe mich dabei, wie ich schon wieder an meinen Haaren herumhantiere. Irgendwie habe ich das Gefühl, total scheiße auszusehen. Und irgendwie will ich vor Valentin nicht scheiße aussehen. Als ich ihm seine Songs hole, nimm die Enttäuschung wieder Überhand. Obwohl ich ja eigentlich froh sein kann, dass ich mich damit jetzt nicht auch noch herumärgern muss. „Du kommst aber trotzdem mal mit zu einer Probe, oder?“, fragt er, während er das ganze Zeug an sich nimmt. Als ich nicke, winkt er mir kurz zu, ehe er mit einem „Super, ich muss dann los!!! Bis später!“ verschwindet. Und schon ist er weg und ich bleibe auf meinem Flur stehen, starre ihm nach und fühle mich irgendwie abserviert. Herzlichen Glückwunsch auch, Josh, denke ich verbittert. So schlimm habe ich mich in der Tat das letzte Mal gefühlt, als meine Ex – Tamara – mit mir Schluss gemacht hat, als ich weggezogen bin. Das Dümmste daran ist, dass ich nicht mal weiß, warum ich so schlecht darauf bin. Ich meine, es ist ja nicht so, als wäre die Band mein neuer Lebensinhalt geworden. Aber irgendwie wäre es cool gewesen, ein wenig Zeit mit Valentin zu verbringen. Ich mag ihn nämlich. Er ist amüsant. Andererseits heißt das ja nicht, dass ich ihn gar nicht mehr sehe. Sicher sehe ich ihn noch öfter, als mir lieb sein wird. „Wha!“, mache ich genervt von mir selbst, weil ich so viele komplett bescheuerte Gedanken hege. Was ist denn los, man. Es gibt gar keinen Grund, enttäuscht zu sein. Ich hab mich zwar gefreut, aber die Welt geht jetzt nicht unter. Außerdem habe ich ja jetzt Zeit für mich, die ich nutzen kann, um ein wenig Basketball zu spielen. Also schnappe ich mir einen Ball und mach mich auf, um Körbe werfen zu gehen. Die Zeit im Basketballteam war bisher die beste Zeit in meinem Leben. Ich hatte einfach alles, was ich mir nur vorstellen konnte. Wir waren einige der coolsten Schüler und mein bester Freund war der Kapitän des Teams. Auch mit den meisten anderen habe ich mich bestens verstanden und wir haben uns fast jeden Tag nach der Schule getroffen, um ein paar Körbe zu werfen oder gegeneinander zu spielen. Bei all der Leidenschaft waren wir zwar nicht die besten, aber das hat sich schlagartig geändert, als erst Chris und dann Jona in unser Team gewechselt sind. Beide absolute Ausnahmetalente und total engagiert. In meinem letzten Jahr haben wir dann tatsächlich die Schulmeisterschaften gewonnen und leider war damit aber auch der Traum zu Ende. Noch immer in Gedanken vertieft, werfe ich, bis es dunkel wird, ehe ich nach Hause zurückkehre. Als ich im Wohnheim ankomme, weiß ich, dass Valentin noch nicht zurück ist. Von der Straße aus erkennt man unsere Zimmer und in seinem brennt kein Licht. Dabei brenne ich doch darauf, zu erfahren, wie die Probe gelaufen ist und ob der Drummer halten konnte, was er versprochen hat. Ich werde mich also noch gedulden müssen und beschließe, so lange zu duschen. Wenig später sitze ich nur im Bademantel auf meinem Sessel, der im Moment doch mein treuester Freund ist, ziehe die Beine an und wühle die Nummer von Benni. Über all das Basketballspielen habe ich einfach Lust bekommen, ihn anzurufen. „Josh, hey,“ begrüßt er mich, weil er natürlich meine Nummer schon auf seinem Dispaly erkannt hat. „Wie geht’s dir, Kumpel?“, will er dann sofort wissen. Ich erwidere, mir gehe es gut und frage ihm nach seinen Befinden. Dann will ich unbedingt wissen, wie es an seiner Uni ist. Ich habe noch gar nicht erwähnt, dass Benni mit mir Abschluss hatte und jetzt Medienwissenschaften studiert. Zuerst wollte er erst Profi werden, wie wir alle eigentlich, hat es sich dann aber anders überlegt und sich für eine seriösere Laufbahn entschieden. Dafür spielt er aber noch in einer kleinen Stadtmannschaft. So richtig vom Ball kann er sich wohl einfach nicht lösen. „Ganz cool Ich muss noch rein kommen, aber es macht Spaß. Und bei dir?“ „Das Gleiche,“ erwidere ich, aber so schnell werde ich ihn nicht von Thema loskriegen. Also erzähle ich ihm, dass die Konkurrenz bei Vorspielen sehr hoch ist. „Einige sind richtig gut. Ich hoffe, ich kann da noch überzeugen.“ Ich seufze, weil mich das ganze schon wieder runter zieht. Da tröstet mich auch sein Zuspruch nicht. „Dir hätte es hier sicher auch gefallen,“ meine ich dann. Es wäre so schon gewesen, mit meinem beten Freund zu studieren. Aber Sportlehrer oder Sportwissenschaftler oder was auch immer, das ist einfach nicht Bennis Welt. Entweder ganz nah am Ball oder was anderes. „Und ich bin glücklich, hier in Dortmund,“ erklärt er mir. „Am Wochenende kann ich nach Hamm zurück fahren und Jona sehen. Von Köln aus ginge das nicht so leicht.“ „Ja, ich weiß.“ Das ist auch das einzige, was mich an Köln stört. Ich vermisse sie alle ganz sehr. Nicht nur Benni und seinen Freund. Sondern auch alle anderen aus dem Team. „Wie geht es Jona? Kommt er klar?“ „Sonst wäre er nicht Jona, oder?“ Wir müssen lachen und ich kann mir vorstellen, wie Benni bei diesem Thema unwillkürlich das Grinsen anfangen wird. Was für ein hoffnungsloser Fall. Für uns alle war es damals ein keiner Schock, als Benni uns eröffnet hat, er hätte ich in Jona verliebt. Davor war Benni ein richtiger Frauenschwarm, hatte eines der geilsten Mädchen der Schule zur Freundin. Irgendwann hat er mir dann gesteckt, er hätte eine Affäre mit unserem Lieblingsemo und kurz darauf hat er auch mit Amelie – so hieß seine Freundin – Schluss gemacht. „Er wird eh irgendwann Profi,“ scherze ich, aber eigentlich ist das gar kein Scherz. Wir glauben alle, dass Jona irgendwann in der Profiliga spielt. „Die lecken sich eh schon die Finger nach ihm,“ erläutert mir Benni daraufhin. Das kann ich mir nur all zu gut vorstellen. Ich strecke mich genüsslich in meinem Sessel und fühle mich gleich um einiges Wohler. Es tut so gut, von Benni zu hören. Und wenn er von den anderen erzählt, dann fühle ich mich fast, wie zu Hause. „Hast du schon Anschluss gefunden?“, möchte ich von ihm wissen und weiß, dass dem so ist. Benni ist ein sehr offener Typ, komplett kontaktfreudig. Er findet einfach überall sofort Freunde. Ich hingegen bin zwar auch ein netter, offener Mensch, tue ich mich aber schwer, wirklich tief greifende Freundschaften aufzubauen. „Du kennst mich doch,“ erwidert Benni jedenfalls nur und bestätigt damit meine Vermutung. „Und wie sieht’s bei dir aus?“ Daraufhin fällt mir als erstes Valentin ein und so meine ich: „Na ja… in meinen Kursen hab ich mit noch kaum jemanden wirklich geredet. Das sind irgendwie alles Einzelkämpfer. Der einzige, mit dem ich mich ganz gut verstehe, ist mein Nachbar.“ „Das ist mehr, als ich erwartet hätte,“ neckt er mich und ich muss grinsen. „Ja, ich weiß schon. Aber er ist wirklich okay, wir verstehen uns ganz gut und so.“ Irgendwie habe ich das Bedürfnis, noch mehr über Valentin zu erzählen. Aber ich reiße mich zusammen. Außerdem meint Benni in dem Moment: „Ich muss jetzt Schluss machen, sorry. Ich hab Jona versprochen, ihn um Halb anzurufen.“ Und so verabschieden wir uns und ich lege auf. Nach dem Gespräch muss ich erst Mal seufzen. Jetzt hab ich irgendwie Heimweh bekommen und fühle mich alleine. Aber ich habe keine Zeit, in Selbstmitleid zu versinken, denn in dem Moment klingelt es. * Der Name kam mir, weil ich die gleichnamige Serie gesehen habe, als ich die Idee zu der FF hatte. XD Ich hoffe mal, es gibt keine Band, die so heißt. Wenn doch, haben die Pech. Die Band gehört jetzt zu Valentin. ;P * Das Sommerfest ist auf meinem Mist gewachsen, um Valentin das Leben schwer zu machen. Keine Ahnung, ob es das so oder anders gibt und in wie weit die Musikhochschule dann evtl. involviert ist. Kapitel 2: Schlittenfahrende Bärchen ------------------------------------ Perfektes Timing, sagt man wohl dazu. Ich erhebe mich aus meinem Sessel und eile zur Türe, um diese zu öffnen. „Du schon wieder,“ meine ich belustigt, als ich Valentin (Erschütternder Weise ohne Kaffee!!!) entdecke. „Hast du kein Zuhause?“ Er verzieht den Mund. „Theoretisch weißt du ganz genau, dass ich ein Zuhause habe,“ murrt er und tritt ein. „Ich dachte, es interessiert dich vielleicht, wie der Kerl so spielt…“ Er mustert mich. „Hübscher Bademantel.“ Auf das mit dem Bademantel gehe ich gar nicht ein, ziehe ihn nur enger, weil ich mich plötzlich nackt fühle. Na toll. „Bei der Laune, die du da an den Tag legst, weiß ich jetzt schon, wie er gespielt hat.“ „Oh nein, das ist es nicht, er spielt gut“ winkt er daraufhin aber ab. „Aber alles muss sich nur nach ihm drehen. Sing das doch anders, mach da doch ne Pause, kann ich nicht da ein Solo einbauen…“, äfft er ihn nach und sieht mich frustriert an. „Wir sind eine Band und nicht seine Skalven.“ Er grummelt noch weiter vor sich hin, während er geradewegs in meine Küche marschiert und pikiert auf meine leere Anrichte blickt. „Leg dir doch endlich mal ne neue Kaffeemaschine zu,“ wendet er sich dann reichlich hysterisch an mich. Fast muss ich lachen, aber ich verkneife es mir. „Dann werdet ihr euch doch einen neuen Drummer suchen?“, frage ich, während ich ihm einen kalten Kaffee aus dem Kühlschrank hole und ihm den Becher reiche. Man kann richtig sehen, wie sich seine Augen erhellen und nun muss ich doch grinsen. Er öffnet den Fertigkaffee und nimmt einen großen Schluck. Irgendwie wirkt das, als wäre es sein Lebenselixier. Er sieht gleich frischer und entspannter aus, wie er sich jetzt gegen meine Anrichte lehnt. „Na ja…,“ geht er auf meine Frage ein, „Wir sind geteilter Meinung. Kevin – unser Gitarrist – und ich sind der Meinung, der Typ passt nicht zu uns. Leon – der Bassist – findet, er sei talentiert und würde das Sehrwohl tun. Also eine heikle Sache.“ Er seufzt. „Dann liegt die Lösung aber doch auf der Hand,“ erläutere ich, „Wenn ihr jemand findet, der genauso gut oder noch besser ist, wie der Idiot, dann wird Leon nichts dagegen sagen. Wenn nicht, wäre es ja Unsinn, diesen talentierten Kotzbrocken zu kicken, nicht?“ „Jaaa,“ meint er daraufhin gedehnt. „Manchmal bist du echt clever, Josh,“ grinst er dann und legt den Kopf schief. „Dann drück mir mal die Daumen, dass da draußen ein ganz talentierter Drummer wartet, der sich nichts mehr wünscht, als in meiner Band zu spielen.“ Wie er das sagt, klingt es irgendwie unmöglich, aber ich bin sicher, er kriegt das schon hin. „Wer würde nicht gerne in deiner Band spielen,“ ärgere ich ihn und schlucke dann hart, weil ich mir plötzlich vorkomme, als würde ich ihn anflirten. Langsam drehe ich wirklich durch. Vielleicht liegt es ja daran, dass er mit seinen langen Haaren, der Schminke, den lackierten Nägeln und der schmalen Statur… na ja… aussieht, wie ein Mädchen. Weil mir bewusst wird, dass ich ihn anstarre, blicke ich schnell woanders hin. Mein Blick fällt auf den vergilbten Kühlschrank und ich nehme mir vor, den endlich mal abzuschrubben. Valentin bekommt von all dem aber irgendwie nichts mit. Er starrt nämlich mich an und meint: „Mal im Ernst… was hat dich geritten, dieses Ding anzuziehen?“ Und dann beugt er sich vor und piekst mit seinem Finger genau auf die Stelle meines Bademantels, auf dem ein schlittenfahrendes Bärchen prangert. „Ist ja ganz süß, aber nicht wirklich sexy,“ fügt er hinzu. Ich werde ein wenig rot und erwidere: „Ich will ja auch niemanden verführen. Außerdem bist du hier eingedrungen. Du solltest mich nie im Bademantel sehen!“ „Eingedrungen?“, wiederholt er gespielt aufgebracht. „Du hast mich doch rein gelassen.“ Er bläst empört die Backen auf, was wirklich süß aussieht und nicht gerade zum Wohl meines eh schon verwirrten Geisteszustandes beträgt. Dann seufzt er. „Eigentlich sollte ich jetzt gehen und mich hinlegen. Aber… ich hab so Angst vor Morgen.“ „Ihr werdet ganz sicher großartig spielen,“ versichere ich ihm, obwohl ich sie ja genau genommen noch nie spielen gehört habe und das gar nicht beurteilen kann. Aber irgendwie habe ich einfach das dringende Bedürfnis, ihn aufheitern zu müssen. Er nickt und fährt sich in einer fahrigen Bewegung mit der Hand über das Gesicht. „Wahrscheinlich schiebe ich Sebastian – so heißt der blöde Kerl und ich darf ihn auch nicht einfach Sebbi nennen – vorher seine Sticks in den Arsch,“ grollt er dann. Irgendwie würde ich das zu gerne sehen, wie Valentin diesen Kerl zur Sau macht. Aber das sage ich nicht. Ich lache nur auf und zerwühle seine Haare, weil ich genau weiß, dass ihn das wahnsinnig macht. „Dann weiß Sebastian wenigstens, wem er angehört,“ muntere ich ihn auf. Er murrt aber nur und sagt nichts weiter dazu. Auch nicht zu der Sache mit den Haaren, vielleicht, weil ihn heute eh niemand mehr sieht. „Und wie scheiße ist dein Leben gerade?“, fragt er dann und sieht mich direkt. Wahrscheinlich hat er keinen Bock mehr, die ganze Zeit von sich zu reden. „Geht so.“ Ich erzähle ihm, dass ich gerade mit meinem besten Freund telefoniert habe und dann noch ein wenig mehr von Benni. Das er in Dortmund studiert. Und das er schon total viele Freunde gefunden hat. „Jetzt hab ich irgendwie Heimweh, vor allem, weil mir mal wieder klar geworden ist, dass ich noch keine Freunde hier habe.“ „Ach.. und was bitte bin ich? Dein Hofkasper?“, murrt Valentin darauf beleidigt und ich muss laut los lachen, während ich ihn mir als Kasper vorstelle. Er macht eine beleidigte Miene. „Wir kennen uns doch erst seit ein paar Tagen,“ meine ich dann zu ihm. „Aber wenn es dich tröstet. Du bist mein absoluter Lieblingsnachbar und einziger Vertrauter, in dieser scheiß Stadt.“ „Das ist ne scheiß Stadt, ne,“ verbündet er sich daraufhin mit mir gegen Köln und alle Probleme, die unser Leben hier so mit sich bringt. Dann lachen wir. „Weißt du was,“ schlage ich dann vor. „Lass uns einen Actionfilm gucken. Das lenkt dich von Morgen ab und mich von der Tatsache, dass mich alle meine Kommilitonen irgendwie zu hassen scheinen.“ Und so stimmt er zu und wir gehen ins Wohnzimmer, wo wir eine DVD reinschieben. Endlich wird auch mal meine kleine Couch benutzt. Wir quetschen uns also auf diese und ich denke mir, dass es eigentlich doch gar nicht so schlecht hier ist, in Köln. Irgendwann wache ich auf, weil Valentin sich verabschiedet, um in sein eigenes Bett zu gehen. Scheint, als wären wir beide eingepennt. Es ist ein Uhr nachts und der Fernseher zeigt nur noch den Bildschirmschoner des DVD-Rekorders. Wir haben also den ganzen Film verpennt. Aber egal. Ich stehe auf, schalte den TV ab und schlafe dann auf meiner Couch weiter, weil es gerade so bequem ist. Als ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich total nervös, obwohl es eigentlich Valentin ist, der nervös sein sollte. Aber da ich die ganze Story um seine Band bisher live miterlebt habe, will ich nun unbedingt auch wissen, wie ihr Vorspielen denn nun gelaufen ist und ob sie am Sommerfest spielen dürfen. Aber mal wieder heißt es: Geduld. Doch ganz abgesehen von Valentin gibt ich noch etwas anderes, was mir auf den Magen schlägt. Nämlich die Tatsache, dass heute ausgehangen wird, wer wann zum Vorspielen für die Schulmannschaft dran ist. Deutlich verwirrt und extrem nervös, ziehe ich mich an und packe meine Sachen zusammen, ehe ich zur Schule eile. Ich will jetzt unbedingt wissen, wann ich dran bin und wer in meiner Gruppe ist. Ich hoffe, ich kann den Namen auch schon ein paar Gesichter zu ordnen, damit ich weiß, was auf mich zukommt. Als ich dann endlich vor den Aushängen stehe, trifft mich fast der Schlag. Ich bin in einer Gruppe, die bereits am Freitag spielen wird. Das ist in zwei Tagen. Ich schlucke schwer. Garantiert werde ich genauso nervös sein, wie Valentin gestern. Und das behagt mir nicht. Wenn ich nervös bin, kann ich nicht so gute Leistungen bringen. Wo ist nur mein Selbstvertrauen hin, das mir sagt, dass ich das auf jeden Fall packen werde? Den restlichen Tag verbringe ich in allgemeiner Unruhe, was mir ein paar seltsame Blicke von den Leuten einbringt, die sich über solche Dinge keine Gedanken machen müssen. Oder sie müssen es und kommen damit besser klar, aber wenn dem so ist, dann können sie mich mit ihrer Ruhe erst Recht mal am Arsch lecken. Als der Tag endlich vorbei ist, trotte ich schlecht gelaunt zum Wohnheim zurück. Gerade als ich die Türe aufschließen möchte, kommt auch Valentin an. „Wie wars?“, frage ich sogleich, ohne mich weiter mit Höflichkeiten aufzuhalten. „Dir auch einen guten Tag,“ erwidert er und grinst mich dann an. „Gut. Wir dürfen spielen!“ Ich fange an, begeistert zu grinsen, als würde es mich selbst betreffen. „Und Sebastian hat sich sogar human verhalten,“ ergänzt er dann noch. „Das hat er geschafft?“ meine ich ungläubig und wir kichern dämlich vor uns hin. Dann beglückwünsche ich ihn erst Mal und freue mich total. Da hat sich der ganze Stress für ihn ja doch gelohnt. „Hab ich nur dir zu verdanken. Hättest du mich gestern nicht abgelenkt, hätte ich sicher kein Auge zu getan und heute alles verbockt,“ grinst er mich an und ich verbeuge mich affig. „Hab ich doch gerne getan, Mylady.“ Er zeigt mir den Mittelfinger, grinst aber dabei. „Du kannst dich übrigens revanchieren,“ werfe ich dann ein. „Mein erstes Spiel ist am Freitag.“ „Freitag schon?“, meint er erstaunt, nickt dann aber. „Keine Sorge, du kannst dich auf mich verlassen.“ Danach verschwindet er in seiner Wohnung, Kaffee kochen. Was auch sonst? Ich lächle noch immer vor mich hin, weil ich mich so für Valentin freue, als ich in meine Wohnung trete und mir was zu Essen mache. Mit Fertignudeln und meinem Handy im Gepäck, lasse ich mich dann auf meinen Sessel fallen und wähle Jonas Nummer. Irgendwie habe ich gerade richtig Lust, mit ihm zu telefonieren. „Dich gibt’s ja auch noch,“ werde ich begrüßt und ich muss lächeln. Das ich Benni vermisse, ist irgendwie klar. Aber jetzt, wo ich Jonas Stimme höre, wünsche ich mir nichts mehr, als ein Match gegen ihn zu spielen. „Klar,“ meine ich. „Ich hab am Freitag mein erstes Spiel und dachte mir, da muss ich mich doch mal nach meinem alten Team erkundigen. Und wo könnte ich das besser, als bei dem neuen Starkapitän?“ Jona hat nämlich diesen Posten übernommen, weil sowohl Benni, als ich auch ich gegangen sind. Ich weiß gar nicht, wer Vizekapitän ist. Vielleicht Lukas, aber ich glaube eher, dass es Chris ist. Chris hat sich schon immer total für das Team engagiert, auch, was das organisatorische betraf. Und als Spielmacher hat er auch eine gute Position, um als Kapitän die Übersicht zu behalten. Jona lacht jedenfalls nur. „Was denkst du denn, wie es läuft?“ Ich verändere meine Position, während er weiterspricht. „Ich hab ein paar neue Talente entdeckt und die anderen Jungs leisten noch immer eine Klasse Arbeit.“ Ich kann mir vorstellen, wie er jetzt freudig in die Runde grinst. Wenn ich nämlich richtig liege, müssten sie gerade in der Umkleide sein, weil bald das Training beginnt. Tatsächlich höre ich ihn in dem Moment sagen: „Josh ist am Telefon.“ Und schon werden mir eine Haufen Grüße ausgerichtet, von all denen, die mich noch kennen. „Liebe Grüße zurück,“ meine ich und stopfe mir ein paar Nudeln in den Mund. „Das es bei euch so gut klappt, nehme ich mal als gutes Omen, dass es bei mir auch rund läuft.“ Ich seufze. Ich habe immer noch Angst, was mir selbst auf den Piss geht. Um nicht darüber nachdenken zu müssen, denke ich an Jona und an unsere Anfangsschwierigkeiten. Als er neu ins Team gekommen ist, hat er erst Mal die geballte Wut von Mike abbekommen, dessen Stammplatz er dann mehr oder minder sofort übernommen hat. Weil wir damals alle noch mit Mike befreundet waren, waren wir zwar nett zu Jona, aber auch nicht mehr. Richtig geändert hat sich das erst, als Benni sich für ihn stark gemacht hat und zu guter letzt, als er mit ihm zusammen gekommen ist. Bis dahin mochte ich ihn nur, aber als wir dann täglich miteinander zu tun hatten, haben wir uns richtig angefreundet. „Ich drücke dir jedenfalls die Daumen, dass es klappt, Joshi,“ versichert mir Jona und ich muss lächeln. Dann muss er aber aufhören, weil die Jungs schon warten. „Dann bis die Tage,“ verabschiede ich mich und klappe mein Handy zu, werfe es achtlos auf das Sofa. Während ich meine Nudeln esse, kommt mir die wahnwitzige Idee, dass ich doch einfach bei Valentin klingeln könnte. Aber andererseits will ich ihn nicht die ganze Zeit nerven… obwohl er mich ja auch die ganze Zeit ‚nervt’. Dennoch reiße ich mich zusammen, esse zu Ende und gehe dann ins Bett. Vielleicht schläft er ja auch schon. Am nächsten Tag bin ich noch nervöser drauf, als gestern schon. Ich fühle mich, wie Valentin, wenn er zu viel Kaffee auf einmal getrunken hat. Als hätte ich Hummeln im Arsch. Ich kann nicht still halten und gleich nachdem ich aus der Schule flüchten kann, ehe ich los und mache noch ein paar Trainingseinheiten. Erst im Fitnessstudio, dann auf dem Platz. Frisch geduscht – aber nicht im Bademantel – klingle ich dann am Abend bei Valentin. In seiner Wohnung rührt sich nichts ich runzle die Stirn. Soll ich jetzt sauer sein oder mir Sorgen machen? Er hat doch zugesagt, sich heute Abend ein wenig um mich zu kümmern, was hat er denn nun zu tun? Ich klinge noch mal, aber in genau dem Moment geht die Türe auf. Er sieht extrem zerwuschelt aus und schielt mich mit tiefen Augengringen an. „Alles klar?“, frage ich. „Hab nur geschlafen. Komm rein,“ nuschelt er zurück und geht in die Küche, um… na ja… ist klar, Kaffee zu kochen. Ich steige über das, mir bereits vertraute, Chaos von Valentins Wohnung grinse vor mich hin. So viel zum Thema, er räumt das die Tage auf. „Hast du noch nicht renoviert?“, will ich grinsend wissen und er sieht mich verwirrt an. „Hä?“ Dann fällt ihm wieder seine Entschuldigung für das Chaos ein, denn er macht „Oh!“ und dann nuschelt er was davon, dass er noch keine Zeit hatte. „Sag bescheid,“ dann helfe ich dir gerne,“ biete ich mich an und besehe mir das Chaos noch ein wenig genauer, während er Kaffee kocht. Zu den Klamotten – die mittlerweile zu Bergen in der Wohnung verteilt sind – und den CDs haben sich noch Bücher, Blöcke, Schminke, Haarzeug und zwei Pizzakartons gesellt. Amüsiert sehe ich zu ihm. „Bei deiner Unordnung werden wir uns nicht mal umdrehen können, ohne uns die Beine zu brechen.“ Er streckt mir die Zunge raus. „Solltest du nicht lieber ein Nervenbündel sein, statt mich zu bemuttern?“, brummt er dann und ich muss lachen. „Solltest du dich nicht über gestern freuen, statt zu brummen,“ entgegne ich dann und nehme eine Kaffeetasse entgegen. „Ich bin glücklich… innerlich. Nach außen hin bin ich einfach nur müde.“ „Oh weh, ist unser kleiner Valentin ein Morgenmuffel,“ ärgere ich noch ein wenig und balanciere zwischen all seinem Kram zu seinem Wohnzimmer. Danach sitzen wir eine ganze Weile nur rum, labern und spielen Autorennen, bis mich langsam die Müdigkeit überkommt. Ich strecke mich und sehe auf meine Uhr. Erst Elf. Ich weiß, ich sollte gehen, aber die Aufregung nimmt mich sofort wieder gefangen. Ich sehe zu Valentin, der auf der Couch hängt und die Augen kaum noch offen halten kann. Was auch immer man heute mit ihm angestellt hat, er sieht echt fertig aus. Während ich ihn so ansehe, kommt mir eine Idee und ich frage ihn: „Hast du nicht Lust, morgen bei dem Spiel zu zu sehen? Ich fände es nämlich schön, wenn jemand da wäre, der mich anfeuern kann.“ Er öffnet gequält die Augen und fragt mich, wann das Spiel ist. „Um Drei,“ kläre ich ihn auf und er nickt. „Okay, da kann ich. Dann komm ich gerne.“ Und schon fühle mich mehr als nur erleichtert. Ich weiß nicht, warum, aber mit der Aussicht darauf, dass Valentin da sein wird, um sozusagen Händchen zu halten, bin ich schon viel weniger aufgeregt. Außerdem freue ich mich, dass ich ihm dann mal zeigen kann, wie gut ich spiele. Er will das je eh schon seit dem ersten Tag mal sehen und wer weiß… vielleicht ist das ja seine letzte Möglichkeit, denn es kann ja tatsächlich passieren, dass ich es nicht ins Team schaffe. „Weißt du…, schon bin ich weniger aufgeregt,“ lasse ich ihn an meiner Freude teilhaben und er grinst. „Ich weiß. Ich bin einfach ein Talent in allem, was ich tue. Und sei es darin, die Aufregung von dir zu mindern.“ Ich verdreh die Augen und murre: „Sei bloß still.“ Dann stehe ich auf und verabschiede mich. Soll er seinen Schönheitsschlaf schlafen, sonst sieht er morgen noch aus, wie eine Vogelscheuche. Wieder in meiner Wohnung, fühle mich plötzlich sehr müde und erschöpft. Der Tag hat einfach zu sehr an meinen Nerven gezehrt. Mit einem relativ guten Gefühl gehe ich ins Bett und schlafe auch bald ein. Aufwachen tue ich erst, als mein Wecker laut klingelt und mir ankündigt, dass ich noch genau acht Stunden Zeit habe, bis das Spiel beginnt. Ich stehe auf, dusche und packe meinen Kram zusammen. Mit einem trockenen Brötchen bewaffnet, muss ich dann zur Schule rennen, weil ich schon wieder zu spät dran bin. Wie ich den Tag überlebe, weiß ich auch nicht so genau. Mir kommt es vor, als durchlebe ich alles wie aus Watte. Die Zeit rauscht nur so an mir vorbei und ich werde erst wieder richtig klar im Kopf, als ich in der Sporthalle stehe und mich umziehe. Bald geht es los, denke ich, während ich in die Turnhalle trete. Die meisten meiner Konkurrenten stehen schon dort und mustern mich nun. Sie reden alle kaum miteinander, nur die, die sich bereits kennen, wünschen sich gegenseitig Glück. Ich stelle mich an den Rand und wäge schon mal ab, gegen wen ich eine Chance habe und bei wem es schwer werden wird. Man teilt uns in zwei Mannschaften ein und dann ziehe ich mir eine farbige Binde über den Arm, damit auch ja klar ist, wer zu Team Rot und wer zu Team Gelb gehört. Dann geht es auch schon los. Valentin ist noch nicht da. Er hat mir eine SMS geschickt, dass er noch ein Seminar hat und er später kommen kann. So werden das erste Viertel und wohl auch noch das zweite ohne ihn stattfinden. Aber das stört mich nicht all zu sehr. Ich weiß ja, dass er kommen wird und das reicht, um mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich spiele auf der Position des Point Guard. Mit anderen Worten. Ich bin der Spielmacher. Dafür muss ich nicht besonders groß, aber dafür wendig sein. Im Großen und Ganzen liegt meine Aufgabe darin, die Bälle in die gegnerische Hälfte zu dribbeln und an die abzugeben, die für einen Korbwurf richtig sehen. Also erziele ich nicht so viele Punkte, wie manch andere, weil ich, wenn ich werfe, eher aus größerer Distanz treffen muss. Man wird also darauf achten, wie viele ich Pässe ich werfe und wie gut die dann auch ankommen und letztlich genutzten werden können. Außerdem werden sie darauf achten, wie wurfsicher ich von der Drei-Punkt-Linie aus bin, dem Bereich, aus dem der Point-Guard die meisten Körbe wirft. Das macht mir keine Angst. Ich bin sehr sicher im werfen. Was ich mir heute dagegen gar nicht erlauben kann, sind Fehlpässe. Aber genau genommen kann ich mir die ja nie erlauben. Irgendwie habe ich Angst, dass ich es nicht mehr richtig drauf habe. Als damals Chris in unser Team kam, hat er mich von meiner Position gedrängt. Ich wurde dann immer nur eingewechselt, aber die meiste Zeit hat er gespielt. Im Gegensatz zu Mike – dem es ja mit Jona genauso ging – hat mich das aber nie gestört. Ich kam zu meinen Einsätzen und konnte mich nicht beschweren. Außerdem war Chris der besser von uns Beiden. Wäre er jetzt mein Gegner, wäre er es wohl auch immer noch. Das erste Viertel läuft überraschend gut. Der Point-Guard der anderen Mannschaft ist ein totaler Loser und hat mehr Fehlpässe abgeliefert, als alle anderen zusammen. Dennoch sehe ich das Kind noch nicht in trockenen Tüchern, denn vielleicht war das nur die Aufregung er musste sich erst einspielen, um abliefern zu können. Ich komme nicht umhin, meine Mitspieler ein wenig mit den anderen aus meinem ehemaligen Team zu vergleichen. Und irgendwie finde ich, dass ich lieber wieder in Hamm spielen möchte, statt hier. Aber da kommt wohl ein Hauch von Nostalgie durch. Früher war alles besser… Ich schüttle den Kopf und nehme einen großen Schluck aus meiner Flasche, ehe es ins nächste Viertel geht. Tatsächlich scheint der andere Kerl nun Fahrt aufgenommen zu haben. Seine Pässe werden zielsicherer und seine Mannschaft – die bisher hinten lag- holt auf. Das passt mir gar nicht, denn das heißt, dass ich mich jetzt noch mehr anstrengen muss, als bisher schon. Ich will unbedingt eine Runde weiter kommen. Dann gibt es nämlich noch ein Spiel, in der dann exakt fünf Leute ausgewählt werden, die in das schon bestehende Team kommen. Danach werden wir erst Mal eine ganze Weile auf der Bank sitzen und uns in den Spielen beweisen müssen, ehe wir mal in der Startmannschaft stehen werden, aber das ist ja egal. Im Basketball wird eh ständig gewechselt. Nur heute nicht. Heute müssen wir in jedem Viertel durchspielen, keiner wird ausgewechselt. Das ist ziemlich anstrengend, aber natürlich will man sich ein genaues Bild von unserer Leistung machen. Mir soll es egal sein. Ich habe bisher an meiner Ausdauer trainiert, wie ein Weltmeister. Dann endlich ist Halbzeit und wir haben ein wenig länger Pause. Ich schleppe mich zu einer Bank und nehme einen großen Schluck und in dem Moment kommt endlich Valentin. Ich glaube, ich war noch nie so froh, ihn zu sehen, wie jetzt gerade, in diesem Moment. Ich lächle ihn an und er lächelt zurück. „Hey. Ich hab dir was mitgebracht,“ begrüßt er mich und hält mir eine Banane unter die Nase. Ich könnte ihn knutschen. Das ist genau das, was ich jetzt brauche. „Ich glaube, ich habe heute noch gar nichts weiter gegessen,“ bedanke ich und schnappe mir die Banane. Zur Bestätigung knurrt mein Magen. „Wie läuft es?“, will er wissen und er lässt sich neben mir nieder. Seinen besten Freund, den Kaffeebecher, stellt er neben sich ab. „Gut. Wir führen und ich hab ein paar gute Pässe geworfen und auch ganz gut gepunktet. Außerdem ist der andere sehr unbeständig. Mal ist er gut dabei, mal gelingt ihm gar nichts.“ Ich nicke zufrieden. „Wenn weiterhin alles gut läuft, dann habe ich Chancen, eine Runde weiter zu kommen.“ „Jetzt bin ich ja da. Jetzt kann es ja nur noch besser werden,“ grinst er und ich muss lachen. Dann geht es auch schon weiter und ich muss meinen persönlichen Glücksbringer alleine auf der Bank zurück lassen. Kapitel 3: Sweeney Todd ----------------------- In der dritten Hälfte spielt der andere sich richtig heiß. Ehrlich gesagt verliere ich langsam an Kondition und der Kerl scheint jetzt erst wirklich Fahrt aufzunehmen. Das nervt mich. Und das, obwohl ich Valentin doch bei mir habe. Doch gegen Ende des dritten Viertels passieren drei Dinge, die das Ruder wieder herum reißen. Erst macht er einen Fehlpass, welcher es ausgerechnet mir ermöglicht, wieder in die gegnerische Hälfte zu spielen. Wir punkten. Danach ist er irritiert, macht noch einen weiteren Fehlpass, der uns noch einmal die Chance zum kontern gibt. Und letztlich bekommt er den Ball, wirft von der Drei-Punkt-Linie und der Ball geht komplett daneben. Ab dem Moment knickt er wieder ein und in den letzten drei Minuten bin ich es, der auf der Position glänzt, während er fast gar nichts mehr Herausragendes unternimmt. Dann endlich ist das dritte Viertel vorbei und ich jogge zu Valentin, der mir meine Wasserflasche entgegenstreckt. „Man, das läuft gut,“ freue ich mich und er grinst mich an. „Liegt an mir.“ „Nur an dir.“ Nachdem wir uns dann ein wenig Honig ums Maul geschmiert haben, lasse ich mich erschöpft neben ihn nieder. „Vier Hälften komplett durch,“ stöhne ich und lege den Kopf in den Nacken. „Wie soll man das aushalten?“ „Du hast nur noch ein Viertel vor dir, also jammere nicht.“ Ich verziehe den Mund und er kichert. Der hat leicht reden, denke ich, bin ihm aber nicht böse. Erst recht nicht, als er so nett ist, meine Schultern zu massieren. „Ich glaube, ich stell dich als Personaltrainer ein,“ grinse ich vor mich hin und er drückt extra fest zu, dass ich kurz glaube, sterben zu müssen, so weh tut es. Dann ist die Pause auch schon vorbei und ich muss leider meine Massage Massage sein lassen. Das vierte Viertel ist mein Viertel. Ich lege richtig los und ich glaube, so viele gute Pässe nacheinander habe ich noch nie geworfen. Zwei gehen daneben. Nur zwei. Ich finde, das ist gut. Der andere scheint schon aufgegeben zu haben. Erst gegen Mitte des Viertels legt er noch mal richtig los und wirft ein paar atemberaubende Körbe was meine Motivation von 100 auf 0 schrumpfen lässt. Ich hab keine Ahnung, wie der es geschafft hat, aus so blöden Positionen heraus so sicher zu treffen. Das wurmt mich. Nicht das ich nicht auch genug gute Körbe geworfen habe. Aber solche Brummer natürlich nicht. Es kotzt mich an, dass der Kerl jetzt eine Glückssträhne zu haben scheint. Bisher war ich mir sicher, der bessere zu sein, aber jetzt sieht das ganz anderes aus. Am Ende des Spiels gelingt mir mehr aus Glück, als aus Können, ein guter Treffer, ähnlich den Glanzleistungen des Anderen. Ich hoffe, dass reicht aus, dass die Jury versteht, dass ich das auch kann, wenn ich nur die Chance dafür habe. Danach ist das Viertel zu Ende und somit das ganze Spiel und jetzt heißt es Bangen. Mir ist schlecht vor Aufregung, schon jetzt. Damit habe ich nämlich gar nicht gerechnet. Ein wenig geknickt laufe ich zu Valentin, der mich interessiert mustert. „Das war doch gut, nicht?“ Na gut, er hat keine Ahnung von Basketball. Er weiß nicht, worauf genau es ankommt. Andererseits kann ich auch nicht behauptet, ich hätte schlecht gespielt… „Ja, aber der andere ist doch stärker, als gedacht.“ „Macht nichts, du kommst trotzdem weiter.“ Und irgendwie ist das das schon naiv, was er da vom Stapel lässt. Aber das er so an mein Weiterkommen glaubt, das baut mich wirklich auf. Ich lächle ihn an und weiß keine Antwort mehr darauf. „Wie lange musst du jetzt warten, ehe das Ergebnis bekannt gegeben wird?“, will er dann wissen und ich sehe interessiert zum Trainer. Dieser gibt in genau dem Moment bekannt, dass sie sich nun beraten und in zwei Stunden das Ergebnis bekannt geben, wer es in die engere Wahl geschafft hat. Zwei Stunden Folter. Ich seufze und hoffe einfach, dass ich dabei bin. Dann muss ich mich nur noch gegen die Leute durchsetzen, die gestern gespielt haben und am Montag noch spielen werden. Und dann bin ich hoffentlich endlich in der Mannschaft. „Zwei Stunden sind perfekt,“ erklärt mir Valentin in dem Moment. „Dann hab ich genug Zeit, dich zur Feier des Tages auf einen Kaffee einzuladen.“ Er lächelt mich an, steht auf und winkt mich mit sich. Ich folge ihm hastig. „Ich glaube, durch deine Adern fließt pures Koffein.“ Er lacht und ich verschwinde in der Umkleide, um schnell zu duschen und mich umzuziehen. Als ich fertig bin, trete ich aus der Umkleide, vor der Valentin schon auf mich gewartet hat. Er lehnt gegen einer Wand und grinst mich an, als ich rauskomme. „Dein Gegner ist gerade vorbei gelaufen und hat gejammert, dass du seiner Meinung nach besser warst.“ Ich muss lachen. „Wirklich?“ „Ja, so in der Art. Klang nicht begeistert und so.“ Sehr gut, denke ich und mustere Valentin auf dem Weg zum Café skeptisch. Ich würde gerne wissen, was er wirklich gesagt hat und was Valentin interpretiert hat, um mich aufzuheitern. Aber ich frage nicht, weil irgendwie interessiert es mich dann doch nicht. „Jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht, Josh,“ stöhnt Valentin in dem Moment, in dem wir durch die Türe des Cafés schreiten und er sich gleich den Platz am Fenster sichert. „Ich hab zwar kaum Ahnung, aber ich fand dich wirklich gut.“ „Ja, ich weiß ja,“ meine ich und hole uns zwei Kaffee. Als ich wieder komme, sieht er mich unzufrieden an. „Ich wollte dich einladen, man.“ „Mein Spiel – also zahle ich auch,“ erwidere ich darauf nur und blicke dann zur Theke. „Ob ich mir jetzt noch einen Muffin hole…?“, überlege ich und in dem Moment springt Valentin auf, wie von der Tarantel gestochen. Ich sehe ihn erstaunt an. „Wo du es ansprichst, krieg ich auch Lust. Ich hol mir einen. Soll ich dir einen mitbringen?“, sprudelt es aus ihm heraus und ehe ich Antworten kann, ist er schon verschwunden. Ich muss grinsen. Hat er es also doch geschafft, mir etwas auszugeben. Ich blättere durch einen Flyer, der auf dem Tisch liegt und blicke ab und an zu Valentin, warte ungeduldig auf meinen Muffin. In dem Moment, in dem er bezahlt, geschieht allerdings etwas Merkwürdiges. Der Typ, der neben ihm steht und Kaffee ordert blickt ich an und sagt etwas, worauf Valentin ihn angrinst und dann weiter mit ihm redet. Ich wusste gar nicht, dass Valentin andere Menschen außer mir kennt… Und dann noch so einen komischen Vogel. Sieht aus wie Sweeney Todd. Ob der in seiner Band spielt? Während ich noch skeptisch den Kerl mustere, kommt Valentin auch schon wieder. Ich sehe ihn höchst interessiert an. „Sag mal, kanntest du den?“, will ich wissen und versuche, gleichgültig zu klingen, was mir aus unerfindlichen Gründen nicht gelingt. Mist. Aber es stört mich eben irgendwie, dass er mit diesem Etwas da geredet hat. Ich dachte, wir hätten so eine tolle Beziehung, wo wir uns nur gegenseitig nerven und den Rest der Welt ausblenden… Meine Güte, bin ich heute egoistisch, ihn so für mich zu beanspruchen. „Nö,“ macht er lang gezogen und reicht mir einen der beiden Muffins. Ich reiße ihn an mich, breche ein Stück ab und stecke es mir gierig in den Mund. Endlich was zu Essen. „Aber süß ist er, oder?“, fügt er hinzu und ich blicke zu dem Kerl. Süß ist anders! Eindeutig! Ähm… Süß…? „Leider hat er schon eine Freundin.“ Wieder Valentin und ich reiße die Augen auffällig weit auf, versuche mir aber ansonsten nichts anmerken zu lassen, was extrem in die Hose geht. Ich schlucke und das Stück bleibt in meinem Hals stecken, der plötzlich ganz trocken ist, woraufhin ich einen großen Schlucken Kaffee nehme und mir dabei die Zunge verbrenne. Obwohl mein ganzer Mund ein einziges brennendes Etwas ist, nehme ich noch einen Schluck, um nichts darauf sagen zu müssen. Valentin und schwul. Ich starre ihn an, dann lieber mein Essen. Okay, so eine Überraschung ist das jetzt nicht… und ich hab ja auch nichts gegen Schwule. Ich meine… Benni und Jona sind meine besten Freunde und auch schwul. Das stört mich nicht. Aber Valentin… Jetzt starre ich ihn doch wieder an, was ihm sicher auffallen muss. Wenn er den Rest meines unauffälligen Getues nicht eh schon bemerkt hat… „Also, die Freundin hat auch was für sich,“ wirft er in diesem Moment ein und rutscht unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „Einen hübschen Arsch,“ fügt er kläglich hinzu und macht eine komische Bewegung mit den Händen, was wohl ihren Arsch darstellen soll. Hilflos mach ich die Bewegung nach und nicke mechanisch. Ich schätze, ich mache dabei so große Augen, dass sie mir sicher gleich aus dem Kopf fallen, denn plötzlich lacht er. Na toll… „Tut mir Leid, Josh.“ Sein Lachen erstirbt und guckt mich an, wie ein geprügelter Hund. Doppeltes na toll… „Ich versuche nur, ein wenig männlich daher zu reden, damit du keine Angst vor mir bekommst.“ Er sieht kurz zu Sweeney Todd. „Weil ich das von ihm gesagt habe.“ Er deutet unnötigerweise auf die schräge Gestalt. „Hab ich nicht,“ wehre ich ab und versuche, meinen Gemütszustand wieder zu beruhigen. Weil das nicht all zu überzeugend ist, erkläre ich ihm also, dass Benni auch schwul ist. Ein Detail, dass ich bisher verschwiegen habe, obwohl wir schon öfters über ihn gesprochen haben. Ich denke, die Antwort ist perfekt. Jetzt ist er im Bild und braucht keine Angst haben, dass mich das stören könnte… „Ich bin nicht schwul, ich bin bi,“ klärt er mich auf, als wäre das so ein großer Unterschied. Mag er eben beides, deswegen mag er trotzdem Typen. Aber mal ehrlich… Was findet er an der Vogelscheuche dort. Der Kerl ist eine einzige Zumutung. Ich verziehe den Mund. Ich weiß nicht, wie das auf ihn schon wieder wirken muss, aber er fügt hinzu: „Ich fall auch nicht über dich her.“ Ich erwidere irgendwas davon, dass ich davon auch nicht ausgegangen bin und er bricht grinsend ein Stück Muffin ab und steckt es sich in den Mund. Ich tue es ihm gleich und stelle fest, dass ich nie wieder essen kann, weil mein Inneres eine einzige Brandblase ist. Zwei Stunden später stehen wir pünktlich in der Halle und warten darauf, dass die Ergebnisse bekannt gegeben werden. Nur um mich zu quälen, wird der ‚Sieger’ aus meiner Position als letztes bekannt gegeben. Ich ertappe mich dabei, wie ich Nägel kaue, bis der Trainer endlich den Point-Guard erwähnt. Ich nehme meine Finger von meinem Mund und dann ist meine Erleichterung groß: Er nennt meinen Namen!!! Oh Gott, denke ich ein wenig hysterisch und seufze erleichtert auf. Ich bin in der engeren Auswahl. Valentin scheint das fast mehr zu freuen, als mich. Er hüpft auf und ab und fällt mir dann um den Hals. „Wie geil, Joshi!!!“ „Das lag nur daran, dass ich dir die Daumen gedrückt habe.“ „Ganz eindeutig,“ stimme ich zu, ihn noch immer im Arm und grinse über das ganze Gesicht. Erst jetzt wird mir langsam klar, dass ich weiter bin und ich könnte die ganze Welt umarmen, so sehr freue ich mich. Aber jetzt tut es erst mal Valentin. Ich nehme mir gerade vor, sofort Benni und Jona anzurufen, wenn ich zu Hause bin, als mein Konkurrent auf den Plan tritt und mich von oben bis unten mustert. „Na super,“ raunter dann seiner Freundin zu, die da neben ihm steht und ihn tröstend eine Hand auf den Arm gelegt hat. „Ne Schwuchtel hat mir den Platz weggeschnappt,“ meint er zu ihr und sieht mich - und vor allem Valentin - dann angewidert an. Ich könnte ihn töten. Auf der Stelle. Vor allem, als Valentin von mir weicht, als hätte ich ihm gerade gesagt, ich hätte Lebra, und mich entschuldigend ansieht. Wütend blicke ich zu dem Kerl und fauche: „Streng dich doch einfach mehr an. Dann klappt es vielleicht auch.“ Dann blicke ich wieder zu Valentin, der aussieht, als würde er sich gerne in Luft auflösen – trotz des Gesprächs, dass wir vorhin noch hatten… oder gerade deshalb. Weil die Situation so auf gar keinen Fall tragbar ist, füge ich grimmig hinzu: „Aber nur kein Neid… Oder bist du sauer, weil mein Freund hübscher ist, als deine Freundin?“ Daraufhin zieht besagte Freundin empört die Luft ein und der Kerl scheint sich auf mich stürzen zu wollen, lässt das aber sein, da die Lehrer und Trainer noch in der Halle sind. Mit einem letzten vernichtenden Blick stapfen sie davon. „Arschloch,“ höre ich sie beide schimpfen und fühle mich irgendwie äußerst befriedigt. Plötzlich spüre ich Valentins Blick auf mir und zwinkere ihm zu, was ihm ein kleines Lächeln entlockt. „Das war lieb von dir, aber das hätte es nicht gebraucht,“ meint er leise und sieht aus, wie eine überreife Tomate. „Ach, wieso denn. Wenn er so dumm daherredet…“ Ich zucke mit den Schultern. „Außerdem hab ich doch nur die Wahrheit gesagt. Du bist doch auch hübscher, wie diese hässliche Trulla.“ Ich könnte mich selbst ohrfeigen, als er noch röter wird und noch einmal, als ich merke, wie auch ich rot anlaufe. Super gemacht, Josh. Um von der Situation abzulenken, schnappe ich mir meine Sporttasche und laufe los. „Komm, lass uns gehen!“ „Glückwunsch,“ jubbelt Benni am anderen Ende der Leitung und ich kann mir vorstellen, dass er stolz über mich vor sich hin grinst. „Aber eigentlich war mir ja von vornherein klar, dass du das machst, Josh.“ Ich bin vor fünf Minuten zu Hause angekommen und das erste, was ich gemacht habe, war Benni anzurufen. Ich bin noch immer regelrecht geflasht von dem Ergebnis und muss das einfach mit allen teilen. Also laufe ich nun unruhig hin und her und presse mir dabei das Handy ans Ohr. „Ja, ja,“ lache ich belustigt und dann überkommt es mich plötzlich und ich muss seufzen. „Was ist los?“, will Benni sofort wissen und ich frage mich, ob ich ihm das erzählen kann… „Weißt du…“, murre ich und höre auf, nervös auf und ab zu laufen, sondern lasse mich auf meinen tollen Sessel fallen. „Es ist wegen meinem Nachbarn. Ich hab das Gefühl, alles falsch zu machen.“ „Falsch?“, wiederhol Benni und weiß damit wohl nichts anzufangen. „Wie… falsch?“ Das weiß ich auch nicht so genau, aber das kann ich ja schlecht sagen. „Falsch eben. Ich benehme mich, wie der letzte Trottel. Nicht, dass er mir das übel nimmt oder so…“ „Vielleicht nimmt er es dir nicht übel, weil es ihn nicht stört?“ Ich hasse Bennis Logik, weil sie immer so logisch ist. Aber wirklich weiterhelfen tut sie mir nicht unbedingt. „Keine Ahnung,“ meine ich also ehrlich und habe keine Lust mehr, darüber zu diskutieren. Ich habe das Gefühl, dass hinter der ganzen Sache so viel steckt, dass Benni sie nicht ganz begreifen kann, so lange er nicht hier ist. Oder besser gleich, so lange er nicht in meinem Körper steckt. „Ich rufe jetzt Jona an. Der brennt auch schon darauf, zu erfahren, wie es lief.“ Und so verabschieden wir Beide uns und Benni legt als erstes auf. Sofort tippe ich Jonas Nummer ein und er nimmt auch gleich nach dem zweiten Klingeln ab. „Wie ist es gelaufen?“, will er wissen und ich muss ihm jedes kleine Detail des Spiels erklären. Als auch dieses Gespräch beendet ist, gehe ich in die Küche, um mir einen Tee zu kochen und blicke dann missmutig auf mein Getränk. Was würde ich jetzt für einen Kaffee geben, der meine Sinne wieder ein wenig belebt. Vielleicht sollte ich mir doch mal eine neue Kaffeemaschine kaufen. Oder wenigstens Instantkaffee. Oh man. Ich fürchte, Valentin hat mich angesteckt. Frustriert darüber, dass ich schon wieder über Valentin nachdenke, beschließe ich, ins Bett zu gehen. Also auf ins Bett! Drei Tage später stehe ich in der Aula der Musikhochschule Köln. Valentin hat mich eingeladen, heute bei den Bandproben vorbeizuschauen und so wandere ich in den Gängen umher und suche nach dem Bandraum. Es ist ziemlich cool hier und ich kann nachvollziehen, dass Valentin unbedingt hier hin wollte. Als ich den scheiß Raum nicht finde, versuche ich einen Schüler aufzutreiben und laufe ausgerechnet Sweeney in die Arme. Das kann doch nicht sein, dass der auf dieser Schule ist. Ich frage also ihn nach dem Bandraum und er nennt mir den Weg und fügt hinzu, dass der Sänger es wirklich drauf hat. „Das weiß ich selbst,“ knurre ich nur und lasse ihn stehen. Was für ein Idiot. Dann stehe ich endlich vor Raum 210 – ich glaube, es war der Raum, den mir der Gesichtsfasching genannt hat. So richtig zugehört habe ich ihm nämlich nicht, ich war zu sehr damit beschäftigt, ihn feindlich anzustarren. Aber tatsächlich erblicke ich sofort Valentins schwarzen Haarschopf, als ich die Türe öffne. „Hey,“ meine ich und finde meine gute Laune wieder. Der Emo dreht sich um, bemerkt mich und fängt sofort zu grinsen an. Das ist auch krankhaft, denke ich lächelnd. „Huhu,“ winkt er mir zu und löst sich von seinen Kollegen, um zu mir zu laufen. „Ich dachte schon, du kommst nicht,“ meint er und wirft einen Blick über die Schulter. „Wir fangen auch gleich an. Sobald Sebastian – der hässliche Blonde – sich bereit fühlt. Er muss immer erst in sich gehen, weißt du,“ meint er genervt und räuspert sich, sieht mich vielsagend an. Ich muss lachen und setze mich brav auf einen der Stühle, die verstreut herum stehen. Es ist eigentlich ein ganz normaler Musiksaal. Vorn stehen verschiede Instrumente, hinten Stühle mit dämlichen Klapptischen daran. Ich klappe eben jenen weg, um es bequemer zu haben. Als Sebastian dann endlich zu sich gefunden hat, fangen sie an, ein neues Stück einzustudieren, wie mir Valentin gerade erklärt hat. ‚Falling behind’ heißt das Stück, von ‚Dead by April’, der Band, die ich ganz, ganz, ganz, ganz unbedingt kennen muss. Ich grinse vor mich hin, während sie mit den ersten Takten beginnen. Ich lehne mich in meinem Stuhl zurück und weiß nicht, was ich erwarten soll. Sie sind eine Band, die wohl ziemlich gut sein muss, wenn sie beim Sommerfest spielen dürfen. Dennoch erwarte ich nicht all zu viel und bin demzufolge mehr als nur elektrisiert, als Valentin zu singen anfingt. Ich schlucke hart, während sich mein Blick auf ihn fixiert. Wie er sich bewegt, welche Mimik er benutzt… Diese Bühnenpräsenz, die er ausstrahlt, ist unglaublich. Es ist, als würde er den Song leben. Er sieht aus, als wäre er dafür geboren, auf einer Bühne zu stehen. Das Ganze ist einfach rockig und wahnsinnig… sexy. Nach diesem Gedanken muss ich den Kopf schütteln und zwinge mich, den Blick von seinem Gesicht zu lösen, dass konzentriert aber irgendwie auch entspannt wirkt, einfach so, als wäre in seinem Element. Ich blicke also auf seine Gitarre und achte nun mehr auf seine Stimme, die so perfekt zu dem Song passt, dass man Gänsehaut kriegt. In dem Moment komme ich mir ein wenig dumm vor, weil ich herumschwärme, wie eines dieser Fangirls. Was kommt als nächstes? Schreie ich, dass ich ein Kind von ihm will? Doch als er dann auch noch den Refrain anstimmt, sind diese Gedanken wie weggeblasen und ich wünsche mir einfach nur noch, dass er nie wieder zu singen aufhört. Aber das tut er. Und das leider schneller, als mir lieb ist. Die letzten Töne erklingen, dann ist es still. Valentin kratzt sich verlegen am Hinterkopf und kommt zu mir gerannt. „Okay… da waren jetzt ein paar Patzer drin, aber die kriegen wir schon noch raus,“ entschuldigt er sich sofort. „Das war unglaublich,“ platzt es nur aus mir heraus und ich sehe ihn völlig fasziniert an, noch nicht ganz Herr meiner Sinne. Daraufhin wird er rot. „Danke, aber im Ernst… Das können wir noch besser.“ Er lässt sich auf den Stuhl neben mir fallen. Ein wenig ruht er in Gedanken, dann ruft er seinen Jungs zu, dass sie den Song noch mal spielen werden. „Ich meine es aber auch ernst, Valentin. Du hast wirklich Talent.“ Er wird wieder rot, weil ich ihm so viel Honig ums Maul schmiere und ich werde auch rot, weil ich schon wieder das Gefühl habe, ihn anzuflirten. „Tja, was du im Basketball bist, bin ich in der Musik,“ lacht er und dann steht er auf und geht davon, um weiter zu proben. Ich blicke ihm nach, noch ein wenig verwirrt von mir selbst. Und als sie weiterspielen, wird es noch schlimmer. Ich nehme ihn zum ersten Mal so richtig wahr. Jedes keline Detail an ihm, jede einzelne Wimper. Wieder schüttle ich den Kopf, weil ich mir so unglaublich dumm vorkomme. Was ist denn nur los mit mir? Eine geraume Zeit – und viele Songs – später, sind Valentin und die Anderen fertig und er tritt zu mir. „Sohooo,“ meint er gedehnt und streckt sich, ehe er mich anlächelt. „Sag mir dein vernichtendes Urteil.“ Das er immer noch glaubt, es nicht voll und ganz drauf zu haben. Ich schüttle ungläubig den Kopf. „Du bist viel zu kritisch mit dir selbst,“ kläre ich ihn auf und sehe ihn belustigt an. Wobei das eigentlich gut ist, denn nur so wird man besser. Dennoch… Es ist ungewohnt, dass er Größer ist, als ich. Ich sehe also zu ihm auf, weil er eben steht und ich noch sitze und in einem Anfall von Merkwürdigkeiten habe ich plötzlich das Gefühl, aufstehen zu müssen, um die Situation unter Kontrolle zu behalten. „Du weißt doch, dass ich es einfach großartig fand. Weil es auch großartig war.“ Nun lächelt er schon fast peinlich berührt. „Nun übertreib doch nicht so…“ Er wird ein wenig rot um die Nasenspitze und blickt zur Tür. „Lass uns gehen, ich geb dir einen Kaffee aus.“ Letztlich hat das Café, in das wir gehen wollten, schon geschlossen und so finde ich mich in Valentins heimischen Chaos wieder. Ich räume einen Berg von Klamotten von seiner schwarzen Couch, während er Kaffee kocht. Kurz darauf steht er auch schon, mit zwei Tassen im Gepäck, vor mir und ich nehme ihm eine von diesen ab. „Bock auf ne DVD?“, will er wissen und lässt sich neben mir aufs Sofa sinken. Ehe ich antworten kann, hat er schon ein paar Knöpfe auf seiner Fernbedienung gedrückt und der letzte Film, den er gesehen hat, beginnt von neuem. Ich blicke auf den TV. „War klar, dass du auf so Zeug stehst,“ meine ich und nehme einen Schluck Kaffee. Ich glaube, Gott muss mich wirklich hassen, dass er mir die Gestalt noch mal unter die Nase reibt. „Ich finde, jeder sollte mal ‚Sweeney Todd’ gesehen habe,“ rechtfertigt er sich, greift aber nach der Fernbedienung. „Wir können auch was anderes gucken,“ meint er hastig und ist im Begriff, auf ‚Stopp’ zu drücken. Ich schnappe nach seiner Hand, um ihn aufzuhalten. „Lass mal… ist schon okay.“ Dann fällt mein Blick auf meine Hand, die noch immer auf seiner Hand liegt und ich lasse ihn abrupt los. „So lange wir nicht einschlafen,“ meine ich und zucke betont gleichgültig mit den Schultern, „Ist es mir eigentlich egal, was wir gucken.“ Er nickt, lehnt sich auf seinem Platz zurück und ich tue es ihm gleich, bin aber ein wenig unruhig. Ich flippe noch total aus, wenn ich schon wegen so einer Nichtigkeit, wie dem Berühren unserer Hände, nervös werde. Wo soll das denn enden? Krieg ich demnächst einen Herzinfarkt, nur weil er mich ansieht? Ich versuche, die Gedanken zu verscheuchen, die mich da quälen, und konzentriere mich auf die DVD. Und so sehen wir den Film, trinken unseren Kaffee und schaffen es, nicht einzuschlafen. Nach dem Abspannt schnappe ich mir meine wenigen Sachen und gehe in meine Wohnung, um zu schlafen. Morgen ist immerhin Schule und ich möchte fit sein. Kapitel 4: Cowboy und Indianer ------------------------------ „Looos Josh,“ brüllt sich Valentin die Seele aus dem Hals, obwohl ich fast fürchte, dass er den Sinn und in unserem Hin- und Hergerenne noch immer nur im Ansatz verstanden hat. Ich habe ihm zwar einiges erklärt, aber so wirklich für die einzelnen Positionen interessiert er sich einfach nicht. Vielleicht, weil er nicht selbst spielt. Das ist aber okay. Ich bin schon mehr als dankbar, dass er zu meinem zweiten Spiel erschienen ist und mich anfeuert. Und in dieser Rolle macht er sich wirklich gut. Ich komme richtig in Fahrt, was gut ist, weil es heute einfach um Alles geht. Heute wird entschieden, wer es in die Mannschaft der Schule schafft – und wer eben nicht. Diesmal wird des Öfteren ausgewechselt, aber mir fällt auf, dass man bei mir sehr lange wartet, ehe man mich das erste Mal austauscht. Ob das nun gut ist – weil ich mich einfach gut mache – oder schlecht – weil sie nur sehen wollten, ob ich es noch besser kann – weiß ich aber nicht so genau. Ich persönlich finde, ich mache mich ganz gut, aber die anderen Jungs sind auch nicht von schlechten Eltern. Ich denke, dass wird eine knappe Entscheidung. Aber ich habe etwas, was diese Knallköpfe nicht haben. Ich habe Valentins Anfeuerungsrufe und die sind die pure Motivation, ihm zu beweisen, dass ich es drauf habe. Ich schenke ihm ein Lächeln, ehe ich mich wieder auf das Spiel konzentriere. Und während ich vorpresche und werfe und treffe, denke ich, dass es zumindest in meinem Punkt egal ist, ob ich gewinne oder nicht. Denn Valentin wird hier sein, um sich mit mir zu freuen oder mich zu trösten. Ich werde nicht alleine sein, egal wie es ausgeht. Und zumindest was dann angeht, brauche ich mir keine Sorgen mache. Und das nimmt mir schon ganz schön viel Angst und Aufregung und das zeigt sich in meinem Spiel, dass immer besser wird. Ich kann es schaffen! Dann endlich wird abgepfiffen und Valentin wedelt wild mit den Armen, damit ich her komme. Stolz auf mich selbst, stürme ich zu Valentin und strahle ihn an. „Danke, dass du gekommen bist.“ „Ist doch selbstverständlich,“ grinst er zurück und reicht mir auch diesmal wieder eine Flasche Wasser. Was wäre ich nur ohne ihn. Ich nehme die Flasche an mich und trinke sie fast ganz leer, dann lasse ich mich neben ihn fallen. „Glaubst du, es hat gereicht?“, will ich wissen. Ich sehe zu den Trainern und merke wieder, wie wichtig es für mich ist, in diese Basketballmannschaft zu kommen. Und obwohl ich gut war, habe ich noch deutliche Zweifel. Ich war so lange nicht in der Startaufstellung. Vielleicht waren die kleineren Einsätze dann nicht genug, um hier ein hohes Level unter beweis zu stellen. Vielleicht bin ich einfach nicht mehr gut genug… „Ich fand dich toll,“ muntert mich Valentin wieder auf und sucht meinen Blick. „Und ich bin mir sicher, dass sie dich nehmen.“ Ich muss lächeln, wie fast immer, wenn er mit mir spricht. Ist schon ein richtiger Reflex geworden. Dann schweigen wir, während die Trainer sich besprechen. Diesmal müssen wir nicht zwei Stunden totschlagen, sondern die Urteilsverkündung gibt es gleich im Anschluss. Ein wenig komme ich mir ja vor, wie ein Kandidat bei DSDS. Sicher kommt gleich Dieter Bohlen und sagt mir, dass ich leider nicht der neue Superstar werde. Ganz in meine Gedanken versunken – darüber, wie ich Dieter Bohlen daraufhin die Fresse poliere -, kriege ich gar nicht mit, wie Valentin mich am Ärmel zupft. „Es geht los,“ murmelt er und sieht erwartungsvoll zu den Trainern, die sich nun vor uns Spielern aufstellen, um zu verkünden, wer im Team spielen darf. Ich halte die Luft an, vor Anspannung, aber das muss ich nicht lange. Mein Name wird gleich unter den ersten genannt und ich lasse die Luft erleichtert in meine Lungen strömen. Diesmal bin ich es, der Valentin um den Hals fällt und ihn eng an mich drückt. „Du bist wirklich mein Glücksbringer,“ lache ich begeistert und atme seinen unverwechselbaren Duft nach Kaffee ein. Er lacht und seine Arme schlingen sich um mich. „Natürlich bin ich das. Ich bin toll, schon vergessen.“ Dann vergräbt er seine Nase an meiner Schulter und murmelt etwas von Vanille. Wenig später bin ich geduscht und umgezogen und trete glücklich vor die Halle, wo Valentin auf mich warten wollte. Tatsächlich entdecke ich ihn fas sofort. Er lehnt gegen einer Hauswand und hat seine Kopfhörer im Ohr, die Auge auf eine Gruppe Jugendlicher gerichtet. Ich folge seinem Blick und erkenne unter den Leuten diejenigen, die es nicht in die Mannschaft geschafft haben. Haben die sich jetzt verbündet, oder was ist los? Mich nicht weiter darum kümmernd, nähere ich mich Valentin und zupfe ihm die Stöpsel aus den Ohren, kaum dass ich neben ihn stehe. Daraufhin fährt er ungewöhnlich aggressiv zu mir herum, bis er mich erkennt. „Fertig?“, fragt er und versucht sich an einem lockeren Tonfall. Ich starre ihn an. „Alles klar bei dir?“, will ich wissen und frage mich, was los war, dass er so seltsam reagiert. „Geht schon,“ murrt er und blickt noch einmal zu den Typen, die er schon die ganze Zeit komisch anstarrt. „Weißt du, an meiner Schule hat mich noch niemand als Emoschwuchtel beschimpft,“ klärt er mich dann doch auf. „Das haben sie gesagt?“, will ich wissen und blicke mit geballten Fäusten zu diesen widerlichen Kerlen. Auf einmal bin ich ziemlich angepisst, ich könnte mich wirklich auf sie stürzen. „Ja, ich aber nicht so wild. Lass uns einfach gehen.“ Ich glaube, er ist ziemlich überrascht, wie sauer ich aussehe und zieht mich schnell mit sich. Sicher hat er Angst, ich fange noch eine Prügelei an. Ich versuche, mich zu beruhigen und hoffe, dass es ihm wirklich nicht all zu viel ausmacht. Diese Jungs labern doch nur Müll, weil sie wütend sind, keinen Platz in der Mannschaft erhalten zu haben. Einige Tage später komme ich gerade nach Hause, als in einem der oberen Stockwerke Gefluche ertönt. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass das von Valentin stammt. Grinsend springe ich die Treppen hoch, obwohl ich vom Tag eigentlich ziemlich k.o. bin. Ich hatte heute einen langen Tag an der Uni und dann noch Training und bin eigentlich total müde und erschöpft, will nur noch schlafen. Aber Valentin lenkt mich, wie so oft, davon ab. Ich erreiche den oberen Treppenabsatz und erblicke meinen Nachbarn, wie er versucht, mit einigen Farbeimern und sonstigen Kram in der Hand eine Türe zu öffnen. „Es geht leichter, wenn du es abstellst,“ werfe ich ein, während ich ihm zusehe. Er blickt zu mir und murrt: „Jetzt habe ich es aber gerade alles in der Hand. Wenn ich jetzt abstelle, muss ich mehrmals laufen.“ Er sagt das in einem Ton, als wäre das total offensichtlich, dass es sich dabei um eine extreme Katastrophe, die es unbedingt zu verhindern gilt, so dass ich nicht anders kann, als loszulachen. „Du bist faul,“ stelle ich fest und nehme ihm den Schlüssel ab, öffne die Türe, ehe er wieder mit seinem ganzen Sachen auf dem Boden landet. „Würde die Türe nicht immer klemmen, wäre das alles kein Problem,“ erläutert er mir und ich sieht zu, wie ich mit eben jener kämpfe, bis sie endlich auf ist. „Du fängst also endlich zu renovieren an? Nach… fünf Wochen…“, will ich wissen und er streckt mir die Zunge raus. Sorry, aber dass musste einfach sein. „Ja, ich denke, ich werde irgendwann demnächst anfangen. So früher oder später,“ nickt er nur und ich erahne sein unausgesprochenes ‚eher später’. Ich kenne ihn ja nun schon lange genug, um zu wissen, dass die Farbe in drei Wochen noch immer unbenutzt in seiner Wohnung stehen wird, weil er einfach zu bequem ist, sich an die Arbeit zu machen. Um genau das zu verhindern und mich als toller Nachbar zu beweisen, meine ich: „Wie wäre es, wenn ich Morgen vorbeikomme und dir helfen?“ Morgen ist Samstag und ich habe eh nichts anderes zu tun. Weil ich noch immer der einzige Mensch in Valentins Leben bin, mit dem er mehr als drei Worte spricht, gehe ich davon aus, dass er auch nichts anderes geplant hat. Tatsächlich sagt er zu und ich sehe das Chaos schon vor mir. „Dann werde ich wohl ein paar Sachen wegräumen, dass wir morgen anfangen können,“ beschließt er und ich verkneife es mir, ihn daraufhin zu weisen, dass ‚ein paar Sachen’ leicht untertrieben ist. Aber ich will ja nicht, dass er am Ende beleidigt ist und so nicke ich nur, nehme ihm ein paar Sachen ab und trage sie in seine Chaosbude. „Dann halte dich mal ran,“ scheuche ich ihn, wuschle ihm noch einmal kräftig durchs Haar und verlasse dann fluchtartig seine Wohnung, ehe er explodiert. Am nächsten Morgen zucke ich zusammen, als nebenan laute Musik ertönt und stehe schon fast im Bett. Ob Valentin vorhat, sich für seine zerstörte Frisur zu rächen, in dem er mich einfach umbringt? Sieht fast so aus. Weil ich jetzt eh schon wach bin, stehe ich auf und ziehe mir ein paar alte Sachen an, ehe ich mir meinen Schlüssel schnappe und mich auf den Weg nach neben an mache. Ich muss dreimal Klingeln, ehe das Geräusch durch die Musik dringt und Valentin so nett ist, mir die Tür zu öffnen. „Du bist ja schon da? Hast du gut geschlafen?“, fragt er und an seinem Grinsen erkenne ich, dass meine Vermutung goldrichtig war. „Ganz okay,“ brülle ich über die Musik hinweg zurück und gönne ihm nicht, ihm zu sagen, was mich geweckt hat. Er wuselt davon, um die Musik leiser zu drehen, wenn auch nur kaum merklich. Aber wenigstens muss ich nicht mehr schreien, um mich mit ihm zu verständigen. Ich trete von seinem Flur aus ins Wohnzimmer und sehe mich ungläubig um. Keine Ahnung, wie er das geschafft hat, aber Valentins Wohnung sieht richtig ordentlich aus. Er hat alles wieder in die Umzugskartons gestopft und die Möbel abgedeckt. Und das alles in so kurzer Zeit. Ich blicke mich immer noch mit großen Augen um und gebe zu: „Irgendwie habe ich damit gerechnet, dass du gar nichts gemacht hast.“ „Haha,“ macht er daraufhin tonlos und stemmt die Hände in die Hüften. „Willst du mir damit sagen, dass du denkst, ich sei faul?“ „Ich enthalte mich meiner Stimme,“ lache ich und schnappe mir einen Pinsel: „Also streichen wir jetzt oder wie?“ Wenig später stehen wir in mitten des Schlafzimmers und Valentin bearbeitet einen Farbeimer mit einem Schraubenzieher, bis wir irgendwann den Decke abbekommen und rote Farbe auf die Folie am Boden spritzt. „Krass,“ befinde ich, als ich auf die intensive Farbe blicke. „Ich liebe diese Farbe,“ klärt er mich auf und ich nicke nur und sehe ihm zu, wie er eine Farbrolle umständlich in den Eimer taucht. Ich tue es ihm gleich und dann nehmen wir uns die Wände vor. Valentin hat die Musik wieder voll aufgedreht, weil es sich dabei angeblich leichter streicht. Ich muss zugeben, dass es so ganz locker von der Hand geht. Zwar ist das nicht so ganz meine Musik, aber sie macht die Arbeit trotzdem erträglicher. Aber wenn ich mich vorstelle, dass wir heute die ganze Wohnung streichen wollen, drehe ich durch. Es macht zwar Spaß, ist aber nach einiger Zeit auch ein wenig anstrengend. Auf und ab. Auf und ab. Da vergeht einem die Lust. „Und wie streichen wir jetzt an der Decke entlang?“, will Valentin wissen, als uns eine große rote Farbfläche entgegen springt und nur noch ganz oben ein weißer Streifen zu sehen ist. „Hast du eine Leiter?“, will er wissen und ich ziehe die Brauen hoch. „Woher sollte ich denn eine Leiter haben?“, frage ich und überlege dann eine Weile. „Was ist mit dem Hausmeister?“ „Der ist am Wochenende nicht da,“ wirft Valentin ein und so stehen wir vor einem kleinen, aber feinen Problem. „Dann…“, überlege ich weiter und sehe Valentin an, „Nehme ich dich eben auf die Schultern.“ Während er mich noch ungläubig anblickt, bin ich schon in die Knie gegangen und winke ihn heran. „Na los, ich breche schon nicht zusammen,“ dränge ich ihn und er kommt unsicher auf mich zu gewackelt und klettert umständlich auf meinen Rücken und dann auf meine Schultern. „Lass mich ja nicht fallen,“ warnt er mich und ich nicke und nähere mich wackelig der Wand. Als wir endlich davor stehen, fängt Valentin zu lachen an und braucht eine ganze Zeit, ehe er wieder eine ruhige Hand hat, um den ersten Pinselstrich zu setzen. „Wenn wir das jetzt immer so machen, werden wir nie fertig,“ stellt er fest, als ich mich ächzend ein Stück weiter nach rechts bewege. „Das liegt nur daran, dass du so schwer bist,“ stelle ich die Sache klar und er empört sich sofort wieder: „Willst du mir sagen, dass ich fett bin?“ Ich muss grinsen und nehme den Pinsel an mich, den er mir reicht, damit ich ihn in die Farbe tauchen kann. „Fett nicht, nur gewichtig,“ grinse ich und reiche ihm den Pinsel, was ich sofort bereue. Ich kriege einen dicken streifen ins Gesicht gemalt, ehe er sich wieder an die Wand macht. „Das kriegst du zurück,“ prophezeie ich ihm. Meine Rache wird kommen! Wenig später ist die Wand fertig und damit auch schon fast der ganze Raum. Fehlt nur noch eine Seite. „So, die letzte Seite wird schwarz,“ klärt mich Valentin auf, während er mehr schlecht als recht von mir heruntersteigt. Während er begeistert grinst und die schwarze Farbe aufmacht, sehe ich auf die weiße Wand und stöhne auf. „Deinen Geschmack will ich auch nicht haben.“ Die Wand ist nur schmal und kurz darauf ist das Schlafzimmer tatsächlich fertig gestrichen. Weiter geht’s also ins Wohnzimmer, wo Valentin noch überlegt, wie er es überhaupt streichen will. Während er nachdenkt, blicke ich zur Stereoanlage und sehe ihn dann fragend an: „Was hören wir da eigentlich die ganze Zweit für Krach?“ „Krach?“, faucht er. „Das ist ‚My chemical romance’. Das ist doch kein Krach! Die Band ist absolut genial,“ klärt er mich auf. Also noch so eine Band, die einfach ganz, ganz, ganz, ganz, ganz genial ist und die man unbedingt und um jeden Preis kennen muss… Er stemmt die Hände in die Hüften und bemalt sich dabei selbst mit dem Pinsel, den er immer noch in der Hand hat. Ich muss lachen und beschließe, ihn mal wieder ein wenig zu ärgern. Hatten wir ja schon seit fünf Minuten nicht mehr. „Na ja…“, meine ich also, „Ich will dir ja deine Illusionen nicht nehmen.“ „Hallohooo,“ macht er daraufhin, „Meine Band spielt ganz viele von deren Songs, weil die einfach genial sind.“ Dann geht er zur Stereoanlage, schaltet ein paar Songs weiter, ehe er etwas passendes gefunden zu haben scheint. „Da geht die Menge sicher ab,“ lächle ich und schnappe mir einen Pinsel. „Natürlich tut sie das,“ stimmt er mürrisch zu und fängt an, sich zur Musik zu bewegen, während er beginnt, auch hier wieder eine Wand schwarz zu streichen. Ich sehe ihm dabei zu und muss grinsen. „Und was wird das jetzt? Lapdance?“ Er sieht zu mir und streckt mir die Zunge raus. „Hättest du wohl gerne, was?“ Dann tanzt er weiter, diesmal ohne zu streichen, und fängt an, mitzusingen. Laut lachend, sehe ich ihm zu, wie er den Pinsel als Mikrofon missbraucht und sich ein klein wenig zum Affen macht. Dann dreht er sich schwungvoll und spritzt mich dabei mit Farbe voll. Ich sehe bedröppelt drein, während er innehält und dann in schallendes Gelächter ausbricht. „Okay, jetzt reicht es,“ rufe ich gespielt böse und wedle mit dem Pinsel, bis auch er mit Farbe befleckt ist. Dann nähere ich mich ihm mit erhobenem Farbwerkzeug und sehe ihn grinsend an: „Ich wollte mich eh noch für vorhin rächen.“ Nun hebt er ebenfalls den Pinsel und wie zwei Cowboys beim großen Showdown umzingeln wir uns gegenseitig. „Versuchs doch,“ fordert er mich heraus. Das sehe ich als Startschuss und attackiere ihn mit dem Pinsel. Er wicht im richtigen Moment aus, rennt von dannen, nicht ohne mich dabei noch mit Farbe im Gesicht zu beschmieren. „Ich krieg dich,“ fluche ich und stürme ihm nach. Da keine Möbel im Weg stehen, können wir eine ganze Zeit lang durch sein Wohnung jagen, bis ich ihn tatsächlich zu fassen kriege. Triumphierend schlinge ich die Arme um seine Hüften und zerre ihn zu mir zurück, wobei wir fast noch rückwärts umkippen. Dann trifft ihn mein erster vernichtender Pinselschlag am Arm. Er quiekt auf und windet sich in meinen Arm, um zum Gegenangriff anzusetzen. Ich bin aber schneller, fange seine Hand ab und nehme ihm den Pinsel ab, mal ihm dann einen hübschen Streife – noch roter - Farbe quer über das ganze Gesicht. „Ih,“ macht er und befreit seine Hand, um es wegzuwischen, verschmiert es aber nur noch mehr. Jetzt sieht er aus wie ein Indianer. „Das ist erst der Anfang,“ hauche ihm mit echter Bösweichtstimme ins Ohr und packe ihn fester, ehe ich seinen Arm mit einer hübschen Wellenlinie dekoriere. „Wie unfair! Gib mir meinen Pinsel wieder,“ brummelt er und versucht erneut, sich zu entwinden. Damit erreicht er aber nur, dass wir beide nach hinten taumeln und auf der Couch landen. Gott sei Dank haben wir die abgedeckt! Ich – über ihm – grinse triumphierend und blicke auf ihn hinab. Er sieht aufmüpfig zurück und drückt mit seinem Körper gegen meinen, was mich zu meinem Entsetzen scharf einatmen lässt. Um davon abzulenken, werfe ich den Pinsel achtlos zu Boden und beginne, ihn durchzukitzeln, bis wir beide völlig erschöpft und nach Luft japsend, auf der Couch liegen. „Ich glaube, ich streiche den Rest grün,“ meint er irgendwann erschöpft und blickt zu mir. Ich sehe ihn an. Er hat immer noch Farbe im Gesicht und ich beuge mich über ihn, um sie wegzuwischen. Sanft streiche ich über sein Gesicht, bis die Farbe nicht mehr ganz so dick auf seinem Gesicht zu erkennen ist. Er sieht überrascht zu mir hoch und ich fange seinen Blick nach einiger Zeit auf. Bisher ist mir noch gar nicht aufgefallen, was er für hübsche dunkelbraune Augen hat. Nun sehen mich diese fragend an und ich werde mir bewusst, was ich gerade tue. Ein wenig ruckartig ziehe ich die Hand von seiner Wange weg. „Dann sollten wir uns ranhalten, damit wir heute noch fertig werden,“ eröffne ich ihm und zu meinem größten Ärger klingt meine Stimme belegt. Ich springe auf und packe seinen Arm, um ihn auch hoch zu ziehen. „Los, nicht so faul!“ Er sieht ein wenig verwirrt aus, lässt sich aber nichts anmerken. Stattdessen greift er nach einem Pinsel und streicht die eine Wand mit schwarz zu Ende. Ich hingegen versuche mich schon am Öffnen der grünen Farbe und irgendwann haben wir auch die Wände im Wohnzimmer fertig. Beide sehen wir ziemlich zerstört aus, sind über und über mit Farbe bedeckt. Ich sehe ihn an und er mustert mich von oben bis unten: „Duschen?“, will er dann wissen und ich nicke. Ich darf zu erst ins Bad, während er dabei ist, seiner Lieblingsbeschäftigung nachzugehen: Kaffee kochen. Dass er es bisher ohne Kaffee ausgehalten hat, hat mich ja ehrlich gesagt ein wenig verwundert. Während ich dusche, bemerke ich belustigt, dass er Duschgel mit Kaffeegeruch besitzt. Manchmal frage ich mich echt, was bei dem Jungen eigentlich schief gegangen ist, aber irgendwie ist das ja auch süß. Nun riecht nicht nur die ganze Wohnung nach Kaffee, sondern auch ich selbst, und so weiß ich gar nicht, ob ich nun mich oder seinen Kaffee erschnüffle, als ich in die Küche trete. Valentin hat mir ein Shirt von sich zu geben, dass ihm zu groß ist und mir gerade so passt. In diesem und in Shorts, lasse ich mich ihm gegenüber auf einen Küchenstuhl fallen und warte geduldig, bis der Kaffee fertig ist. „tut mir Leid, dass ich keinen so tollen Bademantel habe,“ neckt er mich, ehe er selbst duschen geht. Ich habe meine Tasse gerade geleert, als er wieder auftaucht. Auch nur in Shorts, einem etwas weiten Shirt und nassen Haaren – ein irgendwie sehr süßer Anblick. Wir sehen uns in der Wohnung um, während er seinen Kaffee trinkt. „Ist doch ganz gut geworden,“ stellt er fest und ich nicke. „Sieht gut aus, ja,“ stimme ich zu. Er grinst mich begeistert an und trinkt von seinem Kaffee. Wenig später ist er fertig und ich verabschiede mich, um in meiner Wohnung tot müde ins Bett zu fallen. Aber wenigstens haben wir heute alles geschafft, was es zu schaffen galt. Zufrieden schlafe ich ein. Einige Wochen später kommen wir gerade aus der Stadt und laufen gemeinsam zum Wohnheim zurück. „Gehst du eigentlich nach Hause,“ will ich wissen und sehe Valentin, über den Rand meiner Pizza hinweg, an. Wir haben uns gerade an einem Imbiss etwas zu Essen gekauft. „Ja,“ erwidert er gedehnt. „Leider.“ Er seufzt tief und meint leise: „Weiß du, ich hab immer das Gefühl, man will mich dort nicht haben.“ Ich sehe zu ihm und kann mir das kaum vorstellen. Er ist so ein lustiger und offener Mensch, immer fröhlich und aufgeweckt… Kaum vorstellbar, dass irgendjemand ihn nicht bei sich haben will. Schon gar nicht seine Eltern. „Ich bin sicher, sie freuen sich, dich zu sehen!“ Er zuckt lustlos mit den Schultern und beißt beherzt in seine Pizza. „Weiß nicht.“ Es geht übrigens um die bevorstehenden Semesterferien. „Fährst du?“, lenkt er das Thema dann nicht sehr geschickt auf mich. Ich nicke. „Natürlich. Ich will die anderen unbedingt wieder sehen.“ Das ist der Grund, warum ich unbedingt nach Hamm will. Benni wird auch die Ferien dort verbringen und dann sind wir alle wieder zusammen. Ich sehe zu Valentin, der betrübt auf sein Pizzastück starrt. Schade nur, dass er nicht dabei sein kann. Ohne dieses quirlige Kerlchen wird mir irgendwie was fehlen. „Wenigstens siehst du deine Freunde dann wieder,“ versuche ich ihn zu erheitern und runzle im nächsten Moment die Stirn, weil mir auffällt, dass er noch nie von seinen Freunden erzählt hat. Scheint auch nicht sein Lieblingsthema zu sein, denn er sieht mich nur ausdruckslos an und meint dann gedehnt: „Jaaa.“ Ich ziehe die Brauen hoch. „Nicht?“, will ich wissen und überlege, ob sie vielleicht weggezogen sind oder warum er so betrübt drein blickt. „Ich mag meine Freunde nicht. Die sind nur aus Mitleid mit mir befreundet,“ eröffnet er mir dann, schürzt die Lippen und isst schweigend seine Pizza weiter. Was ich darauf sagen soll, weiß ich auch nicht so genau. Also knuffe ich ihn nur in den Arm. „Dann sieh das ganze positiv: Irgendwann gehen auch die Ferien vorbei.“ Er grinst mich schwach an und meint: „Klar.“ Oh man… Kapitel 5: Es ist nicht so, wie es aussieht ------------------------------------------- Eine Woche später springe ich gegen halb vier morgens aus dem Bett, dusche und ziehe mich dann an. Ich muss nur noch ein paar wenige Kleinigkeiten einpacken, die ich am Tag zuvor noch gebraucht habe, dann kann es losgehen. Ab nach Hause. Endlich. Ich habe mich gestern noch von Valentin verabschiedet, was mir ehrlich gesagt ziemlich schwer fiel. Die Vorstellung, ihn jetzt eine ganze Zeit nicht zu sehen, ist irgendwie hart. Gegen Fünf stehe ich mit gepacktem Koffer vor meiner Türe und schließe sorgfältig ab. Um halb Sechs geht mein Zug nach Hamm. Als ich gerade gehen will, ertönt hinter mir eine Stimme und ich fahre erschrocken zusammen. „Viel Spaß dir dann,“ meint Valentin und sieht mich undefinierbar an, während er seine Türe aufschließt. Ich wuchte meinen Koffer hoch und sehe ihn irritiert an. „Was machst du hier? Ich dachte, dein Zug ist schon abgefahren… Warum bist du dann wieder hier? Du solltest doch schon längst weg sein?“, sprudelt es sinnlos aus mir heraus. „Tja…“, meint er. „Ich wäre auch schon längst weg, wenn man mir nicht fünf Minuten vor Abfahrt eine SMS geschickt hätte, dass ich nicht kommen brauche, weil sie verreisen.“ Er klingt verbittert, obwohl es ihm wahrscheinlich irgendwie auch Recht kommt. „Dann bleibe ich also hier… und vergammel.“ Plötzlich doch wütend, reißt er energisch die Türe auf, die aufspringt und dabei fast aus den Angeln fällt. „Nicht dein Ernst,“ meine ich fassungslos und dann runzle ich die Stirn. „Du willst doch jetzt nicht wochenlang alleine hier rum sitzen?“ Was hat der Kerl denn für beschissene Eltern? Ich kann das gar nicht verstehen. „Muss ich ja wohl,“ meint er nur betrübt, zuckt mit den Schultern und schleift sein ganzes Gepäck in seinen Flur. „Aber das ist doch blöd,“ befinde ich und sehe ihn dann auffordernd an: „Komm mit mir.“ Ehe ich nachgedacht habe, ist mir das schon rausgerutscht und Valentin sieht mich aus großen Augen an. Würde ich wohl auch, wenn ich könnte. „Was?“, meint er und scheint mir nicht abzunehmen, dass das mein Ernst ist. „Quatsch,“ winkt er dann ab. „Ich bleibe hier.“ „Doch! Komm mit!“, rufe ich, diesmal wieder ganz Herr meiner Sinne. Ich weiß nicht, was mich da gerade geritten hat, aber eigentlich ist die Idee ja ganz gut. „Dann bist du wenigstens nicht so alleine und ich hab Unterhaltung. Das stört bei mir einen und ich würde mich freuen.“ Er scheint noch immer ein wenig ungläubig. „Du willst mich echt mit zu dir nehmen?“ Ein wenig lockert er den Griff um den Henkel seiner Reisetasche. „Das muss nicht sein…“ „Ach, jetzt komm schon,“ schimpfe ich und packe seinen Arm, ziehe ihn wieder in den Außenflur. „Und beeil dich, wir müssen zum Zug.“ Ehe er wieder widerspricht, zerre ich an seinem Arm und er schnappt sein Zeug, schließt wieder ab und folgt mir dann. Wir kommen gerade noch pünktlich am Bahnhof an und irgendwie bin ich mit der Situation gerade mehr als nur zufrieden. Ich sehe Valentin zu, wie er schläft, während der Zug gemächlich vor sich hin tuckert. Wir haben uns ein Ticket geteilt, sind also noch billiger weggekommen. Ich kann mir immer noch nicht wirklich erklären, warum ich ihn gebeten habe, mitzukommen. Aber ich bereue es nicht. Und wahrscheinlich habe ich es einfach getan, weil ich weiß, dass es schön werden kann, mit ihm zusammen in Hamm zu sein. Ich grinse. Was soll ich denn auch ohne meinen nervigen Nachbarn anfangen? Schwerfällig öffnet er seine Augen und sieht aus dem Fenster. „Sind wir bald da?“, fragt er nuschelnd und ich nicke. „Bald.“ In dem Moment halten wir und eine Oma steigt zu. Hastig zerre ich meinen Koffer vom Flur, dass sie vorbeikommt. „Stell doch nicht alles in den Weg,“ kommentiert Valentin das ganze amüsiert und ich sehe ihn empört an. „Meine Tasche steht da nur, weil dein ganzes Gekruschel den restlichen Platz einnimmt!“ „Lass mich doch,“ murrt er daraufhin nur. „Ich lass dich ja. Aber du hast mehr Gepäck, als ein Mädchen,“ ärgere ich ihn weiter. In der Tat hat er eigentlich nur eine Reisetasche, eine normale Tasche und seine Gitarre. Aber das ist schon mehr, als ich dabei habe. Er für seinen Teil geht aber gerne auf mein kleines Geplänkel ein, guckt gespielt böse und meint: „Ich brauch das alles. Und was kann ich dafür, dass du nur fünf T-Shirts eingepackt hast?“ Ich muss lachen. „Ich hab mehr, als nur fünf T-Shirts eingepackt,“ rechtfertige ich mich dann. „Ach ja? Wie viele denn? Sechs?“ Ich bewerfe ihn mit einem Schokoriegel. „Zehn. Und jetzt sei ruhig.“ Kurz darauf hält der Zug in Hamm. „Wie ein Mädchen, sag ich doch!“, lache ich und helfe ihm, seine Reisetasche zu schultern. „Haaahaaaa,“ murrt er und schultert seine überfüllte Umhängetasche. Auch dabei muss ich ihm helfen. Ich grinse mir einen ab und sehe ihm zu, wie er sich abkämpft, mit der Reisetasche auf der einen und der Umhängetasche auf der anderen Seite. In einer Hand hat er seine Gitarre, in der anderen seinen iPod und einen Kaffeebecher. „Du bist so umständlich,“ stelle ich fest und nehme ihm die Gitarre ab, helfe ihm dann, den iPod um seinen Hals zu hängen, ehe wir endlich aussteigen können. „Danke,“ meint er kleinlaut und wir beeilen uns, ehe der Zug noch weiterfährt. „Hier wohnst du also,“ fragt er und sieht sich um. „Ja… ist nichts besonderes,“ winke ich ab. Es ist eben Hamm… „Hallo,“ ruft er aber. „Ich kenne nur Bonn und Köln. Da ist Hamm eine wahre Sehenswürdigkeit,“ neckt er mich. Bonn kennt er übrigens, weil er aus Bonn stammt. So viel habe ich mal aufgeschnappt. „Idiot,“ betitle ich ihn amüsiert und sehe mich um. „Und wo bleiben jetzt meine Eltern?“ Ich hoffe, sie haben mich nicht vergessen. Ich überlege gerade, ob ich auch die richtige Uhrzeit durchgesagt habe, als ich jemand ganz anderen entdecke. „Benni!!!“ So schnell es mit Tasche und Gitarre geht, eile ich auf Benni zu und umarme ihn umständlich. „Hey, Lieblingsbesterfreund,“ grinst er mich an und wuchtet mir eine Hand auf den Rücken. „Schön dich zu sehen.“ „Hey Benni,“ lächle ich erfreut. „Was machst du hier?“ „Deine Eltern arbeiten noch und ich habe mich angeboten, dich abzuholen.“ „Wir,“ korrigiert ihn in dem Moment Jona und tritt hinter ihm hervor. Ihn habe ich noch gar nicht bemerkt. „Hey Josh,“ begrüßt er mich und ich falle auch ihn um den Hals. „Hey, Kleiner.“ In dem Moment trudelt Valentin hinter uns ein, bricht fast keuchend unter seiner Last zusammen. „Oh maaan,“ stöhnt er und verkündet, er sie kurz vorm Zusammenbruch. Nun ist es an Benni und Jona, ihn irritiert zu mustern und dann mich fragend anzublicken. „Ja, also…“, meine ich peinlich berührt. Fast hätte ich meinen hauseigenen Emo vergessen. Ich packe ihn und ziehe ihn zu mir. „Das ist Valentin. Mein tyrannischer Lieblingsnachbar,“ stelle ich ihn vor. „Hey,“ meint er in die Runde und bekommt ein ‚Hey’ zurück. Benni wirkt noch immer irritiert, aber Jona grinst ihn voll an. Sicher Valentin voll sein Ding. Hat er endlich einen Emo, der ihn in unserer Normalorunde unterstützt. „Seine Eltern wollen ihn nicht haben, da dachte ich, nehme ich ihn mit. Er macht sich doch gut als Dekoration,“ eröffne ich den anderen und grinse Valentin an, ernte nur ein weiteres ‚ha ha’. „Also? Gehen wir oder bleiben wir noch länger hier stehen?“, meine ich dann und es komm Aufbruchstimmung auf. Die anderen Beiden sind mit Bennis Auto hier und so setzt sich unsere kleine Gruppe in Bewegung. Er beschließt, uns erst Mal nach Hause zu fahren, weil wir sicher müde sind. Oh, wie Recht er hat. „Was ist das… zwischen dir und Valentin?“ Ich wusste, dass Benni das früher oder später fragen würde. „Was soll da sein? Ich wollte ihn nicht so lange alleine lassen. Ist doch deprimierend. Und hier stört er keinen, sondern bringt sicher ein wenig Action in die Runde.“ Ich zucke mit den Schultern und sehe nach vorne, wo sich Jona und Valentin an die Spitze gesetzt haben und sich über irgendwelche Bands unterhalten, die man ganz, ganz, ganz, ganz unbedingt kennen muss. „Verstehe“, meint Benni gedehnt und belässt es dabei, obwohl ich ihm anmerke, dass er mir das nicht so ganz abkauft. Aber so ist es doch, was soll ich machen? Wenig später stehen wir vor meinem Haus und Benni und Jona verabschieden sich für später. Ich schließe die Türe auf und uns schlägt der vertraute Geruch von Apfelkuchen entgegen. Meine Mum backt leidenschaftlich gerne, aber immer nur Apfelkuchen. Alles andere gelingt ihr irgendwie nie. Ich lasse Valentin eintreten und er sieht sich um. „Hübsch hier,“ stellt er dann fest. Es sieht ungefähr genauso aus, wie in meine Wohnung in Köln. Die Möbel sind von Ikea und meine Mum hat ein Händchen dafür, alles modern und elegant wirken zu lassen. „Nichts besonderes,“ winke ich zum zweiten Mal am heutigen Tage ab und gähne dann. „Was hältst du davon, wenn wir eine Runde schlafen gehen?“ Er nickt und so gehen wir nach oben, wo mein Zimmer liegt. Es sieht noch genauso aus, wie ich es verlassen habe. Nur einige Sachen fehlen, weil die jetzt in Köln sind. Das Gepäck lassen wir einfach achtlos auf dem Boden in meinem Zimmer stehen und ziehen uns um. In Shorts und Schlafshirts klettern wir dann ins Bett. „Stört dich doch nicht, wenn du mit mir im Bett schläfst, oder?“ will ich wissen, als, wir uns schon unter die Decke gekuschelt haben. Groß genug ist es ja und so… „Schon okay,“ winkt er müde ab und ich schätze, er würde jetzt einfach über all schlafen, so lange er nur schlafen kann. Zufrieden kuschle ich mich in die Federn und bin auch gleich eingeschlafen. Als ich wieder erwache, bin ich zu bequem, die Augen zu öffnen. Also vergrabe ich meine Nase in meinem Kopfkissen und atme tief ein. Kaffee. Es riecht herrlich nach Kaffee und ich liebe diesen Geruch einfach total sehr. Also ziehe ich es noch ein wenig näher, rolle mich fast ganz darauf und bin glücklich. Gerne hätte ich jetzt noch eine Runde geschlafen, aber plötzlich murrt mein Kissen unter mir und… hä? „Was machst du da, Joshi?“, murmelt mein Kissen schlaftrunken und ich stelle fest, dass es Valentin ist, an dem ich da herumtatsche. Ich richte mich abrupt auf und sehe zu ihm hinunter. Oh mein Gott, ich hab gerade noch auf ihm gelegen!!! „Sorry,“ meine ich dann leise und auch ein wenig peinlich berührt. „Ich bin es nur nicht gewohnt, dass wer neben mir im Bett liegt…“ „Schon gut…,“ nuschelt er schlaftrunken. „War ich wenigstens bequem?“ Ich erröte und gebe ein ‚Hmhm’ von mir. Dann stehe ich auf. „Kaffee?“ „Was fragst du noch?“, murmelt er und das frage ich mich auch. Eigentlich klar, dass er da nicht nein sagt. Während ich also zur Türe watschle, dreht er sich im Bett um und liegt nun ausgebreitet darauf, vergräbt sein Gesicht im Kissen. „Dein Bett riecht nach Vanille,“ klärt er mich auf. Ich muss lächeln und tapse noch immer müde nach unten, um endlich Kaffee zu kochen. Kurz darauf rufe ich nach Valentin und gieße zwei Tassen voll. Irgendwann erscheint der Emo gähnend im Türrahmen und grinst mich dann an. „Na.“ Noch ein wenig irritiert von der kleinen Bettszene lächle ich nur schief: „Kaffee steht auf dem Tisch.“ Schon stürzt er sich darauf und sieht mich dann tadelnd an. „Nun guck doch nicht so… ich bin dir doch nicht böse.“ Oh super, jetzt denkt er auch noch, dass ich glaube, er wäre böse auf mich. Aber was soll ich sagen? ‚Bin ich nicht Valentin. Ich bin nur komplett verwirrt, weil mich deine Nähe irgendwie unsicher macht…’ Klingt ja ganz toll. „Joshua,“ murrt er. „Grins doch mal,“ fordert er mich dann auf und stellt den Kaffee weg, um mich in die Seiten pieken zu können. Ich muss tatsächlich los lachen und versuche, seine Hände zu packen. „Hör auf,“ japse ich und gehe dann zum Gegenangriff über. Das kann nicht ungesühnt bleiben. Während ich ihn also durchkitzle, windet er sich in meinen Armen. „Hör du auf,“ quiekt er und versucht sich daran, mich wieder zu kitzeln. Ich packe seine Arme und verschränke sie hinter seinem Rücken, so dass er eng an mich gepresst dasteht und sich nicht mehr wehren kann. „Gewonnen,“ grinse ich ihm entgegen und puste ihm eine Strähne aus dem Gesicht, während er schmollt. Belustigt blicke ich auf und in dem Moment gefriert mein Grinsen ein. „Mum!“ Nun blickt auch Valentin erschrocken über die Schulter und ich lasse ihn los. Muss sicher komisch aussehen, wie wir hier, nur in Schlafklamotten, eng umschlungen in der Küche stehen. Dann setzte ich erst Mal an, meiner Mum zu erklären, dass das alles gar nicht so ist, wie es aussieht und erkläre ihr, warum Valentin überhaupt hier ist. In der ganzen Zeit, in der ich auf meine Mutter einrede, sagt Valentin kein Wort, sondern grinst nur höflich und nickt. Dann endlich scheint meine Mutter mir zu glauben und wir flüchten uns nach oben in mein Zimmer. „Das war ja jetzt blöd,“ stellt er fest. „Na ja,“ winke ich ab und lasse mich auf mein Bett fallen. Ich konnte es ja klären. Ich werfe mich nach hinten und mein Blick fällt auf meinen Wecker. Ich habe ganz die Zeit vergessen und muss feststellen, dass es schon kurz vor Sechs ist. „Ach fuck,“ fluche ich. „Um Sieben holen uns Benni und Jona ab. Wir sollten uns fertig machen!“ Die nächste Zeit verbringen wir also damit, uns anzuziehen und Valentin versucht, seine zerwühlte Frisur zu bändigen. Irgendwann ist er zwar angezogen, wühlt aber immer noch in seinem Koffer nach Klamotten. „Ich weiß nicht, was ich anziehen soll…“ Fragend sieht er zu mir. „Geht das so?“ Mir begegnet sein unsicherer Blick und ich mustere ihn und nicke. „Du siehst gut aus.“ „Gut,“ freut er sich daraufhin. „Ich will ja einen guten Eindruck hinterlassen… Nicht so, wie bei deiner Mum.“ Die Sache hängt ihm wirklich nach. Ich muss lachen und warte an der Türe auf ihn. Dann gehen wir nach unten und wenig später fährt Benni vor. „Na, alles klar?“, fragt er und ich erzähle ihnen während der Fahrt von unserer kleinen Showeinlage vor meiner Mum. „Du hattest schon immer ein Talent, dich in blöde Situationen zu verfrachten,“ kommentiert Benni das ganze und ich tue gespielt beleidigt. Den Sommer haben wir schon immer im Park verbracht. Zum einen, um Basketball zu spielen, zum anderen, weil wir dort alle bequem sitzen und grillen können. Valentin hält sich dicht bei mir, während ich alle anderen begrüße. Sicher fühlt er sich fehl am Platz, aber das werde ich schon zu ändern wissen. „Die wissen doch gar nichts mit mir anzufangen,“ höre ich ihn flüstern und will gerade antworten, als mir Jona zuvor kommt. „Keine Sorge. Ich war auch mal der ‚Neue’,“ lächelt er ihn aufmunternd an. Ich bin froh, dass Jona das sagt. Valentin macht einen verlorenen und unsicheren Eindruck, ganz anders als sonst. Das wird zwar nicht wirklich besser, obwohl Jona nun gut auf ihn einredet, aber er wird bald merken, dass er sich keine Sorgen machen muss. „Leute,“ meine ich also, um ihn endlich den anderen vorstellen zu können. „Das ist Valentin, mein neuer Nachbar.“ Ich zerre ihn zu mir und erkläre in kurzen Sätzen, warum ich ihn mitgebracht habe. Der Rest lächelt ihn an und er entspannt sich minimal. „Hi,“ meint er betont selbstbewusst und irgendwie klingt es kläglich, was ich dezent überhöre und alle anderen nicht zu merken scheinen. Sie grinsen ihn an und ich beginne, sie alle einzeln näher mit ihm bekannt zu machen, damit er seine Hemmungen verliert. Vic – eigentlich Victor – scheint sofort Gefallen an Valentin zu finden. „Wir müssen dir unbedingt Basketball beibringen,“ befindet er und grinst Valentin euphorisch an, der alles andere, als begeistert aussieht. „Du bist doch zu blöd dazu, jemanden das Spielen beizubringen,“ mischt sich daraufhin Lukas ein – seines Zeichens Vics bester Freund – und zerrt Valentin zu sich. „Wenn ich es dir beibringe, wirst du besser spielen, als er in seinen besten Tagen,“ versichert er ihm und deutet zu Vic. „Eher noch schlechter,“ lacht Chris und sieht Valentin interessiert an. „Warum bist du eigentlich nicht nach Hause gefahren?“ Weil Valentin nicht so aussieht, als ob er darauf antworen möchte, fällt Jona in das Gespräch ein. „Genug jetzt mit der Fragerei. Ich hab nämlich totalen Hunger!“ Auffordernd blickt er zu Jona. „Wie sieht’s aus mit Essen?“ „Du weißt doch, ich bin der absolute Grill-Profi,“ grinst dieser und läuft zum Lagerfeuer zurück, dass fröhlich vor sich hin flackert. „Siehst du,“ ruft er Jona zu. „Das Fleisch ist perfekt.“ Was für ein Angeber, stelle ich grinsend fest. „Sie sind ein wenig stürmisch, aber das heißt nur, dass sie dich mögen,“ lächle ich Valentin an und schleife ihn mit zum Lagerfeuer. „Ich komme mir trotzdem doof vor,“ nuschelt er zurück. „Das brauchst du nicht. Du bist schneller integriert, als dir lieb ist,“ mischt sich Benni ein und holt zu uns auf. Dann zerwühlt er Valentin das Haar und der sieht nun genauso aus, wie er sich wohl fühlt. Ich grinse. Wenig später essen wir und diskutieren über das Gesprächsthema Nummer eins: Basketball. „Ich kenn euch versichern, dass jeder einzelne von euch besser ist, als diese Sportstudenten,“ meine ich. Okay, ich gebe es zu. Ich hab schon zwei Bier und vielleicht sage ich das auch nur deshalb. Aber andererseits habe ich mich in keiner Mannschaft je wohler gefühlt, als unter den Jungs hier und mithalten könnten sie auf meiner Schule ganz sicher. „Jaaa,“ mein Jona belustigt. „Damals. Das waren noch Zeiten,“ grinst er und bekommt einen Knuff von mir ab. „Tu nicht so,“ stellt Benni seinen Freund zur Rede. „Du hast selbst gesagt, dass unsere Mannschaft besser war, als deine jetzige.“ „Das waren wir auch,“ fällt ihm Lukas ins Wort, ehe Jona auch nur einen Ton sagen kann. „Die anderen hängen sich nicht so rein.“ Er muss es wissen, er ist in seinem letzten Jahr, gehört also noch zur Mannschaft. „Ohne uns seit ihr eben aufgeschmissen,“ lacht Vic. Er hat mit uns seinen Abschluss gemacht und studiert jetzt Wirtschaft in Düsseldorf. „Ja, weil wir die absolut Besten sind!“, stimmt Benni zu. „Trotzdem führen wir die Tabelle an,“ gibt Chris zu bedenken und sieht zu mir. „Wie ist die Schule ansonsten so? Ich wünschte, ich könnte meine Mum überzeugen, darauf gehen zu können…“ Wir wissen alle, dass Chris neben Jona der einzige ist, der ernsthaft über eine Profikarriere nachdenkt. Und wir wissen alle, dass er sehr gerne Sport studieren würde um so einen sicheren Anhaltspunkt zu haben, falls das nicht klappt. „Ich finde die Schule genial,“ schwärme ich und grinse Chris an. „Und wenn du zu uns kommst, dann haben wir endlich einen talentierten Kerl in der Mannschaft. Außer mir.“ „Jaa, aber ich klau dir dann deine Position,“ neckt er mich. „Das schaffst du nicht noch einmal,“ erwidere ich grinsend. „Und wenn doch, spielst du einfach als Power-Forward,“ wirft Vic ein. Seine frühere Position. Ab und an musste ich auch auf dieser Position spielen und habe mich da eigentlich auch ganz gut eingefügt. Trotzdem bin ich lieber als Spielmacher auf dem Feld. Wir quatschen noch ein wenig darüber und mein Blick fällt auf Valentin, der schweigend zuhört. Natürlich kann er nicht wirklich mitreden und das tut mir Leid. Als er dann auch noch seufzt und betrübt in seine Bratwurst beißt, möchte ich ihn am liebsten in den Arm nehmen und lege ihm eine Hand aufs Knie, was ihn ein wenig lächeln lässt. „Wer hat jetzt Lust auf ein Spielchen?“, fragt Chris in dem Moment in die Runde und springt auf. Sofort fallen wir alle ein. Wenn es etwas gibt, was ich vermisst habe, dann das. Ein Spiel mit den Jungs. Und so spielen wir Zwei gegen Zwei. Chris und ich gegen Viktor und Benni. Die anderen bleiben zurück, essen noch. Ganz leise kann ich sie reden hören. Lukas möchte unbedingt auch noch spielen und erwähnt das jede Minute mindestens einmal. „Joar,“ wägt auch Jona ab und als ich zu ihnen sehe, sehe ich, wie er Valentin ansieht. „Josh muss es dir unbedingt beibringen, damit du auch mal in den Genuss kommst,“ höre ich ihn sagen. „Ich weiß gar nicht, ob ich in diesen Genuss kommen will,“ antwortet Valentin daraufhin und ich muss lachen und kriege den Ball an den Kopf. „Konzentrier dich,“ grinst Chris mich an. „Ich bin nicht so die Sportskanone,“ murmelt Valentin und ich sehe, wie er seinen Klecks Ketchup auf dem Pappteller verteilt. „Du studierst Sport, bist aber keine Sportskanone? Wie passt das denn zusammen?“, fragt Lukas daraufhin ungläubig und Jona klärt ihn daraufhin auf, dass Valentin gar kein Sport studiert, sondern Musik. „Sieh an,“ strahlt Lukas daraufhin vergnügt. „Dann kannst du uns ja sicher was vorspielen,“ bittet er in dem Moment, in dem wir unser kleine Spiel beenden. Er holt seine Gitarre hervor, die bisher am Baum gelehnt hat. Ich erfahre von Vic, dass er ihn dazu gedrängt hat, diese mitzubringen. Valentin schielt zur Gitarre und ich sehe die Begeisterung in seinen Augen. „Klar.“ „Er spielt in einer Band,“ erklärt Jona weiter, „Das heißt, wir kriegen jetzt voll das Privatkonzert vom nächsten Superstar.“ Nun muss Valentin lachen und es ist schön, dass zu sehen. „Du bist doch doof.“ „Laber nicht. Irgendwann… da werde ich vor einem Konzertplakat stehen und allen sagen, dass der coole Typ da ein Freund von mir ist.“ „Jaha… und ich mach das gleiche vor einem NBA Plakat, auf dem du zu sehen bist.“ „Und ich werde neben euch stehen und so tun, als ob ich euch nicht kenne,“ grinst Lukas. „Sind wir dir peinlich, ja?“, fragt Jona gespielt betroffen und überlegt dann, ihn in die zweite Mannschaft zu stecken. So geht das Geplänkel hin und her und ich trete zu ihnen. „Und? Wer wechselt mich ab?“, will ich wissen und schon springt Lukas auf. „Ich geh schon. Du weißt doch, dass ich Vic fertig machen muss.“ Und schon ist er weg. „Und von was habt ihr Hübschen es gerade?“, frage ich, obwohl ich es ja eigentlich weiß. „Valentin will uns was vorspielen.“ „Oh ja, dass er kann er euch auch nicht vorenthalten,“ lächle ich und knuffe ihn. „Stimmt’s?“ Er bläst die Backen auf und nickt. „Unter einer Bedingung…“ Kapitel 6: Seifenoper --------------------- „Sie mögen dich,“ versichere ich ihm nochmals, während wir an der Theke des kleinen Bäckers stehen. Dieser befindet sich gleich neben dem Park, nahe dem Ausgang. „Das ist gut,“ nickt Valentin daraufhin nachdenklich und bezahlt bei der jungen Frau, die uns neugierig mustert und dabei fast Valentins liebstes Gut umschüttet. Hastig nimmt er den Kaffeebecher entgegen, ehe noch ein Unheil passiert, und wir verlassen den Bäcker. Ich spüre den Blick des Mädchens in unserem Rücken, als wir zurück zu den Anderen laufen. Ich könnte mir darauf was einbilden, aber irgendwie interessiert es mich nicht sonderlich. „Weißt du… es gibt noch freie Therapieplätze bei den Anonymen Kaffeeholikern,“ kläre ich Valentin dann Augenzwinkernd auf. „Idiot,“ murrt der daraufhin nur und genießt den ersten Schluck seines Lieblingsgetränkes. „Morgen bringe ich dir spielen bei,“ beschließe ich und zerwühle seine Frisur. „Dann fühlst du dich nicht mehr all zu fehl am Platz, wenn wir darüber reden.“ „Weißt du… ich bin wirklich nicht so talentiert in sportlichen Aktivitäten,“ murmelt er. Ich grinse und er verdreht die Augen. „Das meine ich damit nicht,“ faucht er. „Sorry, klang so schön zweideutig. Aber das wird schon, vertrau mir.“ Ob er mir vertraut oder nicht, erfahre ich aber nicht mehr, denn wir kommen wieder bei den anderen an. Inzwischen dämmert es. „Wir sind wieder dahaaa,“ verkünde ich unnötiger Weise und Jona springt sofort auf: „Super, dann kannst du ja jetzt was spielen!“ Er springt auf, um Lukas’ Gitarre zu holen, die an einem Baum lehnt, und sie Valentin zu überreichen. Jetzt, wo er seinen Kaffee hat, steht einer musikalischen Untermalung des Abends ja nichts mehr im Wege. Und so lassen wir uns wieder auf eine der Decken sinken, die auf der Wiese verteilt sind und Valentin nimmt ganz vorsichtig – als wäre es etwas Heiliges – die Gitarre an sich. Den Kaffeebecher sicher neben sich im Gras platziert, beginnt er, ein paar Akkorde zu spielen und murmelt was davon, dass sie einen schönen Klang hätte. „Irgendwelche Wünsche?“, fragt er dann in die Runde. „Jaaaaaa!“, brüllt Jona daraufhin so laut, dass wir alle zusammenzucken. „Was von ‚My chemical romance’.“ Er klatscht begeistert in die Hände, während alle anderen ein Raunen von sich geben. „Nicht schon wieder diese Krachband,“ finde ich den Mut, zu protestieren. Ich weiß noch genau, was letztes Mal geschehen ist, als wir die Band gehört haben. Danach sah ich aus, wie ein Zebra, voller schwarzer Streifen. „Die haben auch ruhige Songs,“ klärt Valentin mich auf und beginnt, einen Song zu spielen, der tatsächlich sehr ruhig ist. ‚Cancer’ heißt er, glaube ich. Aber eigentlich ist es mir egal, was er spielt. Ich sehe ihm einfach gerne dabei zu. Er sieht so selig aus, wenn er singt. Und so mitreißend. Und seine Stimme, mit der er alle in den Bann zieht… Ich beobachte ihn, wie er den Blick über die Anderen schweifen lässt. Er tut zwar immer so, aber ich sehe ihm an, dass er diese Art von Aufmerksamkeit genießt. Ich finde wirklich, er gehört auf eine Bühne. Egal auf welche, aber jemanden sein Auftreten vorzuenthalten kommt mir schon fast unfair vor. Während er spielt, wirkt er sehr sicher. Bestimmt hat er den Song auch schon einige Male gespielt. Er muss nicht groß nachdenken, er spielt einfach. Und das merkt man. Und er merkt es auch. Er strahlt aus, dass er weiß, dass er gut ist. Ich denke, dass ist vergleichbar mit dem Selbstbewusstsein, dass uns durchströmt, wenn wir einen Korb werfen. Ich blicke auf seine Finger, die förmlich über die Saiten fliegen und mein Blick schweift über ihn. Ich kann einfach nicht umhin, ihn anzusehen. Wenn er spielt, sieht er so wahnsinnig gut aus. Fast, als wäre er nicht von dieser Welt. Vielleicht ist das auch nur mein persönliches empfinden, aber es ist so. Weil ich nicht möchte, dass zu sehr auffällt, wie ich ihn mustere, bleibt mein Blick an seinen Lippen hängen und fast ist es, als würde ich jedes Wort spüren, wenn ich nur lange genug auf seine Lippen blicke. Wie es wohl wäre, tatsächlich die Worte zu spüren? Wie es wohl wäre… Der letzten Ton klingt aus, Valentin blickt in die Runde und sieht dann mich erwartungsvoll an. Ich nicke ihm zu. „Du hast nicht gesagt, dass er so gut ist,“ tadelt mich Benni in dem Moment und ich zucke mit den Schultern. „Dachte, das wäre klar,“ grinse ich. Aus irgendeinem Grund mustert Benni mich seltsam, ehe er sich lächelnd Valentin zuwendet und ihm noch einmal direkt sagt, wie gut er doch ist. Jona fordert noch ein paar Songs, während Victor feststellt, dass er noch Hunger hat und in der Kühlbox kramt, nach der letzten Packung Würstchen. „Sonst noch wer?“, will er wissen und Lukas reißt ihm die Packung aus der Hand. „Lass mal lieber mich machen,“ bestimmt er und geht zum Feuer. „Bei dir verbrennen sie nur.“ Und während sich die Jungs streiten, wer denn nun die Würstchen grillt, beginnt Valentin endlich wieder zu spielen und wir hören zu, bis das Essen fertig ist. Danach knabbern wir alle unsere Würstchen. Mittlerweile ist es dunkel und somit können wir nicht mehr wirklich Basketball spielen. Genau deshalb schlägt Jona vor, doch am nächsten Tag ein paar Matches auszutragen und so verabreden wir uns alle für Morgen. Dann sitzen wir noch ein herum und quatschen. Ich beobachte Jona und Benni, die miteiannder tuscheln und ab und an zu mir blicken und mir damit offenbaren, dass sie über mich reden. Was hecken die Zwei aus? Während ich mich mit Valentin unterhalte, schiele ich immer wieder zu den Beiden. Jona hat sich an Bennis Brust gelehnt und gähnt ständig. Sie haben mit Tuscheln aufgehört und Benni fummelt seine Freund an den Haaren herum. Die Zwei sind schon niedlich. „Ich geh pinkeln,“ eröffnet mir Valentin in dem Moment und ich bin ein wenig perplex, als er im nächsten Moment verschwunden ist. Meine Gedanken sind einfach nicht mehr klar. Seufzend wende ich mich Chris zu und schwärme ihm noch ein wenig von meiner Schule vor, bis ich finde, dass Valentin nun doch schon ziemlich lange weg ist, dafür, dass er nur pinkeln wollte. Also stehe ich auf und suche ihn. Ich muss nur ein Stück den Weg entlang laufen, ehe ich ihn entdecke. Er sitzt im Gras, nahe einem kleinen Teich und blickt auf das schwarze Wasser. „Ist dir nicht kalt?“, will ich wissen, weil es entfernt vom Feuer doch ein wenig kühl ist. Und wo er doch nur ein T-Shirt trägt… Ohne auf eine Antwort zu warten, werfe ich ihm meine Sweatshirtjacke über. Ich bin noch aufgewärmt vom Feuer, mich stört das nicht so. „Danke,“ meint er nur abwesend und kuschelt sich in meine Jacke. Ich warte darauf, dass er mir sagt, dass sie nach Vanille riecht, aber er sagt nichts. Ich lasse mich neben ihn ins Gras fallen und mustere ihn besorgt. „Was ist los? Warum sitzt du hier so alleine?“, will ich wissen. „Ich hab nur fünf Minuten gebraucht,“ winkt er ab und seufzt. „Magst du reden?“, frage ich ein wenig unbeholfen. Ich habe noch nie erlebt, dass Valentin eine andere Emotion gezeigt hat, außer Freude oder Wut. „Es ist nichts weiter,“ erklärt er mir. „Ich musste nur an meine Schwester denken. Wegen dem Song vorhin.“ Ich runzle die Stirn. „Was ist mit ihr?“ Bisher wusste ich nicht mal, dass Valentin eine Schwester hat. Er hat nie von ihr gesprochen. Nicht, dass er sonst viel von zu Hause erzählt hätte, aber das ich nicht mal weiß, dass er Geschwister hat… Irgendwie zieht mich das runter, aber ich sag nichts dazu. „Sie ist tot,“ erwidert er dann knapp und schlucke schwer. „Oh. Das… wusste ich nicht. Tut mir Leid.“ Was soll ich jetzt tun? Ihn umarmen? „Natürlich wusstest du das nicht. Ich hab es ja auch nicht erzählt.“ Er seufzt und lässt sich nach hinten ins Gras fallen. Unsicher sehe ich zu ihm hinab und traue mich nicht, zu fragen, was passiert ist, obwohl ich neugierig bin, es zu erfahren. „Wie..“, fange ich also kläglich an und er seufzt. „Sie hatte Krebs.“ Stille. Ich weiß nicht, ob er mehr erzählen will, aber als ich gerade nachfragen will, beginnt er, zu erzählen: „Sie ist gestorben, als ich Vierzehn war. Sie war Sieben und der kleine Engel meiner Eltern.“ Er verzieht das Gesicht. „Ich glaube, sie hätten es besser gefunden, wenn ihr missratener Sohn gestorben wäre. Nicht ihre Prinzessin…“ Ich ziehe scharf die Luft ein. „Das darfst du nicht denken.“ Er richtet sich wieder auf. „Es ist aber so, Josh. Ich bin die totale Enttäuschung. Schau mich doch an. Ihnen passt nicht, wie ich rumlaufe, was ich für Zukunftsvorstellungen habe… Und so war es schon immer. Ich habe immer versucht, sie zu beeindrucken. Aber es war ihnen sogar egal, dass ich eine Klasse übersprungen habe. Immer war Katarina – so hieß sie – der Mittelpunkt ihrer Welt. Nicht nur, weil sie krank war. Sondern auch schon davor. Und als sie krank wurde und ich ‚komisch’, da war es eh vorbei.“ Er malt mit dem Finger im Dreck herum. „Sie hassen mich dafür, dass ich gesund bin und sie so leiden musste. Und manchmal denke ich, sie hätten es lieber gehabt, ich wäre gestorben, nicht sie.“ „Das glaube ich nicht,“ meine ich aufgebracht und packe seine Schultern. „Das darfst du nicht denken.“ „Aber es ist so. Und manchmal denke ich, das sie Recht haben. Mich hätte keiner vermisst, weil mich keiner braucht…“ „Aber das stimmt nicht. Du hast Freunde,“ meine ich. Er schnaubt abfällig. „Die nur mit mir reden, weil ich der Kerl bin, dessen Schwester gestorben ist.“ „Und du hast mich,“ füge ich hinzu und lächle ihn an. „Und ich bin so froh, dich als Freund zu haben.“ Das klingt kitschig, aber es ist ja so. Was hätte ich die letzten Wochen nur ohne ihn gemacht? Er lächelt schwach. „Ich hab dich auch lieb, Josh.“ Nun muss ich auch grinsen und ziehe ihn in meine Arme. „Denk so was nicht mehr,“ bitte ich ihn. Er vergräbt seine Nase an meiner Schulter. „Ich vermisse sie so,“ flüstert er. „Ich weiß doch,“ meine ich leise und streiche über seinen Rücken. Spät am Abend fallen wir todmüde ins Bett. Keine Ahnung, wie viel Uhr es ist. Vielleicht ist es auch schon wieder früher morgen. Ich weiß nur, dass ich einschlafe und dann ewig lange penne. Es ist schon nach Mittag, als ich erwache. Zu meinem Entsetzen habe ich wieder Valentin im Arm, den das nicht stört. Er schläft selig und hat meinen alten Teddy in der Mangel. Süß… Leise stehe ich auf und schleiche mich aus dem Zimmer. In der Küche finde ich einen Zettel vor, dass meine Eltern bei Bekannten zum Essen eingeladen sind. Dann haben wir wenigstens unsere Ruhe, denke ich und koche Kaffee. Gerade wühle ich in den Schränken nach einem geeigneten Frühstück, als es an der Türe klingelt. Ich runzle die Stirn und frage mich, wer uns jetzt bitte besuchen kommt. Unangemeldet vor allem noch. Doch als ich öffne, habe ich meine Antwort. Benni. Wer auch sonst? „Auch endlich wach?“, fragt er lachend, weil ich noch immer in meinem Schlafklamotten bin. „Wo ist dein Emo?“ „Valentin schläft noch. Und er ist nicht mein Emo.“ „Natürlich nicht,“ meint er mit übertriebener, abwehrender Geste und tritt in die Küche. „Ui, Frühstück,“ freut er sich dann. „Was willst du?“, murre ich unfreundlich. Er taucht hier niemals grundlos auf und ich fürchte, es hat etwas damit zu tun, dass er gestern mit Jona getuschelt hat. Und – was auch immer es ist – darauf habe ich keinen Bock. „Die Wahrheit wissen,“ antwortet er in dem Moment. Er lässt sich an den Küchentisch fallen und schnappt sich ein Brötchen, bestreicht es dick mit Marmelade. „Sag mir endlich, was da zwischen euch läuft.“ „Nichts!“, fauche ich genervt und tue es ihm gleich, weil ich das Bedürfnis habe, etwas tun zu müssen. „Ich bitte dich. Du bringst ihn mit hier her, du kümmerst dich um ihn… ich hab doch gesehen, wie du ihn gestern angesehen hast. Oder wie du dich gesorgt hast, als er verschwunden war…“ „Ich mag ihn einfach gerne.“ Ich sehe ihn an und meine ein wenig unbedacht: „Ich bin nicht so wie du.“ Er verzieht den Mund, sagt aber nichts zu meinem Ton. Er weiß, dass ich ihn nicht dafür verurteile, dass er auf Kerle steht. „Ich habe auch gedacht, ich wäre hetero, bis ich Jona getroffen habe.“ „Aber du hast immer gesagt, dir würde etwas fehlen, in deiner Beziehung mit Amelie. Ich hatte nie solche Gefühle, als ich noch mit Teresa zusammen war…“ „Dann bist du eben bi, ist doch egal,“ wehr er ab. „Benni!“, meine ich scharf und sehe ihn wütend an. „Schon gut,“ winkt er ab. „Es sieht eben so aus.“ Er seufzt. Wahrscheinlich denkt er, es hat keinen Sinn, ich bin ein hoffnungsloser Fall. So ein Idiot. „Geht ihr mit in den Park?“ Ich nicke und bin froh, dass er das Thema endlich gut sein lässt. „Kaffee?“, biete ich ihm dann an. „Da komm ich ja genau richtig,“ ertönt es an der Tür und Valentin tritt ein. Seine Augen kleben förmlich an der Kaffeekanne. Er scheint schon geduscht zu haben. Seine Haare sind nass und er trägt nur Shorts. „Hey, Benni,“ begrüßt er diesen und der grinst ihn an. Ich schenke den Kaffee ein, kann aber zu meinem Ärgernis nicht leugnen, dass ich nicht doch ein paar Blicke auf Valentin werfe, wie er da so halb nackt in der Küche steht. Das ist alles Bennis Schuld, weil er einen so irritiert. „Es ist gar nicht so schwer,“ meine ich und erkläre ihm geduldig die Grundregeln, bis er sie wirklich verstanden hat. Wir sehen auf dem Basketballfeld im Park, vor einem Korb. Und ich versuche, ihm das Spiel beizubringen. Natürlich übertreibe ich es ein wenig. Hier, wo wir eh nicht fünf gegen fünf spielen können, ist es eigentlich egal, was jede Position zu tun hat. Aber je mehr er weiß, desto besser kann er mitreden. „Ich bin wirklich nicht der sportlichste,“ erklärt er mir schon wieder und ich höre gar nicht mehr zu. Die anderen spielen am gegenüberliegenden Korb ein Macht. Ich höre Jona jubbeln. Scheint gut für sein Team zu stehen. Ich werfe Valentin zu und fordere ihn auf, den Ball zu werfen. „Stell dich so hin,“ mache ich es ihm vor und korrigiere dann seine Haltung. Er sieht unbeholfen aus und ruckelt hin und her, doch als er wirft, trifft er. Ich ziehe die Brauen hoch. „Oha,“ meinen wir gleichzeitig. „Der Wurf war grauenvoll, aber immerhin hast du getroffen…“ Ich weiß, dass er weiß, dass ich ihm das nicht zugetraut habe. Er übt noch ein wenig, dann finde ich, können wir ein kleines Spiel spielen. Er nickt und sammelt den Ball auf. Dann läuft er los und ehe ich reagieren kann, ist er schon an mir vorbei und rennt auf den Korb zu. „Hey,“ rufe ich und laufe ihm nach, aber er hat schon geworfen. „Das war unfair,“ murre ich und schnappe den Ball. „Ich hatte noch gar nicht los gesagt.“ „Was kann ich dafür, wenn du so unsagbar langsam bist?“, entgegnet er nur frech. Ich muss lachen und es geht weiter. Er hat behalten, was ich ihm gesagt habe. Und er macht das ganz clever und stellt sich mir in den Weg, versucht, den Ball zu schnappen. Aber ich habe immer noch den Vorteil, auch von weiterer Entfernung werfen zu können. Und so gleiche ich aus und er schnappt sich den Ball. Dafür, dass er so unsportlich ist und eigentlich kaum Ahnung hat, hält er sich ganz gut. Für ein paar Streetmatches hier im Park reicht es allemal. Unser Spiel ufert ein wenig aus und so wirklich achten wir nicht mehr auf die Regeln. Ich umschlinge Valentins Hüften und schlage ihm den Ball aus der Hand. „Das ist unfair,“ ruft er lachend und schlägt ebenfalls wieder nach dem Ball. „Ich muss mich doch rächen,“ grinse ich und halte ihn fest, als er den Ball nachrennen will, ziehe ihn zurück und laufe selbst zum Ball. Wurf und Treffer. „Hey! Spielt ihr bei uns mit?“, ruft uns Benni in dem Moment zu und ich wechsle einen Blick mit Valentin, ehe wir zu ihnen joggen. „Sehr gut, dann ich eine Pause machen,“ stöhnt Chris auf und mimt dafür den Schiedsrichter. Es wird ein Match Benni, Lukas und Vic gegen Jona, Valentin und mich. Es fällt kaum auf, das Valentin noch kaum Spielerfahrung hat und das bisschen, dass er doch verhaut, kann Jona ausgleichen. Kurz gegen Ende, führen wir knapp. Ich sehe zu, wie Valentin Jona anspielt und dieser den Ball versenkt. Schon jubbeln die Zwei und tanzen herum. Da haben sich auch Zwei gefunden, grinse ich vor mich hin. Wenig später pfeift Chris ab und wir haben gewonnen. Coole Sache. „Revanche!“, brüllt Lukas. Aber bis auf ihn hat keiner mehr so richtig Luft. Benni verschwindet, allen was zu trinken besorgen und Jona begleitet ihn. Wer weiß, wo die Zwei am Ende hinverschwinden… Lukas zieht eine Schnute und Valentin und ich beschließen, noch eine Runde mitzuspielen. Vic wird dazu genötigt, auch noch mit zuspielen und so spielen wir letztlich Zwei gegen Zwei. Wenig später führen die anderen knapp und Valentin trifft, so dass wir aufgeholt haben. „Yeah!“, jubble ich und stürme zu ihm, um ihn durch zu knuddeln. Am Ende verlieren wir trotzdem, aber egal. „Wir sind trotzdem ein gutes Team“, winke ich ab und lächle ihn an. „Absolut,“ grinst er zurück. Am Wochenende sind wir mit Benni und den Anderen fürs Kino verabredet. Seit zwei Tagen regent es ununterbrochen und unsere Hauptbeschäftigung – Basketball – ist somit im Arsch. Aber davon lassen wir uns ja nicht entmutigen. Schon gar nicht, weil Jona und ich beschlossen haben, Valentin zu einem Profi zu machen, was der mit mäßiger Begeisterung auf sich nimmt. Heute aber erst Mal Kino. „Bist du fertig?“, frage ich und klopfe am Badezimmer an, wo dieser herumwuselt. Er schließt auf. „Du kannst ruhig mit rein,“ ertönt es drinnen. Als ich eintrete, zupf er an seinen Haaren herum. „Du bist hübsch genug, keine Sorge,“ lache ich und packe seine Hand. „Komm, wir sind schon spät dran.“ „Ja, ist ja gut,“ gibt er sich geschlagen und fügt sich, in dem er mir aus dem Bad folgt. Wenig später stehen wir vor dem Kino, wo die Anderen schon warten. „Also… könntet ihr euch dann mal entscheiden?“, will Vic wissen und stemmt die Hände in die Hüften. Die ganze Zeit diskutieren die anderen wohl schon, ob wir in einen Actionfilm oder in eine Komödie gehen werden. „Ich will den Actionfilm sehen,“ wirft Lukas ein. „Die Komödie soll gar nicht witzig sein.“ „Actionfilme sind langweilig,“ mault Chris. „Und hirnlos,“ fügt Benni hinzu. „Komödien sind auch hirnlos,“ erwidert Vic. „Wir könnten auch in einen anderen Film,“ wirft Jona ein. „’Sex and the City’,“ macht sich Valentin daran, das Programm vorzulesen. „Oh ja,“ lache ich. „Lasst uns doch in ‚Sex and the City’ gehen.“ Daraufhin lachen die Anderen und falle mit ein. Zwei Sekunden später vergeht mir mein Lachen abrupt, als hinter mir eine Stimme ertönt, dich ich nur zu gut kenne. „Josh?“ Ich drehe mich und sehe Teresa an, die mich erst irritiert mustert, dann nur noch überrascht drein blickt. „Ich wusste gar nicht, dass du wieder hier bist.“ Sie lächelt mich erfreut an und ich versuche mich auch an einem Lächeln. Die hat mir noch gefehlt… obwohl ich mich auch irgendwie freue, sie wieder zu sehen. „Was seht ihr euch an?“, will sie wissen und ich bemerke ihre Freundinnen, die ein Stück hinter ihr stehen. „’Sex and the city’*,“ kichert Vic los und Lukas fällt mit ein. Die Zwei sind auch unverbesserlich. „Wir gehen auch in ‚Sex and the city’,“ lächelt Teresa und nimmt ihnen das somit auch noch ab. Na super. Sie lächelt wieder, dann erstirbt es ganz plötzlich. „Das du in so einen Film gehst… freiwillig… Bist du mit einem Mädchen hier?“ Ich will sie gerade fragen, ob sie hier noch ein Mädchen sieht, als Benni mir dazwischen funkt. „Er ist mit uns hier.“ Dabei sieht er mich kaum an, sondern blickt zu Valentin und ich könnte ihn umbringen. Fängt er echt schon wieder damit an! „Ach so... dann geht ihr wohl doch in einen anderen Film, was?“, fragt Teresa daraufhin enttäuscht und sieht Lukas und Vic böse an, die nur wieder kichern. „Sehen wir uns wenigstens danach? Im ‚Blue star’?“, will sie dann wissen. Ihre Augen schimmern hoffnungsvoll. „Klar gehen wir danach noch da hin,“ mischt sich Vic wieder ein und Benni zupft mich am Arm und sieht mich eindringlich an. „Was?“, will ich wissen, kann es mir aber schon denken. Tatsächlich deutet er echt wieder auf Valentin und mir reißt der Gedulsfaden mit ihm. „Ich kann ja mit dir in ‚Sex and the City’. Und dann treffen wir uns alle wieder im ‚Blue Star’,“ schlage ich vor. Das ‚Blue Star’ ist übrigens eine kleine Bar, in der man super abends sitzen kann. Ich sehe, wie Benni protestieren will, aber Chris willigt sofort ein. Klar, er hat ja keine Ahnung, um was es geht. Auch die anderen sagen nichts weiter dazu und so lächle ich Teresa n. „Dann bis später,“ meine ich abwesend zu den Jungs und halte Teresa meinen Arm hin. „Wollen wir?“ Und schon schnappt sie nach mich, hakt sich ein und zerrt mich weg. Lustig… Ich sehe noch einmal zu den anderen zurück. Benni sieht mir fassungslos nach und auch Valentin sieht aus, wie vor den Kopf geschlagen. Jona ist es, der ihn am Arm zupft und ihn mit sich zerrt. Er wird sich schon um ihn kümmern, so einfühlsam, wie er ist… Wir stehen gerade an der Kinokasse, als auch die Jungs eintreten. „Das ist seine Ex,“ klärt Jona Valentin auf, während sie hinter uns stehen. Ich höre ein dumpfes ‚Aha’ von Valentin und frage mich, was jetzt dem sein Problem ist? Und um den ganzen noch die Krönung aufzusetzen, hängt sich nun auch Benni in das Gespräch und stellt klar, dass ich ein absoluter Idiot bin. Na danke! Ich bin froh, als Teresa mir meine Karte gibt und wir uns zu unserem Kinosaal aufmachen. Auf das ganze Theater habe ich keine Lust mehr. Ist ja schlimmer, als in jeder Seifenoper Leider wird der Abend nicht wirklich besser. Der Film war eine absolut beschissene Idee. Nicht nur, dass er total langweilig und bescheuert ist, nein, Teresa kaut mir die ganze Zeit ein Ohr ab, was sie so gemacht hat und wie es ihr geht und Bla, Bla, Bla. Ich denke daran zurück, wie wir uns getrennt haben. Damals habe ich sie sehr vermisst, aber dann kam der Stress mit dem Umzug und darüber hinaus hab ich sie einfach vergessen. So gut es eben ging. Und in der ganzen Zeit in Köln… habe ich eigentlich kaum an sie gedacht. Ich hatte ja auch kaum Zeit, ihr nach zu weinen. Ich musste mich einleben, lernen, trainieren… und in meiner Freizeit hatte ich Valentin… Das Schlimmste ist aber nicht, dass sie verdrängt habe, das Schlimmste ist, dass ich sie noch immer verdränge, als sie jetzt neben mir sitzt. Es gab eine Zeit, in der ich sie geliebt habe, aber jetzt interessiere mich nicht mehr für Teresa. Es gibt jetzt andere Dinge, die mich interessieren… *Die Filme, die im Moment laufen, passen mir nicht in den Kram. Also reisen die Jungs ein wenig in die Vergangenheit. xD“ Kapitel 7: Das Vanilleeisattentat --------------------------------- „Ich finde es schön, dich wieder zu sehen,“ erklärt mir Teresa zum fünften Mal, seit wir uns auf den Weg zum ‚Blue star’ gemacht haben. Langsam glaube ich, dass sie kein anderes Thema findet. „Ich auch,“ meine ich lahm und finde, es ist an der Zeit, ehrlich zu ihr zu sein. „Hör mal, Teresa,“ erkläre ich ihr und sehe sie traurig an, „Das mit uns kann nichts mehr werden.“ „Ich weiß, dass du wieder nach Köln gehst… aber ich habe dich so vermisst,“ meint sie und drückt meine Hand ganz fest. „Ich komm damit schon irgendwie klar…“ Ich schüttle den Kopf. „Aber das ist es nicht.“ „Was dann?“, fragt sie und klingt ein wenig panisch. Kann sie auch sein. Ich mache schließlich Schluss, ehe es noch mal zu einer Art Beziehung kommen kann… „Weil ich dich nicht mehr liebe.“ Ich mache eine hilflos Handbewegung, um es zu unterstreichen und damit lasse ich ihre los. „Weiß du… ich habe auch gedacht, es kann noch mal was werden. Aber das kann es nicht.“ „Das fällt dir aber früh ein, Josh,“ seufzt sie verbittert. „Hast du eine Neue?“ Und plötzlich wirkt sie so verletzt, dass ich mich schäme, überhaupt mit ihr ins Kino gegangen zu sein. „Nein,“ wehre ich aber ehrlicher Weise ab. Sie nickt nur und weiß nicht, ob es für sie nicht leichter gewesen wäre, es zu akzeptieren, wenn ich ja gesagt hätte… Endlich kommen wir an und ich kann vor ihr flüchten. Suchend sehe ich mich nach den anderen um. Dort sind Jona und Valentin. Valentin…. Ich hab mich ihm gegenüber wie ein Trottel verhalten. Ich hätte ihn nicht mit meinen Kumpels alleine lassen sollen. Er ist schließlich mein Besuch. Ich kämpfe mich zu ihnen durch. „Valentin!“ Er sieht auf „Du bist du ja.“ Ich nicke und sehe mich um. Es ist sehr laut hier. Ich hasse so was, aber hier ist noch angenehm, hingegen mancher Diskos. Ich schnappe dennoch seinen Arm und ziehe ihn in eine ruhiger Ecke, um normal mit ihm reden zu können. „Tut mir Leid, dass ich dich da einfach habe stehen lassen.“ Ich seufze und er zuckt mit den Schultern. „Warst du wenigstens erfolgreich?“, fragt er mit reichlich Bitterkeit in der Stimme. Darüber erschrecke ich ein wenig. Was ist los mit ihm. Aber ich frage nicht weiter nach sondern erwidere: „Ich weiß jetzt, dass ich sie nicht mehr will…“ Er sieht mich an und ich blicke mich um. „Karaokeabend…,“ stelle ich dann fest. Ich hasse Karaoke. Ich kann nicht singen. Und da bin ich nicht der einzige. Im Moment singt jemand extrem untalentiertes und hüpft dafür mit lächerlichen Tanzschritten auf der Bühne herum. Als ich genauer hingucke, erkenne ich Vic und sage lieber nichts dazu. „Vic wollte sein Glück versuchen, weil bisher alle schlecht waren,“ erklärt mir Valentin und auch erklingt nicht so, als ob er finden würde, Vic hätte es geschafft, das gesangliche Niveau zu heben. „Wollen wir gehen und noch einen Film ansehen,“ frage ich ihn. „Ich lade dich ein.“ „Es gab noch einen Horrorfilm zur Auswahl,“ willigt er ein und ich grinse: „Viel besser, als Carrie und ihre Freundinnen.“ Später am Abend haben wir die Anderen wieder aufgesammelt und Benni und Jona haben spontan beschlossen, bei mir zu übernachten. „Ich hoffe, du schmeißt mich nicht von der Couch,“ murmelt Jona Benni zu, der nachts einfach immer unruhig ist. Und meine Couch in meinem Zimmer ist natürlich nicht das größte Möbelstück… „Niemals, Süßer,“ schnulzt Benni – garantiert schon mit Alkohol im Blut – zurück und küsst ihn nieder. Ich verdrehe die Augen. „Wir sind auch noch da.“ Ich bin gerade dabei, die Couch auszuziehen, während Valentin Bettzeug sucht. Wenig später ist das Sofa präpariert und wir liegen alle auf unserem Schlafplatz. Ich lösche das Licht. Ich wache auf, als ein nerviges pieksen in meiner Seite mich zur Verzweiflung bringt. „Josh,“ flüstert dann auch noch jemand und ich öffne die Augen so halb. „Was?“, murmle ich und presse das Gewicht, dass sich auf mir befindet, näher an mich heran. Weich und toll. Ich schließe die Augen und bin im Begriff, wieder einzuschlafen. „Guten Morgen, Joshi,“ ertönt die nervige Stimme wieder und ich öffne die Augen und sehe in Bennis Gesicht, dass mich fröhlich angrinst. Hinter ihm regt sich Jona auf dem Sofa und richtet sich letztlich stöhnend auf. „Wie viel Uhr ist es?“, fragt er verschlafen und Benni bedeutet ihm, ruhig zu sein. Der Emo achtet nicht weiter auf ihn, sondern kramt nach seinem Handy, um auf die Uhr zu schauen. Mein Blick fällt auf meinen Wecker. Halb Neun. Was weckt Benni uns da schon auf? Ich sehe fragend zu ihm und er sieht bedeutungsvoll auf meine Arme. Ich folge seinem Blick und stelle fest, dass sich zwischen meinen Armen Valentin befindet, mit dem Kopf auf meiner Brust. „Oh,“ stoße ich hervor und weiß nicht, was dazu noch sagen. „Nicht schon wieder,“ meine ich dann leise und auch ein wenig peinlich berührt. Muss ausgerechnet Benni uns so sehen? „Machen wir Frühstück?“, will Jona wissen und Benni nickt und folgt seinem Freund nach unten. „Du kannst ja solange Valentin wecken,“ ruft er mir zu. Ich sehe den Beiden nach, ehe ich Valentin anstupse. „Hey…“, meine ich leise. „Mh,“ kommt es zurück und er vergräbt seine Nase an meiner Brust. „Valentin?“, lächle ich und erreiche nur, dass sich seine Finger in mein T-Shirt krallen. Toll… Ich stupse ihn vorsichtig an und er murmelt etwas, was wie ‚Schoschuscha’ klingt. Ich muss grinsen. „Es gibt Kaffee.“ „Kaffee?“, wiederholt er leise. Dann richtet er sich auf. „Kaffee?“ „Damit kriegt man dich also wach?“, flache ich und schüttle den Kopf. Unfassbar. Er grinst ein wenig schräg. „Jeder wird doch mit Kaffee wach.“ „Ja… wenn er ihn trinkt, nicht, wenn er dessen Namen hört,“ lache ich. Ich stehe auf und ziehe ihn hoch. „Komm, die Anderen machen schon Frühstück.“ So wirklich machen sie aber kein Frühstück, stelle ich fest. Stattdessen stehen sie knutschend in der Küche, während der Kaffee durchläuft. Oh man… Wenig späte habe ich den Tisch gedeckt und wir sitzen zusammen daran. „Also? Was machen wir heute?“, will Benni wissen und sieht uns fragend an. Er erzählt vom Jahrmarkt, auf den er unbedingt will. „Oh ja,“ jubbelt Jona sofort. „Die haben so coole Achterbahnen.“ Er sieht uns fragend an. „Bock drauf?“ „Klaar,“ meine ich gedehnt – und wenig begeistert - und sehe zu Valentin, der begeistert nickt. Überstimmt, was soll ich da noch gegen sagen? „Da!“, ruft Jona begeistert und deutet nach vorne. Vor uns haben sie die größte Achterbahn des Jahrmarkts aufgebaut und eine lange Schlange hat sich bereits davor gebildet. Das Teil ist wohl der Grund, warum Benni und Jona unbedingt hier hin wollten. „Da steht man ja ewig an,“ meint Valentin ungeduldig und seufzt. Ich weiß gar nicht, was ihn so stört. Er schleppt einen Kaffee mit sich herum, den er dann noch in Ruhe trinken kann, während er wartet. Und je länger es dauert, bis ich auf dieses Teil muss.. desto besser! „Kommt!“, rufen Jona und er im Chors und stürmen zur Achterbahn. Langsam folge ich ihnen und bin immer noch nicht begeistert. Ich hasse es. Achterbahn fahren… Kettenkarussell fahren… Einfach alles fahren, was höher als zwei Meter ist. Und ja… ich gebe ja zu, dass ich voll der Loser bin und Angst habe. Aber ich kann auch nichts dazu, wenn ich Höhenangst habe. „Ach.. ihr braucht uns doch nicht unbedingt,“ beschließt Benni in dem Moment und sieht die zwei Emos an. „Stellt euch an, wir gehen woanders hin. Ich hab nämlich keinen Bock, mich anzustellen und er sicher auch nicht.“ Als er mir zuzwinkert, nicke und könnte ihn küssen. Genau für so was liebe ich ihn. Jona sieht Benni enttäuscht an. „Dann kuschele ich eben mit Valentin,“ neckt er ihn und streckt ihm die Zunge raus, ehe er den bedröppelten Valentin mit sich schleift. Wir sehen ihnen nach. Erst, als sie außer Hörweite sind, schiele ich zu Benni. „Danke. Und tut mir Leid, dass du jetzt nicht mitfahren kannst…“ „Macht nichts,“ winkt er auf. „Ich bin wirklich nicht so scharf auf die Warteschlange. Gehen wir ein Eis essen?“ Ich nicke und folge ihn zu den Fressbuden. „Ich sollte einfach dazu stehen,“ seufze ich und er nickt. „Auch, wenn es unmännlich ist… Und peinlich… Gibt schlimmeres…“ „Oh ja. Stell dir nur mal vor, einen ganzen Tag ohne Kaffee zu sein.“ Er grinst mich an, spielt natürlich auf Valentin an, und ich falle auf sein Spielchen ein. „Oder in zwanzig Metern Entfernung eine zwei Zentimeter große Spinne zu erahnen.“ Jona hat nämlich Angst vor Spinnen. Er schweigt einen Moment, bis wir unser Eis in den Händen halten. Dann meint er. „Valentin ist süß.“ Ich sehe zu ihm und weiß nicht, was ich davon halten soll. „Du hast doch Jona.“ Was soll das jetzt? „Ich will ihn ja auch nicht,“ stöhnt er genervt auf. „Ich meine nur, dass er nicht ewig single bleibt.“ Er sieht mich an. „Er ist hübsch, er ist kann singen, er ist lustig und aufgeschlossen… und er ist sexy. Er ist ein Traumtyp. Glaubst du echt, dass fällt neben dir und mir nicht noch anderen auf?“ Ich beiße mir auf die Lippe. „Na ja… wäre doch schön für ihn, wenn er jemand finden würde, nicht?“ meine ich lahm. In dem Moment verliert Benni die Beherrschung, stöhnt ungehalten auf und knallt mir mein Vanilleeis ins Gesicht. „Du bist so doof!“ „Bist du komplett irre geworden?“, fauch ich nur aufgebracht und wische mir das Eis aus dem Gesicht. „Da sind wir wieder!“, ruft in dem Moment auch noch Jona hinter uns und rennt zu Benni. Das fehlt mir jetzt auch noch. „Was habt ihr denn gemacht?“, will Jona wissen, während ich mich vom Eis befreie. „Frag doch deinen Freund,“ zische ich ihm also nur zu. Jona sieht zu Benni, der nichts dazu zu sagen hat und Valentin reicht mir ein Taschentuch. „Steht dir aber gut,“ neckt er mich und wischt mir ein wenig Eis von der Wange. „Lecker, Vanille.“ Ich starre ihn an, während er sich den Finger in den Mund steckt und Benni hinter ihm breit grinst. Die sind doch alle verrückt! „Ich fände ja das Riesenrad romantisch,“ grinst Jona und schnappt sich Bennis Hand. „Kommt ihr auch mit?“, fragt er mich und Valentin und läuft los, ohne auf eine Antwort zu warten. Nach Bennis Vanilleeisattentat habe ich ja gar keine Lust mehr auf irgendwas. Und auf Riesenrad schon gar nicht. „Also… Riesenrad,“ murmle ich, während Valentin und ich ihnen langsam folgen. „Was ist damit? Zu langweilig?“, grinst mein Begleiter mich an und. Er hat mein Eis – oder was davon noch übrig war - abgestaubt, auf das ich auch keine Lust mehr hatte und leckt daran herum. „Nein. Eher zu… hoch.“ Nun sieht er überrascht zu mir. „Sag ja nicht, du hast Höhenangst?“ Ich nicke nur. „Ein wenig vielleicht.“ „Brauchst du doch nicht. Ich bin doch da. Da kann ja gar nichts passieren,“ klärt er mich auf und ich muss lachen. „Stimmt. Ich hab deine Superkräfte ja ganz vergessen.“ Ich stupse ihm gegen die Nase. Er lächelt nur, bezahlt die Karten und hockt sich in eine der Gondeln. Ich folge ihm und möchte sterben. Was für eine blöde Idee! Wir steigen höher und mit jedem Meter werde ich blasser. So ein Scheidreck. Ich hätte lieber noch ein Eis ins Gesicht bekommen. „Guck doch, die Aussicht,“ weist mich Valentin darauf hin. „Schau nicht nach unten, schau geradeaus.“ Er hält mir mein Eis unter die Nase. „Oder lenk dich damit ab.“ Ich packe das Eis, ohne davon zu lecken und blicke nach vorn. „Die Aussicht ist wirklich hübsch,“ muss ich gestehen und in dem Moment wackelt es. Oh Gott, es wackelt! Wir sterben!!! „Das ist normal,“ versichert Valentin mir, der das natürlich bemerkt hat und greift nach meiner Hand. „Schau mich an,“ fordert er, weil mir von so viel Weitblick schleckt wird. Sicher bin ich schon ganz grün im Gesicht. Also sehe ich zu ihm. „Siehst du, alles gut,“ lächelt er und es wackelt wieder. Ich umkralle nun seine Hand und konzentriere mich darauf, ihn einfach in die Augen zu starren. Wenn ich schon sterben muss, dann hab ich wenigstens einen schönen Ausblick genossen. Ich meine… er hat halt schöne Augen… Blöderweise sage ich das wohl laut, weil er plötzlich rot wird und ein ‚Danke’ murmelt. Ich werde auch rot und hab meine Angst vergessen, weil ich zu sehr damit beschäftigt bin, mich zu schämen. Die Höhe tut mir gar nicht gut, ich labere nur Scheiße. „Schau mal, wir haben schon zwei Runden,“ lächelt mir Valentin aufmunternd zu und bei der dritten bleiben wir oben stehen. Er sieht hinunter. „Cool, oder? Die sehen alle aus wie Ameisen!“ Ich umfasse seinen ganzen Arm und nicke nur. „Bleib bitte sitzen,“ flehe ich und er setzt sich wieder richtig hin. Langsam lasse ich ihn los und wir bewegen uns wieder. Er fasst nach meiner Hand und sein Hand ist es, die mich tröstet, bis wir wieder unten sind. Mit wackligen Knien steige ich aus. „War doch gar nicht so schlimm,“ freut Valentin sich. Hat der eine Ahnung. Wir suchen Benni und Jona, die verschollen sind und finden sie nach ein paar Minuten. Erst, als Benni vielsagend auf unsere Hände blickt, werde ich mir bewusst, dass ich Valentin noch umklammere und lasse ihn los. Den restlichen Tag bin ich zu nichts mehr zu gebrauchen. Am Wochenende darauf sind wir wieder im ‚Blue star’, weil dort eine echt geile Band spielt. Zumindest, wenn man auf Jonas Meinung vertrauen will. „Was ein Krach,“ murmelt Benni und sieht zu mir. „Oder was meinst du?“ Ich nicke. Eigentlich will ich noch sauer auf ihn sein, wegen dem Eis… aber ich kann nicht so wirklich. Ich bin einfach nicht nachtragend genug, stelle ich missmutig fest. „Absolut,“ stimme ich also nur zu. Er hat seinen Arm auf dem Tisch abgelegt und stützt seinen Kopf darauf. „Ich finde die Band cool,“ klärt uns Jona auf. Er taucht mit Valentin auf, sie waren Getränke holen. Dieser stellt seine Gläser ab und stimmt zu: „Die sind richtig gut.“ Na, wenn er das sagt. „Sie haben sogar ‚Dead by April’ gespielt,“ freut er sich und sieht mich verheißungsvoll an, als wenn das schon ein Grund dafür ist, dass die Band toll ist. „Du kannst besser singen,“ nuschle ich und stütze meinen Kopf auf meine Hand. Benni sieht aus, als wäre er eingeschlafen. Was ich das sage, ist nicht mal gelogen, weil der Sänger in dem Moment einen Ton vermasselt. Und Valentin klingt eh besser. „Oh ja,“ stimmt aber auch Jona zu. „Eigentlich solltest du da oben stehen.“ Valentin winkt ab und lässt sich auf den Stuhl neben mir sinken. „Jetzt labert nicht.“ „Josh!“, ertönt in dem Moment ein schriller Ruf und schon steht Teresa vor unserem Tisch. „Schreckliche Musik hier, was? Ich wusste gar nicht, dass du dir so was antust.“ „Warum genau musstest du es dir antun?“, fragt Benni wenig begeistert, als er Teresa erblickt. Ich glaube, sie geht ihm auf die Nerven. Na ja… sie stört ja auch, wenn er mich mit Valentin verkuppeln will… „So schlecht ist die Band nicht,“ höre ich mich sagen und sehe zu Teresa. Sie hat sich aufgetakelt und sieht hübsch aus. Hübsch und billig. „Kommst du kurz mit? Ein paar Andere würden sich freuen, dich kurz zu sehen.“ Sie sieht mich auffordernd an und streckt mir die Hand hin. Ich nicke und folge ihr – ohne ihre Hand zu halten. „Sie ist komisch,“ höre ich Valentin sagen. „Tatsächlich?“, höre ich Benni gespielt verwundert fragen. Ich verdrehe die Augen. Der soll ihn bloß in Ruhe lassen. Besser, ich komme gleich wieder. In dem Moment, in dem ich bei Teresas Tisch ankomme, geht die Band in die Pause und sie fangen wieder mit ihrem Karaokemüll an. Ich begrüße Teresas Freunde und setze mich kurz zu ihnen. Man besteht darauf, mir einen Drink zu spendieren und ich komme also nicht so schnell wieder weg. „Lass uns auf unsere Freundschaft trinken,“ bestimmt Teresa und ich will nicht unhöflich sein und frage lieber nicht, welche Freundschaft sie eigentlich meint. Während irgendein Freak was von Britney Spears covert, erzählt mir Teresa, sie seien nur hier, weil eine ihrer Freundinnen auf den Gitarristen der Band stehen würde. „Zum Glück machen die jetzt Pause,“ murmelt sie und fragt mich, was wir hier machen. „Jona und Valentin wollten die Band sehen.“ „Ach ja… Jona… Der Schwule.“ Sie nickt wissen, als sage das alles aus. Ich ziehe die Brauen missbilligend hoch. Ich hasse es, wenn man darauf reduziert wird, was man für eine sexuelle Ausrichtung hat. „Und wer ist Valentin?“, will sie dann wissen. Der Trottel ist fertig und jemand anderes ist dran. „Mein Nachbar aus Köln,“ erkläre ich ihr. Ich kenne den Song. Es ist ‚Losing you’ von ‚Dead by April’. Die Band, die ich unbeding, unbeding, unbeding können musste, weil sie ganz, ganz, ganz sehr tolle zu Valentins Stimme passt... „Der Kerl sing besser, als der andere…“, stellt Teresa fest. Tut er wirklich. Er singt fast wie Valentin. Ich stutze. „Du Josh… meinst du echt, wir sollten es jetzt einfach so belassen? Wollen wir es nicht doch noch mal probieren?“ Ich beachte sie nicht, sondern drehe mich um. „Valentin.“ „Hö?“, macht sie nur, weil sein Name wohl nicht die passende Antwort auf ihre Frage war. „Er singt,“ kläre ich sie auf und blicke auf die Bühne. Das ist das erst Mal, dass ich ihn richtig live auf einer Bühne erlebe. Und waren die Auftritte schon wow, so ist er jetzt einfach unglaublich. Ich starre ihn an. Er macht das so toll. „Man Josh, ich will unsere Beziehung retten!“, ruft Teresa und ich sehe genervt an. „Welche Beziehung? Wir haben keine Beziehung. Und ich will auch keine mehr.“ Damit stehe ich auf und lasse sie stehen. Sie geht mir auf die Nerven. Sie wusste noch nie, wann es genug ist. Ich komme zeitlich mit Valentin an unserem Tisch an. „Das war so cool,“ freut Jona sich und klatscht begeistert in die Hände. „Da kann nicht mal die Band mithalten!“ Valentin lächelt ihn an und nimmt einen großen Schluck Cola. „Jetzt lass mich aber endlich in Ruhe,“ bittet er Jona, der wohl der Grund für Valentins Auftritt war. Ich lasse mich neben Valentin fallen. „Du warst einfach toll.“ Er sieht mich überrascht an. „Du bist schon wieder da?“ Ich nicke und er sieht sich suchend nach Teresa um. „Was ist mit der Trulla?“ „Was soll mit ihr sein?“ Ich grinse und er grinst zurück. Spät abends schließt Benni die Haustüre auf und lässt uns eintreten. Wir haben beschlossen, heute alle bei ihm zu pennen, nachdem die Zwei uns neulich auch mit einem nächtlichen Besuch beehrt haben. Während Benni eine Matratze zu Recht legt, gehe ich duschen und Valentin und Jona bleiben im Wohnzimmer zurück. Als ich aus der Dusche zurück komme, höre ich eine leise Melodie und frage mich, ob die Andere jetzt noch mehr Party veranstalten. Aber dafür ist die Musik zu leise und als ich ins Wohnzimmer trete, erkenne ich Valentin am Klavier von Bennis Mum. Diese hat früher leidenschaftlich gerne gespielt. Jona steht begeistert daneben. „Da bist du ja,“ stellt Jona fest, als ich ins Wohnzimmer trete. „Schau mal, wie toll er spielt.“ Er lächelt begeistert und deutet auf Valentin. „Ich hab ewig nicht gespielt,“ wehrt Valentin ab und tatsächlich verspielt er sich ein paar Mal. Aber kaum der Rede wert. Ich sehe zu, wie seine Finger über die Tasten gleiten. Benni tritt zu uns. „Ihr habt ja eine Beschäftigung gefunden,“ lacht er und wir alle hören Valentin zu, bis er das Stück zu Ende gespielt hat. „Er kann das voll schön,“ schnurrt Jona. „Ich will auch…“ „Du spielst doch auch gut,“ tröstet Benni seinen Freund und küsst ihn. Ich sehe zu Valentin, dessen Finger über die Tasten streifen, ohne zu spielen. „Es ist so lange her,“ flüstert er und nun drückt er doch ein paar Tasten. Die Töne erklingen und verstummen wieder. „Lasst uns schlafen gehen,“ schlage ich vor und weil Valentin plötzlich traurig aussieht, ziehe ich ihn zur Seite, während allgemeine Aufbruchstimmung herrscht. „Alles klar?“ „Ich hab kein Klavier mehr angefasst, seit sie gestorben ist.“ Er blickt auf das Instrument. „Sie hat es so geliebt, wenn ich gespielt habe. Aber meine Eltern fand es schlecht. Sie wollten nicht mal, dass ich an ihrer Beerdigung spiele. Dabei hätte ich das sicher gefallen.“ Ich lege den Arm um ihn und ziehe ihn ein wenig zu mir. „Wir kommen gleich,“ rufe ich Benni zu, der nach uns sieht. Er nickt und verschwindet. „Wenn du magst, kannst du ihr ja jetzt was spielen,“ fordere ich ihn auf und er lächelt und beginnt zu spielen. ‚Cancer’. Was auch sonst. Ich denke, es ist besser, ihn alleine zu lassen. Aber als ich gehen will, schnappt er nach meiner Hand und zwingt mich zum Bleiben. Wortlos lasse ich mich neben ihn fallen und höre zu, wie er Katarina einen letzten Song spielt. Als er fertig ist, sehe ich ihn an. „Du bist toll.“ Und damit meine ich nicht nur, wie er spielt. Und ich glaube, dass weiß er auch. „Du bist auch toll,“ entgegnet er dann. Ich lächle. „Lass uns schlafen gehen.“ Kapitel 8: Auch ein blindes Huhn… --------------------------------- „Pass bitte auf ihn auf! Er ist immer so hilflos,“ grinst Jona Valentin an. „Ja… Übelst schwer hilflos sogar. Wahrscheinlich isst er nicht mal richtig,“ fällt Benni mit ein. Dann lachen sie los und ich hasse sie. Natürlich müssen sie mich ärgern, weil meine Mum so besorgt war, als ich mich heute Morgen von ihr verabschiedet habe. „Ich werde jeden Tag nach ihm sehen und ihn immer was kochen,“ versicht Valentin ihnen. Na schön, dass sie alle ihren Spaß haben… „Macht euch nur alle lustig,“ schnaube ich. Heute ist der letzt Samstag der Ferien und wir fahren heute zurück, um morgen keinen Stress zu haben, wenn am Montag wieder Schule ist. Benni und Jona haben uns zum Bahnhof gebracht. „Ach, im ernst. Passt auf euch auf, bis wir uns wieder sehen,“ meint Jona dann und zieht Valentin in seine Arme. Benni tut das gleiche mit mir und hält dann kurz inne, um mir etwas ins Ohr zu flüstern. „Du kannst ja sagen, was du willst, Josh. Aber du bist in ihn verliebt. Das sieht ein Blinder mit Stock.“ Ich stöhne. „Kannst du nicht endlich damit aufhören?“ „Hör du auf, es abzustreiten. Du wirst schon noch selbst merken, dass es sich richtig anfühlt, bei ihm zu sein.“ Er löst sich von mir, um Valentin zu verabschieden. Ich drücke Jona noch mal fest an mich. Kurz darauf steigen wir in den Zug und suchen uns einen freien Platz. „Danke, Josh,“ meint Valentin, während wir aus dem Fenster starren und warten, dass wir in Köln ankommen. „Wofür?“ Ich sehe fragend zu ihm. „Dafür, dass ich mit hier her kommen durfte. Und dafür, dass es so schön war.“ Ich muss lächeln. „War doch selbstverständlich.“ „Das ist es eben nicht,“ seufzte er schwer und streckt sich auf seinem Sitz aus, so gut es eben geht. „Das ist das erste Mal seit langem, dass ich mich wieder akzeptiert fühle.“ Er sieht mich an. Aus großen braunen Augen. „Überhaupt… Seit du da bist, ist alles besser.“ Ich schlucke und weiß nicht, was antworten. Ich will ihm so viel sagen. Das mich das glücklich macht, dass ich auch finde dass es mit ihm besser ist. Aber ich sage nichts. Ich lächle nur. Die Fahrt zieht sich noch ein ganzes Stück hin, ehe ihm noch etwas einfällt. Fragend sieht er mich an. „Was war eigentlich mit dir und Benni?“ Ich weiß nicht so Recht, was er meint, also frage ich nach: „Was soll gewesen sein?“ „Ihr wart so verhalten… am Bahnhof.“ Er zuckt mit den Schultern und mir fällt auf, dass er Recht hat. Nach Bennis Ansage war ich ein wenig zurückgezogen. Was Benni mir gesagt hat, kann ich Valentin aber schlecht unter die Nase reiben. Ich meine, ich kann ja nicht sagen: ‚Ja… Er hat mir nur gesagt, dass ich nicht leugnen kann, in dich verliebt zu sein. Und vielleicht hat er sogar Recht, aber ich muss darüber erst mal nachdenken. Also tu einfach so, als hätte ich nie was gesagt.’ Das wäre wieder mal typisch ich. Um nicht das zu sagen, sage ich ein wenig kryptisch: „Er hat mir etwas gesagt, worüber ich nachdenken muss.“ Das scheint Valentin als Antwort zu genügen. Zumindest fragt er nicht weiter nach. Ich spüre ein paar Seitenblicke, während dem Rest der Fahrt. Als wir endlich ankommen, helfe ich ihm mal wieder mit seinen Unmengen an Gepäck und wenig später sind wir im Wohnheim angelangt. Trautes Heim, Glück alleine, denke ich, aber so richtig will sich kein Gefühl von Heimatliebe bei mir einstellen. „Also dann, bis morgen oder so,“ verabschiedet sich Valentin, öffnet seine Wohnungstüre und verschwindet. Ich starre noch lange auf die geschlossene Türe und weiß nicht so Recht, wohin mit all den Gefühlen, die in mir wüten. Meine Wohnung fühlt sich kalt an. Kalt und leer und einsam, so ganz ohne Valentin als Dauergast neben mir. Irgendwie vermisse ich ihn jetzt schon, was eigentlich lächerlich ist. Er ist ja gleich nebenan. Halbherzig packe ich also meine Sachen aus, um mich ein wenig abzulenken, und Esse dann was. Dabei fällt mir auch gleich auf, dass es in meinem Kühlschrank so ziemlich gar nichts mehr Essbares gibt und ich gehe einkaufen, weil ich eh nichts anderes zu tun habe. Außerdem ist es nötig. Morgen wird kein Geschäft aufhaben und wenn ich nicht bis Montag verhungert sein will, sollte ich mich ranhalten. Wenig später schleppe ich dann zwei Tüten die Treppen hoch und lasse sie – kaum in meiner Bude angekommen – auf den Küchentisch plumpsen. Eine Dose Ravioli fällt herunter, kullert über Boden und bleibt mitten in der Küche liegen. Ich starre sie an und fühle mich absolut unglücklich, mit der ganzen Situation. Nicht, weil mich eine Dose Ravioli ärgert, sondern weil es einfach seltsam ist, wieder alleine zu sein. Es war schon komisch, hier einzuziehen und plötzlich niemanden mehr um sich herum zu haben. Stille kann belastend sein, wenn sie nur will. Aber jetzt ist es noch viel unerträglicher, denn jetzt ist da kein Valentin mehr. Niemand, der seine Sachen in meinem Zimmer verstreut und nicht wieder wegräumt. Niemand, der zu den unmöglichsten Zeiten Kaffee kocht. Niemand, dem mitten in der Nacht in den Sinn kommt, Gitarre zu spielen. Mürrisch schleiche ich ins Bad und verkrieche mich unter der Dusche. Danach verkrümle ich mich ins Bett und fühle mich klein und schlecht. Mein Bett fühlt sich viel zu groß an, ohne jemanden neben mir. Unruhig wälze ich mich also hin und her, versuche einzuschlafen und halte mich wahrscheinlich genau damit wach. Gerade in einen Wachkomazustand gefallen, reißt mich gegen zwei Uhr nachts das Klingen meiner Türe aus der Ruhe. Ich springe auf, renne nahezu in den Flur und öffne dann betont lässig die Türe. „Valentin!“, stelle ich dann fest. Erfreuter, als ich es eigentlich sein müsste… „Hey,“ meint er peinlich berührt und tritt von einem Fuß auf den anderen. „Irgendwie… kann ich nicht schlafen,“ klärt er mich auf. Mit den Fingern fummelt er an seinem T-Shirt herum und fügt hinzu: „Irgendwie… habe ich mich daran gewöhnt, dass jemand neben mir liegt.“ Er lächelt ein wenig schwach und garantiert kommt er sich gerade blöd vor. Denn plötzlich hat er es Eilig, dass Weite zu suchen. „Sorry… ich gehe dann wieder. Wollte nicht stören. Vergiss einfach, dass ich da war.“ Ich muss grinsen und packe seinen Arm, ehe er weglaufen kann. „Bleib da,“ fordere ich. „Ich kann auch nicht schlafen.“ Dann zerre ich ihn in die Wohnung, die gleich viel freundlicher auf mich wirkt. Wieder im Bett, merke ich erst, wie müde ich bin. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, es dem Schicksal zu überlassen, sondern lege meinen Arm um Valentin. Wir sind jetzt wochenlang eng umschlungen aufgewacht. Ich brauche diese Nähe, um friedlich schlafen zu können. Wie soll ich denn auch ohne meinen persönlichen Teddybär schlafen? Er wehrt sich nicht, sondern drückt sich ein wenig unsicher an mich. Kurz darauf ist er eingeschlafen und auch ich schlafe nun fast sofort ein. Während Valentin noch schläft, achte ich auf seinen gleichmäßigen, ruhigen Atem und seufze leise, vergrabe mein Gesicht in seinen Haaren, die natürlich nach Kaffee riechen. Ich könnte heulen. Wieso nur muss Benni eigentlich immer Recht haben? Das ist nervig. „Das sieht ein Blinder mit Stock!“, hat er gesagt. Wie blind muss ich dann erst gewesen sein, dass ich es erst jetzt bemerke? Irgendwann wacht auch Valentin auf und verschwindet wieder in seiner Wohnung, um sich fertig zu machen. Auch ich stehe auf und ziehe mich an. Dann verbringe ich den Tag leidend in meinem Lieblingsbademantel, mit dem Handy in der einen und einem großen Eisbecher in der anderen Hand. Ich komme mir vor wie ein Mädchen, während ich zum sechsten Mal Bennis Nummer wähle und dann doch wieder auflege. Ich will mit jemanden reden, aber ich weiß nicht so richtig, was ich ihm dann sagen soll. Also lege ich letztlich das Telefon weg, stopfe mir frustriert einen Löffel Eis in den Mund und richte meine Augen auf den TV, der im Hintergrund schon die ganze Zeit läuft. Es läuft eine Actionkomödie, aber ich kriege kaum was mit. Dabei wollte ich mich doch Ablenken… Meine Güte… verliebt. In einen Jungen. Das so was auch immer mir passieren muss! Gegen Abend halte ich es nicht mehr aus, sondern schnappe mir meinen Schlüssel und klingle bei Valentin. Er öffnet und zieht die Brauen hoch. „Dir ist bewusst, dass du nur einen Bademantel trägst?“ Auf die Konfrontierung mit dieser Sache hätte ich gerne verzichtet. Ich hätte in den Spiegel gucken sollen, ehe ich so stürmisch meine Wohnung verlassen habe. Zu spät. Ich trete ein, ohne etwas darauf zu antworten und lasse mich von Valentins vertrautem Chaos begrüßen. „Ich bin irgendwie unruhig,“ kläre ich ihn wage auf und er nickt nur. „Wollen wir einen Film gucken?“, frage ich und er macht sich daran, eine DVD zu suchen. Ich hingegen befreie mich von meinem Bademantel, weil mir das ganze doch ein wenig peinlich ist. Danach blicke ich erst mal panisch an mir herunter, ob ich denn überhaupt noch etwas anderes anhabe. Nicht, dass ich plötzlich nackt in Valentins Wohnung stehe. Zum Glück habe ich Shorts und T-Shirt drunter gezogen. Erleichtert lasse ich mich auf die Couch fallen und während wir den Film sehen, sagt keiner ein Wort. Valentin bietet mir Bier an, was ich willig annehme. Als der Film zu Ende ist, sollten wir eigentlich schlafen. Immerhin beginnt die Uni morgen wieder. Aber ich schaffe es nicht, mich aufzuraffen und Valentin wirft mich auch nicht raus, sondern geht einfach duschen. Langsam muss ich mir überlegen, ob ich ihm sage, dass ich in ihn verliebt bin, oder ob ich lieber schweige, bis ich irgendwann tot umfalle und es keiner mehr herausfinden kann. Ich tendiere ja zu letzterem… Aber ersteres ist wohl das nahe liegender. Doch was ist, wenn es ihm nicht so geht? Wenn dann unsere Freundschaft kaputt ist? Sei doch endlich mal ein Mann, Josh, rufe ich mich selbst zur Ordnung. In dem Moment erscheint Valentin wieder auf der Bildfläche und springt vor mir auf und ab. „Guck mal! Steht mir auch, oder?“, fragt er und grinst. Er trägt meinen Bademantel. „Heiß,“ ärgere ich ihn und stehe auf. Alles… oder nichts. Ich öffne den Mund, um was zu sagen. „Willst du noch was trinken?“ Er lässt mich stehen und geht in die Küche. Ich schließe den Mund wieder. „Bier oder was normales?“, ertönt es aus der Küche. Ich folge ihm. „Du, Valentin,“ versuche ich es erneut. Er sieht über die Schulter zu mir. In einer Hand ein Bier, in der anderen Cola. „Oder soll ich Kaffee machen?“ „Valentin!“ „Ja?“ Ich atme tief durch und fasse meinen ganzen Mut zusammen, schlinge die Arme von hinten um ihn. „Weißt du…,“ meine ich leise, während er mich aus großen Augen verwirrt ansieht. „Benni hatte von Anfang an Recht.“ „Was… was meinst du?“, fragt er und hält in seinen Bewegungen inne. Er sieht aus, wie ein verschrecktes Reh, aber ich glaube nicht, dass er Angst hab. Es ist fast, als würden seine Augen zu leuchten beginnen. Als ahne er, auf was es hinaus läuft und ist dem nicht abgeneigt, aber dennoch ein wenig ängstlich. Er atmet flach und ich löse einen Arm, nehme ihm die Flaschen aus der Hand und drücke ihn dann wieder an mich. Seine Nähe fühlt sich so gut an, das kann gar nicht gesund sein. Und obwohl es sich wahnsinnig ungesund anfühlt, ist es auch wahnsinnig schön. „Du fühlst dich richtig an,“ lächle ich und bette den Kopf auf seiner Schulter. Ich hoffe, er weiß, was ich damit sagen will. Ich höre ihn schwer einatmen. „Wir… wirklich?“ Langsam dreht er den Kopf zu mir. „Du dich auch,“ gibt er dann zu und ich lächle. „Ich will das zwischen uns nicht kaputt machen, aber…“ Ich zucke hilflos mit den Schultern und ziehe ihn fester zu mir. „Machst du nicht,“ erwidert er und das ist mein Zeichen. Ich beuge mich vor und schnappe nach seinen Lippen. Er schmeckt so herrlich, nach Kaffee und nach Valentin. Er erwidert den Kuss, dreht sich in seinen Händen und presst sich ganz an mich. Seine Arme umschließen meinen Nacken und er zieht meinen Kopf noch näher. „Du schmeckst nach Vanille,“ erklärt er mir, während wir kurz nach Atem schnappen. „Und du nach Kaffee,“ murmle ich zurück und suche wieder seine Lippen. Und während wir uns küssen denke ich, dass das alles gar keine schlechte Mischung ist. Kaffee und Vanille. Kaffee mit Vanillearoma… Die Hände an seine Hüften gebettet, lege ich den Kopf schief und mein Mund findet seinen Hals. „Und du riechst so gut,“ hauche ich gegen seine Schlagader und küsse mich diese entlang. Meine Lippen verharren kurz an dieser Stelle, ehe ich mich über seinen Kehlkopf küsse und meine Lippen in seiner Halsbeuge ihren Platz finden. Ich küsse die kleine Mulde zwischen seinen Schlüsselbeinen und seine Finger krallen sich in mein Haar, er murmelt hilflos meinen Namen. Und ich denke nur noch, dass ich ihn will. So sehr will. Und ich finde, dass es verboten gehört, sich so wahnsinnig nach jemandem zu sehnen, dass man darüber fast wahnsinnig wird. Ich weiß nicht so recht, ob ich jetzt schon viel weiter gehen kann. Aber als ich seinen Bademantel öffne, der eigentlich mir gehört, und dieser zu Boden fällt, sagt er nichts, sondern presst sich nur an mich. Ich streiche über seine Seiten, nach unten, nach vorne, am Bund seiner Shorts entlang. Er stöhnt in den Kuss und ich lächle und glaube, zu verbrennen, so heiß ist mir. Wenn ich noch weiter gehe, werde ich sterben, denke ich und tue es dann doch. Meine Hände wandern zu seinem Rücken, ich streiche mich seiner Wirbelsäule entlang und lasse die Hände dann noch tiefer gleiten, bis ich seinen Po umschließe. Wieder stöhnt er auf, während sich meine Finger in seinen Hintern krallen, und es ist fast, als würde das Stöhnen durch mein Blut wandern, wie ein Stromschlag. Valentins Finger schließen sich um mein T-Shirt und er zieht daran und ich gebe nach und ziehe es aus, schmeiße es in irgendeine Ecke in der Küche, ehe ich wieder seine Hüften packe und ihn näher ziehe. Irgendwie gelingt es mir, ihn in sein Schlafzimmer zu bugsieren, ohne ihn auch nur eine Sekunde loszulassen oder gar unsere gierigen Küsse zu unterbrechen. Endlich angekommen, drücke ich ihn aufs Bett und lasse mich mitziehen. So über ihn gebeugt, fühlt es sich noch besser an, ihn zu küssen. Mein Mund wandert über seine Brust und über seine Leiste. „Ich will dich,“ hauche ich gegen seine Haut und küsse seinen Bauchnabel. Ich spüre, wie er erschaudert und nach meinem Haar greift, um überhaupt etwas zu tun. Er drückt mir fordernd seine Hüften entgegen und damit habe ich meine Antwort. Ich bin ein wenig unsicher, während ich wieder ein Stück nach oben krabble und ihm dann seine Shorts von den Beinen ziehe. Meine folgen und im nächsten Moment kleben meinen Lippen wieder an seinen und ich liege fast ganz auf ihn und spüre jedes kleine Detail seines Körpers. Jedes Spiel seiner Muskeln. Wunderschön. Er lächelt in den Kuss, ich kann es spüren. Seine Hand gleitet durch mein Haar und meine Hände umschlingen sein Gesicht und ich könnte ewig so weiter machen. Eine ganze Zeit ist das auch genug, doch dann spreizt er auffordernd die Beine und kramt nach irgendetwas unter dem Bett, während meine Lippen wieder über seine Brust wandern. Er ist so schön… Mein Finger gleitet in ihn, während er noch immer nach etwas sucht. Er schreit überrascht auf und ich muss grinsen und bewege meine Finger in ihm. Ich will ihm nicht wehtun, aber er wird nicht um ein bisschen Schmerz herumkommen. Ich lasse einen weiteren Finger in ihn wandern und er hat endlich gefunden, was er sucht und drückt mir Gleitgel und Kondome in die Hand. Da tut er so unschuldig, und dann liegt so was unter seinem Bett bereit… Ich muss lächeln und ziehe meine Finger zurück, küsse ihn. Dann mach ich mich ans Kondom überziehen und verteile ich unbeholfen das Gleitgel in ihm und auf mir, ehe ich ganz langsam in ihm gleiten. Oh Gott, denke ich und kann ein Keuchen nicht unterdrücken. Er ist so eng… Ich blicke in sein Gesicht, das sich erst vor Schmerz verzieht, ehe es sich langsam wieder entspannt. Als ich mich in ihm zu bewegen beginne, kann ich seine Erregung darin erkennen. Er stöhnt auf, presst mir seine Hüften entgegen und ich werde etwas schneller, fasse nach seinem Glied, um es im gleichen Rhythmus zu pumpen. „Josh,“ murmelt er und streckt sich mir entgegen und ich flüstere seinen Namen, atemlos. Im nächsten Moment biegt er den Rücken durch und legt den Kopf in den Nacken. Er kommt in meiner Hand und ich ergieße mich fast gleichzeitig in ihn. Schwer atmend lasse ich mich dann auf ihn fallen, ziehe mich aus ihm zurück und rolle mich dann von ihm herunter. Meine Hand greift blind nach ihm, erwischt seinen Arm und ich zeihe kraftlos daran. Er bewegt sich, kommt zu mir und bettet seinen Kopf auf meiner Brust. „Josh,“ flüstert er noch einmal leise und ich spüre, wie mich die Müdigkeit überkommt. Ich hauche erneut seinen Namen, leise nur, ehe ich einschlafe. Am nächsten Morgen werde ich von dem lauten, widerlichen Klingeln meines Handys geweckt und muss mich erst Mal orientieren. Dann fällt mir alles wieder ein und ein mehr als glückliches Lächeln überkommt mich. Ich schalte die Weckfunktion meines Handys aus, ehe dieses noch mal Krach machen kann, und blicke dann zu Valentin. Dieser liegt noch immer nackt und schön neben mir und schläft. Am liebsten würde ich wieder über ihn herfallen. Aber mein Handy hat leider nicht umsonst geklingelt. Es ist mein Wecker, der mich zwingt, aufzustehen und zur Uni zu gehen. Valentin hat heute erst später eine Lesung, das weiß ich, weil er es gestern erwähnt hat. Hastig sammle ich also mein Zeug ein und verschwinde in meine Wohnung, um mich umzuziehen. Das ich Valentin mit einem plötzlichen Verschwinden vielleicht irritiere, kommt mir gar nicht in den Sinn Der Tag zieht sich ewig hin und ich kann vor Glück kaum still sitzen. Am liebsten würde ich aufspringen, zu Valentin rennen und mit ihm schlafen. Immer und immer wieder, bis wir ganz erschöpft sind. Aber ich bleibe brav auf meinem Stuhl sitzen und grinse vor mich hin. Ich muss unbedingt später Benni anrufen und ihm alles erzählen. Aber das kann ich erst heute Abend machen, denn später habe ich auch noch Training. Als die letzte Lesung für heute vorbei ist, laufe ich also zur Sporthalle und ziehe mich um. Ich bin schon mit einigen Mannschaftsmitgliedern in der Halle, um mich warm zu machen, als ich das Klingen von Glöckchen wahrnehme und es als Tasche von Valentin identifiziere. Ich weiß, dass er Glöckchen an seiner Schultasche hat. Ich richte mich auf und blicke mich um. „Was willst’n du hier, Emo?“, ertönt da auch schon die Stimme eines Mannschaftsmitglieds und ich könnte schon wieder an die Decke. Manche Leute hier sind einfach unmöglich. Er stellt sich Valentin in den Weg und verkündet lautstark: „Hier hat nur die Schülermannschaft zutritt.“ Völliger Unsinn. In die Turnhalle darf theoretisch gesehen jeder. Natürlich ist es unpassend, wenn wir gerade trainieren, aber das gibt ihm auch nicht das Recht, so zu labern. Ich verdrehe die Augen und schreite ein. „Valentin,“ rufe ich also durch die halbe Halle und laufe zu ihnen, schiebe den Trottel weg. „Was machst du hier?“ „Ich wollte dich abholen. Ich dachte, wir gehen zu mir und essen Pizza und…“, er bricht ab und macht eine hilflose Handbewegung. Die Glöckchen an seiner Tasche klingen daraufhin wieder. „Ich hab nach dir gesucht und sie haben mich hier hin geschickt. Na ja.. du hast ja jetzt noch Training, also geht’s eh nicht.“ Er zieht enttäuscht aus und versucht sich an einem wagen Lächeln, was ihm misslingt. Trotzdem sieht er süß dabei aus. Ich mustere ihn und weiß nicht genau, was er hat. Aber irgendwie ist er komisch drauf. „Ja, hab ich,“ muss ich aber dennoch zustimmen und ihm somit absagen. „Sorry.“ „Macht nichts. Ich dachte nur… wo du heute Morgen so schnell weg warst…“ Er lässt den Satz unbeendet, obwohl man ihm ansieht, dass er noch mehr auf dem Herzen hat. Als er sich wegdreht und ein ‚Geh dann mal’ nuschelt, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich packe seinen Arm und ziehe ihn zurück. „Jetzt warte doch mal,“ bitte ich ihn und er wendet sich mir wieder zu. „Denkst du etwas, ich bereue es und bin deswegen abgehauen?“ Er zuckt hilflos mit den Schultern und ich muss lächeln und streiche ihm zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht. Einige Jungs schauen komisch drein. Entweder hören sie mit oder die Geste irritiert sie. „Dummerchen,“ lache ich und meine dann: „Das Training ist ja irgendwann auch mal zu Ende. Dann komme ich vorbei und bringe Pizza mit, okay?“ Und dann lächelt er wieder sein bezauberndes Lächeln und willigt ein. „Wie schwul sind die denn?“, fragt der Idiot von gerade eben genervt und ich zeige ihm den Mittelfinger, während ich Valentin mit einem Kuss entlasse. „Pizzaaaa,“ meine ich lächelnd, als Valentin die Türe aufmacht. Ich dränge mich an ihm vorbei – nicht, ohne ihn kurz zu küssen –, in die Wohnung, und lasse die Kartons auf den Küchentisch fallen. Wenig später sitzen wir auf der Couch und schauen einen Film, während wir essen. „Wie kann man nur so auf Hawaii abfahren?“, frage ich ihn und kaue selbst auf meiner Salamipizza herumkaue. „Ich brauche halt ne Alternative, weil es keine mit Kaffeebohnenbelag gibt,“ erwidert er und ich muss lachen. „Und die Ananas ist echt lecker!“ Dessen bin ich mir absolut nicht sicher. Ich finde die Vorstellung von warmen Ananas irgendwie eklig. Trotzdem puhle ich eine Ananas vom Teig und beiße ein klägliches Stück ab. „Whä,“ mach ich kopfschüttelnd und stecke ihm das Stück in den Mund. „Muss nicht sein,“ winke ich ab und er kaut und grinst und meint: „Ich find’s lecker.“ „Und ich finde dich lecker,“ erkläre ich ihm und küsse ihn und grinse dann: „Du schmeckst nach Ananas.“ „Und du nach Peperoni.“ Ich lache erneut und küsse ihn wieder, diesmal fordernder Eigentlich brauchen wir doch gar keine Pizza, denke ich und ziehe ihn auf meinen Schoß. „Und die Pizza?“, fragt er, schiebt aber die Kartons beiseite. „Die können wir auch kalt essen,“ winke ich ab und drücke ihn auf die Couch, beuge mich über ihn. „Jetzt hab ich Appetit auf etwas ganz anderes.“ Er grinst mir entgegen „Dann will ich dich nicht aufhalten.“ Kapitel 9: Auch ein blindes Huhn... [zensiert] ---------------------------------------------- „Pass bitte auf ihn auf! Er ist immer so hilflos,“ grinst Jona Valentin an. „Ja… Übelst schwer hilflos sogar. Wahrscheinlich isst er nicht mal richtig,“ fällt Benni mit ein. Dann lachen sie los und ich hasse sie. Natürlich müssen sie mich ärgern, weil meine Mum so besorgt war, als ich mich heute Morgen von ihr verabschiedet habe. „Ich werde jeden Tag nach ihm sehen und ihn immer was kochen,“ versicht Valentin ihnen. Na schön, dass sie alle ihren Spaß haben… „Macht euch nur alle lustig,“ schnaube ich. Heute ist der letzt Samstag der Ferien und wir fahren heute zurück, um morgen keinen Stress zu haben, wenn am Montag wieder Schule ist. Benni und Jona haben uns zum Bahnhof gebracht. „Ach, im ernst. Passt auf euch auf, bis wir uns wieder sehen,“ meint Jona dann und zieht Valentin in seine Arme. Benni tut das gleiche mit mir und hält dann kurz inne, um mir etwas ins Ohr zu flüstern. „Du kannst ja sagen, was du willst, Josh. Aber du bist in ihn verliebt. Das sieht ein Blinder mit Stock.“ Ich stöhne. „Kannst du nicht endlich damit aufhören?“ „Hör du auf, es abzustreiten. Du wirst schon noch selbst merken, dass es sich richtig anfühlt, bei ihm zu sein.“ Er löst sich von mir, um Valentin zu verabschieden. Ich drücke Jona noch mal fest an mich. Kurz darauf steigen wir in den Zug und suchen uns einen freien Platz. „Danke, Josh,“ meint Valentin, während wir aus dem Fenster starren und warten, dass wir in Köln ankommen. „Wofür?“ Ich sehe fragend zu ihm. „Dafür, dass ich mit hier her kommen durfte. Und dafür, dass es so schön war.“ Ich muss lächeln. „War doch selbstverständlich.“ „Das ist es eben nicht,“ seufzte er schwer und streckt sich auf seinem Sitz aus, so gut es eben geht. „Das ist das erste Mal seit langem, dass ich mich wieder akzeptiert fühle.“ Er sieht mich an. Aus großen braunen Augen. „Überhaupt… Seit du da bist, ist alles besser.“ Ich schlucke und weiß nicht, was antworten. Ich will ihm so viel sagen. Das mich das glücklich macht, dass ich auch finde dass es mit ihm besser ist. Aber ich sage nichts. Ich lächle nur. Die Fahrt zieht sich noch ein ganzes Stück hin, ehe ihm noch etwas einfällt. Fragend sieht er mich an. „Was war eigentlich mit dir und Benni?“ Ich weiß nicht so Recht, was er meint, also frage ich nach: „Was soll gewesen sein?“ „Ihr wart so verhalten… am Bahnhof.“ Er zuckt mit den Schultern und mir fällt auf, dass er Recht hat. Nach Bennis Ansage war ich ein wenig zurückgezogen. Was Benni mir gesagt hat, kann ich Valentin aber schlecht unter die Nase reiben. Ich meine, ich kann ja nicht sagen: ‚Ja… Er hat mir nur gesagt, dass ich nicht leugnen kann, in dich verliebt zu sein. Und vielleicht hat er sogar Recht, aber ich muss darüber erst mal nachdenken. Also tu einfach so, als hätte ich nie was gesagt.’ Das wäre wieder mal typisch ich. Um nicht das zu sagen, sage ich ein wenig kryptisch: „Er hat mir etwas gesagt, worüber ich nachdenken muss.“ Das scheint Valentin als Antwort zu genügen. Zumindest fragt er nicht weiter nach. Ich spüre ein paar Seitenblicke, während dem Rest der Fahrt. Als wir endlich ankommen, helfe ich ihm mal wieder mit seinen Unmengen an Gepäck und wenig später sind wir im Wohnheim angelangt. Trautes Heim, Glück alleine, denke ich, aber so richtig will sich kein Gefühl von Heimatliebe bei mir einstellen. „Also dann, bis morgen oder so,“ verabschiedet sich Valentin, öffnet seine Wohnungstüre und verschwindet. Ich starre noch lange auf die geschlossene Türe und weiß nicht so Recht, wohin mit all den Gefühlen, die in mir wüten. Meine Wohnung fühlt sich kalt an. Kalt und leer und einsam, so ganz ohne Valentin als Dauergast neben mir. Irgendwie vermisse ich ihn jetzt schon, was eigentlich lächerlich ist. Er ist ja gleich nebenan. Halbherzig packe ich also meine Sachen aus, um mich ein wenig abzulenken, und Esse dann was. Dabei fällt mir auch gleich auf, dass es in meinem Kühlschrank so ziemlich gar nichts mehr Essbares gibt und ich gehe einkaufen, weil ich eh nichts anderes zu tun habe. Außerdem ist es nötig. Morgen wird kein Geschäft aufhaben und wenn ich nicht bis Montag verhungert sein will, sollte ich mich ranhalten. Wenig später schleppe ich dann zwei Tüten die Treppen hoch und lasse sie – kaum in meiner Bude angekommen – auf den Küchentisch plumpsen. Eine Dose Ravioli fällt herunter, kullert über Boden und bleibt mitten in der Küche liegen. Ich starre sie an und fühle mich absolut unglücklich, mit der ganzen Situation. Nicht, weil mich eine Dose Ravioli ärgert, sondern weil es einfach seltsam ist, wieder alleine zu sein. Es war schon komisch, hier einzuziehen und plötzlich niemanden mehr um sich herum zu haben. Stille kann belastend sein, wenn sie nur will. Aber jetzt ist es noch viel unerträglicher, denn jetzt ist da kein Valentin mehr. Niemand, der seine Sachen in meinem Zimmer verstreut und nicht wieder wegräumt. Niemand, der zu den unmöglichsten Zeiten Kaffee kocht. Niemand, dem mitten in der Nacht in den Sinn kommt, Gitarre zu spielen. Mürrisch schleiche ich ins Bad und verkrieche mich unter der Dusche. Danach verkrümle ich mich ins Bett und fühle mich klein und schlecht. Mein Bett fühlt sich viel zu groß an, ohne jemanden neben mir. Unruhig wälze ich mich also hin und her, versuche einzuschlafen und halte mich wahrscheinlich genau damit wach. Gerade in einen Wachkomazustand gefallen, reißt mich gegen zwei Uhr nachts das Klingen meiner Türe aus der Ruhe. Ich springe auf, renne nahezu in den Flur und öffne dann betont lässig die Türe. „Valentin!“, stelle ich dann fest. Erfreuter, als ich es eigentlich sein müsste… „Hey,“ meint er peinlich berührt und tritt von einem Fuß auf den anderen. „Irgendwie… kann ich nicht schlafen,“ klärt er mich auf. Mit den Fingern fummelt er an seinem T-Shirt herum und fügt hinzu: „Irgendwie… habe ich mich daran gewöhnt, dass jemand neben mir liegt.“ Er lächelt ein wenig schwach und garantiert kommt er sich gerade blöd vor. Denn plötzlich hat er es Eilig, dass Weite zu suchen. „Sorry… ich gehe dann wieder. Wollte nicht stören. Vergiss einfach, dass ich da war.“ Ich muss grinsen und packe seinen Arm, ehe er weglaufen kann. „Bleib da,“ fordere ich. „Ich kann auch nicht schlafen.“ Dann zerre ich ihn in die Wohnung, die gleich viel freundlicher auf mich wirkt. Wieder im Bett, merke ich erst, wie müde ich bin. Ich mache mir gar nicht erst die Mühe, es dem Schicksal zu überlassen, sondern lege meinen Arm um Valentin. Wir sind jetzt wochenlang eng umschlungen aufgewacht. Ich brauche diese Nähe, um friedlich schlafen zu können. Wie soll ich denn auch ohne meinen persönlichen Teddybär schlafen? Er wehrt sich nicht, sondern drückt sich ein wenig unsicher an mich. Kurz darauf ist er eingeschlafen und auch ich schlafe nun fast sofort ein. Während Valentin noch schläft, achte ich auf seinen gleichmäßigen, ruhigen Atem und seufze leise, vergrabe mein Gesicht in seinen Haaren, die natürlich nach Kaffee riechen. Ich könnte heulen. Wieso nur muss Benni eigentlich immer Recht haben? Das ist nervig. „Das sieht ein Blinder mit Stock!“, hat er gesagt. Wie blind muss ich dann erst gewesen sein, dass ich es erst jetzt bemerke? Irgendwann wacht auch Valentin auf und verschwindet wieder in seiner Wohnung, um sich fertig zu machen. Auch ich stehe auf und ziehe mich an. Dann verbringe ich den Tag leidend in meinem Lieblingsbademantel, mit dem Handy in der einen und einem großen Eisbecher in der anderen Hand. Ich komme mir vor wie ein Mädchen, während ich zum sechsten Mal Bennis Nummer wähle und dann doch wieder auflege. Ich will mit jemanden reden, aber ich weiß nicht so richtig, was ich ihm dann sagen soll. Also lege ich letztlich das Telefon weg, stopfe mir frustriert einen Löffel Eis in den Mund und richte meine Augen auf den TV, der im Hintergrund schon die ganze Zeit läuft. Es läuft eine Actionkomödie, aber ich kriege kaum was mit. Dabei wollte ich mich doch Ablenken… Meine Güte… verliebt. In einen Jungen. Das so was auch immer mir passieren muss! Gegen Abend halte ich es nicht mehr aus, sondern schnappe mir meinen Schlüssel und klingle bei Valentin. Er öffnet und zieht die Brauen hoch. „Dir ist bewusst, dass du nur einen Bademantel trägst?“ Auf die Konfrontierung mit dieser Sache hätte ich gerne verzichtet. Ich hätte in den Spiegel gucken sollen, ehe ich so stürmisch meine Wohnung verlassen habe. Zu spät. Ich trete ein, ohne etwas darauf zu antworten und lasse mich von Valentins vertrautem Chaos begrüßen. „Ich bin irgendwie unruhig,“ kläre ich ihn wage auf und er nickt nur. „Wollen wir einen Film gucken?“, frage ich und er macht sich daran, eine DVD zu suchen. Ich hingegen befreie mich von meinem Bademantel, weil mir das ganze doch ein wenig peinlich ist. Danach blicke ich erst mal panisch an mir herunter, ob ich denn überhaupt noch etwas anderes anhabe. Nicht, dass ich plötzlich nackt in Valentins Wohnung stehe. Zum Glück habe ich Shorts und T-Shirt drunter gezogen. Erleichtert lasse ich mich auf die Couch fallen und während wir den Film sehen, sagt keiner ein Wort. Valentin bietet mir Bier an, was ich willig annehme. Als der Film zu Ende ist, sollten wir eigentlich schlafen. Immerhin beginnt die Uni morgen wieder. Aber ich schaffe es nicht, mich aufzuraffen und Valentin wirft mich auch nicht raus, sondern geht einfach duschen. Langsam muss ich mir überlegen, ob ich ihm sage, dass ich in ihn verliebt bin, oder ob ich lieber schweige, bis ich irgendwann tot umfalle und es keiner mehr herausfinden kann. Ich tendiere ja zu letzterem… Aber ersteres ist wohl das nahe liegender. Doch was ist, wenn es ihm nicht so geht? Wenn dann unsere Freundschaft kaputt ist? Sei doch endlich mal ein Mann, Josh, rufe ich mich selbst zur Ordnung. In dem Moment erscheint Valentin wieder auf der Bildfläche und springt vor mir auf und ab. „Guck mal! Steht mir auch, oder?“, fragt er und grinst. Er trägt meinen Bademantel. „Heiß,“ ärgere ich ihn und stehe auf. Alles… oder nichts. Ich öffne den Mund, um was zu sagen. „Willst du noch was trinken?“ Er lässt mich stehen und geht in die Küche. Ich schließe den Mund wieder. „Bier oder was normales?“, ertönt es aus der Küche. Ich folge ihm. „Du, Valentin,“ versuche ich es erneut. Er sieht über die Schulter zu mir. In einer Hand ein Bier, in der anderen Cola. „Oder soll ich Kaffee machen?“ „Valentin!“ „Ja?“ Ich atme tief durch und fasse meinen ganzen Mut zusammen, schlinge die Arme von hinten um ihn. „Weißt du…,“ meine ich leise, während er mich aus großen Augen verwirrt ansieht. „Benni hatte von Anfang an Recht.“ „Was… was meinst du?“, fragt er und hält in seinen Bewegungen inne. Er sieht aus, wie ein verschrecktes Reh, aber ich glaube nicht, dass er Angst hab. Es ist fast, als würden seine Augen zu leuchten beginnen. Als ahne er, auf was es hinaus läuft und ist dem nicht abgeneigt, aber dennoch ein wenig ängstlich. Er atmet flach und ich löse einen Arm, nehme ihm die Flaschen aus der Hand und drücke ihn dann wieder an mich. Seine Nähe fühlt sich so gut an, das kann gar nicht gesund sein. Und obwohl es sich wahnsinnig ungesund anfühlt, ist es auch wahnsinnig schön. „Du fühlst dich richtig an,“ lächle ich und bette den Kopf auf seiner Schulter. Ich hoffe, er weiß, was ich damit sagen will. Ich höre ihn schwer einatmen. „Wir… wirklich?“ Langsam dreht er den Kopf zu mir. „Du dich auch,“ gibt er dann zu und ich lächle. „Ich will das zwischen uns nicht kaputt machen, aber…“ Ich zucke hilflos mit den Schultern und ziehe ihn fester zu mir. „Machst du nicht,“ erwidert er und das ist mein Zeichen. Ich beuge mich vor und schnappe nach seinen Lippen. Er schmeckt so herrlich, nach Kaffee und nach Valentin. Er erwidert den Kuss, dreht sich in seinen Händen und presst sich ganz an mich. Seine Arme umschließen meinen Nacken und er zieht meinen Kopf noch näher. „Du schmeckst nach Vanille,“ erklärt er mir, während wir kurz nach Atem schnappen. „Und du nach Kaffee,“ murmle ich zurück und suche wieder seine Lippen. Und während wir uns küssen denke ich, dass das alles gar keine schlechte Mischung ist. Kaffee und Vanille. Kaffee mit Vanillearoma… Die Hände an seine Hüften gebettet, lege ich den Kopf schief und mein Mund findet seinen Hals. „Und du riechst so gut,“ hauche ich gegen seine Schlagader und küsse mich diese entlang. Meine Lippen verharren kurz an dieser Stelle, ehe ich mich über seinen Kehlkopf küsse und meine Lippen in seiner Halsbeuge ihren Platz finden. „Ich will dich,“ hauche ich gegen seine Haut und als er nicht widerspricht, nehme ich ihn mir. Am nächsten Morgen werde ich von dem lauten, widerlichen Klingeln meines Handys geweckt und muss mich erst Mal orientieren. Dann fällt mir alles wieder ein und ein mehr als glückliches Lächeln überkommt mich. Ich schalte die Weckfunktion meines Handys aus, ehe dieses noch mal Krach machen kann, und blicke dann zu Valentin. Dieser liegt noch immer nackt und schön neben mir und schläft. Am liebsten würde ich wieder über ihn herfallen. Aber mein Handy hat leider nicht umsonst geklingelt. Es ist mein Wecker, der mich zwingt, aufzustehen und zur Uni zu gehen. Valentin hat heute erst später eine Lesung, das weiß ich, weil er es gestern erwähnt hat. Hastig sammle ich also mein Zeug ein und verschwinde in meine Wohnung, um mich umzuziehen. Das ich Valentin mit einem plötzlichen Verschwinden vielleicht irritiere, kommt mir gar nicht in den Sinn Der Tag zieht sich ewig hin und ich kann vor Glück kaum still sitzen. Am liebsten würde ich aufspringen, zu Valentin rennen und mit ihm schlafen. Immer und immer wieder, bis wir ganz erschöpft sind. Aber ich bleibe brav auf meinem Stuhl sitzen und grinse vor mich hin. Ich muss unbedingt später Benni anrufen und ihm alles erzählen. Aber das kann ich erst heute Abend machen, denn später habe ich auch noch Training. Als die letzte Lesung für heute vorbei ist, laufe ich also zur Sporthalle und ziehe mich um. Ich bin schon mit einigen Mannschaftsmitgliedern in der Halle, um mich warm zu machen, als ich das Klingen von Glöckchen wahrnehme und es als Tasche von Valentin identifiziere. Ich weiß, dass er Glöckchen an seiner Schultasche hat. Ich richte mich auf und blicke mich um. „Was willst’n du hier, Emo?“, ertönt da auch schon die Stimme eines Mannschaftsmitglieds und ich könnte schon wieder an die Decke. Manche Leute hier sind einfach unmöglich. Er stellt sich Valentin in den Weg und verkündet lautstark: „Hier hat nur die Schülermannschaft zutritt.“ Völliger Unsinn. In die Turnhalle darf theoretisch gesehen jeder. Natürlich ist es unpassend, wenn wir gerade trainieren, aber das gibt ihm auch nicht das Recht, so zu labern. Ich verdrehe die Augen und schreite ein. „Valentin,“ rufe ich also durch die halbe Halle und laufe zu ihnen, schiebe den Trottel weg. „Was machst du hier?“ „Ich wollte dich abholen. Ich dachte, wir gehen zu mir und essen Pizza und…“, er bricht ab und macht eine hilflose Handbewegung. Die Glöckchen an seiner Tasche klingen daraufhin wieder. „Ich hab nach dir gesucht und sie haben mich hier hin geschickt. Na ja.. du hast ja jetzt noch Training, also geht’s eh nicht.“ Er zieht enttäuscht aus und versucht sich an einem wagen Lächeln, was ihm misslingt. Trotzdem sieht er süß dabei aus. Ich mustere ihn und weiß nicht genau, was er hat. Aber irgendwie ist er komisch drauf. „Ja, hab ich,“ muss ich aber dennoch zustimmen und ihm somit absagen. „Sorry.“ „Macht nichts. Ich dachte nur… wo du heute Morgen so schnell weg warst…“ Er lässt den Satz unbeendet, obwohl man ihm ansieht, dass er noch mehr auf dem Herzen hat. Als er sich wegdreht und ein ‚Geh dann mal’ nuschelt, fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Ich packe seinen Arm und ziehe ihn zurück. „Jetzt warte doch mal,“ bitte ich ihn und er wendet sich mir wieder zu. „Denkst du etwas, ich bereue es und bin deswegen abgehauen?“ Er zuckt hilflos mit den Schultern und ich muss lächeln und streiche ihm zärtlich eine Strähne aus dem Gesicht. Einige Jungs schauen komisch drein. Entweder hören sie mit oder die Geste irritiert sie. „Dummerchen,“ lache ich und meine dann: „Das Training ist ja irgendwann auch mal zu Ende. Dann komme ich vorbei und bringe Pizza mit, okay?“ Und dann lächelt er wieder sein bezauberndes Lächeln und willigt ein. „Wie schwul sind die denn?“, fragt der Idiot von gerade eben genervt und ich zeige ihm den Mittelfinger, während ich Valentin mit einem Kuss entlasse. „Pizzaaaa,“ meine ich lächelnd, als Valentin die Türe aufmacht. Ich dränge mich an ihm vorbei – nicht, ohne ihn kurz zu küssen –, in die Wohnung, und lasse die Kartons auf den Küchentisch fallen. Wenig später sitzen wir auf der Couch und schauen einen Film, während wir essen. „Wie kann man nur so auf Hawaii abfahren?“, frage ich ihn und kaue selbst auf meiner Salamipizza herumkaue. „Ich brauche halt ne Alternative, weil es keine mit Kaffeebohnenbelag gibt,“ erwidert er und ich muss lachen. „Und die Ananas ist echt lecker!“ Dessen bin ich mir absolut nicht sicher. Ich finde die Vorstellung von warmen Ananas irgendwie eklig. Trotzdem puhle ich eine Ananas vom Teig und beiße ein klägliches Stück ab. „Whä,“ mach ich kopfschüttelnd und stecke ihm das Stück in den Mund. „Muss nicht sein,“ winke ich ab und er kaut und grinst und meint: „Ich find’s lecker.“ „Und ich finde dich lecker,“ erkläre ich ihm und küsse ihn und grinse dann: „Du schmeckst nach Ananas.“ „Und du nach Peperoni.“ Ich lache erneut und küsse ihn wieder, diesmal fordernder Eigentlich brauchen wir doch gar keine Pizza, denke ich und ziehe ihn auf meinen Schoß. „Und die Pizza?“, fragt er, schiebt aber die Kartons beiseite. „Die können wir auch kalt essen,“ winke ich ab und drücke ihn auf die Couch, beuge mich über ihn. „Jetzt hab ich Appetit auf etwas ganz anderes.“ Er grinst mir entgegen „Dann will ich dich nicht aufhalten.“ Epilog: …findet mal ein Korn ---------------------------- „Ich bin stolz auf dich, Josh,“ verkündet mir Benni und ich sehe ihn fragend an. Was bei ihm jetzt los ist, kann ich auch nicht sagen. Wahrscheinlich ein Anfall von Sentimentalität. „Weshalb?“, will ich also verwirrt wissen und er nickt zur großen Bühnen in der Innenstadt von Köln. „Weil du es geschafft hast, zu deinen Gefühlen zu stehen,“ klärt er mich auf und ich verdrehe die Augen. „Es war nie eine Frage, ob ich dazu stehe oder nicht,“ murre ich, „Das Problem war einfach, dass ich es selbst nicht bemerkt habe.“ „Weil du schon immer ein blindes Huhn warst,“ kommentiert Benni das Ganze und Jona, neben ihm, wirft ein: „Aber auch ein blindes Huhn, findet mal ein Korn.“ Über all die Hühner und Körner, über die nun diskutiert wird, verpassen wir fast den Anfang, der zugegebenermaßen eigentlich auch nicht wirklich interessant ist. Der Bürgermeister steigt auf die Bühne, heißt alle stolz in seiner Stadt willkommen und erzählt dann in knappen Sätzen über alles Tolle, was Köln so zu bieten hat. Dabei ist das einzig Tolle, was Köln für mich je zu bieten hatte, eine gewisse Person, die hinter der Bühne garantiert an ihrer Aufregung verreckt. Dann endlich hat er erzählt, was er so zu erzählen hatte, und winkt irgendwelche Menschen auf die Bühne, die umbauen. Tolle Show, denke ich und sehe mich seufzend um. „Nun zieh nicht so eine Fresse, du hast ihn erst vor fünf Minuten gehen lassen,“ grinst mich Benni an. Dieser urkomische Romantiker treibt mich in den Wahnsinn. „Im Gegensatz zu dir kann ich es fünf Minuten ohne meinen Freund aushalten,“ maule ich, was eigentlich eine Lüge ist. Das würde ich aber niemals zugeben, schon gar nicht vor Benni. Der tatscht nur nach Jonas Hand und grinst mich wissend an. Wieso nur ist er mein bester Freund geworden. „Er ist eben aufgeregt. Immerhin ist das Valentins großer Auftritt,“ klärt Vic daraufhin Benni auf. Und ja, auch er, Lukas und Chris sind hier. Extra angereist, weil Benni ihnen brühwarm erzählt hat, dass Valentin seinen großen Auftritt hier hat. „Und er ist nicht so ein Weichei wie du, dass er Panikattacken kriegt, wenn sein Freund verschwunden ist,“ fügt Lukas grinsend hinzu und spielt dabei auf den gestrigen Tag an. Da ist Jona nämlich plötzlich verschwunden gewesen und Benni wäre fast an die Decke gegangen, so besorgt war er. Letztlich hat Jona dann nur Chris zu seinem Hotel begleitet, weil der zu viel getrunken hatte. Oder sagen wir es anders, Chris hat überhaupt mal was getrunken und war nach zwei Bier zu nichts mehr zu gebrauchen. Der erste – mir bekannte – Beziehungsstress, seit nun mehr als einem Jahr, entstand also dadurch, dass Jona zwanzig Minuten verschwunden war… „Könnt ihr nicht mal fünf Minuten eure Klappe halten?“, wirft Chris in dem Moment ein und spricht somit aus, was ich denke. „Warum? Damit Josh in Ruhe Hyperventilieren kann, sobald sein Freund die Bühne betritt?“, fragt Vic. „Oder damit Benni ungestört seinen gestrigen – grauenhaften, höchst verstörenden – Albtraum erneut durchleben kann?“, fügt Lukas hinzu. „Es reicht schon, wenn uns keiner mit Scheiße zukleistert,“ erwidert Chris brummig und so ist er nun das Opfer neuer Sticheleien. „Man glaubt kaum, dass die Jungs schon erwachsen sind,“ murre ich und Jona grinst, während Benni erwidert: „Mir kommt es vor, als wären sie mit Siebzehn vernünftiger gewesen, als jetzt.“ „Liegt nur an eurem schlechten Einfluss,“ kommentieren die anderen diese Unterhaltung wie aus einem Mund und ich verfluche es, überhaupt etwas von dem Sommerfest erwähnt zu haben. Wie schön wäre es, jetzt ganz alleine hier zu stehen, ein Unbekannter unter all den Menschen, und nervös auf Valentins Auftritt warten zu könne. „Versink nicht in Gedanken, es geht los,“ zupft Jona mich am Ärmel und ich richte meine Aufmerksamkeit wieder auf die Bühne, wo tatsächlich Valentins Band aufbaut. Ich suche nach meinem Freund und finde ihn bei diesem Sebastian. Hab ich eigentlich schon mal erwähnt, wie hübsch mein Freund aussieht? „Die Einen fressen sich fast,“ murmelt Vic – bezogen auf Benni und Jona, die knutschen – „Und der Andere zieht seinen Kerl mit Blicken aus,“ fügt Lukas hinzu – bezogen auf mich. „Wo sind wir nun gelandet?“, seufzt Chris theatralisch. Da hat wohl wer die Seiten gewechselt, na Danke auch. Das man sich auch auf gar keinen mehr verlassen kann!!! Mürrisch sehe ich zu den Jungs – in der Hoffnung, dass sie endlich mal ihre Klappe halten – ehe ich wieder zur Bühne blicke. Die letzten Vorbereitungen sind getroffen und Valentin tritt ans Mikrofon und macht dabei schon eine verdammt gute Figur. Und dann geht’s endlich los und sie spielen ihren ersten Song. Und ich bin so stolz auf ihn. All seine Sorgen, von wegen er würde keinen Ton treffen oder irgendjemand würde sich verspielen, waren vollkommen umsonst. Sie spielen eine Mischung aus Covern und eigenen Songs und legen dabei wirklich eine tolle Show hin. Mein Freund kann’s einfach. Ich grinse vor mich hin und bin ganz stolz auf ihn. Hab ich eigentlich schon erwähnt, wie unglaublich toll mein Freund ist? „Den letzten Song widme ich meinem Freund.“ Er sucht in der Menge nach mir und sein Blick bleibt auf mir hängen. Ich könnte vor Freude tot umfallen. Ich meine, er hat mir einen Song geschrieben!!! Nach dem letzten Song gehen sie von der Bühne und die Leute sind – größtenteils, sagen wir mal – begeistert. Ein paar alte Omas beschweren sich, dass sie so eine Krachmusik ertragen mussten, aber die haben ja eh keinen Geschmack. Wie sonst könnten sie nicht sehen, dass Valentin so unglaublich gut klingt, dass es ganz egal ist, was er singt? Und das er einfach so heiß ist, dass das ganze Schauspiel wie purer Sex wirkt? Ich schleife meine Chaotengruppe zur Bühne und suche nach Valentin. „Jooosh,“ ertönt seine Stimme auch schon und er springt mich von der Seite an. „Wie wars?“, will er wissen und ich lächle ihn an. „Großartig,“ erwidere ich. „Und dein Song?“, will er wissen und umarmt mich fest. Ich schlinge die Arme um seinen Körper. „Gefällt er dir?“ Ich nicke nur und streiche ihm eine Strähne aus dem Gesicht, küsse ihn. Wahrscheinlich hatte Benni doch Recht und ich kann es doch keine fünf Minuten ohne ihn aushalten. Ich fühle mich, als wäre ich wochenlang auf Entzug gewesen. „Ich liebe ihn,“ eröffne ich ihm und küsse ihn noch mal. Das könnte ich echt den ganzen Tag machen, denke ich und ziehe ihn noch fester zu mir. Hab ich eigentlich schon mal erwähnt, wie stolz ich auf meinen Freund bin? „Und ich liebe dich, Valentin,“ hauche ich ihm ins Ohr und er grinst mich an. „Ich weiß. Wie könntest du mich sonst ertragen?“ Ich muss lachen. „Das ist in der Tat schwer,“ necke ich ihn und er streckt mir die Zunge raus. „Also ich kann dich auch kaum ertragen,“ erwidert er und seine Hände umfassen mein Gesicht und er zieht meinen Kopf zu sich und meint: „Aber ich liebe dich trotzdem.“ Dann küsst er mich wieder und ich denke, dass ich der glücklichste Mensch auf Erden sein kann, ihn zum Freund zu haben. Ich lächle in den Kuss. Habe ich eigentlich schon mal erwähnt, wie sehr ich ihn liebe? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)