Kaffee und Vanille von Jeschi ================================================================================ Kapitel 2: Schlittenfahrende Bärchen ------------------------------------ Perfektes Timing, sagt man wohl dazu. Ich erhebe mich aus meinem Sessel und eile zur Türe, um diese zu öffnen. „Du schon wieder,“ meine ich belustigt, als ich Valentin (Erschütternder Weise ohne Kaffee!!!) entdecke. „Hast du kein Zuhause?“ Er verzieht den Mund. „Theoretisch weißt du ganz genau, dass ich ein Zuhause habe,“ murrt er und tritt ein. „Ich dachte, es interessiert dich vielleicht, wie der Kerl so spielt…“ Er mustert mich. „Hübscher Bademantel.“ Auf das mit dem Bademantel gehe ich gar nicht ein, ziehe ihn nur enger, weil ich mich plötzlich nackt fühle. Na toll. „Bei der Laune, die du da an den Tag legst, weiß ich jetzt schon, wie er gespielt hat.“ „Oh nein, das ist es nicht, er spielt gut“ winkt er daraufhin aber ab. „Aber alles muss sich nur nach ihm drehen. Sing das doch anders, mach da doch ne Pause, kann ich nicht da ein Solo einbauen…“, äfft er ihn nach und sieht mich frustriert an. „Wir sind eine Band und nicht seine Skalven.“ Er grummelt noch weiter vor sich hin, während er geradewegs in meine Küche marschiert und pikiert auf meine leere Anrichte blickt. „Leg dir doch endlich mal ne neue Kaffeemaschine zu,“ wendet er sich dann reichlich hysterisch an mich. Fast muss ich lachen, aber ich verkneife es mir. „Dann werdet ihr euch doch einen neuen Drummer suchen?“, frage ich, während ich ihm einen kalten Kaffee aus dem Kühlschrank hole und ihm den Becher reiche. Man kann richtig sehen, wie sich seine Augen erhellen und nun muss ich doch grinsen. Er öffnet den Fertigkaffee und nimmt einen großen Schluck. Irgendwie wirkt das, als wäre es sein Lebenselixier. Er sieht gleich frischer und entspannter aus, wie er sich jetzt gegen meine Anrichte lehnt. „Na ja…,“ geht er auf meine Frage ein, „Wir sind geteilter Meinung. Kevin – unser Gitarrist – und ich sind der Meinung, der Typ passt nicht zu uns. Leon – der Bassist – findet, er sei talentiert und würde das Sehrwohl tun. Also eine heikle Sache.“ Er seufzt. „Dann liegt die Lösung aber doch auf der Hand,“ erläutere ich, „Wenn ihr jemand findet, der genauso gut oder noch besser ist, wie der Idiot, dann wird Leon nichts dagegen sagen. Wenn nicht, wäre es ja Unsinn, diesen talentierten Kotzbrocken zu kicken, nicht?“ „Jaaa,“ meint er daraufhin gedehnt. „Manchmal bist du echt clever, Josh,“ grinst er dann und legt den Kopf schief. „Dann drück mir mal die Daumen, dass da draußen ein ganz talentierter Drummer wartet, der sich nichts mehr wünscht, als in meiner Band zu spielen.“ Wie er das sagt, klingt es irgendwie unmöglich, aber ich bin sicher, er kriegt das schon hin. „Wer würde nicht gerne in deiner Band spielen,“ ärgere ich ihn und schlucke dann hart, weil ich mir plötzlich vorkomme, als würde ich ihn anflirten. Langsam drehe ich wirklich durch. Vielleicht liegt es ja daran, dass er mit seinen langen Haaren, der Schminke, den lackierten Nägeln und der schmalen Statur… na ja… aussieht, wie ein Mädchen. Weil mir bewusst wird, dass ich ihn anstarre, blicke ich schnell woanders hin. Mein Blick fällt auf den vergilbten Kühlschrank und ich nehme mir vor, den endlich mal abzuschrubben. Valentin bekommt von all dem aber irgendwie nichts mit. Er starrt nämlich mich an und meint: „Mal im Ernst… was hat dich geritten, dieses Ding anzuziehen?“ Und dann beugt er sich vor und piekst mit seinem Finger genau auf die Stelle meines Bademantels, auf dem ein schlittenfahrendes Bärchen prangert. „Ist ja ganz süß, aber nicht wirklich sexy,“ fügt er hinzu. Ich werde ein wenig rot und erwidere: „Ich will ja auch niemanden verführen. Außerdem bist du hier eingedrungen. Du solltest mich nie im Bademantel sehen!“ „Eingedrungen?“, wiederholt er gespielt aufgebracht. „Du hast mich doch rein gelassen.“ Er bläst empört die Backen auf, was wirklich süß aussieht und nicht gerade zum Wohl meines eh schon verwirrten Geisteszustandes beträgt. Dann seufzt er. „Eigentlich sollte ich jetzt gehen und mich hinlegen. Aber… ich hab so Angst vor Morgen.“ „Ihr werdet ganz sicher großartig spielen,“ versichere ich ihm, obwohl ich sie ja genau genommen noch nie spielen gehört habe und das gar nicht beurteilen kann. Aber irgendwie habe ich einfach das dringende Bedürfnis, ihn aufheitern zu müssen. Er nickt und fährt sich in einer fahrigen Bewegung mit der Hand über das Gesicht. „Wahrscheinlich schiebe ich Sebastian – so heißt der blöde Kerl und ich darf ihn auch nicht einfach Sebbi nennen – vorher seine Sticks in den Arsch,“ grollt er dann. Irgendwie würde ich das zu gerne sehen, wie Valentin diesen Kerl zur Sau macht. Aber das sage ich nicht. Ich lache nur auf und zerwühle seine Haare, weil ich genau weiß, dass ihn das wahnsinnig macht. „Dann weiß Sebastian wenigstens, wem er angehört,“ muntere ich ihn auf. Er murrt aber nur und sagt nichts weiter dazu. Auch nicht zu der Sache mit den Haaren, vielleicht, weil ihn heute eh niemand mehr sieht. „Und wie scheiße ist dein Leben gerade?“, fragt er dann und sieht mich direkt. Wahrscheinlich hat er keinen Bock mehr, die ganze Zeit von sich zu reden. „Geht so.“ Ich erzähle ihm, dass ich gerade mit meinem besten Freund telefoniert habe und dann noch ein wenig mehr von Benni. Das er in Dortmund studiert. Und das er schon total viele Freunde gefunden hat. „Jetzt hab ich irgendwie Heimweh, vor allem, weil mir mal wieder klar geworden ist, dass ich noch keine Freunde hier habe.“ „Ach.. und was bitte bin ich? Dein Hofkasper?“, murrt Valentin darauf beleidigt und ich muss laut los lachen, während ich ihn mir als Kasper vorstelle. Er macht eine beleidigte Miene. „Wir kennen uns doch erst seit ein paar Tagen,“ meine ich dann zu ihm. „Aber wenn es dich tröstet. Du bist mein absoluter Lieblingsnachbar und einziger Vertrauter, in dieser scheiß Stadt.“ „Das ist ne scheiß Stadt, ne,“ verbündet er sich daraufhin mit mir gegen Köln und alle Probleme, die unser Leben hier so mit sich bringt. Dann lachen wir. „Weißt du was,“ schlage ich dann vor. „Lass uns einen Actionfilm gucken. Das lenkt dich von Morgen ab und mich von der Tatsache, dass mich alle meine Kommilitonen irgendwie zu hassen scheinen.“ Und so stimmt er zu und wir gehen ins Wohnzimmer, wo wir eine DVD reinschieben. Endlich wird auch mal meine kleine Couch benutzt. Wir quetschen uns also auf diese und ich denke mir, dass es eigentlich doch gar nicht so schlecht hier ist, in Köln. Irgendwann wache ich auf, weil Valentin sich verabschiedet, um in sein eigenes Bett zu gehen. Scheint, als wären wir beide eingepennt. Es ist ein Uhr nachts und der Fernseher zeigt nur noch den Bildschirmschoner des DVD-Rekorders. Wir haben also den ganzen Film verpennt. Aber egal. Ich stehe auf, schalte den TV ab und schlafe dann auf meiner Couch weiter, weil es gerade so bequem ist. Als ich am nächsten Morgen aufwache, bin ich total nervös, obwohl es eigentlich Valentin ist, der nervös sein sollte. Aber da ich die ganze Story um seine Band bisher live miterlebt habe, will ich nun unbedingt auch wissen, wie ihr Vorspielen denn nun gelaufen ist und ob sie am Sommerfest spielen dürfen. Aber mal wieder heißt es: Geduld. Doch ganz abgesehen von Valentin gibt ich noch etwas anderes, was mir auf den Magen schlägt. Nämlich die Tatsache, dass heute ausgehangen wird, wer wann zum Vorspielen für die Schulmannschaft dran ist. Deutlich verwirrt und extrem nervös, ziehe ich mich an und packe meine Sachen zusammen, ehe ich zur Schule eile. Ich will jetzt unbedingt wissen, wann ich dran bin und wer in meiner Gruppe ist. Ich hoffe, ich kann den Namen auch schon ein paar Gesichter zu ordnen, damit ich weiß, was auf mich zukommt. Als ich dann endlich vor den Aushängen stehe, trifft mich fast der Schlag. Ich bin in einer Gruppe, die bereits am Freitag spielen wird. Das ist in zwei Tagen. Ich schlucke schwer. Garantiert werde ich genauso nervös sein, wie Valentin gestern. Und das behagt mir nicht. Wenn ich nervös bin, kann ich nicht so gute Leistungen bringen. Wo ist nur mein Selbstvertrauen hin, das mir sagt, dass ich das auf jeden Fall packen werde? Den restlichen Tag verbringe ich in allgemeiner Unruhe, was mir ein paar seltsame Blicke von den Leuten einbringt, die sich über solche Dinge keine Gedanken machen müssen. Oder sie müssen es und kommen damit besser klar, aber wenn dem so ist, dann können sie mich mit ihrer Ruhe erst Recht mal am Arsch lecken. Als der Tag endlich vorbei ist, trotte ich schlecht gelaunt zum Wohnheim zurück. Gerade als ich die Türe aufschließen möchte, kommt auch Valentin an. „Wie wars?“, frage ich sogleich, ohne mich weiter mit Höflichkeiten aufzuhalten. „Dir auch einen guten Tag,“ erwidert er und grinst mich dann an. „Gut. Wir dürfen spielen!“ Ich fange an, begeistert zu grinsen, als würde es mich selbst betreffen. „Und Sebastian hat sich sogar human verhalten,“ ergänzt er dann noch. „Das hat er geschafft?“ meine ich ungläubig und wir kichern dämlich vor uns hin. Dann beglückwünsche ich ihn erst Mal und freue mich total. Da hat sich der ganze Stress für ihn ja doch gelohnt. „Hab ich nur dir zu verdanken. Hättest du mich gestern nicht abgelenkt, hätte ich sicher kein Auge zu getan und heute alles verbockt,“ grinst er mich an und ich verbeuge mich affig. „Hab ich doch gerne getan, Mylady.“ Er zeigt mir den Mittelfinger, grinst aber dabei. „Du kannst dich übrigens revanchieren,“ werfe ich dann ein. „Mein erstes Spiel ist am Freitag.“ „Freitag schon?“, meint er erstaunt, nickt dann aber. „Keine Sorge, du kannst dich auf mich verlassen.“ Danach verschwindet er in seiner Wohnung, Kaffee kochen. Was auch sonst? Ich lächle noch immer vor mich hin, weil ich mich so für Valentin freue, als ich in meine Wohnung trete und mir was zu Essen mache. Mit Fertignudeln und meinem Handy im Gepäck, lasse ich mich dann auf meinen Sessel fallen und wähle Jonas Nummer. Irgendwie habe ich gerade richtig Lust, mit ihm zu telefonieren. „Dich gibt’s ja auch noch,“ werde ich begrüßt und ich muss lächeln. Das ich Benni vermisse, ist irgendwie klar. Aber jetzt, wo ich Jonas Stimme höre, wünsche ich mir nichts mehr, als ein Match gegen ihn zu spielen. „Klar,“ meine ich. „Ich hab am Freitag mein erstes Spiel und dachte mir, da muss ich mich doch mal nach meinem alten Team erkundigen. Und wo könnte ich das besser, als bei dem neuen Starkapitän?“ Jona hat nämlich diesen Posten übernommen, weil sowohl Benni, als ich auch ich gegangen sind. Ich weiß gar nicht, wer Vizekapitän ist. Vielleicht Lukas, aber ich glaube eher, dass es Chris ist. Chris hat sich schon immer total für das Team engagiert, auch, was das organisatorische betraf. Und als Spielmacher hat er auch eine gute Position, um als Kapitän die Übersicht zu behalten. Jona lacht jedenfalls nur. „Was denkst du denn, wie es läuft?“ Ich verändere meine Position, während er weiterspricht. „Ich hab ein paar neue Talente entdeckt und die anderen Jungs leisten noch immer eine Klasse Arbeit.“ Ich kann mir vorstellen, wie er jetzt freudig in die Runde grinst. Wenn ich nämlich richtig liege, müssten sie gerade in der Umkleide sein, weil bald das Training beginnt. Tatsächlich höre ich ihn in dem Moment sagen: „Josh ist am Telefon.“ Und schon werden mir eine Haufen Grüße ausgerichtet, von all denen, die mich noch kennen. „Liebe Grüße zurück,“ meine ich und stopfe mir ein paar Nudeln in den Mund. „Das es bei euch so gut klappt, nehme ich mal als gutes Omen, dass es bei mir auch rund läuft.“ Ich seufze. Ich habe immer noch Angst, was mir selbst auf den Piss geht. Um nicht darüber nachdenken zu müssen, denke ich an Jona und an unsere Anfangsschwierigkeiten. Als er neu ins Team gekommen ist, hat er erst Mal die geballte Wut von Mike abbekommen, dessen Stammplatz er dann mehr oder minder sofort übernommen hat. Weil wir damals alle noch mit Mike befreundet waren, waren wir zwar nett zu Jona, aber auch nicht mehr. Richtig geändert hat sich das erst, als Benni sich für ihn stark gemacht hat und zu guter letzt, als er mit ihm zusammen gekommen ist. Bis dahin mochte ich ihn nur, aber als wir dann täglich miteinander zu tun hatten, haben wir uns richtig angefreundet. „Ich drücke dir jedenfalls die Daumen, dass es klappt, Joshi,“ versichert mir Jona und ich muss lächeln. Dann muss er aber aufhören, weil die Jungs schon warten. „Dann bis die Tage,“ verabschiede ich mich und klappe mein Handy zu, werfe es achtlos auf das Sofa. Während ich meine Nudeln esse, kommt mir die wahnwitzige Idee, dass ich doch einfach bei Valentin klingeln könnte. Aber andererseits will ich ihn nicht die ganze Zeit nerven… obwohl er mich ja auch die ganze Zeit ‚nervt’. Dennoch reiße ich mich zusammen, esse zu Ende und gehe dann ins Bett. Vielleicht schläft er ja auch schon. Am nächsten Tag bin ich noch nervöser drauf, als gestern schon. Ich fühle mich, wie Valentin, wenn er zu viel Kaffee auf einmal getrunken hat. Als hätte ich Hummeln im Arsch. Ich kann nicht still halten und gleich nachdem ich aus der Schule flüchten kann, ehe ich los und mache noch ein paar Trainingseinheiten. Erst im Fitnessstudio, dann auf dem Platz. Frisch geduscht – aber nicht im Bademantel – klingle ich dann am Abend bei Valentin. In seiner Wohnung rührt sich nichts ich runzle die Stirn. Soll ich jetzt sauer sein oder mir Sorgen machen? Er hat doch zugesagt, sich heute Abend ein wenig um mich zu kümmern, was hat er denn nun zu tun? Ich klinge noch mal, aber in genau dem Moment geht die Türe auf. Er sieht extrem zerwuschelt aus und schielt mich mit tiefen Augengringen an. „Alles klar?“, frage ich. „Hab nur geschlafen. Komm rein,“ nuschelt er zurück und geht in die Küche, um… na ja… ist klar, Kaffee zu kochen. Ich steige über das, mir bereits vertraute, Chaos von Valentins Wohnung grinse vor mich hin. So viel zum Thema, er räumt das die Tage auf. „Hast du noch nicht renoviert?“, will ich grinsend wissen und er sieht mich verwirrt an. „Hä?“ Dann fällt ihm wieder seine Entschuldigung für das Chaos ein, denn er macht „Oh!“ und dann nuschelt er was davon, dass er noch keine Zeit hatte. „Sag bescheid,“ dann helfe ich dir gerne,“ biete ich mich an und besehe mir das Chaos noch ein wenig genauer, während er Kaffee kocht. Zu den Klamotten – die mittlerweile zu Bergen in der Wohnung verteilt sind – und den CDs haben sich noch Bücher, Blöcke, Schminke, Haarzeug und zwei Pizzakartons gesellt. Amüsiert sehe ich zu ihm. „Bei deiner Unordnung werden wir uns nicht mal umdrehen können, ohne uns die Beine zu brechen.“ Er streckt mir die Zunge raus. „Solltest du nicht lieber ein Nervenbündel sein, statt mich zu bemuttern?“, brummt er dann und ich muss lachen. „Solltest du dich nicht über gestern freuen, statt zu brummen,“ entgegne ich dann und nehme eine Kaffeetasse entgegen. „Ich bin glücklich… innerlich. Nach außen hin bin ich einfach nur müde.“ „Oh weh, ist unser kleiner Valentin ein Morgenmuffel,“ ärgere ich noch ein wenig und balanciere zwischen all seinem Kram zu seinem Wohnzimmer. Danach sitzen wir eine ganze Weile nur rum, labern und spielen Autorennen, bis mich langsam die Müdigkeit überkommt. Ich strecke mich und sehe auf meine Uhr. Erst Elf. Ich weiß, ich sollte gehen, aber die Aufregung nimmt mich sofort wieder gefangen. Ich sehe zu Valentin, der auf der Couch hängt und die Augen kaum noch offen halten kann. Was auch immer man heute mit ihm angestellt hat, er sieht echt fertig aus. Während ich ihn so ansehe, kommt mir eine Idee und ich frage ihn: „Hast du nicht Lust, morgen bei dem Spiel zu zu sehen? Ich fände es nämlich schön, wenn jemand da wäre, der mich anfeuern kann.“ Er öffnet gequält die Augen und fragt mich, wann das Spiel ist. „Um Drei,“ kläre ich ihn auf und er nickt. „Okay, da kann ich. Dann komm ich gerne.“ Und schon fühle mich mehr als nur erleichtert. Ich weiß nicht, warum, aber mit der Aussicht darauf, dass Valentin da sein wird, um sozusagen Händchen zu halten, bin ich schon viel weniger aufgeregt. Außerdem freue ich mich, dass ich ihm dann mal zeigen kann, wie gut ich spiele. Er will das je eh schon seit dem ersten Tag mal sehen und wer weiß… vielleicht ist das ja seine letzte Möglichkeit, denn es kann ja tatsächlich passieren, dass ich es nicht ins Team schaffe. „Weißt du…, schon bin ich weniger aufgeregt,“ lasse ich ihn an meiner Freude teilhaben und er grinst. „Ich weiß. Ich bin einfach ein Talent in allem, was ich tue. Und sei es darin, die Aufregung von dir zu mindern.“ Ich verdreh die Augen und murre: „Sei bloß still.“ Dann stehe ich auf und verabschiede mich. Soll er seinen Schönheitsschlaf schlafen, sonst sieht er morgen noch aus, wie eine Vogelscheuche. Wieder in meiner Wohnung, fühle mich plötzlich sehr müde und erschöpft. Der Tag hat einfach zu sehr an meinen Nerven gezehrt. Mit einem relativ guten Gefühl gehe ich ins Bett und schlafe auch bald ein. Aufwachen tue ich erst, als mein Wecker laut klingelt und mir ankündigt, dass ich noch genau acht Stunden Zeit habe, bis das Spiel beginnt. Ich stehe auf, dusche und packe meinen Kram zusammen. Mit einem trockenen Brötchen bewaffnet, muss ich dann zur Schule rennen, weil ich schon wieder zu spät dran bin. Wie ich den Tag überlebe, weiß ich auch nicht so genau. Mir kommt es vor, als durchlebe ich alles wie aus Watte. Die Zeit rauscht nur so an mir vorbei und ich werde erst wieder richtig klar im Kopf, als ich in der Sporthalle stehe und mich umziehe. Bald geht es los, denke ich, während ich in die Turnhalle trete. Die meisten meiner Konkurrenten stehen schon dort und mustern mich nun. Sie reden alle kaum miteinander, nur die, die sich bereits kennen, wünschen sich gegenseitig Glück. Ich stelle mich an den Rand und wäge schon mal ab, gegen wen ich eine Chance habe und bei wem es schwer werden wird. Man teilt uns in zwei Mannschaften ein und dann ziehe ich mir eine farbige Binde über den Arm, damit auch ja klar ist, wer zu Team Rot und wer zu Team Gelb gehört. Dann geht es auch schon los. Valentin ist noch nicht da. Er hat mir eine SMS geschickt, dass er noch ein Seminar hat und er später kommen kann. So werden das erste Viertel und wohl auch noch das zweite ohne ihn stattfinden. Aber das stört mich nicht all zu sehr. Ich weiß ja, dass er kommen wird und das reicht, um mich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. Ich spiele auf der Position des Point Guard. Mit anderen Worten. Ich bin der Spielmacher. Dafür muss ich nicht besonders groß, aber dafür wendig sein. Im Großen und Ganzen liegt meine Aufgabe darin, die Bälle in die gegnerische Hälfte zu dribbeln und an die abzugeben, die für einen Korbwurf richtig sehen. Also erziele ich nicht so viele Punkte, wie manch andere, weil ich, wenn ich werfe, eher aus größerer Distanz treffen muss. Man wird also darauf achten, wie viele ich Pässe ich werfe und wie gut die dann auch ankommen und letztlich genutzten werden können. Außerdem werden sie darauf achten, wie wurfsicher ich von der Drei-Punkt-Linie aus bin, dem Bereich, aus dem der Point-Guard die meisten Körbe wirft. Das macht mir keine Angst. Ich bin sehr sicher im werfen. Was ich mir heute dagegen gar nicht erlauben kann, sind Fehlpässe. Aber genau genommen kann ich mir die ja nie erlauben. Irgendwie habe ich Angst, dass ich es nicht mehr richtig drauf habe. Als damals Chris in unser Team kam, hat er mich von meiner Position gedrängt. Ich wurde dann immer nur eingewechselt, aber die meiste Zeit hat er gespielt. Im Gegensatz zu Mike – dem es ja mit Jona genauso ging – hat mich das aber nie gestört. Ich kam zu meinen Einsätzen und konnte mich nicht beschweren. Außerdem war Chris der besser von uns Beiden. Wäre er jetzt mein Gegner, wäre er es wohl auch immer noch. Das erste Viertel läuft überraschend gut. Der Point-Guard der anderen Mannschaft ist ein totaler Loser und hat mehr Fehlpässe abgeliefert, als alle anderen zusammen. Dennoch sehe ich das Kind noch nicht in trockenen Tüchern, denn vielleicht war das nur die Aufregung er musste sich erst einspielen, um abliefern zu können. Ich komme nicht umhin, meine Mitspieler ein wenig mit den anderen aus meinem ehemaligen Team zu vergleichen. Und irgendwie finde ich, dass ich lieber wieder in Hamm spielen möchte, statt hier. Aber da kommt wohl ein Hauch von Nostalgie durch. Früher war alles besser… Ich schüttle den Kopf und nehme einen großen Schluck aus meiner Flasche, ehe es ins nächste Viertel geht. Tatsächlich scheint der andere Kerl nun Fahrt aufgenommen zu haben. Seine Pässe werden zielsicherer und seine Mannschaft – die bisher hinten lag- holt auf. Das passt mir gar nicht, denn das heißt, dass ich mich jetzt noch mehr anstrengen muss, als bisher schon. Ich will unbedingt eine Runde weiter kommen. Dann gibt es nämlich noch ein Spiel, in der dann exakt fünf Leute ausgewählt werden, die in das schon bestehende Team kommen. Danach werden wir erst Mal eine ganze Weile auf der Bank sitzen und uns in den Spielen beweisen müssen, ehe wir mal in der Startmannschaft stehen werden, aber das ist ja egal. Im Basketball wird eh ständig gewechselt. Nur heute nicht. Heute müssen wir in jedem Viertel durchspielen, keiner wird ausgewechselt. Das ist ziemlich anstrengend, aber natürlich will man sich ein genaues Bild von unserer Leistung machen. Mir soll es egal sein. Ich habe bisher an meiner Ausdauer trainiert, wie ein Weltmeister. Dann endlich ist Halbzeit und wir haben ein wenig länger Pause. Ich schleppe mich zu einer Bank und nehme einen großen Schluck und in dem Moment kommt endlich Valentin. Ich glaube, ich war noch nie so froh, ihn zu sehen, wie jetzt gerade, in diesem Moment. Ich lächle ihn an und er lächelt zurück. „Hey. Ich hab dir was mitgebracht,“ begrüßt er mich und hält mir eine Banane unter die Nase. Ich könnte ihn knutschen. Das ist genau das, was ich jetzt brauche. „Ich glaube, ich habe heute noch gar nichts weiter gegessen,“ bedanke ich und schnappe mir die Banane. Zur Bestätigung knurrt mein Magen. „Wie läuft es?“, will er wissen und er lässt sich neben mir nieder. Seinen besten Freund, den Kaffeebecher, stellt er neben sich ab. „Gut. Wir führen und ich hab ein paar gute Pässe geworfen und auch ganz gut gepunktet. Außerdem ist der andere sehr unbeständig. Mal ist er gut dabei, mal gelingt ihm gar nichts.“ Ich nicke zufrieden. „Wenn weiterhin alles gut läuft, dann habe ich Chancen, eine Runde weiter zu kommen.“ „Jetzt bin ich ja da. Jetzt kann es ja nur noch besser werden,“ grinst er und ich muss lachen. Dann geht es auch schon weiter und ich muss meinen persönlichen Glücksbringer alleine auf der Bank zurück lassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)