Post Team Plasma von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 2: Kuro --------------- „Touko, bitte steh auf, ich weiß, dass du wach bist.“ Touko öffnete die Augen und tat so, als müsste sie gähnen. „Morgen, Bell“, sagte sie, scheinbar noch ganz verschlafen. „Was verschafft mir diese frühe Ehre?“ „Sehr witzig, Touko“, erwiderte Bell streng und schritt hinüber zum Fenster neben ihrem Bett, um die Vorhänge aufzuschieben. „Hey! Nicht!“, beschwerte sich Touko und hielt sich schützend eine Hand vor die Augen. „Zu hell!“ „Es ist schon halb eins, also raus aus den Federn!“ Bell schnappte sich einen Zipfel von Toukos Decke und zog sie ihr beschwingt vom Körper. „Muss das sein?“, grollte Touko und zog sich das Nachthemd tiefer den Oberschenkel hinunter. „Ich will noch schlafen …“ „Denk bloß nicht, ich wüsste nicht, was in dir vorgeht“, ermahnte sie Bell und sah plötzlich besorgt aus. „Dir spukt immer noch diese Sache von gestern im Kopf rum, oder?“ „Wie kommst du denn darauf?“, entgegnete Touko hastig; ein wenig zu hastig. Bell seufzte. „Glaub mir, bis in die Puppen im Bett zu liegen wird ihn dir auch kein Stück näher bringen.“ „Was redest du da?“, fauchte Touko und setzte sich abwehrend auf. Konnte Bell verdammt noch mal ihre Gedanken lesen?! „Guten Morgen, Touko! Ich rede natürlich von N!“ Bell ließ ihre Decke auf das Fußende des Bettes fallen. Bevor Touko noch etwas erwidern konnte, sagte sie: „Komm schon, zieh dich an und iss was, sonst kommst du heute nicht mehr vom Fleck.“ Damit war sie schon aus dem Zimmer und schloss die Tür hinter sich. Touko ließ sich wieder auf ihre Kissen zurücksinken, obwohl sie sich jetzt hellwach fühlte. Warum nur musste Bell sie so gut kennen? Und dabei auch noch so mütterlich sein? Als sich Touko fertig angezogen in die Küche begab, sprang Bell wie auf Zuruf von ihrem Stuhl auf und nahm ein Toast aus dem Toaster. Touko setzte sich an ihren Platz und besah sich erstaunt den Esstisch, auf dem sich direkt vor ihr der halbe Kühlschrankinhalt stapelte. „Hast du das alles hier hingelegt?“ Bell nickte und reichte ihr den Toast. „Ich war mir nicht ganz sicher, was du gerne isst, deshalb hab ich einfach mal ein paar Sachen rausgeholt …“ „Danke, Bell, du bist ein Engel.“ Touko biss in das Brot und gab sich ganz ihrem Hunger hin. „Wo ist eigentlich meine Mutter?“, fragte sie dann mit vollem Mund. „Sie ist eben einkaufen gegangen, nachdem sie mich reingelassen hatte.“ „Ach so.“ „Macht’s dir was aus, wenn ich den Fernseher anmache?“, fragte Bell nach einem kurzen Schweigen. „Sei so frei“, erwiderte Touko schmatzend. „Typisch, Sonntags um diese Zeit läuft überall nur Müll“, beschwerte sich Touko, während sie von einem Kanal zum nächsten schaltete. „Was geht mich das an, wenn irgendein Spinner glaubt, sein Nagelotz könne in die Zukunft sehen, nachdem es einen Löffel verbogen hat?“ „Warte, schalt mal wieder zurück“, bat Bell sie plötzlich. Touko tat wie geheißen. „Was? Du willst Nachrichten gucken?“ „Wieso nicht? Ansonsten läuft doch sowieso nur Müll.“ „Du wirst langsam immer mehr wie Cheren“, murrte Touko, gab sich aber geschlagen und sah zu, wie das Logo der Einall-Rundschau, das Profil eines Washakwil-Kopfes mit übergroßem Auge, über den Bildschirm flimmerte. „Ihr Gedudel von einer Intro könnten die auch mal langsam ändern“, bemerkte Touko, bevor Bell sie mit einem „Sch!“ zum Schweigen brachte. „Guten Tag, meine Damen und Herren. Wird er in den Ruhestand gehen oder wird er bleiben? Seit Tagen beschäftigt die Trainer in Einall nur diese eine Frage. Mehr über Lysander von Twindrake City erfahren Sie nach dem Themenüberblick.“ Nach und nach wurden Bilder und Video-Ausschnitte eingeblendet, und zu jedem hatte die Sprecherin ihr Sprüchlein parat: „Verletzte bei einem Transportflugzeug-Absturz über dem Weißen Wald: Ein Sprecher des Konzerns schließt menschliches Versagen als Ursache nicht aus. Vermehrte Algen-Konzentration: Die Ondula-Bucht wird auf dringende Warnung der heimischen Wissenschaftler hin gesperrt. Und seltsames Massensterben: Aprikoko-Bauern müssen mit niedrigen Erträgen rechnen.“ „Laangweilig“, kommentierte Touko gedehnt und steckte sich den Rest ihres Toasts in den Mund. Dann stand sie auf und nahm ihre Tasche vom Haken an der Haustür. „Wollen wir gehen?“ „Ja, aber sollen wir nicht vorher aufräumen …?“ Bell schaltete den Fernseher aus und sah unsicher zum überquellenden Esstisch herüber. „Ach was, meine Mutter macht das schon.“ Bell hatte gerade die Haustür hinter sich geschlossen, als Toukos Viso-Caster klingelte. „Touko! Ich versuch schon seit Stunden, dich zu erreichen, aber du hast nie abgenommen! Was hast du denn die ganze Zeit gemacht?“ „Ich hab geschlafen, Kuro“, sagte Touko trocken zu dem braunhaarigen Jungen, dessen Gesicht den Schirm des Viso-Casters ausfüllte. „Geschlafen? Wie kann man nur so lange schlafen? Oder halt, hast du gestern Nacht etwa Party gemacht? Und mich nicht eingeladen? Wenn, dann schuldest du mir aber einen Kampf, liebe Touko!“ „Deinen Kampf kannst du gern haben!“, rief Touko sogleich kampfeslustig. Bell ließ im Hintergrund einen Seufzer vernehmen. „Na denn, wo treffen wir uns? Wie wär’s mit der Eiche?“ „Oh, nein, nicht da!“, sagte sie rasch. „Wir kämpfen unten am Strand, okay? Bis dann!“ Touko schaltete das Gerät aus, plötzlich am Schwitzen wie eine Leistungssportlerin. Die Hände hinterm Rücken verschränkt, schlich sich Bell an sie heran. „Du denkst immer noch an ihn, nicht wahr?“, wollte sie hinterhältig wissen. Zweifellos, Bell musste keine Löffel verbiegen, um Psychokräfte zu besitzen. „Wir haben uns drei Jahre lang nicht mehr gesehen“, gab sie also zu. „Und alles, was er mir zu sagen hat, ist, dass er auf Reisen war. Das ist doch nicht zu fassen.“ „Arme Touko, er hat dir das Herz gebrochen“, sagte Bell und musterte sie mitfühlend. Touko fiel aus allen Wolken. „Was redest du da?“, sagte sie laut. „Ich weiß ja nicht, was du denkst, aber mir geht er gewaltig auf den Keks mit seinem geheimnistuerischen Gehabe und überhaupt, was hat er hier eigentlich noch zu suchen? Er hat damals ein kolossales Verbrechen gegen Einall geplant, also wär ich an seiner Stelle ganz weit weg gegangen und da auch geblieben. Ach, guck mal, wer da steht.“ Inzwischen waren sie am Strand angekommen, der bis auf einen schlaksigen Jungen im Teenageralter leer war; für einen Aprilmorgen war es noch sehr kühl, was von dem immerwährenden Wind in Avenitia nur verstärkt wurde. „Na los, ihr zwei Schnecken, macht mal ’n bisschen Dampf, ich warte hier schon seit ’ner Ewigkeit!“ „Klingt ganz nach Kuros Kampfruf“, sagte Touko grinsend. Sie stellten sich einander gegenüber auf und Bell machte die Schiedsrichterin. „Ein Einzelkampf zwischen Touko und Kuro“, kündigte sie achtungheischend an. „Jeder wählt ein Pokémon aus.“ „Hutsassa!“ „Washakwil!“ „Das ist unfair!“ „Dann schrei doch nicht so rum!“ „Möge der Bessere gewinnen“, sagte Bell fröhlich. „Zeig diesen Angebern, was du drauf hast! Hutsassa, Giftschock!“ „Weich mit Fliegen aus, Geronimo!“, befahl Touko ihrem Pokémon, das folgsam in die Höhe schoss und damit dem gespritzten Gift entging. Kuro knirschte mit den Zähnen. „Lock es mit Lockduft zurück!“ „Setz Freien Fall ein!“ „Sobald es bei dir ist, setzt du Gigasauger ein!“ Der Adler stürzte auf den Pilz zu, der mit offenen Armen wartete. „Doppelteam!“, schrie Touko und mitten im Flug teilte sich Geronimo in dutzende Ebenbilder, die alle durcheinander auf das Hutsassa zuflogen. „Weich aus!“, brüllte Kuro, aber es war zu spät: In der Verwirrung ließ es sich von Geronimo treffen, der es hart mit seinem Schnabel erwischte; seine Doppelgänger stürzten zu Boden und verschwanden. „Synthese!“, rief Kuro verzweifelt. „So nicht“, sagte Touko berauscht und befahl ihrem Washakwil: „Beende es mit Zermalm–“ „AUFHÖREN!“ Der Schrei ließ alle Beteiligten erstarren, so als hätte der junge Mann, der auf sie zurannte, auf den Pause-Knopf gedrückt. „Was glaubt ihr eigentlich, was ihr hier macht?“, fauchte N und baute sich zornig vor den drei Trainern und ihren Pokémon auf, das Gesicht gerötet und die Augen zu Schlitzen verengt. Es war beängstigend; Touko hatte ihn noch nie so wütend erlebt. „Falls es dir noch nicht aufgefallen ist: Wir sind mitten im Kampf!“, schoss Kuro ebenso aufgebracht zurück und ballte die Hände zu Fäusten. N musterte ihn kühl. „Wo hast du denn die Witzfigur aufgegabelt?“, fragte er Touko. „Sieht aus wie eine dieser kümmerlichen Gestalten, wie man sie zuhauf in der Kampfmetro antrifft.“ „Kümmerliche Gestalten! Sag das noch mal, nachdem dir Hutsassa dein dürres Steckrübengesicht poliert hat.“ Sofort flackerte wieder der Zorn in Ns Augen auf. „Typisch Trainer“, sagte er mit bebender Stimme. „Um euch selber die Hände nicht schmutzig zu machen, schickt ihr einfach eure Pokémon raus, damit sie die ganze Drecksarbeit für euch erledigen. Ist es euch jemals in den Sinn gekommen, einmal innezuhalten und euch zu fragen, was eure Pokémon davon halten?“ Kuro blinzelte, als wäre ihm eben ein Licht aufgegangen. „Hey, du hörst dich ziemlich nach diesem Plasma-Heini N an.“ „Gratuliere, du Pfiffikus, ich bin N“, erwiderte er trocken. „Ich dachte, du hättest dich verkrochen, nachdem Touko dir den aristokratischen Hintern versohlt hat“, höhnte Kuro. „Wir schweifen ab“, sagte N, ohne auf Kuro einzugehen. „Ich wollte nur sagen, dass ihr hier unten nicht kämpfen sollt. Die Paarungszeit der Swaroness hat schon angefangen, ihr könntet sie stören.“ Ohne ein weiteres Wort machte er kehrt. „Oh nein, so schnell machst du dich nicht davon!“, schrie zur Überraschung aller Touko. „Geronimo, hol ihn dir!“ Ihr Washakwil, eben noch wie zu einer Statue erstarrt, hob ab und jagte N hinterher, der sich entsetzt umdrehte. „Touko, was–“ Er schnappte nach Luft, als riesige Flügel sich in seine Kniekehlen rammten und ihn Geronimos Hals hinunter purzeln ließen. Geronimo machte abrupt kehrt und steuerte auf Touko zu, die rasch auf seinen Rücken sprang und sich an Ns Taille festklammerte, während das Washakwil sich elegant in die Lüfte schwang. „Was soll das, Touko?“, keuchte N atemlos. „Ich entführe dich“, antwortete Touko gelassen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)