Zwischenwelten von Arle (-Sidestory X ~ Veleno-) ================================================================================ Kapitel 6: ----------- Beginn: 22.04.2011 Ende: 23.04.2011 Kapitel 6 Dank Steels Besuch und seinem äußerst schmackhaften Mitbringsel, war mein Blutdurst vorerst gestillt, was mich in die zweifelhafte Lage versetzte, mit meinem anderen Gast zu Abend essen zu dürfen. Eigentlich hatte ich mit dem jungen Erschaffenen über seine Tischmanieren reden wollen, doch das unangekündigte Erscheinen des Anderen hatte es verhindert. Nach dem Gespräch mit ihm hatte es vieles gegeben, über das ich nachdenken musste und so war ich Noël – seit ich seinen Namen zum ersten Mal ausgesprochen hatte, nannte ich ihn auch gedanklich häufiger bei selbigem – wohl unbewusst aus dem Weg gegangen. Er hatte es ganz offensichtlich bemerkt, vielleicht auch einfach etwas anderes erwartet, jedenfalls starrte er mich seit dem Beginn unserer Mahlzeit mit einem derart brennenden Blick an, dass es mir schwer fiel, mich auf das Essen zu konzentrieren. Hätte nicht vielmehr ich derjenige sein sollen, der verärgert war? Denn wenn ich mich nicht sehr täuschte, war er es gewesen, der mich eine Nacht zuvor, wenn schon nicht zerfetzt, so doch zumindest äußerst unsanft behandelt hatte. Angesichts dessen erschien es mir mit einem Mal geradezu amüsant, dass ich Steel nur wenige Stunden nach diesem Ereignis im Brustton der Überzeugung versichert hatte, dass von dem jungen Mann keinerlei Gefahr ausging. Allerdings war es bedauerlicherweise nicht so komisch, dass ich darüber hätte lachen können. Innerlich seufzend hob ich den Blick und sah in die flammenden Augen meines Gegenübers. „Frag ruhig, wenn du etwas wissen möchtest“, sagte ich und trank einen Schluck Wein, der jedoch im Vergleich zu dem gestrigen geradezu schal schmeckte. Bedauernd stellte ich das Glas wieder ab. „Wer war der Mann?“ Hatte er Angst? Es klang aggressiv, obwohl ich mir nicht recht vorstellen konnte, welchen Grund ich ihm diesmal gegeben haben könnte, zornig zu sein. Aber vielleicht war es auch nur die überschüssige Energie, die ihm mein Blut verliehen hatte. „Steel, ein junger Vampir, der in unseren Kreisen einen gewissen Ruf genießt.“ Ich hatte nicht den Eindruck, dass ihm der Name etwas sagte. Doch schien er zu ahnen, dass Personen, die in den höheren Kreisen der Gesellschaft einen gewissen Bekanntheitsgrad genossen, nichts Gutes für Wesen wie ihn bedeuteten, denn er fragte: „Er war hier um mich zu töten, richtig?“ Nun, zumindest das konnte ich mit ruhigem Gewissen verneinen und tat es auch, doch er blieb hartnäckig. „Aber er war auf der Suche nach mir.“ „Ja“, bestätigte ich und dachte einen Moment lang darüber nach, ob es in dieser Situation wohl angemessen war, meine Nahrungsaufnahme fortzusetzen. Allerdings entschied ich rasch, dass dem nicht so war und schob das mittlerweile ohnehin erkaltete Essen beiseite. Er hätte es, so vermutete ich, wohl wenig geschätzt, wenn ich, bei einem für ihn derart wichtigen Thema wie diesem, einer Tätigkeit nachgegangen wäre, die für mein Überleben absolut irrelevant war. „Er hat mich bemerkt, nicht wahr?“ „So ist es“, erwiderte ich und unterdrückte ein Seufzen. Offenbar war ich, innerhalb von weniger als 24 Stunden, bereits zum zweiten Mal in ein Verhör geraten und in die Rolle des Verdächtigen gedrängt worden. Andererseits, wurde mir plötzlich bewusst, war dies das längste Gespräch, das wir seit seinem ersten Erwachen in diesem Haus geführt hatten – und das einzige, stellte ich weitaus weniger enthusiastisch fest. „Aber er hat mich nicht mitgenommen.“ Ich war nicht sicher, ob er es zu mir oder zu sich selbst sagte, doch da er es ausgesprochen hatte, zog ich es vor zu antworten. „Offensichtlich nicht.“ Kurzzeitig hatte er den Blick abgewandt, nun sah er mir wieder direkt in die Augen. „Warum nicht?“ Wäre es nicht berechtigt gewesen, sein Misstrauen hätte mich gekränkt. Aber er wusste ja auch nichts von der Unterredung zwischen Steel und mir. Außer natürlich, dass sie stattgefunden hatte. „Weil es keinen Grund dafür gab.“ Ich überdachte meine Antwort und fragte mich, ob es die Wahrheit, eine Halbwahrheit oder eine Lüge war. Ich entschied mich dafür, dass es vermutlich vom Standpunkt des Betrachters abhing. Selbstverständlich war es nichts, das er einfach so und ohne weiteres akzeptieren konnte. „Er hat Meister Urags Mörder gesucht, ist es nicht so?“ „Allerdings“, erwiderte ich und stellte nicht zum ersten Mal mit mildem Erstaunen fest, dass er von dem Anderen immer noch respektvoll als Meister sprach. Nicht nur, dass dieser Vampir nicht mehr unter uns weilte, Noël selbst hatte ihn so sehr gehasst, dass er bereit und dazu in der Lage gewesen war, ihn zu töten. Er musste ihn nicht mehr fürchten, so er es denn jemals getan hatte, aber wenn es um Urag ging, war sein sonst so loses Mundwerk plötzlich erstaunlich zurückhaltend. „Ich habe Meister Urag getötet.“ „Ich hege nicht den geringsten Zweifel daran. Und Steel auch nicht, wie mir scheint.“ Das Misstrauen in seinen Augen blieb und mischte sich mit offensichtlichem Unverständnis. Und ich lächelte nur deshalb nicht darüber, weil er es zweifellos missverstanden hätte. „Warum bin ich dann noch am Leben?“ Ich seufzte schwer. Glaubte er mir nicht oder waren seine Todessehnsüchte tatsächlich so groß? Das war unter den Unsterblichen durchaus keine Seltenheit, doch hatte ich, was ihn anbelangte, so meine Zweifel. Wäre dem so gewesen, hätte er sich genauso gut von seinen Verfolgern in Stücke reißen lassen können. Es wäre im Vergleich zum Zorn der Adligen vermutlich eine milde Strafe gewesen. „Möchtest du so gern bestraft werden?“, fragte ich und sofort übernahm sein hitziges Temperament wieder die Führung. „Das ist nicht der Punkt!“, schrie er und schlug mit den Handflächen auf den Tisch, dass das Geschirr eine bedenkliche, von lautem Klappern begleitete, Sprungbewegung vollführte. Ich seufzte erneut und stützte den Kopf auf eine meiner Hände, um zu verhindern, dass ich ihn in einem Anflug von Missfallen schüttelte. „Weil wir beide der Ansicht sind, dass das nicht nötig ist.“ Der Blick seiner blauen Augen, die mich immer wieder aufs Neue faszinierten, verlor ein wenig von seiner Härte. „Was heißt das?“ Hätte ich statt des Weins eine Tasse Tee vor mir gehabt, ich hätte gedankenverloren mit dem Löffel darin herumgerührt. Ich hatte eine gewisse Affinität zu Gesten wie dieser und da ich hier nun einmal kein Buch zu meiner Verfügung hatte... „Meister Urag war, wie soll ich es ausdrücken, nicht übermäßig beliebt. Sein Tod ist daher keine besondere Überraschung und für viele nicht unbedingt Grund zur Trauer.“ Er murmelte etwas, das wie gefühllose Bestien klang, doch ich überhörte es gekonnt und verzichtete darauf, ihn darauf hinzuweisen, dass er nur deshalb – nämlich weil Urags Tod nicht als übermäßiger Verlust eingeschätzt wurde – noch am Leben war. Stattdessen fuhr ich mit meinen Erklärungen fort. „Sein Ableben wird untersucht, weil es sich so gehört und die Art seines Todes offenbar nicht den Eindruck eines Selbstmordes erweckt hat.“ Ich konnte die plötzliche Regung auf seinem Gesicht nicht recht einordnen, doch war es wohl die Erinnerung an jenen Moment des Todes, die sie auslöste, denn für wenige Augenblicke verschwand ich aus dem Fokus seiner Seelenspiegel und schien sein Blick in weite Ferne gerichtet. „Jedenfalls scheint einigen Vertretern der gehobeneren Kreise nicht wohl zu sein bei dem Gedanken, dass womöglich eine wahnsinnige Bestie ihr Unwesen treibt und sich am Ende gar auf die Auslöschung des Adels konzentriert.“ „Ein durchaus erstrebenswertes Ziel“, knurrte er und ich konnte den Hass und die tiefe Verachtung, die er für die Vampire empfand, in seinen Augen sehen. Wieder unterdrückte ich ein Seufzen. Was sollte ich nur mit ihm machen. Offenbar war er weder erfreut darüber, dass man ihn am Leben ließ, noch dazu bereit, gewisse Dinge für sich zu behalten. Denn ganz gleich, von welcher Warte aus man es betrachtete, es war nicht besonders klug einem Adligen in ausgesprochen respektloser Weise wieder und wieder mitzuteilen, dass seinesgleichen der Welt besser erspart geblieben wäre. Und das war eine noch recht milde Umschreibung dessen, was er sagte und mit jeder Faser seines Körpers ausstrahlte. Die Tatsache, dass er damit, zumindest bei einigen Exemplaren unserer Art, gar nicht so falsch lag, änderte daran auch nichts. Zudem war er niemand, der darüber zu entscheiden hatte. Ich entschloss mich, es ihm zu sagen, in der Hoffnung, ihn dadurch vor einer möglichen Dummheit zu bewahren. „Ich bin nicht besonders empfindlich gegenüber Beleidigungen, aber was dieses Thema anbelangt wäre es besser, du hütest deine Zunge. Es könnte sonst passieren, dass Worte wie diese einmal auf die falschen Ohren treffen.“ Er merkte auf, seine Worte jedoch überraschten mich. „Ich wollte Euch nicht beleidigen.“ Seit wann spielte das für ihn denn eine Rolle? Hatte in unserer sonderbaren Gemeinschaft irgendeine Veränderung stattgefunden, die mir entgangen war? Auch wenn seine Stimme ernst und weitestgehend emotionslos geklungen hatte, immerhin hatte er es ausgesprochen. „Ich habe es auch nicht so aufgefasst“, erklärte ich, da er offenbar eine Antwort erwartete. Für den Moment schien er beruhigt und verfiel in nachdenkliches Schweigen. Auch ich schwieg, während ich gespannt darauf wartete zu erfahren, welches Detail unseres Gesprächs ihn so beschäftigte. „Also“, begann er schließlich von Neuem, „habt Ihr ihm gesagt, dass von mir keine Gefahr ausgeht?“ Es erschien mir ein wenig ungerecht, eine so wichtige Unterredung in einem Satz zusammenzufassen, aber letztlich hatte er recht. „Auf den Punkt gebracht, ja.“ Er sah mich mit einer Mischung aus Erstaunen und Ungläubigkeit an. „Wie könnt Ihr Euch da so sicher sein?“ Eine berechtigte Frage und dazu eine, die ich mir selbst auch schon gestellt hatte. Natürlich hätte ich ihm eine äußerst galante und schmeichelhafte Lüge auftischen können, doch auch für den Fall, dass er gegen derartige Komplimente nicht immun war, sah ich keinen Grund dazu. „Gar nicht“, sagte ich und zuckte die Schultern. Ein plötzlicher Rotschimmer auf seinen Wangen ließ mich aufmerken und machte mir bewusst, dass meine Finger unwillkürlich über die Stelle an meinem Hals gestrichen hatten, die eine Nacht zuvor noch die Narben seines Trinkgelages geziert hatten. Ich ließ die Hand sinken. Es war ihm ganz offensichtlich unangenehm, denn auch wenn die Röte bereits wieder von seinem Gesicht verschwunden war, brachte er es doch nicht länger über sich, mir in die Augen zu sehen. Stattdessen war sein Blick auf die Tischplatte gerichtet und machte er einen zerknirschten Eindruck. „Und trotzdem habt Ihr ihm Euer Wort gegeben?“ „Hast du gelauscht?“, fragte ich amüsiert, insgeheim erfreut darüber, dass sich sein erstaunlich scharfer Verstand zur Abwechslung einmal nicht gegen mich richtete. Missbilligend sah er mich an. Als wollte er mich dafür tadeln, dass ich ihm etwas so absurdes unterstellte. Was ich nicht tat und nebenbei fand ich die Vorstellung, ganz unabhängig von seiner Person, gar nicht so absurd. „Nein, aber ohne eine entsprechende Versicherung wäre er wohl kaum einfach wieder gegangen. Euer Wort wäre also das Mindeste.“ Ich musste zugeben, dass ich mehr und mehr Gefallen an unserer Unterhaltung fand und das auf eine ganz ähnliche Weise, wie es bei Steel der Fall gewesen war. „Kluger Junge“, sagte ich lächelnd und er verzog augenblicklich das Gesicht. „Behandelt mich bitte nicht wie ein Kind.“ Ich war nicht sicher, ob er noch etwas hatte sagen wollen, doch als er den Ausdruck auf meinen Zügen bemerkte, veränderten sich auch die seinen und er fragte: „Warum seht Ihr mich so erstaunt an?“ „Nun“, erwiderte ich und hatte Mühe meine Überraschtheit in Zaum zu halten, „das ist das erste Mal, dass du in meiner Gegenwart das Wort bitte erwähnst.“ Zweifellos eine Tatsache, die ich jedoch, wie mir auffiel noch während ich sie aussprach, diplomatischer hätte ausdrücken können oder besser noch für mich behalten hätte. Sein unverkennbar beleidigter Gesichtsausdruck gab mir recht – auch wenn ich lieber darauf verzichtet hätte. Es hätte mich nicht gewundert, wenn er, schmollend wie ein kleines Kind, augenblicklich aufgesprungen wäre und den Raum verlassen hätte. Doch er blieb und verfiel erneut in nachdenkliches Schweigen. Lange sagte niemand etwas, saßen wir uns wortlos gegenüber. Schließlich erhob ich mich und begann das Geschirr abzuräumen. Er schien mich nicht einmal mehr wahrzunehmen, so konzentriert war er. Nur ein Mal, als ich seinen Teller aufnahm und ihm dazu gezwungenermaßen nahe kommen musste, hob er den Kopf und sah mich mit unbestimmtem Blick an. Er schien ein Talent dafür zu besitzen, mich auf eine Weise zu betrachten, deren Bedeutung mir ein Rätsel war. Ihn als nachdenklich zu beschreiben, brachte mich auch nicht wesentlich weiter. Jedenfalls war er frei von Angst oder Misstrauen, was bei dem jungen Erschaffenen durchaus Seltenheitswert hatte. Ich verschwand für eine Weile in der Küche, doch als ich zurückkehrte, hatte er seine Haltung nicht im Mindesten verändert. Er schien jedoch viel mehr seinen eigenen Gedanken nachhängen als mit mir sprechen zu wollen. Ich respektierte das und ließ ihn allein, um mich in die Bibliothek zurückzuziehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)