City of fools von Jisbon (we are forever) ================================================================================ Kapitel 7: Prisoners -------------------- Sakura konnte Inos Blick nicht stand halten. Sie sah aus wie jemand, um den herum gerade die Welt in Stücke brach. So entsetzt, so verletzt. Und sie waren schuld. Und warum? Weil sie keine Rücksicht nehmen konnte. Das hier hatte nichts mehr mit den unbekümmerten Kampfansagen von Früher zu tun. Das schlechte Gewissen schlug über ihr zusammen, genau wie das Wasser vorhin. Das war der Moment, indem sie sich wünschte, ihr Leben wäre ein Film. Sie könnte einfach zurückspulen und den ganzen Tag löschen. Und schon wieder log sie sich selbst etwas vor. Sie wollte ja gar nicht, dass sich etwas änderte (gut, auf ihr unfreiwilliges Bad konnte sie verzichten). Ihre Lippen prickelten noch etwas von seinen Küssen und selbst der Schmerz in der Schulter, an der er sie gegen die Wand gedrückt hatte, hatte etwas Gutes. Wenn das nicht gewesen wäre, wäre sie nicht einmal sicher gewesen, dass das alles wirklich passiert war. Aber glücklich war sie nicht. Vielleicht war passiert, was hatte passieren müssen, aber auf jeden Fall war etwas zerstört worden. Und zwar endgültig. Ino und sie würden nie wieder Freundinnen sein können, so etwas tat man einer Freundin nicht an. Das war das eigentliche Problem: sie wollte zu viel. Inos Freundschaft und Sasukes Liebe. Beides konnte sie nicht bekommen. Und im Moment zweifelte sie daran, ob sie überhaupt eins davon bekommen konnte. Ja, sie hatten sich geküsst. Aber hatte das etwas zu bedeuten? Sie wusste es jedenfalls nicht. Vielleicht waren die Dinge für ihn klarer, aber darüber sprach er ja nicht mit ihr. Er machte lieber alles mit sich selbst aus und stellte sie dann vor die Konsequenzen. Und schon wieder war sie feige, er hatte sie ja nicht gezwungen. Nein, sie hatte es gewollt, aber sie hatte nicht gewollt, was jetzt passiert war. Alles wäre viel einfacher gewesen, wenn Ino ihr egal gewesen wäre, wenn sie sich nicht mehr an ihre Freundschaft hätte erinnern können. Wenn sie hätte triumphieren können, schließlich hatte Sasuke sie geküsst. Aber das alles fehlte ihr. Sie war nicht stolz auf sich, sie schämte sich. Am liebsten hätte sie Ino mit sich gezogen und sie hätten über das Miststück lästern können, das sich auf billige Art an Inos Freund rangemacht hatte. Aber das ging ja nicht…weil sie selbst dieses Miststück geworden war. Irgendjemand musste jetzt irgendetwas sagen. „Ino…es…es tut mir leid. Ich wollte dir nicht wehtun.“ So jämmerlich, so klischeehaft und so verdammt bedeutungslos. Ino fuhr zu ihr herum. „Dafür, dass du es nicht wolltest, ist es dir aber wirklich gut gelungen! Willst du mir nicht auch noch sagen, dass ich Verständnis haben muss oder etwas in der Art?! Das ist doch der typische Spruch für diese Anlässe, oder etwa nicht?!“ Sie sprach schneller und schneller, bis ihre Stimme sich schließlich überschlug und brach. Einen Moment war es still, dann wandte Ino sich an Sasuke. Diesmal schien sie ganz ruhig, fast geschlagen. „Und? Wirst du auch etwas dazu sagen?“ Sasuke begegnete ihrem Blick. Falls er dabei etwas empfand, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. Er wirkte völlig unbeteiligt, genau wie in dem Moment, wo sie eine Erklärung für seinen ersten Kuss verlangt, aber keine bekommen hatte. „Nein.“ Sakura verstand ihn nicht. Was für eine Ironie: Genau in dem Moment, indem sie sich näher gewesen waren, als je zuvor, war er weiter weg als je vorher. Vielleicht hatte seine Fassade einen Riss bekommen, aber auf jeden Fall war er entschlossen, das was dahinter lag auch weiter zu schützen. „Ino…“ sie musste es einfach noch einmal versuchen. Aber Ino blockte sie einfach ab. „Nein. Nein, es ist alles gesagt.“ Sie holte noch einmal zitternd Luft, dann straffte sie die Schultern und sah Sakura an „Herzlichen Glückwunsch. Ich hoffe, er macht dich genauso unglücklich, wie mich. Verdient hättest du es jedenfalls.“ Und dann stürmte sie aus dem kleinen Waschraum und schlug die Tür hinter sich zu. Und ließ zwei Fremde miteinander allein. Alles war viel zu kompliziert geworden. Lange, sehr lange, war Shikamaru mit seiner Rolle als stiller Beobachter zufrieden gewesen. Er hatte seine Mitschüler beobachtet, wie ein Forscher, der auf einen Haufen Ameisen herunterschaut. Und jetzt war er selbst eine Ameise geworden. Er hatte sich eingemischt und, schlimmer noch, über Gefühle gesprochen. Viel irrationaler ging es ja gar nicht. Und natürlich, Ino wollte ihn nicht. Aber das war ihm schon klar gewesen, bevor er den Kopf verloren und es ausgesprochen hatte. Und jetzt? Dieser Ausflug war ja wohl beendet, jedenfalls konnte er sich kaum vorstellen, dass noch jemand an einer Fortsetzung interessiert war. Und abgesehen davon: wie sollte die schon aussehen? Giftiges Schweigen beim Abendessen, Ino könnte versuchen, Sakura mit ihrem Brotspieß zu erstechen und am Ende würde Sasuke und er sich an entgegengesetzten Ecken des Platzes zum Schlafen ins Gras legen? Er hatte zwar eine Menge für Absurdes übrig, aber das ging zu weit. Und für Ino wäre es auch das Beste, wenn sie schnell von hier wegkam. Schlimm genug, dass sie dem neuen Paar in der Schule an jeder Ecke begegnen musste, aber das hier konnte wirklich niemand von ihr verlangen. Lästig war nur, dass sie alle zusammen abreisen würden, schließlich mussten sie ja in dieselbe Richtung. Der nächste Zug ging in einer dreiviertel Stunde, und mit ein bisschen Glück waren bis dahin alle Zelte abgerissen und sie konnten gehen. Missmutig streckte Shikamaru sich und versuchte zu seinem Platz über den Dingen zurückzufinden. Bedauernswerte Ino, aber sie würde darüber hinwegkommen. So, wie er darüber hinwegkommen würde, dass er für sie nicht mehr als ein Idiot war… Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Wortwörtlich. Zum zweiten Mal innerhalb sehr kurzer Zeit wäre Ino fast mit ihm zusammengestoßen. Sie sah ihn an. Tränenspuren glitzerten auf ihren Wagen. Es fiel ihm schwer, sich bei diesem Anblick nicht noch mehr in sie zu verlieben. „Bring mich hier weg, Shikamaru. Bitte.“ Ihre Worte wurden immer wieder von leisen Schluchzern unterbrochen. Und trotzdem… das letzte, was er tun sollte, war noch mehr Zeit mit ihr zu verbringen. Es sei denn, er wollte noch mehr Demütigungen erforschen oder sich falschen Hoffnungen hingeben. Und das wollte er nicht. Also suchte er nach einer passenden Ablehnung. „Ino, das wäre keine gute Idee.“ Sie griff nach seinem Arm. Ihr Griff war schmerzhaft fest. „ Ich kann sie nicht mehr ertragen…Alle zusammen. Du hast gesagt, du liebst mich. Wenn das stimmt… dann bring mich einfach von hier weg.“ Und obwohl er noch zögerte, weil er wusste, dass es idiotisch war, fing er bereits an, in seinem Gedächtnis nach dem Fahrplan zu suchen. Es gab noch einen anderen Zug, der früher fuhr. Zwar in die falsche Richtung, aber für sie würde das keinen Unterschied machen. „Bitte.“ Er musste lächeln, auch wenn ihm nicht danach war. Über sich selbst, weil sie recht gehabt hatte: er war ein Idiot. „Wohin du willst.“ Zu sagen, dass er den Abend um seiner selbst willen genossen hatte, wäre übertrieben, aber er war auch nicht verschwendet gewesen. Kiba musste feststellen, dass es ganz angenehm gewesen war, mit TenTen Zeit zu verbringen. Vielleicht wusste sie, was sie von ihm halten musste, oder es war ihr schlicht egal. Auf jeden Fall hatten sie bei ihren Unterhaltungen die wirklich unangenehmen Themen bis jetzt vermeiden. Er hatte sich noch nicht dazu durchringen können, den Herzensbrecher zu geben, es bei einem unverbindlichen Flirt geblieben. Vermutlich war das sein Problem: Er hatte Skrupel und auch wieder keine, er hatte sich verliebt und seine Gefühle wurden nicht erwidert und jetzt hatte er Angst, jemanden das gleiche anzutun. Gleichzeitig wollte er es jemanden antun, einfach weil er wütend war. Nichts zum stolz drauf sein, aber im Moment ging bei ihm einfach alles durcheinander. Das wirklich seltsame war, dass er sie nicht einschätzen konnte. Normalerwiese erlagen die Leute in seiner Gegenwart geradezu einem Zwang, zu reden. Sie nicht. Trotzdem war es ihre Idee gewesen, nach dem Kino noch einen Kaffee zu trinken, bevor sie sich auf den Rückweg gemacht hatten. Die letzten Minuten hatten sie schweigend verbracht, jetzt hielt sie plötzlich an. „Lass uns ein Spiel spielen. Jeder darf abwechselnd eine Frage stellen, und der andere muss antworten.“ Er zuckte mit den Schultern. Mädchen waren eben doch seltsame Geschöpfe. Aber wenn es sie glücklich machte – abgesehen davon konnte er gar nicht „nein“ sagen, das hätte nicht zu seiner selbst gewählten Rolle gepasst. „Alles, was du willst.“ Sie schüttelte den Kopf und sah ihn dabei unvermutet ernst an. „Das ist kein Spaß. Die Wahrheit. Lass uns ehrlich sein, mit etwas anderem kann ich meine Zeit nicht verschwenden.“ Kiba lag eine weitere halb flirtende Antwort auf der Zunge, aber er schluckte sie herunter. Die Stimmung war gekippt. Jetzt waren sie also doch bei den unangenehmen Themen angekommen. Natürlich hätte er gehen können, aber das tat er nicht. „Gut.“ Sie lächelte kurz erleichtert, war aber beinahe sofort wieder ernst. „Und als Mädchen gehört mir selbstverständlich die erste Frage. Wehe, du lügst!“ Sie tat, als würde sie nachdenken und dann schoss sie auch schon den ersten Pfeil ab „Warum habt ihr euch geprügelt?“ Ein Köcher voller Giftpfeile, und alle auf ihn gerichtet. Vermutlich verdiente er auch nichts Besseres. Es war, als ob mit Inos wütendem Abgang sämtliche Energie aus dem Raum verschwunden wäre. Sakura ließ sich zu Boden sinken. So, wie sie da saß – zerbrechlich, verdreckt und mit den Gedanken ganz woanders – hätte er sie am liebsten hochgezogen und da weitergemacht, wo sie gerade unterbrochen worden waren. Ungeduldig fuhr er sich mit einer Hand durchs Haar. War das überhaupt möglich, sich von jemandem gleichzeitig so sehr angezogen und abgestoßen zu fühlen? Sasuke wusste es nicht. Was er wusste war, dass es mit Ino auf jeden Fall anders war. Oder anders gewesen war? Nicht einmal das wusste er. War er jetzt Single, oder hatten sie das, was man euphemistisch als „ernste Krise“ bezeichnen konnte – also etwas, das man kitten konnte, wenn man nur wollte? Zu viele Fragen, auf die er keine Antwort besaß. Vielleicht, ziemlich sicher sogar, würde Ino ihm verzeihen, wenn er vor ihr auf die Knie ging und ihr eine wirklich gute Erklärung präsentierte. Abgesehen davon, dass er sich so eine Erklärung nicht einmal vorstellen konnte, hätte er die vor allem für sich selber gebraucht. Er konnte sein Verhalten nicht erklären, bis zu ihrem trotzig hingeworfenen „Freunde sind wir ganz bestimmt nicht“ hatte er das Gefühl gehabt, alles im Griff zu haben. Nur um sich das zu beweisen war er in ihre Nähe gekommen. Aber dann… dann hatte er gar nichts mehr im Griff gehabt. Er war einfach durchgedreht. Und das, wo er doch genau wusste, was von ihr zu halten war, er hatte ja die Interviews mit ihr, die zu Anfang noch in der Schule herumgegangen waren, gelesen. Keine Ahnung, wie viele Leser diese Blätter hatten, aber sie hatte sich jedenfalls Müge gegeben, jedem einzelnen davon zu verkünden, dass es ihn nicht gegeben hatte. Oder dass es ihr nicht ernst gewesen war. Als ob diese Interviews nur für ihn bestimmt gewesen wären. Ja, das Ganze war verdammte zwei Jahre her und er sollte keinen Gedanken mehr daran verschwenden. Aber sie hatte damals seinen Stolz verletzt und das wirkte immer noch nach. Mehr als gut sein konnte. „Bereust du es?“ Wieder eine dieser Fragen. Sein erster Impuls war „nein“ zu sagen, der zweite „ja“. Er entschied sich für die Mitte. „Vielleicht.“ Ein Lächeln geisterte über ihr Gesicht und verschwand wieder. „Und du?“ Sie antworte nicht. „Ob es dir leid tut, was passiert ist, will ich wissen.“ Verlangte er zwischen zusammen gebissenen Zähnen zu wissen. Endlich hob sie den Kopf und sah ihn an. Ihre Stimme klang ruhig und beherrscht. Er hatte gewusst, dass sie verschieden waren, aber dass es so weit ging, überraschte ihn dann doch. „Mir tut es leid, was danach passiert ist… Wie sieht es damit bei dir aus?“ Er schnaubte abfällig. „Willst du darauf wirklich eine Antwort?“ Diesmal lächelte sie nicht, stattdessen winkte sie ab. Das Schweigen dehnte sich aus und irgendwo tropfte sogar ein verdammter Wasserhahn. Was für ein Klischee. Er hatte ihre Bestätigung nicht gebraucht, schließlich hatte sie seine Küsse fast genauso verzweifelt erwidert, wie er sie ihr gegeben hatte. Aber vermutlich war auch das nur Theater gewesen. Sie hatte ja bekommen, was sie wollte: er hatte sich ihr zu Füßen geworfen. Ein weiteres Mal. War es das? Dass sie ihm zeigen wollte, dass er nach ihrer Pfeife tanzte? Wenn ja, dann konnte sie stolz auf sich sein. „Bild dir einfach nicht ein, dass ich dich liebe, okay?“ Wie konnte sie so gleichgültig bleiben, wenn es ihm schon schwer fiel, einigermaßen ruhig zu bleiben? „Noch einen!“ Shikamaru verzog missbilligend das Gesicht, als der Barkeeper den dritten quietsch bunten Cocktail (wieder mit einem komischen Namen, den sich kein Mensch merken konnte) vor ihr abstellte. Seine Grimasse hätte sie fast zum Lachen gebracht, wenn sie nicht völlig damit beschäftigt gewesen wäre, wütend, traurig und enttäuscht zu sein. Also trank sie lieber weiter. „Ino, du solltest wirklich nicht…“ Sie winkte ab. „Natürlich sollte ich das nicht und du… du solltest nicht mit mir hier sitzen.“ Die Sätze wurden zu lang, sie fing schon an, sich in ihnen zu verheddern. Angewidert runzelte sie die Stirn. „Oder weiß du etwas Besseres?“ Die Falte zwischen seinen Augenbraun wurde noch steiler, aber er sagte nichts. Merkwürdig genug, dass sie hier gelandet waren, eigentlich hätte sie ihm das gar nicht zugetraut. Aber er hatte alles geregelt, während sie nur tränenblind neben ihm her gestolpert war. Erst waren sie querfeldein zur nächsten Straße marschiert, wo er ein Auto angehalten hatte (Shikamaru! Ernsthaft!), sie waren am Bahnhof in den ersten Zug gestiegen (selbstverständlich ohne Ticket) und irgendwo wieder ausgestiegen. Und jetzt saßen sie in diesem Club, der ab Achtzehen Uhr „Happy Hour“ hatte und wo es deshalb alle Cocktails zum halben Preis gab. Den zu entdecken war ihr Beitrag zu ihrem kleinen Ausflug gewesen. Nicht, dass er bis jetzt allzu viel davon gehabt hätte. „Du solltest auch etwas trinken.“ „Nein. Einer von uns muss ja einen kühlen Kopf behalten.“ Während sie wartete, dass die Wirkung des Alkohols endlich einsetze, und sie anfing sich lustig und stark statt klein und verloren zu fühlen, dachte sie über seine Worte nach. Sie machten sie wütend. „Und was hat es dir gebracht, vernünftig zu sein?! Du sitzt jetzt hier mit mir…und…und…“ Sie brach ab, das reden wurde ihr zu anstrengend und außerdem kamen ihr schon wieder die Tränen. Also trank sie weiter. Und langsam verstand sie. Was sie wirklich fertig machte. Es war nicht, waspassiert war, und auch nicht wie – sondern dass sie vielleicht immer damit gerechnet hatte, dass es passieren würde. Schon bevor Sakura wieder zurückgekommen war, und als sie dann wieder da gewesen war, hatte sich diese Angst nur noch verstärkt, auch wenn sie immer versucht hatte, dieses Gefühl zu verdrängen. Sasuke und sie, das war immer zu gut um wahr zu sein gewesen. Nachdenklich sah sie Shikamaru an. „Alles wäre viel einfacher, wenn ich mich einfach in dich verlieben könnte.“ Schon wieder halb leer. Es stimmte. Mit ihm wäre es sicher nie so schmerzhaft, er wäre viel zu dankbar, sie zu bekommen. „Aber das geht natürlich nicht. Dafür geht das mit Sasuke viel zu tief.“ War sie grausam? Vielleicht. Sie hatte einfach das Gefühl, um sich schlagen zu müssen, jemanden weh tun zu müssen. Sich selbst und jedem anderen. Shikamaru lächelte herablassend. „Das wäre auch nicht das richtige… Ich tauge einfach nicht zum Lückenbüßer.“ Nicht gerade eine heißblütige Liebeserklärung. Ino kicherte albern. Er war wirklich ekelhaft vernünftig. „Nein, eher nicht…“ Sie musste einfach mit jemanden reden „Willst du wissen, wie wir zusammen gekommen sind?“ Wollte er nicht, aber darauf konnte sie keine Rücksicht nehmen. Noch so eine Szene, dir in Endlosschleife vor ihren Augen ablief, immer im Wechsel mit dem, was an diesem Nachmittag passiert war. Also fing sie an zu erzählen. Stotternd und unzusammenhängend, aber sie fing an. Sie bekam also nichts. Damit musste sie sich zufrieden geben. Glücklicherweise war sie inzwischen so… weggetreten, dass seine Worte sie nicht einmal zum weinen brachten. Es war einfach zu viel passiert, Sakuras Vorrat an Gefühlen war für den Moment einfach aufgebraucht und sie war nur noch müde. Aber sie würde es ihnen nicht einfach machen. „Und Ino? Liebst du sie?“ Es gelang ihr, ganz ruhig und unbeteiligt zu klingen und Sakura gratulierte sich dazu. Trotzdem flatterte ihr Herz wie ein gefangener Vogel. Sie wollte die Antwort ja gar nicht wissen. Noch so eine goldene Regel, die sie nie einzuhalten gelernt hatte: stell niemals Fragen, deren Antwort du möglicherweise nicht ertragen kannst. Direkt gefolgt von: Küss keinen Mann, der dir nicht gehört. Für das Nichteinhalten dieser Regeln wurde sie jetzt bestraft. Sasuke biss die Zähne zusammen. Keine Antwort, wieder eine Frage, die ins Leere lief. „Gut.“ Sie streckte ihre Hand aus, als ob sie sich für das, was noch von ihrem Nagellack übrig geblieben war, interessieren konnte. Sie wollte weg, es war einfach schmerzhaft, hier mit ihm zu sitzen. Aber gleichzeitig konnte sie nicht aufhören, sich wehzutun, weil sie Klarheit haben musste. „Wir sind keine Kinder mehr, nicht wie…“ Früher? Er lachte freudlos und sie brach hastig ab. Das hier war ganz dünnes Eis. „Warum ist uns das also passiert?“ Da war etwas, was sie nicht verstand. Liebe schloss er aus, was bleib also übrig? Er schien jedenfalls wild darauf, ihr zu versichern, dass er sie verabscheute. Und trotzdem hatte er sie geküsst. Und nicht irgendwie und auch nicht zum ersten Mal. Er fixierte sie, sein Blick war vernichtend. „Ist es das? Du kannst mich nicht ausstehen, bist aber scharf auf mich?“ Eigentlich hatte sie ihn mit ihrem Spott nur provozieren wollen, aber in dem Moment, indem sie es aussprach, wurde ihr klar, dass es der Wahrheit viel zu nahe kam. Seine Reaktion bestätigte ihr das. Ihr falsches Lachen erstarb. Sasuke nickte und dann sagte er doch etwas. Und sie wünschte sich, ihr Leben wäre doch ein Film und sie hätte die Rückspultaste. „Als wir noch ‘Kinder‘ waren, hätte ich dich fast geliebt. Wenn man so will, hatten wir beide Glück. Es hat uns vor Enttäuschungen bewahrt.“ Sakura biss sich schmerzhaft auf die Lippe. Natürlich. Er hatte nichts vergessen und ganz sicher nichts verziehen. Schwerfällig kam sie wieder auf die Beine. „Ich denke, du gehst jetzt besser.“ Wortlos schob er sich an ihr vorbei, aber als er schon die Hand auf der Türklinke hatte, rief sie ihn noch einmal zurück. „Sasuke? Hasst du mich?“ Er grinste, aber daran war nichts Heiteres. Er wirkte eher melancholisch. „Sofort. Wenn ich nur könnte.“ „Verräterin!“ „Blöde Kuh!“ „Wer solche Freunde wie dich hat, braucht keine Feinde!“ Mit jedem von Inos Ausrufen landete ein Stapel Zeitungen im Altpapier Container. Sie war allein, und sie war wütend. Hatten sie sich nicht versprochen, immer Freunde zu bleiben, egal, was passierte?! Und jetzt? Jetzt hatte Sakura sie einfach vergessen, weil sie ja neue Freunde hatte. Hippe, coole Leute, die auf dieselben Partys gingen, es sich leisten konnten, in denselben Läden Unsummen für Klamotten auf den Kopf zu hauen und sich sowieso in denselben Kreisen bewegten. Dagegen kam Ino natürlich nicht an. Und deshalb hatte sie jetzt, fast ein Jahr nach Sakuras Abreise und ein halbes Jahr nach deren letzter SMS (einem reichlich verspäteten Geburtstagsglückwunsch) angefangen, alles zu entsorgen, was sie an diese Freundschaft erinnerte. Sie würde sicher nichts davon mehr brauchen. „Hallo, Ino.“ Sie fuhr herum und spürte, dass sie rot wurde. Sasuke, ausgerechnet. Da hatte er sie schon einmal bemerkt, und ausgerechnet da musste sie sich komplett idiotisch benehmen. Selbstgespräche machten sie bestimmt sehr anziehend. Ertappt schwieg sie, die letzten Zeitungen noch in der Hand. Das Schweigen dehnte sich aus, er schien nicht die Absicht zu haben, etwas zu sagen. Als sie sich dann doch traute, ihn anzusehen, bemerkte sie, dass er sie unverwandt ansah. Sein Blick war nachdenklich, fast sezierend. Gerade, als sie sich entschlossen hatte, irgendetwas zu sagen, was sie aus dieser unangenehmen Situation retten würde, sprach er. „Ino, liebst du mich eigentlich?“ Im ersten Moment glaubte sie, sich verhört zu haben, im zweiten sterben zu müssen. Es war so peinlich… und so falsch. Natürlich hatten Sakura und sie früher bis zum erbrechen durchgekaut, wie es wäre, wenn eine von ihnen sich trauen würde, ihm ihre Liebe zu gestehen, wie er reagieren und was danach passieren würde. Aber niemals war es so abgelaufen. Ino schluckte schwer. Die Entscheidung lag bei ihr, sie war allein und nur noch für sich selbst verantwortlich. Natürlich könnte sie lügen, aber warum? Also entschied sie sich, die Wahrheit zu sagen. „Ja.“ Er nickte. „Das dachte ich mir.“ Und dann lächelte er plötzlich „Wir werden sicher gut zusammen passen.“ Und dann war der Moment vorbei und sie saß wieder mit Shikamaru im blöden „Blue Moon“ Club und der Alkohol tat endlich seine Wirkung. Er machte sie nicht glücklicher oder selbstbewusster, aber er ließ sie das Denken vergessen. Alles schien auf einmal einfacher. Sasuke hatte ihr wehgetan, und das wollte sie auch. Ob es ihr gelingen konnte… das war etwas, worüber sie jetzt nicht nachdenken konnte. Aber sie wusste, wie. Er war doch so verdammt eitel… Sie hob die Hand und bemühte sich um eine deutliche Aussprache. „Noch einen davon, für den Herrn.“ Shikamaru wollte einschreiten, aber sie blockte ihn ab. „Nein! Nein…das ist doch eh alles bloß ein Spiel. Und du wirst ihn brauchen.“ Ino legte die Hand auf Shikamarus Arm und suchte seinen Blick. „Shikamaru, schlaf mit mir.“ Kiba kratzte sich am Hinterkopf. Er hatte sie nicht beurteilen können, das hatte seinen Grund gehabt. Sie saß im Rollstuhl, also hatte er sie für schwächer gehalten, als sie war. Vermutlich hatte sie ihn von Anfang an durchschaut. In diesem Moment fühlte er sich wie ein Clown, der erst auf der Bühne feststellen musste, dass der Zirkus bereits ohne ihn weitergezogen war. Was blieb ihm also noch übrig? „Neji hat meine Gefühle für ein Mädchen ausgeplaudert. Das war meine Art ‘Danke‘ zu sagen.“ Sie schien nicht überrascht und er stellte die erste Frage, die ihm einfiel. „Warum sitzt du im Rollstuhl?“ „Da hast du schon einmal die Gelegenheit, mich alles zu fragen und verschwendest sie an eine Frage, die ich bis jetzt nur ein paar hundert Mal beantworten musste.“ Sie streckte die Arme aus „Aber gut. Ein Unfall bei Motorcross, vielleicht werde ich wieder laufen können, vielleicht auch nicht.“ Sie schwieg einen Moment „Dann bin ich ja wieder dran: Du willst dich also nur rächen?“ Kiba war bis jetzt nie grausam gewesen und jetzt zwang sie ihn praktisch dazu. Oder vielleicht war es Hinata gewesen, die ihn dazu gebracht hatte. „Nicht nur…ich…“ Etwas in ihrem Blick zwang ihn, die fadenscheinigen Ausreden fallen zu lassen „Ja.“ Auch diesmal ließ sie sich nichts anmerken. Eigentlich hätte er jetzt eine Frage stellen müssen, möglichst eine, die sie ebenfalls in Verlegenheit brachte, aber war ganz plötzlich aus seinen Gedanken verschwunden. Sein Blick ging an TenTen vorbei und sein dummes Herz schlug doch wieder schneller. Sie waren früher zurückgekommen, alle. Nicht alle, aber jedenfalls die, auf die es ankam. Er zwang sich, ruhig zu denken. Offensichtlich hatte es Streit gegeben. Sasuke marschierte voran und war nach wenigen Schritten verschwunden, Sakura, Ino und Shikamaru waren nirgendswo zu sehen, und Naruto und sie… kamen langsam hinterher, beide offensichtlich mit ihren jeweiligen Gedanken beschäftigt. Naruto hob grüßend die Hand, sah aber schnell wieder weg. Hinata begegnete seinem Blick, wich aber beinahe ebenso schnell wie ihr Freund aus. Alles beim alten. Kiba wandte sich wieder TenTen zu, während die beiden an ihnen vorbeikamen. Sie grinste. „Das ist sie also?“ Kiba riskierte keinen weiteren Blick. Die beiden waren nahe genug, um sie verstehen zu können, aber das war in diesem Moment egal. Nein, nicht einmal das. Er legte es darauf an. „Nein. Das war nur ein… dummer Irrtum.“ Zum zweiten Mal seitdem sie wieder hier war, hatte Sakura das Gefühl, auf ihrer eigenen Beerdigung gelandet zu sein. Auch dieses Mal wurde eine Menge geredet, aber nicht mit ihr. Vielleicht war das Glück, denn im Moment hätte sie auch mit niemanden reden können. Sie fühlte sich, als wäre sie von einem Zug überfahren worden, einem Zug namens Sasuke Uchiha. Aber das war es nicht allein. Sie erkannte sich selbst kaum wieder, und das tat ihr vor allem weh. Eigentlich hatte sie gedacht, dass sie, wenn sie erst einmal allein wäre, endlich weinen könnte. Das alles aus ihr herausbrechen würde und sie sich wieder… sauber fühlen würde. Aber auch das ließ auf sich warten. Sie saß auf ihrem Bett und starrte die Wand an. Noch nicht einmal zum Musik Hören konnte sie sich aufraffen. Plötzlich passierten zwei Dinge. Es klopfte an der Tür und ihr Handy begann zu klingeln. Da es weniger Anstrengung erforderte ihr Handy vom Boden aufzuheben, tat sie das. Die Nummer kam ihr jedenfalls nicht bekannt vor. Es klopfte wieder, aber sie wollte einfach niemanden sehen. „Ja?“ Eine mürrische Stimme am anderen Ende der Leitung. „Sakura? Ich… Wir brauchen wohl deine Hilfe.“ Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass die Tür geöffnet wurde. _________________________________________________ Abschließendes: So, City of Fools wird heute ein Jahr alt (und demnächst in "Stadt der Beziehungsunfähigen" umbenannt, wenn das so weitergeht), also bin ich diesmal schneller als sonst gewesen. Danke fürs Lesen und besonders fürs kommentieren :) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)