Ein ganz besonderer Coup von Karma (Kaito & Shinichi & Heiji) ================================================================================ Kapitel 1: Ein ganz besonderer Coup ----------------------------------- I take a part of you with me now And you won't get it back And a part of me will stay here, You can keep it forever, dear [Sunrise Avenue - Hollywood Hills] ~*~ Ein strahlender, wolkenlos blauer Himmel spannte sich über Tokio. Der Sommer zeigte sich von seiner schönsten Seite und trug gemeinsam mit dem Datum dazu bei, dass sämtliche Schüler in Japans Metropole, die noch in ihren Klassenräumen brüten mussten, ungeduldig die Sekunden bis zum sehnsüchtig erwarteten Schulschluss zählten. Das Wetter an diesem letzten Schultag lud geradezu dazu ein, gleich nach dem erlösenden Klingeln aus dem Schulgebäude zu stürmen und den Ferienbeginn mit einem Besuch im Schwimmbad einzuläuten. Auch Kaito Kuroba, inzwischen achtzehn Jahre alt und ebenso berühmt wie berüchtigt unter seinem Pseudonym ›Kaito Kid‹, starrte wie der Rest seiner Klassenkameraden aus dem Fenster des Klassenzimmers. Seine Gedanken beschäftigten sich jedoch nicht mit den unmittelbar bevorstehenden Ferien, sondern kreisten um etwas vollkommen anders. Zwei Monate war es jetzt her, seit der verschwundene und von vielen für tot gehaltene Schülerdetektiv Shinichi Kudo im Triumphzug wieder nach Tokio zurückgekehrt war, nachdem die Schwarze Organisation, die sein Leben bedroht hatte, zerschlagen worden war. Als einer der wenigen Menschen, die von Kudos geheimer zweiter Existenz als Conan Edogawa gewusst hatte, hatte Kaito diese Nachricht mit einer gewissen Freude zur Kenntnis genommen. Sicher, es hatte Spaß gemacht, sich mit dem kleinen Conan zu messen und bei diversen Gelegenheiten auch mit ihm zusammenzuarbeiten, aber der echte Shinichi Kudo war doch ein ganz anderes Kaliber als der im Körper eines Kindes gefangene Detektiv es gewesen war. Und genau aus diesem Grund zerbrach Kaito, der Meisterdieb 1412, sich schon seit Wochen den Kopf darüber, wie er den heimgekehrten ›Sherlock Holmes der Neuzeit‹ wohl am besten zu Hause begrüßen konnte – auf seine eigene unnachahmliche Art natürlich. Vorgestern jedoch hatte sich durch einen Zufall die perfekte Gelegenheit für eine Begegnung zwischen Meisterdieb und Meisterdetektiv ergeben. Als hätte er nur auf so etwas gewartet, hatte nämlich ausgerechnet Jirokichi Suzuki, selbsternannter Erzfeind Kaito Kids, die gesamte oberste Etage des Haido City Hotels angemietet, um dort einige der seltenen und überaus kostbaren Juwelen aus seiner privaten Sammlung einem ausgewählten Publikum zugänglich zu machen. Kaito war sich durchaus der Tatsache bewusst, dass es die Absicht des alten Mannes war, ihn endlich dingfest zu machen, doch das würde ihm auch dieses Mal selbstverständlich nicht gelingen. Dennoch war diese Ausstellung eine Gelegenheit, die der junge Dieb sich auf keinen Fall entgehen lassen konnte und würde. All die funkelnden Schätze waren einfach der perfekte Rahmen für das erste Treffen seit einer Ewigkeit, bei dem er seinem größten Rivalen Shinichi Kudo endlich wieder auf einer Ebene begegnen konnte, auf der sie auf der gleichen Augenhöhe waren. Zwei Tage lang hatte er an der Ankündigung gefeilt, die schon übermorgen Abend an Jirokichi Suzuki und auch an die Tokioter Polizei herausgehen würde. Sein Plan stand. Kaito grinste. Nicht mehr lange und er hätte mit dem ›Sherlock Holmes der Neuzeit‹ endlich wieder einen richtigen Gegner. Hakuba, dieser Schnösel, war einfach kein Vergleich zum einzig wahren Meisterdetektiv Ostjapans. Aber auch dieser würde bei ihrer nächsten Begegnung sein blaues Wunder erleben, so viel war sicher. ~*~ "Was? Kaito Kid hat eine neue Ankündigung geschickt? Ist das wirklich wahr?", versicherte sich besagter Meisterdetektiv drei Tage später. Der Anruf von Inspektor Megure war reichlich überraschend und eigentlich auch zu einem sehr unpassenden Zeitpunkt gekommen, aber die Erwähnung Kaito Kids ließ Shinichi seinen Ärger über die frühe Störung gleich wieder vergessen. Es war eine ganze Weile her, seit er das letzte Mal etwas vom Meisterdieb 1412 gehört hatte. Fast hatte er sich schon gefragt, ob dieser nach der Zerstörung Pandoras und der Zerschlagung der Schwarzen Organisation überhaupt je wieder in Erscheinung treten würde. Eigentlich, das wusste Shinichi, gab es dafür keinen Grund mehr. Der Tod des ersten Meisterdiebes 1412 war gerächt und das Juwel, das ihm den Tod gebracht hatte, gab es nicht mehr. Dennoch konnte der junge Detektiv nicht leugnen, dass ihn die Nachricht von Kids neuester Ankündigung geradezu elektrisierte. Endlich wieder ein neuer Fall, der mehr als spannend zu werden versprach! In seiner Aufregung hätte Shinichi die Bestätigung Inspektor Megures beinahe überhört. "Ja, so ist es. Ich faxe sie Dir zu, dann kannst Du sie Dir mal ansehen und uns sagen, was Du davon hältst." Gesagt, getan. Shinichi verabschiedete sich knapp von dem Inspektor, legte das Telefon beiseite und hastete geradezu in das Arbeitszimmer seines Vaters, wo das Faxgerät schon vernehmlich ratterte. Seinen Gast, der das ganze Telefonat mitangehört hatte, ignorierte er und riss das Papier förmlich aus dem Gerät. Blaue Augen huschten über die mit der typischen Karikatur versehene Botschaft, während das Gehirn des jungen Detektivs sofort Schlussfolgerungen zu ziehen begann. Dass sein Gast ihm aus der Küche gefolgt war, bemerkte er erst, als dieser ihm über die Schulter blickte und die Ankündigung laut vorlas. "›Wenn der Mond sein Antlitz verhüllt, werde ich ins Haido City Hotel kommen und mir die beiden einzigartigen Aquamarine des Westens holen – falls es ihrem rechtmäßigen Besitzer nicht gelingt, mich davon abzuhalten. Kaito Kid‹ Ich weiß ja nicht, Kudo. Ist das nicht irgendwie komisch? Kein Rätsel, nichts." Heiji Hattori, Schülerdetektiv Westjapans und Sohn von Osakas Polizeipräsident Heizo Hattori, nahm seinem Freund und Detektivkollegen das Fax aus der Hand, überflog es noch einmal und reichte es dann zurück. "Darauf, dass mit dem ersten Teil der Botschaft die Mondfinsternis übermorgen Nacht gemeint ist, käme ja sogar ein Grundschüler", fuhr er fort, doch Shinichi ignorierte die Anspielung auf die beinahe anderthalb Jahre, die er im Körper eines Kindes verbracht hatte. Stattdessen nickte er nur, denn dieser Gedanke war ihm auch schon gekommen. Dieses Schreiben fiel tatsächlich etwas aus dem Rahmen, aber dennoch war er sich absolut sicher, dass der Schreiber der vielfach bewunderte und bisher noch immer nicht gefasste Meisterdieb 1412 war. "Es ist auch ungewöhnlich, dass er dieses Mal gleich zwei Juwelen stehlen will. Trotzdem sollten wir dieses Schreiben ernstnehmen. Wenn Kid einen Coup ankündigt, dann wird er auch erscheinen", erwiderte er deshalb und auf Heijis Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, das deutlicher als Worte sagte, dass dieser eine Idee hatte. Beinahe hatte das Grinsen etwas Beängstigendes, aber Shinichi ließ sich nicht davon einschüchtern. Er kannte Hattori jetzt schon lange genug um zu wissen, wie dieser tickte. Aus diesem Grund überraschten ihn die Worte des Westjapaners auch nicht im Geringsten. "Wie wär's mit ner kleinen Wette, Kudo?", schlug Heiji vor. "Oder besser gesagt mit nem kleinen Rennen", präzisierte er und schob seine Hände in die Taschen seiner Jeans. Dabei sah er seinen Gegenüber erwartungsvoll an und dieser zog eine Braue hoch. "Du schlägst also ein Wettrennen darum vor, wer von uns beiden Kid zu fassen kriegt. Sehe ich das richtig?", hakte er nach und Heijis Grinsen wuchs noch ein Stück in die Breite. "Kannst Du Dir nen besseren Zeitvertreib für uns beide vorstellen?", fragte er zurück. Shinichi schüttelte den Kopf. "Nein. Aber was soll der Einsatz sein?", wollte er wissen, bekam jedoch nur ein Achselzucken zur Antwort. "Den bestimmt der Sieger hinterher", beschloss Heiji und in seinen Augen blitzte der Schalk, als er den Kopf leicht zur Seite neigte. "Oder trauste Dir das nicht zu? Noch kannste kneifen, Kudo", schlug er betont freundlich vor, doch der Angesprochene schüttelte nur erneut den Kopf. Dabei legte sich auch auf seine Lippen ein Grinsen. "Das Gleiche gilt auch für Dich, Hattori", gab er das Angebot seines besten Freundes großzügig zurück und dieser lachte auf. "Vergiss es!" Auf gar keinen Fall würde er jetzt einen Rückzieher machen! Und, beschloss Heiji für sich, während Shinichi die Nummer des Inspektors wählte und diesem seine Schlussfolgerungen mitteilte, er würde auch auf gar keinen Fall verlieren. Das ließ sein Stolz als Detektiv einfach nicht zu. ~*~ Ein Grinsen zupfte an Kaitos Mundwinkeln, während er seine heutige Verkleidung im Spiegel begutachtete. Noch ein letztes Mal rückte er die grüne Krawatte zurecht, dann streifte er das blaue Jackett über, das sein Outfit vervollständigte. Ein letzter Blick in den Spiegel folgte, dann machte sich der junge Meisterdieb auf den Weg zum Haido City Hotel. Es war noch recht früh, kaum richtig dunkel, aber das würde noch kommen. Diese Nacht würde, abgesehen von den Neonlichtern der Stadt, vollkommen schwarz werden. Der Mond, der sonst stets Zeuge seiner Taten gewesen war, würde ihm heute nicht zusehen, aber das war Kaito nur recht. Immerhin war dieser Coup auch ganz anders als alle bisherigen. Und genau aus diesem Grund war es noch wichtiger als sonst, dass sein Timing perfekt stimmte. Heute durfte wirklich absolut nichts schief gehen. Vor dem Haido City Hotel stieg der junge Meisterdieb aus dem Taxi, das er sich gegönnt hatte. Er bezahlte den Fahrer, blieb kurz stehen und ließ seinen Blick über die beeindruckende Fassade des Gebäudes wandern, ehe er die bereits von Polizisten unter der Aufsicht Kommissar Nakamoris bewachte Lobby betrat. Es war nicht leicht, ein Grinsen zu unterdrücken, als der Vater seiner Kindheitsfreundin Aoko, misstrauisch wie immer, seine übliche Testmethode anwandte, um Kid zu enttarnen. Der Ärmste. Was für ein Pech für ihn, dass ihm das bei dieser Verkleidung absolut nichts nützt. Mit schmerzenden Wangen, aber dennoch bestens gelaunt ließ Kaito sich nach Nakamoris Kneifattacke von einem der uniformierten Beamten in die oberste Etage begleiten, wo neben Jirokichi Suzuki auch Inspektor Megure bereits wartete. "Ah, Kudo! Schön, dass Du es einrichten konntest", begrüßte dieser den Neuankömmling und sah sich dann suchend um. "Wo steckt denn Takagi? Ich hatte ihn doch extra losgeschickt, um Dich abzuholen." "Der Kommissar ist unten aufgehalten worden", log der als Shinichi Kudo verkleidete Meisterdieb 1412, ohne eine Miene zu verziehen. "Vor dem Hotel ist die Hölle los. Die Beamten um Kommissar Nakamori haben ihre liebe Mühe damit, die Menge unter Kontrolle zu halten. Die Leute sind ganz aus dem Häuschen wegen Kids Ankündigung", schob er noch hinterher und Jirokichi Suzuki, der inzwischen nähergetreten war, lachte dröhnend. "Sollen sie nur zuschauen! Heute Nacht werde ich diesem Flegel endlich die Maske vom Gesicht reißen!", behauptete er und Kaito unterdrückte ein Schnauben. Ganz sicher nicht, alter Mann. So leid es mir tut, aber Du bist heute nur ein Statist, nichts weiter. Diesen Gedankengang ließ sich Shinichi Kudo alias Kaito Kid jedoch nicht anmerken. Er ging auch nicht auf die Aussage seines selbsternannten Erzfeindes ein, sondern folgte Inspektor Megure, der ihn durch die wirklich beeindruckende Ausstellung führte und ihm nebenbei auch noch alle Informationen zukommen ließ, die der junge Dieb über die speziell für diese Nacht getroffenen Sicherheitsmaßnahmen wissen musste. Der falsche Detektiv lauschte den Ausführungen des Inspektors aufmerksam und lachte dabei stumm in sich hinein. Wenn das so weiterging, dann würde der bevorstehende Coup fast schon zu leicht werden. ~*~ Exakt zum gleichen Zeitpunkt, an dem der verkleidete Meisterdieb das Hotel betrat, verließ der echte Shinichi Kudo gemeinsam mit seinem Freund und Detektivkollegen aus Osaka die Villa seiner Eltern und stieg zum wartenden Kommissar Takagi in den Wagen. "Ich wusste ja gar nicht, dass Du nicht alleine bist", kommentierte dieser Heijis Anwesenheit und der Schülerdetektiv Westjapans grinste ihn an. "Allemal besser als Shoppen mit den Mädels", spielte er darauf an, dass Ran und Sonoko gleich zum Ferienbeginn zu Kazuha nach Osaka gefahren waren – eigentlich der Hauptgrund, aus dem es ihn selbst nach Tokio verschlagen hatte. Da löste er doch hundertmal lieber irgendwelche Fälle mit seinem besten Freund als dass er den Deppen gab, der seiner Kindheitsfreundin und den anderen beiden Mädchen beim Shoppen die Tüten schleppte. Er war doch kein Packesel! "Außerdem braucht Kudo mich. Ohne mich ist er doch aufgeschmissen." Diese Provokation entlockte Shinichi ein Schnauben. "Als ob! Ich habe schon sehr erfolgreich Fälle gelöst, lange bevor ich Dich kannte. Wenn überhaupt, dann brauchst Du mich, Hattori!", stichelte er zurück, ohne auf Takagis irritierten Seitenblick einzugehen. Wortwechsel wie dieser waren zwischen Hattori und ihm an der Tagesordnung, seit sie beschlossen hatten, am heutigen Abend ein Kräftemessen der besonderen Art zu veranstalten. Seitdem piesackten sie sich gegenseitig fast unablässig, aber keiner von ihnen nahm das allzu ernst. Es war nur eine harmlose Neckerei unter Freunden, nichts weiter. Aus diesem Grund lag auch ein kaum sichtbares Grinsen auf Shinichis Lippen. Diese ganze Angelegenheit hier machte ihm eine Menge Spaß. Es war eine Sache gewesen, sich als Conan mit Heiji zu messen, aber es war etwas völlig anderes, dieses Gerangel in seinem eigenen Körper fortsetzen zu können. So lebendig wie in den Tagen seit dem überraschenden Auftauchen seines Freundes aus Osaka hatte er sich schon lange nicht mehr gefühlt. Und er musste nicht einmal einen Blick in den Rückspiegel werfen um zu wissen, dass in Hattoris Augen das gleiche Funkeln tanzte wie in seinen eigenen. Der Schülerdetektiv des Westens hatte an diesem Kräftemessen mindestens ebenso viel Spaß wie er. ~*~ Am Haido City Hotel angekommen ließen die beiden jungen Detektive Kommissar Nakamoris patentierte Kid-Enttarn-Technik über sich ergehen. Der Kommissar selbst war gerade über Funk in eine Diskussion mit dem für die Luftüberwachung zuständigen Hubschrauberpiloten vertieft und registrierte die Neuankömmlinge daher nur aus dem Augenwinkel. Erst als die beiden Detektive gemeinsam mit Kommissar Takagi den Aufzug betreten hatten, um nach oben zu fahren, bemerkte er, dass er einen der Drei vor wenigen Minuten schon einmal gesehen und sogar höchstpersönlich überprüft hatte. Aber das bedeutete ja ... Nakamoris Augen weiteten sich in plötzlichem Begreifen. "Kid ist schon im Hotel! Ich wiederhole, Kid ist schon im Hotel! Er ist ...", brüllte er in sein Funkgerät, kam jedoch nicht mehr dazu, den vermutlichen Aufenthaltsort des Diebes durchzugeben. Just als er dies nämlich tun wollte, sprühten Funken aus dem Gerät, das Kaito bei seinem Zusammentreffen mit dem Kommissar in weiser Voraussicht manipuliert hatte. Der Störsender, den er dafür eingesetzt hatte, legte auch sämtliche anderen Funkgeräte sowie alle Handys in der Lobby lahm, so dass Nakamori nichts anderes übrig blieb, als zu den Aufzügen zu sprinten und wie von Sinnen auf den Knopf zu hämmern. Er musste nach oben in die oberste Etage; musste seine Kollegen warnen, dass Kid, dieser unverschämte Mistkerl, es schon wieder geschafft hatte, sie alle auszutricksen. Wie er diesen arroganten Dieb doch verabscheute! ~*~ Kaito, dem der Ausfall der Funkgeräte in der Lobby keinesfalls entgangen war – eigens zu diesem Zweck trug er einen winzigen Empfänger im Ohr, der jetzt ebenso gestört war wie die Funkgeräte der Beamten –, entschuldigte sich bei Jirokichi Suzuki und Inspektor Megure mit der Begründung, vor dem unvermeidlichen Showdown noch einmal die Toilette aufsuchen zu müssen. Anstatt diese jedoch wirklich zu benutzen, entledigte er sich dort nur schnell seiner Verkleidung und huschte gerade rechtzeitig in den Gang, der zum Treppenhaus führte, um das leise Pling zu hören, mit dem das Eintreffen des Aufzugs angezeigt wurde. Der junge Meisterdieb presste sich ganz nah an die gleich neben den Fahrstühlen befindliche Wand und beobachtete im Schutz einer großen Pflanze, wie drei Personen den Aufzug verließen und in Richtung der Ausstellungsräume gingen. Nur mit Mühe unterdrückte Kaito ein Kichern. Bis jetzt lief alles haargenau nach Plan. Zwei, vielleicht drei Minuten hatte er noch für die letzten Vorbereitungen, dann würde es ernst werden. Ein wohliges Kribbeln durchlief den Körper des Meisterdiebes 1412, doch er zwang sich, es zu ignorieren. Für einen endgültigen Triumph war es noch zu früh. Bei seinen Gegnern – jedenfalls bei den beiden, die er wirklich ernst nahm – musste er auf alles gefasst sein. Zum Feiern war auch später noch Zeit, wenn sein Coup tatsächlich so gelungen war, wie er ihn geplant hatte. Daran, dass es so sein würde, zweifelte er keine Sekunde lang. Immerhin hatte er einige Asse im Ärmel, von denen noch niemand etwas ahnte. ~*~ "Da sind wir, Inspektor Megure." Der Angesprochene, der gerade noch einmal die für heute Nacht speziell aufgestellten Fallen mit Jirokichi Suzuki durchgesprochen hatte, drehte sich um und sah die drei Ankommenden verdutzt an. "Du auch hier, Hattori?", wandte er sich an den Schülerdetektiv aus Osaka, stutzte jedoch, als sein Blick auf Shinichi fiel, der statt seiner Schuluniform heute eine einfache blaue Jeans und einen schwarzen Rollkragenpullover trug. "Wann hast Du Dich denn umgezogen, Kudo? Und vor allem: Warum?" Die Fragen des Inspektors ließen den jungen Detektiv aus Tokio blinzeln. "Umgezogen?", fragte er alarmiert zurück und warf einen kurzen Blick zu seinem besten Freund, der offensichtlich dasselbe dachte wie er. "War Kudo schon mal hier?", erkundigte er sich nämlich und sowohl der Inspektor als auch Jirokichi Suzuki nickten fast gleichzeitig. "Bis gerade eben noch. Er wollte auf die Toilette ..." Weiter kam der alte Abenteurer nicht. Shinichi und Heiji machten auf dem Absatz kehrt und stürmten zum WC. Heiji riss die Tür auf, doch es war nur Shinichi, der die Kabine betrat und dort tatsächlich eine fein säuberlich gefaltete Schuluniform fand, die seiner eigenen täuschend ähnlich sah. Es hätte nicht der direkt oben auf dem Kleiderhaufen liegenden Notiz mit der charakteristischen Karikatur bedurft um zu wissen, wer diese Uniform noch vor kurzem getragen hatte. "Kid!", presste Shinichi zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Im ersten Moment war er versucht, die Nachricht vor lauter Frust zu zerknüllen, doch er zwang sich, seinen Ärger beiseite zu lassen und sie zu lesen. Möglicherweise war sie ja wichtig. Nein, korrigierte der Schülerdetektiv Ostjapans sich selbst, höchstwahrscheinlich war sie wichtig. Welchen Grund hätte dieser freche Dieb sonst gehabt, sie an so exponierter Stelle zu platzieren? ›Bravo, kleiner Detektiv!‹ Damit gab es schon mal keinen Zweifel mehr, an wen diese Nachricht adressiert war. Immerhin war es der Meisterdieb 1412 gewesen, der ihn – oder vielmehr sein Alter Ego Conan Edogawa – bei fast jeder ihrer Begegnungen in den letzten anderthalb Jahren so genannt hatte. Shinichi grummelte unhörbar. Er hatte diesen Spitznamen gehasst, aber das hatte Kaito Kid natürlich nie davon abgehalten, ihn dennoch so zu nennen. Mit etwas Mühe schüttelte Shinichi diese Erinnerungen ab und las weiter. ›Es wird Dich sicher freuen zu hören, dass Du noch rechtzeitig gekommen bist. Noch ist es mir nicht gelungen, die Aquamarine in meinen Besitz zu bringen. Allerdings ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis ich meine Beute habe. Du solltest Dich also lieber beeilen, kleiner Detektiv. Mal sehen, wer von uns das Rennen macht und sich die Kostbarkeiten verdient.‹ An diesem Punkt angekommen stutzte der junge Meisterdetektiv. Was in aller Welt sollte das denn bedeuten? Warum hatte Kid eine perfekte Tarnung aufgegeben, wenn er seinen Coup noch gar nicht gelandet hatte? Und was meinte er mit seinem letzten Satz? ›Mal sehen, wer von uns das Rennen macht und sich die Kostbarkeiten verdient.‹ Kid mochte ein Dieb sein, aber er, Shinichi Kudo, war Detektiv. Die Steine waren eindeutig das Eigentum von Jirokichi Suzuki, also wieso deutete Kid an, dass er die Juwelen behalten könnte, wenn er den Diebstahl verhinderte? Eigentlich sollte Kid doch wissen, dass er niemals etwas behalten würde, das nicht rechtmäßig ihm gehörte. Moment mal ... Rechtmäßig? Stand nicht etwas vom ›rechtmäßigen Besitzer‹ in der Ankündigung? Aber wenn damit nicht Jirokichi Suzuki gemeint ist, dann heißt das ja ... Ein Ruck ging durch Shinichis Körper, als er die Zusammenhänge begriff, die sich ihm bis eben nicht erschlossen hatten. Also deshalb war ihm das Ankündigungsschreiben so seltsam und das Rätsel viel zu leicht vorgekommen! Das wahre Rätsel, das Kaito Kid in seiner Ankündigung versteckt hatte, hatten sie alle übersehen. Dabei war es doch so offensichtlich! Verdammt! Hoffentlich ist es noch nicht zu spät! Mit diesem Gedanken im Hinterkopf schob Shinichi die Notiz in seine Hosentasche, verließ die Toilette wieder und wollte sich auf die Suche nach Jirokichi Suzuki machen, doch das war gar nicht mehr nötig. Gemeinsam mit Inspektor Megure und Kommissar Takagi war dieser dem Schülerdetektiv gefolgt, so dass sie vor der Toilettentür um ein Haar alle zusammengestoßen wären. Einzig von Hattori fehlte jede Spur. "Gibt es in Ihrer Sammlung ein Paar Juwelen, das ›Aquamarine des Westens‹ genannt wird?", überfiel Shinichi den alten Mann gleich mit der Frage, die ihm unter den Nägeln brannte. Der Abenteurer überlegte nur kurz, ehe er den Kopf schüttelte. "Nein, Steine mit diesem Namen besitze ich nicht. Natürlich befinden sich in meiner Sammlung auch einige sehr wertvolle Aquamarine wie beispielsweise das ›Blue Wonder‹, das Kid schon einmal gestohlen hat, aber ..." "Vielen Dank, Herr Suzuki", unterbrach Shinichi den Redeschwall kurzerhand und wandte sich dann an Inspektor Megure. "Bitte setzen Sie sich mit dem Hubschrauber in Verbindung. Ich bin mir sicher, Kid ist auf dem Dach", instruierte er ihn. "Was? Warte mal, Kudo. Was soll das bedeuten?", wollte der Inspektor wissen, doch der junge Detektiv schüttelte nur den Kopf. "Ich werde Ihnen später alles erklären, Inspektor. Im Augenblick zählt jede Sekunde, also beeilen Sie sich bitte." "Aber ...", setzte Megure zu einem erneuten Widerspruch an, doch Shinichi ließ ihn einfach stehen und sprintete in Richtung des Treppenhauses, das zum Dach führte. Wenn seine Schlussfolgerungen korrekt waren, dann war es eine Frage von Sekunden, ob es ihm gelingen würde, Kids Coup zu verhindern. Kommissar Nakamori, der in eben dem Moment aus dem Fahrstuhl sprang, als er die Tür zum Treppenhaus aufriss, schenkte der junge Detektiv keine Beachtung. ~*~ Heiji war unterdessen schon längst auf dem Dach des Haido City Hotels angekommen. Gleich nachdem er über Kudos Schulter hinweg den Kleiderstapel in der Toilettenkabine gesehen hatte, war für ihn klar gewesen, wo der gesuchte Dieb sich befinden musste. Wenn Kid sich als Shinichi Kudo ausgegeben und so alle getäuscht hatte, dann war es für ihn garantiert auch ein Leichtes gewesen, die Steine, auf die er es abgesehen hatte, in seinen Besitz zu bringen. Und wenn er hatte, was er wollte, dann war es nur logisch, dass er sich aufs Dach zurückzog, um von dort aus einen seiner spektakulären Fluchtversuche zu starten. Nur dass es heute bei dem Versuch bleiben wird. Mit einem grimmigen Grinsen im Gesicht näherte Heiji sich dem Dachaufbau gegenüber von dem, durch den er das Dach betreten hatte. Auf seiner Seite des Daches war niemand und bisher hatte er auch noch keinen weißen Fluggleiter gesehen, also musste Kid noch hier sein. Aber dieses Mal würde dieser dreiste Dieb nicht entkommen, so viel stand fest! Heiji wusste, er hatte nicht mehr viel Zeit. Wenn er zu langsam war, dann würde Kid ihm durch die Lappen gehen – oder, was noch schlimmer wäre, Kudo würde die gleichen Schlüsse ziehen wie er und ebenfalls hier heraufkommen. Und wie es dann um seine Chancen, den Dieb zu fangen, bestellt war, konnte der Detektiv aus Osaka an zwei Fingern abzählen. Kudo hatte das Glück normalerweise geradezu gepachtet. Heute schien es jedoch auf seiner Seite zu sein, stellte Heiji fest, als er für einen Sekundenbruchteil den Zipfel eines ihm wohlbekannten weißen Umhangs um die Ecke des Dachaufbaus flattern sah. Augenblicklich wandelte sich das Grinsen des Detektivs aus Osaka von grimmig zu zufrieden. Er hatte es fast geschafft! Kid saß in der Falle, auch wenn er das noch nicht wusste. Und dieses Mal würde ihn nichts und niemand daran hindern, Meisterdieb 1412 zu fangen, zu demaskieren und ihn der Polizei zu übergeben. Wie schade, dass Kudo noch nicht hier oben war, um seinen Triumph mit anzusehen! Gerade als Heiji um die Ecke, hinter der Kaito Kid sich befinden musste, linsen wollte – blindlings loszustürmen war bei jemandem, der so viele Tricks auf Lager hatte wie dieser Dieb, einfach nicht ratsam –, senkte sich völlige Dunkelheit herab. Der Mond verschmolz vollkommen mit dem schwarzen Nachthimmel. Zeitgleich fiel auch die Beleuchtung des Daches aus und Heiji erkannte unterdrückt fluchend, dass der Dieb, der gerade noch zum Greifen nah gewesen zu sein schien, dafür verantwortlich sein musste. Offenbar hatte er das hier geplant, um sich bei seiner Flucht einen Vorteil zu verschaffen. Aber nicht mit mir!, dachte der junge Detektiv aus Westjapan und konzentrierte sich darauf, seine Augen an die Finsternis zu gewöhnen. Auf gar keinen Fall würde er sich so einfach ausbooten lassen – schon gar nicht jetzt, wo er so kurz vor dem Ziel war. Nein, er würde sich den Dieb schnappen. Der heutige Coup würde Kaito Kids letzter sein. Mit diesem Vorsatz stürmte Heiji um die Ecke, prallte jedoch zu seinem nicht geringen Erstaunen gleich darauf gegen eine Person, die eigentlich nur der gesuchte Meisterdieb 1412 sein konnte. Die Antwort auf seine unausgesprochene Frage, warum dieser nicht schon längst geflohen war, sondern stattdessen ganz offenbar auf ihn gewartet hatte, bekam er in Form eines metallischen Klickens, mit dem sich ein Paar Handschellen zielsicher um sein linkes Handgelenk und das Geländer des Hoteldaches schloss. "Verdammt!", entfuhr es Heiji, als er seinen Fehler bemerkte. Es war eine Falle gewesen. Kaito Kid hatte gar nicht zu fliehen versucht, sondern hatte hier oben gewartet, um ihn festzusetzen und ... ja, und was? "Was soll das?", verlangte er zu wissen und bemühte sich, den dreisten Dieb in der Dunkelheit zu erkennen, um mit seiner freien rechten Hand nach ihm greifen zu können, doch das entpuppte sich als unmöglich. Es war einfach zu dunkel und außerdem zeigte Kids leises Lachen deutlich, dass dieser sich längst wieder außerhalb seiner Reichweite befand. Heiji fluchte und zerrte an den Handschellen, aber diese gaben erwartungsgemäß natürlich nicht nach. So ein Mist! "Das sind Polizeihandschellen. Inspektor Megure war so freundlich, sie mir zu borgen. Ich fürchte allerdings, dass er davon noch gar nichts bemerkt hat." Kaito schaffte es nicht, das Amüsement aus seiner Stimme zu verbannen. Allerdings sah er dazu auch keinen Grund, also kümmerte er sich nicht weiter darum. Sollte sein Gegenüber, dieser hitzköpfige junge Detektiv aus Osaka, ruhig wissen, wie sehr er die Situation hier genoss. Dabei ist das erst der Anfang. Es gab schließlich noch einen zweiten Detektiv, der sicher bald ebenfalls auf dem Dach auftauchen und damit unwissentlich den letzten Akt des heutigen Spiels einleiten würde. Wie aufs Stichwort wehte der Wind just in diesem Augenblick das Geräusch einer sich öffnenden Tür von der anderen Seite des Daches herüber. Zeitgleich erklang der etwas atemlose Ruf: "Hattori? Wo steckst Du?" Ehe der Angesprochene jedoch eine Antwort geben und dadurch seine momentane Position verraten konnte, überbrückte Kaito die wenigen Schritte, die ihn von dem Gefesselten trennten. Er packte den Kragen des weißen Hemdes, das der Detektiv aus Osaka offen über einem petrolfarbenen Shirt trug, zog ihn mit einem Ruck zu sich und presste seine Lippen auf die seines völlig überrumpelten Opfers. Es war offensichtlich, dass Hattori mit allem gerechnet hatte, aber ganz sicher nicht damit. Seine Augen waren weit aufgerissen, sein Körper stocksteif und sein Herz schlug hart und unregelmäßig in seiner Brust. Kaito hingegen schloss die Augen, um den Moment besser genießen zu können. Er erlaubte sich allerdings nicht, das Ganze zu sehr auszudehnen. Einen Detektiv hatte er zwar gefesselt und damit fürs Erste schachmatt gesetzt, aber der zweite hatte noch immer seine volle Bewegungsfreiheit. Und dem Geräusch seiner Schritte nach zu urteilen, die sich schnell näherten, würde es nicht mehr lange dauern, bis er sie beide erreichte. Aus diesem Grund gab Kaito die Lippen des Detektivs aus Osaka etwas unwillig wieder frei und trat, nach einem kurzen, verschmitzten Grinsen in Richtung des Überrumpelten, seinem zweiten Gegner für diese Nacht gegenüber. Dabei konnte er nichts gegen das vorfreudige Funkeln tun, das in seinen Augen tanzte. So lange schon hatte er auf eine solche Konfrontation hingearbeitet und jetzt war es endlich soweit. "Du kommst zu spät, kleiner Detektiv", begrüßte er den Neuankömmling und verkniff sich mit Mühe und Not ein Schmunzeln als er sah, wie sich dessen Augen in plötzlichem Begreifen weiteten. "Was hast Du mit Hattori gemacht?", verlangte Shinichi zu wissen, doch sein Gegenüber schüttelte nur tadelnd den Kopf. "Gar nichts. Was denkst Du nur von mir? Es geht ihm gut. Er ist da hinten, keine drei Meter von Dir entfernt", beruhigte Kaito den jungen Detektiv und tippte sich an den Zylinder, ehe er mit einem eleganten Satz auf das Geländer des Hoteldaches sprang. Dabei umspielte ein spöttisches Lächeln seine Lippen. "Scheint, als hätte ich wieder einmal gewonnen, kleiner Detektiv." Mit diesen Worten ließ er sich fallen und nur Sekunden später verschwand ein weißer Fluggleiter in der Nacht, verfolgt von dem Polizeihelikopter, den Inspektor Megure in der Zwischenzeit alarmiert hatte. Shinichi wollte gerade nach seinem Freund und Detektivkollegen sehen, hielt jedoch noch einmal inne und kniff die Augen zusammen, als der Gleiter eine Schleife flog. Narrte ihn ein Spuk oder hing da tatsächlich niemand an dem Fluggerät? Aber das würde ja bedeuten, dass ... Shinichi stürzte zu der Stelle, an der Kid sich hatte fallen lassen, und warf einen Blick über das Geländer. "Du!", fauchte er den noch immer dort auf einem kleinen Vorsprung stehenden Dieb an. Also da hörte sich doch alles auf! "Du bist doch ..." Weiter kam Shinichi nicht. Ehe er so recht wusste, wie ihm geschah, hatte Kid ihn auch schon am Pullover gepackt und ihn so zu sich gezogen, dass er halb in der Schwebe über dem Geländer hing und sich dort festhalten musste, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren und in die Tiefe zu stürzen. "Ich habe ein Rätsel für Dich, kleiner Detektiv", raunte der Dieb ihm zu und Shinichi bekam gegen seinen Willen eine Gänsehaut. "Direkt und indirekt zugleich und nur ich kann es Dir geben. Was ist das?", fragte Kaito äußerlich vollkommen unbeeindruckt. Innerlich freute er sich geradezu diebisch über die Reaktion Kudos auf seine Aktion und seine Worte. "Ich ... weiß es nicht", gab dieser nach kurzem Überlegen widerwillig zu, seine Stimme rauer als sonst und ein wenig gepresst von der unbequemen Position, in der er sich befand. "Das hier." Und mit diesen Worten presste Kaito seine Lippen ebenso auf die des Detektivs aus Tokio, wie er es kurz zuvor bei dessen Freund aus Osaka getan hatte. Auch dieses Mal erlaubte er sich nicht, den Kuss zu lange andauern zu lassen, sondern löste sich von seinem Opfer, während dieses noch immer etwas paralysiert war. Nur zu gerne hätte er sich mehr Zeit genommen, aber die Gefahr, dass der ›Sherlock Holmes der Neuzeit‹ sich fassen, ihn reflexhaft festhalten und so seine Flucht vereiteln würde, war einfach zu groß. So gab er dem Anderen einen Schubs, der ihn sicher wieder zurück auf festen Boden beförderte, und nutzte den Schwung, um sich seinerseits vom Dach abzustoßen und, unbehelligt durch den von seiner vorher vorbereiteten Attrappe in die völlig falsche Richtung gelotsten Polizeihubschrauber, den Weg zu seinem letzten Ziel für diese Nacht anzutreten. Dabei lag ein breites, zufriedenes Grinsen auf seinen Lippen. Wer hätte gedacht, dass es ihm gelingen würde, in einer einzigen Nacht nicht nur die Aquamarine des Westens, sondern auch die Saphire des Ostens zu stehlen? ~*~ "Kudo? Hey, Kudo!" Heiji, der sich inzwischen halbwegs von seinem Schock erholt hatte, rüttelte an den Handschellen, die ihn noch immer an das Geländer ketteten, und das metallische Klirren riss auch Shinichi aus seiner Starre. Noch immer etwas neben sich stehend folgte er dem Geräusch und fand seinen besten Freund gleich hinter der Ecke des Dachaufbaus, nur ganz knapp außer Sichtweite von dem Punkt, an dem er selbst sich bei Kaito Kids ›Überfall‹ - eine bessere Umschreibung fiel ihm dafür nicht ein; er weigerte sich strikt, das Wort ›Kuss‹ auch nur zu denken – befunden hatte. Ob Hattori wohl gesehen hatte, was ... Mit einem unwilligen Kopfschütteln vertrieb Shinichi diese Frage. Stattdessen warf er einen Blick zu seinem Freund, blinzelte und sah noch einmal genauer hin. Tatsächlich, er hatte sich nicht getäuscht. "Kid, dieser elende Mistkerl!" Das war doch wohl einfach ... Shinichi wusste nicht, ob er lachen oder schreien sollte. Schlussendlich entschied er sich jedoch für nichts von beidem, sondern zog einfach nur das Herz As, das gut sichtbar in Hattoris Hemdtasche steckte, heraus. Wie nicht anders erwartet waren die Schlüssel für die Handschellen daran befestigt. Shinichi beeilte sich, diese zu öffnen und seinen Freund zu befreien, ehe er die auf die Rückseite der Karte gekritzelte Botschaft las. ›Scheint, als ginge diese Runde an mich. Vielleicht ist euch das Glück ja beim nächsten Mal hold. Kaito Kid‹, stand darauf. Schweigend reichte er die Karte an seinen Freund weiter und nahm im Gegenzug die Handschellen entgegen. Dabei traute er sich nicht so recht, den Anderen anzusehen. Hatte Hattori gesehen, was Kaito Kid getan hatte? Hatte der freche Meisterdieb zuvor tatsächlich das Gleiche mit ihm gemacht? Nun, es würde Kids Rätsel – ›Direkt und indirekt zugleich und nur ich kann es Dir geben.‹ – erklären, aber Shinichi wagte nicht, danach zu fragen. Eine seltsame, eindeutig unangenehm zu nennende Stille breitete sich zwischen den beiden jungen Detektiven aus. Aus diesem Grund war Shinichi auch mehr als erleichtert, als die Tür zum Dach aufflog und Inspektor Megure gemeinsam Jirokichi Suzuki, den Kommissaren Takagi und Nakamori und wenigstens einem Dutzend uniformierten Beamten heraufstürmten. Noch immer blickte er seinen besten Freund nicht direkt an, aber dennoch konnte er aus dem Augenwinkel deutlich erkennen, dass sich dessen angespannte Haltung in der Sekunde, in der sie nicht mehr alleine waren, kaum merklich lockerte. Wie nicht anders erwartet übertrafen sich Kommissar Nakamori und Jirokichi Suzuki gegenseitig mit Verwünschungen des geflohenen Diebes, doch weder Shinichi noch Heiji reagierten darauf. Abwechselnd erzählten sie, dass es dem Meisterdieb 1412 wieder einmal gelungen war, sie zu überlisten, aber wie genau Kid sie dieses Mal ausgetrickst hatte, behielten sie beide für sich. Mitternacht war schon vorbei, als Inspektor Megure Kommissar Takagi die Order gab, die beiden jungen Detektive nach Hause zu bringen. Shinichi und Heiji schlossen sich dem Kommissar schweigend an und auch während der Fahrt zurück zur Villa der Familie Kudo wurde kein Wort gesprochen. Takagi schob diese Schweigsamkeit auf die gerade erlittene Niederlage und vielleicht auch ein wenig auf Müdigkeit. Keiner der beiden Jüngeren machte sich die Mühe, seine Annahme zu korrigieren. Dafür ging beiden einfach zu viel durch den Kopf. Aus diesem Grund fiel die Verabschiedung von Takagi auch recht knapp aus, doch der Kommissar verübelte es ihnen nicht. Immerhin kannte er die beiden jungen Detektive schon eine Weile und wusste, wie sehr eine solche Niederlage an ihrem Stolz nagen musste. Dabei war es genau genommen ja noch nicht mal eine echte Niederlage, denn schließlich war es Kaito Kid nicht gelungen, etwas zu stehlen. Dafür war seine Tarnung zu früh aufgeflogen. Der Kommissar ahnte nicht, wie sehr er sich da irrte. ~*~ "Was genau hat Kid jetzt eigentlich gestohlen?" Kaum dass die Tür der Kudo-Villa hinter ihnen ins Schloss gefallen war, platzte diese Frage förmlich aus Heiji heraus. Die ganze Zeit seit dem Abgang des Diebes hatte er darüber nachgegrübelt, aber keine Antwort gefunden. Die Nachricht auf der Karte war eindeutig gewesen, aber dennoch konnte er sich des Gefühls nicht erwehren, dass irgendetwas nicht stimmte. Dafür war Kids Verhalten einfach zu merkwürdig gewesen. Dieses viel zu leichte Rätsel, die Tarnung, die er ohne wirkliche Notwendigkeit aufgegeben hatte, und seine kryptischen Worte auf dem Dach ... Irgendetwas musste er übersehen haben, das spürte Heiji. Aber was? Wie er es auch drehte und wendete, er wurde einfach nicht schlau daraus. Was in aller Welt hatte Kaito Kid nur dazu getrieben, ihn zu ... sich so seltsam zu verhalten? "Nichts", kam Kudos ausgesprochen knappe Antwort und Heiji blinzelte irritiert, ehe er sich an die Fersen seines besten Freundes heftete. Dieser war bereits in die Küche vorausgegangen und beschäftigte sich gerade damit, Teewasser aufzusetzen. Purer Zufall, dass er seinem Gast dabei den Rücken zukehrte. "Wie, nichts? Aber die Nachricht auf der Karte sagt doch eindeutig, dass er bekommen hat, was er wollte." Heiji war mehr als verwirrt. Wenn wirklich nichts gestohlen worden war, warum hatte Kid ihnen dann diese Triumphbotschaft zukommen lassen? Das machte doch gar keinen Sinn! "Das ist korrekt." Shinichi ließ sich Zeit dabei, Teetassen aus dem Schrank zu holen und den Tee darauf zu verteilen. Ohne seinen Freund aus Osaka anzublicken, stellte er die Tassen auf den Küchentisch, zog sich einen Stuhl zurück und setzte sich. Dann nahm er eine der Tassen, legte seine Hände darum und seufzte. Wie in aller Welt sollte er Hattori nur begreiflich machen, dass sie sich im Bezug auf Kids Ankündigung beide geirrt hatten? "Es gab überhaupt keine Steine mit dem Namen ›Aquamarine des Westens‹ in der Sammlung des alten Suzuki", fing er schließlich an und beobachtete über seine Tasse hinweg, wie sein Freund sich langsam auf den Stuhl ihm gegenüber sinken ließ. Der Blick aus den blaugrünen Augen schwankte zwischen Verwirrung und völliger Verständnislosigkeit und Shinichi seufzte erneut. Dieses Gespräch versprach mindestens ebenso unangenehm zu werden wie das, das er nach seiner ›Rückkehr‹ mit Ran geführt hatte. Ihr hatte er erklären müssen, dass es nie einen ›Conan Edogawa‹ gegeben hatte und dass er – in geschrumpfter Form – immer in ihrer Nähe gewesen war, sie aber wegen der Gefahr für ihr Leben nicht eher hatte einweihen dürfen, auch wenn er es nur zu gerne getan hätte. Wie aber sollte er Hattori beibringen, was genau hinter Kaito Kids Ankündigung gesteckt hatte? "Wie jetzt? Was soll das heißen, solche Steine gab's in der Sammlung gar nicht? Wenn Du was weißt, was ich nicht weiß, dann spuck's endlich aus, Kudo!", verlangte Heiji aufgebracht. Je mehr sein Gegenüber erzählte, desto weniger verstand er. Und um halb eins morgens war er eindeutig nicht mehr in der Stimmung für irgendwelche langatmigen Erklärungen, in denen sein bester Freund Meister war. Jetzt wollte er die Kurzfassung und dann nur noch schlafen, um die bizarre Wendung dieses Abends möglichst schnell zu vergessen. Der Ausbruch Hattoris ließ Shinichis Mundwinkel kurz zucken. Das war so typisch für den heißblütigen Hitzkopf aus Osaka. "In Ordnung. Wenn es das ist, was Du willst, bitte sehr", erklärte er sich einverstanden und nahm einen Schluck von seinem Tee, um seine Stimmbänder zu befeuchten, ehe er den Anderen über den Rand seiner Teetasse hinweg fixierte. "Wir lagen falsch, was Kids Ankündigung betraf. Es ging ihm nie um irgendwelche Juwelen aus Suzukis Sammlung. Das war eine Täuschung. Ein Vorwand, wenn Du so willst, um an das zu kommen, was er wirklich wollte." Shinichi machte eine kurze Pause, ehe er weitersprach. "Es ging um Dich. Von Anfang an", klärte er seinen Freund dann auf und fuhr mit seiner Erläuterung fort. Mit keiner Silbe ging er auf das geschockte Gesicht seines Gesprächspartners ein. Hattori hatte die Wahrheit hören wollen, also musste er damit leben, was er zu hören bekam. "Aquamarine sind Steine von blaugrüner Farbe – wie Deine Augen. Deshalb hat Kid auch von zwei Aquamarinen gesprochen. Und der Zusatz ›des Westens‹ war ein weiterer Hinweis auf Dich. Schließlich bist Du der Schülerdetektiv des Westens. Wir haben uns von Offensichtlichkeiten blenden und in die Irre führen lassen. Kid hatte es nie auf irgendwelche Juwelen abgesehen, sondern hatte es von Anfang an darauf angelegt, Dich alleine zu erwischen, um ..." Shinichi stockte kurz, fing sich aber schnell wieder und sprach ebenso schnell weiter, um seine eigene Unsicherheit zu überspielen. "Er muss irgendwie in Erfahrung gebracht haben, dass Du im Momeht hier in Tokio bist. Es war sicher nicht schwer zu erraten, dass wir gegeneinander antreten würden, wenn es um die Lösung eines Falles ging. Dann musste er nur noch dafür sorgen, dass wir getrennt versuchen würden, ihn zu fangen, und voilà ..." Er beendete seine Ausführungen nicht, aber das war auch nicht nötig. Hattoris Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er sehr wohl verstanden hatte, was vor sich gegangen war. "Du meinst also, er hat das alles minutiös geplant und wir ... ich bin wie ein Idiot in seine Falle gelaufen. Das wolltest Du doch damit sagen, oder, Kudo?", versicherte Heiji sich noch einmal und erhob sich wieder von seinem Stuhl, nachdem der Angesprochene genickt hatte. "Ich geh schlafen", ließ er seinen Gastgeber brüsk wissen und verschwand aus der Küche, ohne seinen Tee auch nur angerührt zu haben. Abgrundtief seufzend blickte Shinichi seinem Gast kurz nach, ehe er ebenfalls aufstand und die Tassen in die Spüle räumte. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, wie sein bester Freund sich jetzt fühlte. Zu wissen, dass Kaito Kid ihn ausgesucht hatte, um sein Spielchen mit ihm zu treiben, war ganz sicher nicht angenehm. Daher nahm Shinichi es auch nicht persönlich, dass Hattori eben so kurz angebunden gewesen war. Wäre er selbst an seiner Stelle gewesen, hätte er sich wohl nicht anders verhalten. Dennoch, eine Frage war nach wie vor noch immer unbeantwortet: Hatte Kid wirklich bekommen, was er gewollt hatte? Seine Worte auf dem Dach implizierten es und Hattoris Reaktion schien es sogar noch zu bestätigen, aber konnte er sich da wirklich ganz sicher sein? Anders machte Kids Rätsel - ›Direkt und indirekt zugleich und nur ich kann es Dir geben.‹ – jedoch einfach keinen Sinn. Was gab es anderes als einen Kuss, den der Meisterdieb ihm, direkt und indirekt zugleich, hätte geben können? Ihm wollte beim besten Willen nichts einfallen, so sehr er sich auch das Hirn zermarterte. Das Rauschen der Dusche unterbrach Shinichis Grübeleien. Lauschend blieb er in der Küchentür stehen und wartete, bis das Wasser abgedreht wurde. Kurz darauf hörte er Schritte in Richtung des Gästezimmers verschwinden, in dem Hattori während seines Aufenthalts in Tokio schlief. Einen Moment lang war Shinichi versucht, nach oben zu gehen und mit seinem besten Freund zu reden, doch er entschied sich dagegen. Hattori hatte bei seiner Quasi-Flucht aus der Küche nicht den Eindruck gemacht, als stünde ihm im Augenblick der Sinn nach Konversation. Es war sicher besser, ihn erst einmal mit sich selbst ins Reine kommen zu lassen. Sollte morgen noch Klärungsbedarf bestehen, konnten sie immer noch über das reden, was auf dem Dach des Haido City Hotels geschehen oder vielleicht – Hoffentlich!, wisperte eine leise Stimme im Kopf des Tokioter Detektivs – auch nicht geschehen war. Shinichi seufzte und warf einen kurzen Blick auf die Küchenuhr, die ihm mitteilte, dass er beinahe zwei Stunden mit seinen fruchtlosen Grübeleien verschwendet hatte. Inzwischen war es schon halb drei durch und auch wenn er nicht wirklich müde war, so beschloss er, trotzdem ins Bett zu gehen. Es brachte schließlich nichts, noch länger hier unten herumzusitzen und über Fragen nachzudenken, deren Antworten ihm nur Hattori selbst oder Kaito Kid geben konnten. Aus diesem Grund löschte er das Licht in der Küche und ging durch den dunklen Flur zu seinem Zimmer. Er war hier in der Villa aufgewachsen, daher fand er sich auch im Dunkeln problemlos zurecht. ~*~ Heiji, der sich bereits ins Bett gelegt hatte, lauschte nur mit halbem Ohr auf die Geräusche, die sein bester Freund im Bad machte. Die Arme unter seinem Kopf verschränkt starrte er grübelnd an die in der Finsternis nicht wirklich erkennbare Zimmerdecke. Das Geschehen auf dem Dach des Haido City Hotels beschäftigte ihn weit mehr als ihm lieb war. Wenn es stimmte, was Kudo über die Ankündigung Kaito Kids gesagt hatte, dann war er wirklich wie der letzte Vollidiot blindlings in die Falle getappt, als er ohne Rückendeckung aufs Dach gestürmt war, um den Dieb im Alleingang zu stellen. Ganz offenbar hatte Kid seinen Dickschädel, seinen Stolz als Detektiv und sein Temperament bei dieser Aktion von Anfang an einkalkuliert. Er hatte darauf spekuliert, dass Kudo und er, Heiji, einen Wettstreit aus der ganzen Sache machen würden, anstatt gemeinsam einen Plan zur Ergreifung des Meisterdiebs 1412 zu erarbeiten. Es sah ganz so aus, als trüge Kid den Titel des Meisterdiebs wirklich zu Recht. Offenbar hatte er seine Hausaufgaben gemacht und kannte seine beiden Gegner sehr gut. Ein bisschen zu gut vielleicht sogar für Heijis Geschmack. Verdammt, wann war er denn so berechenbar geworden, dass es für diesen verflixten Dieb ein Leichtes gewesen war, ihn so in die Pfanne zu hauen? Das war jedoch, wie Heiji sich eingestehen musste, nicht das Schlimmste an der ganzen Sache. Auch dass Kudo die Zusammenhänge mal wieder vor ihm begriffen hatte, war zwar demütigend, aber in diesem speziellen Fall nicht viel mehr als ein kleiner Kratzer für sein Ego. Etwas anderes wurmte ihn weit mehr. Ihm ließ der letzte Halbsatz in Kaito Kids Ankündigung einfach keine Ruhe. Es war schon reichlich seltsam zu wissen, dass die ›Aquamarine des Westens‹ sich auf ihn bezogen haben sollten, aber der Zusatz ›falls ihr rechtmäßiger Besitzer mich nicht davon abhält‹ war es, der Heiji am Einschlafen hinderte – zusammen mit der Erinnerung an das Gefühl warmer, fremder Lippen auf seinen. War da nicht für einen Sekundenbruchteil auch eine fremde Zunge gewesen, die fragend und fast schon zärtlich über seine Lippen gestrichen war? Unwillig kniff Heiji die Augen zusammen und schüttelte den Kopf, um nicht mehr weiter darüber nachzudenken. Das war beim Verdrängen der Erinnerung jedoch auch nicht sehr hilfreich, so dass er sich schließlich mit einem frustrierten Seufzen aus der Decke frei strampelte, sich aufsetzte und sich die Haare raufte. "Schluss damit!", ermahnte er sich selbst, schwang seine Beine aus dem Bett und stand auf. Dann schlurfte er, nur mit einer Boxershorts und einem ärmellosen Shirt bekleidet, barfuß im Dunkeln in Richtung des Badezimmers, um sich ein Glas Wasser zu holen. Jedenfalls war das der eigentliche Plan, aber statt vor der Tür zum Bad fand Heiji sich keine zwei Minuten später vor der Zimmertür des Hausherrn wieder. Einen Moment lang zögerte er und wollte sich schon wieder zum Gehen wenden, aber dann sprang er doch über seinen Schatten und klopfte leise. "Kudo? Bist Du noch wach?" So genau wusste er nicht, ob es ihm lieber wäre, wenn der Andere schon schlief oder wenn er noch wach war. Vielleicht – nein, sogar höchstwahrscheinlich – war es eine dumme Idee gewesen, hierher zu kommen. Die Entscheidung darüber, ob er lieber wieder zurück ins Gästezimmer gehen, eine Runde schlafen und später noch mal wiederkommen sollte, wurde ihm jedoch abgenommen. Mit einem kaum hörbaren Quietschen wurde die Tür geöffnet und Heiji wusste nicht zu sagen, ob das unerwartete Öffnen der Tür oder der ebenso unerwartete Blick in die blauen Augen Kudos ihn zusammenzucken ließ. Innerlich verfluchte er sich für seine Reaktion, aber entweder hatte sein Gastgeber sie wirklich nicht gesehen oder er hatte einfach nur beschlossen, sie nicht zu kommentieren. Heiji war sich ziemlich sicher, dass die zweite Möglichkeit wesentlich wahrscheinlicher war, aber dennoch war er froh über das Ausbleiben eines Kommentars. Er kannte sich selbst gut genug um zu wissen, dass er nach allem, was in den vergangenen Stunden geschehen war, im Augenblick nicht unbedingt gnädig auf Spott reagieren würde. Seinen besten Freund zu verspotten war im Augenblick definitiv das Letzte, was Shinichi im Sinn hatte. "Komm rein", forderte er ihn leise auf und trat einen Schritt beiseite, um Hattori einzulassen. Er hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass sein Gast heute noch zu ihm kommen würde. Dass dieser allerdings offenbar ebensolche Probleme mit dem Einschlafen hatte wie er selbst, überraschte ihn hingegen ganz und gar nicht. Nach allem, was in dieser Nacht vorgefallen war, war es ja wohl kein Wunder, dass Hattori noch immer hellwach war und dazu noch reichlich durcheinander zu sein schien. Um das zu bemerken war nicht einmal ein Blick in sein Gesicht nötig. Dafür reichte es schon aus, nur seine im Dunkeln kaum erkennbare Silhouette zu mustern. Die ungewöhnlich zögerlichen Schritte, mit denen Hattori seiner Aufforderung folgte, seine hochgezogenen Schultern und die seltsame Stille des Detektivs aus Osaka – all das schrie förmlich, dass er selbst nicht so recht wusste, weshalb er überhaupt geklopft hatte. Allerdings schien es da etwas zu geben, das ihm keine Ruhe ließ, denn anstatt sich für die späte Störung – es war inzwischen schon deutlich nach drei Uhr morgens – zu entschuldigen und wieder ins Gästezimmer hinüberzugehen, blieb er, wo er war, und blickte sich einfach nur im stockfinsteren Zimmer seines Gastgebers um, als könnte er dort irgendwo die Antworten auf die Fragen finden, die ihn unübersehbar beschäftigten. Shinichi ahnte, was im Kopf seines besten Freundes für ein Chaos herrschen musste, aber er wusste nicht, was er sagen oder tun konnte, um Licht ins Dunkel zu bringen. Aus diesem Grund schloss er einfach nur die Tür, schwieg aber ansonsten und wartete einfach nur ab. Wenn Hattori ihm etwas zu sagen hatte, dann würde er das schon noch tun. Heiji brauchte eine ganze Weile, bis er seine wirren Gedanken zumindest so weit geordnet hatte, dass er Prioritäten setzen konnte bei den Dingen, die es zu klären galt. Dass Kudo ihn die ganze Zeit über nicht aus den Augen ließ, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen – das musste er nicht einmal sehen; er spürte die Blicke des Anderen trotz der Dunkelheit um sie herum fast schon körperlich –, machte es nicht unbedingt einfacher, aber schlussendlich rang er sich doch endlich dazu durch, das im Raum herrschende Schweigen zu brechen. "Wegen der Ankündigung ... Die Sache mit dem rechtmäßigen Besitzer ..." Heiji schluckte hart, zwang sich aber, seinen Blick nicht von dem hellen Fleck abzuwenden, der das Gesicht seines Gastgebers war. So unangenehm das hier auch sein mochte, er war kein Feigling. Er würde diese Sache jetzt klären und dann endlich ins Bett gehen. Trotz dieses tapferen Vorsatzes war es alles andere als leicht, die Erkenntnis auch wirklich über die Lippen zu bringen. Es war fast so, als sträubte sich seine Zunge dagegen, sie laut auszusprechen – einfach, weil sie dann real werden würde. Daher klang Heijis Stimme auch reichlich gepresst, als es ihm schlussendlich doch noch gelang, das in Worte zu kleiden, was ihn am meisten beschäftigte. "Kid hat Dich damit gemeint, oder, Kudo? Das war ne Herausforderung an Dich." Mit einem Mal war Heiji mehr als dankbar für die im Zimmer herrschende Dunkelheit, denn seine Wangen brannten und das musste Kudo ja nun wirklich nicht sehen. Dass es seinem Freund und Detektivkollegen aus Tokio ganz genauso ging, konnte er ja nicht ahnen. Shinichi beglückwünschte sich insgeheim dazu, das Licht in seinem Zimmer nicht angeknipst zu haben. Selbst solche Schlussfolgerungen zu ziehen war eine Sache, aber es war etwas völlig anderes, wenn diese Schlussfolgerungen ausgerechnet von der Person laut ausgesprochen wurden, um die sie sich drehten – vor allem dann, wenn die Schlussfolgerungen auch noch so ... pikant waren wie in diesem speziellen Fall. "Das ... vermute ich auch", stimmte er seinem besten Freund dennoch zu, seine Stimme leise und belegt vor Verlegenheit. Das Thema war ihm furchtbar unangenehm. Nicht einmal Ran hatte bisher irgendjemand als sein ›Eigentum‹ oder seinen ›rechtmäßigen Besitz‹ bezeichnet – abgesehen von Sonoko, die ihnen beiden immer unterstellte, sich zu verhalten wie ein altes Ehepaar. Das hier war jedoch etwas vollkommen anderes als die nicht näher definierte Beziehung zu seiner Freundin aus Kindertagen. Hattori war schließlich kein Mädchen, also wie um alles in der Welt war Kaito Kid bloß auf die Idee gekommen, den Detektiv aus Osaka in seinem Ankündigungsschreiben als seinen ›rechtmäßigen Besitz‹ zu bezeichnen? "Ich bin niemandes ›rechtmäßiger Besitz‹, Kudo!" Die zornige Stimme seines besten Freundes holte Shinichi wieder aus seinen Grübeleien über Kaito Kids Beweggründe. "Das habe ich doch auch nie behauptet. Das waren Kids Worte, nicht meine, schon vergessen?", verteidigte er sich. Dabei versuchte er verzweifelt, der plötzlichen Röte seiner Wangen Herr zu werden, aber das wollte ihm nicht so recht gelingen. "Schon", räumte Heiji ein, noch immer eher verlegen als wirklich verärgert. Allerdings war es wesentlich einfacher, so zu tun, als mache ihn die ganze Sache wütend. Besser als wenn Kudo mitbekam, wie peinlich ihm das hier war, war es jedenfalls allemal. "Aber ich warne Dich, Kudo: Wehe, Du fängst jetzt auch mit diesem Quatsch an oder verlierst auch nur ein Sterbenswörtchen darüber, was heute passiert ist. Wenn Du das tust, dann ..." "Du bist nicht der Einzige, den er ... mit dem Kid heute sein Spielchen getrieben hat", unterbrach Shinichi die Drohung seines besten Freundes, noch ehe dieser sie beenden konnte. Hattoris Zornesausbruch hatte ihm die Gelegenheit gegeben, sich zumindest ein bisschen zu fassen. Daher klang seine Stimme auch ruhig und beherrscht, obwohl es in seinem Inneren ganz anders aussah. Glücklicherweise schien sein bester Freund davon jedoch nichts zu bemerken. "Was?!", platzte es aus Heiji heraus. Kudos halbes Eingeständnis nahm ihm vollkommen den Wind aus den Segeln. Konnte das wahr sein? Hatte Kid Kudo wirklich auch erwischt und ... dasselbe mit ihm getan? Aber wann? Und vor allem warum? Wenn, wie in der Ankündigung gestanden hatte, er das Ziel des Diebes gewesen war, warum hatte dieser sich dann auch noch Kudo geschnappt? Was für eine Art von Spiel war das? Und warum in aller Welt machte ihn das Wissen, dass Kudo dasselbe passiert war wie ihm selbst, noch viel wütender? "Du hast mich schon verstanden." Shinichi wandte sich ab und strich seine Bettdecke glatt, um seinen Händen etwas zu tun zu geben. Es war zwar noch immer stockfinster, aber so sehr, wie sein Gesicht inzwischen glühte, fürchtete er, Hattori könnte doch noch etwas bemerken. "Er ... hat mir auf dem Dach ein Rätsel aufgegeben. ›Direkt und indirekt zugleich und nur ich kann es Dir geben. Was ist das?‹, hat er mich gefragt. Und danach hat er ... Du weißt schon." Himmel, konnte es eigentlich noch schlimmer werden? Es konnte, stellte Shinichi fest, denn in dem Moment, in dem er das Geschehene in Worte fasste, brandete die Erinnerung an die wenigen Sekunden, in denen Kaito Kids Lippen auf seinen gelegen hatten, wieder in sein Bewusstsein. Dadurch, dass er sich mehr mit Hattoris Erlebnis beschäftigt hatte als mit seinem eigenen, hatte er das Ganze bis eben verdrängen können. Jetzt jedoch wollte ihm das nicht mehr glücken. Jetzt, wo er es nicht nur vor sich selbst, sondern auch vor seinem besten Freund zugegeben hatte, war die Erinnerung an das Gefühl eines fremden Lippenpaars auf seinen eigenen Lippen viel zu präsent – so präsent, dass es ein paar Sekunden dauerte, bis Shinichi registrierte, dass dieses Gefühl weder Erinnerung noch Einbildung war, sondern Realität. Dieses Mal waren es jedoch keine fremden Lippen, es waren Hattoris. Und Hattori – Heiji, flüsterte eine kleine Stimme in Shinichis Hinterkopf – war nicht fremd. Ganz und gar nicht. Er kannte den Anderen, kannte dessen Lippen – wenn auch nicht auf die Weise, auf die er sie jetzt gerade kennen lernte. Heiji wusste nicht genau, was ihn dazu trieb, seinen besten Freund am Arm zu fassen, ihn zu sich umzudrehen und ihn dann einfach ebenso ungefragt zu küssen, wie Kaito Kid es offenbar auch schon getan hatte. Er dachte allerdings auch nicht wirklich darüber nach, sondern handelte einfach gemäß eines Impulses, der ihm sagte, dass er genau das jetzt einfach tun musste. Die Frage, warum ihn das Wissen, dass der freche Meisterdieb 1412 ihm zuvorgekommen war, so sehr auf die Palme brachte, stellte er sich gar nicht erst. Das war doch auch vollkommen gleichgültig. Er konnte, wollte und würde jedenfalls ganz sicher nicht hinter diesem dreisten Dieb zurückstecken. Und die Tatsache, dass Kudo – nein, nicht Kudo, Shinichi – ihn nicht wegstieß, bestärkte Heiji noch zusätzlich. Zwar hatte der Tokioter Detektiv seine Hände zwischen sie beide gebracht, aber anstatt demjenigen, der ihn so dreist überfiel, einen Schubs zu geben und sich zu befreien, krallten sich seine Finger in das ärmellose Shirt, das Heiji trug. Die darunter liegende warme Haut und der laute, unregelmäßige Herzschlag machten Shinichi schwindelig und als die Zunge seines besten Freundes fragend über seine Lippen strich, während Heijis Hände gleichzeitig fahrig über seine Seiten wanderten, gab er dem Drang in seinem Inneren nach und begann, den Kuss zu erwidern. Dabei verbannte er alle Fragen danach, warum sich das hier so richtig anfühlte und ob Kid bei Heiji wohl auch so weit gegangen war, in den hintersten Winkel seines Bewusstseins. Im Augenblick wollte er nicht denken oder die Situation analysieren, sondern wollte einfach nur fühlen. Und der Entschiedenheit nach zu urteilen, mit der Heiji seinen Griff verstärkte, ihn näher zu sich zog und den Kuss vertiefte, schien er das Gleiche zu wollen. Dass sie keinesfalls so alleine waren, wie sie sich wähnten, bemerkten die beiden jungen Detektive in ihrer Versunkenheit nicht. ~*~ Kaito, der bereits kurz nach seiner Flucht vom Haido City Hotel im Garten der Kudo-Villa gelandet war und es sich auf einem der Bäume im Garten bequem gemacht hatte, grinste zufrieden. Von seinem Beobachtungsposten aus hatte er einen perfekten Blick in das Schlafzimmer des Hausherrn und so entging ihm trotz der dort herrschenden Dunkelheit nichts von dem, was sich in diesem Raum abspielte. Zwar hatte er keine Wanzen dort angebracht und hatte so das Gespräch zwischen den beiden Detektiven leider nicht belauschen können, doch die zwei Silhouetten, die langsam aber sicher zu einer einzigen verschmolzen, sprachen eine sehr eindeutige Sprache. Damit wäre auch der letzte Teil meines Plans geglückt, freute sich der junge Meisterdieb und machte sich leise an den Abstieg von seinem Beobachtungsposten. Ungehört und ungesehen verschwand er über die Mauer des Grundstücks und schlenderte dann ohne besondere Eile zum Tor der Villa. Dort angekommen zog er die Notiz, die er vorbereitet hatte, aus der Tasche seines Jacketts und betrachtete sie mit einer Spur Wehmut. Der Coup der letzten Nacht war der letzte in seiner Laufbahn als Kaito Kid gewesen und dieses Wissen stimmte ihn ungewollt melancholisch. Der Meisterdieb 1412 hatte endgültig ausgedient. Pandora und die Schwarze Organisation waren Geschichte, der Tod seines Vaters war gerächt. Er hatte alles erreicht, was er sich vorgenommen hatte – und noch ein bisschen mehr, wenn er den Ausgang der heutigen Nacht bedachte. Noch ein letztes Mal las Kaito die Botschaft, die er den beiden Detektiven zukommen zu lassen gedachte, dann warf er die Karte in den Briefkasten und machte sich zu Fuß auf den Heimweg. Die Nacht war verdammt lang gewesen und es wurde Zeit, dass er ins Bett kam, denn Aoko würde sicher in ein paar Stunden schon auf der Matte stehen und sich bei ihm lang und breit darüber beschweren, dass Kaito Kid ihren Vater bei seinem neuesten Raubzug mal wieder hatte alt aussehen lassen – wie üblich. Kaito gähnte herzhaft und seufzte dann abgrundtief. Dafür, dass diese beiden Detektive angeblich so clever waren, waren sie im Bezug auf das wirklich Wesentliche ganz schön schwer von Begriff gewesen. Aber etwas anderes konnte man wohl nicht erwarten. Immerhin waren sie Detektive, und Detektiven mangelte es nun mal eindeutig an Fantasie. Nun ja, ab jetzt ist das nicht mehr mein Problem. Von hier an müssen sie alleine klarkommen. Aber das würden die beiden schon schaffen, dessen war sich der frischgebackene Ex-Meisterdieb absolut sicher. ~*~ ›Dieses war der letzte Streich. Nach der letzten Nacht habe ich sowohl die Aquamarine des Westens als auch die Saphire des Ostens ein für alle Mal verloren. Da ich mir jedoch sicher bin, dass diejenigen, die sie gewonnen haben, gut auf diese einzigartigen Kostbarkeiten Acht geben werden, ist es für mich Zeit, die Bühne endgültig zu verlassen. Gehabt euch wohl, meine Herren Detektive! Kaito Kid‹ Blaue Augen huschten ungläubig über die Zeilen, lasen sie noch ein zweites und ein drittes Mal, doch die Botschaft blieb unverändert. "Er ... zieht sich zurück", murmelte der Besitzer der blauen Augen, ohne den Unglauben gänzlich aus seiner Stimme verbannen zu können. "Einfach so. Er hört einfach auf." Shinichi Kudo, achtzehnjähriger Schülerdetektiv des Ostens, auch bekannt als ›der Sherlock Holmes der Neuzeit‹, konnte einfach nicht fassen, was auf der unscheinbaren weißen Karte stand, die er an diesem Morgen in seinem Briefkasten gefunden hatte. Noch immer waren die Geschehnisse des vergangenen Abends einerseits unglaublich präsent und erschienen ihm andererseits wie ein besonders surrealer Traum. Ein Blick zu seinem Gast reichte jedoch aus, um Shinichi daran zu erinnern, dass nichts von alledem nur seiner Einbildung entsprungen war. Nein, all diese Dinge – Kids vorgetäuschter Coup, der eigentliche Plan dahinter und alles Weitere, was sich im Laufe der Nacht noch zugetragen hatte – waren real. Sie waren echt – genauso echt wie die Gefühle, die er schon so lange mit sich herumgetragen hatte, ohne es überhaupt zu bemerken. Allen, auch ihm selbst, war entgangen, was mit ihm los war. Nur dieser unsäglich dreiste Dieb war aufmerksam genug gewesen zu sehen, was er nicht einmal selbst wahrgenommen hatte und was er wohl auch nie erkannt hätte, wenn besagter Dieb nicht nachgeholfen und Heiji und ihm einen Schubs in die richtige Richtung gegeben hätte. "Zeig mal her", forderte der Detektiv aus Osaka und ließ sich die Karte angeben, um sie selbst auch noch einmal zu lesen. Ein zarter Rotschimmer huschte über Shinichis Wangen, als Heijis Finger die seinen minimal streiften. Verlegen senkte er den Kopf, blickte aber dennoch aus dem Augenwinkel zu seinem Freund und so entging ihm nicht, dass auch dessen Wangen sich kaum merklich röteten. Dennoch wirkte die Hand, die für ein paar Sekunden auf seiner Hüfte verweilte, ehe Heiji sich ganz von ihm löste, um sich aufs Lesen zu konzentrieren, kein bisschen unsicher. Wäre da nicht das minimale Zittern der gebräunten Finger gewesen, Shinichi hätte nicht geglaubt, dass Heiji ebenso verunsichert war wie er. Dennoch schien die ganze neue Situation, in der sie sich befanden, dem Detektiv aus Westjapan wesentlich weniger zuzusetzen. Aber vielleicht, sinnierte Shinichi, verschwendete er im Augenblick auch einfach noch keinen Gedanken daran, was ihr verändertes Verhältnis für Auswirkungen haben könnte. Unwillkürlich schnaubte der junge Tokioter. Das sähe seinem Freund eindeutig ähnlich. Einfach nur zu handeln, ohne über die Konsequenzen nachzudenken, wäre haargenau das, was man von Heiji Hattori erwarten konnte. "Ich glaub, er meint das wirklich ernst", murmelte dieser gerade, legte die Karte wieder zurück auf den Küchentisch und lehnte sich mit der Hüfte dagegen. "Ich mein, er ist nun echt nicht der Typ, der mit so was Scherze macht. Bisher hat er immer zu seinem Wort gestanden", fuhr er fort und legte den Kopf schief, als sein Freund und Detektivkollege mit keiner Silbe auf seine Worte einging. Shinichi stand im Augenblick ganz und gar nicht der Sinn nach einer Diskussion darüber, ob der Meisterdieb 1412 seine Abschiedsbotschaft wohl ernst gemeint hatte oder nicht. So sehr er es sonst auch genoss, eine solche Unterhaltung über einen derart spannenden Fall zu führen, jetzt und hier gab es andere Dinge, die ihn weit mehr beschäftigten als Kaito Kid. "Was auch immer", erwiderte er daher nur und winkte rasch ab, ehe Heiji etwas dazu sagen konnte. "Das ist doch im Moment vollkommen irrelevant. Wir sollten ...", setzte er an, brach aber ab, als der Detektiv aus Osaka sich vom Tisch abstieß und auf ihn zukam. Mit einem Mal fühlte Shinichis Kehle sich an wie ausgetrocknet und so sehr er sich auch räusperte, er brachte einfach kein weiteres Wort mehr heraus. Obwohl Heiji noch beinahe einen Meter von ihm entfernt war, meinte er schon, die Wärme seines Körpers an seinem eigenen spüren zu können. Ganz plötzlich kribbelten seine Lippen wieder so wie in der vergangenen Nacht, als sein Freund sie nach einer kleinen Ewigkeit doch noch freigegeben hatte. "Denk nicht drüber nach." Heijis Stimme klang seltsam rau und zitterte kaum merklich, aber in seinem Blick lag die gleiche Entschlossenheit, die Shinichi auch in der letzten Nacht gespürt hatte, als der Andere ihn näher zu sich gezogen und sich geweigert hatte, ihn wieder loszulassen. Ganz offensichtlich hatte Heiji eine Entscheidung getroffen. Und ebenso offensichtlich war, wie diese Entscheidung aussah. "Jedenfalls nicht jetzt." Je näher der Andere kam, desto schwerer fiel Shinichi das Atmen. Sein Herz raste und sein Verstand suchte fieberhaft nach einem Ausweg, konnte aber keinen finden. Und ein nicht geringer Teil von ihm wollte das auch gar nicht wirklich. Dieser Teil von ihm wollte ganz genau das, was hier im Begriff war zu geschehen. Seine Knie waren butterweich und wenn nicht gleich hinter ihm der Türrahmen gewesen wäre, dann hätte er sicher Schwierigkeiten gehabt, aufrecht zu stehen. "Ich weiß, wir müssen darüber reden, aber das kann doch noch warten, oder?" Inzwischen hatte Heiji den Tokioter Detektiv erreicht. Er sah die Unsicherheit, die in den blauen Augen des Anderen flackerte, aber ihm entging nicht, dass Shinichi mit keiner Silbe protestierte. Ein Teil von ihm mochte vernünftig und rational sein wollen, aber es war offensichtlich, dass das nicht alles war, was er im Augenblick wollte. Wahrscheinlich – nein, nicht wahrscheinlich, ganz sicher – war es sogar das, was er gerade am wenigsten wollte. Nervös leckte Shinichi sich über die Lippen und versuchte, dabei nicht zu Heijis Mund zu schielen, doch das war leichter gesagt als getan. Je näher der Andere ihm kam, desto übermächtiger drängten die Erinnerungen und Empfindungen der vergangenen Nacht an die Oberfläche – so plötzlich und so heftig, bis Shinichi nichts mehr wollte als das alles noch einmal zu erleben. Er wollte Heiji wieder so nah sein, wollte seine Wärme spüren und ihn küssen, bis nichts anderes mehr wichtig zu sein schien. "Wir sollten wirklich erst ...", begann er dennoch einen leisen Widerspruch zu formulieren, brach jedoch ab, als Heiji den Abstand zwischen ihnen noch ein bisschen weiter verringerte. Kaum mehr fünf Zentimeter trennten sie jetzt noch voneinander und in dem Moment, in dem Shinichi das aufgeregte Pochen von Heijis Puls unter der gebräunten Haut seines Halses bemerkte, warf er alle seine Bedenken über Bord, schlang seine Arme um den Nacken des Anderen und zog ihn so nah zu sich, dass nicht einmal mehr ein Blatt Papier zwischen ihnen beiden Platz gefunden hätte. "Wir müssen wirklich darüber reden", murmelte er gegen die warmen Lippen, die ihm nach der vergangenen Nacht schon so ungemein vertraut waren und die er doch noch so viel besser kennen lernen wollte. Heijis Hände fanden wie von selbst ihren Weg auf seine Hüfte und Shinichis Lider begannen zu flattern. "Aber nicht jetzt. Später", beschloss er, neigte den Kopf leicht zur Seite und seufzte zufrieden auf, als Heijis Lippen endlich wieder auf seine trafen und alles mit Ausnahme von ihnen beiden zumindest für eine Weile jegliche Bedeutung verlor. ~*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)