96. In the Storm – Im Sturm
(Vorsicht, Antonio benimmt sich grenzdebil und Arthur ist kein Gentleman, was den gängigen Interpretationen der Figuren wohl in Teilen widerspricht. Eine Armada-Geschichte, weil ich zu viel "Fluch der Karibik" gesehen habe.)
96. In the Storm – Im Sturm
Der Regen peitscht auf das Deck. Ich kann kaum noch etwas sehen, weil ich die Augen nicht offen halten kann. Wahrscheinlich sieht es aus, als würde ich weinen. Dabei tue ich das nicht.
„Komm schon, Antonio!“ Arthurs Stimme ist hell. Sie schneidet durch den Wind, durch das Knarren der Takelage und das Brüllen der anderen Männer. Meiner Männer, die versuchen, das Schiff am sinken zu hindern. Seiner Männer, die sich des Sieges schon sicher sind.
„Antonio! Come out, come out, wherever you are!“
Arthur steht breitbeinig auf der Reling, klammert sich mit einer Hand an einem Tau fest und drückt sich mit der anderen den Dreispitz mit der schon durchnässten Feder auf den Kopf. Sein Mantel schlägt im Wind um seine Beine. Ich kann sein siegessicheres Grinsen auf diese Entfernung sehen. Ein Glänzen liegt in seinen Augen, das mir nicht gefällt. Er hat Blut geleckt, er wittert Beute. Ich weiß, dass Arthur ein gutes Herz hat, aber wenn er gereizt wird, kann er sehr grausam werden. Und der schlichte Anblick von warmem Blut reicht aus, um diese Grausamkeit zu wecken.
Manchmal könnte ich darüber lachen, wie ähnlich wir uns doch sind. Heute ist mir nicht zum Lachen, als ich mich in den Schutz eines Fasses kauere und hoffe, dass er mich noch nicht entdeckt hat. Er darf mich nicht sehen. Mein Schiff hat schon eine bedenkliche Schlagseite, und dazu kommt der Sturm. Lange werden wir uns nicht mehr halten können, denke ich. Die Männer sind verloren, aber ich werde mich nicht ergeben. Niemals.
„Bastard!“
Ich zucke zusammen, als ich die Stimme höre. Neben mir steckt Romano den Kopf aus einer Luke im Boden. Sein kleines Gesicht ist verheult und er müht sich ab, um auf das Deck zu klettern. Erschrocken greife ich unter seine Ärmchen und ziehe ihn neben mich.
„Romanito? Ich hatte doch gesagt, du sollst unter Deck bleiben!“
„Da ist schon alles voller Wasser, Bastard!“, faucht er mich an und vergräbt das Gesicht in meinem Kragen. Ich bin nass vom Regen, aber seine Kleider triefen förmlich vor Salzwasser. Gut, dass er es zu mir geschafft hat. Bei mir ist er sicher. Ich werde ihn beschützen. Ich werde meinen kleinen Romano vor allem beschützen.
„Antonio!“, erklingt wieder Arthurs Stimme durch den Sturm. „Kommst du bald oder muss ich dich holen?“
Ich versuche, nicht hinzuhören. Stattdessen streiche ich durch Romanos Haare, die vor Nässe an seinem Köpfchen kleben. Er klammert sich an meinem Mantel fest und schluchzt leise in meinen Kragen.
„Nicht weinen, Romanito, mi vida. Es ist doch alles gut.“
„Alles gut?“, schreit er mich an. „Von wegen alles gut! Wir ertrinken hier bald, Bastard, und da soll alles gut sein?“
„Nicht so laut!“, sage ich erschrocken und drücke ihn an mich. Arthur sollte uns nicht hören.
„Wo steckst du?“, höre ich seine Stimme, jetzt von etwas weiter weg. „Wenn du dich ergibst, verspreche ich dir, dass ich dich anständig behandeln werde!“
Ich schnaube nur leise. Anstand liegt im Auge des Betrachters. Romanito schnieft immer noch auf meinem Schoß vor sich hin. Ich streiche über seinen Kopf und liebe ihn so sehr. Es ist wirklich verrückt: Ich sitze im strömenden Regen auf einem sinkenden Schiff, und alles, woran ich denken kann, ist, wie sehr ich dieses verzogene Balg auf meinem Schoß liebe. Ich werde niemals zulassen, dass Romanito Arthur in die Hände fällt oder dass ihm sonst irgendetwas passiert. Niemals.
Ein lautes Krachen erklingt von weiter weg, wie ein Splittern von Holz. Das Schiff neigt sich plötzlich noch ein gutes Stück weiter zur Seite. Beinahe verlieren wir den Halt und rutschen über das Deck, Romanito und ich. Im letzten Moment kann ich nach einem Tau greifen, das an der Reling befestigt ist. Romano gibt einen erschrockenen Laut von sich und klammert sich an meinen Mantel. Das Deck neigt sich immer weiter, stelle ich verbissen fest. Das Schiff muss bald auf der Seite liegen.
„Komm endlich raus, Antonio!“, ruft Arthur von seinem Schiff aus. Er klingt ungeduldig. „Komm schon!“
Ich muss mich zeigen, es gibt keine andere Möglichkeit mehr. Das Deck neigt sich immer weiter und wird bald senkrecht stehen. Zum Glück sind Romano und ich an der oberen Seite, die untere hängt schon im Wasser. Unter einiger Anstrengung stemme ich die Füße gegen die hölzernen Planken, das Tau fest um den einen Arm geschlungen, während ich mit dem anderen Romano an mich drücke. Es dauert einige Zeit und kostet einige Kraft, aber ich schaffe es, uns beide auf die Reling zu hieven. Nach einigen bangen Momenten sitze ich halbwegs sicher oben, Romano an mich gedrückt. Der Wind lässt uns beide in unseren nassen Kleidern zittern.
„Ich wusste nicht, dass du noch jemanden bei dir hast, Antonio.“
Arthur steht nur ein paar Meter weiter auf seinem Schiff, die Arme verschränkt. Er sieht überrascht aus, aber nach einer Weile legt sich ein Grinsen auf sein Gesicht. „Du kannst herüber kommen“, sagt er. „Dann passiert dir und dem Kleinen nichts.“
Zitternd sehe ich hinunter zu Romano, der sich die Ohren zu hält. „Hab keine Angst“, flüstere ich, obwohl er mich wahrscheinlich nicht hört. „Es wird alles gut.“
„Also?“, fragt Arthur. „Ergibst du dich?“
Ich werde nicht zulassen, dass er oder irgendetwas meinem Romanito ein Haar krümmt. Solange Romano bei mir ist, ist er sicher. Das Wasser unter uns wirft hohe Wellen und schäumt um den Schiffsbug.
Arthur klingt schon beinahe resignierend. „Wenn du den Kleinen retten willst, komm her. Ich weiß, dass du ein guter Schwimmer bist, aber mit dem Kleinen hast du keine Chance.“
Ich hebe den Kopf und lächle Arthur an. Er runzelt leicht irritiert die Stirn. Romano auf meinem Schoß zieht die Nase hoch und klammert sich an mir fest. Wahrscheinlich hat Arthur Recht mit dem, was er sagt, dass ich mit Romano keine Chance habe, zu schwimmen. Romano ist wasserscheu, er hat nie schwimmen gelernt. Ich muss das tun, was am Besten für ihn ist, denke ich. Egal, was mein Stolz dazu sagt. Es ist alles egal, wenn nur meinem kleinen Romano nichts passiert.
Schwankend stehe ich auf. Das Holz ist nass und glitschig unter meinen Stiefeln. Arthur zieht die Augenbrauen hoch. „Na endlich. Kommst du zur Vernunft?“
Romanito beschützen. Ich muss meinen Romanito beschützen.
„Ja“, antworte ich und höre mein Lachen über das Heulen des Sturms. „Ich komme zur Vernunft.“
Damit drücke ich Romanos Kopf fest an meine Brust und springe.
(Und schon wieder springt einer. Uuups.
Inspiriert, wie gesagt, von diesen großartigen Fluch-der-Karibik-Segelschiff-im-Sturm-Szenen. Mir persönlich gefällt das "Come out, come out, wherever you are!" ausgezeichnet. Zu diesem Kapitel wird es wahrscheinlich noch einen zweiten Teil geben, aber an dem beiße ich mir gerade die Zähne aus, das kann also dauern.)