deine blauen augen von abgemeldet (Deutsche Geschichte - Preußen & Deutschland) ================================================================================ Kapitel 1: verloren ------------------- verloren Zuerst kann er Francis Blick nicht deuten. Die sonst so klaren blauen Augen, die nur der Wein manchmal trübt, starren in die seinen und er weiß nicht, was darin liegt. Bis vor kurzem war es Hass, Trauer über die zerbrochene Freundschaft – aber sie sind eben Nationen und keine Freunde – jetzt ist diese Schärfe verloren, aber nicht durch Ruhe ersetzt. Und dann spürt er es wie eiskaltes Wasser, stechend und schmerzend. Er ist ränderlos. Er ist grenzenlos. Sein Land, sein Königreich, breitet sich aus und er spürt Landschaften, die er nicht spüren sollte, sein Bewusstsein schwappt über Städte, die nicht die seinen sind und plötzlich kann er Francis Blick verstehen, muss die Worte nicht hören, die die Lippen des Franzosen verlassen, denn er weiß es und als er zu Österreich schaut, sieht er, dass er es auch weiß. Sein Bewusstsein schwimmt über das ganze Heilige Römische Reich hinweg – nur ist es das jetzt nicht mehr. Es ist Brachland. Es ist nichts. Es ist namenloses, herrenloses Land. Er ballt die Hände wütend zu Fäusten. Wenn Roderichs Hände nicht wären, die sanft, aber fest auf seiner Schulter liegen, würde er toben, schreien, kratzen, beißen. Schon allein Francis Anblick bringt ihn zum Rasen, das reuevolle Gesicht mit den dunklen blauen Augen, die dieser Abschaum von Nation nicht haben sollte, blaue Augen bedeuten Reinheit und dieser Kindermörder ist alles andere als rein. Er sieht verächtlich zu Sachsen und Bayern, zu Würtemberg und Baden, die beide stolz ihren neuen Titel herumtragen. Was ihn aber noch wütender macht, ist der Kaiser, Franz II., ein geschlagener Mann, der langsam die Krone von seinem Haupt nimmt und schwach die Worte flüstert, die den Tod eines ganzen Kaiserreichs bedeuten, das nie die Chance hatte, zu erfahren, was Größe wirklich bedeutet. Er weiß, wenn Franz stirbt, dann wird er auch als geschlagener Kaiser ein Grabmahl bekommen, dass prunkvoll sein wird- aber der Körper des Kindes wird auf dem Schlachtfeld bleiben, Blut in den einst golden schimmernden Haaren, dunkelblaue, unschuldige Augen werden für immer geschlossen sein – oder werden sie offen stehen, angstvoll dem Tode entgegenblickend? Gilbert kann diesen Gedanken nicht länger ausstehen und er schiebt entschlossen Roderichs Hand von seiner Schulter, flieht aus der dunklen Kirche, der Klang seiner Stiefel hallt dröhnend in der hohen Kuppel wider. Er wird ihn finden. Und begraben. So wie es einem Menschen gebührt. Denn ganz zum Schluss ist er genau das gewesen – ein unschuldiges, verwirrtes Menschenkind. Die Ebene erstreckt sich weit vor ihm. Durch ein Schlachtfeld zu gehen, macht ihm sonst nichts aus. Aber jetzt zuckt er bei jedem knackenden Geräusch zusammen, jede Blutlache, in die er tritt, lässt ihn scharf Luft holen. Er sucht, stundenlang, bis tief in die Nacht hinein. Dann sieht er einen hellen Blondschopf keine zehn Meter entfernt. Hastig stolpert er zu dem hellen Fleck inmitten der Dunkelheit- aber er wird enttäuscht, denn es ist nur irgendein Soldat – irgendein Soldat hallt es in seinem Kopf wieder, hatte er Familie, Kinder? – aber der kleine Junge bleibt verschwunden. Nach einer Woche gibt er die Hoffnung auf. Notes: Während Napoleons Machtergreifung, erfolgte im HRR (das ein Fleckenteppich aus Herrschaften mit ihren eigenen Regeln war) die napoleonische Flurbereinigung. Das geschah durch Säkularisierung der geistlichen Herrschaften und Mediatisierung der Reichsstädte, -dörfer und kleineren Fürstentümer. Sie wurden aufgelöst und den größeren Staaten zugeschlagen. Weiterhin stellten sich andere Herrschaften auf Napoleons Seite, u. a. Baden / Würtemberg, die Napoleon zum Großherzogtum / Königreich erhob. 1806 waren 16 Staaten im Rheinbund zusammengeschlossen, daraufhin legte der Kaiser die Krone nieder und HRR zerfiel. Bis 1812 schlossen sich alle deutschen Staaten bis auf Preußen und Österreich an. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)