Without a god without a guide von Verath ================================================================================ Prolog: Transformation ---------------------- Prolog: Transformation “Also, bis nach den Ferien, Jay!”, rief Larc winkend, als er und Raven, der nur kurz die Hand hob, sich auf den Rückweg in die Stadt machten. Er war nicht unhöflich oder so, sondern einfach kein Mann großer Worte. Der Blauäugige winkte den beiden nach, bis sie fast vollständig hinter den Bäumen verschwunden waren. Sie waren nun drei Tage hier draußen auf dieser kleinen Lichtung gewesen und hatten gecampt. Und wie immer gingen Jaydens Freunde schon früher zurück als er selbst. Doch nun würden sie sich die ganzen restlichen Sommerferien nicht sehen, weil Raven und Larc bei einem Tennisturnier mitmachten und davor noch sehr viel üben mussten. Für das Training fuhren sie schon einige Wochen früher in die kleine Stadt, in der das Turnier stattfinden würde. Dort soll es tolle Trainingsplätze geben, hatte Larc gesagt. Aber weil sie – wie in allen Ferien – mit Jayden campen wollten, hatten sie es so organisiert, dass sie die ersten drei Ferientage noch Zeit dafür hatten und dann noch am selben Tag losfahren würden. Der Schwarzhaarige ging zurück zu der Lagerfeuerstelle vor seinem Zelt und ließ sich ins Gras fallen. Es war schon früher Nachmittag und doch waren die drei erst einige Stunden wach. Am Tag zuvor hatten sie einfach nicht ins Bett gewollt und waren noch lange ums Feuer gesessen und hatten über Gott und die Welt geredet. Jayden war noch immer etwas müde, weshalb er ein Gähnen nicht unterdrücken konnte. Dann ließ er seinen Blick etwas schweifen. Das Lagerfeuer war irgendwann ausgegangen gewesen, vom Holz war nur noch Asche übrig. Sein Zelt stand nun alleine auf der kleinen Lichtung umrandet von großen, hochgewachsenen Bäumen und die Sonne schien leicht durch ihr Blätterdach hindurch und zeichnete viele kleine Lichtpunkte auf den feuchten Waldboden. Die Vögel sangen von den Ästen der Bäume herab ihr Lied und sprangen vom einem zum anderen. Ein sehr idyllischer Ort, den die drei Freunde jedes Mal, wenn sie campten, einfach nur perfekt dafür fanden. Vor allem waren sie von hier aus kilometerweit von der nächsten Hauptstraße, geschweige denn der nächsten Stadt, entfernt. Es war immer eine wunderbare Abwechslung zu dem Leben in einer Stadt. Dort hörte man morgens statt Vogelgezwitscher den allmorgendlichen Verkehrslärm und die Luft war voll mit Abgasen. Nicht, dass Jay die Stadt nicht mochte. Er fühlte sich in ihr wohl und liebte es, dass es an jeder Ecke ein Geschäft gab und er sogar noch abends einfach schnell zum Supermarkt laufen konnte, wenn er etwas wollte, doch war dieser ruhige Ort einfach wunderbar, um dem täglichen Leben zu entkommen, da es das genaue Gegenteil dazu war. Ein Weilchen blieb er einfach noch so sitzen, doch dann stand er auf, holte sich einen Apfel aus seinem Rucksack und machte sich auf den Weg in den Wald – Brennholz suchen. Der restliche Tag verging schnell, doch irgendwie war Jayden etwas unzufrieden. Er hatte nicht die sonstige Ruhe. Außerdem hatte er ständig das Gefühl, beobachtet zu werden. Er hatte es schon vor zwei Tagen gemerkt, doch da war es schnell wieder vergessen, da seine beiden Freunde ihn leicht abzulenken vermochten. Aber nun, da er alleine war, hatte dieses Gefühl etwas Bedrohliches an sich und es wollte auch nicht vergehen. Der Schwarzhaarige entschied sich schließlich, als er das Lagerfeuer anzündete, da es langsam dunkler wurde, dass er schon am nächsten Tag wieder nach Hause gehen würde. Immerhin war dort sein Zwillingsbruder, mit dem er auch Spaß haben konnte. Denn wider allen Erwartungen verstanden sich die beiden recht gut. Zwar gab es hin und wieder leichte Zankereien, doch waren diese nie wirklich schlimm und arteten nicht aus. Das Feuer fraß sich erst durch das Moos, dann langsam durch die ersten Zweige. Nachdem das Moos nur noch Asche war, widmete es sich den Ästen. Einige Momente sah der junge Mann dem Feuer bei seinem Treiben noch zu, dann holte er zwei in Alu-Papier gewickelte Kartoffeln aus seinem Zelt und legte sie dazu. Er machte es sich wieder auf dem Boden bequem und wartete, bis sein Abendessen fertig war. Doch er sollte nicht dazu kommen, denn plötzlich nahm er aus dem Augenwinkel eine Bewegung wahr. Ruckartig drehte er den Kopf und sah eine Person, die am Waldrand stand, sich dann langsam in Bewegung setzte und auf ihn zukam. Er stand aus einem Instinkt heraus auf und musterte den Mann. Er war nicht älter als 30 und hatte dunkle Haare. Er war größer als Jay. Rein nach dem betrachtet schien er ganz normal, doch was einem sofort auffiel waren seine sehr blasse Haut und das stechende Grün seiner Augen. „Wer sind Sie?“, wollte der Jüngere von dem Fremden wissen. Doch dieser schenkte ihm nur ein leichtes Lächeln. „Ich habe lange gewartet, dass ich dich endlich einmal alleine antreffe. Diese beiden Jungs kleben ja richtig an dir.“ Die Stimme seines Gegenübers hatte einen merkwürdigen Klang. Sie war melodisch und hatte beinahe etwas Beruhigendes. Doch beruhigt war Jayden durch dessen Aussage sicherlich nicht. Er wich einige Schritte zurück und ließ den Mann nicht aus den Augen. Was sollte das heißen, diese beiden Jungs würden an ihm kleben? Meinte er damit etwa Larc und Raven? Natürlich, wen auch sonst. Aber wieso? Hatte ihn sein Gefühl doch nicht getrügt und er war wirklich beobachtet worden? Weshalb sollte ein Fremder das tun? Viele solche Fragen schossen durch seinen Kopf, doch er war sich sicher, dass der Kerl ihm das wohl kaum sagen würde. „Was wollen Sie?“, kam es von Jayden. Der Mann lachte und kam weiter auf ihn zu. „Was ich von dir will? Nicht viel, und dafür gebe ich dir auch etwas.“ Für den Schwarzhaarigen sprach er in Rätseln. Er wollte nicht viel und gab ihm dafür etwas? Ein Tausch also? Jedoch konnte er nicht mehr nachfragen, denn der Mann stand plötzlich direkt vor ihm und beugte sich zu ihm hinunter. Er hatte nicht einmal mehr die Zeit, zurückzuzucken, da spürte er einen ziehenden Schmerz an seinem Hals. Er keuchte erschrocken auf und legte seine Hände auf die Schultern des Fremden um ihn von sich zu schubsen. Aber dieser war einfach zu stark. Diese Stärke hätte Jay ihm gar nicht zugetraut. Er merkte wie die Schmerzen mehr wurden und hörte kurz darauf auch schon ein Geräusch. War es ein Saugen?! Er versuchte sich kräftiger gegen den Mann zu wehren, doch es schien diesen gar nicht zu interessieren. Er merkte, wie ihm schwindlig wurde und die Ränder seines Blickfeldes anfingen zu flackern. Seine Knie wurden weich und er sank fast in Zeitlupe zu Boden. Der ‚Angreifer‘ stand währenddessen wieder in voller Größe vor ihm, doch der Anblick, der dieser ihm bot, war erschreckend. Die Augen, die vorher noch von so starkem Grün waren, hatten nun die Farbe der Nacht. Ebenso schwarze Tränen flossen über die Wangen des Mannes, aber das Schlimmste war das Blut, das vom Mund bis zum Kinn lief und von dort hinunter tropfte. Das war das Letzte, dass Jayden sah, bevor er in die dunkle Umarmung der Ohnmacht glitt. „Jayden.“ Wer war das? Wer rief da seinen Namen? Der Schwarzhaarige öffnete seine Augen und sah sich um, doch um ihn herum war nichts als Dunkelheit. Er versuchte sich aufzurichten, was ihm nach einigen Versuchen auch gelang, aber er fühlte sich irgendwie merkwürdig. "Jayden." Wieder diese Stimme. Sie war tief und auf seltsame Weise beruhigend. Er versuchte sie zu orten, doch sie schien aus allen Richtungen zu kommen. Er war in einem unendlich wirkenden Raum. Man konnte weder sehen, wo er anfing, noch, wo er endete. Kein Licht. Nichts. Ja, so war es. Es gab rein Garnichts. Nur die Dunkelheit selbst. Erneut blickte er um sich. Wie war er an diesen Ort, der so irreal wirkte, gekommen? Er versuchte sich zu erinnern. Er war doch auf der Lichtung gewesen und hatte am Lagerfeuer gesessen. Dann war dieser Fremde aus dem Wald gekommen. Das Gesicht des Mannes kam wieder in sein Bewusstsein. Verstand es nicht. Er presste sich seine Hände an die Schläfen und versuchte angestrengt nicht mehr an diesen Anblick zu denken. Die pechschwarzen Augen, die ebenso schwarzen Tränen und das Blut. Es wollte einfach nicht aus seinem Kopf gehen. „Jayden.“ Er hielt schlagartig in seinen Bewegungen inne. Als er die Augen wie durch einen Reflex öffnete und nach vorne sah, erkannte er ein Licht. Es war ein ganzes Stück von ihm entfernt und doch schien es so nah. In das Licht trat eine Person. Er konnte aber nichts Genaueres außer deren Silhouette ausmachen. Anscheinend hatte die Person, die dort erschienen war, einen Mantel an. Sie kam langsam auf ihn zu. Doch durch das spärliche Licht konnte er leider nicht viel mehr erkennen. Die Person war etwas größer als er selbst. Er wusste nicht wieso, aber er fühlte sich wohl, als sie näher kam und war beruhigt. Es schien ihm so, als ob alles wieder in Ordnung kommen würde. Als sein Gegenüber dann nur noch einen Schritt von ihm entfernt war, blieb er stehen und streckte seine Hand nach dem Schwarzhaarigen aus. „Jayden. Du brauchst keine Angst zu haben. Alles ist gut. Nun, da du bei mir bist, werde ich dich begleiten und dich führen.“ Wieder diese Stimme. Er war sich ziemlich sicher, dass sein Gegenüber ein Mann war, da seine Stimme sich nicht weiblich anhörte. Sie war zu tief und rau, um einer Frau zu gehören. Der Mann legte seine Hand langsam und bedacht auf seine Wange. Er fühlte sich wohl. Er wollte nicht fort von hier. Nie mehr. Doch kaum, dass die Hand des Fremden seine Haut berührt hatte, zuckte er auch schon zurück. Der Blauäugige wusste nicht, was los war und sah ihn nur fragend an. Dieser schenkte ihm einen entgeisterten und zornigen Blick und rief: „Ein Kainskind! Geh! Dir ist der Ort der ewigen Ruhe auf ewig verwehrt!“ Erschrocken weiteten sich die Augen des Schwarzhaarigen mit jedem Wort mehr. Was war er? Ein Kainskind? Was war das? Doch bevor er auch nur den Mund öffnen hätte können um den Mann genau das zu fragen, wurde erneut alles schwarz um ihn und er hatte das Gefühl, tief zu fallen. Unendlich tief. t.b.c Kapitel 1: Awakening -------------------- So meine Lieben, nun geht es auch gleich weiter mit Without a god without a guide. Ich wünsche euch viel Spaß und bedanke mich für die netten Kommentare :) @ : Keine Sorge, ich habe nicht vor, so schnell wieder von dieser Story zu lassen ^.~ __________________________________________________________________________ Kapitel 1: Awakening Seine Sinne waren vernebelt. Er spürte einen schrecklichen Schmerz. Doch konnte er ihn nicht einordnen. Es fühlte sich irgendwie so an, als ob sein Körper zerfiel, wenn er es hätte beschreiben müssen. Ein erstickter Schmerzensschrei kam ihm über die Lippen. Seine Hände umfassten seine Brust, wo das Gefühl am schlimmsten war. Verzweiflung machte sich in ihm breit. Egal was er tat, diese Qualen wurden einfach nicht weniger. Mit aller Kraft versuchte er gegen sie anzukommen, doch wie sollte man gegen etwas gewinnen, das von einem selbst ausging? Tränen des Schmerzes und der Verzweiflung füllten seine Augen und liefen kurz darauf über seine Wangen hinab. Er würde wohl wahnsinnig werden, wenn es nicht bald aufhören würde. Die Schmerzen waren schrecklich und hinderten Jayden daran, einen klaren Gedanken zu fassen. Alles an das er denken konnte, waren diese Qualen. Er krümmte sich am Boden zusammen – zumindest vermutete er, dass es ein Boden war, auf dem er lag. Plötzlich war das Gefühl zu zerfallen wie weggeblasen. Zuerst traute Jayden dem Frieden nicht ganz, machte sich mental darauf gefasst, die Qualen erneut zu spüren. Seine Muskeln waren bis zum Zerbersten angespannt und er konnte nicht atmen. Doch als die Schmerzen auch nach einigen Minuten noch ausblieben, schöpfte er Hoffnung, dass sie nicht wieder kommen würden. Er öffnete die Augen und blinzelte. Der Himmel, den er erblickte, war schwarz und einige dunkle Wolken zogen an ihm vorbei. Die Umrisse der Wolken konnte er jedoch so genau erkennen wie noch nie. Jede noch so kleine Welle in ihrem Aussehen entdeckte er. Kein Farbwechsel in ihnen blieb unbemerkt. Er sah etwas weiter und entdeckte den Mond. Kurz musste er seine Augen schließen, da ihn das Licht, dass von ihn ausging, blendete. Doch schnell konnte er ihn sich wieder besehen. Es war so anders ihn anzuschauen. Nicht wie früher. Es war zunehmender Mond und er war schon zur guten Hälfte zu sehen. Nun konnte er sogar die kleinen Krater auf der Oberfläche erkennen. Auch das Spiel aus Licht und Schatten war ihm nun nicht mehr verborgen. Ein Lächeln schlich sich auf seine Züge. Es war einfach wunderschön. Dann merkte er, wie immer mehr Laute und Geräusche auf ihn niederbrachen. Sein Gesicht verzog sich schmerzverzehrt und er hielt sich seine Hände mit aller Kraft an die Ohren. Jedes noch so weit entfernte Geräusch war auf einmal so schrecklich laut. So unerträglich. Er konnte Verkehrslärm hören, obwohl er wusste, dass er – falls er sich noch immer auf der Lichtung befand – kilometerweit von der nächsten Hauptstraße entfernt war. Er hörte den Wind, wie er durch die Baumkronen blies und die Blätter rascheln ließ. Die Eulen von Nah und Fern konnte er vernehmen, Rascheln aus dem Wald und Tiere, die sich darin bewegten. Er glaubte sogar zu hören, wie diese atmeten und es tat weh. So laut wie ein Flugzeug beim Start dröhnten ihm die wohl kilometerweit entfernten Laute in den Ohren. Seine Hände, die er auf sie presste, waren nutzlos. Er biss sich auf die Unterlippe um nicht noch einmal aufzuschreien. Woher kamen diese Schmerzen alle so plötzlich? Erst das Gefühl zu zerfallen und dann dieser unnatürlich laute Lärm. Er konnte es sich nicht erklären. Was war nur passiert? Oder besser: Was passierte gerade in diesem Moment? Sein Kopf fing an weh zu tun, verursacht durch all diese Geräusche. Was sollte er nur dagegen tun? Würde der Schmerz wie vorher einfach nach einer Weile verschwinden? Oder nicht? Sein Körper verkrampfte sich erneut und er drehte sich einige Male von einer Seite auf die andere. Dann wurde er durch ein interessantes Geräusch aus seinen Gedanken gerissen. Irgendwo in der Nähe hörte er ein Klopfen. Er konnte es im ersten Moment nicht einordnen, jedoch erklang es immer wieder. Ein lauter Schlag, dann ein leiserer, dann eine minimale Pause und wieder ein lauter Schlag und ein leiserer. Doch nach einer Weile, in der er nur diesem einen Geräusch gelauscht hatte, erkannte er es als den Herzschlag eines Lebewesens. Sogar das hörte er nun! Das war doch nicht mehr normal. Kurz darauf fiel ihm auf, dass die anderen Laute wieder in einer erträglichen Lautstärke zu hören waren und seine Ohren aufhörten zu schmerzen. Anscheinend hatte er sich nur auf etwas konzentrieren müssen. Aber schon folgte der nächste Sinn. Er konnte plötzlich so viele verschiedene Gerüche wahrnehmen. Gierig zog er die Luft in seine Lungen. Er roch das Gras, den Wald und die Blumen, doch auch die Abgase der Autos und ganz leicht den Gestank nach Alkohol. Aber das berauschendste Aroma nahm er in Richtung Wald, als auch bei den Städten wahr, obwohl er es nicht so wie die anderen direkt benennen konnte. Doch vermischte sich dieser Duft im Wald mit den Gerüchen der Bäume und Tannen. Er war unbeschreiblich. Viele einzelne Nuancen waren zu erkennen und jede roch ganz anders. Es hatte eine fast schon berauschende Wirkung auf Jayden. Und ein seltsamer Drang in ihm erwachte. Aus einem ihm unerfindlichen Grund, wollte er zu der Quelle dieses Aromas. Er stützte sich mit seinen Händen vom Boden ab und kam langsam auf die Beine. Das Gras strich über seine nackten Arme als er sich erhob. Erneut sah er sich um. Dieser Sinn war definitiv der angenehmste, da er nicht mit Schmerzen verbunden war. Alles, was er sah, war so unglaublich scharf. Er konnte ohne Probleme die Maserung der Baumrinden erkennen, obwohl diese mindestens 200 Meter von ihm entfernt waren und es war Nacht. Auch erkannte er den Rest seiner Umgebung mit Leichtigkeit. Zwar waren die Farben alle samt dunkler als er sie gewöhnt war, doch kam er zu Recht. Mit etwas unsicheren Schritten ging er auf den Wald zu, wo er diesen herrlichen Geruch, vermischt mit dem Aroma von Bäumen und Blumen, wahrnahm. Lautlos schlich er mit leicht gebückter Haltung zum Waldrand und dann durch das Unterholz. Sich rein auf seine Nase und seine Ohren verlassend näherte er sich nach einiger Zeit einer kleineren Lichtung. Auf dieser stand ein Reh und äste. Es schien ihn noch nicht bemerkt zu haben und fraß munter weiter. Als Jayden das Tier nun auch noch sah, schaltete sich sein Verstand vollends aus. Es war, als ob er alles aus reinem Instinkt tat. Es kam ihm so vor, als ob er einen Film ansehen würde, in dessen Handlung er nicht eingreifen konnte. Leise schlich er bis zum Waldrand, sodass das Tier mit dem Rücken zu ihm stand. Dann pirschte er sich von hinten an das Reh. Ganz langsam. Völlig lautlos. Er leckte sich unbewusst über die Lippen. Sein Mund war ganz trocken und er spürte ein merkwürdiges Ziehen in seinem Hals. Er stand nun direkt hinter seinem Opfer. Dann, plötzlich kam ein starker Windhauch und ließ seine Haare in die Richtung des Tieres wehen. Dieses drehte den Kopf augenblicklich zu dem Schwarzhaarigen um und man konnte sehen, dass es kurz davor war, wegzulaufen. Nur hatte es dafür keine Zeit mehr. Ein tiefes Knurren kam über Jaydens Lippen und schon sprang er auf das Reh zu. Mit den Zähnen biss er ihm gezielt in den Hals. Dort, wo der Geruch am stärksten war. Sie durchbohrten die Haut. Das Tier fiel zu Boden und mit ihm auch der Blauäugige. Er roch den atemberaubenden Duft stärker und das stachelte ihn nur noch mehr an. Auf seiner Zunge schmeckte er das Blut des Tieres und schluckte es gierig. Immer wieder lief es in seinen Mund und er trank. Nebenbei nahm er wahr, dass das Reh einen kläglichen Laut von sich gab und noch leicht strampelte, doch dauerte es nicht sehr lange und seine Versuche, sich zu befreien, wurden weniger und bald hörte es ganz damit auf. Einige Momente später spürte der Schwarzhaarige, dass das Blut an Wärme verlor und sich das Tier unter ihm überhaupt nicht mehr bewegte. Auch das Schlagen des Herzens war verstummt. Er ließ von ihm ab und leckte sich erneut über die Lippen. Dann betrachtete er den Waldbewohner. Man sah kein Blut. Es lag einfach starr und stumm da und auch der Geruch, dieser berauschende Duft, war verflogen. Der Schwarzhaarige erhob sich und war nun wieder in Besitz seines Verstandes. Das Ziehen in seinem Hals war verschwunden. Langsam ging er zurück zu seinem Zelt. Er brauchte nun erst mal etwas Zeit, um das alles zu verarbeiten. Dort angekommen, setzte er sich auf einen umgeworfenen Baumstamm, der ihm und seinen beiden Freunden als Sitzplatz gedient hatte. Er stemmte seine Füße am Rand davon ab und stützte darauf seine Arme. Seinen Kopf stützte er wiederrum auf seine Hände. Wie viel Zeit wohl vergangen war? Wie lange war es her, dass er von diesem Fremden überrascht wurde? Ihm kam es vor, als ob es erst vor wenigen Momenten geschehen war. Und wer oder was war dieser Mann? Dann kam auch noch dieser merkwürdige Raum und der Mann, der ihn als ‚Kainskind‘ bezeichnet hatte. Nur, was war ein ‚Kainskind‘? Und nun auch noch dieser Drang, den er verspürt hatte. Dieser Drang nach Blut. Als er das alles so aufzählte, machte es plötzlich ‚Klick‘. Natürlich! Nun ergab alles einen Sinn. Doch konnte das wirklich sein? War es wirklich möglich, dass er so etwas geworden war? Unsicher und aufgewühlt strich er sich mit seiner Hand durch die Haare. Aber es würde so vieles passen. Dieser Fremde am Abend hatte so blasse Haut und hatte sich so unglaublich schnell bewegen können. Auch war ihm doch sofort aufgefallen, dass etwas Übermenschliches diesen Mann umgab. Und dann die schwarzen Augen und das Blut. Er hatte ihn gebissen. Reflexartig fasste er sich an den Hals. Doch spürte er keine Wunde. Konnte eine Verletzung so schnell heilen? Aber was war dann mit dem Mann in diesem schwarzen Nichts? Er hatte ihn doch erst so herzlich angesprochen und ihm gesagt, er solle keine Angst haben, dass er ihn begleiten und führen würde. Außerdem hatte er seinen Namen gekannt. Und dann hatte er seine Hand sofort wieder zurückgezogen, kurz nachdem er ihn berührt hatte und hatte etwas davon gesagt, dass er ein ‚Kainskind‘ sei und ihm der Ort der ewigen Ruhe für immer verwehrt war. Der Ort der ewigen Ruhe. Das war doch das sogenannte ‚Paradies‘, in das man kam, wenn man starb. Hieß das, wenn ihm der Ort der ewigen Ruhe für immer verwehrt war, konnte er niemals sterben? Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. Natürlich war ein ewiges Leben sicherlich schön, aber würde es ihn nicht irgendwann langweilen? Schließlich hätte er doch sicher irgendwann alles dieser Welt gesehen. Oder? Außerdem würden alle, die er mochte vor ihm sterben. Das Gesicht seines Zwillingsbruders kam ihm in den Sinn, sowie die seines Vaters und seiner besten Freunde, Larc und Raven. Er wollte nicht, dass sie alle vor ihm starben. Und konnte er nun überhaupt zu ihnen zurück? So wie er nun war? Eine Weile saß der Schwarzhaarige stumm auf dem Baumstamm und sah einfach gerade aus, ohne wirklich etwas zu sehen. Dann seufzte er. Zu seiner Theorie gehörte auch sein Erwachen. Er erinnerte sich noch genau an die schrecklichen Schmerzen, die er nur wenige Zeit zuvor erleiden hatte müssen. Zwar war er weder ein Vampir-Fanatiker noch von Werwölfen und anderen Mythen, doch hatte er in dem einen oder anderen Film gehört, dass die Verwandlung eines Menschen in einen … Vampir – er hatte Probleme, das Wort zu denken und sich somit selbst als eben jenes Wesen zu bezeichnen – sehr schmerzhaft sein konnte. Und das war es für ihn ja auch gewesen. Als er an die Qualen zurückdenken musste, zog sich etwas in ihm zusammen und ein leichter Schauer lief ihm den Rücken entlang hinunter. Auch, dass er nun viel besser hörte, sah und roch, war nur ein weiteres Anzeichen dafür, dass er kein Mensch mehr war. Und dann zum krönenden Abschluss war da natürlich noch die Sache mit dem Reh. Er hatte es getötet und ihm sein Blut ausgesaugt. Und jeder Idiot wusste, dass Vampire sich vom Blut anderer ernährten. Eine Weile dachte er noch darüber nach, dann seufzte er erneut. Also war er nun ein Vampir. Ein sarkastisches Lächeln schlich sich auf sein Gesicht. Er hatte früher noch nicht einmal daran geglaubt, dass es solche Wesen überhaupt gab und nun war er selbst zu so einem geworden. Langsam spähten die ersten Strahlen der Morgensonne über die Berge. Sie tauchten das Land in warme Farben und erweckten die Welt. Die ersten Vögel begannen zu singen und flogen von Ast zu Ast; in ihr Lied stimmten immer mehr ein und bald war es ein ganzer Chor. Das Gras wiegte sacht im Wind und begann an den Stellen, die die Sonne erreichte, in einem satten hellen Grün zu leuchten. Anfangs war der Schwarzhaarige zu sehr in seinen Gedanken vertieft, um die Sonne zu bemerken. Als sie jedoch immer weiter stieg und alles um ihn heller wurde, sah er auf. Ruckartig hielt er sich seine Hand vors Gesicht und fauchte unbewusst. Die Sonnenstrahlen stachen ihn schlimmer in die Augen als die Fernlichter eines fremden Autos in der dunkelsten Nacht. Es war grausam. Er war wie geblendet und wollte nur noch vom Licht fliehen. Er fiel vor Schreck rückwärts vom Baumstamm und richtete sich so schnell wie möglich auf. Unbeholfen und ohne die Hilfe seiner Augen stolperte er zum Wald hinüber, und in ihn hinein. Er rannte jedoch noch weiter, ohne zu sehen. Dabei blieb er in so einigen Wurzeln und Gestrüpp hängen und stolperte mehr als er lief. Hier und da riss er sich seine Haut und Kleidung an Dornen auf, aber all das war Nebensache. Nur eines zählte momentan für Jayden: Raus aus der Sonne… t.b.c. Kapitel 2: New Abilities and Dangers ------------------------------------ Kapitel 2: New Abilities and Dangers Jayden lief noch einige Zeit, bevor er sich wagte, stehen zu bleiben. Er war in die Tiefen des Waldes vorgedrungen, in dem nun noch beinahe Nacht herrschte. Wie lange es noch dauern würde, bis auch hier am feuchten Boden die ersten Lichtpunkte tanzen würden, konnte er nicht sagen. Seine Augen tränten und er zitterte am ganzen Körper. Nur langsam erholten sich seine Augen vom Sonnenlicht und er konnte wieder sehen. Seine Arme und Beine schmerzten leicht und als er seine Umgebung wieder halbwegs erkennen konnte, wusste er auch wieso. Sein T-Shirt und seine Hose waren größtenteils zerrissen und kleine unzählige Striemen und Kratzer waren zu sehen. Jay ließ sich auf den nassen und kühlen Grund sinken und wischte sich über die Augen um den Rest der Tränen wegzuwischen. Natürlich, Vampire vertrugen die Sonne ja nicht. Sollte das jetzt wirklich heißen, dass er sich nie wieder am Tag frei bewegen konnte? Es gab ja verschiedene Auffassungen über die Sonnenlichtempfindlichkeit der Unsterblichen. Die meisten sagten, sie würden zu Asche werden, sobald sie von den Strahlen erreicht wurden. Aber er hatte auch schon einmal gehört, dass die Vampire ‚nur‘ stark geschwächt wurden. Wie war das also bei ihm? Es hatte sich schrecklich angefühlt, als er der Sonne eben noch ausgesetzt war und das bei den wenigen, schwachen Strahlen am Morgen. Wie würde das erst in der heißen Mittagssonne werden? Er erinnerte sich an gemeinsame Schwimmbadbesuche mit seinem Bruder und seinen Freunden. Würde er so etwas jemals wieder machen können? Würde er sie überhaupt irgendwann wieder sehen können? Oder war er nun dazu verdammt, auf ewig in der Nacht zu leben und sich von Menschen fernzuhalten, wenn er sie nicht in die unmittelbare Gefahr bringen wollte, als seine Opfer zu enden? Plötzlich spürte der Schwarzhaarige heiße Tränen, die über seine Wangen liefen. Er wischte mit einer seiner Hände darüber und sah die Flüssigkeit fast entgeistert an. Er weinte? Dann konnte er es nicht mehr halten. Er begann zu schluchzen und vergrub sein Gesicht in seinen Händen. Die Vorstellung seine Familie und Freunde nie wieder sehen zu können war einfach unerträglich für ihn. Wie sollte er ohne sie leben können? Ohne seinen Dad, ohne seinen Bruder, ohne Larc und Raven? Wie lange er schlussendlich so auf dem Waldboden gesessen hatte, konnte Jayden danach nicht mehr sagen, aber die Sonne war ein ganzes Stück gestiegen und einige Lichtpunkte waren auch schon bei ihm angekommen. Diese machten ihm jedoch nicht wirklich etwas aus. Er wischte sich fahrig über das Gesicht. Er hatte einen Entschluss gefasst: Er konnte nun noch Stunden hier einfach rumsitzen und seinem alten Leben nachweinen oder er würde einfach austesten, was sein neuer Körper konnte und aushielt und würde somit Klarheit darüber gekommen, ob er wieder zurück zu seinen Liebsten konnte oder nicht. Als erstes würde er wohl das Problem ‚Sonne‘ in Anlauf nehmen. Da dieses nun unmittelbar vor ihm stand, schließlich war es Tag. So streckte er seine Hand aus und wollte sie in einen der Lichtstrahlen halten, der durch das Blätterdach des Waldes schien. Jedoch stutzte er und hielt in seiner Bewegung inne. Er hatte sich doch an den Dornen vorhin verletzt. Wieso also, waren keine Kratzer mehr auf seiner Hand zu sehen? Er besah sich seinen Arm und seine Beine, dort, wo die Kleidung aufgerissen war. Nichts. Nur makellose Haut war zu sehen. Hieß das also, seine Verletzungen verheilten schneller als die von Menschen? Er erinnerte sich daran, dass der fremde Mann in der Nacht – der augenscheinlich ebenfalls ein Vampir war – ihn in den Hals gebissen hatte. Erneut befühlte Jayden seinen Hals. Nichts. Keine Bissspuren oder eine andere Verletzung waren zu spüren. Langsam wurde das alles doch etwas viel. All diese neuen Vor- und Nachteile seines Körpers. Der Schwarzhaarige schüttelte seinen Kopf. Jetzt musste er sich erst einmal auf sein größtes Problem konzentrieren. Er streckte seine Hand also weiter aus und einer der feinen Strahlen schien ihm direkt darauf. Es tat nicht wirklich weh und er wurde auch nicht zu Asche. Ein guter Anfang. Dann wagte er einen Blick hinauf zu den Baumkronen und der darüber versteckten Sonne. Er musste einige Male blinzeln und er spürte, wie seine Augen wieder leicht wässrig wurden. Da blickte er wieder weg. Allen Anscheins nach war es also nicht sein kompletter Körper, der so extrem empfindlich auf das Licht reagierte, sondern seine Augen. Auch auf der Lichtung waren es seine Augen gewesen, die ihm geschmerzt hatten, nicht sein Körper. Jedoch könnte es gut sein, dass auch seine Haut so ihre Probleme mit der Sonne hatte, nur eben nicht so stark wie seine Augen. Aber was könnte Jayden nun dagegen tun, dass seine Augen dem Licht nicht standhalten konnten? Er überlegte einige Zeit und entschied sich dann, erst einmal wieder etwas weiter zurück zu gehen. So stand er auf und merkte, dass seine Hose nun nicht nur zerrissen war, sondern auch noch nass. Ein herzzerreißendes Seufzen entkam seiner Kehle. Er machte sich also auf den Rückweg und merkte da erst, dass die Bäume und seine gesamte Umgebung um einiges schneller an ihm vorbei zogen als er es gewohnt war. Und das obwohl er vom Gefühl her recht gemächlich ging. Vielleicht war er nun auch schneller als früher? Verwundern würde es ihn nicht, da die Vampire in Filmen schließlich auch meistens schneller als Menschen sein konnten. Aber auch damit würde er sich erst später befassen. Ihm war eingefallen, dass er in seinem Zelt noch irgendwo eine Sonnenbrille rumliegen haben musste. Vielleicht würde eine solche seine Augen vor der Sonne abschirmen. Das einzige Problem würde sein, wie er erst einmal überhaupt zu seinem Zelt kommen sollte. Er war inzwischen beinahe am Waldrand angekommen und das Gras, die ganze Lichtung, die von der Sonne erhellt wurde, stach ihm in die Augen. Er kniff sie etwas zusammen, was aber nur mäßigen Erfolg mit sich brachte. Zur Sicherheit streckte Jayden seine Hand erneut aus, sodass etwas mehr Sonnenlicht auf sie fiel, doch schmerzen tat es ihm nicht, lediglich etwas unangenehm war es. Er konnte das Gefühl nicht wirklich beschreiben. Es fühlte sich fast so an, als ob man einen leichten Sonnenbrand hatte und weiterhin draußen war. Anscheinend hatte er also tatsächlich nicht zu befürchten, dass er zu Asche zerfallen würde. Das erleichterte ihn schon sehr. Immerhin hieß das, dass er Tagsüber nicht vor der Sonne fliehen musste, falls er die Empfindlichkeit seiner Augen noch verringern könnte. Nun musste sich der Schwarzhaarige also etwas einfallen lassen, damit er ohne größere Probleme in sein Zelt kam und seine Sonnenbrille suchen konnte. Er hatte eine recht gute Sonnenbrille mit ungefähr 80% Tönung. Also sollte sie nicht völlig nutzlos sein, falls sie überhaupt etwas brachte. Aber wie kam er nun bis in die Mitte der Lichtung? Einfach durchrennen? Nein, da würde er sicherlich gegen etwas laufen und das musste nicht sein. Ihm fiel ein, dass er doch eigentlich mit der Nase arbeiten könnte. Wie ein Hund, schoss es ihm durch den Kopf und er lächelte sarkastisch. Aber vielleicht würde es funktionieren. Er müsste sich doch nur auf etwas konzentrieren, das sich in seinem Zelt befand. Er schloss die Augen, was eine wahre Wohltat war, da er somit nicht mehr auf die helle Lichtung blicken musste und die Schmerzen weniger wurden. Er versuchte sich zu erinnern, ob er etwas mit einem unverkennbaren Geruch im Zelt hatte. Ja, hatte er. Ein Feuerzeug und in diesem befand sich Gas. Flüssiggas. Also atmete Jayden kräftig ein und versuchte, den unverkennbar prägnanten Geruch herauszufiltern, zu orten. Er brauchte einige Atemzüge, um die ganzen ‚unwichtigen‘ Düfte auszublenden und sich nur auf den typischen Gasgeruch zu konzentrieren. Er musste erneut einatmen, um ihn zu orten und sich ungefähr vorstellen zu können, wie er gehen musste. Nun war die Stunde der Wahrheit gekommen. Schützend legte Jay seine beiden Hände auf die geschlossenen Augen und ging vorsichtig in Richtung Lichtung. Er spürte nach einigen Schritten die Wärme der stetig steigenden Sonne auf seiner Haut, es fühlte sich unangenehm, aber nicht wirklich schmerzhaft an. Leider ging auch durch seine Hände und geschlossenen Lider etwas Licht durch, sodass die ganze Situation doch recht unangenehm für den jungen Mann wurde. Doch er gab nicht auf, konzentrierte sich nur auf den Weg, den er ging, versuchte nicht irgendwo anzustoßen. Wie es wohl aussehen musste, wenn ihn nun jemand sehen würde? Bestimmt sehr lächerlich. Wer ging auch schon freiwillig mit geschlossenen Augen über eine Lichtung? Unerwartet stieß Jayden an etwas, öffnete reflexartig die Lider. Gut nur, dass seine Hände die gefährlichen Sonnenstrahlen abschirmten, jedenfalls die meisten. Einige trafen auf seine Netzhaut und er fluchte verärgert auf. Schnell schloss er seine Augen wieder und versuchte, mit den Füßen einen Weg um das Hindernis zu finden, ohne zu sehen. Es dauerte etwas, aber schließlich konnte er ungehindert weitergehen. Er tippte darauf, dass es der umgefallene Baumstamm war, der ihm den Weg versperrt hatte. Schließlich orientierte er sich weiter am Gasgeruch und tastete sich vorsichtig zum Zelt vor. Dort angekommen musste er nun leider eine schützende Hand fortnehmen, um den Stoff aus dem Weg zu räumen und ging auf die Knie. Er kroch ins Zelt und stand nun vor dem nächsten, unbedachten Problem: Wie sollte er nun, ohne Sehsinn seine Sonnenbrille finden? Alles abtasten? Ein genervtes Stöhnen verließ seine Kehle und er tastete mit einer Hand nach seinem Schlafsack. Vom Eingang rechts neben dem Schlafsack musste eine Tasche sein. Dort sollte die Brille eigentlich sein. Jayden betete, dass sie dort auch war und öffnete die Tasche mühevoll mit einer Hand. Er kramte in dieser etwas herum und fand tatsächlich das Etui. Ein Lächeln erschien auf seinen Lippen und er holte die Sonnenbrille heraus. Leider musste er nun auch seine letzte Hand von den Augen nehmen, um sich die Brille aufsetzen zu können. Das wiederrum bedeutete Schmerz. Doch anders würde es nicht gehen. Ein letztes Mal durchgeatmet, dann setzte er so schnell er nur konnte die schützenden Gläser auf. Das Erste, was er merkte, war, dass der Schmerz nur Sekundenbruchteile anhielt, dann wieder größtenteils weg war, nur das unangenehme Gefühl blieb. Vorsichtig und langsam öffnete Jay seine Augen und musste diese gleich wieder schließen. Zwar taten sie nicht direkt weh, aber das Licht blendete ihn. Obwohl er hier im Zelt wenigstens ein bisschen vor der direkten Sonneneinstrahlung geschützt war. Er brauchte mehrere Anläufe, bis er seine Augen halbwegs offen halten konnte. Sie tränten erneut, jedoch nicht so schlimm wie noch vor wenigen Stunden. Sein gesamtes Blickfeld war dunkel durch die Sonnenbrille. Es erinnerte ihn etwas an die Farben, die er nachts sah. Er wischte sich kurz über die Augen und versuchte dann, sie etwas mehr zu öffnen. Es ging, auch wenn sie noch nicht vollständig aufgeschlagen waren. Das Lächeln, das zwischendurch dem Unwohlsein gewichen war, kam nun wieder zurück und wurde sogar breiter. Jayden freute sich unheimlich, dass seine Brille ihn vor den Sonnenstrahlen schützen konnte und er somit das Problem Nummer eins, Sonnenlicht, vorerst auf einen der unteren Ränge platziert hatte. Seufzend ließ er sich auf seinen Schlafsack fallen und überlegte. Was war nun das Nächste, dem er sich genauer widmen sollte? Vielleicht seinen ‚Heilkräften‘? Schließlich waren die ganzen kleinen Kratzer von den Ästen und Dornen weg. Und das auf so kurze Zeit. Jay richtete sich auf und nickte. Er wollte mehr über diesen neuen Körper erfahren. Denn wenn er seine Schwächen nicht kannte, konnte er sicher nicht zurück zu seiner Familie und seinen Freunden. Ein trauriger Ausdruck erschien auf seinem Gesicht. Er wollte so gerne zurück. Nun, da er vielleicht nie wieder zu ihnen konnte, vermisste er sie so schrecklich. Vor allem seinen Bruder. Cero. „Ach Cero, ich will wieder heim“, seufzte er. Sein Zwillingsbruder war ihm wirklich verdammt wichtig. Sie hatten irgendwie eine seltsame Beziehung, viel zu nett für Geschwister. Vielleicht lag es daran, dass sie Zwillinge waren, vielleicht auch nicht. Er konnte es nicht sagen, aber er wusste, dass er es nicht aushalten würde, ihn nie wieder zu sehen. Der traurige Blick wich einem entschlossenen. Und genau deshalb, eben weil er nicht ohne ihn und seinen Vater, seine Freunde konnte, musste er alles über diesen Körper herausfinden um sich so einzustellen, damit er ihnen nicht weh tat. Der junge Mann holte ein Taschenmesser aus seinem Rucksack und klappte es auf. Er besah sich einige Momente stumm die Klinge. Sie war glatt und spiegelte leicht sein Gesicht wieder. Seine Haut war etwas blasser als sonst, aber im Allgemeinen schien er nicht wirklich anders auszusehen. Zwar sah er seine Augen nicht, da er die Sonnenbrille aufhatte, aber er hatte noch genügend Zeit. Er würde sie einfach später, wenn es wieder dunkler war, ansehen. So viel konnte sich da ja auch nicht geändert haben. Ihm fiel erneut etwas ein: Sollten Vampire nicht eigentlich kein Spiegelbild haben? Er sah prüfend erneut ganz genau auf die Klinge. Nein, das war ganz sicher er. Es gab also tatsächlich verdammt viele Sachen, die man sich über Vampire erzählte, die aber gar nicht stimmten. Noch einen kurzen Blick auf sein Spiegelbild werfend, hob er schließlich den zweiten Arm und setzte das Taschenmesser an die Haut. Kurz musste er sich überwinden, dann zog er es schnell über den Arm. Ein leises Zischen entkam ihm und er sah zu, wie die Wunde durch einen dünnen roten Strich erkennbar wurde. Blut kam heraus, lief langsam seinen Arm hinab. Es war nicht sonderlich viel, sowie der Schnitt nicht tief war. Ein Tropfen bahnte sich den Weg nach unten und tropfte schließlich auf sein Bein. Der Stoff der Jeans saugte ihn sofort auf. Sein Blick wanderte wieder zurück zu seiner Wunde aus der bereits kein neues, frisches Blut kam. Er ließ sie nicht aus den Augen und legte solange das Messer neben sich. Als sich nichts mehr tat, wischte er das Blut mit seinem Daumen weg und tatsächlich: Es war nichts mehr zu sehen. Seine Haut schien makellos, dort wo sie vor wenigen Momenten noch ein Schnitt geziert hatte. Jayden konnte seinen Blick noch einige Zeit nicht von der Stelle wenden. Er wusste nicht, wie er nun darauf reagieren sollte. Sollte er lachen und sich freuen, weil er nun keine Angst vor Angriffen haben musste? Oder doch lieber nicht? Er war einfach völlig verwirrt, nahm das alles so gar nicht war. Die Informationen, die momentan nur so auf ihn niederprasselten, waren einfach zu viel. Es würde wohl noch einige Tage dauern, bis er das alles richtig realisiert haben würde. t.b.c. ______________________________________________________________________ So, das war nun also das dritte Kapitel von WagWag. Ich freue mich, dass es euch so gut gefällt :) Bis zum nächsten Kapitel! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)