Noblesse von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Unliebsame Begegnung ------------------------------- „Ihr solltet jetzt wirklich aufstehen junger Lord, Ihr werdet bereits erwartet.“ Die Stimme des ältlichen Butlers klang unangenehm laut und störend in den Ohren des jungen Mannes. Mit einer unwilligen Geste schirmte er seine empfindlichen Augen gegen die grelle Morgensonne ab und richtete sich halb auf. „Was gibt’s denn Henry? Was soll der Auftritt?“, fragte er in gewohnt lässigem Ton und schob die nackte Frau von seiner Hüfte. Peinlich berührt wandte sich der steife Diener des Hauses ab und füllte Wasser in die Waschschüssel. „Euer Vater erwartet Euch bereits seit etwa einer halben Stunde im Salon. Ihr solltet Euch sputen.“ „Soweit ich mich erinnere, bist du nicht befugt mir Ratschläge zu erteilen.“, antwortete der junge Mann und seine Stimme troff vor Überheblichkeit. Er hatte sich aus dem Wirrwarr aus weichen Kissen und nackten Körperteilen befreit und trat an die niedrige Kommode. „Entschuldigt mein anmaßendes Verhalten.“, gab Henry betroffen zurück und postierte sich wie üblich an neben der großen Flügeltür. „Wünscht der Herr seinen grünen Anzug zu tragen?“ Ein verächtlicher Laut floss über die Lippen des Lords. „Ich entscheide, was ich anziehe.“, antwortete er genervt und ließ den weichen Lappen mit geschickten Bewegungen durch seinen Genitalbereich gleiten. „Ist doch nur mein Vater..“, fügte er murmelnd hinzu und schlüpfte in die schlabbrige Reithose vom Vortag. „Ein frisches Hemd.“, befahl er seinem Butler und warf anschließend einen Blick in den reich verzierten Spiegel. Ihm gefiel was er sah: schulterlange, schwarz glänzende Haare, hohe Wangenknochen unter mandelförmigen Bernsteinaugen. Die kaffeebraune Haut war glatt und wies keine Unregelmäßigkeiten auf, die vollen Lippen waren geschwungen und weich. „Bitte Sir.“, sagte der Bedienstete mit belegte Stimme und reichte ihm ein reinweißes, frisch gestärktes Hemd. Ohne sich zu Bedanken griff der junge Lord nach dem Kleidungsstück und war schon auf halbem Weg zur Tür, als der Butler ihn noch einmal ansprach. „Verzeiht mein Herr, was geschieht mit Ihren.. Freundinnen?“, er wies mit säuerlicher Miene auf die zwei jungen Damen auf dem Bett. Ihre nackten Brüste waren entblößt und hoben sich in regelmäßigen Atemzügen. Der junge Mann lachte leise und machte eine wegwerfende Handbewegung. „Wecke sie und schick sie nach Hause. Wenn ich zurück bin will ich ein frisches Laken vorfinden.“ Und mit einem süffisanten Lächeln verschwand er durch die Flügeltür in den Flur. „Alexis, du hast mich warten lassen.“ Sein Vater erhob sich und kam mit energischen Schritten auf ihn zu. Seine Stimme hatte einen gereizten Unterton und verriet das Ärgernis über das lange Hinhalten. Seine Kleidung lag zentimetergenau an seinem drahtigen Körper und sein hageres Gesicht wies mehr Falten auf, als bei seinem letzten Besuch. „Und wie du ausschaust.“, er zog am Kragen des halbherzig sitzenden Hemdes seines Sohns und in seinen Augen blitzte es zornig auf. „Ich habe deine Frechheiten satt junger Mann. Und genau deshalb bin ich hier.“ „Dir auch einen schönen guten Tag Vater.“, antwortete Alexis spöttisch und gähnte demonstrativ. Mit einer lässigen Bewegung betätigte er das Klingelseil um sich einen Tee bringen zu lassen, sein Vater ließ sich wieder in den hohen Lehnstuhl sinken. „Ich bin es leid dein unstandesgemäßes Leben zu finanzieren und zuzuschauen, wie du dich weiterhin niederen Gelüsten hingibst und mein Ansehen zugrunde richtest.“ Er warf dem jungen Mann einen zornigen Blick zu, wartete offensichtlich auf eine Antwort. Alexis zog es vor zu schweigen, ein Bediensteter brachte den Tee. „Seit Jahren tue ich alles, um deinen Sinn für Kunst und Ästhetik zu schulen und dich für Bildung zu begeistern, aber stattdessen treibst du dich nächtelang mit den billigsten Weibern von ganz Gloucester herum, verschläfst die Tage und lässt mein Anwesen verfallen. Dein Anstand und dein Benehmen sind in einem erbarmungswürdigem Zustand und auch dein Auftreten lässt zu wünschen übrig.“ Wieder machte Lysander Count of Gloucestershire eine bedeutungsvolle Pause und blickte seinen Sohn aus unergründlichen Augen an. Dieser nippte abwesend an seinem heißen Getränk und wippte gedankenverloren mit dem Fuß. „Du bist jetzt 19 Jahre alt und hast noch nichts vollbracht, ich kann mich nicht auf dich verlassen und mittlerweile bist du für deine Unzuverlässigkeit und Vergnügungssucht weitaus bekannter, als für den Namen deiner Familie gut ist. Ich habe deshalb beschlossen, dir wesentlich mehr Disziplin abzuverlangen, als du es bisher gewohnt warst und werde dir zu diesem Zweck, einen besonderen Freund zur Seite stellen.“ Alexis hatte sich nun aufgesetzt und rutschte unwillig auf dem weichen Polster des Stuhles herum. Für einen Moment blitzte Interesse in seinen Augen auf und er schüttelte den Kopf. „Schickst du mir jetzt wieder so einen alten Möchtegern-Lektor, der mich mit langweiligen Vorträgen längst toter Dichter langweilt?“, fragte er und versuchte das ungute Gefühl in seinem Magen zu ignorieren. Auf den Lippen seines Vaters erschien ein kaltes Lächeln und er stützte sein Kinn in die gefalteten Hände. „Oh nein mein Sohn, er ist weder alt noch wird er dich langweilen. Er ist ein Geschäftspartner und wird dir ein Vorbild in allen wichtigen Dingen des Lebens sein. Er wird dich lehren, wie sich ein junger Mann deines Alters und Standes zu benehmen hat und dir Disziplin beibringen. Seine Name ist Samuel Leopold Herzog von Thuringia und schon morgen trifft er hier ein.“ Alexis wirkte für einen Moment wie erstarrt, seine goldene Haut sah plötzlich aschfahl und wächsern aus. „Und warum denkst du, dass ich ihm auch nur einen einzigen Moment meiner geschätzten Aufmerksamkeit schenken werde?“, fragte er und versuchte möglichst gelassen zu klingen. „Oh, ich bin sicher das wirst du.“, die schmalen Lippen seines Vaters kräuselten sich abermals zu einem Lächeln. „Solltest du dich weigern, mein Sohn, wird dein gesamtes Erbe an die Fürsorge gehen. Es ist alles aufgesetzt, du kannst jederzeit mein Testament auf diese Klausel überprüfen.“ Alexis schnaubte wütend. „Das wagst du nicht!“, seine Stimme klang weit weniger fest als er gehofft hätte und seine Faust zitterte, als er sie mit Wucht auf die Tischplatte krachen ließ. „Und wie ich das wage, du kleiner Teufel. Ich bin immer noch der Count of Gloucestershire und mein Wort ist Gesetz. Du wirst dich dieser Maßnahme beugen, sonst wirst du die Konsequenzen schneller zu spüren bekommen, als dir lieb ist.“ Lysander Count of Gloucestershire hatte sich erhoben und zu seiner vollen Größe aufgerichtet. In der Morgensonne warf er einen langen Schatten auf die polierte Tischplatte und die Falten auf seiner Stirn waren von feinen Schweißtröpfchen umgeben. „Ich habe dir diesen Landsitz übergeben, in der Hoffnung du würdest dein Leben endlich in den Griff bekommen und deine Unsittlichkeiten zügeln, aber stattdessen hast du dich gehen lassen und meinen Namen und den Namen deiner Mutter, mit Scham befleckt. Und nun, Sohn, fordere, nein verlange ich deine Loyalität.“ Er war um den Tisch herumgegangen und beugte sich zu Alexis hinab. „Und ich rate dir, dich meinem Willen zu beugen.“ Damit hatte er das Ende seines Besuches erreicht und mit einem letzten, scharfen Blick seiner Adleraugen ging er Richtung Tür. „Deine Mutter lässt dir einen Gruß ausrichten.“, fügte er mit versöhnlicher Stimme hinzu, dann fiel die schwere Eichentür ins Schloss. Minutenlang saß Alexis wie gelähmt in seinem Stuhl. Die Worte seines Vater schwirrten noch immer in seinem Kopf umher und so langsam dämmerte dem jungen Lord, dass er die Grenzen eindeutig überschritten hatte. Sein ganzes Leben hatte er im Rausch zugebracht: Wein, Frauen, Tabak und Tanz – nichts hatte er ausgelassen. Seine gesamte Freizeit hatte er der amüsanten Gesellschaft und den niederen Freuden gewidmet, Bildung, Manieren und Selbstbeherrschung waren Fremdwörter gewesen und bis zum heutigen Tag war für ihn völlig klar gewesen, dass sie es auch für den Rest seines Lebens so bleiben würden. Die Drohung seines Vaters hatte ihn wie ein Schlag getroffen und nun suchte Alexis fieberhaft, sich aus dieser misslichen Lage zu befreien. „Das fehlt mir gerade noch, einen von Vaters Schoßhündchen in meinem Haus zu dulden.“, murmelte er und bemerkte mit Erleichterung, wie seine Lähmung der bekannten Wut und Überheblichkeit platz machte. Er würde nicht klein beigeben und diesem neuen Schnösel einfach zeigen, wer der Stärkere war. Dieser Typ war schließlich nicht der Erste, den er aus seinem Anwesen getilgt hatte, und er würde keinen Eindringling in seine Intimsphäre akzeptieren. „Henry, ich will ausfahren, macht die Kutsche bereit.“, sagte er launisch und versuchte seine Gedanken mit einer unwilligen Handbewegung zu verscheuchen. Mit einem Seufzer erhob er sich und ging Richtung Küche. Nachdem er einen kurzen Snack eingenommen und sich einen Picknickkorb hatte packen lassen, stieg Alexis in die geschlossene Kutsche. Er klopfte drei mal mit dem Knöchel gegen die Außenwand: „Zum Juwel.“, rief er durch die verdunkelten Fenster und los ging es Richtung Stadt. „Ihr seid der stattlichste junge Mann, den ich je gesehen habe.“, lallte die junge Brünette an seinem Ohr. Ihr Atem war schwer und der Duft, der aus ihrem tiefen Dekolleté strömte, war süß und verlockend. „Wo habt Ihr bloß all die Jahre gesteckt?“, murmelte sie und ließ ihre feuchte Zunge in Alexis' Ohr gleiten. Mit einer unwilligen Bewegung befreite sich der junge Lord von seiner anhänglichen Begleiterin und beugte sich nach vorn. Seit Stunden war er nun schon in seinem Lieblingssalon, hatte mit Männern und Frauen gesprochen, mit letzteren geflirtet und sich eigentlich prächtig amüsiert. Aber immer wieder war ihm das Gespräch vom Morgen in den Sinn geschossen, hatte ihn belastet und ihm ein unangenehmes Gefühl im Magen beschert. Nun schien sein Kopf zu schwer für all die Überlegungen und er stütze ihn in seine Hände. „Was ist mit Euch mein Schöner?“, säuselte die brünette Frau und ließ ihre Finger in sein aufgeknöpftes Hemd gleiten. „Lass das.“, fauchte Alexis und fischte die behandschuhten Finger von seine Brust. „Soll ich dich all deine Probleme vergessen lassen, Süßer?“, murmelte die blonde Schönheit auf seiner rechten Seite und versuchte ihre Hand zwischen seine Beine gleiten zu lassen. „Ich glaube nicht, dass du das kannst.“, antwortete Alexis und seine Stimme troff vor Überheblichkeit und Stolz. Mit einer energischen Bewegung erhob er sich. „Ebenso wenig wie all die anderen.“, fügte der junge Mann murmelnd hinzu und durchmaß den Raum mit langen Schritten. „Carl, nach Hause.“, befahl er seinem Kutscher knapp und ließ sich in die harten Sitzpolster fallen. Wütend entkorkte er die Weinflasche aus seinem unangetasteten Picknickkorb und ließ sich den warmen Alkohol durch die Kehle rinnen. Es schmeckte scheußlich billig und milderte seine aufkeimende Wut nicht im mindesten. „Was soll das eigentlich? Ich bin alt genug um auf mich selbst aufzupassen und brauche niemanden, der mir sagt, wie ich mich zu benehmen habe.“, murmelte er zähneknirschend und nahm einen erneuten Schluck. Sein Vater war schon immer ein besitzergreifender und herrschsüchtiger Mann gewesen, der seinen Kontrollzwang nur schwer unterdrücken konnte. Seine zwanghafte Art alles nach Norm und Vorschrift zu machen war Alexis schon als kleines Kind zuwider gewesen und seine Abneigung war exponentiell zu seinem Alter gestiegen. „Ich werde mich diesem Irrsinn nicht beugen.“, sagte er entschlossen zu sich selbst und stürzte die Hälfte des Weins in einem Zug hinab. „Ich bin schließlich keine Marionette.“ Den Abend verbrachte der junge Lord weitestgehend allein. Nachdem er sich sicher war, dass alle älteren Bediensteten zu Bett gegangen waren, schlenderte er zur Küche und lehnte sich lässig in den Türrahmen. „Cassandra.“, gurrte er und warf der jungen Frau einen verführerischen Blick unter den dichten Wimpern hervor zu. Angesprochene schreckte von ihrer Tätigkeit am Backofen hoch und lächelte selig. „Guten Abend mein Herr.“, antwortete sie mit gesenktem Kopf und wischte ihre feuchten Hände an der weißen Schürze ab. „In einer halben Stunde erwarte ich dich in meinem Schlafgemach.“, sagte Alexis bestimmt und ohne ihre Antwort abzuwarten verließ die Küche in Richtung Badezimmer. Der nächste Morgen brach viel zu hell über das herrschaftliche Anwesen des jungen Lords herein. Mit einem schweren Kopf vom Wein war Alexis schon früh erwacht und eine seltsame Unruhe hatte ihn ergriffen. Unstet war er durch die langen Flure und Hallen des großen Hauses getigert, die erhoffte Ablenkung blieb jedoch aus. Nach einem langen und ausgiebigen Bad beschloss er nun, seine Angestellte zu wecken. „Cassandra.“, sagte er laut und die nackte Frau in seinen weichen Kissen schreckte empfindlich nach oben. Ihre blauen Augen waren trotz des grellen Morgenlichts aufgerissen und Alexis las Überraschung in ihnen. „Zieh dich an und verschwinde.“, sagte er kalt und warf seiner Geliebten für diese Nacht ihre Kleidung auf das Bett. „Sehr wohl.“, antwortete die junge Frau und senkte nun eindeutig beschämt den Kopf. Sie erhob sich, schlüpfte unter Alexis' Arm hindurch und verschwand lautlos. „Das hasse ich am meisten am Sex.“, seufzte der junge Lord und fuhr sich mit der Hand durch die seidigen Haare. Sein überheblicher Gesichtsausdruck verschwand auch nicht, als die Glocke der Haustür erklang. „Shwotime.“, murmelte er amüsiert,überspielte das nagende Gefühl in seiner Magengrube und ließ sich in einen Sessel fallen im angrenzenden Raum fallen. Er würde den Eindringling nicht auch noch willkommen heißen, dessen war er sich sicher. Es dauerte einige quälend lange Minuten, dann klopfte es zaghaft an der Tür seines Salons. Alexis antwortete erst nach dem zweiten Anklopfen. Seine Stimme wirkte gelangweilt und seine lässige Körperhaltung verriet nicht den geringsten Anflug von Respekt. Sein Hausdiener trat ein, hinter ihm ein hochaufgeschossener Mann im schwarzen Anzug. Seine Gesichtszüge waren streng und wirkten verschlossen. „Ich hasse dich.“, säuselte Alexis so leise, dass keiner der Ankommenden ihn verstehen konnte, dennoch richtete der Eindringling ruckartig seinen Blick auf den Lord. „Darf ich vermelden: Samuel Leopold Herzog von Thuringia, Lord Alexis von Gloucestershire.“ Henry verbeugte sich vor beiden gebührend und trat zurück. „Guten Morgen.“, sagte der Eindringling mit einer angenehm tiefen Stimme mit einem fremden Akzent. Er wartete einen Moment ob einer Erwiderung seines Gegenübers, dann fuhr er ruhig fort. „Ich werde Euch in den nächsten Wochen und Monaten in allen wichtigen Dingen unterrichten und anleiten. Euer Vater hat mich gebeten, ganz bei Null anzufangen und um ehrlich zu sein, hätte ich einen jüngeren Schüler erwartet.“ Er strich mit seinen feingliedrigen Fingern durch sein rotes Haar und wartete erneut. „Dann tut es mir leid, Euch enttäuschen zu müssen.“, entgegnete Alexis ihm mit süffisanter Stimme und erhob sich umständlich. „Nun, ich hoffe wir werden gut miteinander auskommen Lord Alexis.“, überging Samuel die spöttische Bemerkung des jungen Mannes und beobachtete wachsam die ungelenken Bewegungen. Alexis ließ sich Zeit mit seiner Antwort, schlich wie eine Katze um den Tisch herum und kam kurz vor dem Älteren zum stehen. „Ich würde mich nicht darauf verlassen.“, zischte er und seine bernsteinfarbenen Augen blitzten gefährlich auf. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke und jeder der beiden ungleichen Männer versuchte das unsichtbare Duell zu gewinnen. Dann wandte sich Samuel ab. „Ich werde nun meine Räumlichkeiten beziehen und erwarte sie später zum Essen im Saal. Ich empfehle mich.“ Seine Stimme klang gelassen und völlig unbeeindruckt, sein Gesichtsausdruck war es auch. Kaum war die Tür ins Schloss gefallen, spürte Alexis die anbrandende Wut wie eine Feuersbrunst in sich auflodern. „Wie kann er es wagen?“, brüllte er erbost und trat gegen den eisernen Kerzenleuchter. Polternd fiel das Gestänge zu Boden und kleine Flammen bleckten in den weichen Fasern des Teppichs auf. „Ich bitte Euch Sir.“, sagte Henry leise und versuchte die Feuerzungen mit dem Schuh zu ersticken. Kochend vor Wut wandte Alexis sich um und funkelte seinen Bediensteten gnadenlos an: „Verschwinde du Made.“, schrie er und wischte mit einer wutentbrannten Geste sämtliche Dokumente vom Regal. Henry stand wie angewurzelt, bis sein junger Herr erneut brüllte. „Ich sagte, du sollst HIER VERSCHWINDEN!“ Der ältliche Diener erwachte aus seiner Trance, zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen und verschwand lautlos. „Dieser Schnösel, dieses anmaßende Schoßhündchen. Er glaubt wohl, er könnte hier auftauchen und alles tanzt nach seiner Pfeife. Aber ohne mich, OHNE MICH.“ Noch immer tobte es in Alexis wie in einem Vulkan, seine Hände waren feucht vom Schweiß und sein ganzer Körper wurde von Gram und Zorn geschüttelt. Sein sonst so sicheres Auftreten war verschwunden und für einen kurzen Moment fiel seine kalte und spöttische Maske. „Beruhige dich Alexis, bloß keine Schwäche zeigen.“, murmelte er leise und sog scharf die Luft zwischen seine Zähne. Er zwang sich zur Ruhe und rief sich in Gedanken zur Ordnung: Es nützte nichts, sich wie ein Kind zu benehmen, er musste sich eine Strategie überlegen. Alexis trat ans Fenster und schaute auf das morgendliche Treiben im Garten. Viele Menschen gingen geschäftig ihrer Arbeit nach, gossen die blühende Pracht der vielen Beete, schnitten den Rasen oder trimmten die Bäume in unnatürlich korrekte Formen. Alexis mochte die Grünanlagen in der unmittelbaren Nähe des Anwesens nicht, nur weiter hinten, wo die Natur die menschliche Genauigkeit überrannte und die Wildnis ihre Herrschaft zurückeroberte, da hielt er sich gerne auf. Eine Weile erging sich Alexis in der Beobachtung seiner Bediensteten, dann fühlte er die ruhige Ignoranz zu sich zurückkehren. „Endlich.“, murmelte er und spürte sowohl Atmung als auch Herzschlag wieder gleichmäßiger werden. Er öffnete den breiten Flügel des Fensters und ließ für einen Moment die klare Morgenluft herein, dann wandte er sich um und bedachte das Chaos im Salon mit einem Stirnrunzeln. Mit einer lässigen Bewegung betätigte er das Klingelseil, dann ordnete er Kleidung und Haare und verließ den Raum. „Cassandra, ich möchte mein Mittagsmahl im Pavillon einnehmen.“, wies Alexis die schüchterne Bedienstete an, überging ihre hoffnungsvollen Blicke. Es war ihm egal, wie sehr sie sich nach einem vertrauten Wort oder einer zärtlichen Geste sehnte, sie war lediglich eine Puppe in seinem eigenen kleinen Theaterstück, und das würde sie auch bleiben. „Aber my Lord,“, ihre Stimme zitterte leicht. „Ich habe Anweisung für Euch und den Herzog im großen Saal einzudecken.“ Alexis konnte die feinen Schweißperlen auf der makellosen Stirn seiner Angestellten sehen und ein kaltes Lächeln erschien auf seinen Lippen. Mit zwei schnellen Schritten war er bei ihr, packte ihr Kinn und drückte sein Nägel tief in ihre weiche Haut: „Damit wir uns nicht falsch verstehen: Das war keine Bitte. Ich würde dir raten, dich mir nicht zu widersetzen, sonst werde ich dafür sorgen, dass kein einziges Wort mehr aus deinem süßen Mundwerk purzelt. Willst du das?“, seine Stimme klang heiser und bedrohlich. Das junge Mädchen schüttelte hektisch den Kopf. „So ist es brav.“, gurrte er. „Und nun bring mein Essen nach draußen.“ Cassandras Unterlippe zitterte unkontrolliert und ihre blauen Augen waren unnatürlich geweitet. „Sehr wohl mein Herr.“, hauchte sie, dann ließ Alexis los. Es tat gut zu spüren, welche Macht er innerhalb dieser Mauern hatte, dass verschaffte ihm die Befriedigung, die er nach dem enttäuschenden Zusammentreffen mit dem Schoßhund brauchte. Er beschloss, sich nicht sofort zum Pavillon zu begeben und schlenderte stattdessen noch ein wenig durch das akkurat beschnittene Gartenlabyrinth. In ihm strömten noch immer die Gefühle der morgendlichen Begegnung wie ein unkontrollierbar, reißender Fluss. Seine Wut und Starrköpfigkeit ließ sich kaum zügeln, zugleich fühlte er sich herabgesetzt und gemaßregelt. Er schämte sich, dass sein Vater ihn so wenig schätzte und nicht verstand, dass er, Alexis, nicht für die Leitung einer Firma gemacht war. Er wollte und konnte sich nicht den gesellschaftlichen Konventionen beugen, dafür war er nicht gemacht. „Konzentriere dich Alexis.“, murmelte er sich zu und wischte über seine Augen. Er hatte noch immer keine Strategie entwickelt, mit der er den neuen Aufpasser seines Vaters loswerden konnte. Bei all seinen Vorgängern war es ein Kinderspiel gewesen: Sie waren entweder so alt, dass sie kaum mehr in der Lage waren sich seiner zu erwehren, oder ihre jugendliche Unsicherheit machten sie zu einem leichten Opfer für Alexis Süffisanz und Überheblichkeit. Aber jetzt war es irgendwie anders. Der rothaarige Herzog war ein erwachsener Mann und er strahlte sowohl Kompetenz als auch ruhige Gelassenheit aus. Sein Blick war fest, entschlossen und gnadenlos, ebenso wie der des jungen Lords selbst. Alexis seufzte und rieb sich mit seinen schmalen Fingern die Schläfen. Er wollte nicht mehr nachdenken und seine wertvollen Gedanken an einen ohnehin unwichtigen Eindringling vergeuden. Es würde nicht lange dauern, und auch der Neue würde vor seiner Überlegenheit kapitulieren, dessen war der junge Mann sich sicher. Und mit einem wissenden Lächeln folgte er dem verlockenden Duft des bereits aufgedeckten Essens. Nach einigen Minuten erreichte er die kleine Lichtung inmitten der mannshohen Hecken. Es war ein ruhiger und nicht einsehbarer Ort, der Pavillon war aus weißlackiertem Holz und feines Efeu rankte um seine Säulen. Alexis mochte diesen abgelegenen Ort, hier konnte er Ruhe finden sich zurückziehen. Mit wenigen Schritten war er um die kleine Wiese herumgegangen und blieb wie angewurzelt stehen. „Was tut Ihr hier?“, schrie er und überwand die letzten Meter mit langen Schritten. Der Herzog wandte sich um und ein amüsiertes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Oh Lord Alexis, ich dachte schon Ihr kommt nicht mehr. Einige Eurer Angestellten haben mich informiert, dass Ihr das Essen in der freien Natur genießen wollt und ich muss gestehen, dass ich diese Idee sehr begrüße.“ Die Stimme des Älteren klang ruhig und mit einer weichen Bewegung strich er die kleinen Falten auf seinem Anzug glatt. „Dann ist Euch wohl entgangen, Herzog, dass ich Eure Anwesenheit nicht als Bereicherung empfinde.“, fauchte Alexis und fühlte sich plötzlich klein und naiv. Seine unkontrollierbare Wut machte ihn schwach und verletzlich gegenüber dem Schoßhund und ließ seine Verteidigung in sich zusammenfallen. „Ich wollte Euch nicht verärgern, junger Lord, aber ich habe die Anweisung Euch zu begleiten, wann immer es die Zeit möglich macht.“, antwortete Samuel ruhig und maß Alexis mit einem prüfenden Blick. „Ich hoffe, ich habe Euch nicht den Appetit verdorben.“, fügte er lächelnd hinzu und ließ sich auf einem der gusseisernen Stühlen nieder. Seine Haare leuchteten im Licht der Mittagssonne in unzähligen Nuancen und schimmerten wie rotes Herbstlaub. Die weiße Haut des Herzogs strahlte matt und kein Unregelmäßigkeit störte den Anblick. Er hatte sich umgekleidet und der dunkelgraue Anzug schmiegte sich perfekt an den sehnigen Körper. „Dazu fehlt es Euch an Einfluss.“, gab Alexis trotzig zurück und ließ sich dem Herzog gegenüber nieder. Der Tisch war reich gedeckt und dem jungen Mann lief das Wasser im Mund zusammen. Hungrig griff er nach dem Brot, tat sich Soßen, Salat, Fleisch und Fisch auf und begann ohne seinem Gast einen weiteren Blick zuzuwerfen zu essen. Samuel beobachtete seinen Schüler eingehend, studierte die flüssigen Bewegungen, den trotzigen Gesichtsausdruck und die abwehrende Körperhaltung.Er seufzte leise, dachte an all die unzähligen Diskussionen und Kämpfe, die noch anstanden und nippte an seinem Tee. „Das wird eine Herausforderung.“, murmelte er lächelnd und begann ebenfalls zu essen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)