Twice upon a Time von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Als sie erwachte, umspielte eine sanfte Brise Sophies Gesicht. Ihr ganzer Körper schmerzte, und sie stöhnte auf. Noch ganz benommen öffnete sie die Augen und schloss sie gleich wieder, so stark war der Lichteinfall. Leises Vogelgezwitscher drang an ihr Ohr, die Fenster mussten also weit aufstehen. „Sie kommt zu sich.“ Wieder schlug Sophie die Augen auf, diesmal jedoch langsamer, vorsichtiger. Am Fuße ihres Bettes standen drei Männer, die allesamt finster dreinschauten. Sophie setzte sich sogleich im Bett auf, denn natürlich wusste sie, wer diese drei Männer waren… Einer der Männer räusperte sich: „Nun, wo Ihr wieder bei Besinnung seid, verlangt man Euch im hohen Rat zu sehen. Eine Verspätung wird nicht geduldet.“ Und mit bauschenden Umhängen marschierten sie wieder davon. Sophie starrte ihnen nach. Wenn man Gesandte des hohen Rates zu ihr schickte, konnte das nichts Gutes bedeuten. Sie krabbelte aus dem Bett, doch von einer Zofe fehlte jede Spur. Sophie wartete eine ganze Weile, doch als immer noch niemand erschienen war, kleidete und frisierte sie sich verärgert von allein. Sie fand ein Kleid zum Zuknöpfen, was ihr einiges an Arbeit ersparte, doch natürlich bedurfte es dennoch viel mehr Zeit, sich um alles selber zu kümmern – und auch das Ergebnis war in keinster Weise vergleichbar. Immerhin wusste Sophie mittlerweile, dass sie wieder in der Villa der Averno war und fand sich daher schnell zurecht. Als sie fertig war, wandte sie sich ein letztes Mal zum Fenster und sah hinaus. Kein Vogelgezwitscher, nicht einmal der Wind gab einen Laut von sich. Es war, als stünde die Zeit still. Sophie sah zu dem schwarzen Fleck, der einmal ihr Heim gewesen war. Mit einem seltsamen Gefühl in der Brust wandte sie sich ab und verließ den Raum. Der Weg zum Rat kam Sophie vor wie ihr Gang zum Schafott. Es stimmte, sie hatte keine Ahnung was der Rat von ihr wollte – und im Grunde glaubte Sophie auch nicht, dass sie irgendetwas zu befürchten hatte – aber dennoch wirkte es seltsam. Der vorige Besuch, die Art wie man ihr die Nachricht des Rates überbrachte. Langsam glaubte sie, dass hier irgendetwas nicht ganz stimmte. Bevor sie den Hohen Rat betrat, holte Sophie noch einmal tief Luft, schloss die Augen und sagte mehr zu sich selbst: „Es wird alles gut…“ Wie falsch sie doch lag. Alle Augen waren auf sie gerichtet. Ihre Blicke brannten auf Sophies Haut, während das Mädchen Schritt für Schritt nach vorne ging. Da saßen sie, die Väter der Stadt, die Oberhäupter der höchsten Familien – doch sogleich fielen Sophie auch die unscheinbaren Gestalten zu ihren Füßen auf. „Mutter… Va-…“ Ihr Blick bring sie zum Verstummen. Nichts Liebendes lag darin – nicht dass es Sophie wunderte, doch auch dieses Vertraute fehlte in ihren Augen. Sophies Mutter starrte gar zur Seite, während ihr Vater sie mit einem Blick strafte, da selbst die Hölle gefror. „Sophie Castelli.“ Matteo Cresciones Stimme war tief und brummig, während er sprach. Sein Blick war so eisig, dass Sophie ehrfürchtig den Kopf neigte. „Du wurdest her gerufen, weil das, was du getan hast, einer Bestrafung bedarf.“ Nun hob Sophie doch wieder den Blick, überrascht wie sie war. „Meine… Tat?“ Wieder suchte sie den Blickkontakt zu ihrer Mutter, doch die starrte noch immer zur Wand. „Du hast deine Aufgabe vernachlässigt, über den Besitz deiner Familie zu wachen. Alles ist zerstört, deine Eltern erwartete bei ihrer frühzeitigen Rückkehr nur ein Haufen Gestein.“ Matteos Augen verschmälerten sich. „Und als wäre das nicht genug“ donnerte er, „So hast du auch nicht nur dein eigenes Leben, sondern das unzähliger Menschen mit deiner so leichtsinnigen Tat in Gefahr gebracht, gar ausgelöscht.“ „Wa…“ „Schweig!“ Enzo Averno – Raphaels Vater – erhob sich von seinem Platz und deutete mit dem Finger auf sie. „Du bist nur ein Kind, das das Ausmaß der Dinge nicht erkannt hat! Man müsste meinen, in dieser Schule brächte man euch etwas bei, doch in deinem Fall scheint eher das Gegenteil eingetroffen zu sein!“ Einen Moment schien Sophie in seinen Augen eine Träne auszumachen, doch sogleich wischte sie es als Einbildung wieder fort. „Aber-…“ stammelte sie, doch sofort unterbrach man sie wieder: „Du hast den Besitz deiner Familie zerstört und das höchste aller Rechte gebrochen.“ Der alte Averno schrie beinahe, Sophie sah wie er vor Wut bei jedem Wort spuckte: „Du hast nicht nur einen der wichtigsten Adligen dieser Stadt in Gefahr gebracht, du hast ihn gar getötet!“ Sophie öffnete überrascht den Mund, beinahe wütend, doch sogleich fuhr man sie an: „SCHWEIG!“ Auch das letzte Oberhaupt, Antonio Fulica, hatte sich nun erhoben, doch seine Stimme war bei weitem ruhiger, als er – ganz sachlich wie Sophie erleichtert feststellte – erklärte: „Der junge Averno lief dir hinterher, als du dich so leichtsinnig in das Feuer warfst. Doch anstatt dir zu helfen, brachte er sich selbst in Gefahr.“ „Es ist nur DEINE Schuld, dass Raphael umkam!“ rief Enzo wieder erzürnt, noch immer anklagend den Finger erhoben. Einstimmendes Gemurmel erhob sich im Saal. „Ich habe niemanden in Gefahr gebracht, er ist MIR hinter her gelaufen!“ „Hättest du von Anfang an mehr Acht auf das gegeben, was dir von Mutter und Vater aufgetragen wurde, wäre es niemals so weit gekommen. Deinetwegen ist deine Familie ohne Hab und Gut, deinetwegen haben Menschen ihr Leben lassen müssen. Wegen deiner UNACHTSAMKEIT und der NAIVITÄT eines KINDES, musste mein Sohn sterben! Du hast die Averno um ihren Erben gebracht!“ Jedes geschriene Wort war wie ein Peitschenschlag auf ihrer Haut. Sophie starrte zu den Oberhäuptern der Stadt hinauf, ihre anklagenden Worte erreichten kaum noch ihr Ohr. Sie hörte nichts, nichts als das Rauschen das Machtlosigkeit, das wie eine mannshohe Welle auf sie eindrosch. Natürlich, schoss es ihr in den Kopf, natürlich musste es so weit kommen. Ihre Gedanken huschten weg von dem Bild vor ihr, hin zu Raphael. Er war tot, tot ihretwegen. Sogleich stellte sich Sophie dieses hübsche Gesicht vor, nun ganz fahl und weiß, mit schreckensgeweiteten Augen im Angesicht des Todes. Es dauerte nicht lang, da wurde Sophie schon wieder gewaltsam ins Hier und Jetzt gerissen. Der milchige Nebel vor ihren Augen verschwand, und sie sah ganz deutlich ihre Mutter vor ihr stehen. „Mu-…“ Es gab einen scharfen Knall, als ihre Mutter zügig die Hand von links nach rechts zog. Die Ohrfeige brannte auf Sophies Haut, Tränen des Schmerzes stiegen ihr ins Gesicht. Bevor sie noch irgendetwas sagen konnte, irgendeine Frage stellen oder gar um Verzeihung bitten konnte, zerrte Sophies Mutter schon an ihrem Kleid. Leise kullerten die Knöpfe ihres Gewandes zu Boden, und durch den Ruck des Ziehens und Zerrens stürzte Sophie zu Boden. Im bloßen Unterkleid lag sie nun zu Füßen des hohen Rates und starrte auf das hinauf, was einst ihre Mutter gewesen war. Stumm und mit aufgerissenen Augen lag sie da, der dicke Kloß in ihrem Hals nahm ihr jede Möglichkeit des Sprechens. Endlich sagte ihr Vater, was Sophie längst in den Augen ihrer Mutter lesen konnte: „Du bist nicht unsere Tochter. Wir haben keine Tochter.“ Alle drei Oberhäupter hatten sich nun erhoben. „Mit dem heutigen Tage legst du den Namen Castelli ab. Du wirst aus dem Kreise der Aristokraten verstoßen und aus der Stadt verbannt. Und dies ist noch die mildeste Strafe, die höchstens einem Adligen zusteht. Missachtest du jedoch unsere Worte, rettet dich auch das nicht mehr vor dem Tod. Geh nun. Und kehre nie, nie wieder zurück.“ Alles war nur Dunst. Sophie stolperte mehr, als das sie lief. Irgendwo verlor sie ihre Schuhe, doch was kümmerte sie das noch. Am Körper trug sie nichts als ein Unterkleid, ihr Schmuck war bei der Ohrfeige ihrer Mutter zerrissen. Ihre Mutter. Sophie spürte einen furchtbaren Schmerz in der Brust, als sie an ihre Eltern dachte. Keines Blickes hatten sie sie gewürdigt, als sie schmerztrunken aus dem Saal getorkelt war. An einer Hauswand machte Sophie halt. Sie lehnte sich dagegen, das blonde Haar hing ihr strähnig an den Seiten hinab. Die Sonne brannte und Sophie merkte, wie ihre Haut langsam verbrannte – noch nie war sie derart der erdrückenden Sonne ausgesetzt geworden und auch entsprechend blass war ihre Haut. Sie nahm kaum wahr, wo sie sich befand, doch sie musste bereits außerhalb des Adelsviertels sein; die Menschen hier sahen gewöhnlich aus, wenn auch noch nicht zu heruntergekommen wie womöglich vor den Toren der Stadt. Wo sollte sie hin? Es gab keinen Ort, zu dem sie konnte. Ihre Lieder waren halb geschlossen, als ihr Blick aufs Meer fiel. Freiheit. Das war das Meer für sie. Niemals war sie frei gewesen. War sie nun frei? Nein. Doch jetzt wusste Sophie, wohin sie wollte. Was sie wollte. Freiheit – nichts mehr. Ein erleichtertes Seufzen entwich ihr. Sie hatte nichts mehr, alles verloren. Besitz, Heim, Familie. Status. Sie war ein Nichts. Ein Niemand. Jetzt gab es nur noch das Eine für sie. Sophie war noch niemals außerhalb der Stadt gewesen, und der Weg war steinig und schwer. Ohne festes Schuhwerk an ihren Füßen stolperte Sophie mehr als nur einmal, doch sie kümmerte sich nicht um ihre aufgescheuerten Knie oder den Schmerz in ihren Handgelenken; ihr Blick galt der Klippe direkt am Meer, genau vor ihr. Meter um Meter kämpfte sie sich voran, immer die Augen auf ihr Ziel geheftet. Der Wind blies durch ihr Haar, umspielte ihr Gesicht, und unter ihren Füßen spürte sie das angenehm harte Gestein der Kreidefelsen. Als wolle er sie von ihrer Tat abhalten, wehte der Wind ihr entgegen und drückte sie zurück. Doch Sophie ging weiter. Schritt für Schritt setzte sie die Füße aneinander. Endlich krallten sich ihre Zehen um die Ränder der Klippe. Die Sonne sank schon wieder, es war viel kälter geworden – Sophie war das nicht einmal aufgefallen. Wie viel Zeit mochte seit ihrem Aufstieg vergangen sein? Seit ihrem Entschluss? Unter ihr tobten die Wellen. Gnadenlos schlugen sie gegen den Fels und begruben alles unter sich. Das Meer sah längst nicht mehr so weit und frei aus, wie Sophie es in Erinnerung hatte. Von hier oben, so viele Meter über dem Wasser, sah es gar dunkel und bedrohlich aus. Und doch: Sophie lächelte. Es war ein seliges, erleichtertes Lächeln. Erst jetzt erkannte sie, wie wenig ihr das Leben gegeben hatte, überhaupt geben konnte. Es gab nichts mehr, das sie hielt. Dieses öde, einengende Leben, schon bald würde es hinter ihr liegen. Und Sophie würde frei sein. Frei und unendlich. Ein einziger Schritt, der sie davon noch trennte. Und noch immer ein Lächeln auf den Lippen, tat sie diesen letzten Schritt. Zuerst hatte er das Mädchen gar nicht gesehen. Gedankenverloren lag er in der Sonne und öffnete erst die Augen, als es kühler wurde. Erschöpft streckte Clive seine Glieder, gähnte einmal herzhaft und sah sich dann verschlafen um. Er mochte diesen Ort, hoch oben auf den Klippen über der Stadt. Die weißen Felsen hatten etwas unnatürliches, beinahe übernatürlich, doch gerade das fand er so anziehend an ihnen – und vor allem hatte man hier seine Ruhe. Niemand machte den weiten Weg die Klippen hinauf, denn hier oben gab es nichts, nicht einmal ein noch so karges Blümchen. Es war nur der Wind, der Clive in den Ohren lag – und das schlurfende Geräusch von Schritten… Sofort waren seine Sinne wieder geschärft; als hätte er nicht noch eben geschlafen, sprang er auf die Füße und sah sich um. Seine Muskeln entspannten sich erst, als er die Ursache des Lärms entdeckte: Nur wenige Meter von ihm entfernt schlurfte ein Mädchen über den Fels. Es lagen vielleicht fünf, sechs Meter zwischen ihnen, doch selbst von hier aus sah Clive die Leere in ihrem Blick. Sie wirkte abwesend, beinahe tot, wie sie gar mechanisch einen Fuß vor den anderen setzte und dem Rand der Klippe dabei bedrohlich nah kam… Scheinbar hatte sie ihn nicht gesehen, zumindest würdigte sie Clive keines Blickes und ging noch immer auf die Klippe zu. „Hey.“ Zaghaft machte Clive einen Schritt auf sie zu, unsicher ob er etwas tun sollte. Als er sie jedoch etwas näher betrachtete – wirres Haar, verschmutztes weißes Kleid und mit Schürfwunden übersät – lief er ihr hinterher. Er beschleunigte seine Schritte, als sie direkt vorm Abgrund stand. „Hey!“ Nur noch zwei Schritte trennten sie. Clive war überzeugt, dass sie ihn hören musste, doch sie reagierte nicht, und aus Angst sie womöglich ausversehen zu stoßen, wollte er nicht einfach nach ihr Greifen. Dann, ganz langsam, drehte sie sich mit dem Gesicht zu ihm herum. Auf ihrem Gesicht lag ein seliges Lächeln, das unter diesen Bedingungen schon irre wirkte. Doch auch mit dieser verzerrten Grimasse, das keinerlei Schönes barg, erkannte er sie. Es war das Mädchen aus der Villa. Das Mädchen, das er vor gar nicht allzu langer Zeit auf der Straße getroffen hatte; die ihn angepöbelt hatte, flankiert von ihren starken Helferlein. Und das Mädchen, das er aus den Flammen ihrer Villa gerettet hatte. Und genau dieses Mädchen ließ sich nun fallen, weg vom festen Stein der Klippen, hinein in die scheinbar endlose Weite des Falls. Bevor Clive genau wusste, was er tat, streckte er den Arm und sprang ihr hinterher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)