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Morbus Amatoris

Liebeskrank
von

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idem.

Dumbledore reckte lauschend sein Haupt. Im Korridor rumpelte und polterte es kräftig, was ganz und gar ungewöhnlich für die späte Stunde war. Während seines letzten Rundganges hatte er ein scharfes Argusauge darauf gerichtet, dass die dunklen Flure schülerfrei waren – auch wenn, wann immer er einen Nachtschwärmer ausfindig gemacht hatte, diesen – zugegeben – wieder einmal mit zwei zugekniffenen Augen hatte entkommen lassen. Manch einer warf ihm diese große Konnivenz vor, und sie entsprach allzu sehr den Fakten, als dass er sich dagegen verteidigen würde – und wollte. Die Schüler waren noch jung, und Dumbledore mit seinen vollendeten sechs Jahrzehnten wusste, was es heißt, jung zu sein. Ehe man sich versieht, wird man schon als Tattergreis bezeichnet, weswegen man jedes Jahr auskosten sollte, solange einem dazu die Möglichkeit bleibt.
 

Aber das, was dort draußen vor sich ging, waren keine Schüler. Für einen Moment war der Professor besorgt, es könnte ein Troll sein, bei diesem Lärm. Doch es war etwas anderes, etwas Schlimmeres. Eine düstere Vorahnung ließ ihn das Lachkraut senken, welches er gerade in einen größeren Topf hatte umpflanzen wollen.
 

Er hörte Stimmen.
 

Bevor er sie jedoch zuzuordnen vermochte, wurde die Tür zu seinem Büro bereits aufgestoßen. Der Anblick ließ sogar Dumbledore sekundenlang erstarren, den Mund mehrmals auf- und wieder zuklappen, kein Wort hervorbringen. Als er endlich zur Sprache gefunden hatte, schnitt ihm Tom Riddle selbige ab, indem er auf die Knie stürzte und sich unvermittelt mit dem dringenden Ersuch seines Abendessens an den Topf als die eleganteste Lösung wandte, die ihm in seiner Eile in den Sinn kam. Kurzerhand steckte Albus das Lachkraut, das nun wirklich gar nichts mehr zu lachen hatte, zurück in seinen alten Tonbehälter und tätschelte es tröstend, ehe er sich umwandte. Hinter Tom füllte Horace Slughorns Statur die Tür aus und machte ein eigenartiges Gesicht.
 

„Was ist geschehen?“, verlangte Dumbledore ohne Umschweife zu erfahren.
 

„Wir fanden ihn auf seinem Rückweg von Hogsmeade.“ Das Nachfolgende auszusprechen, kostete dem Hauslehrer Slytherins einiges an Überwindung. Die Brauen hingen ihm derart tief über den Augen, dass sein Gesicht dreimal schwerer aussah, als es sowieso schon war. „Er schwankte und redete wirr. Natürlich fragten wir ihn, wo er war und weshalb er nicht vor der Ausgangssperre zurückgekehrt war, als Vertrauensschüler…“ Er schüttelte sich vor Entrüstung und Enttäuschung.
 

„Erlauben Sie, Horace“, versetzte Dumbledore, „ich kann sehen, wie es dem Jungen geht. Was vorgefallen ist, möchte ich bitte wissen.“
 

Slughorn begriff – zumindest gelang es ihm nicht länger, so zu tun, als würde er nicht begreifen – und erbleichte plötzlich so, als würde er sich gleich zu seinem Lieblingsschüler gesellen müssen. Er räusperte sich mehrmals, als hätte er die Antwort von seinen Füßen bis ganz nach oben in seinen Rachen zu befördern, wobei sie einen weiten Umweg um seinen Mageninhalt nehmen musste. „Ein Mädchen, Albus… Eine Schülerin. Sie… sie ist tot.“
 

Erneut musste Tom sich übergeben.
 

Dumbledore versuchte, die Fassung zu bewahren, obwohl er längst einen schrecklichen Gedanken hegte. Innerlich war ihm alles klar. „Wie "tot"? Gab es einen Unfall? Wer ist sie? Nun reden Sie doch, Horace!“
 

Der beleibte Professor schien auf einmal nicht mehr zu wissen, wo er war. Sein Blick schweifte desorientiert herum. „Illumina Penelopé Nyx. Die Arme wurde am Eingang zum Verbotenen Wald gefunden. Talentierte Hexe… Ehrgeizige Schülerin… Oh, der Anblick, Albus, dieser Anblick! Galatea meint, es könnte ein Diffindo gewesen sein. Können Sie sich das vorstellen? Ein Diffindo, das doch tatsächlich einen Menschen…“
 

„Es war Mord?“, fragte Dumbledore entsetzt. „Mord an unserer Schule?“
 

„Alle Anzeichen deuten leider Merlins darauf hin, mein lieber Albus.“
 

Betretene Stille setzte ein, unterbrochen von Toms ersticktem Husten, das, gerichtet in den Hohlraum seines in der Hektik improvisierten Eimers, seltsam fern anmutete.
 

„Ein Diffindo, sagen Sie?“ Dumbledore zog seinen Zauberstab, wandte sich ihn schwingend herum und dachte Accio! Prior Incantato!
 

Er spürte Slughorns irritierten Blick auf den Zauberstab Tom Riddles, der wie von selbst aus dessen Umhang hüpfte, zu Boden fiel und einen Dunst aussendete, welcher bei genauerem Hinsehen zwei sanft wogende Flügel formte, deren Betrachtung allein dem Körper eine Wohltat war.
 

„Er hat noch versucht, ihre Wunde zu heilen“, erklärte Slughorn leise. „Leider hat er sie zu spät entdeckt…“
 

Albus Dumbledore rührte sich nicht. Gerissen, Tom. Wahrlich, sehr gerissen…
 

„Wir werden sofort alle Schüler wecken und versammeln. Sämtliche Zauberstäbe sollen nach dem zuletzt getätigten Spruch untersucht werden. Horace, Sie können nun gehen. Setzen Sie den Schulleiter darüber in Kenntnis. Ich kümmere mich um Mister Riddle und werde gleich nachkommen. Wir sehen uns in der Großen Halle.“
 

Kaum hatte sich die Tür geschlossen, begab er sich hernieder und schob seine Arme unter die des Schülers, um ihm aufzuhelfen. Es stellte sich heraus, dass der vorbildliche, kluge und für seine vornehme Zurückhaltung bekannte Slytherin nicht einmal mehr auf seinen eigenen Beinen stehen konnte. Seine Pupillen waren klein geworden; er wirkte krank. „Sie haben die Wahl zu sprechen, Tom. Noch.“
 

Tom ließ Widerwillen bezüglich der intimen Berührung verspüren, machte allerdings keinerlei Andeutung einer körperlichen Gegenwehr. „Ich fürchte, ich weiß nich’, was Sie mein’n, Sir…“
 

„Und ich glaube, das wissen Sie sehr wohl. Bei den Schwingen eines Greifen, Tom, Sie haben getrunken!“
 

„Ja… Sir.“ Für die Dauer eines Lidschlages sah es aus, als wollte er mehr sagen. Letztlich jedoch verharrte er hinter den sicheren Mauern seines Schweigens. Er würde nicht reden müssen. Dumbledore ahnte, dass, sobald er den grauenhaften Vorfall vor allen Schülern zur Sprache gebracht hätte, irgendjemand aus irgendeiner Reihe aus irgendeinem Haus aus irgendeinem Jahrgang sich schuldbewusst von seinem Platz erheben und alles gestehen würde, was er nicht verbrochen hatte. Tom Riddle mochte unter dem starken Einfluss von Alkohol stehen – dafür stand nun irgendjemand unter dem starken Einfluss seiner manipulativen Magie, und derjenige tat Dumbledore jetzt schon Leid, ohne dass ihm bekannt war, wer es sein würde.
 

Als er den jungen Zauberer zum Diwan führte, äußerte der erstmals seinen Unmut, weiterhin im Büro des verabscheuten Professors zu bleiben: „Sir, ich muss geh’n… Der Unterrich’… morg’n… Muss ihn vorbereit’n…“ Doch der weise Lehrer kannte keine Gnade: „Ich denke, es wird Ihnen niemand übelnehmen, wenn Sie morgen ausnahmsweise einmal im Bett bleiben. So werden Sie auch genügend Zeit finden, den heutigen Abend Revue passieren zu lassen. Vielleicht – und ich hoffe es, ich hoffe es sehr für Sie – werden Sie doch von Ihrem Gewissen überrascht und bereit sein, zu reden. Ich jedenfalls halte mir stets ein Ohr offen für Sie.“ Er half ihm aus dem Blazer. Da er seine Augen wieder in das Gesicht Tom Riddles lenkte, vermochte er gerade noch die nun blitzschnell verfliegende Wut in den glimmenden Pupillen zur Notiz zu nehmen.
 

Weit mehr als die Aversion gegenüber der Anwesenheit des Mannes, der ihn damals überhaupt erst nach Hogwarts und damit aus dem Waisenhaus geholt hatte, flehte Riddle die Furcht vor der Macht jenes sanften, würdevollen, entschlossenen, undurchdringbaren Augenpaares an, diesen Raum schnellstmöglich zu verlassen. Ihm war, als schirmte ihn vor Dumbledores Blick keine Kleidung, keine Haut, kein Fleisch – als wäre ihm alles – seine Seele, sein Verstand, sein Herz – schutzlos ausgeliefert.
 

„Ruhe dich aus, Tom“, sagte Dumbledore im Ton zwischen Angebot und Anweisung, Bitte und Befehl. „Schlafe und lass die Träume zu. Haben sich die Augen erst vor der Wirklichkeit verschlossen, öffnet sich das Herz für jenes grenzenlose Reich, das wir Fantasie nennen. Können wir mit dem vergangenen Tag abschließen, so gehört es uns. Können wir das allerdings nicht, wird es uns in sich einsperren…“
 

Im Gegensatz zu denen so vieler Schüler, aber wie auch Harry Potters fünfzig Jahre später, entspannten sich Toms Züge im Schlaf nicht.
 

Dumbledores Antlitz ergraute und wirkte plötzlich so alt wie es war.
 

Sehr lange noch saß er regungslos an der Seite Lord Voldemorts.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  Nicki_R
2013-10-06T14:07:07+00:00 06.10.2013 16:07
Wow, dein Schreibstil ist wirklich außergewöhnlich gut!
Du schaffst Atmosphere, ziehst einen in die Geschichte rein, lässt einen die Welt von Tom Riddle aus seiner Sicht erleben, und schaffst es trotzdem so viel Distanz zu wahren, dass man diesen jungen Voldemort einfach nicht mögen kann.
Du bringst seinen Charakter sehr glaubwürdig rüber. Sehr gut durchdacht das Ganze!

Es gab nur zwei kleinen Dinge die mir aufgefallen sind.
Zum einen, was Kiamara schon erwähnte, war Dumbledore zu dieser Zeit noch nicht Schulleiter von Hogwarts. Ich verstehe gut, warum du Tom lieber zu ihm als Dippet bringen wolltest. Vielleicht kannst du dir hierfür noch eine andere Lösung einfallen lassen. Ich weiß nicht, zum Beispiel, dass Dumbledore in Dippets Büro ist und Dippet mit Slughorn geht und Dumbledore mit Riddel zurück bleibt? Ist auch nur so einen Idee.
Zum zweiten war ich etwas überrascht, dass der Tod einer Schülering nicht höhere Wellen schlägt, zumal man die Schule schließen wollte, als die Kammer des Schreckens geöffnet war. Aber auch hier verstehe ich gut, warum du es zu diesem Mord hast kommen lassen. Er passte in die Geschichte und in die Entwicklung von Voldemort.

Also, meine Anmerkungen sind vielleicht ein bisschen zwiespältig. Du kannst ja mal schauen, ob du etwas damti anfangen kannst.

Auf jeden Fall vielen Dank für diese Geschichte. Ich habe es sehr genossen sie zu lesen.

Nicki
Von:  Kiajira
2013-08-29T09:56:32+00:00 29.08.2013 11:56
Diese FF ist echt creepy, und das meine ich im besten Sinne. Das ist ein Tom, wie er besser gar nicht getroffen sein könnte, ein Tom, der die Wandlungzu Voldemort schon ziemlich hinter sich hat, aber gleichzeitig doch noch neugierig auf die Empfindungen normaler Menschen ist - auch wenn er selbst von Anfang an nicht daran glaubt, dahinter zu kommen. Ich bin beeindruckt. Das Kapitel, was immer wieder zwischen ihm und seinem Vater wechselt, finde ich faszinierend - du hast es wunderbar geschafft, diese doppelte Szene zu schreiben, ohne dass es merkwürdig klingt.
Auch Dumbledore finde ich am Ende sehr gut getroffen - auch wenn ich vermute, dass du ihn da bereits als Schulleiter beschrieben hast, damals aber noch Dippet war. Dippet würde die Geschichte aber nicht halb so gut abrunden, also gefällt mir Dumbledore hier doch besser.
Von:  _Delacroix_
2013-04-04T22:12:12+00:00 05.04.2013 00:12
Die Geschichte ist ziemlich eindrucksvoll. Hatte ich nicht unbedingt erwartet als ich angefangen habe zu lesen, auch weil Tom ein ziemlich schwieriger Chara ist, der nicht selten merkwürdig wirkt, wenn man ihm in FFs begegnet. Tat deiner aber nicht, oder das heißt, eigentlich schon. 
Aber er war nicht merkwürdig-merkwürdig sondern insgesamt einfach ziemlich ungesund-merkwürdig. Und auch wenn das jetzt vielleicht seltsam klingt, das war ein Kompliment.^^
Ich würde gerne anfügen, dass ich deinen Tom mag, aber das wäre eine Lüge. Ehrlich gesagt find ich ihn ziemlich unheimlich, aber he es ist Lord Voldemort, wenn der nicht unheimlich ist, dann stimmt da etwas nicht. 
So gesehen kann ich wohl sagen: Er ist dir wirklich verdammt gut gelungen.
Von:  Daikotsu
2011-03-06T18:59:52+00:00 06.03.2011 19:59
Eine wirklich sehr schöne gelungene FF.
Mir gefällt alles an ihr. Die Absicht dahinter, das "Wahre Ich" Toms...
Und sogar dessen Vater dahinter.
Und zeitgleich kam mir im Hinterkopf, wie es wohl mit jemand anders geendet hätte. Also nicht mit Illumina. Ich meine nicht, dass er plötzlich die absolute Liebe verspüren könnte. Doch sowas wie eine positive Einstellung zu jemanden. Und... es war rotes Haar ;)
Von: abgemeldet
2011-01-03T09:07:46+00:00 03.01.2011 10:07
Dein Schreibsil verschlägt mir gerade die Sprache - auf positive Weise!
Du schreibst so toll, dass ich beim Lesen alles vor meinen Augen gesehen habe. Dein Schreibstil ist an manchen Stellen richtig schön poetisch - und ich liebe deine Metaphern!

Bitte mehr FFs von dieser Genre <3

Von:  WhirlwindVio
2010-12-20T02:05:07+00:00 20.12.2010 03:05
Ich schließe aus dem Punkt am Ende des Kapiteltitelsatzes - und, vor allem, aus dem hübschen, grünen Wörtchen 'abgeschlossen' -, dass diese FF hiermit abgeschlossen ist.

Was soll ich sagen? Du hast mich beruhigt ;). Ich dachte schon es ginge um eine triefend romantische Lovestory über Tom und... nun ja, ein Mädchen. Es ging auch um Tom und ein Mädchen. Es ging tatsächlich um TOM und ein Mädchen. Und das hat mir hieran gefallen. ^^
Seine Laberattacken am Ende waren fast schon episch voldemordesk xD.

Nicht so sehr gefallen hat mir ihr Name. 'Nyx' klingt mir, selbst (oder gerade?) für eine alte, reinblütige Zaubererfamilie, irgendwie zu abenteuerlich. Hat es mit dem Namen irgendeine Bewandnis? Gegen Ilumina habe ich dagegen nix. Auch wenn die gute erst ganz am Ende erleuchtet wurde. *fg*


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