Scream in the sphere of destiny von Ceydrael (Wage den Schritt hinaus) ================================================================================ Kapitel 6: Hilfe ---------------- Zu meinem Glück stellte sich der Fall als weniger schwierig heraus, in den der Junge da geschlittert war, als anfänglich angenommen. In meinen schlimmsten Vorstellungen, die mir doch etwas den Schweiß auf die Stirn getrieben hatten, war ich bereits bei bekannten Fernseh- und Radiosendern vorstellig geworden, um die Rechte an Musikstücken zu sichern. Das hätte sich durchaus als, hm, verzwickt erwiesen. Doch nun schien es das Schicksal doch mal ein wenig besser mit mir zu meinen. Selbst die ständig zynische Stimme in meinem Kopf schwieg jetzt einmal. Fragte sich nur, für wie lange... Ich beruhigte mich ein wenig und lauschte dem jungen Japaner bei seinen Ausführungen, wobei ich mich immer wieder ermahnen musste, auch wirklich zuzuhören und mich nicht einfach nur von dem Klang dieser süßen Stimme treiben zu lassen. Oder mich mit dem Blick am Gesicht des Jungen festzusaugen. Irgendwie faszinierte mich die Bewegung seines Gesichtes beim sprechen; immer wieder huschten die unterschiedlichsten Emotionen über die weichen, hellen Züge. Nicht lang genug, dass man etwas davon greifen und benennen könnte und doch lang genug, um einen Eindruck von seinem Wesen zu bekommen. Fast wäre es, als würde man einer spannenden Aufführung, vielleicht einem Theaterstück zusehen, was allein auf seinem Antlitz statt fand. Ich griff nach meiner Kaffeetasse, nickte ab und an geschäftig und machte meine Notizen. Er hatte also einst in einer Band gespielt, die ihn dann aus unerfindlichen Gründen rausgeschmissen hatten. Leider war er so blauäugig gewesen und hatte seine gesamten gesammelten Texte bei diesen offensichtlichen Idioten gelassen. Am liebsten hätte ich mir die Hand vor die Stirn geschlagen. Wie konnte man so eine Wahnsinnsstimme denn abweisen? Mir fiel als einziger Grund ein, dass wohl der neue Frontmann noch ergreifender singen konnte, aber diese Vorstellung wollte sich so gar nicht festsetzen. Ausgeschlossen, dass jemand besser als dieser junge Japaner sang! Alan, meinst du nicht, du bist ein wenig voreingenommen? Und wenn schon. Ich hatte mich nie sonderlich für Musik interessiert und wenn dieser Junge es schaffte, das mit einem einzigem Lied, mit ein paar leidenschaftlich vorgetragenen Worten zu ändern, dann musste er ein wahrer Künstler sein. Alan, du schweifst ab. »Und nun benutzen sie deine Texte ganz offiziell?« Der dunkelhaarige Japaner nickte. Die Hände hatte er im Schoß verkrampft, offensichtlich stand er unter enormer Anspannung. Sein Blick war nun gesenkt, er hatte mich beim sprechen kaum angesehen. Leider. »Sie treten damit auf. Ebenfalls bei einigen Talentwettbewerben und ein paar Festen. Ich habe durch Zufall davon erfahren, weil man MICH darauf hinwies, dass mein Text kopiert ist…« fauchte der Junge fast. Diese einnehmenden Augen sahen wieder aus dem Fenster und funkelten gefährlich. »Hm, hast du schon versucht, mit ihnen zu reden? Vielleicht sind sie ja einsichtig.« Der Junge schnaubte und lächelte humorlos. »Ja, sicher… einsichtig.« Ich beobachtete ihn über den Rand meiner Tasse, an die ich mich klammerte, um die Verbindung zu der Wirklichkeit nicht zu verlieren. Ich brauchte Halt. Warum, zur Hölle, brauchte ich Halt? Warum, verflucht nochmal, hatte ich in seiner Gegenwart solche Mühe, mein perfektes Leben, meine einstudierten und nötigen Lebensweisen beizubehalten? Er bemerkte wohl, dass ich ihn forschend beobachtete und deutete das glücklicherweise falsch. »Ja, ich hab versucht, mit ihnen zu sprechen. Es hat nichts gebracht.« Das war zu erwarten gewesen. Sonst hätte er kaum hier gesessen. Ich nickte bedächtig, ließ mich in meinem Stuhl wieder nach vorn fallen und verschränkte die Hände, um mein Kinn darauf zu stützen. »Das Problem ist, dass ich zweifelsfrei beweisen muss, dass alles dein geistiges Eigentum ist. Verstehst du? Sonst sind die Chancen gleich null, da etwas heraus zu holen. Kannst du irgendwie beweisen, dass alles von dir ist?« Der Junge kaute fast hektisch auf seiner Unterlippe und strich sich durch das dunkle Haar. Dann schien ihm etwas einzufallen und er deutete auf meinen PC. »Sie haben sicher Internet?« »Natürlich.« Er war schon aufgesprungen und zu mir um den Tisch gekommen. »Darf ich?« Himmel, warum war er plötzlich so nah? Das rüttelte jetzt doch etwas an der Mauer meiner Selbstbeherrschung. »Sicher.« Mit, zu meiner echten Verblüffung, ruhigen Fingern, schob ich ihm die Maus hin und rollte selbst mit meinem Stuhl zur Seite. Der Junge beugte sich leicht über den Tisch und begann mit raschen und geschickten Fingerbewegungen eine Internetseite aufzurufen. Hochkonzentriert starrte er dabei auf den Monitor und beachtete mich gar nicht. Ich hingegen hatte wahrlich mit mir zu kämpfen, nicht die Hand auszustrecken, um ihn zu berühren. Mir erschien es noch immer mehr wie ein Traum, als die Wirklichkeit, dass dies alles wirklich passierte. Alan, komm mal wieder runter. Das ist nur ein Junge. Gut, vielleicht ein wirklich hübscher mit einem Talent für Musik, aber eben nur ein Junge. Mit einigem Aufbringen an Selbstbeherrschung hielt ich meinen Atem ruhig und zwang meinen Blick von dem Japaner neben mir ebenfalls auf den Bildschirm. Wieder drang dieser Duft in meine Nase, der genauso berauschend schien, wie die Stimme des Jungen selbst. Ein schlanker Finger tippte aufgeregt auf den Monitor. »Da, sehen Sie? Der Beweis. Hier hab ich meine Texte mal hochgeladen, um sie einem Bekannten zu zeigen.« Ich lehnte mich ebenfalls weiter vor und konnte so nicht ganz verhindern, dass sich unsere Arme kurz streiften. Zugegeben, vielleicht wollte ich es auch nicht verhindern. »Sogar mit Datum.« Der Finger des Jungen rutschte auf die Zahlen und er lächelte mich flüchtig an. »Würde das reichen?« Ich studierte die aufgerufene Seite kurz, dann nickte ich. »Das ist fast 2 Jahre her. Sollte eigentlich reichen, wenn deine lieben Bandkollegen erst jetzt damit an die Öffentlichkeit gegangen sind.« Der junge Japaner wirkte mehr als erleichtert und für einen kurzen Moment hatte ich die irrsinnige Hoffnung, dass er mir dankbar um den Hals fallen würde. Sag mal, Alan, was wünschst du dir da eigentlich für einen Müll? Wahrscheinlich sollte ich ehrlich mal darüber nachdenken, einen Arzt aufzusuchen. Vielleicht litt ich ja an einer bisher unbekannten Krankheit, die mir seltsame Gedanken und Wünsche in den Kopf setzte. Alan, diese Krankheit ist nicht unbekannt. Die nennt sich Psychose. Psychose! Der Junge richtete sich wieder auf und ging, zu meinem Bedauern, zu seinem Platz zurück. Doch dort setzte er sich nicht, sondern sah mich unschlüssig, fast skeptisch an. »Sie werden mir wirklich helfen?« Wohl konnte er dem Ganzen noch keinen rechten Glauben schenken. Wie ein heiliger Samariter sah ich dann wohl doch nicht aus. Ich streckte ihm einfach auffordernd meine Hand entgegen und lächelte ehrlich und freundlich. »Alan. Bitte.« Der Blick der dunklen Augen senkte sich auf meine Hand und nun wirkte er wahrlich wieder mehr denn ja wie ein Raubtier. Er fixierte meine Finger und schien abzuwägen, ob es Gefahr barg, diese zu ergreifen oder aber ob man mir trauen konnte. Eine der dunklen, schmalen Brauen hob sich leicht an. Ich hoffte wirklich, dass ich jenen vertrauenswürdigen Eindruck in diesem Moment ausstrahlte, den mein Beruf mir abverlangte und nicht wie ein Psychopath kurz vor dem Ausbruch wirkte. Aber eigentlich war ich der Meinung, mich zumindest äußerlich ganz gut ihm Griff zu haben. Zu dieser Schlussfolgerung kam wohl auch der Junge, denn er trat heran und ergriff tatsächlich meine Hand. Ich wusste wirklich nicht, welche Gefühle ich in jenem Moment verspürte. Alles vermischte sich zu einem wilden Knäul an Emotionen, aus deren Wirrwarr man unmöglich noch etwas herausfiltern konnte. Ein leichtes Prickeln ging von meiner Handfläche aus und zog kurz durch meinen Körper. So schmale Finger. So weiche Haut. »Kaito. Dann… Alan. Du wirst mir wirklich helfen?« Ich war versucht, diese warme Hand eine Weile länger festzuhalten. Einen Moment nur, der vielleicht zwischen Höflichkeit und Dreistigkeit entscheiden konnte. Doch ich ließ los, wobei dies schwerer schien, als einen Gipfel mit 10 Kilo Rucksack zu besteigen. »Das werde ich. Ich werde zumindest alles versuchen, was in meiner Macht steht, damit du dein Eigentum wieder bekommst.« »Und du willst nichts dafür haben?« Das klang nun wahrlich ungläubig. »Naja, etwas könnte ich mir schon als Dank vorstellen…« Sofort verengten sich die Augen des Jungen und man konnte das Misstrauen förmlich darin lesen. Was musste er jetzt von mir denken? Ich fühlte mich sogleich wie das letzte Arschloch, wobei meine Gedanken doch wirklich harmlos waren. Ach, tatsächlich, Alan? Ich hob sofort die Hände und lachte leise. »Nichts Verfängliches. Keine Sorge. Ich wollte einfach fragen, ob du nochmal singen würdest? Vorzugsweise natürlich, wenn ich dabei bin.« Schweigen. Hatte ich mich zu weit vorgewagt? War das zu viel verlangt? »In Ordnung.« kam es dann leise, jedoch nicht widerwillig oder störrisch. Der Junge nickte. Das war wohl eine Option, mit der er leben konnte. Eine Woge Erleichterung und Freude schwappte über mich. »Sehr schön.« Ich erhob mich von meinem Stuhl, trat um den Tisch herum und zog das karg beschriebene Formular des Japaners zu mir. Seine Handynummer hatte er notiert. Sehr gut. »Ich melde mich, wenn sich etwas ergeben hat. In Ordnung?« Ich wiederstand der Versuchung, ihm erneut die Hand hinzustrecken. Kaito nickte; die Lippen erneut geziert von einem kleinen Lächeln. Ich hätte mich so gern noch länger mit ihm unterhalten. Ihn noch länger hier behalten. Doch alle relevanten Dinge waren geklärt. Es gab nichts mehr zu besprechen. Zumindest nicht von offizieller Seite aus. Außerdem wartete mein nächster Klient nun schon fast eine Stunde, verriet mir der Blick auf die Uhr. Das ist schlecht, Alan. Sehr schlecht. Das macht nicht gerade einen guten Eindruck. Kaito war meinem Blick auf die Uhr gefolgt und sah kurz recht bekümmert zur Seite, dann trat er den Weg zur Tür an. »Verzeihung. Ich wollte nicht so viel Zeit stehlen…« Nein. Nein! Denk doch nicht, dass du mir etwas gestohlen hast. Das ist doch nicht wahr. Was war denn dann die Wahrheit, Alan? Die Wahrheit war, dass ich mich in der Zeit mit diesem dunkelhaarigen Jungen zum ersten Mal wieder völlig frei und zufrieden gefühlt hatte. »Ach, halb so wild. Ist nicht schlimm, wirklich.« Kaito wirkte wenig überzeugt, brachte ein kurzes Nicken zustande, dann war er verschwunden. Plötzlich kraftlos sank ich gegen meinen Schreibtisch und bettete das Gesicht kurz in den Händen. Dann fuhr ich mir mit den Fingern durch das Haar. Alan, weiter im Text. Da wartet immer noch jemand. Ich griff nach hinten und zog das Telefon heran. Am Empfang ließ ich verlauten, dass mein Klient herauf kommen könnte. Zu meinem Glück war er noch da. Ich zog das Formular von Kaito zu mir heran und strich flüchtig, fast andächtig mit dem Finger über die feine, geschwungene Schrift des Jungen. Mutierst du jetzt zum Fetischisten, Alan? Ich zog mein Handy aus der Hosentasche und tippte die Nummer des Japaners rasch in meinen Speicher. Ich fühlte mich wahrlich wie ein Schuljunge, der die Telefonnummer der Schulschönheit in der Tasche hatte. Einfach lächerlich. Doch das leichte, zufriedene Grinsen wollte nicht mehr ganz aus meinem Gesicht weichen. Sofort am nächsten Tag tätigte ich einen Anruf zur Polizeiwache und erinnerte einen alten Freund daran, dass ich noch einen Gefallen gut hatte. Dann setzte ich ein Schriftstück auf, indem ich mit einem Verfahren wegen Diebstahl von geistigem Eigentum drohte. Lisa erklärte ich nach dem Abendessen, dass ich noch ein Treffen mit einem Klienten hatte und drückte ihr und den Kindern noch einen Gute-Nacht-Kuss auf. Susan war, wie erwartet, weniger begeistert. Teenager. Meine Frau fragte nicht weiter nach, es kam ab und an vor, dass einige Kunden auch noch nach Feierabend Hilfe benötigten. Warum sagte ich ihr eigentlich nicht die Wahrheit? Die Sache mit Kaito war einfach wie ein süßes Geheimnis, was ich für mich wahren wollte. Ich lenkte meinen Wagen durch die abendliche Stadt und fühlte leichte Aufregung. Nicht, weil ich diese ehemaligen Bandkollegen von Kaito nun aufsuchen würde, sondern weil ich ihm vielleicht helfen konnte. War es egoistisch, hinterhältig, sich die Dankbarkeit des Jungen zu wünschen? Das war es mit Sicherheit. Ich traf mich mit meinem alten Bekannten vor der ungenutzten Lagerhalle, die mir Kaito beschrieben hatte. Nach seinen Ausführungen fanden hier meist die Bandproben statt. Und tatsächlich, aus dem Inneren der Halle drangen schrille Töne und eine krächzende Stimme, bei der es mir die Nackenhaare aufstellte. Also wenn diese Stimme gegen die des jungen Japaners ausgetauscht worden war, dann hatte jemand sehr wenig Musikgeschmack. Alan, seid wann verstehst du etwas von Musik? Henry hatte sich ebenfalls in seiner Dienstuniform eingefunden. Sehr schön. Es war nicht so, dass ich Angst vor ein paar Halbwüchsigen hatte, das ganz sicher nicht. Ich war körperlich fit und hatte einen annehmbaren Körper, zumindest nach meiner Meinung. Die Stunden im Fitnessstudio und die Jahre, die ich noch zusätzlich mit Kampfsport verbrachte hatte, machten sich doch bemerkbar. Ich würde mich schon wehren können, falls man mir mit Handgreiflichkeiten drohen sollte. Aber ein Polizist strahlte doch noch eine gewisse Förmlichkeit und Dringlichkeit der Sachlage aus. Ich hoffte, das würde reichen, um die jungen Männer einzuschüchtern. Und dem war auch so. Die Gruppe dieser bunthaarigen Jugendlichen sah erst ein wenig verwirrt auf mich, dann schienen sie doch ein wenig nervös, als Henry in voller Montur noch auftauchte. Ich war mir ziemlich sicher, dass die noch mehr Dreck am Stecken hatten, als nur geraubte Lieder. Aber das stand jetzt ja nicht zur Debatte. Ich erklärte ihnen in knappen Worten, was ihnen drohen konnte und schmückte das ganze natürlich noch ein wenig aus, in der Hoffnung, dass keiner der Jungs Ahnung von der Rechtslage hatte. Ihre bleichen Gesichter bestätigten meine Hoffnung. Ohne große Umschweife unterschrieben sie mir ein Formular, in dem sie einwilligten, kein geistiges Eigentum von Kaito Yamada mehr zu nutzen. Dann händigten sie mir ohne Diskussion das Notizbuch des Japaners aus, in dem sein wertvollster Besitz geschrieben stand. Mit mir selbst mehr als zufrieden schwang ich mich wieder hinter das Steuer meines Wagens und zog mein Handy hervor. Mit zittrigen Fingern und leichter Nervosität tippte ich eine kurze Nachricht an Kaito. ~Erfolg. Wann können wir uns treffen? Gruß Alan.~ Ich erwartete nicht sofort eine Antwort. Doch kurz nachdem ich den Wagen wieder in den zähflüssigen Verkehr der Stadt eingereiht hatte, ließ mein Handy den Empfang einer Nachricht verlauten. Mein Herz hüpfte in jenem Moment fast aus der Windschutzscheibe. Scheiße Alan, du bist wirklich peinlich. Kaito bestellte mich für den nächsten Nachmittag an seine Schule. Seine Nachricht war ebenso knapp wie die meine, was mir einen leichten Dämpfer verpasste. Aber was hatte ich erwartet? Begeisterungsstürme? Alan, das ist nur ein Auftrag. Ein Auftrag, für den du wohl nicht mehr als einen warmen Händedruck bekommen wirst. Trotz allem fuhr ich mit einem mehr als freudigen Gefühl nachhause und ertappte mich dabei, wie ich den nächsten Tag herbeisehnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)