Gottes Flügel von Rockstar ================================================================================ Kapitel 1: Blutschuld --------------------- "Altair?" Das leise Getappel von Kinderfüßen hallte auf dem nackten Stein wieder. Still war es in Masyaf, still die Nacht und still in ihm. Seine Hände zitterten. Wie lange er hier nun saß, wusste er nicht mehr. Er hatte die Zeit vollkommen vergessen – oder die Zeit ihn. Kein Laut drang an seine sonst so wachen Ohren, kein Lichtpunkt erspähte das Bernstein, dass mancher für schön hielt. Er saß einfach nur hier und existierte. Er hatte ihn gewarnt. Hatte ihn wieder und wieder gewarnt, nichts für selbstverständlich zu halten, nichts auf die leichte Schulter zu nehmen. „Altair…?“ Vielleicht war es Hochmut gewesen, der ihn fallen ließ. Vielleicht war es aber auch schlicht sein mangelnder Glaube gewesen, für den Gott ihn nun strafte. Strafte Gott so immer die, denen er Flügel verlieh? Seine Mutter hatte ihm einst erzählt, dass Gott den Vögeln und den Engeln Flügel verlieh. Sie waren frei, durch kreisten den Himmel und blickten auf die Erde hinab. Nichts erreichte sie, nichts machte ihnen Sorgen. Solange sie nichts fürchteten, nichts bereuten, waren ihre Flügel stark genug, sie für immer in die Lüfte zu erheben. Umso härter war sein Aufprall gewesen. Es sollte alles ganz schnell gehen. Er war vorbereitet gewesen. Training, jeden Tag, bis er manchmal sogar auf dem Trainingsplatz einschlief; seine Füße zu schwer ihn noch einen Meter weiter zu tragen. Elite nannte der Meister es. Nur wenigen wurde diese Ehre zu Teil, sich von Gott Flügel verleihen zu lassen. Er sollte sich seine mit dem heutigen Tag verdienen. Jahre der Vorbereitung, Blut, Schweiß und Tränen vergossen nur für diesen einen einzigen Moment – zurückgekehrt war er, erfolgreich. Und besudelt. Besudelt, über und über mit Blut. Hatte nicht erwartet, wie es sich anfühlen würde, seine Klinge in den Hals dieses Mannes zu rammen. Erinnerte sich an das Gesicht des kleinen Jungen, der mit blutleerem Gesicht auf die Leiche seines Vaters starrte. Krampfte die Hände zusammen, als der kleine Junge einen Stein nach ihm warf und der Stein sein Ziel an seinen Lippen fand – Blut für Blut. „Altair…“ Jemand ging neben ihm in die Knie. Es kümmerte ihn nicht. Wer auch immer es wahr, vielleicht sogar der kleine Junge, der seinen Vater rächen wollte – es interessierte ihn nicht. Mit dem heutigen Tag war nicht nur ein Mann gestorben sondern er selbst. Er hatte sich getötet, in diesem Moment. Die versteckte Klinge, sein Treuebeweis an dieses neue Leben, durchtrennte seine Kehle mit einer einzigen fließenden Bewegung; zu leicht, es war immer zu leicht. Menschen waren verletzlich. Und sie würden es immer sein, egal ob Rüstung oder Schild. Es gab immer einen unachtsamen Moment, ein Blinzeln, eine Handbewegung, ein ungesicherter Schritt – und er sah es und stach zu. Nur einziges Mal. So leicht. So unglaublich leicht. „Hier bist du…Gott, du bist ja vollkommen ausgekühlt! Altair? Altair, hörst du mich?“ Hörte er ihn? Wollte er ihn hören? Wollte er mit ihm reden? Ihm Rede und Antwort stehen? Ihm sagen, dass er keine weißen Schwingen hatte, sondern blutgefärbte? Und was, wenn er ihn nicht verstand? Sprach er seit dem heutigen Tag vielleicht eine ganz andere Sprache? Würde er es denn wirklich verstehen? Wollte er verstanden werden? Auf keine dieser Fragen fand er eine Antwort, auch denn nicht, als sich jemand zu ihm setze und eine warme Decke um seinen Körper gezogen wurde. Zwei Hände legten sich um seinen Oberkörper, drückten seinen Kopf an eine knochige, erschreckend dürre Schulter, dessen Existenz bis in sein betäubtes Bewusstsein reichte. Er kannte diese Hände, die durch sein Haar strichen. Kannte diesen Geruch. Unverwechselbar. Hätte ihn unter tausenden gerochen. Es war dieser Geruch nach Wärme. Dieser Geruch, der ihn manchmal auf dem Trainingsplatz fand, wenn er nicht aufstehen konnte, halbtot geprügelt von der harten Schwertkampfausbildung. Der manchmal einfach wortlos neben ihm erschien, wenn er in den Himmel starrte und die Adler beobachtete. Der seine Hand nahm, wenn der Meister ihn dieses Sondertraining unterzog, in den Kräutern eine viel zu wichtige Rolle spielte. Und an dem er sich nachts schmiegen konnte, wenn die Dunkelheit drohte, ihn zu überwältigen. „Gott gab dir Flügel, Altair – aber ich bin deine Erde, auf der du ruhen kannst, wenn deine Flügel zu schwach sind, um dich durch den Himmel zu tragen.“ Es dauerte keinen langen Zeittraum, als die ersten Tränen die Wangen hinab liefen, sich am Kinn sammelten und in der Kleidung des anderen verschwanden. Enger wurde er an den dürren Körper neben sich gedrückt, herausgezogen aus diesem ganzen Wahnsinn, der viel zu oft nach seinem Verstand griff, ihn verstümmelte und misshandelte, bis nichts als blanke Knochen seine Existenz ausmachte. Der Junge neben ihn war sein Anker. Ein Anker, der die unendlichen Tiefen seines Herzens ausloote und dort Wurzeln schlug. Der ihm ein Zuhause war, ein Zuhause gab, wenn von seinem Selbst nichts mehr übrig war als ein Kind mit leeren Augen. „Danke, Malik…“ Nicht mehr als die brüchige Stimme eines Knaben, der kurz davor war, zum Mann zu werden. Viel zu leise in die Dunkelheit gehaucht und doch verstanden. Er würde ihn immer verstehen. Er war hier, wenn keiner hier war. Begab sich mit in die Dunkelheit, blieb sitzen, harrte aus; bis die Tränen versiegten und Schweigen und Wärme das einzige Band war, das sie miteinander verwob. Es war sein Leben. Es war ihr Leben. Bis es eines Tages ein Ende fand. Nichts ist wahr - alles ist erlaubt. ~*~*~*~*~*~ „Er sitzt schon wieder dort oben.“ „Gesund ist das nicht mehr.“ „Ob wir nicht besser mal nach ihm sehen?“ „Willst du, dass er dich tötet, wenn du sagst du machst dir Sorgen um ihn?!“ „Schon gut…“ Malik wandte widerwillig den Kopf. Dieser verdammte, arrogante Kotzbrocken. Selbst in diesem Moment schaffte es der sogenannte Meister – Assassine ihn schlichtweg auf die Palme zu bringen, einfach in dem er nur rumsaß und…nichts tat. Altair hatte es wirklich geschafft, vom selbstverliebten Egozentriker zum niedergeschlagenen Mauerblümchen zu mutieren, das den lieben langen Tag nichts weiter tat, als mit den Adlern am höchsten Punkt der Burg zu sitzen und in den Himmel zu starren. Mittlerweile redete schon die gesamte Bruderschaft über Altair. Und das im nicht sonderlich positiven Sinne. Maliks wache braune Augen spähten zum Aussichtsturm hinauf. Nur manchmal ließ ein Windstoß Altairs Anwesenheit erahnen, wehte er dann doch einen Teil des langen Gewands gut sichtbar hinter der hohen Mauer hervor. Er schnaubte verächtlich, schon mitten dabei sich einfach umzudrehen und endgültig Richtung Dorf zu stampfen, schließlich wollte er sich ein paar neue Bücher besorgen. Was auch sonst tun? Altair war zwar offiziell gesehen der neue Anführer der Bruderschaft, aber momentan so sehr dafür geeignet wie Malik für die Ausführung des Assainenhandwerks. Und so stand die Bruderschaft seit knapp einem Monat still und verharrte schweigend; immer in der Hoffnung, Altair möge sich endlich am Riemen reißen und seine Position als Anführer annehmen. Noch während er mit verdrießlicher Miene in Richtung Dorf stampfte, nebenbei fast umgeritten wurde und dafür auch noch ein sehr unfreundliches „Hurensohn!“ an den Kopf geworfen bekam, bemerkte Malik dass er wohl gerade dabei war, sich um Altair Sorgen zu machen. Diese Erkenntnis war so ziemlich der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Malik knurrte ungehalten, einige Frauen sprangen erschrocken aus dem Weg, während er sich einen Weg durch die dicht begangenen Straßen bahnte. Er machte sich Sorgen! Ausgerechnet er! Um diesen elenden Bastard, der seinen Bruder auf dem Gewissen hatte! Und doch. Malik wusste bei aller Missbilligung, dass es dieses Gefühl war, seitdem Al Mualim gestorben war. Er war der erste gewesen, der am Kampfplatz angekommen war. Er war der erste gewesen, der Altairs fassungsloses Gesicht gesehen hatte, während der einst so verehrte Meister seinen letzen Atemzug tat. Und er war der erste gewesen, der bemerkt hatte, dass Altair sich vollkommen von den Belangen der Bruderschaft zurück zog. Hatte gesehen, wie der stolze Adler seine Flügel nicht länger spannte sondern reglos am Boden verharrte, als wären die Flügel viel zu schwer, um je wieder geschlagen zu werden. Aber warum sich um Altair scheren? Er war ein arroganter Bastard, ein Kotzbrocken mit dem Feingefühl einer stumpfen Axt und damit sowieso jemand, dem Malik so gut wie es nur ging aus dem Weg ging. Malik blieb einen Moment stehen, kurz vor dem Geschäft, indem er so gerne einkaufte. Es führte unglaublich viele Bücher und Schriftrollen und wahrscheinlich müsste er hundert Jahre alt werden, um sie alle zu Lesen. Die ihm noch verbliebende Hand legte er auf dem Türrahmen ab, schon mitten dabei, sie aufzudrücken, als sein Blick auf eine Taube fiel, die in einer Entfernung von etwa 3 Metern auf dem Boden nach verstreuten Brotkrümeln scharrte. Sie hatte strahlend weißes Gefieder und hob den Kopf, wie als hätte sie bemerkt, dass Malik sie anstarrte. Mensch und Tier sahen sich an – wie lange, mochte Malik im Nachhinein nicht mehr zu sagen. Dunkle Knopfaugen starrten direkt in Maliks, fixierten ihn, als wollten sie tief in seine Seele blicken. Es kam ihm seltsam unwirklich vor, dass dieses Tier, welches mit Flügeln gesegnet war und in den Himmel gehörte, auf dem Boden anzutreffen war. Das Bild stimmte nicht, passte nicht. Es störte ihn. Es störte ihn furchtbar. Und mit einem Mal war die Wut wieder da. ~*~*~*~*~ „Ah, Malik! Was führt Euch zu mir, mein Junge?“ Wie immer begrüßte ihn der Buchhändler in einem väterlichen – freundlichen Ton. Malik kannte ihn eine gefühlte Ewigkeit und wirklich immer hatte der inzwischen alte Mann Zeit, ihm mit einem klugen Rat weiterzuhelfen, wenn er zu stagnieren drohte. Sie plauderten eine Weile über nichtige Dinge, hier und da zeigte der Buchhändler ihm einige seiner „Schätze“, wie er etwas brisante Ware gerne nannte. Malik nickte und war wie immer interessiert, Wissen war Macht und je mehr man davon hatte, desto besser war die Sachlage. Lächelte, wenn ein Lächeln angebracht war, zog fragend die Augenbrauen ein Stück empor, wenn der alte Mann Maliks kritische Meinung forderte. Aber selbst die geistige Forderung ihrer sonst stets langwierigen Unterhaltung hielt Maliks Geist nicht davon ab, andauernd abzuschweifen. Bilder tanzten vor seinem geistigen Auge auf und ab, Flügel die schlugen, Federn die vom Himmel hinab fielen, wie weißer Schnee. Ein gesenkter Kopf, minimalistische Bewegungen eines kraftvollen Körpers. Ein nichtsagendes Augenpaar, meistens verborgen unter einer Kapuze. Dieser Kerl machte ihn noch wahnsinnig. „Malik? Junge, Euer Tee wird kalt…“. Wie durch dicke Leinen drang die Stimme des Buchhändlers an Maliks Ohren, lies ihn zusammen zucken und das Buch, welches er gedankenverloren in der Hand gehalten hatte, abrupt zusammen klappen. Er starrte noch einige Augenblicke auf den Einband, dann grollte er leise. „Darf ich etwas fragen?“, meinte er dann und wandte sein Gesicht dem alten Mann zu, der seinerseits auf einem recht schäbig aussehenden Schemel saß und nun die Stirn furchte. „Sicher, mein Junger, sicher. Nur zu.“. Malik nickte, schnaubte nochmal einmal voller Abscheu, als wäre das Thema eigentlich unter seiner Würde, um wirklich laut ausgesprochen zu werden. „Ein…Bekannter von mir steckt derzeit wohl in einer Art Krise. Er vermag sich kaum aufzurappeln und etwas Sinnvolles zu tun, stattdessen verkriecht er sich lieber und meidet dem Umgang oder generell den Kontakt mit seinem Umfeld. Habt Ihr einen Rat für mich?“ Malik schnaubte noch einmal, stopfte nebenbei seine verbliebende Hand in die Tasche seiner langen Robe, lehnte den Rücken gegen das Bücherregal, das hinter ihm stand. Der alte Buchhändler sah ihn einen schweigsamen Moment an, dann sah Malik, wie sich die gefurchte Stirn mit den vielen Falten zu einem amüsierten Lächeln verzogen. „Ihr sorgt Euch, mein Junge?“, fragt er dann und Malik grollte erneut unwillig auf. „Sorgen ist zu viel der Worte! Ich frage aus…aus reiner Neugier.“ Wieder lächelte der alte Mann und Malik kam sich seltsam durchschaut vor. „Vielleicht hat Euer Freund derzeit kein klares Ziel vor Augen. Seht, dass kommt in der heutigen Zeit oft vor. Prioritäten, Ansichten und Wünsche ändern sich. Etwas, dass uns heute noch wertvoll und wichtig erschien, kann Morgen bereits nichts weiter als eine Kupfermünze wert sein. Manchmal braucht es die Augen der Erde, damit der Himmel wieder weiß, wo er hingehört.“ Na prima. Malik wollte Antworten, kein kryptisches Geschwätz eines zahnlosen alten Mannes. „Warum sollte die Erde dem Himmel helfen? Der Himmel tat ihm großes Unrecht an und ich denke, die Erde tut sehr gut daran, den Himmel weites gehst zu ignorieren!“ Malik schnaubte abermals unwillig und wieder verzog der alte Buchhändler amüsiert das Gesicht. Ein Ausdruck, als würde er einem besonders patzigen Kind erklären, dass Eins und Eins Zwei ergab. In einer vollkommen ersichtlichen Logik die jeder verstand, nur Malik nicht. „Weil die Erde sich um den Himmel sorgt und Abhängigkeit besteht. Wechselseitig.“ Malik blinzelte. Und noch einmal. Und wieder. Geschlagene 20 Sekunden starrte er den alten Mann vor sich an, der ihn breit und warm anlächelte, wie ein guter Großvater seinen Lieblingsneffen mit dem unsagbaren Dickschädel. Dann klappte er den Mund auf. Wollte ihm der Buchhändler etwa gerade wirklich weißmachen, er wäre von diesem gefühlsarmen Kotzbrocken abhängig und dieser von ihm? Das war doch absolut lächerlich! Undenkbar! Malik hätte Altair am liebsten eigenhändig dessen versteckte Klinge in den Hals gerahmt, allein um Kadar zu rächen. Er ballte die verbliebende Hand und marschierte ohne weitere Worte einfach aus der Buchhandlung. War denn die ganze Welt verrückt geworden? Nur weil er sich…ein paar Gedanken machte, sprach dieser alte Kauz von wechselseitiger Abhängigkeit! Es hatte geklungen, als unterstelle er ihm freundschaftliche Regungen – ausgerechnet ihm, Malik! Er hasste Altair, abgrundtief, bis in die 10. Pforte der Hölle oder noch weiter. Er hasste diesen aufgeblasenen Mistkerl, der sich einen Dreck um ihn und Kadar geschert hatte, als es wichtig gewesen war. Seinetwegen war Kadar Tod. Gestorben für einen Helden, der keiner war, verblendet von seiner eigenen Arroganz, zu sehr verliebt in die eigenen Fähigkeiten. Und ausgerechnet er sollte sich Sorgen? Ausgerechnet er, der es doch am liebsten gesehen hätte, Al Mualim hätte Altair getötet und nicht umgedreht… Malik bemerkte nicht, wie ihm stumm die Tränen über das Gesicht liefen, als er schon längst auf den Rückweg zur Festung war. Ein Donnergrollen lies den Himmel erzittern, Regen fiel mit dem nächsten Blitz, der den Himmel durchzuckte vom Himmel hinab und wischte die Tränenspuren aus. Es tat immer noch weh. Es tat immer noch…viel zu weh. Wie der Rest seines Armes, in dem sein Blut vor Wut und Verzweiflung zu kochen schien. ~*~*~*~ „Altair.“ Er wusste nicht, wieso er bekommen war. Ebenso überstieg es sein sonst so pragmatisch denkendes Gehirn um ein vielfaches, wieso er nun auch neben ihm saß. Ja, er saß neben ihm. Neben dem weißen Adler. Er, der auf den Boden gehörte und der personifizierte Himmel neben sich, der auch nach 3 Stunden des stillschweigenden Beiandersitzens kein Ton von sich gab. Malik seufzte und zog die Decke enger um seinen Körper. Der Regen fiel unaufhörlich vom Himmel hinab, taucht das Land in seinen nebeligen Schleier und brachte Kälte mit sich. Es würde bald Winter werden. Altair hatte seine Kapuze zurückgeschlagen und sah mit ausdrucksloser Miene in den Himmel. Er war groß, gertenschlank und durchtrainiert, wildes braunes Haar stand in sämtliche Himmelsrichtungen ab, trug er doch einmal nicht seine Kapuze. Dunkle, wache bernsteinfarbende Augen, ein Blick wie ein stolzer Adler. Wenn es je etwas an Altair gegeben hatte, das Malik an ihm mochte, dann waren es diese dunklen Augen gewesen. Seit ihrer Kindheit kannten sie einander, waren sogar enge Freunde gewesen. Die Ausbildung hatte Altair verändert. Früher war er ein lebhaftes, vorlautes Kind gewesen dass nicht bereit war, sich irgendeiner Regel zu beugen – niemals. Hatte Malik einst versprochen sich niemals zu beugen, nicht einmal dem Herrn selbst. Wollte stets er selber bleiben, war es doch das einzige gewesen, dass ihm geblieben war. Wann hatte dieser Knabe aufgehört zu hoffen und zu wünschen? Vielleicht an jenem Tag, als Al Mualim ihn zum ersten Mal ausschickte jemanden zu töten. 14 war er da gewesen. Malik erinnerte sich noch, wie Altair gescherzt hatte, es in weniger als 10 Minuten zu schaffen. Er kam erst 4 Stunden später zur Burg zurück. Vollkommen mit Blut durchtränkt. Sein eigenes – und das dem seines Opfers. Ebenso wusste Malik noch, wie er zusammen gekauert in der Ecke gesessen hatte. Und das er zu ihm gegangen war, mit einer Decke. Er hatte sie über ihrer beiden Körper ausgebreitet und Altair schlicht in den Arm genommen. Wollte, dass das fürchterliche Zittern aufhörte, dass von dem fremden, schmalen Körper ausging. Und hielt ihn stumm fest, als die ersten Tränen vom blassen Kinn des Jungen neben sich tropften. Malik hob den Kopf an, als er bemerkte, dass Altair ihn ansah. Keine Regung war in dessen Augen zu sehen, ein Ausdruck; als hätten sich vor langer Zeit Stahltüren hinter dem dunklen Bernstein geschlossen. Sie baten nicht um Vergebung, diese Augen. Nicht um Erlösung. Nicht um ein Bleiben. Altair sah ihn einfach nur an, sekundenlang war er wieder dieses Kind, das er einst schweigend in den Arm geschlossen hatte. Damals war so gewesen, als wäre die Welt so einfach weniger schlimm. Erträglicher. Als könnte ihnen unter dieser Decke nichts böses mehr wiederfahren, nichts mehr traurig stimmen. Nichts hatte mehr eine Bedeutung, keinen Kummer, keine Sorgen. Und wie damals beugte sich Altair leicht in seine Richtung, als Malik die große Decke um seine Schultern legte und ihn an sich zog. Braune Haare kitzelten Malik sanft an der Nase, als Altair seinen Kopf an die Schulter des anderen lehnte. Er hielt ihn fest. Oder sich an ihm? Die Realität war für einen Moment weniger furchtbar. Krieg, Leid und Tod in ferner Distanz. Regen spülte alles weg, alles Blut, alles hässliche, dass drohte, diese Welt zu einem Ort zu machen, den man nicht wollte und darum zerstörte. Inmitten dieses Regens, auf kalten, nackten Stein saßen zwei Männer dicht aneinander geschmiegt, wie die beiden Kinder, die sie einst gewesen waren. Altairs Stimme war ganz leise und rau, als sie sich einen Weg durch die einbrechende Dunkelheit bahnte. Malik sah, wie sich ein weißer Adler seine Flügel spannte und in den Himmel hinauf stiegt. Fremde Finger krallten sich in den Stoff seiner Robe. „Danke, Malik.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)