Zum Inhalt der Seite

Freestyle

Der etwas andere Freiheitskampf
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Verfolgung

Er schrie. Der lange Paladin schrie.

Aber es war kein normaler Schrei. Er legte seine ganze Kraft, seine magische wie seine körperliche, seine Gedanken und seine Gefühle in diesen einen, lang gezogenen Verzweiflungsschrei.

Die Luft begann zu vibrieren. Der Dicke taumelte zurück und hielt sich die Ohren zu. Was ihm natürlich nicht im Mindesten half. Er stieß gegen eine Wand, ihm wurde schlecht, er fiel hin. Er konnte nicht sagen, wo oben und wo unten, wo rechts und wo links waren – er verlor sich in diesem Schrei. Der Lange wurde immer lauter; dunkles Blut quoll aus seinem Mund. Und er stand da und projezierte seinen ganzen Willen, alle Gedanken, Hoffnungen und Träume auf einen einzigen Wunsch – den Dicken zu vernichten, ihn vollends zu zerstören und seine Asche in alle Winde zu zerstreuen. Er schrie, schrie, schrie seinen Hass und all seine Verachtung in die Welt hinaus, minutenlang, wurde immer lauter. Edward versuchte sein Schwert aufzuheben, aber er konnte seinen Arm nicht weit genug heben und fiel wieder hin. Er hatte nicht einmal genug Kraft um sich die Ohren weiter zuzuhalten. Feiner Staub und Gesteinsbröckchen lösten sich von der Decke und rieselten auf den Dicken herab. Risse überzogen die Wände und nun fielen vereinzelt auch größere Steine herunter.

Der Lange stand einfach da, blutete immer heftiger und wusste, dass er sterben würde. Der Schrei hatte auch auf seinen eigenen Körper , der schon lange seine eigenen Grenzen überschritten hatte, Wirkung: Seine Wunden rissen weiter auf, Blut und Tränen rannen über sein Gesicht. Wie hatte alles nur so schief gehen können?

Sein Leben zog an ihm vorbei. Wie in einem Film erlebte er alles noch einmal – verschwommene Bilder aus seiner Kindheit, seine Aufnahme bei der Kirche, seine Nachforschungen, sein Ergebnis, dass der König zu unzuverlässig und beeinflussbar war, seine Kontaktaufnahme mit dem Widerstand – und wie er zum Schluss seinen eigenen Namen verkauft hatte, um stärker zu werden. Seine Reue nach dieser Entscheidung. Seine Stunden voll Einsamkeit und Trauer.

Und der Mann, der ihn aus der Hölle geholt hatte.

Er hörte auf zu schreien. Irgendwo in ihm regte sich ein letzter Funken Lebenswillen.

Er sah auf. Vor ihm, halb gegen die Wand gelehnt, lag Sir Edward, mit Blut und Schutt bedeckt und sein Schwert neben sich auf dem Boden. Vor ihm lag ein großer, sicher an die zwei Zentner schwerer Gesteinsbrocken. Er war blutig.

Traurig schüttelte er den Kopf, als sich der Dicke zu bewegen begann.

„Du vertraust ihm immer noch, oder?“, fragte Edward leise, aber erstaunlich gelassen.

Er antwortete nicht. Ein paar Augenblicke verstrichen.

„Du glaubst an ihn! Für dich war er doch immer der große Held, der dich gerettet hat. DU BEWUNDERST DIESEN ABSCHAUM DOCH! DIESEN VERRÄTER!“ Die letzten Worte schrie er laut, trotz seinem Zustand.

Der lange antwortete auch dieses mal nicht sofort. Dann entgegnete er leise: „Sir Ellbow hat mehr für die Kirche getan, als es Ray, Valentine oder Serpentin getan haben. ER hat dieses Land geeint, nicht sie.“ Damit wandte er sich ab. Er hatte nichts mehr zu sagen. Er wusste, dass er sterben würde.

Er wandte sich dem Fluss zu. Die Außenmauer war zum Großteil zerstört, so dass er das andere Ufer sah.

Er wandte sich Flussabwärts, schließlich brauchte er sein Kreuz. Sein Kreuz. Plötzlich kam ihm eine Idee.

Wenn er es schaffte, sein Kreuz wieder zu bekommen, konnte er sich vielleicht heilen. Neue Entschlossenheit durchströmte ihn und gab ihm Kraft. Er setzte sich in Bewegung.

In der Nähe hörte er Rüstungen klappern.
 

Etwa zur gleichen Zeit ein paar Straßen weiter
 

Bill und Jack sprangen von Dach zu Dach. Die Häuser in dieser Gegend waren nur notdürftige, kleine Hütten, die nur wenige Zentimeter auseinanderlagen. Dies ermöglichte eine schnelle Flucht, war aber sehr viel auffälliger als bei den mehrstöckigen Häusern vorher, weswegen ihnen bereits jetzt mehrere gepanzerte Soldaten auf der Straße folgten.

Bill warf einen hastigen Blick zurück. Drei Wachen rannten die Straße hinab; zwei trugen nur Kettenhemden, leichte Lederpanzer und einhändige Langschwerter, der dritte folgte ihnen in voller Rüstung und mit einer wuchtigen, schwarzen Streitaxt über dem Rücken, aber alle hielten sie mühelos mit ihnen Schritt. Es war wie verhext: selbst der mit der Rüstung – und es war keine Leichte! - rannte genauso schnell wie sie, rannte sogar schneller als die beiden anderen.

„Sie verfolgen uns!“ rief Bill. Jack nickte nur. Und lief schneller.

Die Wachen kamen immer näher, und je näher sie kamen, desto mehr häuften sich Bills Zweifel, dass es sich wirklich um ganz normale Stadtwachen handelte. Die beiden mit den Kettenhemden trugen eindeutig elfische Langschwerter, und die Rüstung des Großen schimmerte silbern. Es schienen Paladine zu sein, doch was machten so viele Paladine um diese Zeit in einer so unbedeutenden Kleinstadt wie Yenis?

Und dann lief Bill in eine Wand. Das heißt, er glaubte, in eine Wand zu laufen, bis er merkte, dass es ein Mensch war, der wie sie über die Dächer geflohen war. Er prallte zurück und verlor das Gleichgewicht. Er fiel. Er rollte sich ab. Und knallte mit dem Kopf frontal gegen den Griff einer Streitaxt. Stöhnend wälzte er sich herum, den Tränen nahe. Wie konnte ein einzelner Mensch an einem einzigen Abend nur so viel Pech haben?

Er blutete heftig. Die Axt hatte ihn frontal erwischt: auf seiner Stirn prangte eine heftig blutende Platzwunde. Blinzelnd wollte er sich aufrichten, als etwas hart gegen seine Rippen prallte und ihn in hohem Bogen vom Dach katapultierte. Er landete kopfüber in einem Komposthaufen und blieb dort besinnungslos liegen.

„Was fällt dir eigentlich ein?“ schrie der Mann, in den er hineingelaufen war, empört. „Ich bin gerade vor ein paar Wachen geflohen, als -“

Er stoppte, als er merkte, dass die von ihm genannten Wachen – fünf an der Zahl, allesamt mit den gleichen dünnen Lederpanzerungen und Elfenschwertern wie die zwei, die sie verfolgt hatten – hinter ihm Aufstellung bezogen hatten. Jack war verschwunden.

„Verdammt“, sagte der Fremde grinsend und zückte einen kleinen, silbernen Revolver. Bill hatte sich unterdessen befreit und musterte den Neuankömmling entsetzt.

Er trug eine leichte, hellbraune Stoffjacke (obwohl mittlerweile Herbst war!“), die vorne offen war, eine dunkelbraune Lederhose, die von einem breiten Gürtel gehalten wurde, spitze Lederstiefel von der gleichen Farbe, die an den Absätzen kleine Silbersporen hatten, und einen dunkelbrauner Hut.Er hatte blaue Augen und schien sehr jung zu sein, irgendwo zwischen 20 und 25 Jahre. Aber am meisten erschreckten Bill seine Haare: sie waren auch dunkelbraun mit hellbraunen Strähnen. Alles in allem sah er aus wie ein Cowboy, fand Bill.

Dann legte er los. Wie auf ein geheimes Kommando zückten alle Schwertkämpfer ihre dünnen, silbernen Klingen und griffen noch im selben Atemzug an. Der Cowboy lies sich nach hinten fallen, drehte den Oberkörper und feuerte zwei Kugeln aus seinem kleinen Revolver ab, was ihm zusätzlichen Schwung verlieh.

Alle fünf Klingen schlugen ins Leere, wobei sich einige so verkanteten, dass sie aus der Hand ihrer Besitzer gerissen wurden. Der Fremde indes kickte einem der Paladine aus der Drehung so hart gegen die Brust, dass er förmlich nach hinten flog und dabei einen seiner Kollegen mitriss. Noch bevor der Rest reagieren konnte riss der Cowboy eines der Elfenschwerter vom Boden und führte einen diagonalen hieb von unten gegen die drei restlichen Soldaten, von denen zwei wie vom Blitz gefällt umfielen und ihre Hände gegen ihre Wunden pressten. Nur der Dritte schaffte es, den wuchtigen Schlag mit seiner eigenen Klinge abzufangen, doch noch ehe er Zeit hatte, zu realisieren, was vor sich ging, lies der Fremde seine eigene Waffe los und brach mit der bloßen Hand durch die Deckung des Paladins und riss seinen Kopf nach hinten. Noch ehe er am Boden aufkam, sah sich der Fremde um, erblickte Bill und sprang zu ihm. Dieser wollte schon entsetzt aufschreien, aber der Fremde presste ihm eine Hand auf den Mund, klemmte ihn sich unter den Arm und versteckte sich zusammen mit Bill hinter einem kleinen Karren. Gerade noch rechtzeitig.

Schon brach die massige Gestalt des Gepanzerten durch die immer dichter werdende Menschenmenge (es schien so, als hätte niemand etwas von dem kurzen Kampf auf dem Dach mitgekriegt), sah sich kurz um und lief dann weiter. Kurz darauf folgten die zwei Anderen, sprangen aufs Dach und begannen sofort, sich um die Verletzten zu kümmern. Glücklicherweise standen sie unter Schock und konnten ihnen daher die Richtung, in die die Diebe geflohen waren, nicht verraten.

Bill atmete auf, und als gerade kein Paladin hinsah, huschten zwei Gestalten hinter dem Karren eines einfachen Gemüsehändlers hervor und schlüpften durch die Menschenmasse davon.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück