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Gegen Gottes Gebot

von

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.Fäulnis

"Ich bin so glücklich, Bakura...", murmelte Malik zum wiederholten Male und küsste Bakura auf die Wange.

Sie hatten gerade Schule aus. Waren auf dem Heimweg - Bakura hatte Malik, den er nun seinen neuen Freund nannte, bewusst zu sich nachhause eingeladen.

Auch wenn er wusste, wie niederträchtig und egoistisch das war. Aber er musste es tun. Musste Ryou wehtun, damit der ihn hasste und sich von ihm abwandte.

Denn das, was da vor zwei Wochen gewesen war. Das war zu viel gewesen. Zu stark. Zu intensiv. Zu mächtig.

Er kämpfte dagegen an. Er war stark. Er konnte kämpfen. Aber Ryou konnte es nicht. Und deshalb musste er es für sie beide tun, ehe einer von ihnen unglücklich wurde. Und Malik diente dabei als Mittel zum Zweck.

Ein schlechtes Gewissen spürte er dabei nicht. Warum auch? So war Bakura Yagizawa, so war er immer gewesen und so würde er auch immer sein.

Malik ahnte von dieser Taktik glücklicherweise nichts. Wär wohl ziemlich ungesund für Bakura ausgegangen.

"Sag mal, hängst du mit deinem Kopf in den Wolken oder was ist los?"

"Ich hab dich schon gehört, ich muss doch nicht auf das fünfte Mal, wo du das sagst, immer noch antworten, oder?"

"Was ist dir denn für eine Laus über die Leber gelaufen?", fragte Malik überrascht.

Bakura schob die Hände in die Hosentaschen.

"Nix, schon gut", murmelte er.
 

Ryou ahnte nichts, als er später vom Unterricht nachhause kam. Irgendwie war der heutige Schultag vollkommen an ihm vorbeigezogen. Wie die letzten Tage. Seit diesem einen Abend, der alles verändert hatte. Beziehungsweise ... der es noch schlimmer gemacht hatte. Dieses unendlich drückende Gefühl, wie wenn einem im Inneren ein Ballon anschwoll, der einfach nicht zerplatzen konnte.

Er war sich mittlerweile sehr sicher, was er für seinen Bruder empfand. Und es war furchtbar. Es gab keinen Ausweg, als sich dem irgendwie zu stellen.

Bakuras Worte hatten ihn verletzt. Nach dem Kuss. Sie hatten wehgetan, weil sie so vernünftig geklungen hatten.
 

Und seine Lippen. Herrisch, erotisch, dominant, anziehend. Begriffe, die er niemals gedacht hätte, mit seinem eigenen Bruder in Verbindung zu bringen.

Es war zum Heulen.
 

Schweigsam befand er sich auf dem Heimweg. Normalerweise lief er immer mit Yugi (und neuerdings auch ab und zu mit Otogi), aber den hatte er unter einem Vorwand abgewimmelt. Er wollte alleine sein.

Ein leidendes Seufzen verließ seine Lippen. Irgendwie war ihm das Leben immer so herrlich einfach vorgekommen, ehe er gemerkt hatte, was er für Bakura empfand. Bis zu diesem Kuss.

Er hatte gute Noten in der Schule, war nicht gerade unbeliebt bei seinen Mitschülern und Lehrern, hatte Eltern, die ihn liebten.

Doch seit dem Kuss ...

Fiel es ihm neuerdings schwer, mit dem Tempo in der Schule mitzuhalten, da sie sich langsam auf den richtig schwierigen Hochschulstoff zu bewegten und jeder Lehrer der Auffassung war, sein Fach sei das wichtigste, er merkte, dass es auch Schüler gab, die hinter vorgehaltener Hand über ihn lästerten und vor allem fiel ihm neuerdings immer öfter auf, wie sich seine Eltern stritten und wie distanziert sie sich zuweilen am Tisch zueinander verhielten, auch wenn sie sich bemühten, dass ihre Kinder von der deutlichen Anspannung nichts merkten.
 

Ryou war es plötzlich, als hätte er sein halbes Leben hinterm nächsten Stern rechts verbracht und plötzlich vom einen Tag auf den anderen feststellen müssen, dass er dort nicht mehr bleiben konnte, da er langsam erwachsen wurde.

Und Erwachsenwerden brachte scheinbar wirklich eine Menge Probleme mit sich.

"Ich krieg noch die Krise", murmelte er vor sich hin und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare.

Aber die einzige Lösung sah er momentan darin, dass er vielleicht erstmal mit Bakura sprach. Der hatte zwar gesagt, dass sie das totschweigen sollten, aber irgendwie ... passte Ryou das nicht. Dass er mit seinen eigenen Gedanken und Gefühlen vielleicht schon weiter war als Bakura es war, kam ihm dabei nicht in den Sinn.
 

Wenig später schloss er die Wohnungstür auf. Der Fernseher im Wohnzimmer dudelte, also war logischerweise jemand zuhause. Er lief ins Wohnzimmer, um zu seinem Zimmer zu gelangen, doch plötzlich stockte er.

Und starrte.

Malik hatte überrascht aufgesehen und Bakura war seinem Blick gefolgt, wohl etwas missmutig, dass sie das Küssen hatten unterbrechen müssen.

Bakura wirkte mehr genervt, während Malik verlegen grinste. "Hey, Honigbacke", meinte Letzterer. "Sorry, wir wollten uns hier nicht so ausbreiten..."

Bakura rollte mit den Augen. "Doch, wollten wir", kommentierte er trocken und mied demonstrativ Ryous Blick. Demonstrativ? Oder konnte er ihn nur nicht ansehen?

Wollte er nicht? Wahrscheinlich hatte er Angst. Angst vor dem, was er in Ryous Gesicht sehen würde, wenn er ihn ansah.

Wahrscheinlich Verständnislosigkeit. Verletztheit. Als ob in ihm irgendetwas zerbrochen wäre.

Bakura sah ihn nicht an. Hörte nur die Tür schlagen. Aber er hatte gespürt, wie Ryou ihn angesehen hatte.

Und er fühlte sich wie das größte Arschloch auf Erden.
 

Er war so wütend. So wütend! So unendlich wütend!!!

Oh, er hätte ihm den Hals umdrehen sollen. Malik. Bakura. Am besten allen beiden. Obwohl Malik ja so gar keine Ahnung hatte, was mit Ryou los war und er ihm rein neutral betrachtet keinen Vorwurf machen durfte. Aber ein Mensch mit einem gebrochenen Herzen dachte weder neutral noch rational. Der wollte einfach nur Erlösung.

Oder er wollte Rache. Es war erstaunlich, wie schnell sich in Ryous Kopf ein Vorhaben bildete, wie schnell sein Denken plötzlich von naiv und freundlich in egoistisch berechnend umschlug.

Er musste vergessen. Verdrängen. Und Bakura eins reinwürgen. Versuchen, ihm irgendeine Reaktion zu entlocken.
 

Wenig später klingelte er an Otogis Tür.

"Hey", meinte er atemlos, als dieser öffnete, "kann ich reinkommen?"

"Öh klar, warum nicht, du bist mir immer willkommen", antwortete Otogi mit einem Grinsen und drückte hinter Ryou die Tür wieder zu.

"Willst du irgendwas trinken?"

Ryou ließ sich auf der Couch in Otogis Zimmer nieder und schlug die Hände vors Gesicht.

"Im Moment will ich eigentlich nur heulen", kam es dumpf dahinter hervor.

Der Schwarzhaarige zog die Augenbrauen hoch und ließ seinen Blick kurz über Ryou gleiten.

"Magst du vielleicht ein Glas Rotwein? Meine Mutter hat noch einen offen, sie ist jetzt aber eine Woche weg, wär also schade, wenn er schlecht wird."

Ryou sah auf. Überlegte kurz und nickte dann. "Klingt gut", sagte er leise.
 

Wenig später nippte er an dem halbvollen Rotweinglas, schwenkte es dann ein bisschen. Otogi hatte den Fernseher angemacht, welcher leise nebenbei etwas lief, nur damit es nicht ganz so still war.

Draußen wurde es schon dunkel. Triviale Dinge, die man feststellte, wenn man andere Dinge verdrängen wollte.

"Was ist los mit dir, Ryou?", hakte Otogi schließlich nach, als Ryou keine Anstalten machte, von selbst zu sprechen.

Der Weißhaarige seufzte. "Ich ..." Stockte. Er konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Stattdessen kamen ihm plötzlich die Tränen und um das zu überspielen, trank er mit einem Zug das Glas in seinen Händen leer.

"Ich hasse es!", platzte es schließlich aus ihm heraus. "Zu sein, wer ich bin! Ich wünschte, ich wäre jemand anders, jemand ... jemand anders!"

Otogi war näher an ihn herangerutscht. Nahm ihn in die Arme und dann ... spürte Ryou, wie weiche Lippen die Spuren seiner Tränen nachzogen, spürte den Trost, den man ihm dadurch entgegenbrachte und schließlich war Ryou es, der den anderen zuerst küsste. Verzweifelt, einsam, bittend.

Um Otogis Lippen schlich sich ein Lächeln und er löste sich kurz, um in Ryous schimmernde Augen zu sehen.

"Wow", murmelte der Schwarzhaarige leicht, "wow, Ryou, also du überrascht mich wirklich ..."

Dann fasste er Ryou zärtlich im Nacken und küsste ihn auf die heiße Stirn. "Ryou, ich ... will was von dir und ich weiß nicht, was. Und, wenn du mich jetzt machen lässt, dann kann ich echt für nichts garantieren, ich hoffe, das ist dir klar?"

Ryou nickte, sah ihm dabei direkt in die Augen.
 

Und dann spürte er ihn. Überall. Seine Lippen. Auf seiner Haut. Dort, wo Bakuras Lippen sein sollten.

Seine Hände. Die sich lüstern in seinen Körper krallten. Die ihn anfassten. Dort, wo Bakura ihn anfassen sollte.

Sein Körper. Schwer auf seinem. Dort, wo Bakuras Körper sein sollte.

Ryou gab sich dem hin. Es musste sein. Es musste. Er musste vergessen. Vielleicht, wenn er sich so sehr hineinsteigerte, dass er es wollte, dass er vielleicht sogar Gefühle für Otogi entwickeln konnte, dann ... würde vielleicht alles gut.

Ryou entspannte sich, als er die Lippen an einer von Lippen bisher unberührten Stelle spürte. Gab sich dem Gefühl hin. Konzentrierte sich einzig darauf. Stöhnte leise, wonnevoll.

Ryou schrie nicht vor Schmerzen auf, als Otogi in ihn eindrang, obgleich es sehr wehtat.

Er begrüßte den Schmerz wie einen Freund. Einen Freund, der gekommen war, um ihn zu retten vor dieser grausamen Selbstkasteiung, die ihn seine Gefühle für seinen Bruder durchmachen ließen.

Der Schmerz brannte heiß in ihm. Heiß und grell und unwiderruflich. Irgendwann sah er Sterne. Spürte nur Schmerz und verzweifelte Lust. Und er kam. Kam, mit einem bittersüßen Schrei auf den geschwollenen Lippen und beinahe wäre es Bakuras Name gewesen, den er herausgeschrien hätte.
 

Aber er war es nicht. Würde es nie sein. Er hatte seine Unschuld verloren. Und musste nun nie wieder die traurige Hoffnung haben, dass Bakura, den er so viel mehr liebte wie einen Bruder, der einzige sein würde, der ihn jemals berührte.

Es machte es erträglicher. Der Ballon war geplatzt.
 

Wenig später, nachdem sie miteinander geschlafen hatten, ruhte Ryou in Otogis Armen. Auch wenn er keine Gefühle für ihn hatte, fühlte er sich wohl, fühlte er sich getröstet und nicht allein. Und er wusste, dass er sich schlecht fühlen musste, weil er Otogi im Grunde nur egoistisch ausnutzte, aber er tat es nicht.

"Oh Mann, dein Bruder wird mich umbringen, wenn er davon erfährt", murmelte Otogi schließlich belustigt und pflanzte Ryou einen spielerischen Kuss auf die Schläfe.

Ein finsteres Lächeln erschien auf Ryous Gesicht. Ja, vielleicht würde er das. Im Grunde war Ryou gespannt auf die Reaktion Bakuras. Er würde es ihm zwar nicht unbedingt auf die Nase binden, das wäre zu auffällig, aber was einem rausrutschte, rutschte einem raus.

Von diesen Gedanken ließ er nichts an die Oberfläche dringen. Stattdessen meinte er scheinheilig: "Meinst du, er ist böse?"

"Wenn, dann nur auf mich, Honeybee, mach dir keine Sorgen. Ich steck das schon weg. Außerdem muss er es ja nicht sofort erfahren. Wobei es mir eigentlich egal ist. Wie ist es mit dir?"

Ryou zuckte nur mit den Schultern. Dann schwiegen sie eine Weile.

Schließlich sagte Ryou in die Stille hinein: "Ryuji?"

"Mh?"

"Hast du ... schon mal jemanden so sehr geliebt, dass du dachtest, du bekommst keine Luft mehr?"

"Du stellst vielleicht Fragen ..."

"Hast du?"

"Hm ... Also ... Es gab da mal ein Mädchen, mit dem ich ein Jahr zusammen war. Irgendwann hab ich rausgefunden, dass sie mich beschissen hat und das war ... ja ... richtig schlimm, ich dachte, ich krepier. Aber das ist lang her. Wieso fragst du das?"

Abermaliges Schulterzucken. "Nur so."

"Benutzt du mich etwa gerade als Ablenkung, weil du deine einzig wahre Liebe niemals kriegen kannst?", ertönte es dann belustigt und Ryou zuckte zusammen.

"Ha, hab wohl ins Schwarze getroffen."

Ryou schwieg betreten.

"Hasst du mich jetzt?"

Otogi reckte sich ein wenig und biss Ryou zärtlich in den Hals. "Quatsch ...", knurrte er leise. "Das macht es nur umso reizvoller, dich für mich zu gewinnen. Und wenn nicht ..." Er sog genüsslich den Duft von Ryous Haar ein. "Dann bilde ich mir immer noch ein, derjenige zu sein, der dich entjungfert hat. Und den Kerl, der einen entjungfert hat, den vergisst man so schnell nicht mehr."
 

"Ryou!" Ryou schloss die Augen. Jeder, nur nicht der.

"Hey, Malik", antwortete er neutral.

"Mensch, wo warst du denn so lange, wir haben uns echt Sorgen gemacht!?"

Ryou war eine Woche lang nicht in der Schule und auch nicht zuhause gewesen.

"Ist das nicht meine Sache?"

Malik sah ihn verwirrt an. "Sag mal, hab ich dir irgendwas getan?"

Klang er etwa verletzt? Es war Ryou egal.

"Nein, wie kommst du darauf?", knurrte er leise und lief unbewusst ein bisschen schneller Richtung Schulgebäude.

"Naja, lass mich überlegen - du meldest dich nicht mehr bei mir und jetzt, wo wir uns nach einer Woche wieder sehen, bist du so abweisend zu mir. Ryou, was soll das?"

Malik hatte sich vor ihm aufgebaut und ihn an den Schultern gepackt, damit er nicht weitergehen konnte und sich ihm stellen musste.

Ryou mied seinen Blick. "Ich sagte doch, es ist nichts, das bildest du dir ein. Lässt du mich jetzt bitte los?"

Aber Malik dachte nicht daran. "Ich glaub dir nicht", sagte er schlicht. Dann wirkte er, als ginge ihm ein Licht auf.

"Ist es, weil ich jetzt mit Kura zusammen bin? Oh, Ryou, du musst doch nicht eifersüchtig sein, Kura hat dich doch jetzt als Bruder nicht weniger lieb!"

"Hör gefälligst auf, ihn dauernd Kura zu nennen!", fauchte Ryou so plötzlich, dass Malik ein, zwei Schritte zurückstolperte und beschwichtigend die Hände hob.

"Wie kommst du eigentlich dazu, hier einfach aufzutauchen und dich in unser Leben einzumischen, geh doch zurück in dein beschissenes Ägypten!"
 

Dann dampfte er wütend ab und ließ einen sehr verwirrten Malik zurück. Und Malik wusste, dass er eigentlich wütend und verletzt sein sollte, aber da er nun mal der war, der er war, begann er vielmehr, sich Sorgen zu machen. So hatte er Ryou nicht kennengelernt. Seit er Ryou kannte, hatte er nie mitbekommen, dass er jemals einem anderen gegenüber ausfallend geworden wäre, schon gar nicht einem von seinen Freunden.

Nachdenklich auf seiner Unterlippe herumkauend setzte er sich selbst wieder in Bewegung.

Ob Ryou vielleicht irgendetwas passiert war, in der Zeit, in der er jetzt in der Schule gefehlt hatte? War ihm etwas zugestoßen, das ihn so verändert hatte?

Oder ... plötzlich traf ihn die Erkenntnis. War Ryou vielleicht in ihn verliebt? Das würde zumindest ziemlich viel erklären. Auch wenn es logischer wäre, wenn er auf Bakura losgegangen wäre, aber es wäre durchaus denkbar. Wenn man verliebt war, verhielt man sich nicht immer logisch und rational.

Und Malik hatte nichts gemerkt. Und war jetzt mit Ryous Bruder zusammen. Stöhnend fuhr er sich durch die Haare.

"Malik Ishtar, du weißt wirklich, wie man sich in einer neuen Stadt Freunde macht und sie in kürzester Zeit wieder vergrault..."
 

Und als wäre das nicht genug, als würde Ryou nicht selbst schon an seinem eigenen schlechten Gewissen zugrunde gehen, wurde er auch noch zuhause von Bakura zur Rede gestellt.

"Kannst du mir mal sagen, was das heute Morgen mit Malik sollte?!"

"Ich kann vieles, Bakura, ob ich will, ist eine andere Sache", sagte Ryou leise, doch mit einer Eiseskälte in der Stimme, die sogar den Älteren der Bruder überraschte.

"Wenn du mich entschuldigst, ich habe Hausaufgaben, um die ich mich kümmern muss."

Doch er ließ ihn nicht gehen. Packte Ryou grob am Handgelenk.

"So nicht! Ryou, was ist eigentlich los mit dir, ich erkenne dich gar nicht wieder!", knurrte Bakura bedrohlich.

"Du tust mir weh, zur Hölle!", sagte Ryou laut und gereizt und riss sich von Bakura los - welcher im nächsten Moment abermals nach Ryous Handgelenk grabschen wollte.

Da holte Ryou aus und schlug ihm mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, mitten ins Gesicht.

Bakura war so baff, dass er nicht mal mehr sauer werden konnte, sondern einfach nur losließ und seinen kleinen Bruder verblüfft anstarrte.

"Was zum ..."

"Ganz ehrlich, Bakura, wundert es dich SO SEHR?"

"Ich verstehe nicht ..."

"Schwer von Begriff warst du ja immer schon, aber so wie du dich verhältst, ich- Bakura, du kannst mich nicht einfach so küssen und dann mit Malik zusammen sein! Das geht nicht! Das kannst du mir nicht antun!"

Bakura blinzelte, wirkte immer noch perplex und das, was Ryou sagte, mochte in seinem Kopf nicht wirklich einen Sinn ergeben. Tatsächlich hatte er die Geschichte mit dem Kuss fast schon komplett sehr erfolgreich verdrängt.
 

Ryou wartete darauf, dass Bakura etwas sagte, als dieser aber keine Anstalten machte - entweder weil er keine Worte fand oder weil er nichts zu sagen hatte - fuhr er sich durch die Haare und schlug wieder einen einigermaßen neutralen Tonfall an.

"Ich hab mit Otogi geschlafen."

Grabesstille.

Und plötzlich war es Bakura, in dem eine eiseskalte, unbändige Wut anschwoll. "Du hast was getan?", knurrte er und Ryou bekam für einen Augenblick tatsächlich Angst. Fing sich jedoch bald wieder und entgegnete trotzig, grinsend: "Ich versuch es mal in deiner Sprache: Otogi hat mich gefickt. Und, OH GOTT, es war so GUT! Ich würde mich jederzeit wieder von ihm ficken lassen, er hats mir so richtig besorgt-"

"Halt die Schnauze!", schrie Bakura plötzlich auf, in der doppelten Lautstärke, und diesmal war er es, der ihn schlug. Heftig. Stark. Erbarmungslos. Ryou riss es den Kopf zur Seite und er stolperte. Fing sich wieder. Spürte, dass er es verdient hatte. Benommen.

"Wie kannst du nur so stolz darauf sein, so eine kleine Drecksschlampe geworden zu sein!?", setzte er nach und in seiner Miene war kein Erbarmen, da war kein Mitleid. Nur Kälte. Und Zorn.

Getrieben durch Eifersucht.

Ryou zitterte, gleichsam vor Wut wie vor Angst. Zu Bakuras Überraschung lächelte er und es war das Lächeln eines gefallenen Engels.

Blutspritzer entstellten die sonst so makellose Haut.
 

"Was macht mich jetzt so anders als dich, Bakura? Was? Was tust du denn die ganze Zeit? Du hurst rum. Du hurst richtig übel rum. Bakura, DU bist das Miststück, du allein. Erzähl mir doch nicht, dass du Gefühle für Malik hast, denn jemand wie du kann keine Gefühle empfinden. Und ihn quälst du genauso wie mich. Nur dass es mich erschreckt, wie egal es dir geworden zu sein scheint, wie du mit mir umspringst. Bakura, du bist sowas von zum Kotzen."

Ryous Stimme brach und er wandte sich ab. Weil er sich plötzlich so schwach fühlte. Ekelhaft schwach. Den ganzen Mut, den er vorhin aufgebracht hatte, hatte er verbraucht. Jetzt war da nur noch Leere. Ihm war kalt.

Bakura öffnete ein paar Mal den Mund, um etwas zu sagen. Schloss ihn dann wieder. Er fand keine Worte. Vielleicht das erste Mal in seinem Leben.

"Dein Schweigen sagt alles", murmelte Ryou und wandte sich ab.

"Halt, warte", hörte sich Bakura sagen, ohne zu wissen, was er sagen wollte. Ryou blieb stehen, sah sich aber nicht um.

"Was?"

Bakura presste die Lippen aufeinander.

“Ryou ... nicht Otogi.”

“Wieso nicht? Nenn mir einen guten Grund. Du hast Malik, ich habe Otogi. Wir sollten beide glücklich sein. Hey, Malik ist wirklich bis über beide Ohren verliebt in dich, das ist ein Grund, sich zu freuen.”

Bakura schüttelte langsam den Kopf.

“Du verstehst nichts”, sagte er. “Rein gar nichts.”

Dann drehte er sich um und ging und tat damit das Gegenteil von dem, was er eigentlich hatte tun wollen. Gott, wie sehr er sich in diesem Moment selbst hasste.
 

Die Tage vergingen, ohne dass irgendetwas geschah. Die Tage wurden zu Wochen. Seltsamerweise verbesserte Bakura sich in der Schule, während Ryou immer öfter fehlte und immer weiter absackte.

Er ertrug es nicht. Konnte es nicht ertragen, Bakura, der immer noch so tat, als sei nichts gewesen, mit Malik zu sehen.

Er begann zu schwänzen. Begann, zu rauchen. Manchmal mit Otogi zusammen, in dessen Arme er sich jetzt immer öfter flüchtete. Er verstand sich gut mit Otogi. Er mochte das Gefühl, begehrt zu werden, das dieser ihm gab, wenn sie zusammen waren. Auch wenn er Otogi klar gemacht hatte, dass er wohl niemals würde Gefühle für ihn aufbringen können. Aber dem war das egal. Er fand, Ryou war gut im Bett und solange er mit ihm fickte, tröstete ihn das über fehlende Gefühle hinweg.

Ryou verdrängte das Gefühl, dass sich anfühlte, als würde er von innen verfaulen. Er hörte auf, sich auszumalen, wie es wäre, wenn er und Bakura ... Das war zu fantastisch, als dass es jemals wahr würde.
 

Sein 16. Geburtstag verging, ohne dass sich groß etwas änderte, ohne, dass er sich jetzt erwachsener fühlte. Nur kälter fühlte er sich und toter und plötzlich, jetzt wo er es drauf anlegte, schauten ihm die Kerle immer häufiger hinterher.

Und manchmal, gelegentlich, da ließ er sich auch von jemand anderem ficken als von Otogi. Hinter Bakuras Rücken. Es war ihm egal, ob er es merkte oder ob nicht. Er wollte Schmerzen, er wollte vergessen, er wollte Schmerzen, die stärker waren, als die seines schreienden, klagenden Herzens.

Er war ein Mensch und er war schwach. Und er hasste es, er fand es zum Kotzen.

Manchmal fragte er sich, was Bakura wohl machen würde, wenn er sich umbrachte? Nicht, weil er unbedingt sterben wollte, einfach nur, um Bakura eins reinzudrücken, der in seiner wundervollen, perfekten Scheinbeziehung mit Malik lebte und sich einen Dreck um ihn scherte und sich dabei wohl auch noch fühlte, als täte er das Richtige.
 

“Ryou, ich mache mir wirklich Sorgen um dich”, sagte Malik bedrückt und strich seinem Freund liebevoll eine Strähne aus dem Gesicht.

Trotzig schüttelte Ryou die Strähne wieder zurück und steckte sich eine Zigarette an.

“Magst du mir nicht sagen, was los ist mit dir? Du ziehst dich vor mir zurück momentan.”

Ryou zuckte mit den Schultern. “Das bildest du dir ein”, sagte er steif. Nicht ausgerechnet vor Malik wollte er seine Schwäche zugeben. Er hasste Malik auf eine Weise, dass er ihm seinen Bruder und den Geliebten weggenommen hatte, den er niemals haben konnte, aber gleichzeitig mochte er ihn immer noch als Freund, wie er ihn kennengelernt hatte, und dieser Zwiespalt war einfach furchtbar. Er sah sich selbst, sah, wie eklig er sich dem Ägypter gegenüber manchmal verhielt und zwang sich dann oft, etwas netter zu sein.

Aber mittlerweile wurde es erträglicher. Jetzt, wo er nicht mehr dauernd an seine Liebe zu Bakura denken musste, wo ihm diese namenlosen Kerle, die ihm nie mehr bedeuteten, als den Fick, den sie ihm schenkten, die Gedanken aus dem Hirn stießen, fiel es ihm leichter.

Aber sich Malik öffnen? Niemals. Das könnte er nicht. Er würde es nicht verstehen. Niemand würde das. Und Malik schon gar nicht.
 

“Ich bilde mir mit Sicherheit nichts ein, Ryou”, sagte Malik bestimmt und suchte seinen Blick. Ryou mied ihn. Mochte ihn nicht ansehen. Es gefiel ihm nicht, welche Richtung dieses Gespräch einschlug.

“Ryou, ich bin ehrlich, ich hab hier wirklich nicht viele Freunde. Die Japaner sind nun mal ein scheiß-fremdenfeindliches Volk und du warst von Anfang an aufrichtig nett zu mir. Du gibst mir manchmal das Gefühl, als hätte ich dir irgendwas getan, worüber du nicht reden willst, du gibst mir das Gefühl, ein Scheißfreund zu sein, weil ich nicht zu dir durchdringe und ich sehe dann gleichzeitig, wie radikal du dich in den letzten drei Monaten verändert hast, ich meine, gib dir das mal, du rauchst, was Bakura richtig zum Ausflippen bringt, du säufst und mal ehrlich - glaubst du, das hätte nicht die Runde gemacht, dass du neuerdings für jeden, der einigermaßen so aussieht, als hätte er genug Kohle, um dich auf ein paar Drinks einzuladen, die Beine breitmachst - sag mal, bist du dir nicht zu schade irgendwo?”

Ryou starrte gerade aus. Mit ausdruckslosen Augen. Rauchte. Nach einer gefühlten Ewigkeit sagte er: “Nein.”

Malik schüttelte ungläubig den Kopf. Fuhr sich durch die Haare. “Mann, du bist wirklich anstrengend, weißt du das?”

“Ich zwing dich nicht, dich mit mir abzugeben”, sagte Ryou leise.

Malik schnaubte ärgerlich. “Du weißt genau, dass das so nicht gemeint war, aber du machst es mir wirklich nicht einfach, dich zu verstehen. Ryou, du bist 16, ich will nicht, dass dir irgendwas passiert, wenn du so weitermachst!”
 

Irgendwas passiert. Hm ... Natürlich konnte ihm etwas passieren. Er könnte von einem Auto überfahren werden, irgendjemand könnte ihm Drogen in den Drink schmeißen, ihn entführen, vergewaltigen, ihn mit aufgeschlitzter Kehle in einer Gasse sterben lassen.

Ryou kamen plötzlich die Tränen. Aus Selbstmitleid. Und aus Erschöpfung. Er schniefte, versuchte hartnäckig, sie wegzublinzeln.

Spürte Maliks Arm, wie der sich um seine Schultern legte, mitfühlend und Trost spendend und Ryou fühlte sich, als habe er diesen Trost nicht verdient, er fühlte sich falsch, als wäre er der schlechteste Mensch der Welt und hätte weiß Gott was verbrochen, er ekelte sich vor sich selbst, aber was? Was gab es für einen Ausweg? Es gab keinen Ausweg? Es gab keinen!

Ryou heulte plötzlich. Heulte wie ein Schlosshund, die brennende Zigarette noch in der einen Hand, während er Maliks Oberteil nass heulte und irgendwie gar nicht mehr aufhören konnte. “Malik, es tut mir so leid, was ich neulich zu dir gesagt habe...”

Malik sagte daraufhin nichts. Er war ihm längst nicht mehr böse. Er wollte ihn einfach nur verstehen.

“Was hast du denn nur ...?”, drang die warme Stimme des Ägypters an Ryous Ohr. Er konnte nicht antworten.
 

Später fühlte er sich noch schlechter. Fühlte sich nicht erleichtert, wie man sich normalerweise nach dem Heulen fühlen sollte. Er fühlte sich schwach und matt und ausgelaugt.

Und er machte bald weiter wie bisher. Ließ sich lieblos ficken, trank, rauchte und dann zog er irgendwann mal eine Line Koks, einfach so, dachte sich nichts dabei, traf sich weiter mit Otogi. Und Bakura bekam von alledem tatsächlich kaum etwas mit. Auch nicht seine Eltern.
 

Und plötzlich ... War Ryou verschwunden. Einfach so. Spurlos.



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  jyorie
2012-07-23T19:10:18+00:00 23.07.2012 21:10
Hu^^

u.u jetzt gehts aber los! Krass wie Ryou alles über Bord wirft
und zur Schlampe wird, um seinen Schmerz zu ertränken. Wow. Heftig.
Das war ja mal eine 180° wende.

Da muss man wohl aufpassen, dass einem das Vaccuum das als "lieber,
braver Hikari" entstehen kann einem hinterher nicht verschluckt,
oder?

LG
Jyorie
Von:  NaruKura
2012-01-18T13:59:15+00:00 18.01.2012 14:59
okay .. krasses kap .. oo wow ..
Aber man kann es so verstehen, wie Ryou handelt.
Was ich sehr interessant daran finde ist, das er nun das gleiche tut, was sein Bruder macht ( abgesehen von den Drogen, man hat bis jetzt kein Wort davon gelesen, ob Bakura auch Drogen nimmt außer Alk und Zigaretten )
Auf jeden Fall eine gewaltige Ladung Drama x3 gefällt mir sehr

lg NaruKura
Von:  Moonprincess
2011-12-27T18:19:53+00:00 27.12.2011 19:19
Wow! Das ist hart! Von einer Minute zur anderen rutscht Ryou ab. Raucht, säuft, schläft mit jedem, nimmt am Ende sogar Drogen... Daß er zuerst zu Otogi geht, um sich trösten zu lassen, okay. Aber so wie er abrutscht, das zeigt, wie sehr er Bakura braucht und liebt. Armer Junge...
Bakura... Auweia! Ich verstehe ja, daß er die Sache mit sich und Ryou für aussichtslos hält und sie beenden will, aber der Weg, den er nimmt, ist echt nicht der Beste. Er verletzt Ryou und er nutzt den unwissenden Malik aus. Otogi weiß wenigstens, daß Ryou nicht so für ihn fühlt. Au Mann... Starker Tobak, aber sehr gut und mitreißend geschrieben.
Von:  Mimmy-chan
2011-12-14T22:26:41+00:00 14.12.2011 23:26
Was für zwei wahnsinnige Kapitel. (+.+)
Du hast in Kapi 5 und 6 so eine krasse Achterbahn der Gefühle aufgebauit, dass ich mir sicher war, ich würde irgendwann rausfliegen - aber der Gurt hält und der Adrenalinkick geht weiter. Wirklich genial. (°//°)d

Zuerst einmal die dramatische Talfahrt des armen Ryous. Furchtbar was der Junge alles aushalten muss. *Luft hohl* Ein Wunder das er nicht daran zerbrochen ist. Dennoch - der Suff, der sinnlose Sex und die Rauschgrifte - wie verzweifelt er wohl sein musste, um das alles nehmen zu müssen, damit er Baklura Sekundenweise aus seinen Gedanken streichen kann. *hach* Und dann schreibst du einfach, dass Ryouz weg ist!!! Verdammt hatte ich eien Angst, dass sich der Kleine umbringt! *schluchtz*

Armer Malik - er hat wirklich nur als Mittel zum Zweck gedient, allerdings - naja so ein bisschen hat er es verdient. Da sind Ryou und er SO gute Freunde und er kann sich nicht mal zusammen nehmen und wirklich ernsthaft mit Ryou reden. Es kam immer nur ein schwaches - 'ich mach mir Sorgen'. Dennoch tut er mir leid.

Wurde ja mal Zeit, dass Bakura mitbekommt was er für Ryou empfindet. Zwar hat es mir fast einen Herzinfakt verursacht, als da stand, dass er nicht weiter nach Ryou suchen will sondern in eien Bar geht, aber GOTT SEI DANK hat er dann doch noch auf dem Spielplatz nachgesehen. *hektisch Luft hohl*

Endlich haben sie es sich gesagt!!!!! <3<3<3<3<3<3 Oh man ich war so glücklich als es endlich raus kam. Die Szene die dann kam war wirklich gut geschrieben. Man hat genau gespürt wie sehr sie sich nach einander verzerrt hatten.

Bitte, bitte schreib schnel weiter o(>//<)o

chuchu Mimmy-chan
Von:  DivaLila
2011-12-14T20:45:16+00:00 14.12.2011 21:45
wie gut, dass ich gleich weiterlesen kann ^_^
mensch, dieses Kapitel hat mich echt ergriffen, bin irgendwie sprachlos v.v
ich liebe es <3

Von:  SakuraxChazz
2011-12-13T17:47:23+00:00 13.12.2011 18:47
Was eine Wendung. Damit hätte ich jetzt bei Ryou echt nicht gerechnet. Der vernünftige Junge wird plötzlich zum Gegenteiligen und Bakura wird besser in der Schule. Irgendwie verwunderlich.
Das Otogi das so einfach mit sich machen lässt. Und die ganzen anderen Kerle. Denen scheint ja nichts an Ryou zu liegen. Das hat der Junge nicht verdient. Und mittendrin noch Malik, der damit nichts anzufangen weiß. Das ist doch wirklich traurig.
Das Kapitel war wirklich hart irgendwie. Der Sprachstil ist wieder sehr gelungen^^ Dann stürzen wir uns mal auf das nächste Kapitel.

LG Saku^^


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