Geliebtes Kind von Sayamilana (Wichtel-OS für CurlyHair (Ted x Rose)) ================================================================================ Kapitel 1: Das Mädchen, das du warst ------------------------------------ „Wer ist das?“ Fasziniert folgte mein Blick einer jungen Frau mit langem, braunem Haar, das ihr in seidigen Wellen über die Schultern fiel. Ihr schmaler, jugendlicher Körper war in ein weißes Kleid gehüllt und um ihren Hals trug sie eine Kette aus allen möglichen Wildblumen, die ihr das Aussehen einer Elfe verlieh. Ihre braunen Augen tanzten mit ihren Schritten durch den Raum und über das Parkett, das nur ihr allein gehörte, denn der Rest der Gesellschaft hatte sich von der Tanzfläche bewegt und folgte gebannt ihren anmutigen Bewegungen. Ich wusste nicht, was es für ein Tanz war, oder ob sie überhaupt in ihren Schritten irgendwelchen Regeln folgte, doch sie verstand es, ihre Begeisterung über die Musik an ihre Zuschauer zu übertragen. Man konnte nicht anders, als sie anzusehen, denn sie war wunderschön. Victoire stellte sich mit einem Sektglas in der Hand neben mich. Ich wusste, dass sie grinste, auch wenn mein Blick weiter auf der Unbekannten verharrte. Wir waren zu lange ein Paar gewesen, Victoire und ich. Wir kannten uns gut. „Sag bloß, du erkennst deine kleine Freundin nicht mehr.“, meinte sie kichernd und nahm dann erst einmal einen Schluck aus ihrem frisch gefüllten Glas. Es war immerhin ihre Geburtstagsparty und es wäre das erste Mal, dass sie nichts trank. „Dabei ist es nur ein Jahr her, dass sie nach Frankreich gegangen ist.“ „Frankreich?“ Nur schwerlich lösten sich meine Augen von der tanzenden Schönheit und ich sah meine Ex-Freundin irritiert an. Victoire jedoch grinste nur schief, bis bei mir der Groschen fiel. Ungläubig flog mein Blick wieder zur Tanzfläche. „Das kann nicht dein Ernst sein, Vic. Das da ist nie im Leben deine Cousine Rose.“ Victoire sah mich schief an. “Wieso denn nicht, Ted?“ „Rose ist ein Kind.“, stellte ich seufzend klar und strich mir durch die kurzen Haare. Und doch… ich kannte diese Augen. Ich hatte sie früher so oft gesehen. Dieses Funkeln darin, wenn sie sich für etwas begeisterte und ihre Freude, wenn ich sie besuchen kam. Dennoch, sie hatte sich so sehr verändert. Meine kleine Rose. Meine süße kleine Freundin. Diese Frau da hatte doch nichts mehr mit dem Mädchen zu tun, das ich gekannt hatte. „Nun ja…“, murmelte Victoire leise, „Theoretisch wohl schon.“ Ich sah sie verwundert an. „Was meinst du?“ „Du solltest doch am besten Wissen, dass gewisse Erfahrungen einen schneller altern lassen.“, meinte sie nachdenklich und sah sich bereits nach ihrem Verlobten Steven um, doch ich hielt sie am Arm fest, sodass sie nicht die Chance hatte, mir zu entkommen. „Redest du von dieser Geschichte mit Malfoy?“, fragte ich eindringlich und als Victoire seufzte, wusste ich, dass sie nachgegeben hatte und blieb. Auch wenn sie es nicht gerne tat, schließlich wollte sie zu Steven. „Sie hat mir nie wirklich viel davon erzählt. Ich weiß nur, dass er sie verlassen hat.“ Victoire lachte hysterisch auf. „Verlassen. Das ist ja mal echt nett ausgedrückt.“ Sie strich sich die kurzen blonden Haare zurück und ich erkannte die Sorge in ihren Augen. Nicht gerade etwas, das man bei Victoire Weasley häufig fand. Sie war kein Mensch, der sich viele Gedanken machte. Umso mehr machte mir ihr Verhalten Angst. Warum hatte ich sie nie früher nach der Geschichte gefragt? „Albus hat mir die Geschichte mal erzählt. Er war damals ja mit Scorpius befreundet. Aber seitdem er Rose das angetan hat, hasst Albus ihn wie die Pest. Verständlich, wenn du mich fragst.“ „Komm zum Punkt, Vic.“, drängte ich. Victoire zog etwas die Augenbrauen hoch, doch sie fuhr tatsächlich fort. „Dann eben die schnelle Fassung. Er hat ihr die Unschuld geraubt. Also nun ja, meines Wissens nach wollte Rose auch, aber das Schlimme ist, dass er sie dabei irgendwie magisch gefilmt hat… und danach das Video auf ganz Hogwarts verbreitet hat.“ Ich starrte Victoire fassungslos an, ehe mein Blick wieder zu Rose wanderte, die noch immer über die Tanzfläche schwebte, als wäre sie in einer anderen Welt. Unweigerlicher spürte ich, wie Zorn und Mitleid zugleich in mir aufstiegen. Hätte ich das gewusst, hätte ich diesen Bastard damals vermutlich eigenhändig erwürgt. „Das meinst du nicht ernst, oder?“, fragte ich Victoire, in der stillen Hoffnung, dass sie einen makabren Scherz gemacht hatte. „Das hat er Rose nicht wirklich angetan.“ Victoire seufzte. „Doch, hat er.“, sagte sie so leise, dass ich sie kaum verstand, „Was glaubst du, warum sie nach Frankreich verschwunden ist? Sie hat seither mit keinem Mann mehr ein Wort gewechselt, aus purer Vorsicht und Angst, wieder verletzt zu werden. Nicht einmal mit Lysander hat sie seither gesprochen und dabei war er früher immer ihr bester Freund. Echt schlimm, das Ganze. Ich dachte, wenn ich sie heute einlade, kommt sie vielleicht wieder etwas aus sich heraus, aber sie hat bisher nur geschwiegen und getanzt.“ Victoire zuckte mit den Schultern und sah mich entschuldigend an. „Mehr kann ich dir leider auch nicht sagen. Sie redet auch mit Frauen nicht mehr viel und wir hatten ja nie das engste Verhältnis.“ Ich nickte stumm und Victoire verabschiedete sich mit einem kurzen Winken, ehe sie zu Steven eilte. Sofort war in ihrem Gesicht wieder Freude zu erkennen und es schien, als hätte sie bereits wieder vergessen, was sie mir gerade erzählt hatte. Ich hingegen blieb geschockt zurück. Wie kam es, dass man diese Geschichte so lange vor mir geheim gehalten hatte? Wieso hatte ich niemanden gefragt? Ich war einfach davon ausgegangen, dass Malfoy ihr das Herz gebrochen hatte und sie deshalb verschwunden war. Wie hätte ich ahnen können, was ihr zugestoßen war? Sofort spürte ich, wie sich alles in mir zusammenzog und eine kleine Stimme flüsterte mir zu, dass ich es gewusst hätte, wenn es vor einigen Jahren passiert wäre. Dass ich es vielleicht sogar hätte verhindern können. Doch aus irgendeinem Grund hatten sich Rose und ich damals voneinander entfernt und tief in mir drin wusste ich, dass es meine Schuld war. Und dass der Grund für diese seelische und körperliche Entfernung nun in ungeahntem Maße wieder in mir aufflammte. Wieder wanderte mein Blick zur Tanzfläche, doch unerwarteter Weise fanden meine Augen sie leer vor. Rose war verschwunden. Unsicher sah ich mich im Raum um, doch der Saal war viel zu riesig und belebt, um sie ausmachen zu können. Seufzend wandte ich mich ab. Was tat ich da überhaupt? Sie würde ohnehin nicht mit mir reden. Schließlich hatte Victoire gesagt, dass sie mit keinem Mann mehr ein Wort wechselte und wieso sollte ich eine Ausnahme bilden? Dazu hatte ich schon viel zu lange die Distanz zwischen uns gepflegt. Gerade wollte ich mich dem Buffet zuwenden, als mit einem lauten Knall die Tür zum Flur aufgeschlagen wurde. Erschrocken wirbelte ich herum, wie wohl mindestens die Hälfte der anwesenden Gäste und blickte direkt in die blauen Augen von Scorpius Malfoy, der sich grinsend im Raum umsah und dann mit einer Gestik, als würde ihm die Welt gehören, ungebeten eintrat. „Was macht Malfoy hier, Steven?“, hörte ich Victoire in meiner Nähe unweigerlich zu ihrem Verlobten raunen und ich wusste aus Erfahrung, dass der Ton in ihrer Stimme Ärger bedeutete, „Ich hab dir gesagt, er hat hier nichts verloren. Rose ist hier, verflucht! Wie soll das denn bitte enden?“ „Ich hab ihn nicht eingeladen, Vic, ehrlich. Oh, verdammt…!“ Ja, verdammt traf es ziemlich gut, auch wenn ich selten mit Steven Higgs einer Meinung war. Nach der Geschichte, die ich gerade gehört hatte, genügte Scorpius‘ bloßer Anblick , damit sich alle meine Glieder versteiften und ich dem Drang widerstehen musste, ihn auf der Stelle zu verfluchen. Und dann sah ich sie wieder. Rose Weasley stand barfuß und in ihrem weißen Kleid einem Engel gleich Scorpius gegenüber und starrte ihn an. Es schien fast so, als ob sich die Gäste alle an den Rand des Saales bewegt hätten, sodass die beiden auf eine groteske Weise wie auf einer Bühne standen, sich anstarrten und schwiegen. Und dann kehrte das Grinsen auf Scorpius‘ Lippen zurück und ich hatte das kaum zu unterdrückende Bedürfnis, es ihm aus dem Gesicht zu schneiden. „Hallo, Rose, lange nicht gesehen.“ Scorpius‘ Stimme war monoton und nahezu höflich, aber das Grinsen, das er gar nicht mehr ablegte, verlieh seinen Worten etwas Hochnäsiges und Falsches und ich wusste, er genoss es jetzt schon, Rose zu verletzten. „Schön, dich zu sehen. Weißt du eigentlich, wie schade ich es fand, dass du einfach so nach Frankreich verschwunden bist? Dabei hatten wir doch so viel Spaß, oder?“ Rose reagierte auf seine Fragen gar nicht. Sie sagte kein Wort und starrte ihn einfach weiter an. Ihr Gesicht und ihr ganzer Körper schienen wie versteinert und ich hatte das Gefühl, dass sie genau das auf mich übertrug. Erst, als Scorpius plötzlich näher auf sie zukam, setzte ich mich in Bewegung. Meine Beine arbeiteten, ohne dass ich es ihnen Befahl, aber ich wusste, dass ich verhindern musste, dass er sie berührte. Ich wollte sie beschützen. Wenn ich es damals schon nicht gekonnt hatte, dann wenigstens jetzt. „Hey, Rose, warum sagst du denn nichts?“, fragte Scorpius ironisch und legte den Kopf schief, „Hat es dir die Sprache verschlagen? Ach nein, richtig, du redest ja nicht mehr mit Männern. Und mit mir wohl erst Recht nicht, was? Zu bedauerlich. Dabei ist die Stelle als meine Freundin nach wie vor frei für dich. Natürlich nur, wenn du nichts gegen ein paar private Aufnahmen hast, aber das sollte…“ Und in diesem Moment war ich an meinem Ziel angekommen. Vielleicht etwas zu bestimmt stellte ich mich zwischen Rose und Scorpius und starrte den ehemaligen Slytherin aus bitterbösen Augen an. Nur am Rande bekam ich mit, dass Rose mich verwundert musterte, ehe sich ein leichtes Lächeln auf ihre Lippen legte. Es blieb allerdings nur einen Augenblick, ehe es wieder verschwand. „Solltest du nicht vielleicht lieber gehen, Malfoy?“, fragte ich gespielt höflich und zeigte Scorpius mehr als deutlich die Tür, „Ich denke, du solltest Rose in Ruhe lassen. Wie du siehst, will sie nicht mit dir reden, was ich mehr als verständlich finde.“ Scorpius Augen verengten sich zu Schlitzen, als er mich erkannte. „Halt du dich da raus, Wolfsbrut, kapiert? Das geht dich einen Dreck an, was ich zu Rose sage oder nicht!“ Ich wollte protestieren, ihn anschreien, doch da merkte ich plötzlich, wie sich jemand an mir vorbeischob. Erstaunt betrachtete ich Rose, die nun knapp vor mir stand und Scorpius‘ vernichtenden Blick ohne ein Zwinkern erwiderte. Und dann passierte das, was wohl den ganzen Saal endgültig zum Schweigen brachte: Rose sprach. „Wag es noch einmal, Ted so zu nennen, und ich hetze dir einen Fluch auf den Hals, den kein Heiler dieser Welt mehr von dir nehmen kann. Hast du das verstanden, Scorpius?“ Rose Stimme war ruhig und leise und man hörte ihr an, das sie lange nicht benutzt worden war und dennoch war sie so süß und vertraut in meinen Ohren, auch wenn sie Scorpius‘ Namen wohl nicht unabsichtlich wie eine Krankheit klingen lies. „Wow, du kannst ja sprechen!“ Scorpius betonte seine Worte eindeutig so, dass man merkte, dass er sich nicht so freute, wie man vielleicht aus seiner Wortwahl hätte schließen können. „Wie niedlich! Ein Jahr lang sagt die Kleine kein Wort, weil ich ihr wehgetan habe und kaum sage ich was zu dem Köter, macht sie den Mund auf. Was ist, Rosie, stehst du etwa auf kleine Pelztiere? Ach nein, ich vergaß, dein komischer Freund ist ja gar kein Monster, wie es sein Vater war. Er ist nur so ein Freak wie seine Mutter.“ Und dann platzte bei mir der Kragen. Was fiel diesem Kerl eigentlich ein? Nicht nur, dass er Rose beleidigte, jetzt tat er dasselbe auch noch mit meinen toten Eltern. Hatte dieser Junge eigentlich vor nichts Respekt? Innerhalb von Sekunden hatte ich meinen Zauberstab gezückt und der passende Fluch lag mir bereits auf den Lippen, als ich Rose Griff um mein Handgelenk spürte. „Nicht.“ Sie sah mich aus ihren braunen Augen an und ich konnte nicht anders, als meinen Arm wieder sinken zu lassen. Sie sah so süß und unschuldig aus. „Tu das nicht, Ted. Mach nie das, was er tun würde. Niemals.“ Dann wandte sie sich wieder an Scorpius und ihre Stimme wurde etwas lauter. „Weißt du, Scorpius, wenn du wüsstest, was Freundschaft ist, dann würdest du so etwas nicht sagen.“ „Freundschaft?“ Scorpius lachte hysterisch. Auch er hatte seinen Zauberstab in der Hand. Offensichtlich hatte er schneller reagiert, als ich erwartet hatte. „Oh bitte, Rose, als ob du noch Freunde hättest. Du hast ein Jahr lang kaum was gesagt! Oder nein, ich vergaß, da ist ja deine imaginäre Freundin, von der man so viel hört. Amélie…“ „Aurélie.“ Ich wusste, bevor ich Rose auch nur ansah, dass sie begonnen hatte zu weinen. Unsicher musterte ich sie und legte ihr schließlich tröstend eine Hand auf die Schulter, in der stillen Erwartung, dass sie sie absteifen würde, doch das tat sie nicht. Ich wusste nicht, was sie so traurig machte, doch ich spürte, dass es tief sitzen musste. Dieser Blick, mit dem sie Scorpius ansah, sagte mehr als tausend Worte. Er hatte sie mit nichts von dem, was er bisher gesagt hatte, verletzt. Wütend gemacht, ja, aber das war etwas anderes. Doch nun sah ich die pure Trauer in Roses Augen und wieder einmal fragte ich mich, was passiert war in all der Zeit, die wir nicht gesprochen hatten. Wie hatte aus dem jungen, unbeschwerten Mädchen, das ich gekannt hatte, nur diese Frau werden können? Diese junge Frau, die jetzt schon vom Leben gezeichnet war, aber doch so unglaublich stark wie zerbrechlich auf mich wirkte. Und so unglaublich anziehend. „Aurélie ist… war… nicht imaginär, Scorpius.“ Man hörte, dass es Rose schwer fiel, noch zu sprechen, was Scorpius nur dazu brachte, noch mehr zu grinsen. Ich jedoch widerstand dem Drang, ihn an den Nordpol zu fluchen und zog Rose stattdessen unvermittelt in meine Arme. Kurz sah sie mich unsicher an, dann jedoch lehnte sie leicht den Kopf an meine Brust und blieb wie versteinert stehen. Mein Blick ging zu ihr hinab und für einen kurzen Augenblick fühlte ich mich wieder in die Zeit zurückversetzt, als sie noch ein kleines Kind und meine beste Freundin war. Eine Zeit, in der ich sie oft so in meinen Armen gehalten hatte. Ich konnte nur hoffen, dass diese Zeiten wiederkamen. Denn dass Rose eine Schulter zum anlehnen brauchte, war offensichtlich. „Sicher. Das sagen die Bekloppten immer, bevor sie in der Klapse landen.“ Scorpius grinste mich fies an. „Aber vielleicht kann dir dein pädophiler Kumpel ja wieder auf die Beine helfen. Scheint ihm ja viel an dir gelegen zu sein.“ Und dieses Mal wusste ich tatsächlich nichts zu erwidern. Mein Blick glitt hinab zu Rose. Zu ihren langen, seidigen Haaren, ihren traurigen, braunen Augen und diesen zarten Lippen, die so lange kaum gesprochen hatten und mit einem beängstigenden Gefühl der Begierde stellte ich fest, dass Scorpius nicht ganz Unrecht mit dem hatte, was er sagte. Dieses Mädchen war mehr Kind als jede andere in ihrem Alter und gleichzeitig war sie zu einer jungen Frau geworden, die ich nur noch faszinierender fand, als es schon früher der Fall gewesen war. Ich hatte mich schon damals zu ihr hingezogen gefühlt, doch was vor Jahren noch unbewusst geschah, traf mich jetzt mit solch einer Wucht, dass ich plötzlich Angst vor mir selbst bekam. Victoire war es, die mich schließlich durch ihre Worte aus meinen Gedanken riss. Ich hatte nicht bemerkt, wie sie zwischen Rose, mich und Scorpius geschritten war, aber nun stand sie da, die Kämpferin und Löwin, die sie schon immer verkörpert hatte und starrte Scorpius bitterböse an. „Du verschwindest jetzt, Malfoy. Und ich werde mich nicht wiederholen. Das hier ist mein Haus und du bist nicht eingeladen. Also mach, dass du wegkommst.“ „Ist gut, ist gut.“, maulte Scorpius, „Merlin, was für ein lahmer Haufen!“ Doch ehe er sich zum Gehen wenden konnte, löste sich Rose aus meinen Armen, und wandte sich an Scorpius und Victoire, ohne sich jedoch von mir zu entfernen. „Nein, er kann bleiben. Ich werde gehen. Ich… brauch etwas Schlaf.“ Victoire sah sie unsicher an. „Bist du dir sicher, Rose? Ich hab dich eingeladen, du kannst ruhig bleiben.“ Rose schüttelte sacht den Kopf. „Ich bin sicher.“, sagte sie bestimmt und wandte sich von Victoire ab. Nur kurz fanden ihre Augen die meinen und ein Lächeln huschte über ihre Lippen. Dann griff sie in eine Tasche ihres weißen Kleides und zog einen kleinen Zettel und einen Stift daraus hervor. Etwas ungeschickt schrieb sie etwas darauf, was ich spontan für eine Adresse hielt und womit ich auch Recht hatte. Schließlich hielt sie mir den Zettel entgegen. Unsicher sah ich sie an, doch als sie nickte, nahm ich das Stück Pergament. Tatsächlich hatte sie darauf eine Londoner Adresse notiert. „Ich würde mich freuen, wenn du mich morgen Abend besuchen kommst, Ted. So um acht? Wir haben viel zu lange nicht miteinander geredet.“ Und damit wandte sie sich auch schon von mir ab und verließ mit wehenden Haaren leichtfüßig den Raum. Ich starrte ihr nach und wusste sofort, dass ich ihrer Einladung besser nicht folgen sollte, doch die Versuchung war zu groß und mir war klar, dass ich ihr nicht würde widerstehen können. Und es gab zu viel, das sie mir erzählen musste. Zu viel, das ich nicht erfahren hatte in all der Zeit. Und noch vieles mehr, das ich ihr sagen sollte, aber nicht durfte, weil es so falsch war. Denn sie war noch ein Kind. Ein kalter Wind peitschte um meine Ohren, als ich am darauffolgenden Abend in die Londoner Vorstadt apparierte, in der Rose alleine eine kleine Wohnung bezogen hatte. Das Haus, in dem sie lebte, war nicht sehr groß und ich schätzte, dass es maximal drei oder vier Wohnungen beinhaltete, was es mir leichter machte, die richtige zu finden. Dennoch stand ich einige Augenblicke unschlüssig vor der Haustür und starrte auf die daneben befestigten Klingelschilder, ohne sie wirklich zu lesen. Bilder des letzen Abends kamen mir in den Kopf und bei dem Gedanken daran, wie Rose so frei über die Tanzfläche geschwebt war, zog sich alles in mir zusammen, denn diese Bilder lösten ein Verlangen in mir aus, das schier unmenschlich war. Und dieses Verlangen machte mir Angst, wenn ich bedachte, wie jung Rose noch immer war und was sie alles durchlebt haben musste. Ich hatte die Trauer in ihren Augen doch selbst gesehen. Die Trauer, als sie an ihre Freundin gedacht hatte. Und dann noch die Geschichte mit Malfoy. Es war einfach nicht fair, wenn ich jetzt solche Gedanken hatte. Als ob Rose keine anderen Probleme hätte als mich. Und dennoch fanden meine Augen schließlich ihren Namen auf einem der Schilder. Ich erkannte ihre feinsäuberliche Schrift sofort und ich drückte den Klingelknopf, noch bevor ich darüber hätte nachdenken können. Idiot! Eben hätte ich noch gehen und sie einfach wieder auf Distanz halten können, damit diese irre Anziehungskraft, die sie auf mich ausübte, wieder verschwand, doch nun war ich an ihre Einladung gebunden. Und als die Tür schließlich mit einem leisen Surren aufgesperrt wurde, trat ich hilflos und völlig verwirrt in den dunklen Hausflur, dessen spärliche Beleuchtung bei meinem Eintreten nur langsam seine Wirkung entfaltete. Roses Wohnung war im obersten Stock, wie ich schnell anhand der Türschilder bemerkte und während ich die einzelnen Stufen mit solcher Vorsicht nahm, als ob ich Angst hätte, dass sie unter mit auseinanderbrechen könnten, wurde mir immer deutlicher bewusst, dass ich nicht hätte kommen sollen. Ich spürte ihre Anwesenheit schon jetzt und sie löste in mir immer mehr Begierde aus, von der ich wusste, dass ich sie nicht ewig unterdrücken konnte. Vielleicht hatte Malfoy doch Recht gehabt. Ich war ein Monster. Nur nicht das Monster, für das er mich hielt. Denn anstatt mich in einen Werwolf zu verwandeln, wurde ich zusehends zu einer pädophilen Bestie. Die Tür zu Rose‘ Wohnung stand offen, als ich sie erreichte und von Innen konnte ich ein leises Summen hören, das mit einer eigentümlichen Musik verschmolz, die irgendwo aus einem Lautsprecher zu kommen schien. Ich erkannte die Melodie nicht, doch alleine der Klang von Roses Stimme löste eine Gänsehaut bei mir aus und ich betrat ihre Wohnung so leise es mir möglich war, nur um diesem wunderschönen Geräusch keinen Einhalt zu gebieten. Erst, als ich die Tür hinter mir ins Schloss zog, schien mich Rose zu bemerken, denn ihr Summen verstummte unweigerlich. Stattdessen tauchte ihr Gesicht hinter einer der Türen auf, die von dem kleinen Wohnungsflur abgingen. „Hallo, Ted! Schön, dass du da bist!“ Ein Lächeln umspielte ihre Lippen und ich konnte nicht anders, als es zu erwidern, ehe sie schließlich ganz in den Flur trat und mir entgegenlief, um mich in eine freundschaftliche Umarmung zu ziehen. Nur schwer konnte ich mich davon abhalten, sie an mich zu drücken. Wieder musterten meine Augen bereits heimlich ihren schlanken Körper. Sie trug einen hellblauen, langen Rock, der ihr weit und geschmeidig um die Beine wehte. Dazu ein weißes Oberteil mit kurzen Ärmeln und eine dunkelblaue Kette, die mit Federn geschmückt war. Kurz fragte ich mich, wann Rose eine so starke Verbindung zur Natur aufgebaut hatte, als ich erkannte, dass sie wieder einmal barfuß war, doch ich verdrängte den Gedanken schnell wieder. „Komm doch rein!“, bat Rose fröhlich und ich nickte und folgte ihr in den gemütlichen Raum, aus dem sie gekommen war. Offensichtlich handelte es sich dabei um eine Art Ess- und Wohnzimmer, denn neben dem kleinen Tisch, der mit kleinen Snacks und Getränken bestückt worden war und den dazugehörigen Stühlen, stand hier auf eine kleine Couch, ein Bücherregel und eine Anlage, aus der die befremdliche Musik kam. Überall waren Vasen und Tröge mir Blumen und anderen Pflanzen und tatsächlich vermittelte der Raum ein sehr angenehmes Gefühl. „Gefällt es dir?“, fragte Rose mich lächelnd. „Sehr.“, gab ich zu und sprach damit zu ersten Mal an diesem Abend. Seltsam, wenn man bedachte, dass sie es war, die ihre Stimme so lange nicht benutzt hatte. „Hast du das eingerichtet? Ich wusste nicht, dass du Pflanzen so liebt.“ Sie lächelte matt, den Blick ins Nichts gerichtet. „Das hat mir wohl Aurélie beigebracht… ich hab wirklich viel von ihr gelernt.“ Sie schüttelte leicht den Kopf, als sich Tränen in ihren Augenwinkeln bildeten. Etwas unsicher sah ich sie an, doch sie hatte sich bereits von mir abgewandt und zündete kleine Kerzen auf der Mitte des Tisches an, ehe sie mich zu sich winkte. „Ich hoffe, du hast noch etwas Hunger. Oh und ich hoffe, du isst gerne vegetarisch.“ „Du bist Vegetarierin?“ Wieso wunderte mich das eigentlich noch? Es schien, als hätte sich viel verändert, seit ich Rose das letzte Mal gesehen hatte. Und doch machte sie das für mich nur noch interessanter und begehrenswerter. Als sie nicht antwortete, nickte ich schließlich einfach zur Antwort und setzte mich auf den Stuhl, den sie mir zugewiesen hatte. Ich sah sie an und versuchte, in ihren Augen zu lesen, doch Rose hatte sich bereits dem Essen gewidmet und so tat ich es ihr gleich. Tatsächlich war ich kein großer Gemüse-Fan, doch ich wollte nichts sagen, was die Situation gestört hätte und zu meiner Verwunderung schien aus Rose eine gute Köchin geworden zu sein. Das Essen verlief schweigend. Ich wagte es nicht, sie anzusprechen und Rose hatte sich ihrerseits wohl an das Schweigen und die Stille in ihrem Leben gewöhnt, sodass auch sie nicht das Wort ergriff. Erst, als wir unsere Mahlzeit beendet hatten, sah sie mich wieder aus ihren braunen Augen an und lächelte. Dieses Lächeln… sie hatte es mir heute schon so oft geschenkt und doch wirkte es noch so unsicher und fehl am Platze auf ihre Lippen. „Ich… werde abräumen.“, erklärte sie unnötiger Weise und stand auf. Doch als sie an mir vorbeiging, griff ich nach ihrem Handgelenk. Verwundert sah sie mich an und dieses Mal war ich es, der lächelte. „Bleib doch. Das hat doch Zeit.“, sagte ich leise, lies dann aber schnell ihre Hand wieder los. Sie zu berühren machte mich nur noch wahnsinniger. „Ich dachte, du wolltest mit mir reden.“ Rose seufzte leicht, stellte dann jedoch die Teller wieder ab, die sie bereits in der Hand hatte. „Du hast Recht.“, meinte sie leise und ich merkte, dass es ihr schwer fiel, die Fassung zu behalten, „Ich wollte mit dir reden. Ich… hab dir viel zu erzählen, weiß du?“ Ich sah sie etwas traurig an. „Ich weiß.“, sagte ich ebenso leise, ehe ich aufstand und zu dem kleinen Sofa ging, das so einladend auf uns wartete. Nur zögernd folgte mir Rose und setze sich schließlich mit großem Abstand neben mich. Etwas verwirrt sah ich sie an. Hatte sie bemerkt, dass ich unbewusst ihre Nähe suchte? Doch das war nun egal. Ich musste diese Gedanken endgültig verdrängen. Ich war hier, um mit Rose zu reden und mir anzuhören, was sie zu erzählen hatte, nicht, um meinem Verlangen nach ihr nachzugeben und sie womöglich in Verlegenheit zu bringen. Sie hatte zu viel erlebt. Wer wusste, ob sie überhaupt je wieder einem Mann wirklich trauen konnte? Mein Blick fiel auf das Bild einer jungen Frau, das auf dem Fenstersims in der Nähe stand. Sie sah aus, als wäre sie in Roses Alter. Lange, hellbraune Haare lagen schwer über ihren Schultern und sie trug ein weißes Kleid, das mich an das erinnerte, das Rose den Tag zuvor getragen hatte. Ihre Haare waren mit Blumen geschmückt und ihre Lippen waren von einem Lachen umspielt. Und auch wenn sie sicher keine pure Schönheit war, so wirkte sie doch sympathisch und auf ihre natürliche Art sehr hübsch. Rose hatte meinen Blick wohl bemerkt, denn sie war aufgestanden, um das Bild zu holen. Als sie wiederkam, setzte sie sich näher neben mich, das Bild in beiden Händen. „Wer ist das?“, fragte ich vorsichtig, doch Rose antwortete zunächst nicht. Ich merkte erst, dass sie weinte, als ein Tropfen auf das Glas fiel, das das Bild schützte. Etwas zögernd legte ich einen Arm um sie und sie senkte dankbar ihren Kopf auf meine Schulter. „Das ist Aurélie.“ Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Vermisst du sie?“, fragte ich mit einem matten Lächeln und drückte Rose etwas an mich. Plötzlich war jedes Verlangen nach ihr verschwunden. Alles, was ich jetzt noch wollte, war sie in den Arm zu nehmen und zu erfahren, warum sie weinte, wenn sie das Bild ihrer Freundin betrachtete. Was hatte dieses einst so fröhliche Mädchen nur so zerstören können? Es schien, als wäre kaum noch etwas von der Rose übrig geblieben, die ich einst gekannt hatte. In allem was sie tat, in jedem ihrer Worte schwang so viel Trauer und Verletzlichkeit mit, dass ich Angst hatte, sie könne in sich zusammenbrechen, wenn ich nur ein falsches Wort sagte. Aber sie tat es nicht, sondern beweinte leise die Vergangenheit. „Ja… sehr.“ Rose schluchzte leicht und wischte sich dann mit dem Unterarm die Tränen aus den Augen. Nur sehr vorsichtig sah sie mich von unten an und ihr Blick war so traurig und hilfesuchend, dass es mir schier das Herz brach, sie so zu sehen. Jetzt wirkte sie wirklich wieder wie ein kleines Kind, das eine Umarmung und vor allem einen ruhigen Zuhörer bitter nötig hatte. Und dann sagte sie etwas, das ich nicht erwartet hatte und mich wie ein Schlag traf. „Sie ist tot.“ „Wer?“ Ich konnte nicht ganz fassen, was sie da sagte. War sie deswegen so traurig? „Aurélie. Sie ist tot.“, flüsterte Rose leise und legte den Kopf wieder an meine Schulter. Zaghaft hob ich meine Hand, um über ihre seidigen Haare zu streichen. Erst langsam sickerte die Bedeutung ihrer Worte zu mir durch. Sie hatte ihre Freundin verloren. Was musste diesem Mädchen denn noch alles zustoßen? Schließlich rang ich mich dazu durch, ihr die Frage zu stellen, wegen deren Antwort sie mich wohl zu sich bestellt hatte. Weil sie es jemandem erzählen musste, so schwer es ihr auch fiel. „Was ist passiert, Rose?“ Ich sah sie fürsorglich an, strich weiter mit der Hand über ihre Haare. „Was ist passiert, dass du dich so verschlossen hast?“ Rose erwiderte meinen Blick nicht. Stattdessen drehte sie den Kopf von mir weg, spielte mit ihren Fingern am Saum ihres Shirts. Als sie endlich zu sprechen begann, kam es mir so vor, als wäre es nicht sie, die mir ihre Geschichte erzählte, sondern als würde eine fremde Stimme aus ihr sprechen. Ein fremdes Mädchen, das wohl mit ihrer besten Freundin gestorben war. „Die Geschichte… mit Scorpius… hat mich damals ziemlich fertig gemacht, weißt du?“, fragte sie leise, wartete meine Antwort jedoch nicht ab, „Ich hatte das Gefühl, keinem Menschen hier mehr trauen zu können. Schon gar nicht einem Mann… Ich… ich hab ihn wirklich geliebt. Ich hab ihm mein Herz geschenkt. Wie sollte ich da je wieder jemandem vertrauen? Wie denn?“ Und bei diesen Worten liefen wieder Tränen über ihre Wangen. Ich wollte sie ihr wegwischen, doch Rose war schneller. Störrisch wie ein kleines Kind wischte sie sich mit den Handballen über die Augen, verwischte dabei die Schminke, die sie dezent aufgetragen hatte, doch daran dachte sie wohl nicht mehr. Es war ihr egal und mir ebenso. Ihr Anblick löste das pure Mitleid in mir aus, doch ich wusste nicht mehr, wie ich reagieren sollte und auch Rose schien dies zu bemerkten, denn sie fuhr schließlich einfach fort. „Ach verflucht! Und dabei sollte ich nicht mehr weinen. Aurélie… Aurélie hat geschrieben, ich soll nicht mehr weinen.“ Verwunder sah ich sie an. „Aurélie? Ich dachte…“ „… sie ist tot, ja.“ Rose sah mich nur kurz an, dann stand sie von dem kleinen Sofa auf, ging zu ihrer Anlage und drehte die Musik lauter. Nicht so, dass sie lästig wurde, aber doch so, dass ich die Klänge nun besser differenzieren konnte. Es hatte etwas von Mittelaltermusik, wie sie meine Grußmutter manchmal hörte. Ein leichtes Lächeln huschte bei diesem Gedanken über meine Lippen, welches Rose weitaus trauriger erwiderte, als sie zu mir zurückkehrte. Das Bild hatte sie wie beiläufig an seinen Platz zurückgestellt. „Die Musik hab ich von ihr. Ich hab ziemlich vieles von ihr übernommen, schätze ich.“ Sie legte leicht den Kopf schief und schien nachzudenken, doch schließlich schüttelte sie nur ihre langen, braunen Haare und setzte sich wieder dicht zu mir. „Als ich nach Beauxbatons kam, hat sie sich um mich gekümmert. Sie war so etwas wie die große Schwester, die ich nie hatte. Ich hab eigentlich jede freie Minute mit ihr verbracht. Wir haben auch ein Zimmer geteilt und sie hat mir etwas von der Freude zurückgegeben, die ich verloren hatte… Sie war der erste Mensch, dem ich wieder vertrauen konnte. Irgendwann nach drei Monaten oder so kam sie dann mit Philippe zusammen. Ich hab ihr gesagt, sie macht einen Fehler. Ich hab ihr gesagt, Männer verletzen uns nur. Aber sie hatte so eine unglaublich positive Einstellung und ich habe es wirklich genossen, dabei zuzusehen, wie sie in dieser Beziehung aufgeblüht ist. Es schien, als würde sie ihr Glück dabei irgendwie auf mich übertragen und ich habe mich für sie gefreut. Philippe war nett und ich hab irgendwann sogar wieder angefangen, mit ihm zu reden. Wohl irgendwie etwas zu viel…“ Rose seufzte. Ich konnte ihr ansehen, dass sie wieder kurz davor war, in Tränen auszubrechen, doch sie tat es nicht, unterdrückte ihren Schmerz, und ich wollte sie nicht unterbrechen, wollte hören, was sie zu sagen hatte. „Philippe hat sie nach nur vier Monaten verlassen. Und ich weiß, dass es wegen mir war.“ Geschockt starrte ich sie an. „Rose... aber…“ Sie schluckte leicht. „Ich weiß… ich… ich hab danach auch nie wieder mit ihm gesprochen. Kein Wort hab ich mit ihm gewechselt. Ich wollte ja nicht… und Aurélie hat immer gesagt, es sei okay. Sie hat nicht einmal geweint. Und das hat mich fast noch mehr fertig gemacht. Aber sie war so stark und irgendwann hab ich ihr geglaubt. Aber… aber zwei Wochen später… zwei Wochen später war sie morgens plötzlich nicht da, als ich aufgewacht bin.“ Und dann liefen doch wieder Tränen über ihre Wangen. Tränen, die sich nicht mehr wegzuwischen vermochte. Nur kurz überlegte ich, dann zog ich sie einfach auf meinen Schoß und direkt in meine Arme. Es war egal, was das in mir auslöste, jetzt musste ich für sie da sein. Ich wusste nicht, warum sie all das ausgerechnet mir erzählte. Nach all der Zeit. Aber es bedeutete, dass ich Verantwortung übernommen hatte und ich würde es nicht ertragen, Rose jetzt mit ihrer Trauer alleine zu lassen. Sehr zaghaft kuschelte sich Rose an mich, weinte leise in mein weißes Hemd, das mit ihrer Wimpertusche verfleckt wurde, doch das störte mich nicht weiter. „Sie haben sie in einem der Bäder gefunden.“, flüsterte Rose schließlich sehr leise. Ich hatte Mühe, sie noch zu verstehen, doch ich wies sie nicht darauf hin, „Sie… hat versucht sich umzubringen. Ich weiß nicht, was es war, das sie geschluckt hat, aber sie konnten ihr nicht mehr helfen.“ Sie begann zu schluchzen und ich drückte sie noch etwas fester an mich, versuchte ihre Trauer irgendwie von ihr zu nehmen doch ich wusste selbst, dass das unmöglich war. Ich hatte ja nicht gewusst, was alles passiert war. Das war doch zu viel für einen Menschen. Wie hatte sie all das überstanden? „Sie lag monatelang im Koma. Ich hab mit keinem Mann mehr gesprochen. Ich wusste, es war wegen Philippe. Warum hätte sie das denn sonst tun sollen? Es hat einfach all meine Vorurteile bestätigt. Zwei Wochen bevor ich nach England zurückgeflogen bin ist sie gestorben. Sie konnten sie nicht retten.“ „Das tut mir leid.“, flüsterte ich leise. Inzwischen hatten sich auch in meinen Augenwinkeln Tränen gebildet, doch ich unterdrückte meine Trauer. Einer von uns musste stark bleiben. Ich musste Rose helfen, soweit ich konnte. „Das tut mir wirklich leid, Rose.“ Dann erst fiel mir etwas auf. „Aber… du redest mit mir. Warum?“ Rose sah mich kurz verwundert an, dann lächelte sie verständig, strich sich die Tränen nun wesentlich ruhiger aus den Augen. „Ich hab nach ihrem Tod ein paar ihrer Schulsachen aufgeräumt… und da hab ich einen Brief gefunden. Er war an mich. Es war… eine Art Abschiedsbrief. Er war der Grund dafür, dass ich Heilerin werden will… Aurélie… Aurélie wollte sich nicht wegen Philippe umbringen, wie ich gedacht habe. Sie… sie war unheilbar krank. Sie wusste es schon lange, aber sie keinem ein Wort gesagt. Dabei hatte sie so unglaubliche Schmerzen, die ihr kein Mensch nehmen konnte. Sie hat nur so lange durchgehalten, weil sie Philippe hatte. Und weil sie mir helfen wollte. Sie… sie hat geschrieben, dass ich mein Vertrauen in die Menschen wiederfinden muss. Weil sie mir immer vertraut hat und weil sie… weil sie will, dass ich glücklich bin. Sie… ich… es war ihr Wunsch, dass ich… wieder fröhlich werde. Und ich muss ihren Wunsch doch erfüllen.“ Sie schluchzte und legte den Kopf wieder an meine Schulter. Nur vorsichtig wagte ich es, meine Hand unter ihr Kinn zu legen und ihren Kopf so wieder anzuheben, sodass sie mich ansehen musste. „Sehr fröhlich siehst du aber nicht aus, Rose.“, meinte ich mit einem matten Lächeln und strich ihr sachte mit dem Finger die Tränen weg. Ich hatte nie mit einer solchen Geschichte gerechnet. Niemals. Doch es war nicht der Zeitpunkt, um sich den Kopf darüber zu zerbrechen, das wusste ich. Ich musste das tun, was ich fühlte. Und ich fühlte, dass ich Rose helfen sollte, wieder glücklich zu werden. Rose grinste etwas schief. „Stimmt wohl…“, murmelte sie leise, „Aber… das ist nicht so einfach. Ich… ich kann das alleine nicht. Glücklich werden.“ Ich sah sie an. Ihre langen, braunen Haare, die verweinten Augen, die doch sie wunderschön glänzten, die zarte Haut, die von Tränen übersät war und wusste, dass ich derjenige sein wollte, der sie glücklich machte. Die reine Vorsicht war es, die mich davon abhielt, sie direkt auf ihre sanften Lippen zu küssen. Stattdessen fand mein Mund ihre Stirn und berührte diese leicht. Es war nicht mehr, als der Versuch, ihr zu sagen, dass ich für sie da war, auch wenn ich so viel mehr hätte sagen wollen. „Warum erzählst du das alles ausgerechnet mir?“, fragte ich schließlich lächelnd. Rose blickte zu mir auf und plötzlich war jede Trauer aus ihren Augen verschwunden. Stattdessen sprühten ihre Augen nur so vor Emotionen. „Aurélie hat geschrieben, ich solle den Menschen wieder vertrauen und mit ihnen reden. Sie meinte, ich sollte in mich hinein hören und mit dem Menschen anfangen, der mir am meisten bedeutet.“ Sie machte eine kurze Pause, in der sie mich unsicher ansah. „Ich… hab in mich hineingehört, Ted. Gestern, letzte Nacht, jetzt. Und ich weiß nicht, warum, vielleicht, weil wir früher so oft zusammen waren oder vielleicht, weil du mir mehr bedeutest, als ich mir je eingestanden habe… aber dieser Mensch bist du.“ Sie musste die Verwunderung und die Unsicherheit in meinem Blick erkannt haben, denn Rose lächelte leicht und ehe ich irgendwie reagieren konnte, lehnte sie sich zu mir herüber und hauchte mir einen kurzen Kuss auf die Lippen. „Ich weiß, dass das egoistisch ist, aber…“ Sie sah mich an und als ich schließlich lächelte, tat auch sie es wieder. „… bitte, mach mich wieder glücklich Ted.“ Diese Worte waren alles, was sie hatte sagen müssen. In mir explodierten Gefühle und Gedanken und ich wusste, es würde ein langer Weg werden, aber dieses Mädchen war es wert. Und alles andere war egal. „Das werde ich.“, flüsterte ich leise und küsste sie. Endlich. Und als sie den Kuss erwiderte, wusste ich, dass es richtig war. Rose hatte es verdient, glücklich zu sein. Und ich würde alles tun, damit sie es war. Ein Kind war sie eben doch nur noch auf dem Papier. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)