Love, Hate and Other Disastres von ann-pon ================================================================================ Kapitel 1: First Impressions ---------------------------- „Verdammt, was sollen wir hier? Sind nicht andere Idioten dafür zuständig, hier die Lesser zu jagen? Müssen wir uns das wirklich auch noch aufladen?“ Vishous war schlecht gelaunt. Sehr schlecht sogar. Vor kurzem erst hatte er seine totgeglaubte Shellan zurückbekommen, und schon mussten sie ins gottverdammte London abreisen. Und so stand er sich jetzt – anstatt das ZeroSum zu frequentieren, sich einen schönen Abend mit Jane zu machen oder in seiner Heimatstadt ein paar Lesser zu töten – in einem Außenbezirk Londons neben einem längst nicht mehr benutzten Lagerhaus die Beine in den Bauch. Natürlich fing es auch noch an zu schütten. Das Leben war einfach nicht fair. „Tja V, einer muss diesen Scheiß ja erledigen. Warum Wrath ausgerechnet uns auf eine…wie sagte er noch? Forschungsmission schickt, ist mir allerdings auch schleierhaft…“ Sein momentaner Leidensgefährte Rhage grinste ihn an. „…ich hasse England…“ *** Knapp 40 Meilen entfernt starrte ein gut gekleideter Mann im mittleren bis gehobenen Alter die junge Frau an, aus deren Mund ebenfalls gemurmelte Flüche und Drohungen erklangen. Doch sowohl die Tatsache, dass ihr für dieses Verhalten quer durch den U-Bahnwaggon tadelnde Blicke zugeworfen wurden als auch der Fakt, dass ihre schwarze Kleidung vollkommen durchnässt an ihr klebte, schienen ihr egal zu sein. Denn ehrlich gesagt gehörte die Schwarzhaarige, immerhin Vampirin, Trägerin zweier Doppelschwerter und diverser anderer Waffen bzw. Wäffchen, und führende Jägerin der improvisierten Lesser-Vernichtungsgesellschaft Londons, schon längst nicht mehr zu den Personen, die sich groß um den Eindruck scherten, den sie auf andere machten. Gedankenverloren griff sie zu ihrem Handy und scrollte durch das mit Namen und Telefonnummern gespickte Adressbuch. Einige der Namen blitzten dabei in ihrem Gedächtnis auf, schienen so ihre Wichtigkeit für den Verlauf des Lebens der jungen Frau betonen zu wollen. Blaze… die Erinnerung war irgendwie verschwommen. Nicht das Bild der Person an sich, wie könnte sie auch das Gesicht ihrer besten auch einzigen Freundin vergessen, sondern die Bilder ihrer ersten Begegnung, die eigentlich keine Bilder waren sondern eher Fragmente, einzelne Eindrücke, Gefühle, Laute. Eine verregnete Nacht, neblig. Eine kleine Gasse, die Pflastersteine teilweise eingesunken, zersprungen, vom Zahn der Zeit zernagt. Das Bellen eines Hundes, weit in der Ferne. Kälte, die über die Steine durch ihre Kleidung kroch. Einsamkeit und das Gefühl, etwas verloren zu haben. Etwas, das sie finden musste. Und dann…zwei dunkelgrüne Augen, die sie später so oft mit Jade, Nadelwäldern, Efeu vergleichen würde. Dazu eine Stimme, irgendwie besorgt und eindeutig fragend. Silence… Diese Erinnerung war um einiges deutlicher, als hätte ihr Gehirn sich in der kruzen Zeit zwischen den beiden Begegnungen daran gewöhnt, vollständige Gedanken zu speichern. Er war es gewesen, der sie schließlich zum Reden brachte. Mit Geduld und dafür ohne ständiges erneutes Nachbohren. Ihm hatte sie sofort vertrauen können, ihm in der völlig heruntergekommenen Lagerhalle, in die Blaze sie gebracht hatte, gestanden, dass sie keinerlei Erinnerungen besaß. Nicht an ihre Eltern, nicht an Freunde, nicht an einen Wohnort oder ihr Alter. Nur ein einziges Wort, dass in ihren Gedanken stand wie ein einzelner Pfeiler in einer Halle: Payne. Er hatte schließlich beschlossen, dass Payne ihr Name sein würde, bis sie sich an etwas anderes erinnern würde können und sie wie eine Tochter oder jüngere Schwester aufgenommen. Er hatte ihr zusammen mit Blaze ihre Umgebung erklärt, die ihr wie eine völlig fremde Welt erschien. Sie erinnerte sich an Sommernächte, in denen die Sterne vom Himmel leuchteten und selbst die finstersten Londoner Gassen erhellten, ebenso wie an ihre erste Winternacht mit Schnee, in der sie ungläubig staunend nach draußen gegangen war, daran zweifelnd dass ein Anblick von solcher Schönheit, wie ihn die durcheinander wirbelnden Flocken boten, etwas anderes als ein Traum sein konnte. Außerdem lehrte er sie den Umgang mit Schwertern, Wurfsternen, Dolchen und diverse Nahkampftechniken und erklärte ihr die Verschiedenheiten der Gesellschaften der Menschen, Lesser und Vampire, als er bemerkte, dass sie über schier unerschöpfliche Energie zu verfügen schien und oft gelangweilt war. Dieses Wissen hatte ihr inzwischen so viele Male das Leben gerettet, seit sie aktiv gegen die Lesser kämpfte… Dann Rafe… er war einer der besten Krieger in ihrer recht kleinen Gemeinschaft, ein guter Kumpel zum Trainieren, Actionfilme gucken und sich betrinken. Sie hatten einander öfter den Rücken gedeckt als sie zählen konnte, standen sich aber sonst nicht sonderlich nahe. Hier und da eine durchzechte Nacht und die gemeinsamen Trainingseinheiten und Übungskämpfe, eine eher lockere Bindung, die aber seit Jahren hielt. Phreak… bei ihm war der Name Programm. Als Kämpfer nicht zu gebrauchen, war er den meisten Kriegern aber eindeutig geistig überlegen. Ein kleines Computergenie und Fertiger der meisten Waffen, die sie benutzten. Auch ihre geliebten Doppelschwerter hatte er geschmiedet und sie ihr an ihrem ersten „Jahrestag“ als Mitglied der Gruppe feierlich überreicht. Und noch immer waren diese perfekt ausbalanciert und hatten sie nie im Stich gelassen. Und schließlich Craven. Einer der schwarzen Punkte ihres Lebens. Genauer gesagt war er der eine Punkt, den sie am liebsten vergessen würde, ohne es zu können. Oder besser noch, ihn komplett ausradieren. Mit einer Stange Dynamit zum Beispiel, einer netten kleinen Autobombe oder gleich einer gottverdammten Rakete!! Grrr… Fantastisch. Ihre Laune war soeben noch ein Stückchen gesunken. Auch wenn sie nicht gedacht hätte, dass das noch möglich gewesen wäre. Kurz gesagt, ihre Nacht war schon unglaublich mies gestartet. Sie hatte ganze zwanzig Minuten mit einer Grundsatzdiskussion mit Craven vergeudet (an das Thema konnte sie sich nicht mal mehr erinnern), dann hatten sich an ihrem Lieblingsmantel gleich zwei Knöpfe selbstständig gemacht und vor zwanzig Minuten hatte man ihr telefonisch mitgeteilt, dass sich in Whitechapel Lesser herumtrieben – in einer Gegend, die nur von Menschen bewohnt und genutzt wurde, also ein perfektes Versteck für eine ihrer Kommandozentralen oder einen Rekrutentreffpunkt, an dem sich die Lesser mit potentiellen neuen Omega-Anhängern trafen, um sie dann aus der Stadt zu schaffen und irgendwo an einem abgelegenen Ort in Lesser zu verwandeln. Also würde sie wieder einmal ziellos durch die Straßen laufen, in der Hoffnung, den typischen Talkumgeruch einzufangen und den einen oder anderen Lesser zu erledigen, und dabei wahrscheinlich die komplette Begrüßung und eine erste Besprechung mit diesen beiden Superkriegern verpassen, die heute ankommen sollten und ihnen mit ihrem „kleinen Problem“ helfen würden- hoffentlich. Das spöttische Schnauben konnte sie nicht gänzlich unterdrücken, sodass sich wieder einige Blicke auf sie richteten. Craven war vehement gegen diese Idee gewesen. Er weigerte sich zu glauben, dass die Gruppe Hilfe von außerhalb benötigte. Er hatte noch nie sonderlich gut eine Schwäche eingestehen können. Typisch Mann eben. Craven…jemand, der in seinem ganzen Leben nicht öfter als ein dutzend Mal aktiv im Außendienst gewesen war und obendrein mit seiner Ansicht hausieren ging, dass Frauen einfach nicht logisch denken könnten und sie, Payne, deshalb nicht in der Lage sei, Entscheidungen zu treffen. Wahrscheinlich erzählte er den beiden Kriegern in diesem Moment von seinen letzten Versuchen, die Gleichberechtigung zwischen männlichen und weiblichen Vampiren zu untergraben… Aber sie würde sich jetzt nicht weiter innerlich aufregen („Ruhe und Beherrschung, denk an Ruhe und Beherrschung!!“ war der Beitrag ihrer inneren Stimme) sondern sich auf ihre Mission konzentrieren. *** Rhage langweilte sich zutiefst. Nach anderthalb Stunden Wartezeit hatte man sie endlich von dieser Ruine einer Lagerhalle abgeholt und in das eigentliche Hauptquartier der hiesigen Bruderschaft gebracht. Obwohl man bei diesem kleinen Häuflein nicht wirklich von Bruderschaft sprechen konnte. Er wurde das finstere Gefühl einfach nicht los, dass dieser bunt zusammengewürfelte Haufen noch nie wirklich eine Chance gegen die Lesser gehabt hatte und wirklich dringend Hilfe brauchte. Und nun waren sie gezwungen, den wirklich sehr, sehr sehr ausschweifenden Erläuterungen dieses Waschlappens zu lauschen, der sie begrüßt hatte und offenbar irgendeinen Anführerstatus innehatte. Rhage konnte nicht anders als die übrigen Jäger der Gruppe zu bemitleiden, wenn sie diesen Typen wirklich jede Nacht am Hals hatten. Das war ja schlimmer als auf ewig mit Wrath Monopoly spielen zu müssen…. Also konzentrierte er sich lieber auf die Umgebung und blendete das Gequatsche so weit aus, dass nur hin und wieder ein Satz zu ihm durchdrang. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass sein Bruder dasselbe tat. Diese ehemalige Fabrik war als Hauptquartier gar nicht mal zu verachten. Perfekt geschützt durch modernste und einfallsreiche technische Spielereien, funktionell und doch irgendwie gemütlich eingerichtet, mit einem kleinen Labor, einem abgetrennten wohnzimmerähnlichem Raum mit Sesseln, Bücherregalen, Fernseher und Billardtisch, Küche und einem Trainingsraum, der durchaus seinem Geschmack entsprach. „Kämpfen bei euch eigentlich auch Frauen in der Bruderschaft?“ Diese Frage riss ihn etwas aus seinen stummen Betrachtungen und er wollte gerade anfangen, dem Idioten zu erklären, dass die Bruderschaft natürlich „Bruderschaft“ hieß, weil sie Schwestern beinhaltete – oder auch nicht! – als sich die Tür zum Trainingsraum mit einem Quietschen öffnete. Herein trat eine Vampirin, deren Aura und Erscheinungsbild wenig mit „schwachem Geschlecht“ zu tun hatte. Sie trug locker sitzende schwarze Hosen, die in kniehohe Springerstiefel gestopft waren, ein enges schwarzes T-Shirt und einen schwarzen Mantel. Alles war komplett durchnässt und verbarg so nicht viel von ihrer Figur, die eher sportlich-knabenhaft als weiblich war: Flacher Bauch, leicht durchtrainiert, aber kaum Hüften oder Oberweite. Der kämpferische Eindruck wurde noch verstärkt durch zwei Schwerter, die an ihrem Gürtel hingen, und das leicht bedrohliche Funkeln in ihren Augen, die Rhage durch die langen pechschwarzen Ponyfransen und andere Strähnen, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten, eher erahnte als wirklich sah. Okay, dies war wirklich keine Bruderschaft. Vielleicht sollte er sich einen Begriff wie „Gruppierung“ oder so angewöhnen. „Weißt du, Craven…irgendjemand wird sich schon was dabei gedacht haben als er die Bruderschaft der Black Dagger „Bruderschaft“ nannte.“ wandte sie sich auch sofort mit leichtem Spott in der Stimme an ihren Führer, um gleich darauf ihm und Vishous leicht zuzulächeln. „Ich bin Payne“ – oh, ja, DAS konnte er sich vorstellen. Mit ihr zu streiten wäre wahrscheinlich ungefähr so angenehm wie sich in einem Kaktusfeld zu wälzen – „und ich war auch diejenige, die Euch ursprünglich hätte abholen sollen. Entschuldigt die Verspätung.“ Immerhin war sie nicht so eine Labertasche wie dieser Craven, allerdings war es aber ihre Schuld, dass sie anderthalb Stunden gewartet hatten. Rhage konnte nicht umhin, sich ihre Reaktion vorzustellen, sollte er für diesen Umstand eine ganz spezielle…Wiedergutmachung fordern. Würde sie ihn anschreien? Darauf eingehen? Oder seelenruhig lächelnd wie Freddy Kruger auf ihn losgehen und versuchen, ihn aufzuschlitzen? Schon öffnete er den Mund, um sein Glück zu versuchen, als er von Vishous einen nicht ganz sanften Rippenstoß erhielt. „Rhage. Das ist mein Bruder Vishous. Ist schon in Ordnung, ich bin sicher, du hattest gute Gründe.“ Charmantes Lächeln, die erste. „Ich darf doch „du“ sagen, oder? Es gibt keinen Grund für uns zwei Hübschen so förmlich sein…“ Okay, möglicherweise war das gerade ein Fehler gewesen. Nach diesem Spruch, der seiner Erfahrung nach die meisten Frauen auftaute, sah sie ihn ungefähr so an, wie V’s Shellan Jane immer eine Spinne ansah: Angeekelt, wütend („Wie können diese Mistviecher es wagen, sich ständig in meinem Zimmer einzunisten?!“) und definitiv bereit zum Töten. Wäre er ein gewöhnlicher Vampir, hätte er jetzt einen guten Grund, Angst zu haben. Aber als Mitglied der Bruderschaft…na ja, er hatte gewissermaßen einen Ruf zu verlieren und außerdem fand er sie schon deswegen sympathisch, weil sie eben nicht auf seine Anmache einging, sondern ihn mit Blicken röstete. *** „Kämpfen bei euch eigentlich auch Frauen in der Bruderschaft?“ Natürlich. Hatte sie es nicht gewusst? Verdammt, sie kannte Craven sogar schon so gut, dass sie sein Verhalten vorhersehen konnte. Okay, Payne, die nächste Zeit halten wir uns von ihm fern…sonst färbt sein Verhalten noch auf dich ab… Sie gruselte sich bereits bei dem Gedanken daran und beschloss, dass sie Cravens Frage sozusagen als Stichwort für ihr Erscheinen ansehen würde. Es gab doch nichts Schöneres als seinem Todfeind vor einigen Unbeteiligten ein bisschen zum Deppen zu machen… Nur kurze Zeit später korrigierte sie diese Aussage: Es würde eindeutig etwas Schöneres geben, und zwar, diesem blonden Prachtexemplar von einem Vampir nachdrücklich zu beweisen, dass sie niveaulose Anmachen nicht ausstehen konnte. Und mit „nachdrücklich“ meinte sie „handgreiflich“. Verdammt, sie hatte sich sogar für die Verspätung entschuldigt, da ihr die Predigt von Blaze noch im Ohr klang: „Payne, Süße, wir sitzen echt in der Scheiße. Lass uns hoffen und zur Jungfrau beten, dass diese Typen ne Ahnung haben, was abgeht. Also benimm dich und versuch, niemanden vor den Kopf zu stoßen…“ Und was durfte sie sich anhören? Macho-Allüren. Toll. Hoffentlich war der andere, dieser Vishous, nicht genauso drauf. Sonst würden diese Besprechungen nicht sehr produktiv werden. Sie bemühte sich, wahrscheinlich erfolglos, aber immerhin, sich ihre Gedanken nicht anmerken zu lassen, und ging dann einfach zum Hauptthema über, das Craven bislang wahrscheinlich kunstvoll vermieden hatte. „Also, was hat der König euch über die Lage erzählt?“ Anmerkung des Autors: Ja, ich habe Craven aus „Underworld“ entwendet. Ich fand ihn da schon unglaublich unsympathisch, und konnte mich beim Schreiben irgendwie nicht von dieser Figur loslösen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)