Herztod und Zwischenfall. von Nagakami (Weil du mich Freiheit lehrtest) ================================================================================ Kapitel 6: Vom Suchen und Finden -------------------------------- Yes, I know~ Dieses Kapitel war früher versprochen ( seltsam, gerade habe ich so ein Déjà-vu !) und falls ihr noch immer fleißig am Lesen dabei seid, dann ein herzliches Danke. ♥ P.S. Dafür wurde ich auch von unfreiwillig dazu gezwungen meine eigenen Metaphern zu analysieren. Ein Horror ! --- Karyu konnte das Gefühl des Unwohlseins, das durch seine Adern kroch wie ein ungewolltes Infiltrat und seine Lungen mit einer solchen Brachialgewalt zusammenquetschte, als würde er sich in den Klauen eines monströsen, unsichtbaren Geschöpfes befinden, weder als eine Nebenwirkung der Freude deuten, noch dem negativen Einfluss einer bösartigen Vorahnung zuordnen, als er die feste und freudige Umarmung seines Bruders löste und sich zu dem Hausmeister herum drehte. Dieser kratzte sich noch immer beschämt im Nacken und machte sich langsam davon, eh sich Karyu mit in die Wohnung des Jüngeren ziehen ließ. Zunächst hielt er alles für einen schlechten Scherz, aber der Unglaube übermannte ihn schneller als die Wirkung eines hochprozentigen Alkohols, den er sich gerne in seine Kehle kippte. Natürlich freute er sich, seinen jüngeren Bruder wieder zu sehen, aber allein als er den ersten Blick in den Flur warf und einen ersten Eindruck von der Situation sammelte, dabei von einer Vielzahl an kleineren Kartons erschlagen wurde, dessen Inhalt sich bereits hier und dort verteilte und nur noch darauf wartete endlich vom Eigentümer eingeräumt zu werden, wurde Karyu bewusst, dass es nicht gut war, dass Hizumi hier war - überhaupt nicht gut.  "Tut mir leid, dass ich noch im Schlafanzug bin! Kann ich dir etwas zu trinken anbieten?" Die warme Stimme des Kleineren, der ihn mit sich in die Küche zog und mit ihm gemeinsam einen kleineren Stapel einfacher Körbe überwand, welcher sich wie eine Mauer im Türrahmen gebildet hatte, riss ihn aus seinen Gedanken, die wild kreisend durch seinen Kopf waberten. Das leise "Wenn ich die Tassen finden würde", welches Hizumi leise hinzufügte und mehr zu sich selbst murmelte, ging jedoch an Karyu nicht vorbei, obgleich er das drängende Gefühl hatte, einfach neben sich zu stehen und der Logik der Welt nicht mehr mächtig zu sein. In seiner Brust ballten sich die Emotionen zusammen und er wusste nicht, wie er sie los werden sollte. Auf seiner Zunge lag der Satz "Soll ich dir beim Ausräumen behilflich sein?", doch er schluckte ihn ebenso schnell wieder herunter wie er auf gekommen war, denn das würde nur bedeuten, dass er es befürworten würde, dass Hizumi in diese Stadt und vor allem in seine Nähe gezogen war. Karyu konnte das nicht verantworten, auch wenn ihm danach war, in Tränen ausgebrochen seinen jüngeren Bruder in die Arme zu schließen und sich zu freuen, ihn gesund und wohl auf zu sehen, und nicht dem Fieberwahn unterlegen. Es gab so vieles, was er Hizumi sagen wollte, so vieles, weswegen er um Vergebung bitten wollte; aber nichts davon wollte er ansprechen, traute sich vielmehr nicht, es auszusprechen.  "Nein, ist schon in Ordnung, Hizu-chan. Du brauchst dir wegen mir keine Umstände machen", sagte Karyu mit einer beschwichtigenden Handbewegung und zog den Stuhl etwas vom Küchentisch weg, der scheinbar bereits vorher hier gestanden haben musste, weil er das Möbelstück nicht kannte. Langsam setzte er sich, den Blick auf seinen Bruder gehalten, der an der Küchenzeile stand und ihm das unverkennbare, strahlende Lächeln entgegen warf, dabei ein Glitzern in den Augen, wie ein Kind an Weihnachten. Hizumi hatte hier nichts verloren! Dessen wurde sich der Hochgewachsene immer bewusster. Er wollte Hizumi in seine Arme schließen, ihn am liebsten nie wieder los lassen, aber all das würde dem Anderen nur signalisieren, dass es in Ordnung war, dass sie sich wiedergefunden hatten. Und das war es durchaus nicht - ganz und gar nicht. Eigentlich müsste Hizumi so schnell wie möglich wieder von hier weg. Aber das konnte er seinem Bruder schlecht sagen, wo sie sich gerade nach acht verfluchten Jahren wieder sahen. Karyu wurde speiübel, als er sich seufzend etwas zurücklehnte und sich zu einem Lächeln zwang, um wenigstens ein wenig seine Freude zur Kenntnis zu geben. Aber die Gedanken mordeten ihn innerlich, als er daran denken musste, wie lange er seinen Bruder hatte allein lassen müssen, wie sehr er sich gesehnt hatte, ihn endlich wieder zu sehen, und nun wünschte er sich nichts sehnlicher, als diesen wieder davon zu schicken. Sein ganzer Körper wurde zu einem Paradoxon und er hoffte, dass Hizumi einfach von alleine wieder gehen würde; zurück in die Heimat, wo er wohlbehütet war.  Hizumi war so groß geworden und dennoch hatte er nichts an seiner Jugendlichkeit verloren. Karyu konnte noch immer das Kind in diesem sehen, wenn er das schiefe, kecke Grinsen betrachtete, das sich über die Wangen des Jüngeren zog. Und gleichzeitig konnte er den Anblick nicht aus seinem Gedächtnis verbannen, mit dem er Hizumi die ganze Zeit über in Erinnerung behalten hatte, ob er dies nun gewollt hatte oder nicht, aber ihm ging das Bild nicht aus dem Kopf, wie der Jüngere mit blasser, fast weißer Haut und diesem schwerkranken Ausdruck im Gesicht in dem Krankenhausbett gelegen hatte, von Hustenkrämpfen geschüttelt und von Magenkrämpfen geplagt. Anders hatte er Hizumi nicht in Erinnerung, denn so war sein Zustand all die Jahre über gewesen. Und auch wenn er sich nun dafür freute, dass es seinem Bruder besser zu gehen und dessen Immunsystem sich stabilisiert zu haben schien, schämte Karyu sich so unendlich dafür, diesen einfach allein gelassen zu haben. Ihn mehr oder minder im Stich gelassen zu haben ... Wie konnte Hizumi noch so freundlich zu ihm sein, so fröhlich sein, wo er doch sogesehen sein Gesicht verloren hatte und eigentlich nie wieder zu seiner Familie zurückkehren konnte?  "Na, ich muss doch ein guter Gastgeber sein", wandte Hizumi ein und begann noch einmal, in den kleinen Schränken zu kramen, eh er auf einen Korb stieß, der von einem Tuch bedeckt wurde, und dort zwei Tassen hinaus zog. Wenigstens die Kaffeemaschine war bereits aufgebaut und verblüfft schaute Karyu dem Jüngeren zu, wie dieser mit wenigen, aber geschickten Handgriffen den Filter mit etwas Pulver befüllte, das Wasser hinzugoss und die Maschine schließlich anschaltete, die gleich mit einem leisen Gluckern und Knurren ihre fleißige Arbeit kundtat. Hizumi besaß so viele Sachen, mehr als er bei seinem eigenen Umzug besessen hatte. Karyu fragte sich, woher der Andere all dies hatte. So, wie er seine Eltern kannte, waren diese ebenso wenig begeistert gewesen wie er es selbst war.  "Hizu-chan?" Mit leiser Stimme unterbrach Karyu das Tun seines Bruders, der sich gerade auf die Suche nach zwei Tellern gemacht hatte und wohl auch etwas Essbares suchte. Es freute ihn, den Jüngeren so aufgeweckt zu sehen, aber, er wusste nicht warum, gleichermaßen tat ihm der Anblick auch weh.  "Ja, Ni-san?" Stutzend, aber grinsend sah Hizumi zu ihm auf, trat an den Tisch und legte die Teller auf diesen, verteilte sie auf die einzigen beiden Plätze die es gab.  "Erlaube mir die Frage, kleiner Bruder. Aber... Wie lange bist du nun aus dem Krankenhaus raus? Haben die Ärzte endlich eine Heilung gefunden oder ist es von alleine weggegangen?" Karyu schämte sich dafür, dass er von dem Menschen, der ihm mehr am Herzen lag als jeder Andere auf dieser Welt, so wenig wusste, dass er dessen halbe beziehungsweise ganze Jugend nicht mitbekommen hatte. Es war eine Zeit, die nicht wieder zurückgeholt werden konnte und eine einfache Entschuldigung würde es nicht wieder gut machen, auch wenn er seine gesamte Demut darlegen würde. Karyu wusste zwar, dass Hizumi ihm verzeihen würde - aber er konnte sich nun einmal nicht selbst verzeihen. Wenn Zero und er besser aufgepasst hätten, dann wäre das alles gar nicht geschehen. Dann hätte er stets bei seinem kleinen Bruder sein können, so wie er es versprochen hatte. Er hatte versprochen, diesen niemals allein zu lassen und diesen besuchen zu kommen. Seinen kleinen Finger hatte er dafür gegeben, aber er hatte es nicht halten können. Hizumi stoppte in seiner Bewegung, wandte sich zu ihm. Karyu verbiss seine Zähne in seiner Unterlippe, als er den Ausdruck in den rehbrauenen Augen sah. Ein Ausdruck, der von einem nicht verheilten Schmerz erzählte, von Enttäuschung und Angst, und dennoch brachte Hizumi es zustande, ihm ein Lächeln entgegen zu bringen, auch wenn sein Blick sich traurig gen Boden wandte und das Zittern in dessen Stimme Karyu regelrecht durch Mark und Bein fuhr.  "Seit siebeneinhalb Jahren", antwortete Hizumi leise.  Ein zartes Schluchzen durchriss die Stille, die sich für wenige Augenblicke zwischen ihnen, dennoch mit ohrenbetäubender Gewalt, aufgebaut hatte. Hizumi nestelte am Saum seines Pullovers, suchte wohl nach Worten, aber es machte Karyu nicht gerade leichter, dem Drang zu widerstehen, ihn nicht sofort in die Arme zu schließen und die Tränen zu trocknen, die sonst zu kommen drohten. Doch Karyu konnte diesem Drang nicht länger standhalten, als er sah wie der Andere seine Hand hob und sich damit über das Auge wischte. Leise, beruhigende Worte perlten mit warmer Stimme, die eine verzeihende Tonlage beherbergte, von seinen Lippen, während er sich vorbeugte und seinen jüngeren Bruder zu sich zog, die Arme fest um diesen legte, eine Hand in den schwarzen Haarschopf schob und ihn dort sachte kraulte; wie er es schon so oft getan hatte, so vertraut war es nun auch. Karyu blendete seine Hintergedanken aus so gut es ging, viel zu sehr genoss er das Gefühl den Jüngeren endlich wieder in seinen Armen zu halten, ließ sich einfach für einen Moment von jenem Glück berauschen und erfüllen, während Hizumi mit zitternden Armen seinen Oberkörper umschloss und sich leise an seiner Schulter ausweinte.  Erst, als er die kleinen Hände auf seinen Wangen spürte, wie diese zart von den Daumen gestreichelt wurden, wurde Karyu sich seiner eigenen Tränen bewusst. Emotionen, die er sich so lange verboten hatte, die er so lange herunter gespült hatte, um bloß nich in deren Genuss zu kommen, weil eine Form der Schwäche nicht zu seiner Erziehung gehört hatte. Und Schwäche war etwas, das er sich als Erstgeborener nie erlauben würde. Darum erschrak es ihn mehr als gewollt, nachdem er die Zeit vergessen und er mit einem glücklichen Gefühl im Bauch seinen Bruder an sich gehalten hatte, dass Hizumi ihn nun zu trösten versuchte. Karyu schluckte trocken. In dem Ausdruck, der sich auf Hizumis dunkle Irden gelegt hatte, lauerte der vermeindliche Vorwurf, wie eine Spinne, die in ihrem fein gesponnenem Netz darauf wartete, dass er sich darin wie ein zappelnder Schmetterling verfing und somit als eine leicht zu habende Mahlzeit dienen würde. Karyu verspürte den Drang davonzulaufen, wie einen Urinsinkt, aber dennoch konnte er sich nicht lösen; sich lösen, das wollte er auch gar nicht, nie wieder wollte er das.  "Wieso bist du nicht mehr zu mir gekommen?", fragte Hizumi mit seiner leisen gebrochenen Stimme, die Karyu dazu verleitete, wieder beruhigend über den Rücken seines kleinen Bruders zu streichen. "Du hast es mir doch versprochen"  "Vergib mir, kleiner Bruder. Ich-", Karyu stockte. Er konnte ihm unmöglich sagen, was geschehen war. Das waren Dinge, die in der Vergangenheit zu verschwinden und nicht in aller Munde zu liegen hatten. "Ich war verhindert", fuhr er fort, "Die Arbeit, verstehst du? Ich konnte nicht mehr weg, obwohl ich alles versucht habe. Hast du meine Briefe nicht bekommen?" Er hatte gar keine geschrieben.  Obwohl Hizumi ruhig zu hörte, musste er mit dem Kopf schütteln.  Karyu sah ihn bekümmert an, obgleich es ein ehrliches Gefühl war und doch zum Teil einfach zu seinen Worten passen musste. "Das ist schade. Doch glaub mir, ich hab dir immer geschrieben"  Hatte er nicht.  "Glaub mir, ich hab so lange mit dir wieder Kontakt aufnehmen wollen, aber mir waren die Hände gebunden!"  "Aber jetzt bleibst du bei mir, oder Ni-San?" Hizumis leise Frage brachte Karyu für einen Moment vollkommen aus der Fassung. Er hatte bereits nicht mehr daran geglaubt, dass der Andere dies noch einmal fragen würde, hatte diesbezüglich schon jegliche Hoffnungen fallen lassen. Ein kleines, dankbares Lächeln schlich sich deshalb auf seine Züge. Vielleicht hatte er das Vertrauten seines Bruders doch noch nicht gänzlich verloren, wie er es bereits befürchtet hatte.  Karyu nickte.  "Jetzt bleibe ich bei dir. Jetzt werde ich nie mehr gehen, hörst du? Nie mehr, das verspreche ich dir!", antwortete Karyu dennoch ehrlich und gab auch ebenso ehrlich sein Versprechen.  Aber Hizumi sah ihn lediglich lange an, verinnerlichte die Worte seines Brurders und musterte den Hochgewachsenen, in dessen Augen das Flehen so groß war wie die Weiten des Ozeans, wo Himmel und Erde miteinander verschmolzen schienen und alles drohte wie am Rande der Gezeiten überzulaufen. Karyu tat dieser durchdringende Blick weh, fast, als würde ihm bis auf die Seele hinab geschaut werden, die so rastlos in seinem Körper schwamm, und dennoch wusste er, dass er sich diesem prüfenden Ausdruck zu unterziehen hatte. Seinem kleinen Bruder zuliebe würde er alles tun.  Doch aus irgendeinem Grund spürte Karyu, dass sein Bruder genau wusste, dass er ihn belog. Er konnte die Klage in seinen Augen sehen, aber warum sprach Hizumi die Worte nicht aus, die sich bereits auf seiner Zunge zu formen schienen?  "Wir", sprach der Hochgewachsene nach einer Weile gedehnt und langsam, als wolle er der Bedeutung der einzelnen Silben mehr Gewicht verleihen, "sollten jedoch nun aufbrechen" Karyu hörte sich sprechen, doch in Wirklichkeit fielen in seinen Gedanken ganz andere Worte, die er nicht schaffte, von sich zu geben, obwohl alles in seinem Kopf danach schrie, dass er sich erklären musste und seine Rechtfertigung auszusprechen hatte.  "Wohin fahren wir denn, Ni-San?", fragte Hizumi, als habe er das vorherige Thema bereits in den Hintergrund geschoben, wenn nicht vollkommen vergessen. Karyu lächelte ihn sanft an, als er sich erhob und mit der Hand durch das Haar seines kleinen Bruders fuhr.  "Eine lange Geschichte, die sich jedoch schnell erzählen lässt. Ich werde dir im Auto alles erklären", gab Karyu als Antwort und geleitete den Kleineren aus der Küche, der für einen Moment im Schlafzimmer verschwand, um sich anzuziehen und seine Haare zu durchkämmen, bevor er sich im Flur schließlich seine Jacke und den Schlüssel schnappte und sie gemeinsam die Wohnung verließen. Im Schweigen der kleinen Wohnung, in deren Luft sich die schweren, unausgesprochenen Worte verfangen hatten, blieb als einzige Antwort auf all die ungelösten Fragen lediglich das leise Gluckern der vergessenen Kaffeemaschine zurück. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)