The secret of Nemti - Verlorenes Licht von Runenwölfin (Lucinas Geschichte) ================================================================================ Kapitel 3: Zirkuskind --------------------- Die Möwen weckten mich früh am Morgen. Wie immer war Mahaf schon wach und sah auffordernd zu mir herüber. Das Schaukeln des Schiffes, auf dem wir uns befanden, störte uns beide nicht mehr, weil wir schon so lange auf dem Meer unterwegs waren. Ich sprang auf und rannte auf ihn zu, dann kugelten wir eine Weile über den Boden, bis ich ihn schließlich unter mir hatte und seine freigelegte Kehle mit meinem Maul umschließen konnte. Natürlich biss ich nicht zu, sondern ließ gleich wieder von ihm ab, als ich den Kampf gewonnen hatte. Das war unser morgendliches Trainingsritual und ich hatte es noch nicht oft gewonnen. Meistens holte ich mir mehr wunde Stellen, als mir lieb war, aber mittlerweile schien ich dem alten Wolf überlegen zu sein. „Sehr gut, Lucina“, meinte der Rüde. Stolz setzte ich mich hin und erwiderte: „Welch ein Sieg gegen so ein alten Wolf wie dich.“ „Ich war auch einmal ein sehr guter Kämpfer.“ „Die Betonung liegt auf war.“ Mahaf lachte. Ihn beleidigte so etwas niemals. Der Rüde sah dem Meisten gelassen entgegen, was ich immer bewunderte. Ich war nun schon so groß wie er und würde sicher noch ein Stück größer werden. Der Wolf hatte mir erzählt, dass er aus Ägypten, dem Land des Sandes, kam und dort waren die Wölfe für gewöhnlich immer etwas kleiner als ihre europäischen Artgenossen. Er hatte mir beigebracht, dass man nichts an sich herankommen lassen sollte. Andere belügen und betrügen einen nur und deswegen konnte man nur sich selbst vertrauen und die Schwächen der Anderen für sich benutzen. Mit dieser Strategie kam man gut durchs Leben. Doch noch immer hing mit der Verlust meiner Mutter hinterher und ich dachte oft an sie. Mahaf sollte das aber nicht wissen und so vergrub ich den Schmerz tief in mir. Auch die Gefangenschaft hier im Zirkus machte mein Leben nicht leichter. Zwar war ich durch die ganzen Kunststücke, die ich erlernt hatte, ziemlich flink und stark geworden, doch niemals einfach nur nach draußen gehen zu können und frei zu sein, zerrte an meinen Nerven und oft ließ ich das an dem alten Rüden aus, auch wenn er ja nichts dafür konnte. „Wir erreichen bald das Festland“, sagte Mahaf und starrte hinaus auf das Wasser. Dort konnte man schon einen Streifen am Himmel erkennen, der langsam immer größer wurde. „Ägypten?“, fragte ich im kalten Ton. „Ja. Meine Heimat.“ Ich wendete mich uninteressiert ab: „Auf ein Land, in dem es so heiß ist, kann ich wirklich verzichten. Man kann nur hoffen, dass der Zirkus da nicht lange bleiben wird.“ „Aber Lucina, da wartet dein Schicksal auf dich“, erwiderte der Wolf eindringlich. „Du weißt doch, dass ich diesen Quatsch nicht glaube. So etwas wie Schicksal gibt es überhaupt nicht.“ „Eines Tages wirst du erkennen, dass ich Recht habe.“ Gelangweilt ließ ich mich auf den Boden nieder und gähnte. Mahaf war ein Narr. Er glaubte an alte Legenden und Sagen. Seine Geschichten von irgendwelchen ägyptischen Göttern waren einfach zu fantastisch, als dass ich ernst nehmen konnte. Am Abend erreichten wir das Land, das ich eigentlich gar nicht kennen lernen wollte. Die Hitze war um einiges größer, als alles was ich je erlebt hatte und ich hasste es vom ersten Moment an. Die Zirkusleute begannen ihr Zelt aufzubauen, fütterten und tränkten uns, dann war es auch schon mitten in der Nacht und alle gingen zu ihren Schlafstätten. Auch ich wollte mich gerade hinlegen, als ich Mahaf an der Tür zu unserem Käfig entdeckte. „Lucina, komm her“, sagte er aufgeregt. Ohne großes Interesse ging ich zu ihm und was ich da sah, verwirrte mich total. Das Schloss war nicht verriegelt und der alte Rüde stieß die Tür nur etwas an, da öffnete sie sich quietschend. „Das kann doch nicht wahr sein!“, meinte ich überrascht. „Von wegen es gibt keine Schicksal“, gab Mahaf zurück. „Einfach nur Zufall“, knurrte ich und wagte es die Schnauze nach draußen zu stecken. „Wir haben nicht viel Zeit. Weg hier.“ Ich sprang nach unten und Mahaf folgte mir so schnell er konnte, doch plötzlich hörte ich ein Geräusch. Einer der Hunde, die nachts das Lager bewachten, musste uns gehört haben. Mit hochgezogenen Lefzen kam er auf uns zu, doch ich hatte nicht vor, mich noch länger einsperren zu lassen und ging auf Angriffsposition. Mit gefletschten Zähnen sprang ich auf ihn zu und biss ihm in die Kehle. Dieser schrie vor Schmerz auf und versuchte mich loszuwerden, doch ich hielt ihn weiter fest und schrie zu meinem Begleiter: „Lauf! Ich komm dir gleich nach!“ Der alte Wolf flitze davon, ich rangelte noch etwas mit dem Hund, bis er schließlich ohnmächtig wurde, weil ich ihm die Luft abdrückte, dann ließ ich von ihm ab und verschwand in der Dunkelheit. Ich rannte einfach immer weiter, bis ich schließlich Mahaf einholte. Wir flohen noch einige weitere Stunden, bis wir uns irgendwann trauten anzuhalten und uns etwas auszuruhen. Nachdem die Sonne aufgegangen war und wir beschlossen weiterzulaufen, um noch etwas Abstand von den Menschen zu bekommen, glaubte ich fast verbrennen zu müssen. Es war unglaublich heiß in der Wüste. Trotzdem tat ich so, als würde mir das Ganze nichts ausmachen und zwang mich immer weiter zu rennen. Schließlich blieb mein Begleiter immer weiter hinter mir zurück und ich sagte zu ihm: „Weiter, Mahaf! Nicht so langsam.“ Hechelnd erwiderte er: „Ich bin etwas älter als du.“ Das wusste ich natürlich und auch ich konnte kaum noch, doch ich fürchtete, dass die Menschen uns verfolgen könnten. „Aber wir haben keine Zeit“, gab ich angespannt zurück. „Bis die Menschen unsere Flucht bemerken, sind wir längst über alle Berge.“ „Wie dumm von ihnen die Tür nicht richtig zu verschließen.“ „Tja, Glück für uns“, meinte Mahaf grinsend und in seinen Augen sah ich ein Funkeln, dass ich noch nie bei ihm gesehen hatte. Hier stand ein anderer Wolf vor mir - ein freier Wolf. „Wir müssen da entlang. In der Richtung müsste eine Oase sein. Wir brauchen dringend frisches Wasser und Futter“, erzählte der Alte schließlich. „Sicher?“, fragte ich. Wie konnte er das nur wissen? Für mich war das alles einfach endloser Sand, in dem man sich nicht orientieren konnte. „Das ist meine Heimat, Schätzchen. Verlass dich auf mein Gespür.“ Was blieb mir schon anderes übrig und ich begann meinem Begleiter zu folgen: „Gut, ich komme ja schon.“ Wir liefen eine Weile, bis Mahaf erschrocken stehen blieb. „Was ist denn?“, wollte ich wissen, doch dann sah ich es selbst. Der Himmel wurde plötzlich ganz dunkel und schien sich auf uns zu zu bewegen. „Ein Sandsturm! Schnell, hier entlang“, rief der alte Rüde und ich folgte ihm ohne zu fragen. In letzter Sekunde fanden wir eine kleine Steinhöhle, in die wir uns verkriechen konnten. Es war unheimlich eng und nicht einmal genug Platz für uns beide darin, so dass meine Rute etwas aus dem kleinen Bau ragte, doch es bot genug Schutz vor dem Sand. „Und hier sollen wir überleben können?“, brüllte ich Mahaf entgegen, weil der Lärm des über uns wütenden Sturmes so furchtbar laut war. Der Rüde antwortete nicht. Entweder hatte er mich nicht gehört oder wusste selbst keine Antwort. Der Sandsturm legte sich schnell und wir konnten bald weiterziehen, doch in der Ferne sahen wir plötzlich etwas im Sand liegen. Eine schwarze Wölfin…… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)