122 Tage... von abgemeldet (122 Tage, die alles zerstörten.) ================================================================================ Kapitel 39 ---------- Tag 92 T.O.P Wann gilt eine Umarmung als zu lang? Woher soll ich wissen, wann die reguläre Zeit überschritten ist? Ich habe in Gedanken mitgezählt - deine Arme umschließen mich bereits seit über dreißig Sekunden. Ist das zu lang? Gilt das bereits als Klammern? Ich versuche mich an den genauen Wortlaut des Psychologen zu erinnern. Hat er einen exakten Zeitpunkt genannt, an dem ich dich loslassen muss? Warum habe ich mich ihm nicht viel früher geöffnet? Dann hätte ich mir viel mehr Ratschläge geben lassen können - vielleicht wären wir sogar niemals an diesen Punkt gelangt. “Magst du Seung-Hyun nicht ein Sandwich oder so holen? Er hat sicher Hunger… Guck, da drüben ist eine Bäckerei!” “Nein, ich hab kei-… oh, ja! Das wäre nett!” Für einen kurzen Moment wirfst du mir einen irritierten Blick zu, ehe du dich langsam von mir löst, kurz nickst und in die Richtung läufst, in die Daesungs Hand deutet. Erleichtert atme ich aus, als mir klar wird, dass mich der Jüngere gerade davor bewahrt hat, dich früher oder später von mir stoßen zu müssen. Doch ein kurzer Blick in dessen Gesicht genügt, um festzustellen, dass er es keinesfalls aus purer Nächstenliebe getan hat. Das Gesicht, das sonst beinahe immer ein breites Lachen ziert, wirkt besorgt, verwirrt und sogar ein bisschen verärgert. “Was soll das? Wo warst du so lange?!” “Es tut mir Leid… Mein Termin wurde ein wenig nach hinten verlegt aber ich hatte keine Gelegenheit, euch anzurufen. Danke, dass du bei Ji-Yong geblieben bist…” “Da wären wir gleich beim nächsten Punkt: Ji-Yong! Du hast gesagt, er würde dir kränklich vorkommen… Ich dachte, er hätte leichtes Fieber, Husten oder so. Aber er ist ja völlig fertig mit den Nerven!” Ich bemühe mich, ein fragendes Gesicht zu machen, um den Anschein zu erwecken, als wüsste ich nicht, wovon der Jüngere spricht. Welchen Sinn würde es machen, auch unsere Freunde in diese verzwickte Geschichte einzuspannen? Es würde alles nur noch komplizierter machen. Also setze ich eine betont unschuldige Mine auf, während ich mir überlege, wie ich weitere Informationen aus ihm herauskitzeln kann. Ob du ausgerastet bist? “Fertig mit den Nerven…? Aber…? Ich weiß gar nicht, was du meinst… Was ist passiert?” “Du willst mir erzählen, dir ist nicht aufgefallen, wie verstört er ist?” “Naja… Ein bisschen nervös wirkt er schon. Aber wahrscheinlich ist er nur erschöpft oder so?” “Erschöpft? Rennst du auch immer mit Tränen in den Augen und Hand vor dem Mund auf die Toilette, wenn du müde bist? Man, ich dachte für einen Moment, er kippt einfach um. Er war total blass, hat nichts mehr gesagt und ausgesehen, als würde er sich jeden Moment übergeben. Zugegeben, der Spruch von Sang-Hee war blöd aber normalerweise prallen solche Sprüche doch auch einfach an ihm ab…” Mein unschuldiger, unwissender Blick weicht einer erschrockenen Mine, während mein Gehirn auf Höchstleistung arbeitet. Lahme Ausreden, sinnlose Erklärungsversuche, hohle Phrasen und dämliches Gestammel vermischen sich bereits in meinem Kopf zu einem nutzlosen und unglaubwürdigen Mischmasch, der so abwegig klingt, dass ich mir nicht einmal die Mühe mache, ihn laut auszusprechen. Doch scheinbar erwartet Daesung gar keine Antwort, da er einfach weiterredet. “Ach komm, jetzt guck doch nicht so scheinheilig. Mir ist sowieso klar, dass du Dinge weißt, die wir nicht wissen… Das ist für Taeyang, Seungri und mich auch okay. Es ist in Ordnung, wenn ihr eure Geheimnisse habt - die hat schließlich jeder. Aber dann sei wenigstens so ehrlich und gib zu, dass du auch merkst, dass was nicht stimmt. Wir machen uns Sorgen und wenn wir schon nicht helfen dürfen, wüssten wir wenigstens gerne, dass du dich um ihn kümmerst…” “Okay, in Ordnung… Ji-Yong… … Er hat zur Zeit ein paar Probleme, okay?” “Aber doch nichts Schlimmes oder? Geht es seiner Familie gut? Hattet ihr einen Unfall - oder seine Eltern? Es ist doch niemand verunglückt oder?” Ich hebe irritiert eine Augenbraue. Ich hatte damit gerechnet, dass Daesung damit beginnen würde, mich über unsere Beziehung, eventuelle Streits, Trennungsabsichten oder zu großen Druck ausfragen würde aber nicht mit dem Verdacht, dass wir in einen Unfall verwickelt waren. Wie kommt er nur auf solch eine abwegige Idee? Noch während ich mir den Kopf darüber zerbreche, wie Daesung auf diesen Verdacht kommt, berichtet er mir davon, was Sang-Hee zu dir gesagt hat. “Aber es war wirklich nur ein Scherz… Sie wollte damit nicht sagen, dass sie dir einen Unfall wünscht. Es sollte witzig sein aber ihn hat es völlig aus der Bahn geworfen. Also muss sie damit doch irgendwelche schlimmen Erinnerungen geweckt haben… Ist mit seiner Familie wirklich alles in Ordnung?” “Ihnen geht es gut… Keiner hatte einen Unfall. Ihr macht euch wirklich viel zu viele Sorgen. Du sagst, er hatte die Hand vor dem Mund und Tränen in den Augen? Wer sagt, dass ihm übel war? Vielleicht hat er sich auch einfach nur verschluckt…?” “Aber… aber er sah wirklich total verstört aus…” “Du wärst auch erschrocken, wenn du keine Luft mehr bekommen würdest, oder?” “Ja aber… du hättest ihn sehe-…” “Psscht!” Gerade noch rechtzeitig verstummt Daesung, ehe du mit einer Tüte in der Hand zu uns stößt und einen fragenden Blick in die Runde wirfst. Bestimmt wunderst du dich, weil wir so plötzlich verstummt sind. Wahrscheinlich ahnst du, worüber wir uns unterhalten haben. Tag 92 G-Dragon Scheinbar völlig unauffällig ziehst du deine Hand aus meiner, um damit das Sandwich halten zu können. Seit wann hältst du es in dieser Hand? Denkst du, mir fällt nicht auf, dass du es falsch hältst? Denkst du, ich merke nicht, dass du das Brötchen als Vorwand dafür nutzt, nicht mit mir Händchen halten zu müssen? Ob es dir unangenehm ist vor den vielen Leuten? Allerdings ist es nicht das erste mal, dass wir Hand in Hand die Straße entlang laufen. Außerdem ist es in Seoul nun wirklich nichts Außergewöhnliches, zwei Jungen zu sehen, die sich an der Hand nehmen. “Wo warst du so lange? Gibt es Probleme…? Du musst aber doch nicht ins Gefängnis oder?” “Nein, mach dir keine Sorgen. Der Psychologe wird bestätigen, dass ich bei den Sitzungen war und damit ist die Sache erledigt…” “Das heißt, du musst jetzt nicht mehr so oft weg?” Bereits wenige Sekunden, nachdem mir dieser Satz herausgerutscht ist, würde ich mir dafür am liebsten auf die Lippen beißen. Du bist stehen geblieben, siehst mich irgendwie hilflos an und öffnest deinen Mund. Ich erwarte, dass du irgendetwas sagst, dass du versuchst, mir klar zu machen, dass ich wieder lernen muss, alleine zu sein doch nach wenigen Sekunden entfährt dir einfach nur ein Seufzer, ehe du dein Sandwich in die Tüte sinken lässt und meine Hand nimmst. Ich werfe dir einen verstohlenen Blick zu. Du wirkst angespannt, hast den Blick stur geradeaus gerichtet und scheinst über etwas nachzudenken. Wahrscheinlich sollte ich das Schweigen unangenehm finden, die angespannte Stimmung irgendwie als störend empfinden aber wenn ich ehrlich sein soll, ist dieser Moment für mich gerade perfekt. Wir sind zusammen, streiten nicht, haben dem Anschein nach keine Probleme. Wir sind einfach nur ein junges Paar, das Hand in Hand auf dem Weg nach Hause ist. Was sollte daran schlecht sein? “Ich fahr später noch zum Frisur… Mein Pony ist schon viel zu lang - ich seh fast nichts mehr, wenn ich morgens ungekämmt aufstehe. Soll ich auf dem Rückweg was zu Essen mitbringen?” Nun bin ich es, der stehen bleibt und verwirrt guckt. Zum Friseur? Heute? Da bist du endlich fertig mit der Therapie und schon drängt sich der nächste Termin zwischen uns, das ist einfach nicht fair. Aber wie sollte ich dich davon abhalten? Du hast Recht… deine Haare sind wirklich etwas zu lang für die Frisur, die du dir täglich stylst. Und selbst, wenn deine Frisur perfekt sitzen würde - wann du zum Friseur gehen willst, ist ganz allein deine Entscheidung. Aber ich möchte nicht, dass du gehst… “Aber… Warum denn heute? Du warst so lange weg… Geh morgen, bitte…?” “Ich hab den Termin schon vereinbart…” “Dann komm ich mit! Meine Haare sind auch zu lang, guck!” “… … das ist doch Schwachsinn. Deine Frisur sitzt perfekt! Ich mag sie genau so, wie sie momentan ist!” Ich möchte erneut vorschlagen, dich zu begleiten, möchte dagegen protestieren, dass ich alleine warten soll, doch dein überraschendes Kompliment und der Kuss, den du mir aufhauchst, nimmt mir den Wind aus den Segeln. Beinahe, als würdest du meinen Mund versiegeln wollen, liegen deine Lippen auf meinen und obwohl ich tief in meinem Inneren weiß, dass dieser Kuss lediglich der Beendigung der Diskussion dient, könnte ich mir nichts Schöneres vorstellen, als für immer von dir auf diese Weise still gehalten zu werden. “Außerdem ist meine neue Frisur doch gar keine Überraschung, wenn du mitkommst…” Ich nicke, obwohl ich noch immer nicht wirklich davon überzeugt bin, daheim auf dich zu warten. Aber was soll ich als Gegenargument anbringen? Dass ich Angst habe, dass du nicht zurückkommst? Dass ich mich davor fürchte, dass dir auf dem kurzen Weg zum Friseur etwas passieren könnte? Dass mich der bloße Gedanke daran, einige Stunden ohne dich verbringen zu müssen, ohne zu wissen, was tust, beinahe in den Wahnsinn treibt? “Hm…? Willst du nicht reingehen?” Irritiert blicke ich mich um. Ich war so in Gedanken, dass mir nicht einmal aufgefallen ist, dass wir bereits zu Hause angekommen sind und du mir die Türe aufgehalten hast. Mit entschuldigender Mine trete ich ein und streife mir die Schuhe ab. Auch du ziehst Schuhe und Jacke aus, ehe du unbeholfen im Flur stehen bleibst. Was hast du vor? Wartest du darauf, dass ich vorschlage, was wir tun könnten? Oder wartest du darauf, dass ich in einen Raum gehe, um in einen anderen gehen zu können? Woher soll ich wissen, wie ich mich jetzt verhalten soll? Langsam gehe ich in Richtung Küche. Meine Augen ruhen auf dir, beobachten jede kleinste deiner Bewegungen. Wirst du mir folgen? Ich habe inzwischen die Küche erreicht, befinde mich zwischen dem Türrahmen, doch du hast dich noch keinen Schritt bewegt. Ich drehe mich ein letztes mal um, ehe du aus meinem Blickfeld verschwindest und eine dicke Wand uns trennt. Warum kommst du nicht? Warum kannst du nicht wenigstens die wenigen Stunden mit mir verbringen, ehe du mich erneut alleine lässt? “Falls das Telefon klingelt oder so - ich bin unter der Dusche!” Noch ehe ich dir antworten kann, höre ich, wie die Badtüre ins Schloss fällt. Tag 92 T.O.P “Falls das Telefon klingelt oder so - ich bin unter der Dusche!” Ich warte nicht einmal darauf, dass du antwortest, sondern eile einfach ins Bad, schließe die Türe, drehe den Schlüssel im Schloss und lasse mich anschließend daran sinken. Wie soll ich das noch lange durchhalten? Ich versuche erst seit etwa einer Stunde, dich ein wenig auf Distanz zu halten und fühle mich schon jetzt wie der schlimmste Freund auf Erden. Was wäre so schlimm daran, meinen Termin zu verschieben? Und war es wirklich nötig, dir zu verbieten, mich zu begleiten? Hätte ich dabei nicht wenigstens deine Hand halten können? Ich fahre mir durch die Haare, ehe ich meinen Kopf mit einem tiefen Seufzer sinken lasse. Wenn ich mich doch laut dem Psychiater richtig verhalte - warum fühlt es sich dann so verdammt falsch an? Wie kann etwas richtig sein, dass dir diese traurige und verletzte Mine ins Gesicht zaubert? Vielleicht sollte ich noch ein bisschen damit warten, die Ratschläge in die Tat umzusetzen… Nicht lange, nur ein paar Tage, vielleicht ein paar Wochen. Einfach nur so lange, bis ich das Gefühl habe, dass du wieder mehr in dir selbst gefestigt bist. Aber was, wenn es dann zu spät ist? Mit Schrecken erinnere ich mich daran, dass der Psychologe angemerkt hat, dass eine solche Beziehung auf Dauer an der übertriebenen Abhängigkeit zerbrechen wird. Ich will nicht, dass uns das passiert. Aber ich will auch nicht immer und immer wieder in dein enttäuschtes Gesicht sehen müssen, wenn ich dich abweise. Ich weiß gar nicht, wie lange ich auf dem Boden gesessen und mir den Kopf darüber zerbrochen habe, wie ich weiter vorgehen soll, ehe ich ein zaghaftes Klopfen vernehmen kann. “Telefon! Soll ich… darf ich reinkommen oder soll ich sagen, dass du später zurückrufst?” “Ich hab abgesperrt! Wer ist denn dran?” “Ähm… … es ist… Jo-Yoon oder so. Ich hab es nicht richtig verstanden…” “Moment, ich komme…” Gerade, als ich aufstehen und die Türe öffnen möchte, fällt mir ein, dass ich noch komplett angezogen und trocken bin. Eilig streife ich mir die Kleidung vom Leib, schlüpfe in meinen Bademantel und wickle mir ein Handtuch um die trockenen Haare. Es tut mir ein bisschen Leid, dir etwas vorspielen zu müssen aber der Gedanke daran, dir erklären zu müssen, dass ich einfach nur ein paar Minuten Ruhe gebraucht habe, erscheint mir noch um einiges schlimmer. Um den soeben Geduschten ein wenig überzeugender zu spielen, spritze ich mir einige Tropfen Wasser mit den Händen ins Gesicht, ehe ich den Schlüssel drehe und langsam die Türe öffne. “So… ähm…? Wo ist das Telefon?” “Der Typ hat aufgelegt…” Du siehst mich mit unschuldigem Blick an. Sagst du die Wahrheit? Oder hast du dir den Anruf ausgedacht, um mich aus dem Badezimmer zu locken? Für die zweite Möglichkeit spricht sowohl die Tatsache, dass du angeblich den Namen des Anrufers nicht verstanden hast und zum Anderen, dass dieser nun angeblich aufgelegt hat. Sicher bin ich mir jedoch nicht. Aus deinen Augen kann ich nichts dergleichen lesen. “Bist du fertig mit Duschen? Ich hab gerade eine DVD eingelegt… Wenn du dich schnell anziehst, verpasst du nur den Vorspann.” Ich weiß, dass du diesen Satz eigentlich als Frage stellen wolltest, doch aus deinem Blick spricht so viel Hoffnung und stummes Flehen, dass mir gar nichts anderes übrig bleibt, als zu nicken. Außerdem habe ich heute schon so viele Erfolge erzielt - da hast du es dir wirklich verdient, dass ich ein oder zwei Stunden mit der auf der Couch sitze und einen Film ansehe. Ich kann sehen, wie sich deine Mine aufhellt, als du mein Nicken siehst. Beinahe wie ausgewechselt wirkst du, während du lächelnd auf dem Absatz kehrt machst und ins Wohnzimmer läufst. Vielleicht habe ich es auch auf dem falschen Weg versucht? Vielleicht muss ich es anders machen? Ich könnte immer abwechselnd auf deine Annäherungsversuche eingehen und sie abweisen. So würde jede Enttäuschung nur von kurzer Dauer sein und du würdest nicht das Gefühl haben, als hätte ich gänzlich das Interesse an dir verloren. Außerdem würdest du eine Abweisung so sicher leichter verkraften. Gedankenverloren ziehe ich die Klamotten, die ich erst vor wenigen Minuten ausgezogen habe, wieder an, lasse ein wenig Wasser in meine Hände laufen um meine Haare zu befeuchten und lege wahllos ein paar Ringe und meine Uhr an. Ungläubig starre ich auf die Zeiger - war ich wirklich über eine Stunde im Bad? “Kommst du?” “Ja, Moment…” Ich werfe einen letzten Blick in den Spiegel, um sicher zu gehen, wirklich wie frisch geduscht auszusehen, ehe ich den Raum verlasse und mich auf den Weg ins Wohnzimmer mache, wo du bereits in eine Decke eingewickelt darauf wartest, dass ich mich setze, um deinen Kopf auf seinem Stammplatz, einem Kissen auf meinem Schoß, betten zu können. Ob das richtig ist? Mache ich damit nicht all die kleinen Erfolge wieder zu Nichte? Aber vielleicht ist es ja sogar förderlich, dir hin und wieder die Nähe zu geben, die du brauchst? Für einen kurzen Moment überlege ich, ob ich darauf bestehen sollte, dass du dich anständig hinsetzt, ehe mich ein kurzer Blick in deine vor Vorfreude glänzenden Augen dazu bewegt, mich mit einem leisen Seufzen auf dem Sofa niederzulassen und ein Kissen auf mir auszubreiten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)