122 Tage... von abgemeldet (122 Tage, die alles zerstörten.) ================================================================================ Kapitel 35 ---------- Tag 90 G-Dragon Abrupt trete ich auf die Bremse, sobald das erste Wort deines Rap-Parts erklingt. Obwohl jedes einzelne Wort, das durch die Lautsprecher ertönt, mehr weh tut, als ein Messerstich direkt ins Herz es tun könnte, kann ich mich nicht dazu durchringen, das Radio einfach abzustellen. Beinahe hilflos schwebt mein Finger über der Lautstärkeregelung, ohne diese zu betätigen. Ich schaffe es einfach nicht, abzuschalten, obwohl ich es fast nicht ertragen kann, deine Stimme zu hören. Wie in Trance bewege ich meine Lippen und flüstere fast lautlos deinen Text mit, während hinter mir aufgebracht gehupt wird. Wie oft habe ich neben dir gesessen, während du ihn geübt hast? Wie oft habe ich lautstark mitgesungen, wenn wir den Clip zufällig im Fernsehen gesehen haben und wie oft haben wir völlig grundlos den Refrain gesungen und dazu den einprägsamen Tanz getanzt, nur, um anschließend lauthals loszulachen? Die Erinnerung an diese in letzter Zeit seltenen, jedoch so glücklichen Momente treibt mir die Tränen in die Augen, was mich dazu veranlasst, den Wagen nun doch langsam auf den Seitenstreifen zu lenken. Ohne den Motor abzustellen, lasse ich mein Gesicht auf meinen Arm gebettet auf das Lenkrad sinken. Eigentlich müsste ich aus dem Fenster sehen und entschuldigend abwinken oder zumindest durch eine angedeutete Verbeugung signalisieren, dass es mir Leid tut, die anderen Verkehrsteilnehmer behindert zu haben, doch ich kann nicht. Ich verweile einfach in dieser Position und versuche, mich in Gedanken wieder in die schönen Erinnerungen von eben zu flüchten, als plötzlich erneut ein lautes Hupen die Stille zerreißt und die Erinnerungen endgültig vertreibt. Erschrocken richte ich mich wieder auf und wische mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich verstehe nicht, warum sogar jetzt noch gehupt wird. Reicht es nicht, dass ich zur Seite gefahren bin? Ein kurzer Blick durch das Beifahrerfenster während dem Vorbeifahren hätte genügt, um zu sehen, dass ich sicher meine Gründe dafür hatte, langsam zu fahren. Warum müssen einige Menschen sogar dann noch zutreten, wenn man bereits am Boden ist? Eigentlich würde ich mich über solch ein Verhalten noch lange aufregen, doch heute lasse ich mich einfach schluchzend zurück auf das Lenkrad sinken, während die Wägen an mir vorbeiziehen. Ich kann nur hoffen, dass dieser Tag bald vorbei ist. Ich habe zwar keine Ahnung, wie ich die Fahrt überstehen soll aber ich freue mich schon wahnsinnig auf mein Bett, eine Kopfschmerztablette, Taschentücher und mehrere Tafeln Schokolade. Jetzt weiter zu fahren hätte allerdings keinen Sinn. Ich kann schließlich nicht alle hundert Meter anhalten, nur, weil meine Augen tränen, ich in Gedanken bei dir bin oder deine Stimme im Radio mich so sehr ablenkt, dass ich mich nicht auf die Straße konzentrieren kann. Ohne den Kopf anzuheben, taste ich mit der freien Hand nach dem Autoschlüssel und stelle den Motor ab. Eigentlich hatte ich erwartet, dass es nun bis auf mein Schluchzen vollkommen still ist, doch plötzlich ertönt ein leises Klopfen. Ich überlege, ob ich den Kopf heben und das Fenster öffnen soll, doch entschließe mich dazu, es zu lassen. Was soll schon Wichtiges sein? Wahrscheinlich möchte mich ein Polizist darauf hinweisen, dass ich im Halteverbot stehe. Vielleicht möchte sich auch irgendeine überfürsorgliche Großmutter erkundigen, ob alles in Ordnung ist oder ein orientierungsloser Wanderer möchte sich nach dem Weg in die Stadt erkundigen. Ganz gleich, was es ist - es interessiert mich sicher nicht. Während ich mir noch diese Szenarien durch den Kopf gehen lasse, ertönt das Klopfen erneut, dieses mal jedoch fordernder und lauter und nur wenige Sekunden später ergreift ein eiskalter Luftzug meinen Körper. “Es… Ich… Ji-Yong…? Es tut mir Leid… Ich…” Noch ehe das Gestammel verklungen ist und ich das Gesagte verarbeiten kann, spüre ich, wie zwei Arme nach mir greifen und mich mit sanftem Druck vom Lenkrad und in Richtung Wagentüre ziehen. War das deine Stimme? Warum solltest du hier mitten in der Einöde sein? Und weshalb solltest du dich entschuldigen? Beinahe ängstlich hebe ich den Kopf ein wenig an und blinzle einige Male. Ich fürchte mich davor, in das Gesicht eines unbekannten Mannes zu sehen, sobald ich sie öffne und einsehen zu müssen, dass ich mir den Klang deiner Stimme nur eingebildet habe. “Bitte hör auf zu weinen… Ich hab es nicht so gemeint! Dich zu verlassen war der grö-…” Du. Ich ignoriere das Gesagte, ignoriere die Tatsache, dass das für den Anfang zu viel Nähe sein könnte und lasse ich mich wie ein Ertrinkender in die Arme sinken, lehne mein Gesicht an deine Brust und sauge den vertrauten Duft ein, der von deinem Körper ausgeht. Tag 91 T.O.P Ein leises aber kontinuierliches Klopfen und Scheppern reißt mich langsam aus dem Reich der Träume und zurück in die Realität. Verschlafen blicke ich mich um. Was soll dieser Krach? Ob ich vergessen habe, das ‚Bitte nicht stören‘-Schild an der Türe anzubringen? Aber hätte das Zimmermädchen nicht spätestens dann das Zimmer wieder verlassen, wenn sie mich schlafend vorgefunden hätte? Es dauert einige Sekunden, ehe ich das kleine Bett, die bunten Poster an der Wand und den Kissenbezug mit dem Dinosaurier-Motiv meinem ehemaligen Kinderzimmer zuordnen kann. Vorsichtig drehe ich meinen Kopf ein wenig in die Richtung, aus der ich ein leises Atmen vernehmen kann. Erneut dauert es einen kurzen Moment, ehe mein noch verschlafenes Gehirn begreift, dass es sich bei den verstrubbelten Haaren und dem Arm, der quer über meiner Brust liegt, um dich handelt. Nun wird mir auch klar, welches Geräusch mich geweckt hat. Wahrscheinlich steht meine Mutter gerade in der Küche und bereitet vor Freude darüber, dass du meine Entschuldigung angenommen hast, ein wahres Festtagsmenü zu. Ob ich ihr wohl helfen sollte? Schlafen kann ich bei diesem Krach sowieso nicht und wenn ich ebenfalls in der Küche bin, kann ich vielleicht wenigstens verhindern, dass sie dich auch noch weckt. Vorsichtig versuche ich, mich aus deinem Griff zu lösen, ohne dich dabei zu wecken, doch dafür, dass du schläfst, steckt noch immer ziemlich viel Kraft in deinem Arm. Die Luft anhaltend und mit angestrengtem Blick drehe ich mich ein kleines bisschen zur Seite, was dazu führt, dass deine Hand ein wenig von meiner Brust rutscht. Doch noch immer liegt eines deiner Beine quer über den meinen und das leichte Kitzeln deiner Haare im Takt zu einem gleichmäßigen Luftzug lässt mich vermuten, dass dein Gesicht irgendwo in der Nähe meiner Armbeuge liegt. Wenn ich doch nur meinen Kopf ein wenig mehr bewegen und sehen könnte, wo genau du liegst. Dann wäre es sicher einfacher, mich unauffällig aus deiner Umklammerung zu lösen. Auf keinen Fall möchte ich dich wecken. Du hast gestern so erschöpft gewirkt und allein die Tatsache, dass du bereits nach weniger als zwei Minuten eingeschlafen warst, sobald wir gemeinsam in meinem alten Kinderbett Platz gefunden hatten, macht mehr als deutlich, wie müde du gewesen sein musst. Wenn ich an den gestrigen Tag zurückdenke, grenzt es eigentlich regelrecht an ein Wunder, dass wir heil bei meiner Mutter angekommen sind. Anfangs hatte ich das Gefühl, als würden deine Tränen nie wieder versiegen und sich deine Hände nie wieder von mir lösen. Bestimmt eine halbe Stunde lang lagst du in meinen Armen, hast nichts gesagt, lediglich hin und wieder leise geschluchzt und deine Finger immer tiefer in meiner Jacke vergraben. Für einen Moment hatte ich vor, uns ein Taxi zu rufen und Taeyang oder Daesung darum zu bitten, deinen Wagen abzuholen aber du hast beteuert, dass du dich dazu in der Lage fühlst, selbst zu fahren. Wahrscheinlich hättest du es auch tatsächlich geschafft aber trotzdem hatte ich es für sicherer befunden, nur die wenigen Minuten zurück zu meiner Mutter zu fahren. Während ich die Ereignisse des letzten Abends Revue passieren lasse, gibst du neben mir ein leises, schmatzendes Geräusch von dir, ehe du dich unbeholfen an der Nase kratzt. So schnell es mir möglich ist, ohne ein lautes Geräusch zu verursachen, nutze ich diese Chance, um zumindest meinen Oberkörper ein wenig zur Seite zu rollen. Aufmerksam beobachte ich dich, doch du scheinst das Wackeln der Matratze nicht bemerkt zu haben. Völlig ahnungslos bettest du deine Hand auf das Kissen, das bis eben noch von meinem Körper bedeckt wurde. Vorsichtig breite ich die Decke, die bisher auch mich bedeckt hat, über dir aus, was du sofort damit quittierst, dass du dich wohlig seufzend vollständig damit einwickelst und dein Gesicht darin vergräbst. Vorsichtig stütze ich mich mit beiden Händen auf der Matratze ab, ehe ich meine Füße auf dem Boden absetze und mich leise erhebe. Ein Gähnen unterdrückend bewege ich meinen Nacken in alle Richtungen. Vielleicht sollte ich meiner Mutter vorschlagen, dass sie - nur für den Fall, dass ich noch einmal hier übernachten sollte - ein größeres Bett besorgen soll. Beinahe schleichend bewege ich mich über den Fußboden, öffne die Türe und verlasse das Zimmer. Tag 91 T.O.P “Ich glaube nicht, dass Ji-Yong vier Schüsseln Cornflakes zum Frühstück essen möchte… Du übertreibst maßlos.” “Was ist übertrieben daran, dass ich ihm die Wahl zwischen verschiedenen Frühstücksflocken lasse?” “Das ist doch… ach, egal. Vergiss es. Gibst du mir mal eine Portion von den Schoko-Flakes?” “Meinst du, ob ich sie dir bitte gebe?” “Ja… Krieg ich bitte die Flakes?” “Nein. Wir warten alle mit dem Essen auf Ji-Yong… Du kannst aber gerne schon einmal Wasser aufsetzen, wenn du willst?” Ich rolle genervt mit den Augen und nehme den Wasserkocher entgegen, den meine Mutter mir reicht. Zwar hat sie den Satz als Frage formuliert aber ich kenne sie lange genug, um zu verstehen, dass dies eindeutig eine Aufforderung war, der ich besser nachkomme, wenn ich mir die nächsten zwanzig Minuten keinen Vortrag über schlechtes Benehmen und mangelnden Respekt gegenüber meinen Eltern anhören möchte. “Soll ich noch ein bisschen Fisch zubereiten? Oder Gemüse?” “Mama… Wahrscheinlich wird er höchstens eine Tasse Kaffee trinken und aus Höflichkeit ein, zwei Löffel Cornflakes hinunterwürgen. Er ist eher der Typ Morgenmuffel. Du kannst froh sein, wenn er überhaupt vor dem Mittagessen aufsteht! Kann ich jetzt also bitte eine Schüssel und die Cornflakes mit Schokogeschmack haben?” Ich strecke auffordernd meine Hände in ihre Richtung, doch meine Mutter macht keine Anstalten, mir die Packung zu reichen. Ich stöhne genervt auf und versuche, mit zwei Stäbchen ein paar Obststücke von einem Teller zu angeln, was sie sofort mit einem missbilligenden Kopfschütteln quittiert. Schnell stecke ich mir eines der Teile in den Mund, ehe ich die Stäbchen wieder sinken lasse und sehnsüchtig in Richtung der gewünschten Cornflakes starre, während plötzlich das schrille Pfeifen des Wasserkochers erklingt. Sofort springe ich auf und schalte das Gerät aus, ehe ich angestrengt in die Stille horche. Ob dich das Pfeifen wohl geweckt hat? Warum habe ich nicht früher daran gedacht, dass dieses laute Geräusch ertönt, sobald das Wasser die gewünschte Temperatur erreicht hat? Doch außer dem leisen Blubbern des kochenden Wassers kann ich nichts hören. Erleichtert stelle ich den Wasserkocher auf dem Küchentisch ab und setze mich auf einen der Stühle - dieses mal achte ich allerdings darauf, in der Nähe der Cornflakes zu sitzen. Obwohl meine Mutter mir erneut einen mahnenden Blick zuwirft, sobald die ersten Schokoflocken in meine Schüssel rieseln, setze ich die Packung nicht ab. Ich hab seit mindestens zwanzig Stunden nichts mehr gegessen und sie hat nichts besseres zu tun, als mir vorzuwerfen, zu gierig zu sein. Was solltest du davon haben, wenn dein Freund verhungert ist, ehe du aufgewacht bist? Außerdem frühstücke ich beinahe jeden Tag vor dir, weil du einfach zu lange schläfst. Während ich die Packung auf den Tisch stelle und nach der Milch greife, ertönt plötzlich ein lautes Poltern, gefolgt von eiligen Schritten. “Ah, Ji-Yong… Hast du gut geschla-… Aber was hast du denn?” “Wo ist…? Ich… Wo…?!” Erstaunt setze ich die Milchflasche wieder ab und rücke den Stuhl ein wenig zurück, um aufstehen zu können. Scheinbar hat dich das Pfeifen doch geweckt. Ich schaffe es gerade noch, mich zu erheben, in deine Richtung zu drehen und meinen Arm etwa zehn Zentimeter weit zu heben, ehe du meinen Versuch, dir zu winken, dadurch unterbrichst, dass du deine Arme um meinen Oberkörper schlingst. Völlig überrumpelt stehe ich vor dem Küchentisch und werfe meiner Mutter einen irritierten Blick zu. Waren das Tränen in deinen Augen? “Ist alles in Ordnung? Hast du schlecht geträumt?” “Mama! Er ist doch kein kleines Kind mehr…” “Na und? Auch große Jungen können einen Albtraum haben… Magst du ein Glas Milch?” Genervt stöhnend versuche ich, dich aus der Küche zu schieben, was sich allerdings als ziemlich kompliziert herausstellt, weil du dich nicht selbst bewegst und ich nur ganz kleine Schritte gehen kann, wenn ich dir nicht auf die Füße treten möchte. Nach einigen Metern gebe ich es auf und gebe stattdessen meiner Mutter mit der Hand ein Zeichen, dass sie uns ein paar Minuten alleine lassen soll, was sie nach wenigen Sekunden und einer gestammelten Erklärung für ihr Verschwinden dann auch tut. “Du… Weinst du? Was ist denn los? Warte, setz dich erst einmal hin…” Vorsichtig versuche ich, deine Hände von mir zu lösen, was mir auch erstaunlich einfach gelingt. Fast mühelos schaffe ich es, mich aus deinem Griff zu befreien und dich auf einen der Stühle zu schieben, auf welchem du nun zusammengesunken sitzt. Langsam knie ich mich neben den Stuhl und versuche, dir ins Gesicht zu sehen. Noch ehe es mir möglich ist, in deine Augen zu blicken, sehe ich, wie eine Träne sich einen Weg über dein Gesicht bahnt. Behutsam streiche ich mit einem Finger über deine Wange, ehe ich eine Serviette vom Tisch nehme und sie dir reiche. “D-danke…” “Schon gut… Willst du mir jetzt sagen, was los ist?” “Du… du warst weg… Und ich… i-ich dachte…” “Du hast gedacht, ich hätte es mir doch anders überlegt und dich schon wieder alleine gelassen?” Du nickst, obwohl es eigentlich gar nicht nötig ist. Der ängstliche Blick, den du mir zugeworfen hast, während du gesprochen hast und die Art, wie du dich vorhin geradezu an mich geklammert hast, hat eigentlich alles gesagt. “Dich zu verlassen, war das dümmste, das ich jemals getan hab… Denkst du, ich mach so einen Fehler zweimal? Dummerchen…” Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)