122 Tage... von abgemeldet (122 Tage, die alles zerstörten.) ================================================================================ Kapitel 29 ---------- Tag 88 T.O.P Völlig außer Atem renne ich durch die Fußgängerzone. Einige Passanten werfen mir abwertende und neugierige Blicke zu, als ich bei Rot über die Straße renne und eine ältere Dame ruft mir sogar mit aufgebrachter Stimme einige Schimpfwörter hinterher, doch ich renne einfach weiter. Es ist mir egal, dass einige Mädchen aufgebracht aufschreien, als ich mitten in ihre Plauderrunde platze und sie so dazu zwinge, Platz für mich zu machen. Mein Blick fällt auf die Kirchturmuhr. Viel zu spät. Warum bin ich nicht früher losgegangen? Oder warum habe ich mir nicht einfach ein Taxi gerufen oder darum gebeten, mir das Essen nach Hause zu liefern? Ich hätte auch selbst kochen können… Natürlich wäre es dann nicht so lecker - aber immerhin wäre ich jetzt zu Hause und nicht irgendwo in der Innenstadt, während du wahrscheinlich krank und alleine auf dem Sofa sitzt und das Gefühl hast, dass ich keinen Wert darauf lege, Zeit mit dir zu verbringen. Erschrocken zucke ich zusammen, als mir klar wird, dass du nicht einmal deinen Schlüssel bei dir hast. Du würdest also mutterseelenallein vor der Haustüre stehen. An einer weiteren roten Ampel halte ich an und schnaufe erschöpft durch. Einige Mädchen kichern belustigt, als sie mich sehen. Wahrscheinlich ist mein Gesicht vom vielen Rennen total rot und verschwitzt. Eilig ziehe ich mir die Kapuze meines Pullovers noch ein Stückchen tiefer in das Gesicht. Sobald die Autos stehen, renne ich erneut los. Unsere Beziehung hängt bereits jetzt am seidenen Faden, jede Sekunde, in der du das Gefühl hast, nicht geliebt zu werden, könnte die Sekunde sein, die letztlich alles zerstört. Einen Radfahrer ausbremsend, eile ich über die Straße. Hinter einigen Bäumen und Häuserwänden kommt die Fassade unserer Wohnung zum Vorschein. Erleichtert lege ich einen Endspurt hin, obwohl ich bereits jetzt völlig aus der Puste bin. Ohne meine Geschwindigkeit zu verringern, ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche, um auf die Uhr sehen zu können. Bereits fast Mittag. Bestimmt bist du relativ früh losgefahren, schließlich magst du keine Ärzte, Krankenhäuser oder ähnliche Orte und würdest sicher keine Minute länger dort verweilen, als zwingend erforderlich ist. “… -assbar, wie sich Seung-Hyun verhält!” “Er… Er kommt sicher… Bestimmt. Ich… Er hat es si-…” “Ji-Yong! Ji-Yoooong, ich bin jetzt hier! Es tut mir so Leid!” Heftig winkend sprinte ich die letzten Meter, ehe ich schließlich vor Daesungs Wagen zum Stehen komme. Ihr beide blickt mich erstaunt an. Während dein Blick sich nach wenigen Sekunden in ein erleichtertes Lächeln verwandelt, scheint sich die Mine des Jüngeren nicht aufzuhellen. Beinahe grimmig kommt es mir vor, als er mich schließlich begrüßt und mir deine Tasche in die Hand drückt. “Ich wusste, dass du kommst…” Ich weiß, dass du überzeugend klingen willst, doch deine brüchige Stimme, die verdächtig glänzenden Augen und die Art, wie du dich zur Begrüßung beinahe an mich klammerst, spricht eine andere Sprache. Deine Hände krallen sich geradezu in den Stoff meinen Pullovers und du machst nicht den Anschein, als hättest du vor, dich jemals wieder von mir zu lösen. Selbst, als Daesung sich verabschiedet und mit seinem Wagen langsam die Ausfahrt passiert, verharrst du noch immer in der selben Position. “Hast du gedacht, ich lasse dich einfach so alleine?” “D-die Zettel… Und dann der Pfleger. Das war… ich hatte solche Angst, dass du d-denkst… I-ich wollte sie nicht a-aber… Und die Türe war… war geschlossen und ich… i-ich dachte, du…” “Schhht~! Nicht…” Es folgen noch einige gestammelte Worte, ehe deine Stimme endgültig versagt und einem leisen Schluchzen weicht. Noch krampfhafter als davor krallen sich deine Hände in den Stoff und nach einigen Sekunden kann ich spüren, wie die Stelle zwischen meinem Hals und meiner Schulter, in die du dein Gesicht vergraben hast, langsam feucht wird. Beinahe hilflos stehe ich da, in der einen Hand die Türe mit dem Essen, in der anderen deine Reisetasche. Doch selbst, wenn ich beide Hände frei gehabt hätte, hätte ich nicht gewusst, wie ich mich verhalten soll. Wann hat unsere Beziehung angefangen, so kompliziert zu werden? Als ich dich zum ersten mal angeschrien habe? Als ich zum ersten mal gewalttätig dir gegenüber wurde? Oder war es eher ein schleichender Prozess? Früher hätte ich dich in solch einer Situation einfach umarmt, dich anschließend in die Seite gepiekst oder dich gekitzelt und dir danach erzählt, dass du viel zu hübsch dafür bist, um solch ein trauriges Gesicht zu machen. Doch jetzt stehe ich nur da, unfähig, mich zu rühren oder dich anderweitig zu trösten. Wie soll ich dich von dem Kummer befreien, den ich dir selbst bereite? Wäre nicht ich, sondern ein anderer Mann daran Schuld, dass du nun diese Tränen vergießt, würde ich dir sofort raten, dass eine Person, die dich nicht glücklich machen kann, es nicht verdient hat, von dir geliebt zu werden, doch in diesem Fall kann ich es nicht. Ich könnte es nicht ertragen, dich zu verlieren. Es tut so weh, dich so bitterlich weinen zu hören, zu spüren, wie dein Körper unter den Schluchzern erzittert und deine Hände sich beinahe hilfesuchend in meinen Pullover krallen und noch mehr schmerzt es, zu wissen, dass ich der Grund für deine Verzweiflung bin. Tag 88 G-Dragon Ich kralle mich in deinen Pullover, atme deinen Duft ein und drücke mich ganz eng an dich, doch das Gefühl der Geborgenheit, das mich normalerweise überkommt, sobald ich in deiner Nähe bin, will sich nicht einstellen. Warum erwiderst du die Umarmung nicht? Warum streichelst du mir nicht über den Kopf, flüsterst mir ein paar beruhigende Phrasen ins Ohr oder versuchst, mich mit einer lustigen Bemerkung oder einigen Pieksen in die Seite zum Lachen zu bringen? Weshalb weine ich überhaupt? Weil ich Angst hatte, dass du mich verlassen hast? Weil ich befürchtet habe, dass du einfach gegangen bist, während ich in der Praxis war? Weil ich das Gefühl habe, als würden wir uns, während wir verzweifelt versuchen, uns näher zu kommen, nur immer noch weiter voneinander entfernen? Erneut vergrabe ich meine Finger tief im warmen Stoff, als könnte ich mit dieser Geste verhindern, dass zwischen uns beiden ein immer tieferer Abgrund aus Angst, Aggression und Misstrauen entsteht. “Wir… wir sollten ins Warme gehen.” Deine Stimme reißt mich aus den Gedanken, doch ich schaffe es nicht, mich von dir loszureißen. Obwohl es total idiotisch ist, habe ich Angst, dich zu verlieren, sobald ich dich loslasse. Du räusperst dich leise und windest dich vorsichtig aus meiner Umarmung. Erst jetzt fällt mir auf, dass du nicht einmal die beiden Taschen abgestellt hast. Warum kannst du mich nicht einfach in den Arm nehmen, mich festhalten und mir das Gefühl geben, dass wir noch eine Chance haben? Nur zögerlich löse ich mich von dir und trete einen Schritt zur Seite. Dein Blick mustert mich - meine Hände, die bis vor wenigen Sekunden noch so krampfhaft versucht haben, dich zumindest körperlich an mich zu binden, mein Gesicht, das sicher durch das Weinen gerötet ist und schließlich meine Augen, in denen noch immer die Tränen schimmern. Eilig wische ich sie mit dem Ärmel weg, doch als ich die Hand wieder vom Gesicht nehme, bist du bereits einige Meter in Richtung Eingangstüre gelaufen. Eilig atme ich einige male tief durch, ehe ich dir in die Wohnung folge. Obwohl es keinen Grund zur Annahme gibt, dass du mich erneut vor der Türe stehen lässt, entfährt mir ein erleichterter Seufzer, als ich sehe, dass du dein Bein an die Türe gelehnt hast, um mir Einlass zu gewähren. Schnell schlüpfe ich in die Wohnung und ziehe meine Schuhe aus, während du meine Tasche im Flur abstellst. Endlos langsam öffne ich meine Schnürsenkel. Auch du lässt dir mehr Zeit, als eigentlich nötig ist, um anschließend deine Jacke auszuziehen. Das Schweigen, das herrscht, wirkt bedrückend, doch ich weiß nicht, wie ich es brechen soll. Kann ich einfach ein belangloses Thema anschneiden oder wäre das zu auffällig? Oder wäre es angebracht, dich noch einmal auf die Prospekte anzusprechen? Allerdings will ich auch keine alten Wunden aufreißen. Warum muss nur alles so kompliziert sein? Ich seufze auf und möchte nachsehen, was du machst, doch von dir ist nichts mehr zu sehen. Lediglich meine Tasche liegt noch herrenlos neben mir. Seufzend betrete ich das Badezimmer und lasse Wasser in die Wanne laufen. Wie soll sich unser Verhältnis jemals wieder normalisieren, wenn keiner von uns mit dem anderen spricht? Dabei gibt es so viel, über das wir sprechen müssten. Darüber, wie es mit uns weiter gehen soll, ob es mit uns überhaupt weiter gehen kann oder ob es bereits zu spät ist. Darüber, ob du überhaupt noch mit mir zusammen sein willst. Schließlich hast du gerade nicht wirklich liebevoll oder begeistert gewirkt. Nicht einmal die Umarmung hast du erwidert. Erneut spüre ich, wie mir Tränen in die Augen steigen, während ich den Wasserhahn abstelle und mich in das warme Wasser sinken lasse. Warum kann nicht alles so sein wie vor wenigen Monaten? Wir waren glücklich, so wahnsinnig glücklich und wenn jemand mir erzählt hätte, dass dieses Glück irgendwann einmal endet, hätte ich es nicht geglaubt. Doch jetzt ist es so real - manchmal kommt es mir so vor, als könnte ich die angespannte und verkrampfte Stimmung zwischen uns regelrecht greifen. Zum zweiten mal an diesem Tag entfährt meiner Kehle ein verzweifeltes Schluchzen. Eilig betätige ich den Wasserhahn erneut, um mich selbst zu übertönen. Ich kann es nicht mehr hören. Wie kann man nur so eine Heulsuse sein? Warum sitze ich in der Badewanne und heule, statt einfach zu dir zu gehen und dir ins Gesicht zu sagen, dass ich Angst um unsere Beziehung habe? Schniefend steige ich aus der Wanne und wickle ein Handtuch um meine Hüfte, während ich mit der freien Hand den beschlagenen Spiegel abwische. Bis vor wenigen Wochen habe ich mich gerne im Spiegel bewundert, doch heute - oder eigentlich ständig in letzter Zeit- hätte ich den Spiegel einfach beschlagen lassen sollen. Zwei gerötete Augen, unter denen sich tiefe Schatten abzeichnen, starren mich an. Ein dunkler Fleck ziert meine Schulter und das Pflaster, das den Kratzer an meinem Ellenbogen vor Schmutz schützen soll, hat dem Wasser nicht stand gehalten und klebt nur noch an einer Ecke. Lustlos zupfe ich es vollständig ab. Eigentlich sollte ich ein frisches Pflaster auf die Wunde kleben, doch ich kann mich einfach nicht dazu aufraffen. Seufzend nehme ich ein weiteres Handtuch und wickle es mir so um die Schultern, dass sowohl meine Schulter, als auch mein Ellenbogen verdeckt ist und wende mich vom Spiegel ab, um mir den erbärmlichen Anblick nicht weiter ansehen zu müssen. Tag 88 T.O.P Einige Minuten sind bereits vergangen, seit ich mit dem Essen in die Küche verschwunden bin. Seither habe ich nichts mehr von dir gehört. Ob du immer noch im Flur bist? Oder bist du ins Wohnzimmer gegangen? Vielleicht bist du auch noch immer geschwächt und bist gleich ins Bett gegangen. Aber hättest du mir dann nicht Bescheid gegeben? Ich seufze auf. Warum solltest du? Ich habe dir sicher nicht gerade das Gefühl vermittelt, als hätte ich Interesse daran, mit dir zu sprechen. Dabei gibt es nicht Schöneres für mich, als deine Stimme zu hören - ich weiß nur einfach nicht, wie ich ein normales Gespräch beginnen soll, nach allem, was passiert ist. Ich weiß ja nicht einmal, wie ich dir ein ganz normales Essen servieren soll. Mein Blick fällt auf die Tüte, die ich auf dem Küchentisch abgelegt habe, ohne sie auszupacken. Ich kann doch nicht einfach nach dir suchen und dich zu Tisch bitten, als wäre nichts passiert. Noch vor wenigen Minuten hast du dich an meiner Schulter ausgeweint und jetzt sollen wir gemeinsam zu Mittag essen und über irgendwelche belangslosen Dinge sprechen? Vielleicht sollte ich erst einmal nachsehen, was du überhaupt im Moment tust. Wenn du schläfst, hat sich das mit dem Essen sowieso erledigt. Ich werfe einen kurzen Blick ins Schlafzimmer, doch das Bett ist leer. Auch im Wohnzimmer kann ich dich nicht sehen. Eilig laufe ich durch den Flur, um mich zu vergewissern, dass deine Schuhe noch hier sind, als aus dem Bad ein klägliches Geräusch ertönt. Neugierig lehne ich mein Ohr an die Türe, doch außer dem rauschenden Wasser kann ich nichts mehr hören. Erst nach wenigen Sekunden ertönt erneut ein unterdrücktes Wimmern. Weinst du? Noch immer oder schon wieder? Wegen mir? Ich hebe meine Hand, überlege, ob ich klopfen soll, doch dann lasse ich sie wieder sinken. Ich traue mich nicht. Zu groß ist die Angst, dass du tatsächlich weinen könntest. Ich ertrage dein trauriges Gesicht nicht mehr. Wann hast du das letzte mal gelächelt? Wann hast du das letztes mal richtig herzlich gelacht? Ich denke angestrengt nach, doch außer dem verträumten Lächeln, dass deine Lippen geziert hat, als das Fieber deine Gedanken vernebelt hat, will mir nichts einfallen. Ist es nicht traurig, dass der glücklichste Moment, den du in den letzten Wochen erlebt hast, eine Fieberfantasie war? Der Wasserfluss wird gestoppt und ich trete eilig einige Schritte zurück, aus Angst, dass du bereits in wenigen Sekunden mit einem Handtuch bekleidet das Bad verlassen könntest, doch nichts passiert. Auch das Wimmern hat aufgehört. Ob du dich beruhigt hast? Oder bist du einfach nur zu erschöpft, um noch länger zu weinen? Leise gehe ich zurück in die Küche und nehme die Schüsseln aus der Tüte. Eigentlich verspüre ich keinen Hunger und noch immer bin ich mir nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, dich einfach zum Essen zu bitten, als wäre nichts passiert, doch ich weiß, dass irgendetwas geschehen muss. Irgendwie müssen wir zurück in den Alltag finden. Ich halte die angespannte Stimmung, das unbehagliche Schweigen und die misstrauischen und traurigen Blicke nicht mehr aus - aber was noch viel schlimmer ist: du scheinst kaputt zu gehen an unserer jetzigen Situation. Ich höre, wie die Badtüre geöffnet wird und strecke meinen Kopf durch die geöffnete Küchentüre, um dich zum Essen zu bitten. Obwohl ich darauf vorbereitet war, erschreckt mich dein Anblick. Deine Augen glitzern wässrig, deine Wangen sind gerötet und der dicke weiße Pullover, den du zu einer weiten Jogginghose kombiniert hat, unterstreicht deinen bleichen Teint. Was ist mit dir passiert? Wo ist G-Dragon - der charismatische Bandleader, dessen strahlende Aura einen sofort gefangen nimmt, sobald er den Raum betritt? Wo ist das Leuchten in deinen Augen, dein keckes Grinsen und die süßen Pausbäckchen, die sich in deinem Gesicht bilden, wenn du lächelst? “Ji-Yong? Hast du… Also möchtest du etwas mit mir essen?” “Essen?” “Ich hab uns vorhin etwas besorgt. Darum war ich auch so spät. Aber wenn du keinen Hunger hast, kann ich es auch in den Kühlschra-…” “Nein, nein! Ich bin sofort da, ja?” Nicht einen Sekundenbruchteil dauert es, bis du mich mit großen Augen ansiehst, kurz auf die nassen Handtücher deutest, die du wahrscheinlich im Schlafzimmer über die Heizung hängen willst und im Schlafzimmer verschwindest. Habe ich mir das nur eingebildet oder hat sich für einen kurzen Moment ein Lächeln um deine Lippen gelegt? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)