Next Door von -Moonshine- (Babysitter's Curse) ================================================================================ Kapitel 1: - 1 - ---------------- Jemand hatte achtlos die Post auf den Küchentisch geworfen. Das sah ich als erstes, als ich die Küche betrat. Ich zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor, setzte mich und begann, sie durchzusehen. Zwei Briefe für Mum, einer für Dad, drei von Emma's Brieffreunden aus aller Welt, ein zwielichtiger, großer Umschlag für Ben, ein Warenkatalog und Werbung. Viel Werbung. Die sortierte ich direkt aus, machte aus dem Rest drei ordentliche Stapel und wunderte mich nicht im Geringsten darüber, dass nichts für mich dabei war. Mum sagte immer, wir Kinder sollten froh sein, nicht ständig Rechnungen mit der Post zu bekommen. Vermutlich hatte sie Recht. Trotzdem konnte ich es kaum erwarten, endlich auszuziehen und mein eigenes Leben zu führen. Leider würde das noch ein bisschen warten müssen. Mindestens ein Jahr. Immerhin war ich erst 17. Oder schon. Und wenn sich der Wunsch meiner Eltern erfüllte, dass ich irgendwo in der Nähe auf's College gehe - nur über meine Leiche, im Übrigen, aber leider bin ich da etwas abhängig -, würde ich wohl noch wesentlich länger hier verweilen müssen. Ben schien es jedenfalls nichts auszumachen. Er fand es toll hier. Es wurde gekocht, saubergemacht, er hatte ein Dach über dem Kopf und alles war vollkommen umsonst für ihn. Emma hatte zwar eine eigene Wohnung in der Stadt, befand sich aber trotzdem fast Tag und Nacht hier. Ben und Emma waren meine älteren Geschwister. Ben war nur zwei Jahre älter als ich, hielt sich aber für den ultimativ besten großen Bruder aller Zeiten. Er war eher ein großer Idiot... Und Emma war 22. Sie war meistens verwirrt und zerstreut, und ihre Brille, ohne die sie fast blind war, verstärkte diesen Eindruck noch. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass sie von der Außenwelt nicht so viel mitbekam, dann aber überraschte sie einen immer wieder, wenn man es am wenigsten erwartete. Wir zwei haben uns nie gestritten, dafür waren wir viel zu verschieden. Ganz anders als Ben und ich. Nicht selten habe ich mir gewünscht, ihm die Augen auszukratzen. Okay. Bis zu einem bestimmten Alter hab ich das auch regelmäßig versucht. Okay. Ich versuchte es manchmal immer noch. Er war einfach unmöglich! Jemand schlug mir von hinten auf den Rücken, sodass ich erschrocken zusammenzuckte und aufquietschte. Ben lachte, wie immer, wenn etwas total unlustig war. "Hi Holly. Wie war's bei Jessie?" Als ob er sich tatsächlich dafür interessierte, was Jessie, meine beste Freundin, und ich gemacht hatten, als ich letzte Nacht bei ihr übernachtet hatte. "Gut", knurrte ich widerwillig, immer noch etwas sauer wegen dem Schlag. Emma kam ebenfalls herein, die Nase in eine wissenschaftliche Zeitschrift gesteckt, sah auf, als sie meine Stimme hörte, und setzte sich zu mir an den Tisch. Wahrscheinlich las sie gerade etwas über die Geheimnisse des Universums oder die Funktionalität des menschlichen Gehirns. "Wo sind Mum und Dad?", wollte ich wissen, nahm den großen Umschlag, der für Ben bestimmt war, und drehte ihn ein bisschen in den Händen hin und her, um ihn zu ärgern. Dabei versuchte ich auszuloten, was wohl drin sein mochte. Pornoheftchen vielleicht? "Einkaufen. Hey, ist das für mich?" Ben griff nach dem Brief, doch ich war schneller, und hielt ihn aus seiner Reichweite. Er überlistete mich, indem er mich in die Seite piekste, weil er genau wusste, dass ich kitzelig war. Als ich, wie erwartet, zusammenfuhr, entwendete er mir blitzartig dem Unschlag und grinste. "Danke." "Blödmann", murmelte ich und rieb mir die Seite. "Wir bestellen heute Abend Pizza", informierte er mich großzügig, während er seine Post neugierig von außen besah, als wüsste er selbst nicht, was drin war. "Oder Chinesisch", warf Emma ein und rückte mit dem Zeigefinger ihre Brille auf der Nase zurecht. "Ich persönlich war für marokkanisch, aber..." "Das nächste marokkanische Restaurant ist etwa 60 Meilen weit weg", ergänzte Ben sachlich, an mich gewandt. "Aber es hat sehr gutes Essen", beharrte Emma. Ben rollte belustigt mit den Augen. "Oh, schade. Hebt was für mich auf. Ich muss arbeiten." Arbeiten an einem Samstag Abend bedeutete Babysitting. Zwar nicht der lukrativste Job auf dem Planeten Erde, aber die Bakers waren nette Leute und entlohnten mich großzügig. Außerdem war Teddy, der siebenjährige Sohn der Bakers, ein hinreißendes Kind. Lieb, süß, folgsam. Zumindest in meiner Gegenwart. Er machte einem die Arbeit leicht und gleich viel angenehmer. Doch da gab es noch einen guten Grund, den Samstag Abend babysittend zu verbringen. Dieser Grund hieß Will, war 20 Jahre alt, der ältere Bruder Teddys und - leider - auch ein guter Kumpel von Ben. Der keine Gelegenheit ausließ, mich aufzuziehen, weil er aus Versehen mal mitbekommen hatte, wie ich Will aus der Ferne anhimmelte. Ein schwarzer Tag in meinem Leben. "Will ist auch zu Hause", zwinkerte er mir auch dieses Mal zu, nahm sich einen Apfel aus der Obstschüssel und biss herzhaft hinein. "Er hat sogar noch bis Dienstag frei, wegen irgendwelchen Bauarbeiten am Campus oder so. Frag mich nicht." Hatte ich auch nicht vor. Am besten war es immer, solche Phasen auszuschweigen. Doch Ben machte es einem nie leicht. "Aber am besten", fuhr er fort, "hakt du ihn ab. Der ist nichts für dich." Ich merkte, wie ich unwillkürlich trotzig wurde und mich schon innerlich auf ein Gefecht einstellte. "Außerdem bist du zu jung für ihn." Emma warf ihm einen kurzen Blick zu. "Ben", sagte sie und es klang nur ansatzweise warnend, und auch nur, wenn man Emma gut kannte und ganz genau hinhörte. Ben jedenfalls hörte nicht genau hin. "Das geht dich gar nichts an", antwortete ich ihm patzig und drehte mich demonstrativ von ihm weg, um ihm zu signalisieren, dass das Gespräch vorbei war und ich nichts mehr hören wollte. Aber Ben war in etwa so sensibel wie ein Betonklotz, was das ausloten von Gefühlen und Zeichen anging. Man musste ihm schon mit dem Zaunpfahl eine überbraten, damit er verstand. "Klar. Will flirtet immer mit Mädchen. Das heißt nicht, dass du dir was darauf einbilden sollst, wenn er mal nett zu dir ist. Ich hab auch schon mit ihm darüber gesprochen, dass du in ihn verknallt bist, damit er..." "WAS?!", fiel ich ihm ins Wort und war kurz davor, ihm an die Kehle zu springen, wenn nicht der Tisch im Weg gestanden hätte. "Du hast WAS?!" "Ben...", sagte Emma gequält und sah ihn mitleidig an. Ben verstand die Welt nicht mehr. Und dass sein letztes Stündlein geschlagen ahnte, das ahnte er ganz offensichtlich auch nicht. "Wieso? Was ist denn dabei?" Ich wusste nicht mehr, was ich sagen sollte, um diesem dummen Esel begreiflich zu machen, wie... dumm er eigentlich war! Stattdessen kochte ich vor Wut, das Gesicht vollkommen brennend und rot angelaufen und musste die Hände zu Fäusten zusammenballen. Aber vielmehr noch war mir das alles total peinlich. Wenn ich daran dachte, dass Will drei Häuser weiter saß, mit dem Hintergedanken im Kopf, dass die kleine, dumme Schwester seines besten Kumpels einen Narren an ihm gefressen hatte... peinlicher ging es nicht mehr. Und heute Abend musste ich dahin. Es würde meine persönliche Hölle werden. "Du ARSCHLOCH!", schnauzte ich ihn endlich an, als ich meine Sprache wiedergefunden hatte. "Wer hat dir erlaubt, dich da einzumischen?! Du blöder Esel!" Ben's Ausdruck wechselte von verwirrt zu genervt. "Man, Weiber. Da will man nur helfen, und dann motzen die einen nur an", meckerte er und warf die Hände zum Himmel. "Niemals kann man es euch recht machen!" "Hau ab!", knurrte ich wutentbrannt. Er sollte sich bloß in Sicherheit bringen, bevor mir allein durch Willenskraft in fünf Sekunden zehn Zentimeter lange Fingernägel wuchsen. "Ben...", flehte Emma nun, und das genügte, dass er, höchst gereizt und unzufrieden zwar, aber dennoch endlich die Küche verließ. Ich lehnte die Stirn an die Tischplatte, obwohl ich eigentlich vorgehabt hatte, den Kopf dagegen knallen zu lassen. "Oh nein", murmelte ich, wie erstarrt. "Oh nein..." "Holly. Das ist doch nicht so schlimm", versuchte Emma mich aufzuheitern und ich fühlte ihre Hand auf meinem Rücken. Sanft fuhr sie rauf und runter, ganz anders als Ben, der mir mit voller Wucht eine runtergehauen hatte. "Er findet das bestimmt süß." Das war ja noch viel schlimmer als alles andere! Emma hatte keine Ahnung! "Er soll das aber nicht süß finden... Er soll gar nichts davon wissen. Das war doch nur... das war doch nie..." Ich brach ab, weil ich selbst nicht wusste, was ich sagen wollte. "Eine Schwärmerei aus der Ferne!", fiel mir dann doch noch ein. Emma schwieg eine Weile. "Das ist einfacher, nicht wahr?" Ich blickte auf. "Als was?" "Als die Realität." Überrascht blinzelte ich. "Es ist nur... so peinlich. Das ist, als wenn du... ich weiß nicht, Keanu Reeves triffst, oder so. Und er ist dann extra nett zu dir, weil er deine Gefühle nicht verletzten will, aber insgeheim lacht er sich ins Fäustchen, weil du so eine arme Nuss bist und ihn nie haben kannst. Furchtbar." Emma runzelte die Stirn. "Wer ist Keanu Reeves?" Ich seufzte. "Emma... wo lebst du eigentlich? Jedenfalls ist Ben ein Idiot... Wie soll ich da heute Abend bloß auftauchen? Ich glaub, ich ruf an und sag, dass ich krank bin." Sie zuckte mit den Schultern und machte ein ratloses Gesicht. "Vielleicht ist er ja nicht da. Oder er lässt sich nichts anmerken." "Oder er macht sich über mich lustig", ergänzte ich trocken. Und obwohl ich es ungern zugab, hatte Ben doch Recht. Will war zu allen nett. "Rufst du an und sagst, dass ich eine unheilbare Krankheit habe oder so was?", flehte ich, doch Emma schüttelte nur den Kopf und sah mich ernst an. "Das ist nicht witzig. Manche Menschen haben das wirklich und da-" "Schon gut, schon gut", unterbrach ich sie seufzend. "Ich weiß, tut mir leid..." Meine Schwester zuckte wieder hilflos mit den Achseln. Ich glaube, so was überforderte sie immer ein wenig. Diese ganzen zwischenmenschlichen Katastrophen, auf die sie keinen Rat wusste. "Ich bringe Ben um", schimpfte ich dann wieder los, meine Wut und Verzweiflung auf ein greifbares Ziel - meinen Bruder - lenkend, damit ich mich nicht ganz so ohnmächtig fühlte. "Ehrlich. Er ist so gut wie Hackfleisch." "Willst du nicht lieber, dass ich mit ihm rede?", bot Emma hoffnungsvoll an. Ich warf ihr einen skeptischen Blick zu. "Du würdest ihn am Leben lassen, oder?" Unsicher nickte sie. "Dann nein", beschloss ich resolut. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)