Just one week. von Eleven (Between bets and Creek) ================================================================================ Kapitel 1: I - Montag --------------------- Kapitel I Ich glaube, wenn ich heute morgen gefragt worden wäre, was ich von diesem vorerst so normal wirkenden Tag erwarten würde, dann hätte ich entweder gesagt, nichts besonderes, oder ich hätte gesagt, mutierte Blauwale, welche die Weltherrschaft an sich reißen wollen, greifen die Schule an. Ich bin mir ziemlich sicher, dass man mir beides geglaubt hätte, obwohl eine der beiden Aussagen eine Lüge ist. Welche ihr selbst nun für unglaubwürdig gehalten hättet, überlasse ich euch. Aber man fragte mich nicht, was ich erwartete würde. Und wenn überhaupt, wer war denn dann bitte ’man‘? Es tauchte heutzutage zwar in fast allen Geschichten und Texten auf, aber irgendwie schien es niemand so wirklich zu wissen. Erst hieß es ’man’, dann plötzlich ’sie’. Aber irgendwem hätte meine Antwort dann doch sicher gegolten. Ich bin der Meinung die Welt sollte sich endlich mal entscheiden, und ich sollte aufhören mir über solch belanglose Dinge Gedanken zu machen. Denn jetzt im Nachhinein fällt mir auf, wie sinnlos meine Überlegungen bislang waren, dass sie schließlich zu keiner Erkenntnis geführt haben und genauso gut ungedacht hätten bleiben können. So etwas in der Art spuckte mir abends durch den Kopf, wenn ich eigentlich über viel wichtigere Dinge nachdenken sollte. Zum Beispiel, was denn nun heute wirklich passiert war. Alles -und wenn ich alles sage, meine ich eine ganze Menge- begann damit, dass ich zu spät zum Unterricht kam. Natürlich nicht, weil mutierte Blauwale, die die Weltherrschaft an sich reißen wollten unsere Schule belagerten, sondern einfach aus dem simplen Grund, dass ich vergessen hatte mir meinen Wecker zu stellen. Genau das hätte ich unserem Lehrer erzählen können, er hätte es so angenommen und ich hätte mich schließlich ohne jeglichen Ärger setzen müssen, um dem Unterricht zu folgen. Aber um ehrlich zu sein, es machte viel mehr spaß unehrlich zu sein. Die wirklichen Geschehnisse waren mir wirklich ein wenig ZU simpel, und so dachte ich mir etwas anderes aus. Nachdem ich die Klasse betreten hatte, waren alle Blicke -zumindest die, der aufmerksamen Schüler- auf mich gerichtet gewesen. Darunter natürlich auch der Blick des Lehrers, welcher mich prüfend musterte (ich hasste es, wenn man mich so ansah). “Ah, Craig. Beehrst du uns doch noch mit deiner Anwesenheit?”, man musste schon taub sein, um den spitzen Unterton zu überhören. Ich vergrub die Hände nur noch weiter in den Taschen meiner Jacke und zuckte kurz unberührt mit den Schultern. Natürlich wusste ich genau, dass man auf eine Erklärung von mir wartete. Doch auch Schauspieler ließen ja für bekanntlich ab und an kurze Künstlerpausen, oder nicht? Zwar war ich kein Schauspieler, aber ich mochte solche Augenblicke trotzdem. “Tut mir ja wirklich Leid, aber wissen sie, als ich heute Morgen pünktlich in die Küche kam, spielten plötzlich alle unsere Elektrogeräte verrückt. Unser Handrührgerät versuchte auf meine Mutter los zugehen, da musste ich ihr natürlich helfen. Wenn der Toaster sich nicht in letzter Minute auf unsere Seite geschlagen hätte, dann wäre sie jetzt sicherlich tot, und deswegen bin ich zu spät gekommen.” Stille. Nur ein leises Husten aus der hintersten Ecke, von dem ich nicht wusste, wer hier gerade seine Bakterien verströmte. Ich war nicht sonderlich stolz auf mich, für diese Ausrede, jedoch stimmte sie mich glücklich, da ich gleich zwei Lügen eingebaut hatte. Weder tat es mir leid, noch wäre meine Mutter ohne unseren Toaster durch das Handrührgerät gestorben. “Das ist vollkommener Blödsinn”, wurde mir an den Kopf geschleudert. Ich hätte weiter lügen können. Beteuern, wie ernst die Lage doch gewesen ist. Doch ich ließ es bleiben. Stattdessen hob ich meine Hand und zeigte ihm ein paar Sekunden lang meinen Mittelfinger. Dabei sah ich ihn ausdruckslos an, als wäre gar nichts. Ein paar Momente lang passierte nichts. “Hast du mir gerade deinen Mittelfinger gezeigt?” “Nein.” “Natürlich, eben gerade!” “Nein, sie müssen sich irren.” Wieder Stille. Verwirrt fasste sich der Mann an seine Stirn und kratzte sich daran. Wahrscheinlich überlegte er gerade fieberhaft, ob er sich dies nun nur eingebildet hatte, oder nicht. “Craig, setz dich bitte, ich möchte mit dem Unterricht fortfahren.” Ein leichtes Grinsen bildete sich auf meinem Gesicht. Das Gefühl der Glaubwürdigkeit breitete sich rasend schnell in mir aus und verursachte Glücksgefühle höchster Qualität. Nachdem der Lehrer unsere Klasse verlassen hatte, sobald es klingelte, begannen die anderen angeregt zu diskutieren. Wenn ich zu diesem Zeitpunkt gewusst hätte, was noch alles auf mich zukommen würde, ich wäre sicherlich schnurstracks raus marschiert und hätte mir vielleicht eine Zigarette angesteckt. Vielleicht auch zwei. Alleine aus dem Grund, weil ich hätte denken können ‘Mensch Craig, zum Glück bist du jetzt hier, und nicht da drinnen, um geradewegs in ein Unglück zu stolpern’. Aber natürlich wusste ich nicht, was passieren würde. Ich konnte gar nicht verhindern, was sich nicht verhindern ließ, und so nahmen die Dinge langsam ihren Lauf. “Alter, das war echt einfach nur Scheiße geil, man!” Anerkennend klopfte Stan mir auf die Schulter. Kyle nickte heftig. “Ja, wirklich. Wie der geguckt hat, einfach unbezahlbar!” Ich grinste schief und rollte mit den Augen. Bescheidenheit hin oder her, ich war nicht der einzige, welcher mich für ein Genie hielt. “Craig, du bist echt der Beste, wenn es ums Lügen geht! Fast hätte ich es selbst geglaubt!” Dieser eine Satz war ziemlich ausschlaggebend, wie ich jetzt wusste. Leider tat ich das aber noch nicht zu dem Zeitpunkt, als er ausgesprochen wurde. Cartman stand beleidigt in der Ecke rum, wahrscheinlich, weil nicht ihm die gesamte Aufmerksamkeit galt, sondern jemand anderem. Mir, um genau zu sein. Er funkelte böse zu uns rüber, das sah ich genau. Dann rümpfte er die Nase und hob die Augenbrauen an. “So toll war das nun auch wieder nicht.” Alle sahen ihn an. “Ich meine… ist doch nicht schwer diesen Vollpfosten zu verarschen”, selbstsicher musterte er mich. Wie sehr ich es doch hasste. “Alter, komm mal klar. So wie Craig hättest du das nie im Leben hinbekommen.” Kyle stellte sich mit verständnisloser Miene neben mich. “Halts Maul, du Jude. Dich hat niemand gefragt.” “Ach, ja, Fettarsch? Und was geht’s dich an?” “Zumindest mehr, als dich klei-” “Ist gut, Cartman. Aber wir sehen das alle so wie Kyle.” Ich glaube, wenn Stan sich nicht eingemischt hätte, dann wären sie noch aufeinander losgegangen. Natürlich hätte auch ich derjenige sein können, welcher wieder für Ruhe sorgt, schließlich war diese ganze Diskussion ja auch erst durch mich entstanden. Aber es gab nun mal Leute -solche wie Stan, um genau zu sein- die waren nun mal einfach besser in so was als ich. Auf jeden Fall hatte eigentlich erst jetzt alles richtig begonnen. “Trotzdem! Ich wette, dass lag jetzt nur daran, weil dieser Spaßt von Lehrer einfach viel zu leichtgläubig ist!” Gerade riss Kyle wieder seinen Mund auf, als Token sich zum ersten Mal zu Wort meldete. Er hatte die ganze Zeit an seinem Platz gesessen und die Unterhaltung eher geringfügig verfolgt. “Oh Cartman, wenn es dir so viel bedeutet, dann mach doch gleich ne richtige Wette draus. Hast ja eh grad beteuert, du würdest wetten. Dann hast du endlich deinen Beweis und wir unsere Ruhe.” Damit schien der Fettwanst nicht gerechnet zu haben. Kurz stierte er zu dem Anderen rüber, dann wendete er sich wieder uns, oder eher mir zu. Er hob seine Hand und deutete mit einem seiner wurstigen Zeigefinger auf mich. “Genau! Wir wetten einfach!” “Ah, ja? Und was genau willst du wetten?” Mit gelangweiltem Blick sah ich ihn abwartend an. Wenn es mit lügen zutun hatte, würde ich eh gewinnen, von daher machte ich mir keine Gedanken. Cartman währenddessen blickte sich nachdenklich in der Klasse um. Ich wette wenn das Denken dummer Leute stinken würde, dann wären wir jetzt dank Cartman alle an Vergasung gestorben. “Ha! Ich hab’s”, brachte er triumphierend hervor, “du wirst einfach jemanden so belügen, dass er selbst glaubt und zugibt, er würde dich lieben!” Alle sahen ihn an, als hätte er gerade bekannt gegeben, morgen ein rosa Rüschenkleid anzuziehen und dabei zu singen ‘Ich möchte singen, vom schönen Mond, wo keiner wohnt, ich möchte springen~…’ Bei dem Gedanken daran musste ich leicht schmunzeln, was der Trottel natürlich falsch interpretierte und sich gleich wieder angegriffen fühlte. Aber na gut, gönnte ich ihm diese kleine Zwischenlüge -ja, ich hatte nun sogar bereits unterordnende Begriffe für meine Lügen- und griff ihn tatsächlich indirekt an. “Wow, da hast du dir ja was ganz tolles einfallen lassen, Fetti. Geht das denn auch etwas genauer?” Wütend knirschte er mit den Zähnen und funkelte mich an. “Was muss denn da noch genauer beschrieben werden, heh?!” “Alter, ist doch ganz klar. Erstmal, wen Craig denn anlügen soll. Zweitens, wie er es nachweisen soll und drittens würde ein gewisser Zeitraum das alles viel spannender machen.” Manchmal fragte ich mich wirklich, ob Clyde nichts anderes in seiner Freizeit zu tun hatte. Anscheinend gefiel ihm die Entwicklung der Dinge nämlich ganz gut, sonst hätte er sich nicht jetzt schon so große Gedanken darum gemacht. Wieder verfiel Cartman in große Überlegungen, dabei schaute er aus dem Fenster. Wahrscheinlich suchte er gerade jemanden aus, von dem er nie erwarten würde, dass ich ihn dazu bringen könnte, sich in mich zu verlieben. Stan blickte ebenfalls nach draußen. Plötzlich wurde sein Blick ganz starr und fast flehend. Wir alle bemerkten es und mussten feststellen, dass er dabei zu Wendy sah. Cartman lachte leicht auf. “Keine Sorge, Stan. Deine Olle wäre viel zu einfach, wir müssen wen schwereres finden.” Daraufhin warf Stan ihm einen bösen Blick zu, dennoch schien er erleichtert. Im nächsten Moment auch schon platzte es aus Eric heraus. “Ich weiß! Wir nehmen den Freak!” Alle folgten seinem Blick. Fast vergaß ich zu atmen. Allein auf einer Bank, zitternd, aber nicht vor Kälte, saß Tweek Tweak und schlürfte seinen Kaffee. “Was? Spinnst du?”, entrüstet sah ich ihn an, verständlich, oder? Er grinste breit und selbstgefällig, verschränkte die Arme vor der Brust und sprach weiter. “Nein, das ist mein Ernst. Du wirst es niemals schaffen, innerhalb von… einer Woche Tweek dazu zu bringen, sich in dich zu verlieben.” Angeregtes Gemurmel brach aus. “Ich bin doch nicht schwul”, immer mehr Empörung stieg in mir auf. “Musst du ja auch nicht sein, aber ich dachte du kannst so gut lügen~?” Er hatte Recht. Worüber regte ich mich denn schon auf? Das alles hieß ja nicht, dass ICH mich in Tweek verlieben musste… ich sollte lediglich so tun, als würde ich mich für ihn interessieren. “Hmpf, kann ich ja auch. Und wie soll ich dir das dann beweisen?”, entnervt blickte ich ihn an. “Na ja, du könntest es irgendwie aufnehmen, wenn er es dir sagt, oder?” Okay, jetzt war es beschlossen. Sogar Butters hatte sich gegen mich verschoren, ganz eindeutig. Wie weit war ich eigentlich gesunken, dass mir niemand aus diesem Schlamassel raus half?! “Genau! Du wirst eine Woche Zeit haben, Tweek dazu zu bringen, dir zu sagen, dass er dich liebt. Das wirst du aufnehmen und uns dann vorspielen. Aber keine Tricks!” Ich schaute in die Gesichter der Anderen, welche mich neugierig ansahen. Sie alle hofften, ich würde annehmen. Aber mal ehrlich, hatte ich überhaupt eine andere Wahl? Seufzend nickte ich und schüttelte seine Hand, welche er bereits nach mir ausgestreckt hatte. Nun war es also besiegelt. Wenn ich es nicht schaffen sollte, die Wette zu gewinnen, dann wäre selbst das letzte bisschen Ruf, welches ich besaß, auf nimmer wiedersehen auf und davon. Irgendwie war ich froh darüber, dass man mich nicht gefragt hatte, was ich vom Tag erwartete. Denn auf SOWAS wäre ich ganz bestimmt niemals gekommen. Das einzige was ich nun machen musste war, mir überlegen wie ich Tweek am schnellsten zu einem Liebesbekenntnis bekommen würde. Ab morgen würde es losgehen… noch ahnte ich nicht, was diese dämliche Wette mit sich bringen würde… nicht einmal im Geringsten. Kapitel 2: II - Dienstag ------------------------ Kapitel 2 Eine Woche. Eine einzige Woche stand mir zu Verfügung, um Tweek Tweak auf mich aufmerksam zu machen. Nein! Um ihn dazu zu bringen, sich in mich zu verlieben. Irgendwie hätte ich kotzen können, nicht weil mir schlecht war, sondern einfach aus dem simplen Grund, weil ich keinen Bock auf diese Scheiße hatte. Ich war kurz davor gewesen, diesen ganzen Idioten, insbesondere Cartman, dem Fettsack, einfach zu sagen, er solle sich seine scheiß Wette sonst wohin stecken und mich damit in Ruhe lassen. Jedoch -wie das Schicksal ja nun mal war- kamen mir die anderen zuvor. "Alter, das glaubst du nie!" "Ahja? Was denn?" "Cartman ist vollkommen besessen von dieser Wette! Er hat gestern 50 Mäuse darauf gesetzt, dass du‘s vermasselst!" "Genau! Flachw***** hat er gesagt, und dass du sowieso verlieren wirst!" Ich presste meine Lippen aufeinander. Aha, die Schwabbelbacke wollte also Streit. Nagut, konnte er haben. Ich würde ihm schon zeigen, wer hier verlieren würde. "Ach wirklich? Dann teilt dem Klops bitte Folgendes von mir mit", ich zeigte ihnen beide Mittelfinger und ließ meine Stimme ein klein wenig kühler als sonst klingen, "er darf in einer Woche auf Knien bei mir angekrochen kommen und mir seine 50 Mücken auf einem Silbertablett servieren!" Mit diesen Worten wandte ich mich ab, natürlich hatte ich eben so laut gesprochen, dass alle in der Nähe Stehenden es mitbekommen konnten. Nun gab es also kein Zurück mehr. Nach dieser Drohung durfte ich auf keinen Fall verlieren. So kam es also, dass ich schlechter als sonst gelaunt auf meinem Stuhl saß und unkonzentriert meinen Radiergummi zerpflückte. Normalerweise viel es mir nicht schwer dem Unterricht zu folgen, auch wenn es nie den Eindruck danach erweckte. Die anderen sahen, dass ich aus dem Fenster schaute, also gingen sie davon aus, mich würde das Gelaber des Lehrers nicht interessieren. Ich log sie an, ohne wirklich etwas zu sagen. In Wirklichkeit aber passte ich auf, schrieb gute Noten, schließlich war ich ja nicht bescheuert und versaute mir meine Zukunft. Es ist ganz einfach, wenn mich jemand fragte, ob ich die Matheaufgaben verstanden hatte, sagte ich nein. Man glaubte mir, und ich behielt meinen -wenn auch kläglichen- Rest Ruf. Gleichzeitig log ich damit, was mir ein gutes Gefühl verschaffte. Und nebenbei verstand ich Mathe eigentlich recht gut, was mir obendrein auch noch ne gute Note verschaffte. Das hieß: Ich schlug gleich 3 Fliegen mit nur einer kleinen Lüge... oder so ähnlich. Naja, wie auch immer. Heute gelang es mir jedenfalls nicht aufzupassen. Ich musste mir eine Taktik überlegen, ganz klar. Einfach so drauf los, das würde nicht klappen. Tweek und ich hatten schließlich kaum etwas miteinander zu tun. Okay, wir hatten uns in der Grundschule einmal geprügelt, weswegen hatte ich schon längst wieder vergessen. Aber so wirklich etwas miteinander zu tun… Um ehrlich zu sein, ich kannte diesen Typen so gut wie gar nicht. Das was ich kannte: Er zuckte andauernd, und wenn ich andauernd sage, dann meine ich es auch. Er erschrickt schrecklich oft und bei den kleinsten Geräuschen. Und oft bekommt er schlechte Noten in Tests, weil die Lehrer seine krakelige Schrift nicht entziffern konnten, was man ebenfalls auf sein ständiges Zucken zurück führte. Dies lag an seinem angeblichen ADS. Ob er nun wirklich an dieser Krankheit litt, oder nicht, das wusste ich nicht. Eigentlich wäre es für sein Verhalten zutreffend, andererseits bemerkte ich, dass er unglaublich oft und viel Kaffee trank. Okay, im Nachhinein wusste ich vielleicht doch ein wenig über Tweek, aber das meinte ich damit ja auch nicht. Ich meinte, dass ich nichts über seine Persönlichkeit wusste, wie er tickte. Und schon wieder entglitten mir meine Gedanken langsam, ich musste unbedingt aufhören mir über alles Mögliche Gedanken zu machen, und endlich mal bei einem Thema bleiben. Taktik. Ein leises Seufzen entfuhr mir und ich blickte mich genervt in der Klasse um, um zu einem klaren Gedanken zu kommen. Ich musste mich einfach konzentrieren, dann würde mir schon was einfallen. Ich blickte rüber zu Clyde, meinem Tischnachbarn und bestem Freund. Er lächelte leicht, als er meinen Blick auffing und schaute dann wieder nach vorne. Mein Blick wanderte weiter und sah, dass Token schon wieder eine neue Federtasche besaß. Meine Fresse, der Junge hatte eindeutig zu viel Geld. Vielleicht würde ich ein paar Minuten länger in der Klasse bleiben und seine neue Federtasche einfach bekritzeln... Das war zwar ziemlich kindisch, aber mir persönlich gefiel der Gedanke, Tokens Gesichtsausdruck zu sehen, wenn er auf dem Teil plötzlich dick und fett 'schwuler Bonze' oder so was lesen würde. Ein schiefes Grinsen stahl sich auf mein Gesicht und ich ließ meinen Blick weiter wandern. Ein heimlich popelnder Butters. Kenny hatte sich versehentlich seinen Bleistift in seine Hand gerammt. Stan erbrach sich lautlos in Wendys Schultasche, nachdem sie ihm einen Zettel zugeschoben hatte. Kyle kochte förmlich vor Wut, während Cartman frech vor sich hingrinste. Und... ein Tweek, der zuckend in meine Richtung schaute. Als er bemerkte, dass ich ihn ansah, wandte er seinen Blick schnell wieder nach vorne, als wäre es ihm peinlich. Kurz noch schaute ich in seine Richtung, ehe sich ein fast schon zufriedenes Grinsen auf meinen Gesicht ausbreitete. Vielleicht würde das alles ja doch noch ganz amüsant werden, dachte ich und schaute wieder aus dem Fenster. Nach der dritten Stunde hatten wir endlich eine etwas längere Pause. Alle begannen nach dem Klingeln das Klassenzimmer zu verlassen und erinnerten mich dabei ein wenig an unzivilisiertes Rindvieh. Wie immer wartete ich auf Clyde, welcher stets ne halbe Ewigkeit benötigte, um seine Sachen fein säuberlich in seinen Rucksack zu packen. Ich dagegen hatte meinen Kram lediglich in meinen eigenen gestopft und brauchte nicht mal halb solange wie mein bester Freund. Wir redeten nicht wirklich etwas, was hätten wir auch sagen sollen? Wir kannten uns jetzt schon… Unser halbes Leben? Da hatte man sich eben nicht mehr soviel zu sagen… außer was vielleicht so im Fernsehen lief, was auch immer. Aber so was besprachen wir eh meistens in der Cafeteria, mit den Anderen. Als wir dort ankamen waren bereits alle da. Stan, Kyle, Kenny, Cartman und Token. Alle waren in ihre kleinen Gespräche vertieft, auch wenn die Stimmung heute etwas anders schien, als sonst. Ich glaubte zu wissen, dass es an der Wette lag. Sie schienen mich öfters als nötig anzusehen und ich konnte ihre Gedanken förmlich hören. Einzig und allein Cartman hatte den Mumm, mich darauf anzusprechen. “Na Craig, schon die 50 Mäuse zusammen? Schließlich hast du ab heute nur noch genau eine Woche.” Ich hielt es nicht für nötig, darauf zu antworten. Auch wenn ich ihm gerne so was wie ‘halt die Fresse, Fettarsch’ an den Kopf geklatscht hätte. Stattdessen zeigte ich ihm den Mittelfinger, behielt mein Esstablett in der Hand und sah mich in der Cafeteria um. Tweek saß -wie hätte es auch anders sein sollen- mal wieder alleine an seinem Tisch, die Thermosflasche nur wenige Zentimeter von sich entfernt. Seufzend machte ich mich auf den Weg zu dem Blondschopf. Was genau ich nun vorhatte, wusste ich selbst noch nicht so ganz. Mit einem leichten Lächeln -welches meiner Meinung nach viel zu geheuchelt wirkte- setzte ich mich ihm gegenüber, gar nicht erst nachfragend, ob der Platz noch frei war. Tweek sah mich zuckend an. Das war’s. Einige Sekunden passierte nichts und ich hatte das Gefühl, mein unechtes Lächeln würde noch zu einem Wangenkrampf oder so was führen. “Ähm…”, kam es unnötigerweise von mir und ich kratzte mich an meiner Wange, teils um zu überprüfen, ob sie noch lebte. “Ich hab mich grade gefragt, warum wir eigentlich nie wirklich miteinander geredet haben…”, immer noch freundlich lächelnd griff ich nach meinem Apfel und biss davon ab. Tweek sah mich immer noch zitternd an, als ob ich ein Alien wäre und gleich sein Gehirn aussaugen wollte. “Vielleicht weil du -ngh- weil du mir in der Grundschule fast die Nase gebrochen hättest?” Okay, mit so was hatte ich nun nicht gerechnet, das musste ich zugeben. Anscheinend hatte er den kleinen Konflikt zwischen uns ebenfall noch nicht vergessen. Etwas verwirrt sah ich ihn an und versuchte irgendetwas Gescheites rauszubringen. “Oh das… das tut mir Leid, echt man. War wohl ziemlich bescheuert, was?” Lediglich ein Schulternzucken. Langsam wurd’s irgendwie dämlich… Grübelnd blickte ich zur Seite und war kurz davor aufzugeben -lediglich für diesen Moment- als Tweek mich verständnislos ansah. “W-Warum sprichst du überhaupt so plötzlich mit mir?” Kurz sah ich ihn ausdruckslos an. Aha! Also wenn das jetzt nicht endlich mal der Anfang einer Konversation war, dann wusste ich auch nicht weiter. “Na ja, die anderen meinten du wärst ziemlich uncool”, Traurigkeit machte sich in Tweeks Gesicht breit, “und ich sagte nein, wärst du nicht. Und dann haben sie gesagt, dann könne ich mich ja genauso gut zu dir setzen. Tja, und das hab ich jetzt gemacht.” Überrascht blinzelte, oder eher zuckte der Blonde mich an. Es war nicht schwer sein Erstaunen darüber, was ich eben gesagt hatte, zu bemerken. “Wirklich? Wow das… danke, Craig!” Freudig sah er mich an und brachte es tatsächlich zu einem Lächeln. Grinsend zuckte ich mit den Schultern, so wie er es zuvor getan hatte und widmete mich wieder meinem Apfel. Anscheinend war es ziemlich einfach den Jungen für etwas zu begeistern und ihm Lügen aufzutischen. Natürlich machte diese Tatsache die ganze Angelegenheit für mich nur einfacher. Anscheinend hatte ich mit dieser winzigen Lüge das Eis brechen können, naja zumindest ein wenig, denn den Rest der Pause unterhielten wir uns weiter. Ich erzählte ihm von meiner Lieblingsserie, dem ‘roten Renner’, was er sehr seltsam fand. Dabei musste ich zugeben, dass er damit sogar Recht hatte. Seit meiner Kindheit hatte ich mich nicht von dieser Serie trennen können… Tweek sagte zwar nicht wirklich viel dazu, wirkte aber auch nicht unaufmerksam. Er war eigentlich sogar ein recht guter Zuhörer, besser als Clyde es manchmal war. Jedoch viel mir ebenfalls auf, dass Tweek kaum etwas von sich selbst erzählte. Er zuckte lediglich ab und an, zitterte nebenbei und brachte es nach jedem meiner Sätze zu einem verkrampften Nicken. So verbrachten wir die Pause. Dass die Anderen mich immer mal wieder über ihre Schultern hinweg ansahen, ignorierte ich. Es gehörte eben zu der Wette, dass ich Kontakt zu Tweek aufbaute, und das wussten diese Idioten ganz genau. Als wir danach wieder im Klassenraum saßen blickte Clyde mich nachdenklich an. Als ich ihn aber nicht danach fragte, was er denn habe, platzte es geradezu aus ihm heraus. Anscheinend glaubte er tatsächlich, ich hätte nicht längst mit so was gerechnet und ihn gerade aus diesem Grund nicht auf sein Gestarre angesprochen. “Und? Was habt ihr geredet?” Langsam drehte ich meinen Kopf in seine Richtung und zuckte desinteressiert die Schultern. “Keine Ahnung, dies und das halt…”, war meine klägliche Antwort, mit welcher er sich natürlich nicht zufrieden gab. “Nach nur ‘dies und das’ sahs aber nicht aus, also erzähl!” Was mich manchmal an Clydes Art störte war, dass er nicht so wirkte, als würde ihn das ernsthaft interessieren. Mehr so, als wolle er sicher gehen, alles wäre in Ordnung. Manchmal glaubte ich, dieser Junge hatte einfach zu viel scheiß Langeweile und führte Protokoll über mein Leben. Ohne dass er es mitbekam konnte ich nicht mal einen Fuß vor die Tür setzten, meine Fresse! Genervt drückte ich ihm eine Hand auf den Mund, als er diesen gerade wieder öffnete. “Müssen wir das ausgerechnet jetzt besprechen? Außerdem haben wir echt nicht soviel geredet.” Ein vorwurfsvoller Blick seinerseits, Gott sei Dank hatte ich meine Hand immer noch auf seinem Mund. “Okay, wie wärs, wenn wir beide uns morgen mit Token zum DVD gucken treffen und dann erzähle ich euch alles?”, gab ich resignierend von mir und lies meine Hand daraufhin wieder sinken. Kurz dachte er nach und willigte mit einem unmotiviertem Nicken ein. “Und warum nicht schon heute?” “Weil heute ne Doppelfolge vom roten Renner kommt.” Schief grinsend zwinkerte ich ihm zu. Dabei schüttelte er nur kurz seinen Kopf und musste ebenfalls etwas lächeln. Beide drehten wir unsere Gesichter wieder zur Tafel. _________________________________________________ Yeayy, das zweite Kapitel :) mir persönlich gefällt es nicht so gut, einfach vom Inhalt her, aber ich finde dass sonst einfach was gefehlt hätte oO najaa, wollt mich nur mal eben nochmal für die bisherigen Kommis und Favoriten bedanken, ich hab euch alle ganz viel lieb! :D Kapitel 3: III - Mittwoch ------------------------- Kapitel 3 “Was zur Hölle tue ich hier eigentlich?!” Wütend machte ich kehrt und ging mit zügigen Schritten in die Richtung, aus welcher ich gerade gekommen war. Kopfschüttelnd zog ich dabei an meiner Zigarette. Lächerlich, jetzt wäre ich doch beinahe-… wieder blieb ich stehen und blickte unschlüssig die Straße entlang. “Meine Fresse…” Genervt drehte ich mich nun schon zum vierten Mal um und änderte dadurch meine Richtung. Wieder zog ich an dem Glimmstängel in meiner Hand und blies den Rauch in die kühle Luft. Ich hätte jetzt zu Hause sitzen können, vor meinem Fernseher… so wie ich es eigentlich jeden Mittwoch tat. Nein, nicht nur jeden Mittwoch, sondern generell jeden Tag. Clyde regte sich oft darüber auf. Er meinte ich würde mein Leben verschwenden aber… scheiße, ich bin gerade mal 17 Jahre alt! Wenn ich zwanzig bin, dann darf er mir gerne Standpauken halten, wie ich zu leben habe, aber doch nicht jetzt! Mein Alltag war nun mal nicht sonderlich spannend. Ich ging zur Schule, ertrug den Unterricht, musste manchmal nachsitzen oder zu diesem bescheuerten Psychologen-Futzi, welcher mir erklären wollte, ich wäre zu aggressiv, dann ging ich nach Hause, hockte mich vor die Glotze und das war’s. Und ich war vollkommen zufrieden damit! Klar, manchmal traf ich mich abends noch mit den Anderen, aber was sollte man auch anderes tun in South Park? War ja schließlich nicht so, dass man hier hinter jeder Ecke einem gottverdammten Abenteuer über den Weg lief, oder sonst was. Außer natürlich man war nun so jemand wie Stan, Kyle, Kenny oder Cartman. Die Vier erlebten ja mal so was von viel Scheiße, dass es eigentlich schon mehr als krank war. Okay, aber zurück zum Thema. Ich hätte also so wie immer einen völlig normalen Nachmittag - zumindest aus meiner Sicht - verbringen können, aber NEIN! Wegen diesem hässlichen Fettklos durfte ich mich nun darum kümmern, die Aufmerksamkeit eines zittrig zuckenden, oder auch zuckend zitternden - sucht es euch aus -, verwirrten und an einer krankhaften Fantasie leidenden Sechzehnjährigen zu gewinnen. Genau aus diesem Grunde befand ich mich auch gerade auf dieser gottverlassenen Straße und überlegte ständig hin und her, nicht doch einfach alles hin zu schmeißen. Ich hatte heute während der Mittagspause wieder bei Tweek gesessen. Logisch, oder? Bis mir dann aufgefallen war, dass ich langsam mal einen Schritt weiter gehen sollte. Schließlich ist eine einzige Woche nicht wirklich viel Zeit. Also hatte ich unserem Blondi einfach mal eingeredet, dass er die Mathehausaufgaben sicherlich nicht alleine hinbekommen würde. Tweek war echt naiv. Ohne zu zögern hatte er mir das abgekauft und war geradezu an die Decke gegangen, als er sich darüber ‘im Klaren’ wurde. Natürlich hatte ich ihm dann vollkommen ohne Hintergedanken -hust hust- meine Hilfe angeboten. Anfangs war er etwas stutzig gewesen, was mich leicht verunsicherte, ich ihm aber natürlich nicht zeigte. Stattdessen redete ich weiter auf ihn ein und am Ende der Mittagspause, als wir unsere leeren Tabletts dann wegbrachten, hatte er auch schon zugesagt. Viel zu einfach, wie ich fand. So kam es also, dass ich, Craig Tucker, nun allen Ernstes auf dem Weg zu Tweek Tweak, unserem kleinen Kaffeesuchti und Klassenfreak war, um mit ihm Hausaufgaben zu machen! Alter, ich bitte euch… so viel Unlogik war jawohl schon ungesund, oder so was. (nicht, dass ausgerechnet ich eine Ahnung von Gesundheit hatte…) Schrill hallte die Klingel wieder, als ich zweimal auf den Knopf für diese gedrückt hatte und dann wartete, bis jemand auf die Idee kam mir die Tür zu öffnen. Dabei verfiel ich keines Falls der Langeweile, denn schon beim Klingeln hatte man ein lautstarkes ‘Gah!’ aus dem Hause Tweak hören können. Irgendwie lustig, dass ich den kompletten Weg des Jungen, allein an den Geräuschen die von drinnen kamen, perfekt mitverfolgen konnte. Wie gesagt, als erstes der Aufschrei, dann hörte man lautes Gepolter von… ich denke mal einer Treppe, kurz darauf wie etwas nahe der Tür umgeworfen wurde und gleich danach wie das Schlüsselloch leise klackte. “H-Hallo Craig, du -ngh- du bist ja echt gekommen!” Anscheinend war er nicht wirklich davon ausgegangen, denn sein Gesichtsausdruck zeigte mir - wenn man mal das Zittern und Zucken wegließ - Verwunderung und Erstaunen. “Klar, alter, hab ich doch gesagt oder?” Kurz sah er mich mit den Augen zuckend an und lächelte dann tatsächlich leicht - das selbe Lächeln wie gestern in der Cafeteria, mal so nebenbei bemerkt - während er einen Schritt zur Seite ging und mich rein ließ. Was mir sofort auffiel war, dass das Haus von Tweek ordentlicher aussah als ich es erwartet hatte. Dabei hätte ich schwören können, er und seine Familie wären ein Haufen Chaoten. Jegliche Wände waren in allen erdenklichen Farben zwischen weiß, braun, karamell, beige und was nicht noch alles gehalten. Überall schien es sauber und aufgeräumt, man fand in fast jeder Ecke diesen kleinen, schwulen Dekokram und Familienbilder im Überfluss. Wenn ich dabei mal an mein eigenes Zuhause zurück dachte… das komplette Gegenteil. Nicht, dass es bei mir unaufgeräumt oder so war. Also zumindest von meinem Zimmer abgesehen. Aber meine Mum hatte es schon lange aufgegeben, irgendwelche kitschigen Familienportraits aufzuhängen. Unsere Einrichtung wirkte nicht halb so auf einander abgestimmt und einladend wie die der Tweaks. “H-Hast du Durst?”, kam es dann gestottert von dem Blondchen vor mir, während er mich mit unsicherem Blick über die Schulter hinweg ansah. Ich zuckte lediglich mit den Schultern und ließ meinen Blick nochmals durch das gemütliche Wohnzimmer schweifen. “Cola wäre ganz gut…” Noch im selben Moment ließ ich mich auf dem dunklen Sofa nieder, als Tweek auch schon durch eine bereits offene Tür verschwand, welche sicherlich in die Küche führte. Woher ich das wissen wollte? Na ja, die Geräusche von klimpernden Gläsern, ect. deuteten so sehr darauf hin, wie das Geräusch einer Klospülung auf ein Badezimmer hindeutete. Stille hatte mich noch nie sonderlich gestört. Ich genoss es, wenn man nicht reden musste. Ich meine, ich sprach generell nie mehr als nötig. Ich schien immer eher den stummen Zuhörer abzugeben, auch wenn meine Aufmerksamkeit dann meistens eher geringfügig ausfiel. Tweek hingegen schien da ganz anders zu sein. Nervös saß er neben mir auf dem Sofa, umklammerte seinen Stift und ging noch mal seine geschriebenen Zahlen durch, um auf Nummer sicher zu gehen, dass er auch keinen Fehler gemacht hatte. Ich dagegen saß entspannt und zurück gelehnt da, balancierte einen Bleistift auf meiner Oberlippe und machte mir nicht viel aus den Aufgaben Tweeks. Schon beim ersten Mal drüber sehen war eindeutig gewesen, dass er alles richtig gemacht hatte. Aber mal ehrlich, nur weil ich ihm eingeredet hatte er würde es nicht hinkriegen, musste es ja nicht gleich stimmen. Nur gut, dass Tweek anscheinend echt so naiv zu sein schien, wie ich gedacht hatte, da er keinerlei Anstalten machte, Misstrauen zu hegen. Ganz im Gegenteil, er machte eher den Eindruck, als wäre er ganz vernarrt darin, auch ja keinen Fehler zu machen und sich somit vor mir zu blamieren. Aber okay, vielleicht bildete ich mir das nur ein, denn eine weitere Eigenschaft die ich nur ungern zugab war nun mal, dass ich ziemlich narzisstisch sein konnte. Narzisstisch mit einem leichten Drang zum Sadismus, wie ich nun feststellte. Denn anstatt den Jüngeren von seinem Leiden zu befreien, was ich nur mit einem Satz hätte anstellen können, grinste ich stumm in mich hinein und sah zu, wie er von Sekunde zu Sekunde hibbeliger wurde. Ein letztes Mal ließ ich diese für mich angenehme Stille auf mich wirken, (ich glaubte übrigens zu wissen, dass seine Eltern nicht da waren, da erstens ihr Auto nicht in der Einfahrt gestanden und ich sie außerdem noch nicht gesehen hatte) seufzte stumm und beugte mich dann endlich leicht vor, wobei der Bleistift von meiner Oberlippe in meine rechte Hand rollte. “Fertig?” Kurz zuckte er zusammen, was mich innerlich ebenfalls leicht erschreckte, auch wenn ich es nicht zeigte. “Gah! Ich… glaube schon.” Nachdenklich - und vollkommen überflüssiger Weise - ließ ich meinen Blick über sein Geschriebenes schweifen, nickte ab und an, tat hier und da mal so, als würde ich was korrigieren und schaute ihn dann wieder schief lächelnd an. “Okay, dann sind wir fer-” Mitten im Satz wurde ich unterbrochen, durch das eindeutige Geräusch einer sich öffnenden Haustür. “Tweek, mein Schatz! Ich bin Zuhause!” Nur wenige Augenblicke später schon konnte man sehen, wem die süßliche Frauenstimme gehörte. Tweeks Mutter - zumindest ging ich stark davon aus - war klein und braunhaarig, zierlich und trug ein warmes Lächeln in ihrem Gesicht. Als sie mich sah stockte sie kurz, als würde mein Anblick sie verwirren. Immer noch nett lächelnd ging sie auf uns zu und tätschelte ihrem Sohn kurz die Wange. “Tweek, du hast Besuch?”, kam es freudig von ihr. Irgendwie verwirrte mich ihre Reaktion etwas. Es klang so, als ob das nun ein Weltbewegender Augenblick sei. Noch während ich darüber nachdachte, hätte ich mir selbst auch schon eine mentale Ohrfeige verpassen können. Natürlich war es für Tweeks Mum etwas Besonderes, dass ihr Sohn Besuch hatte. Tweek hatte nun mal nicht wirklich Freunde, welche er zu sich einladen konnte. Zumindest nicht, dass ich wusste. Zwei Augenpaare waren auf Tweek gerichtet, welcher nervös zwischen mir und seiner Mutter hin und her sah. Erneut traf mich der Blitz der Erkenntnis. Gott, sicher wusste er absolut nicht, was er nun sagen sollte. So was wie ’das ist Craig, er kann mich eigentlich nicht leiden und ist seit gestern untypisch freundlich zu mir’ hörte sich doch schon ein wenig eigenartig an. Also griff ich, noch ehe er seinen Mund öffnen konnte, ein und wandte mich mit einem höflichen Lächeln an dessen Mutter. (Dabei war ich echt erstaunt wie gut mir das Lächeln zu gelingen schien) “Mein Name ist Craig Tucker, Mrs. Tweak. Ich bin ein Schulfreund von Tweek.” Und obwohl ich gedacht hatte, dass es gar nicht möglich wäre, wurde ihr Lächeln noch glänzender, während Tweek mich eher so ansah, als verstünde er nur Bahnhof. “Wie schön! Tweek, warum hast du mir denn noch nie von deinem Freund erzählt?” “I-Ich ähm…” Gar nicht wirklich auf eine Antwort wartend setzte Mrs. Tweek sich auch schon wieder in Bewegung. “Ich muss jetzt noch mal zurück in den Laden, ihr könnt euch gerne Spaghetti machen. Bis später mein Schatz, ach und Craig? Du kannst uns gerne öfter besuchen kommen. Also bis bald~.” Liebevoll hatte sie während ihrer Ansprache ihrem Sohn einen Kuss auf die Stirn gedrückt und verschwand mit den letzten Worten auch schon wieder. Erneut kehrte Stille ein, wobei Tweek noch eine ganze Weile zitternd zur Tür starrte, aus welcher seine Mum gerade raus war. Ich dagegen schaute eher gelangweilt drein, bis Tweek seinen Kopf in meine Richtung drehte, es aber nicht wagte mir direkt in die Augen zu sehen. “D-Danke… aber -ngh- du hättest echt nicht für mich lügen müssen…”, stotterte er leise, den Blick immer noch leicht gesenkt. Verwirrt hob ich eine Augenbraue. “Häh?” Eine nicht sehr geistreiche Frage, dennoch erfüllte sie ihren Zweck. “Naja du -gah- hättest nicht sagen m-müssen, wir wären Freunde…” Nun schaute er mich doch an, mit seinen großen und braunen Augen, welche mich - wie hätte es auch anders sein sollen - an zwei tiefe Tassen Kaffee erinnerten. Nachdenklich erwiderte ich den Blick, nicht ganz sicher darüber, was ich nun antworten sollte. Abwartend sah er mich an, sicherlich wartete er nun auf eine Bestätigung dazu, dass ich ihn nicht als Freund ansah. Eigentlich hätte ich auch kein Problem damit gehabt, es zu sagen, aber ich steckte nun mal in einer für mich wichtigen Wette. Da konnte ich mir so was nicht leisten, oder? Seufzend zwang ich mich zu einem Lächeln und wuschelte ihm durch die blonden Haare, welche ohnehin schon durcheinander gebracht waren. So wie immer eben. Dabei zuckte er unter meiner Berührung leicht zusammen, wobei ich mich fragte, was er denn bitte erwartet hatte, dass ich ihn schlagen würde? Gott, Paranoia lässt grüßen. “Ich weiß. Aber vielleicht würde ich es mir ja wünschen…”, war meine knappe Antwort, als ich auch schon vom Sofa aufstand und mich leicht streckte. Ich denke er hatte sich nicht getraut, weiter darauf einzugehen. Auf jeden Fall hatte man gemerkt, dass dieser Satz von mir noch lange an ihm nagte. Aber mal ehrlich, ich an seiner Stelle, wäre mir vollkommen verarscht vorgekommen. Craig Tucker, der hofft, er wäre mit Tweek Tweak befreundet? Wieder so was absurdes, dass es einfach nur ungesund sein konnte… dabei war ja nun mal das einzige was ich mir gerade wünschte, dass Tweek sich in mich verliebte und es offen zugab. Gott, wie schwul sich das anhörte, wenn man nicht den Hintergrund davon kannte… * “Gibst du mir mal die Chips?” “Bin ich dein Bimbo?” “Ach… bist du nicht?” “Sicher, dass du ne Antwort willst?” “Ne, aber du darfst mir jetzt trotzdem die Chips geben.” “Ich schieb dir diese verfickten Chips gleich sonst wohin.” “Clyyyde~ bütteee~.” Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, wie Angesprochener lediglich die Arme verschränkte und es sich auf dem riesigen Sofa noch etwas bequemer machte. Genervt seufzte ich, stellte das Autorennenspiel auf Pause, legte den Controller zur Seite und erhob mich grummelnd. Gott, alles musste man alleine machen… Im Vorbeigehen zeigte ich Clyde noch meinen Mittelfinger, woraufhin er sich aufrichtete und mich böse ansah. Das war eigentlich ganz normal bei Clyde und mir. Wir stritten uns bei so was nicht wirklich, wir hatten uns noch nie so richtig gestritten. Wir zickten lediglich ab und an rum, das gehörte bei uns einfach dazu. Trotzdem gab es so einiges was mich mächtig an ihm störte, und ganz ehrlich, wenn ich einiges sage, dann meine ich es auch so. Genauso bin ich mir aber ziemlich sicher, dass ihn ebenfalls manches an mir störte. Zum Beispiel regt er sich immer darüber auf, wenn ich nach Zigaretten roch, was bei mir nun mal nicht selten der Fall war. Es störte ihn, wenn ich ihn aufzog in Bezug auf seine ‘leichten Stimmungsschwankungen’. Aber jetzt mal ganz ehrlich, es gab keinen Menschen auf dieser gottverdammten Erde, der mehr heulen könnte als Clyde. Das fing ja schon an, wenn auf der Straße ein überfahrenes Tier oder so lag. Oder wenn dieser Garrisson uns im Unterricht dazu zwang, eine traurige Szene aus einer seiner bescheuerten Soaps zu gucken. Oder… oder wenn Clyde mal ausnahmsweise keine zwei in ‘nem Test, sondern ne drei hatte. GOTT!! Ich würde mich ja schon über ne vier freuen und der Typ machte jedes Mal son mega Drama aus so was. Nicht, dass ich dumm wäre und deswegen in einigen Fächern schlechte Noten bekam. Aber stellt euch doch mal bitte vor eure Abschlussarbeit bestünde daraus den Inhalt einer bescheuerten Serie wiederzugeben, wo alle Schauspieler eh geisteskrank sind und SO viel Pech haben, dass es unlogischer gar nicht hätte sein können. So ne Serien nennen sich dann zum Beispiel Sex and the City und versauen etwa 50% unserer Jugend, die dann allen Ernstes glauben, es gäbe im Leben so was wie ein Happy End. Meine Fresse. Aber zurück zum Thema. Solch kleine Machtkämpfe zwischen Clyde und mir gehörten eigentlich schon zum Alltag, wobei es mich wunderte, dass trotzdem ab und an noch Leute ankamen, mich vollkommen bedröppelt ansahen und auf total mitfühlend taten, indem sie leise murmelten: “Habt ihr euch jetzt gestritten…?” Argh! Wie ich kotzen könnte. Da ist man doch wirklich froh so jemanden wie Token in seinem Umfeld zu wissen. Es gibt wahrscheinlich niemanden, der eine Sache so gut ignorieren konnte, wie er. Dabei fiel unter die Kategorie ‘Sache’ eindeutig, dass Clyde und ich uns ganz gerne mal fast an die Gurgel sprangen. Echt jetzt! Der Typ blieb dabei so was von ruhig und haute dann auch noch so Sätze raus wie ‘passt aber auf, dass ihr mein Wohnzimmer nicht zerstört’. Also der Typ hatte echt immer die Ruhe weg… Wo ich schon von ihm sprach konnte ich ja auch gleich erwähnen, dass unser ‘Blacky’ (verzeiht den Ausdruck, es macht nur so unglaublich großen Spaß ihn damit zu ärgern) ebenfalls das Zimmer betrat mit Gläsern und Cola in der Hand. “Wow, Craig. Ich wusste gar nicht dass du dich auch alleine Bewegen kannst…”, kam es kurz in erstaunter Tonlage von ihm, wobei er sich den Anblick meines Mittelfingers einhandelte, während ich die freie Hand in der überdimensionalen Schüssel mit Chips ertrank. “Ist doch auch vollkommen egal! Können wir jetzt nicht so langsam einfach mal zum Thema kommen?!” Noch eine Sache, welche ich an meinem besten Freund nur ungern duldete… er war schrecklich ungeduldig. Was jedoch noch zu meinem nun nicht allzu begeisterten Gesichtsausdruck beitrug war die Tatsache, dass ich absolut nicht wusste, was ich nun erzählen sollte. Eigentlich war ich ja davon ausgegangen, ich würde den Tag nicht überleben… so vollkommen alleine mit Tweek und dann auch noch bei ihm zuhause. Schließlich war es Tweek verdammt! Tweek Tweak, der Kaffeesuchti, der Außenseiter, mein persönliches Mobbingopfer, wie auch immer… Trotzdem musste ich nun im Nachhinein zugeben, dass es nicht ganz so ätzend gewesen war, wie ich es mir vorgestellt hatte. Eigentlich - und das machte mir fast schon etwas Angst - war es sogar recht erträglich gewesen, sah man mal von den ständigen Psychosen dieses Deppen ab. Aber das konnte ich jawohl kaum zugeben oder? Vor allem nicht vor Clyde und Token, die beiden würden mich auslachen und endgültig für nicht normal erklären… oder noch schlimmer: sie würden mich nicht mehr respektieren. Jesus, das wäre schrecklich! Während ich noch immer kein Wort von mir gegeben hatte, bemerkte ich endlich, dass die beiden mich wartend ansahen, sogar Token, welcher sich sonst ja nun wirklich für kaum was interessierte. Schon gar nicht für Dinge aus meinem, seiner Meinung nach, grottigen Leben. Da ich ihnen aber auf keinen Fall sagen würde, wie ich nun über die ganze Sache mit Tweek dachte, tat ich das, was ich am besten konnte. Ich log ohne mit der Wimper zu zucken. “Müssen wir darüber reden? Mir wird schon schlecht wenn ich nur daran denke…” “Ja, müssen wir! Schließlich haben wir uns doch nur deswegen hier getroffen!” “Ähm, Clyde..? Ihr belästigt mich generell jeden Mittwochabend mit euer Anwesenheit… von daher würde es keinen Unterschied machen…” Angesprochener schien den Kommentar von unserem ‘auffällig pigmentierten Bonzen’ auszublenden, sah mich an als säße er auf heißen Kohlen und signalisierte mit seinem Blick nichts anderes als ‘jetzt rede oder ich reiß die die Eier ab’. Da ich meinen besten Freund im Bezug auf das Thema Ungeduld nur allzu gut kannte, war ich also schlau genug um meine Männlichkeit vor ihm zu retten und begann, wenn auch schwer seufzend, zu sprechen. “Naja, was soll ich sagen? Es war halt absolut schrecklich. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie anstrengend dieser Junge ist, ehrlich. Ich dachte bei dem zuhause sterbe ich… dass der ständig nur am Zittern und Zucken ist, ich dachte jedes Mal wenn er sich erschreckt hat, ich krieg gleich nen Herzinfarkt.” Mit meinen Worten schien ich genau ins Schwarze getroffen zu haben, sofern das Schwarze das darstellte, was Clyde hören wollte. Mit funkelnden Augen sah er mich an, wobei das Grinsen auf seinem Gesicht immer breiter wurde. Mit zufriedenem Gesichtsausdruck hatte er seine Arme hinter dem Kopf verschränkt und ließ sich rückwärts, zurück auf das Sofa fallen. “Tja, Tweek ist eben nen totaler Vollspaßt. Echt Alter, mein herzlichstes Beileid, dass du’s mit ihm aushalten musst…”, flötete er geradezu und schloss die Augen, während er dort auf diesem Sofa lag, welches mehr einem Bett ähnelte, da es so schrecklich groß war. Hier bei Token war alles so riesig… sogar das Essen, meine Fresse! Oder habt ihr schon mal Chipstüten gesehen, die die Größe von Einkaufstüten normaler Leute haben?! Aber okay, eigentlich hatte ich nicht vorgehabt mich über Tokens Bonzigkeit auszulassen, sondern viel mehr darüber, wie viel Freude meine Aussage meinem besten Freund bereitete. Token nickte nun nur leicht, auf Clydes Aussage hin. War ja mal wieder klar, dass er nichts dazu sagte… der Typ war eindeutig zu passiv. Ich hingegen konnte gerade auch nicht sehr viel mehr raus bringen, als ein stumpfes ‘Hm-hm…’, mit welchen sich der Braunhaarige unter uns jedoch sofort zufrieden gab. Ich wusste nicht warum, eigentlich zog ich gerne über Tweek her. Wir alle taten es gerne… Den ganzen Abend noch ließ Clyde sich über Blondi aus, lästerte dass sich die Balken bogen, verurteilte ihn, machte ihn schlecht. Token hielt wie immer die Klappe, stimmte hier und da mal zu und konzentrierte sich darauf jedes Mal auch ja schön zu grummeln, wenn er uns, seine Gäste, bedienen durfte. Und ich? Irgendwas schien mit mir nicht zu stimmen. Immer wenn ich gerade ansetzten wollte, zu einem vernichtenden Satz gegen den Kaffeejunkie, flammten vor meinem geistigen Augen die Bilder, welche ich heute gesammelt hatte auf. Tweeks Unbeholfenheit, während er versucht hatte seine Hausaufgaben zu machen. Wie traurig er geschaut hatte, nachdem seine Mutter so nen Fetz draus gemacht hatte, dass ihr Sohn mal Besuch hatte. Und seinen Gesichtsausdruck, als er meinte, ich bräuchte nicht lügen… Glücklicherweise bemerkten meine beiden Freunde nicht viel davon. Naja, vielleicht hatte Token es etwas mitbekommen, aber dem Idioten entging ja eh nichts. Nur gut für mich, gerade dass er so passiv war. Somit sprach er mich nicht darauf an um womöglich Clyde auch noch darauf aufmerksam zu machen. Ich glaube Clyde hatte sich am Anfang dieses Abends ernsthaft Gedanken gemacht. Aber jetzt wo er gehört hatte, dass sich meine Meinung Tweek gegenüber kein Stück geändert hatte, schien er der selbe Optimist zu sein, wie sonst auch… Naja, zumindest manchmal. Da fragte ich mich wirklich wie wir Drei es geschafft hatten, uns Freunde zu nennen. Wir waren ja mal sowas von verschieden, ein Wunder, dass wir uns nicht lenkst gegenseitig an die Gurgel gesprungen waren. Clyde, mit seinen ständigen Stimmungsschwankungen. Mal war er vollkommen optimistisch, dann plötzlich pessimistisch, im nächsten Moment schien er die Gelassenheit in Person zu sein, wobei er drei Minuten später schon wieder den Hasenfuß schlecht hin darstellte. Token war so neutral, dass er irgendwie mehr wie Maschine, als Mensch wirkte. Und ich… Naja, mich beschrieb man wahrscheinlich am besten mit den Worten pessimistisch, gelangweilt, abwesend, teilnahmslos… und ziemlich schnell gereizt. Aber vielleicht stimmte ja gerade deswegen der Satz ‘Gegenteile ziehen sich an’… denn so unterschiedlich wir auch waren, ein Leben ohne diese beiden Idioten konnte ich mir einfach nicht vorstellen. _________________________________________________________ Tjaa, das war also der Mittwoch. Das Kapitel gefällt mir diesmal wieder besser, ich weis auch nicht warum... wahrscheinlich einfach weil Tweek mehr vorkommt xD Ich hoffe es hat euch gefallen :) das nächste Kapitel, also der Donnerstag, ist bereits in Arbeit, wird wohl aber noch etwas dauern. Man hat ja jetzt schon gemerkt, dass es etwas langsamer voran ging... das liegt einfach an der Schule und sowas... kennt ihr ja sicherlich ~.~ außerdem wird der Donnerstag etwas länger, weil ich für den viel eingeplant habe... mal schauen ._. njoo, auf jeden Fall freue ich mich aber auf den Donnerstag ganz besonders, ich hoffe er wird so toll, wie ich es mir vorstelle >D Ein mega fett großes Danke an meine tolle Leserschaft! Meine Fresse, 16 Kommis und 23 Favoriten schon nach zwei Kapiteln...! Ich liebe euch ;__; jeder Kommentar und jeder Favorit bedeuten mir echt viel! ♥ ♥ ♥ Greezes ♥ Kapitel 4: IV - Donnerstag -------------------------- Kapitel 4 Ich war ein absoluter Fernsehmensch. Sicherlich gab es Menschen, die Fußballspielen zu ihren Hobbys zählten. Oder Fahrradfahren, joggen, chatten, lesen, und, und, und… Bei mir war das anders. Ich würde Fernsehen nicht unbedingt als mein Hobby betrachten, aber dennoch füllte es einen gewaltigen Platz in meiner öden Freizeit aus und irgendwie konnte ich mir nicht so ganz vorstellen, was ich ohne meine heißgeliebte Glotze tun würde. Am liebsten schaute ich mir eine ganz bestimmte Sportwagen Sendung an, deren Name und Inhalt mein ‘stark pigmentierter’ Freund für vollkommen bescheuert hielt und die mich nun schon seit der Grundschule mehr beschäftigte als Gott und die Welt. Aber natürlich schaute ich mir nicht tagtäglich, ununterbrochen nur den ‘roten Renner’ an. Genauso wie alle Anderen hatte auch ich noch nicht mit der sinnlosesten Serie überhaupt abschließen können, die zwei furzende Kanadier zeigte, welche aus unerklärlichen Gründen seit Anbeginn der Zeiten tagtäglich immer das selbe T-Shirt trugen… Aber wie auch immer. Neben diesem Schrott liebte ich eigentlich so ziemlich alles, was im Fernseher so kam, außer diese verweichlichten Liebeschnulzen natürlich. Eine weitere Schwäche von mir waren Horrorfilme. Je blutiger desto besser. Damals hatte ich nie verstehen können, warum Menschen sich so was ansahen, nein viel besser, ich hatte nicht einmal drüber nachgedacht. Dieses Thema war mir einfach so lächerlich vorgekommen und unverständlich, dass es mir schlichtweg egal gewesen war, wie Leute auf solche Ideen kamen. Aber irgendwas schienen diese Streifen etwas an sich zu haben, dass alle Teenager so sehr darauf abfuhren. Mein liebster Horrorfilm stellte ein einziges Massaker dar, die Synchronisierung bestand hauptsächlich aus Schreien, überall lagen Gehirne und Eingeweide rum, Blut hier, Blut dort… Und aus irgendeinem Grund musste ich nun genau an diesen Film denken, als ich mein Mittagessen anstarrte. Von meiner Mutter war ich ja schon keine gute Küche gewohnt, aber dieser Kantinenfraß hier gab mir nun doch irgendwie den Rest. Tatsächlich hatte ich für einen Moment geglaubt, die Hackfleischsoße hätte mir eben noch kurz zugezwinkert… “Könnt ihr bitte aufhören, mich so anzustarren?”, grummelte ich entnervt, während ich meinen Kopf hob und das Essenstablett ein wenig von mir schob. Natürlich hatte ich mit diesem Satz nicht mein im wahrsten Sinne des Wortes ’lebhaftes’ Essen gemeint, sondern zwei ganz bestimmte Personen, mir gegenüber. Zuerst wanderte mein Blick zu meinem besten Freund. Clyde schaute mich an wie ein Unschuldsengel und tat allen Ernstes so, als wäre er bis eben schwer damit beschäftigt gewesen, sich in seinem Löffel zu betrachten. Ich konnte ein Augenrollen nicht unterdrücken und musterte skeptisch die Person rechts neben ihm. Auch Token wollte mir anscheinend weiß machen, dass er absolut gar nicht wusste, was ich denn meinte. Demonstrativ ließ er sein Buch ein wenig sinken, dessen Namen ich nicht einmal vernünftig lesen konnte, so schwer war der Titel, und erwiderte meinen Blick ausdruckslos. “Warum, was meinst du?” Gott, wenn Clyde jemals versuchen sollte, durch Lügen die Welt zu retten, dann würde ich mich freiwillig selbst erschießen. Als hätte ich ihre Blicke nicht auf mir gespürt, fragend, zweifelnd. Den ganzen Tag lang ging das schon. Sie löcherten mich ja förmlich damit! Anscheinend war ihnen an meinem Gesichtsausdruck aufgefallen, dass ich nicht unbedingt zu einer Diskussion aufgelegt war. Meine Fresse, wenn sie mir etwas zu sagen hatten, dann sollten sie das jetzt tun, oder es endgültig vergessen. Denn ganz ehrlich, auf die Dauer wird man richtig paranoid, so beobachtet zu werden… Zu meiner Verwunderung war Token es, welcher nun das Wort an mich richtete. Also war es ernst. “Du legst dich ganz schön ins Zeug für diese Wette”, stellte er fest, ohne dass sich eine Regung in seinem Gesicht zeigte. Gott, das war ihr Problem?! Natürlich legte ich mich ins Zeug, war jawohl auch verständlich oder? “Ist doch klar, oder hätte einer von euch Lust, Cartman, der Tonne, fünfzig Mücken zu servieren?”, gab ich fauchend zurück und ließ meinen Blick noch etwas finsterer werden. Den ganzen Vormittag über hatte ich mit Tweek, dem Freak verbracht. Hatte jede erdenkliche Partnerarbeit mit ihm gemacht und hatte es in jeder Stunde -natürlich rein zufällig- geschafft, neben ihm zu sitzen. Schließlich würde sich der Kaffeejunkie jawohl kaum von selbst in mich verlieben. Und dann nahm ich mir hier einmal eine kurze Auszeit von dem Nervenbündel, da wurde ich auch schon mit sonem Dreck voll gequatscht! Irgendwie machte Token den Eindruck, als wolle er etwas sagen, ließ es dann aber anscheinend doch bleiben. Ich hasste es, wenn er so was tat. Dabei wirkte er immer so scheiße reif und überlegen, als wisse er alles und hätte zu allem den perfekten Kommentar, schien sich aber zu schade um ihn mit uns zu teilen. Und Fuck! Natürlich waren seine Kommentare immer perfekt, der Junge musste nen Gehirn haben, wie nen Elefant Ohren hat! Wütend funkelte ich ihn an, kassierte aber nur diesen schlauer-Denker-Blick von ihm und wusste absolut nicht, was in ihm vorging. Ich glaube sein Schweigen hatte auch ein wenig damit zu tun, da er bemerkt hatte, dass ich auf Streit aus war. Token war seltsamer Weise unheimlich gut, so was aus dem Weg zu gehen, auch wenn er mich damit meistens unbewusst nur noch mehr auf die Palme brachte. Unsere stumme Diskussion musste wohl ganz schön komisch wirken, da Clyde etwas verwirrt seinen Blick zwischen uns hin und her wandern ließ, in der Hoffnung irgendwie mal was anderes als nur ‘Bahnhof’ zu verstehen. “Ach wisst ihr was? F**** euch doch einfach.” Entnervt wie eh und je stand ich auf, als mich eine Hand festzuhalten versuchte. “Craig warte, so war das nicht gemeint! Wir machen uns nur Gedanken und irgendwie… na ja, wir wissen nicht, ob es wirklich so gut ist, dass du so viel Zeit mit dem da verbringst”, murmelte Clyde nun, wobei er ein wenig schneller sprach als sonst. Am Ende seines Satzes klang er richtig verachtend und deutete mit dem Daumen über seine Schulter. Irgendwie hatte ich gar nicht mitbekommen, dass Tweek in die Cafeteria gekommen war. Und als mich dann die Erkenntnis traf, dass Clyde unwiderruflich den Jungen meinte, spürte ich wie ich für einen kurzen Augenblick noch wütender als ohnehin schon wurde. Davon wurde ich jedoch ziemlich schnell abgelenkt. Ein angeregtes Gemurmel flutete die Cafeteria und man musste wirklich so naiv wie Tweek sein, um nicht zu verstehen, dass alle Welt sich auf ihn konzentrierte. Wie so viele Andere starrte auch ich auf die offenen Schnürsenkel seiner Schuhe, welche bedrohlich hin und her flogen, ohne dass er es zu bemerken schien, während er mit panischem Gesichtsausdruck auf einen der leeren Tische zusteuerte. Vielleicht war es auch ein Tisch, an dem zwei, drei Loser saßen, es war mir egal, für mich war der Tisch leer. Außerdem hatte ich nicht sonderlich das Bedürfnis danach, mich jetzt weiter damit zu befassen. Merkte er denn wirklich nicht, dass seine Schuhe offen waren? Wie aufs Stichwort hörte ich ein Zischen vom Tisch neben mir und es brauchte keine drei Sekunden, bis ich die Stimme hatte zuordnen können. “Passt auf, gleich fliegt er, ich sag’s euch! Mann, das wird nen Riesen Spaß!”, feixte das fette Hängebauchschwein neben mir, auch bekannt unter den Namen Wabbelwampe, Fettklos, Fettarsch und Cartman. Ich unterließ es noch einmal zu Tweek zu sehen. Ich wusste nicht warum, aber wieder schien meine Laune um ein paar Oktaven zu sinken und befand sich nun unmittelbar im Keller. “Das ist jawohl nicht euer ernst”, wandte ich mich wieder an Clyde und entriss mich seinem lockeren Griff um mein Handgelenk, “ich kann schon ganz gut auf mich alleine aufpassen, wisst ihr?” Ich konnte nicht verstehen, warum dieses Thema die beiden so unglaublich zu beschäftigen schien, schließlich war das doch meine Sache. Und nur weil ich jetzt nen bisschen Zeit mit Tweek verbrachte, musste das doch nicht zwangsläufig heißen, dass ich nun auch mega auf Kaffee abfuhr, angst vor Unterhosen klauenden Wichteln bekam und zitternd durch die Gegend lief! Mit großen Schritten machte ich mich auf den Weg zu der großen Flügeltür, wobei ich nun fast in Tweek hinein rannte, welcher erschrocken in sich zusammen fuhr und ein lautes ‘C-Craig!’ von sich hören ließ. Zwar war mir nicht danach, aber dennoch fiel es mir gar nicht mal so schwer, ein schiefes Lächeln aufzusetzen. “Nein, der Papst höchst persönlich”, scherzte ich und knuffte ihm freundschaftlich gegen die Schulter. Kurz schaute er mich aus großen Augen an, die ich absolut nicht interpretieren konnte, bis sie etwas fragendes annahmen. Seltsam wie viele Welten zwischen seinem Blick und dem von Clyde lagen, wenn sie doch irgendwie beide das Selbe auszustrahlen schienen. Clyde hatte immer irgendwie etwas spitzbübisches an sich, wenn auch nur ganz gering, was ihn auch nicht weniger sympathisch wirken ließ. Tweek dagegen sah aus wie ein kleines, treudoofes Kind, dass gerade zu verstehen versuchte, woher die Babys kamen. “H-hast du -ngh- hast du gar keinen Hunger? Oder… Oh Gott! Geht’s dir nicht gut?!”, stotterte er, wobei seine Augen noch etwas größer wurden. Kurz lachte ich ganz leicht und schüttelte meinen Kopf, wobei ich meine Hände in den weiten Taschen meiner blauen Jacke verschwinden ließ. “Ne, is alles okay. Ich wollt nur mal eben eine rauchen”, meinte ich und seine Gesichtszüge entspannten sich etwas. “Ach ja, was ich noch fragen wollte: Hast du Lust heute zu mir zu kommen?” Wie vom Blitz getroffen starrte er mich an und brauchte einen kurzen Moment um zu reagieren. Dabei wandelte sich seine Ausstrahlung einmal um 180° weswegen er mich also freudestrahlend ansah. “Meinst du das -gah- ernst?! Also… Oh Gott, total gerne, wirklich! W-wann soll ich denn dann kommen?” Wieder musste ich leicht lächeln, bei seiner überschwänglichen Antwort und zuckte leicht mit den Schultern. Ohne, dass es wirklich gewollt war, musterte ich ihn für den Bruchteil einer Sekunde, stockte aber wieder bei seinen offenen Schuhen. Dabei fiel mir auch erst jetzt auf, wie viele Augenpaare auf uns gerichtet waren. Ich war mir ziemlich sicher, dass es dabei nichts mit mir zu tun hatte, sondern viel mehr damit, was als nächstes mit Tweek passieren würde. Oder über was ich ihn eventuell in Kenntnis setzen könnte… Fast hätte ich gedacht von einem der hinteren Tische so was wie ‘wehe er…’ zischen gehört zu haben. “Keine Ahnung, so um vier?”, schlug ich vor und war schon dabei weiter zu gehen, als ich mich doch noch einmal zu ihm umdrehte, “Ach, ähm Tweek?” Zwei kaffeebraune Augen richteten sich auf mich und… es blieb still. “…ach schon gut. Wir sehen uns gleich in Mathe.” Ein seltsames Gefühl von Taubheit breitete sich in mir aus und die nächsten Sekunden kamen mir so vor, als würde ich sie nicht selbst miterleben, sondern mehr, als hätte mir nur jemand davon erzählt. Ein kurzer und erschrockener Schrei hinter mir durchzuckte die Cafeteria. Als man kurz darauf den dumpfen Aufprall eines schmächtigen Körpers und eines Tabletts auf dem Boden hörte, hatte ich bereits die Tür erreicht und verschwand durch diese, wobei man noch im Flur dahinter das polternde Lachen vieler Schüler vernehmen konnte. Vielleicht hätte ich Tweek sagen sollen, dass seine Schnürsenkel offen waren. Und Jesus, für den Bruchteil einer Sekunde war ich ja sogar drauf und dran gewesen, ihn daraufhin zu weisen. Warum ich es letzten Endes nun doch nicht gemacht hatte, wusste ich nicht genau. Jeder hatte sich denken können, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen war, wann er hinfallen würde. Die hatten es alle gewusst, und nur darauf gewartet. ICH hatte es gewusst und ihn ins offene Messer laufen lassen. Trotzdem bereute ich es nicht, was vielleicht auch gerade an diesem ernüchternden Gefühl lag, welches mich so sehr einnahm. Vielleicht wusste ich doch, warum ich Tweek nicht geholfen hatte. Ich hätte mich selbst auch unbeliebt gemacht - unbeliebter als ich sowieso war - und warum bitte sollte ich das tun? Warum so werden, wie Tweek? Am Ende würden Clyde und Token noch recht haben und das konnte ich unter keinen Umständen zulassen. Und mal ganz ehrlich, wem gefiel schon der Gedanke, unbeliebt zu sein, wegen eines blöden Fehlers? Tweek würde nicht wissen, dass ich ihn hätte warnen können. Somit hatte ich ihn nicht enttäuscht, was schlecht für meine Gewinnchancen bei der Wette gewesen wäre. Alles war gut, ich hatte das Richtige getan. Die Nüchternheit aber hielt komischer Weise noch eine ganze Weile an und ließ es nicht zu, dass ich mich weiter wütend fühlte, oder sonst was. Ich fühlte… befriedigende Leere. * “Craig? Bist du das?” Innerlich seufzend ließ ich meine Schultern etwas sinken, mein angespannter Gesichtsausdruck nahm etwas enttäuschtes an, das spürte ich ganz deutlich. Sonst gelang es mir eigentlich immer ganz gut, unbemerkt ins Haus zu kommen und direkt nach links, die Treppe hoch zu verschwinden. Ich mochte diese typischen Familienbegrüßungen nicht sonderlich und ging ihnen daher lieber aus dem Weg. Auch wenn ich mir eigentlich ziemlich sicher war, dass eine Begrüßung bei uns niemals so sein würde, wie bei anderen. Bei Token und Clyde hatte ich mitbekommen, wenn sie ihre Eltern begrüßten oder umgekehrt, dass alles irgendwie Herzlichkeit ausstrahlte. Sie nahmen sich in den Arm, küssten sich auf die Wange, was auch immer… Ich hatte nie versucht mir das bei mir und meiner Familie vorzustellen, vielleicht weil das auch gar nicht möglich war, ich wusste es nicht. Vielleicht mochte ich diese typischen Familienbegrüßungen ja auch einfach nicht, gerade weil ich mir so sicher war, dass sie bei mir niemals so normal und perfekt sein würden, wie bei anderen. Egal, zurück zum Thema. Auf jeden Fall war es mir heute nicht gelungen, mich ohne Aufsehen zu erwecken in mein Zimmer zu verkrümeln. Noch im selben Moment als ich meinen Kopf etwas zur Seite drehte, konnte ich meine Mutter um die Ecke kommen sehen. Ich denke, meine Mutter ist einmal eine ziemlich hübsche Frau gewesen. Nicht, dass sie jetzt hässlich war, oder so. Sie hatte blonde, lange Haare. Eine schöne Haut, war schlank, trug immer dieses schüchterne Lächeln im Gesicht, das gleichzeitig immer etwas verwirrt wirkte. Dennoch fehlte etwas in ihrem Gesicht. Die Lebensfreude war nirgendwo zu erkennen, auch das sanfte Glitzern in ihren Augen fehlte. Sie wirkte einfach nicht wie eine Mutter, die gerade ihren einzigen Sohn begrüßte. Viel mehr wie eine traurige Hausfrau, die es sich nicht gestattete, mehr von ihrem Leben zu erwarten, es gleichzeitig aber durch ein Lächeln überspielen wollte, um ihren Kindern und ihrem Ehemann kein schlechtes Gewissen zu bereiten… Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn ich sie einfach einmal umarmt hätte, um ihr zu zeigen, dass sie geliebt wurde. Aber dann wäre ich nicht ich. “Craig, da hat so ein Junge angerufen… ähm… Kurt, glaube ich”; murmelte sie nachdenklich und legte sich demonstrativ einen Zeigefinger an ihre Unterlippe. Als sie weiter in meiner Nähe stand, konnte ich den Geruch nach verbranntem Essen vernehmen und mein Magen zog sich unweigerlich etwas zusammen. Ob nun vor Ekel oder Hunger wusste ich nicht. Was ich aber wusste, ich würde das Zeug definitiv nicht anrühren. Zwar hatte ich schon in der Mittagspause nichts gegessen, aber ich war mir ziemlich sicher, oben noch irgendetwas in meinem Zimmer zu haben. Was in diesem Haushalt eindeutig von Vorteil war, wenn man nicht an Lebensmittelvergiftung sterben wollte… “Kurt? Oder meinst du Clyde?” Eigentlich hätte ich mir die Frage sparen können, da ich mir eigentlich hundertprozentig sicher war, dass es mein bester Freund gewesen war. “Wer?” “Clyde. Clyde Donovan. Hat der angerufen?” Kurz blinzelte sie mich verwirrt an, als ihr ein Licht aufzugehen schien. “Ah ja, genau der! Karl, Karl hat angerufen! Er meinte ich soll dir sagen, dass du zurückrufen sollst”, stolz lächelte sie, und schien meinen Gesichtsausdruck gar nicht zu bemerken, den ich nur krampfhaft unter Kontrolle behalten konnte. Irgendwann würde ich noch mal ausflippen… “Danke, Mum…”, seufzte ich nachgiebig und wandte mich dann wieder zum Gehen. Es würde eh keinen Sinn machen, das ging eigentlich schon so lange so, wie ich denken konnte. Eigentlich aber schon ein wenig traurig, dass sich meine Mutter immer noch nicht den Namen meines besten Freundes merken konnte, wobei ich diesen doch nun schon seit der Grundschule kannte und auch nicht selten mit nach Hause brachte. Aber es war mir egal, ehrlich. * Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich durch das zaghafte Pochen an meiner Tür geweckt wurde, fand ich mich in meinem Bett wieder und ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass es bereits viertel vor vier war. Schläfrig und immer noch nicht in Höchststimmung setzte ich mich also auf und fuhr mir kurz durch die Haare, bevor ich gänzlich aufstand und die Tür öffnete. Der Anblick war für mich im ersten Moment ein wenig verwirrend, da ich einen Moment brauchte um zu verstehen, was Tweek hier zu suchen hatte. Aber natürlich viel mir sofort wieder die Situation aus der Cafeteria ein, wo ich Tweek zu mir eingeladen hatte… Meine Mutter, die ihm anscheinend die Tür geöffnet hatte, blickte mich etwas verwirrt - verwirrter als sonst - an. “Craig, du hast Besuch, ähm…”, unsicher wanderte ihr Blick zu Tweek und ich glaubte zu wissen, dass das nicht daran lag, weil er ihr fremd erschien. Meine Mundwinkel sanken ein ganzes Stück weit, als ich nach Tweeks Ärmel griff und ihn zu mir ins Zimmer zog. Irgendwie machte mich das gerade ein wenig ärgerlich. Nicht dass Tweek da war. Auch nicht, dass meine Mutter ihn anscheinend bereits als Freak identifiziert hatte. Sondern viel mehr, dass es mir nicht gefiel, was sie in ihm zu sehen schien. Eigentlich sollte mich das gar nicht interessieren, trotzdem verspürte ich den plötzlichen Drang dazu, meine Mutter wieder los zu werden… “Danke”, war die knappe und eher rhetorische Antwort, als ich die Tür auch schon wieder schloss und die blonde Frau somit aussperrte. Sollte sie von Tweek doch denken was sie wollte, sie würde ihn wahrscheinlich eh nie wieder bei mir antreffen. Zumindest nicht, nachdem diese Woche zu Ende war. Wie bestellt und nicht abgeholt stand Tweek etwas ratlos in meinem Zimmer und zupfte an dem Saum seines Hemds, während er seinen Blick langsam über meine klägliche Einrichtung wandern ließ. “D-deine Mutter… uhm… wirkt sehr nett”, stotterte er vorsichtig und ich wusste, dass es rein aus Höflichkeit gelogen war. Das lag nicht an der Tatsache, dass Tweek in dieser Sache eine genauso große Niete wie Clyde zu sein schien, sondern viel mehr, weil meine Mutter gerade alles andere als ‘wirklich sehr nett’ gewirkt hatte. “Wie man’s nimmt…”, seufzte ich und fühlte mich genauso fehl am Platz, wie Tweek gerade aussah. Irgendwie schien mein Satz für ihn keinen richtigen Sinn zu ergeben, oder zumindest sehr verwirrend zu sein, da er mich nun etwas unverständlich ansah und seine Position somit lockerte. “Magst… du -nhg- deine Mutter etwa nicht?” Ein Schulterzucken meinerseits. “Keine Ahnung… wahrscheinlich nicht so sehr, wie ich sollte.” Tweeks Kaffeeartige Augen wurden etwas größer. Natürlich verstand er nicht was ich meinte, seine Mutter konnte man nicht mit der meinen vergleichen, auch wenn sie in Tweek wohl ebenfalls einen kleinen, freundlosen Freak sah, wenigstens schien sie ihn echt gern zu haben. Das hatte mir der gestrige Nachmittag definitiv bewiesen. “A-aber es ist doch -gah- doch deine Mutter!” Mir wurde ziemlich schnell bewusst, dass ich da wohl gegen eine Wand redete, oder es zumindest tun würde, wenn ich versuchte ihm zu erklären, was der Unterschied zwischen seiner Mum und meiner war, dass nicht alle Mütter ihren Sohn mit einem Küsschen und der Bezeichnung ‘Schatz’ begrüßten und sich abartig dolle freuten, wenn dieser Besuch mitbrachte. Als Antwort ließ ich ein resigniertes Seufzen von mir hören und beendete somit das Thema. Ich hatte keine Lust mich weiter darüber zu unterhalten und Tweek schien das zu verstehen. Trotzdem änderte das aber nichts an der Tatsache, dass wir nun wieder stillschweigend in meinem Zimmer herum standen und ganz offensichtlich nichts mit uns anzufangen wussten. “Lass uns rausgehen…” * In South Park herrschten über das Jahr hinweg nur zwei Jahreszeiten. Winter und Juli. So seltsam es sich auch anhören mochte, das war die reine Wahrheit. Eigentlich lag das ganze Jahr über weißer Schnee, egal wohin man sah. Man konnte das hinnehmen wie man wollte, am Ende änderte sich doch nichts daran. Es war lustig zu beobachten, wie unterschiedlich die Meinungen darüber waren und besonders, welches Muster sich daraus erkennen ließ. Die Kinder fanden den Schnee zum Großteil toll. Für sie war er noch etwas Besonderes, sie konnten mit dem Schlitten fahren, Schneemänner bauen, auf den zugefrorenen Seen rund um South Park Schlittschuhlaufen, sie konnten sich Taschengeld verdienen, indem sie Einfahrten frei schaufelten, so wie wir früher, und, und, und. Die Erwachsenen mochten den Schnee vielleicht nicht unbedingt, akzeptierten ihn aber. Sie hatten sich daran gewöhnt. Sie wären alt genug um weg zu ziehen, falls sie das gefrorene Wasser nicht mehr ertragen könnten, haben sich aber sichtlich damit abgefunden, dass es hier einfach so war, wie es war. Einige mochten den Schnee vielleicht sogar, das waren dann aber bestimmt solche Leute, die Zuhause arbeiteten, oder gar nicht. Die nicht jeden Morgen in der Früh raus mussten, in die eisige Kälte um zur Schule zu gelangen. Wo wir auch schon bei der dritten Gruppe wären, zu der Tweek ich und zählten. Hier war es schwieriger eine umfassende Einstellung gegenüber des Schnees erkennen zu können. Einige wenige mochten ihn vielleicht, von dem Großteil aber hörte man, dass sie ihn als lästig empfanden. Als Teenager war man zu alt um Schlitten fahren zu gehen, jedoch zu jung um eigenständig in eine wärmere Umgebung zu ziehen. Der Schnee war über die Jahre nervig geworden, hatte keinen Reiz mehr. Das Streusalz und die ständige Nässe auf den Wegen versaute lediglich Hosensaum und die neuen, teuren Schuhe, von denen man sich mehr versprochen hatte, als dass sie bereits nach kürzester Zeit erneuert werden müssten. Dabei entwickelte jeder noch eine eigene Note zu seiner Meinung. Butters zum Beispiel war viel zu optimistisch, als dass er Schnee jemals schlecht heißen würde. Bebe verfluchte das weiße Zeug hingegen jeden Tag aufs Neue (anscheinend ebenfalls wegen der Sache mit den Schuhen…). Mir war der Schnee relativ egal. Er nervte, klar. Aber wie schon gesagt, ich konnte ja doch nichts daran ändern. Und weil ich Leute hasste -solche wie Bebe- die sich immer und immer wieder über das selbe Thema ausließen, hatte ich damit begonnen, mich einfach damit abzufinden und mich im Stillen darüber zu ärgern, ohne jemandem dabei auf die Nerven zu gehen. Naja, solange man von der dadurch entstehenden schlechten Laune absah, über die sich Clyde so oft aufregte… Neben mir ließ Tweek ein kleines Niesen von sich hören, noch bevor wir überhaupt richtig draußen waren, welches ich eigentlich als süß bezeichnet hätte, wäre es von einem Mädchen und nicht von Tweek gekommen. Ich sparte mir ein ‘Gesundheit’ und lächelte ihn stattdessen etwas schief an. Ich denke mein Blick signalisierte das selbe, denn kurz darauf bildete sich auch auf Tweeks Gesicht ein winziges Lächeln. Es sah fast so aus wie dieses, welches mir schon in den beiden vergangenen Tagen aufgefallen war, nur dass es jetzt einen gewissen Touch von peinlicher Berührtheit aufwies. Die Luft welche uns entgegen kam, war nicht annähernd so kühl wie sonst. Man konnte also deutlich spüren, dass die Tage so langsam immer wärmer wurden. Das zeichnete sich aber auch auf sichtbare Weise ab. Tagsüber war es nun immer warm genug, dass der Schnee anfangen konnte zu schmelzen. Erst nachts begann das dadurch entstehende Wasser wieder zu gefrieren und bildete eine Spiegelglatte Oberfläche auf den Gehwegen. Mit vorsichtigen Schritten betraten der Kaffeejunkie und ich den kleinen Gehweg, welcher von meinem Haus zur Straße führte, quer durch unseren mickrigen Vorgarten. Die ganze Zeit hatte ich in Gedanken darüber philosophiert, wie der Schnee hier bei den Einwohnern ankam und erst jetzt fragte ich mich, wie Tweek wohl zu dem Thema stand. Sicherlich fand er das Zeug ganz toll, so wie dieser schwule Brite und Butters. Eigentlich hätte ich mich damit auch zufrieden geben können, aber jetzt wo mir der Gedanke schon mal gekommen war, bin ich wohl neugierig geworden. Außerdem war es eh viel zu still nach meinem Geschmack. Ich hasste es zwar selbst Gespräche zu beginnen und war daher froh, dass Clyde so eine Plaudertasche war, dass er meistens ununterbrochen redete, aber trotzdem. Stille fand ich eben noch schlimmer. “Tweek, wie findest du Schnee?” Er musste mich wohl für vollkommen bescheuert halten, das spürte ich auch ohne den Blick vom Boden zu heben. Sicherlich hatte er das Gesicht in meine Richtung gedreht, schaute mich an als wäre ich von einem anderen Stern oder so und würde mich gleich auslachen für diese… na ja seltsam klingende Frage eben. Zu meiner Verwunderung traf das aber nicht ein und ich hob doch noch meinen Kopf um seine Reaktion sehen zu können. Tweek schaute ebenfalls auf den Boden, wirkte dabei aber nicht abwesend sondern aufmerksam. Man konnte erkennen dass er über meine Frage nachdachte, zumindest sah es für mich so aus, und antwortete mir fast noch im selben Moment als ich glaubte, er hätte mich vielleicht gar nicht gehört. “Ich -gah!- mag Schnee nicht… generell den Winter!” Es war lustig Tweek zuzuhören. Obwohl er irgendwie betrübt klang, schien seine Stimme immer noch so überdreht und panisch. Ich schätze mein Blick wurde fragend, als ich nichts darauf zurück gab, denn er schaute mich nur ganz kurz an, richtete dann sofort wieder seine Augen auf den Boden und stotterte weiter. “Es ist viel -ngh- v-viel zu glatt! Ich… ich werde irgendwann noch mal ausrutschen und… Oh Gott! Was wenn ich dann auf meinen Kopf falle oder… oder wenn ich mir was breche?!” Panisch griff er sich in die Haare. Jetzt wusste ich, warum er die ganze Zeit auf den Boden starrte. Tweek hatte einfach nur angst auszurutschen, was aber auch kein Wunder war, bei dem glatten Untergrund. “Das wird schon nicht passieren”, gab ich amüsiert von mir und vergrub meine Hände noch tiefer in den Taschen. Doch auch wenn Tweek mit seinen Überlegungen vielleicht ein wenig übertrieb, bekam ich eine Art Gewissensbisse. Ich hatte einfach entschieden, dass wir rausgehen würden, ohne ihn überhaupt nach seiner Meinung zu fragen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir drinnen geblieben wären, wenn ich es gewusst hätte. Der Gedanke daran, so sehr auf Tweek Rücksicht zu nehmen gefiel mir nicht unbedingt, aber das änderte trotzdem nichts an meinem aufkommenden schlechten Gewissen. Zögernd blieb ich stehen, als wir fast die Gartenpforte erreicht hatten, was Tweek ebenfalls zum Stehen brachte und er mir einen verwirrten Blick zuwarf. “Hmm… warte”, war meine einzige Erklärung, woraufhin ich mich um wandte und nicht zurück zur Haustür ging, sondern mich auf den Weg zu unserem Hinterhof machte. Ich hatte nicht wirklich gemeint, dass Tweek genau dort stehen bleiben sollte und war daher froh, als ich bemerkte, dass er mir unsicheren Fußes folgte. Unser Hinterhof, oder Garten, wie auch immer, war nicht sonderlich groß. Etwas mittig stand eine Schaukel, die meiner jüngeren Schwester gehörte. Weiter hinten befand sich ein kleiner, rechteckiger Schuppen, in dem sich über die Jahre alles mögliche an Gartenutensilien angesammelt hatte. Außen am Zaun entlang wuchsen ein paar Pflanzen, die aber wegen des ständigen Schnees eher kläglich wirkten. Mein Vorhaben schien vielleicht etwas lächerlich, aber irgendwie war mir gerade so danach gewesen und ich machte mir keine wirklichen Gedanken darum, mich vor Tweek blamieren zu können. Schließlich war er hier der Außenseiter und nicht ich. Ich hatte das Gefühl das wieder gut machen zu müssen, dass ich ihn hier einfach mit nach draußen geschleppt hatte, obwohl er den Winter doch nicht leiden konnte. Kein Wunder, dass er mich ziemlich durcheinander ansah, als ich anfing eine kleine Fläche Rasen vom Schnee frei zu schaufeln, bis kein Flecken weiß mehr zu erkennen war. Irgendwann war das Stück so etwa drei mal drei Meter groß - genug wie ich fand - weswegen ich die Schneeschippe achtlos in den Schnee ein paar Meter weiter weg warf und zufrieden mein Werk betrachtete. Ein Blick zu Tweek verriet mir, dass er noch immer nichts mit meiner Aktion anzufangen wusste. Unschlüssig kam er auf mich und mein Ergebnis zu, hockte sich vorsichtig hin und strich mit den Fingerspitzen über das grüne Gras. “Wie im Frühling”, gab ich als Erklärung von mir, als er leicht den Kopf hob und mich immer noch fragend angesehen hatte. Zur Demonstration zog ich mir meine Jacke über den Kopf, so dass ich nur noch ein T-Shirt trug, trat auf die kleine Rasenfläche und legte mich dort hin, wobei ich die Arme unter meinem Hinterkopf verschränkte und so tat, als würde ich die Sonnenstrahlen genießen. Das brachte Tweek leicht zum Lachen und ich fand, dass sich das gar nicht mal so schlecht anhörte, auch wenn es Tweek war. Ich hatte eigentlich immer gedacht, dass seine paranoide Art so was nicht zulassen würde, umso überraschter war ich also, das klingelnde Geräusch von ihm zu hören. Es war tatsächlich noch recht frisch, so freizügig bekleidet, aber es störte mich nicht sonderlich. Ich brauchte Tweek nicht erst aufzufordern, er verstand von selbst dass ich das hier gerade für ihn gemacht hatte, so bescheuert es auch klingen mochte. Er schien zwar zu ahnen, dass es noch kühl war und zog sich daher nicht auch aus, aber trotzdem tapste er ebenfalls vorsichtig auf das Grün und legte sich dann neben mich, hielt die Arme eng anliegend an seinem Körper und starrte in den blauen Himmel. * Gras. Gras unter meinen Fingern. Weiches Gras, das noch ganz nass war, von dem Schnee welcher es bis eben bedeckt hatte. Wind strich über mein Gesicht, meinen Hals, meine freien Arme, meine Handrücken. Kalt fühlte er sich an, aber nicht unangenehm. Ein leichter Schauer prickelte auf meiner Haut. Mit dem Blick gen Himmel gerichtet konnte ich sehen, wie die Wolken gleichmäßig dahin getragen wurden und einen nicht enden wollenden Himmel freigaben. Das sanfte Atmen neben mir wirkte genauso beruhigend wie alles andere auf mich, während es die Stille durchbrach. Obwohl… nein, das war wohl der falsche Ausdruck. Es durchbrach die Stille nicht, es passte sich ihr viel mehr an, verschmolz mit der anhaltenden Harmonie. Ein winziges Lächeln bildete sich auf meinem Gesicht, als ich daran dachte. Normalerweise klang Tweeks Atmung nicht so. Es war nicht wie dieses zitternde Geräusch, als er gestern neben mir gesessen hatte in der Hoffnung, seine Hausaufgaben zu schaffen, wobei er nur mehr Selbstvertrauen gebraucht hätte. Es klang auch nicht wie dieses nervöse Geräusch von vorhin, als ich in der Stunde neben ihm gesessen hatte. Es klang einfach… ganz ruhig. Ich fragte mich, ob sein Gesichtsausdruck wohl gerade dazu passte, zu seinen gleichmäßigen Atemzügen meine ich. Denn um ehrlich zu sein konnte ich es mir nicht vorstellen. So sehr ich es auch versuchte, noch nie hatte ich Tweek in einer Situation erlebt, von der ich hätte behaupten können, er mache auf mich einen beruhigenden Eindruck. Die Frage wie er wohl gerade aussah ließ mich nicht mehr los und ich konnte gar nicht anders als langsam meinen Kopf zu drehen, bis ich auch an meiner kühlen Wange ein paar feuchte Grasspitzen spüren konnte, die mich leicht kitzelten. Mein Blick war erst gesenkt, ich tastete mich von Tweeks abgelaufenen Turnschuhen, über seine Beine zu seiner Hüfte. Anders als bei mir -ich hatte die Arme noch immer unter meinem Kopf verschränkt- lagen Tweeks Hände immer noch dicht an seinen Körper gepresst, wirkten aber lange nicht mehr so angespannt wie vorhin. Seine Hände zitterten auch nicht, so wie sonst. Sie lagen ganz ruhig da und hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich nun sicherlich gedacht, dort neben mir läge nicht mehr Tweek. Der Kaffeejunkie hatte sein Gesicht ebenfalls in meine Richtung gedreht, aber ich glaubte zu wissen, dass er mich schon viel länger angeschaut hatte, als ich ihn jetzt, da ich vorher kein Geräusch gehört hatte, welches sich darauf zurück schließen hätte lassen, er habe sich bewegt. Unbewegt schaute ich ihn an, musterte sein Gesicht und war erstaunt darüber, dass es wirklich zu dem Geräusch seiner Atemzüge passte. Tweeks ohnehin kindliche und sanfte Gesichtszüge waren ganz entspannt, nicht so panisch wie sonst, als müsse er sich darauf vorbereiten, dass in jeder nächsten Sekunde alles Mögliche passieren könnte. Seine Augen glichen immer noch zwei großen Tassen dunklen Kaffees, spiegelten aber keinerlei Emotionen wieder. Entweder dachte der Blonde gerade tatsächlich an absolut nichts, dass sich in ihnen hätte zeigen können, oder er war unheimlich gut darin es zu verbergen. Ich schätze ich machte in diesem Moment einen ziemlich ähnlichen Gesichtsausdruck, zumindest fühlte es sich so an. Kaum zwanzig Sekunden hielt mein Gegenüber aus, ehe er den Blickkontakt unterbrach und stattdessen seine Aufmerksamkeit einem Gänseblümchen widmete, dass direkt neben ihm aus dem Gras ragte. “Warum…?” Ich hätte nie gedacht, ein so klares und flüssiges Wort mal von dieser Stimme gesprochen zu hören. Nichts war zu hören von dem sonstigen Gestotter, dem Genuschel… Aber gut, es war ja wie gesagt auch nur ein einziges Wort gewesen. Das war das erste woran ich dachte, als Tweek seine nicht sonderlich umfangreiche Frage aussprach. Erst dann begann ich mir Gedanken über den Sinn seiner ’Frage’ zu machen, zog nachdenklich eine Augenbraue in die Höhe und schaute ihn weiterhin an. Eine knappe halbe Stunde hatten wir hier einfach so in unserem selbst erschaffenen Frühling verbracht, die Ruhe genossen -zumindest ging das mir so. Während dieser Zeit hatten wir kein Wort gewechselt. Was also meinte er mit ‘warum’? Ich versuchte mich daran zu erinnern, über was wir vorher gesprochen hatten, konnte mir aber keinen Reim darauf machen. “Warum, was?” Es fühlte sich nicht danach an, als hätte ich geantwortet. Viel mehr als wäre es jemand von weit weg gewesen. In meinem Kopf duselten einzelne Gedanken umher, ohne wirklich eine klare Form anzunehmen, bis auf einen. Vielleicht hätte ich es leugnen sollen, aber Tweek wirkte gerade unheimlich interessant auf mich. Wahrscheinlich gerade weil er mir absolut keinen Anhaltspunkt auf das gab, was gerade in ihm vorging. Sonst konnte man das immer. Entweder wirkte er ängstlich, paranoid, oder verletzt und einsam… es gab unglaublich viele ‘Tweeks’ wenn man das so nennen wollte, aber dieser hier war mir absolut fremd. Natürlich hatte er noch immer eine etwas melancholische Art an sich, wie eine Aura oder so was, aber das gehörte nun mal zu ihm. Tweek wäre er nicht Tweek, würde er nicht diese unglaubliche Verletzlichkeit ausstrahlen. Gleichzeitig fragte ich mich, ob er öfter so war wie jetzt, und wenn ja, ob es mir einfach noch nie wirklich aufgefallen war. Es hörte sich sicherlich dumm von mir an, dass mir gerade so was durch den Kopf ging, jedoch schämte ich mich auch nicht dafür. Ich schaffte es die Tatsache, dass ich Tweek gerade für interessant empfand, dass ich aus ihm schlau werden wollte, darauf abzuwälzen, dass es für die Wette von Nöten war. Ich musste ihn doch irgendwie kennen, um ihn zu irgendetwas zu bringen, oder? Ich wusste, dass das gelogen war. Ich wusste auch, dass ich mir nichts vormachen konnte, nicht in diesem Punkt, und trotzdem war ich zu stolz, als dass ich es hätte zugeben können. Jesus, schließlich war das hier immer noch Tweek Tweak, der neben mir lag. Ganz kurz hob der Junge seinen Blick, schaute mich an und widmete sich dann wieder dem kleinen Blümchen, dass so schrecklich einsam wirkte, zwischen den grünen Halmen. “Naja, warum du das alles machst… weil…”, drei, zwei eins, “Gott! I-ich meine, seit wann redest du plötzlich mit mir? Und seit wann -gah- seit wann hilfst du mir bei den Hausaufgaben?! U-und warum lädst du mich zu dir ein?! Oh Gott, das -ngh- das ist doch nicht normal, oder?! Vielleicht w-willst du mich ja… oh Gott! Vielleicht willst du mich töten und dann… w-wenn du das vorhaben solltest, würdest du mir das dann -gah- das dann vorher sagen?!” Es tat mir ein wenig leid, aber ich konnte gar nicht unterdrücken, dass sich auf meinem Gesicht ein breites Grinsen bildete. Es war so typisch für Tweek, dass er so was von sich gab. Ein Wunder dass ich nicht von selbst darauf gekommen war. Aber trotzdem musste ich mir nun überlegen was ich ihm wohl am besten sagte. Die Wahrheit ging jawohl schlecht. Ein noch größeres Wunder war es aber, dass mir ausgerechnet dieser Gedanke in den Sinn gekommen war. Als ob ich Tweek jemals die Wahrheit sagen würde… Das tiefbraune Augenpaar schaute mich verstört blinzelnd an, zuckte aber immer wieder in eine andere Richtung, als wäre es ungesund, jemand anderes länger als zwei Sekunden in die Augen zu schauen. Ich tat Tweek den Gefallen und drehte mein eigenes Gesicht wieder so, dass sich der blaue Himmel vor mir ausbreitete. Ich musste kurz nachdenken, gleichzeitig gab ich dem Jungen somit etwas Zeit, um wieder herunter zu fahren. “Hmm… warum denn nicht?” Ich wusste nicht mit welcher Antwort ich gerechnet hatte, eigentlich mit gar keiner. Wer rechnete auch mit einer Antwort, versuchte sie herauszufinden, wenn man sich sicher war, sowieso in ein paar Sekunden die Richtige zu bekommen. Vielleicht wäre es besser gewesen, ich hätte mit irgendetwas gerechnet, dann wäre ich vorbereitet gewesen. Andererseits hätte ich auch nicht gedacht, dass Tweeks Antwort sich derartig auf mich auswirken würde. Irgendwie traf es mich wie ein winziger Stromschlag, zeckte etwas, wie man sagte. “Weil ich ein Freak bin.” Wieder erstaunte es mich, mit welcher Festigkeit er diese Worte herausbrachte, ohne sich auch nur einmal zu verhaspeln. Anscheinend war er in dem Punkt wohl ziemlich überzeugt von der Richtigkeit seiner Worte. “Ich finde dich interessant.” “Weil ich anders bin?” “Weil du besonders bist.” Diesmal war Tweek es, der wohl nicht mit solch einer Antwort gerechnet hatte. Während unserer winzigen Diskussion hatten wir uns beide nach und nach aufgerichtet und schauten uns mit festen Blicken in die Gesichter. Zumindest war es so gewesen, jetzt schaute Tweek wieder mit diesem unerklärlichen Blick hinab auf das Gänseblümchen, dass zwischen uns wuchs. Es war sinnlos und irrelevant, doch trotzdem fragte ich mich, ob er sich wohl mit diesem verglich. Einerseits war es so unauffällig, dass man kaum Kenntnis von ihm nahm. Gleichzeitig aber ein totaler Außenseiter hier, auf dem Flecken Gras… “Und warum… -ngh-… denkst du das?” Jetzt klang Tweeks Stimme zögernd und unsicher. Vielleicht aber auch nachdenklich… ich konnte es nicht genau beschreiben. Es klang nach Tweek eben. Der Tweek, wie er war und anscheinend immer sein würde. “Warum, warum, warum”, seufzte ich und ließ mich wieder hinab ins Gras sinken. Diesmal schloss ich meine Augen. Wollte keinen Himmel sehen, keine Wolken und nicht dieses unschuldige Gesicht von Tweek, der den Eindruck machte, als habe er gerade erfahren Weihnachten würde ausfallen. Wirklich, genauso sah er aus. “Weil es nun mal so ist.” Ich war mir ziemlich sicher somit diese Diskussion gewonnen zu haben, wenn es denn überhaupt eine gewesen war. Und wirklich, kurz herrschte Stille. Aber dann kam wieder so eine Antwort, mit der ich absolut nicht gerechnet hatte. “Du… du kennst mich doch aber g-gar nicht…” Meine Augen öffneten sich reflexartig. Tweek saß noch immer aufrecht, zupfte an den Grashalmen herum, mit gesenktem Blick und sah aus wie ein kleines Häuflein Elend. Und Himmel, jetzt fühlte sogar ich mich schon irgendwie schlecht… als wäre das jetzt meine Schuld oder so. “Dann lass mich dich kennen lernen.” Wieder das selbe wie eben. Kurzes Blinzeln, Blickkontakt, Blinzeln, Tweek starrt wieder auf den Boden. Entweder konnte er da was sehen, was ich nicht sah, oder eben er wich meinem Blick tatsächlich aus. “Was… w-willst du denn wissen?” Es blieb kurz still, während ich darüber nachdachte. Eigentlich dürfte es nicht schwer sein, eine einfache Frage zu stellen, war es ja sonst auch nie gewesen, aber irgendwie war diese gesamte Situation gerade generell nicht so wie 'sonst'. Ich hätte mir wohl am besten Gedanken darüber gemacht, was ich erfahren musste, um Tweek schneller herum zu kriegen. Eine Woche war nicht fiel, dieses Gewicht lag mir durchgehend im Nacken und dennoch fand ich, dass ich bislang ganz gut voran gekommen war. Gleichzeitig hatte ich nicht das Gefühl, Tweek sei mir sonderlich offen. Alleine unser Gespräch eben hatte mir bewiesen, wie er über das alles hier dachte. Er vertraute mir nicht, zweifelte an, ich könnte ihn tatsächlich mögen, oder gar interessant finden. Nein, noch schlimmer, er ging ja sogar davon aus, ich wolle ihn womöglich töten! Vielleicht war es ja auch die Intuition, welche ihn dazu trieb oder einfach die Gewohnheit. Warum sollte jetzt auf einmal, so ganz plötzlich jemand auf ihn zugehen, wenn er sonst immer nur der kleine, verhasste Außenseiter war? Durch meine Überlegungen kam ich also zu dem Schluss, dass ich nun genau zwei Optionen hatte. Ich könnte mit Fragen wie 'was magst du? Was magst du nicht?' eben diese Sachen herausfinden und das Wissen darüber zu meinem Nutzen machen. Anderseits konnte ich versuchen sein Vertrauen für mich zu gewissen, mit Fragen von denen ich mir noch nicht ganz sicher war, wie sie überhaupt zu lauten hatten. Die Entscheidung fiel mir nicht schwer und ich konnte mich wie vorhin schon nicht selbst belügen, wenn ich irgendwie versucht hätte mir einzureden, dieser Entschluss basiere noch immer auf dieser dämlichen Wette. Ich wollte Tweek nicht solch banale Dinge fragen wie 'Was sind deine Hobbys?' und 'Was ist deine Lieblingsfarbe?' (bei Letzterem tippe ich ja sowieso auf braun, oder so was in der Richtung...). Nein, um ehrlich zu sein gewann mein Interesse über den Jungen neben mir und ich versuchte dabei objektiv zu wirken indem ich die Ausrede nutzte, ich müsse sein Vertrauen für die Wette gewinnen. “Hmm... ich frage mich warum du so bist…“, gab ich offen zu und es erstaunte mich, wie überzeugend ich mich selbst dabei fand. Es gab keine Erklärung für Tweeks bescheuertes Verhalten, er war ein Freak und würde immer einer bleiben, oder? Dem Gesichtsausdruck meines Gegenübers nach zu urteilen, hatte er wohl nicht mit dieser Frage gerechnet - wieder mal- sondern tatsächlich mit einer dieser langweiligen Standardfragen. Verdutzt schaute er auf mich herab und runzelte nachdenklich die Stirn. “W-warum willst du das -ngh- wissen?“, stotterte er sichtlich verwirrt. Ich konnte es nicht lassen, meine Augen zu verdrehen -für ihn gut Sichtbar- schließlich war ich es doch, der hier die Fragen stellen sollte und nicht er. Außerdem ging mir dieses ewige ‘warum‘ echt ganz schön auf den Sack. “Weil es mich nun mal interessiert. Du meintest doch selbst, dass ich dich nicht kenne. Also?“ Ich konnte ein kurzes Zögern in seinen Augen aufflackern sehen und erkannte es auch in seiner Haltung wieder. Er zögerte sich mir anzuvertrauen, hatte immer noch angst, ich könnte es irgendwie gegen ihn verwenden oder so. Fast hätte ich mit einem Seufzen aufgegeben, das hier führte ja anscheinend zu doch nichts... Aber eben nur fast. Denn im selben Moment noch war er derjenige, welcher leise und nachgiebig seufzte und ließ sich ebenfalls zurück auf seinen Rücken sinken. Ich folgte seinem Gesicht mit meinem Blick. Tweek schaute ausdruckslos in den Himmel, man konnte erkennen, dass er nachdachte. Seine Hände lagen wieder eng an seinem Körper an, wirkten dieses mal aber wieder so nervös, wie man ihn kannte. Ganz leicht zitterten sie, seine Fingerspitzen zuckten abwechselnd, anscheinend unentschlossen, ob sie sich in das weiche Gras krallen sollten, um dem 'Druck' wie er es immer nannte stand zu halten. “I-ich weiß nicht... ich bin -gah- bin eigentlich schon immer so gewesen, seit ich... also solange ich mich erinnern kann“ Als Tweek sprach, schaute er weiterhin hinauf in den mittlerweile blass-blauen Himmel. Wolken waren kaum noch welche zu sehen, und wenn doch, dann waren sie so leicht zu übersehen, dass sie eigentlich nicht wirklich zählten. Ich blieb ganz ruhig und unterbrach ihn nicht, nachdem er nach wenigen Sekunden fort fuhr und ich das erste Mal in meinem Leben das Gefühl hatte, einen tiefen Einblick in Tweeks Persönlichkeit zu bekommen… ____________________________________________________ Oh gott, es tut mir so leid, dass es so lange gedauert hat :( eigentlich sollte das Kapitel längst oben sein, aber irgendwie gab es einige Komplikationen und bei mir war so schrecklich viel los... aber ich hab die Geschichte nicht vergessen und ich hoffe ihr auch nicht ;) das Kapitel ist ziemlich lang, aber ich hoffe ihr habt trotzdem Spaß am Lesen. Ich werd versuchen mich so schnell wie möglich an den Freitag zu setzen, das ist dann übrigens das Kapitel wodurch diese FF überhaupt erst zustande gekommen ist... aber das werde ich dann noch weiter erklären, auf jeden fall darf man gespannt sein ;D hab euch ganz ganz dolle lieb, wünsche euch schonmal eine frohe Weihnachtszeit, viele schöne Geschenke und einen guten Rutsch :) greezes! Kapitel 5: V - Freitag ---------------------- Kapitel 5 Je älter man wird, desto kürzer kommt einem das Leben, nein, alles vor. Die Zeit vergeht rasend. Ferien. Wochenende. Ereignisse kommen und gehen schneller. Ich habe oft daran gedacht, wie schön es wäre, noch einmal zurück in meine Grundschulzeit gehen zu können. Damals war alles einfacher. Damals kam einem alles unendlich vor… Es passierte, ohne dass es überhaupt jemand so richtig mitbekam. Ganz schnell eben. Über Nacht war das letzte bisschen Schnee geschmolzen, das Eis von den Gehwegen. Die Luft war jetzt sommerlich, zumindest für unsere Verhältnisse. Draußen roch es nach ersten Blumen, nach Wasserpfützen auf den Straßen, nach sattem Gras, nach warmen Sonnenstrahlen. Ohne dass es jemand mitbekommen hatte, war über Nacht Juli geworden, die zweite Jahreszeit hier in South Park, neben dem Winter. Das war wohl eines der vielen Dinge, was sich über die Jahre nicht verändert hatte, was sich nie ändern würde, egal wie alt man auch war, egal wie viele Jahre auch vergingen. Die Schnelligkeit des Wetterwechsels meine ich. Es war hier in South Park schon immer so gewesen, dass von heute auf morgen kein Schnee mehr lag, sondern grüne Wiesen vom Sommer zeugten. Für einen einzigen Monat lang. Dann war alles wieder winterweiß. Das war hier ganz normal. Und auch, wenn das nichts Neues für mich war, es überraschte mich dennoch jedes Jahr aufs Neue ein wenig, wie schnell sich etwas in so kurzer Zeit verändern konnte. Ich weiß, ich bin nie ein sonderlich glücklicher Mensch gewesen, zumindest machte ich nie den Eindruck. Aber an solchen Tagen wie heute, fühlte ich mich trotzdem irgendwie immer ein wenig glücklicher als sonst. Nicht nur ich. Alle Leute schienen glücklicher zu sein, wenn der Winter dem Juli Platz machte. Sie sahen nicht nur die Sonne am wolkenlosen Himmel aufgehen, sondern konnten auch spüren wie kleine Sonnen in ihren Herzen aufgingen. Normalerweise war ich glücklich, wenn ich aus dem Fenster schaute und sehen konnte, dass Juli war. Aber mein Leben war nicht normal. Oder es war doch normal, nur viel zu sehr. Eines von beidem, da war ich mir ganz sicher. Und was auch immer es nun sein mochte: ich hasste es so. Denn als ich heute Morgen aufgestanden war und aus dem Fenster gesehen hatte, war ich nicht glücklich gewesen. Das gute Wetter hatte mich nicht im Geringsten aufheitern können. Es hatte mich lediglich dazu verleitet, nicht sofort wieder in mein Bett zu kriechen, sondern das Fenster aufzureißen und mich, trotz der Tatsache, dass ich nur eine Boxershorts trug, auf die Fensterbank zu setzen und nach draußen in die Ferne zu starren. Das mit der Boxershorts hatte ich erwähnt, weil man South Park nicht unterschätzen sollte. Denn auch, wenn es draußen warm und schön aussehen mochte, hieß das noch lange nicht, dass es auch so war. Es war noch immer nasskalt und frisch. So sehr, dass ich nicht mal im Juli meine blaue Mütze absetzte, die ich auch in unseren härtesten Wintern trug. Aber wie auch immer. Hier saß ich nun also, genauso wie damals schon immer, auf der Fensterbank, den Blick leer und abwesend auf etwas gerichtet, das nicht existierte, pustete blauen Rauch in die frische Luft und zerdrückte die nun schon fünfte Zigarette für diesen Morgen in meinem Aschenbecher. Eigentlich rauchte ich nicht so viel, aber eigentlich war meine Laune auch nicht ganz so grottig, wie heute. Gestern war zu viel passiert, das mich nun nicht mehr los ließ. Ich wollte nicht so viel darüber nachdenken, aber es gelang mir nicht. Das war genau so, wie wenn man jemandem sagte, er solle nicht an einen großen, rosa Elefanten denken. Denn genau das täte er dann. Am aller meisten hatte ich aber versucht nicht über eine bestimmte Person nachzudenken. Tja, Pech gehabt. “Fuck…”, murmelte ich tonlos, so leise, dass ich mich selbst kaum hören konnte. Meine Stimme wurde vom kühlen Wind davon getragen. Meine Gedanken blieben jedoch und quälten mich weiter. Das ging nun schon den ganzen Morgen so. Ich war wütend, schlecht gelaunt, wütend unausgeschlafen und… wütend, denke ich. Nicht so wie sonst, wenn ich schlecht gelaunt war. Da war es eher ein dumpfes Gefühl, das zu mir gehörte. Jetzt fühlte ich mich, als hätte jemand Blei in meinen Körper gegossen. Natürlich wusste ich nicht, wie genau sich so was nun anfühlte. Aber so ungefähr stellte ich es mir vor. Abartig. Auf wen ich wütend war, wusste ich nicht genau, obwohl… doch, ich war wütend auf diese eine Person. Ich war wütend auf ihn. Ich hasste ihn im Moment abgrundtief, zumindest versuchte ich mir das einzureden. Ich war wütend auf Clyde Donovan. Ich hatte mich schon oft gefragt, was mich und Clyde am meisten von einander unterschied. Nicht, was uns verband, nein, sondern was uns auseinander trieb, ohne dass wir es direkt zwischen uns ließen. Jetzt glaubte ich es zu wissen. Nämlich, dass einer von uns beiden ein Feigling war und der andere nicht. Ein Beispiel: Wenn Clyde etwas angestellt hatte und man ihn dabei erwischte, dann gab er alles zu und fing an zu heulen. Er war ehrlich. Wenn ich etwas angestellte hatte und man mich dabei erwischte, dann log ich und zeigte den Leuten meinen Mittelfinger. Ich war unehrlich. Jetzt stellte sich mir die Frage, ob Clyde feige war, weil er kein Risiko einging, oder ich, weil ich vor meinen Problemen davon lief. Ob Clyde mutig war, weil er die Wahrheit sagte, oder ich, weil ich nicht so schnell klein beigab. Noch vor Kurzem hätte ich behauptet, Clyde sei der Feigling von uns beiden, jetzt jedoch war ich mir nicht mehr ganz so sicher. Denn es stimmte. Ich rannte vor meinen Problemen davon. Immer. Ich hatte Angst mich ihnen zu stellen, vielleicht war das auch einer der Gründe für meine ständigen Lügen. Ich log in so ziemlich allen erdenklichen Situationen, weil es mir ein gutes Gefühl verschaffte. Aber auch, weil es mich ab und an aus brenzligen Situationen rettete. Es war fast dasselbe wie mit dem Rauchen, denke ich. Menschen wie ich rauchen, wenn sie in Stress geraten. Aber wir greifen nicht nur dann zur Zigarette, sondern auch wenn wir einfach das Bedürfnis nach Nikotin verspüren. Nein, ich war mir ziemlich sicher, dass ich ein Feigling war. Denn anstatt mich meinem Problem zu stellen, war ich heute zuhause geblieben und nicht zur Schule gegangen. Nur um Clyde aus dem Weg zu gehen. Ich wusste nicht, wie wir beide überhaupt beste Freunde hatten werden können. Wir waren so schrecklich unterschiedlich, wir stritten ständig, waren uns so gut wie nie einig. Ich war mir sicher, nicht zu lügen, wenn ich sagte, dass wir nur noch aus Gewohnheit Freunde waren. Und trotzdem spürte ich neben meiner Wut auf ihn Schmerz, weil ich das Gefühl hatte, jetzt könnte sich endgültig etwas zwischen uns verändert haben. Ich hatte neben meinem Hass auf ihn Angst, wir könnten uns noch weiter voneinander entfernen, als ohnehin schon, nur durch den gestrigen Tag. Aber am besten fange ich weiter vorne an. Ich war mir nicht ganz sicher, aber ich glaubte zu wissen, dass ich auch so heute zuhause geblieben wäre. Ich hatte es schon immer gemocht, mich zurückzuziehen, wenn ich nachdenken musste. Das war schon in der Grundschule so gewesen. Auch eine Sache, die sich wohl nie ändern würde. Und heute schien mein Kopf vor Gedanken explodieren zu wollen. Wenn ich mir vorstellte, zusätzlich auch noch meine gesamte lärmende Klasse, inklusive Lehrer im Nacken sitzen zu haben… Nein, das wäre tödlich gewesen. Nicht nur für mich. Die weitere Sache, welche mich beschäftigte und zwar neben Clyde, war Tweek. Wie sollte es auch anders sein? Es fiel mir schwer, das zu zugeben, aber der Tag gestern war eigentlich gar nicht mal so übel gewesen, zumindest bis zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ich hätte Tweek vielleicht doch nach so was wie seiner Lieblingsfarbe fragen sollen, etwas Banalem. Stattdessen kreisten in meinem Kopf Gedanken über ihn, und zwar wirklich IHN. Ich hatte mir vorher nie große Mühe gemacht, wissen zu wollen, wie er sich in seiner Haut wohl fühlen mochte. Was in ihm vor sich ging. Jetzt wusste ich es. Und es bereitete mir Bauchschmerzen. Denn um ehrlich zu sein, Tweek tat mir leid. Ich hatte versucht mir dieses Gefühl auszureden, aber es war verdammt schwer sich selber zu belügen. Tweek weckte ein unglaublich schlechtes Gewissen in mir. Die ganze Zeit schon hatte ich über das nachdenken müssen, was er mir alles erzählt hatte. Tweek war oft allein zuhause. Andere Jugendliche freuten sich darüber - er tat es nicht. Man hätte nun meinen können, weil er sich langweilte. Was sollte er auch tun? Freunde hatte er soweit ich wusste keine, Hobbys auch nicht. Das wäre eine gute Begründung gewesen -dafür dass er nicht gerne alleine zuhause war meine ich- aber nicht die richtige. Denn in Wirklichkeit, das hatte er mir zitternd und traurig gesagt, fürchtete er sich, sobald seine Eltern zur Arbeit fuhren. Er hatte schreckliche Angst. Normalerweise hätte ich jeden für diese Aussage ausgelacht. Diesmal aber nicht. Stattdessen hatten die Bauchschmerzen angefangen. Ich hatte mir vorgestellt, wie Tweek allein auf seinem Bett saß, verängstigt zusammengekauert, verschreckt von einer Ecke in die nächste starrte. Tweek fürchtete sich vor so ziemlich allem. Gewitter, Monstern, seltsamen Geräuschen, Geistern und so was wie ‘Unterhosenwichteln’, was auch immer das sein mochte. Deswegen war er auch so unbeliebt an unserer Schule. Er war seltsam, aufgedreht und anstrengend, Er war ein wandelndes Nervenbündel. Ich war nicht der Typ Mensch, welcher sich gerne von den Problemen anderer bequatschen ließ. Sondern mehr so jemand, der diesen Leuten dann den Mittelfinger zeigte, sich umdrehte und ganz deutlich zu verstehen gab, wie genervt er von ihnen war. Aber als Tweek mir gestern von sich erzählt hatte, war es mir richtig kalt den Rücken hinunter gelaufen. Ich hätte nie damit gerechnet, wie schlimm es für ihn wirklich sein mochte. Und die Art und Weise wie er sich ausgedrückt hatte… Anstatt ihn fertig zu machen, hatte ich ihm zugehört, ganz stumm und regungslos. Erst später war mir klar geworden, dass die höllischen Bauchschmerzen unausgesprochenes Mitleid gewesen waren. Ja, ich hatte Mitleid für Tweek Tweak, den Freak empfunden. Neben Tweeks Psychosen war aber noch mehr gewesen, das er mir blind anvertraut hatte. Zum Beispiel, wie sehr es ihn eigentlich belastete, wie seine Eltern von ihm dachten. Sie nahmen ihn nicht für voll. Wenn er versuchte ihnen etwas zu erzählen, tätschelten sie jedes Mal nur seinen Kopf und sagten so was wie “Ach Tweek, das wird schon wieder”, egal was er auch gesagt hatte, sie hörten ihm nie richtig zu. Im selben Moment war mir eingefallen, wie seltsam diese Situation bei ihm zuhause gewesen war, nachdem seine Mutter sich so gefreut hatte, mich zu sehen. Ihr kleiner Tweek hatte einen Schulfreund mitgebracht. Weltpremiere. Ich hatte mich gefragt, ob es wohl besser war Eltern zu haben, die einen zwar liebten, aber nicht zuhörten, oder solche, die einen weites gehend in Ruhe ließen und dafür aber auch kein bisschen Liebe mehr abgeben konnten. Mein Entschluss war gewesen: Beides scheiße. Ich war wirklich erstaunt darüber, dass er mir das alles einfach so anvertraut hatte. Man machte sich angreifbar, wenn man anderen zeigte, wie man so tickte. Ich war mir sicher, dass er ein solches Gespräch noch nicht oft geführt haben konnte, die Worte hatten mich geradezu überflutet, so viele waren es gewesen. Vielleicht hatte er es gebraucht, sich endlich mal jemandem anzuvertrauen. Als er fertig gewesen war und ich ihn einfach nur stumm angestarrt hatte, perplex von den ganzen neuen Eindrücken, hatte er für einen winzigen Moment richtig erleichtert ausgesehen. So als habe er eine unendlich schlimme Tat nach Jahren des schlechten Gewissens gestanden. Dann war ihm klar geworden was das bedeutete - die ihm dafür bevorstehenden Konsequenzen. Ich war mir sicher, er hatte damit gerechnet ich würde in jedem nächsten Moment loslachen. Ihn auslachen also. Zumindest hatte er mich so angesehen, als erwarte er etwas Derartiges. Ängstlich, ein wenig verstört, bereit, sofort in Tränen auszubrechen. Und zwar nicht auf diese typische tweekige Art von ihm, sondern noch schlimmer. Himmel! Normalerweise hätte ich auch nicht davor zurückgeschreckt. Normalerweise. Stattdessen hatte ich irgendwann einfach meine Hand ausgestreckt und ihn ausdruckslos angesehen. “Gib mir dein Handy”, damit schien er im ersten Moment nicht wirklich etwas anzufangen zu wissen. Trotzdem hatte er es mir nach anfänglicher Verwunderung und kurzem Zögern ausgehändigt. Ich hatte getippt und getippt und es ihm wieder zurück gegeben… “Das nächste Mal, wenn du zuhause sitzt und kurz vorm Sterben bist, vor Angst… rufst du mich an, okay? Dann komm ich vorbei.” Ich steckte mir eine neue Zigarette an und atmete tief ein. Ich hatte Tweek noch nie so glücklich gesehen wie in diesem Moment. Ich stellte mir vor, wie er zuhause sein Handy angestarrt hatte, die leere Kontaktliste wo nur ein einziger Name stand. Natürlich war es unfair von mir, so was zu denken. Meine Nummer würde jawohl nicht die einzige sein, die er besaß. Aber ich war mir sicher, die einzige von allen aus unserer Klasse. Vielleicht auch unserer Schule. Ich wusste nicht genau, warum ich nun so sauer war. Ob es daran lag, dass Tweeks Leben doch schlimmer aussah, als ich immer gedacht hatte. Oder dass das alles viel mehr gewesen war, als ich hatte wissen wollen. Ob es daran lag, dass ich mich so verantwortlich dafür gefühlt hatte. Ob es daran lag, dass ich es nicht bereute, ihm meine Nummer gegeben zu haben. Denn das tat ich nicht. Ich könnte das alles auf die verdammte Wette abwälzen. Tat ich auch mehr oder weniger. Aber wie bereits erwähnt: Es war verdammt schwer, sich selber zu belügen. Wie auch immer, weiter im Text. Tweek und ich hatten noch eine ganze Weile dort auf unserem kleinen Flecken Gras gelegen, einfach in den Himmel gestarrt und uns unterhalten. Ganz normal, als wären wir Freunde oder so was. Vielleicht hätte er mich gerne gefragt, ob wir das waren, aber ich wette er hatte sich nicht getraut, aus Angst, ich könne nein sagen. Ich wusste auch nicht so recht, was ich geantwortete hätte. Es war gut, dass er nicht gefragt hatte. Später, als es dann langsam dunkel geworden war, hatte ich ihn noch nach Hause begleitet. Keine Ahnung warum, ich hätte wieder behaupten können, es läge an der Wette. Es wäre eine Lüge gewesen. Denn, Gott, plötzlich waren vor meinem inneren Auge immer wieder Bilder aufgetaucht von Tweek, wie er ängstlich rannte und rannte, ganz allein. Wie er sich unter seinem Bett verkroch, wie er sich erschreckte, bei jedem noch so kleinen Geräusch. Ich hatte das Gefühl gehabt, ihm irgendwie zeigen zu müssen, dass er nicht alleine war. Der Wette wegen, natürlich! Schließlich musste ich es ja immer noch irgendwie anstellen, dass er sich in mich verliebte. Sein Vertrauen schien ich ja bereits für mich gewonnen zu haben. Bei ihm zuhause hatten wir uns verabschiedet, ganz normal mit einem “Tschüss”, einem kurzen Winken. Dann hatte ich die Hände in den Taschen meines blauen Hoodies vergraben und war den zu der Zeit noch vereisten Bürgersteig entlang gewandert. Wir wären fast ineinander gerannt, nicht nur ich war in Gedanken versunken gewesen… * “Craig?” Ich hebe den Kopf, ein wenig verwirrt. Clyde steht etwa drei Meter von mir entfernt und schaut mich mit einem Blick an, den ich zu dem Zeitpunkt noch nicht ganz deuten kann. “Clyde, Alter. Was gibt’s?” Freundschaftlich gehe ich einen Schritt auf ihn zu. Clyde aber bleibt stehen. “Wo kommst du her?”, fragt er tonlos ohne sich irgendwie zu regen. Kein “Hey”, keine alberne Antwort. Ich muss einmal genauer hinsehen um mich zu vergewissern, dass das da vor mir mein bester Freund ist. “Von Tweek, ich hab ihn grad nach Hause gebracht, du weist schon, wegen der Wette”, gebe ich ein wenig verwirrt von mir. Ich frage mich was das hier sein soll, bis mir auffällt, mit was für einem Blick er mich ansieht. Seine Augen sind schmal und dunkel, die Augenbrauen zusammengezogen und seine Hände nicht länger locker in den Taschen so wie meine, sondern zu blassen Fäusten geballt. Clyde ist wütend. Nicht so wie sonst, sondern ernsthaft wütend. “Und, haben du und der Freak ne Menge spaß gehabt, Craigi-boy?”, zischt er. Er weiß, dass ich es hasse, wenn man mich so nennt. “Oh bitte, du bist jawohl nicht deswegen sauer auf mich, oder? Du benimmst dich wie ne eifersüchtige Tunte, weißt du das?” Ich rolle mit den Augen. Wenn er mich provoziert muss er mit einem Konterangriff rechnen. Ich schaue ihn abwertend an. Ich weiß, ich sollte das nicht tun, sollte ihm erklären, dass es nur für die Wette ist, aber ich WILL mich plötzlich mit ihm streiten. Er ist im Unrecht, das wissen wir beide. Und das will ich ihm unter die Nase reiben. Er antwortet nicht, schüttelt einfach nur den Kopf und schluckt so schwer, dass ich es sogar von meiner Position aus sehen kann. Ich will gerade mit zynischem Ton fragen, ob es ihm die Sprache verschlagen hat, als er einfach weiter geht, direkt an mir vorbei. Unsere Schultern stoßen fest gegeneinander und ich drehe mich wütend und angriffslustig nach ihm um, fest davon überzeugt gegen ihn gewonnen zu haben. Noch einmal kurz bleibt er stehen und wirft mir einen Blick über die Schulter zu. Ein Blick, der mitten ins Mark geht. Ich bin zu wütend gewesen um zu erkennen, dass er nur versucht hat mit seiner Wut etwas anderes zu verbergen. Enttäuschung und Verletztheit. “Und weißt du wie DU dich benimmst? Wie jemand, der für eine Wette seinen besten Freund vergisst”, sagt er kühl und ich weiß, dass er gleich anfangen wird zu heulen. Dann pfeffert er ein Papierknäuel direkt vor meine Füße, dreht sich um und geht. * Sogar von der Fensterbank aus konnte ich die Kinokarte auf meinem Nachttisch liegen sehen. Clyde und ich hatten uns schon vor drei Monaten die Tickets gesichert und uns wie wild auf diesen Film gefreut. Ich war so wütend auf mich, dass ich es vergessen hatte. Nicht mal als meine Mutter mir gesagt hatte, Clyde hätte angerufen, war es mir eingefallen. Ich hatte meinen besten Freund vergessen und war unglaublich fies zu ihm gewesen… Ich hätte ihm nachlaufen können. Ich hätte ihn anrufen können. Ich hätte mich entschuldigen können… Hab ich aber nicht. Ich hasste es, mich zu entschuldigen, auch, wenn es dabei um meinen besten Freund ging. Und ich hasste es, wenn ich zugeben musste, einen Fehler gemacht zu haben. Ganz besonders, wenn es dabei um meinen besten Freund ging. Scheiße, das waren nun also die beiden Punkte, welche mir meinen ganzen Freitag versaut hatten. Dass ich mich mit Clyde gestritten hatte -und zwar ernsthaft- und dass Tweek plötzlich nicht mehr der kleine, zuckende Kaffeejunkie zu sein schien, für den ich ihn immer gehalten hatte. Und ich verschissener Feigling hatte mich wegen den beiden nicht in die Schule getraut, sondern war zuhause geblieben, vergiftete meinen Körper bis ins Unermessliche durch Zigaretten und tötete so ziemlich alles mit meinen Blicken. Aber so war ich nun mal. Ich war mir sicher, mich nie ändern zu können, auch wenn ich es wollen würde. Ich hasste Veränderungen, ich hasste es, wenn die Dinge nicht ihren gewohnten Lauf nahmen. Doch seit ich mit dem Fettarsch diese Wette vereinbart hatte, lief alles aus dem Ruder. Wäre die Welt noch wie vor fünf Tagen, dann wäre zwischen Clyde und mir noch alles in Ordnung. Wir würden zusammen im Matheunterricht sitzen und über den fetten Arsch der Lehrerin lästern. Wir würden uns beherrschen müssen, nicht auf Bebes riesige Titten zu glotzen. Wir würden dieselben bescheuerten, besten Freunde sein wie sonst auch… Und wäre diese Wette nicht, dann gäbe es in meinen Gedanken nicht ständig einen kleinen, weinerlichen Tweek, welcher alles durcheinander brachte. Er verursachte ein riesiges Chaos in mir, ich konnte meine Gedanken nicht mehr ordnen. Denn ständig kamen diese Bilder in mir hoch, in denen ich ihm am liebsten sagen wollte, die Welt sei nicht so schlecht, wie er dachte. Auch wenn es Lügen gewesen wären. Ich hasste diesen Freak doch, wieso also hatte ich dann mit Schuldgefühlen zu kämpfen? Warum musste ich mir eingestehen, dass die Zeit mit ihm ganz angenehm gewesen war? Ich durfte nicht mehr soviel darüber nachdenken, ganz klar. * Ich versuchte mich über den Tag hinweg so gut es ging abzulenken, mit allerlei sinnlosem Kram. Ich fand unter meinem Bett alle DVD’s der ersten Staffel zu ‘Red Racer’ und schaute sie mir an. Ich spielte Videospiele, die ich schon hunderte Male gewonnen hatte - ganz bedacht darauf keines auszuwählen, das mich an Clyde erinnern könnte. Ich ignorierte es, wenn mein Handy zu klingeln begann, auch wenn es nur Token war. Ich wusste, dass er das mit dem Streit sicherlich längst rausbekommen hatte und um ehrlich zu sein war ein therapeutisches Gespräch mit dem schwarzen Bonzen gerade das Letzte, was ich wollte. Denn ich war mir sicher, er würde mit allem was er mir zu sagen hatte recht behalten. Token hatte immer recht, ich fast nie. Ich vegetierte den ganzen Tag lang also in meinem Zimmer vor mich hin, wenn meine Mutter mich fragte ob es mir besser ging - ich litt ja angeblich unter Bauchschmerzen - dann röchelte ich ein wenig rum und sie lies mich wieder in Ruhe. Ein Wunder, dass sie mich überhaupt nach meinem Befinden fragte. Vielleicht war es ihr Pflichtgefühl gewesen, welches sie dazu gedrängt hatte. War mir auch egal… Gerade angelte ich mir eine Colaflasche aus dem Kühlschrank, unter dem Arm eine Schale mit Chips, als es neuerlich in meiner Hosentasche zu lärmen begann und ich ein genervtes Schnauben von mir hören ließ. Token ließ wohl nicht locker. Und wenn ich meinen freien, langweiligen Freitagabend wie gewohnt mit Horrorfilmen verbringen wollte, musste ich ihn wohl oder übel entweder jetzt abwimmeln, oder würde gar keine ruhige Minute mehr haben. Ich stellte den ganzen Kram ab, zog mein Handy aus der Tasche und seufzte nochmals schwer, bevor ich auf den grünen Hörer drückte. “Hm?” Ich bemühte mich gar nicht erst um einen freundlichen Ton. Vielleicht hatte ich ja Glück, Clyde saß bei Token im Hintergrund irgendwo rum und konnte eventuell sogar mithören. Die beiden sollten ruhig denken, ich wäre mit irgendwas Wichtigem beschäftigt. Bloß nicht zugeben, wie sehr diese ganze Sache an mir nagte. Es wunderte mich, dass nicht sofort die bekannte Stimme meines Freundes an mein Ohr drang und wiederholte daher etwas verwirrt. “Hallo?” Wieder Stille, dann meldete sich endlich jemand. “U-uhm, t-tschuldigung Craig, ich -gah- stör ich dich grade? Oder… oh- oh Gott, i-ich ruf später noch mal a-an, okay?!” Ich konnte nicht sofort antworten, ich war viel zu verwirrt darüber, Tweek am anderen Ende der Leitung zu haben und nicht Token. Ich hätte vor dem Abnehmen auf meinen Display schauen sollen, dann wäre ich jetzt wohl souveräner gewesen. Ich konnte Tweek geradezu vor mir sehen, wie er sein Handy schon wieder sinken ließ um schnell aufzulegen. “Was? Nein, Tweek, störst nich‘, was gibt’s?”, antwortete ich schnell und schaffte es sogar nicht mehr allzu unfreundlich zu klingen. “O-oh… okay… hm i-ich, also… -gah-”, kam es nur gestottert aus meinem Telefon und ich zog meine Augenbrauen ein wenig zusammen, weil ich mich so sehr konzentrieren musste, irgendetwas zu verstehen. Ich merkte schon, dass dies hier wohl kein einfaches Gespräch werden würde und lehnte mich gegen die Anrichte. “Tweek, ist alles in Ordnung?”, versuchte ich ihm zu helfen. Ich glaubte zu wissen, dass mein ruhiger Ton irgendwie ein wenig auf ihn überging. Am anderen Telefon wurde einmal tief eingeatmet, dann wieder aus. Ich blieb geduldig und wartete, dass er sich beruhigte. “A-also du… meintest i-ich könne dich anrufen, wenn… wenn… -ngh- ich…” Ein winziges, schiefes Lächeln stahl sich auf mein Gesicht. Und es ärgerte mich, dass das passierte. Kurz schüttelte ich leicht meinen Kopf und fuhr mir mit der freien Hand durch die schwarzen Haare. “Du hast wieder Angst?” Es kam keine Antwort, aber ich hörte ganz leise, wie Tweek atmete, also war er noch da. “Tweek, ich kann nicht sehen, wenn du nickst.” “O-oh! T-tut mir Leid! I-ich… ja, also… j-ja, hab ich…” “Soll ich vorbei kommen?” Wieder keine Antwort. Ich denke nicht, dass Tweek wieder genickt hatte, sondern zögerte. Er wusste nicht, ob ich es ernst meinte. “Ich bin in ner halben Stunde da, okay?”, nahm ich ihm die Entscheidung ab. Ich konnte fast schon spüren, wie er lächelte, zumindest hörte sich seine Stimme danach an, als er sagte: “O-okay! Danke, Craig…!” Eigentlich hatte ich nicht sonderlich Lust gehabt, heute etwas zu machen, oder irgendjemanden zu sehen. Ich war noch immer zu aufgekratzt durch den Streit mir Clyde, ich konnte nicht aufhören daran zu denken. Und auch dieses Mitleid mit Tweek verunsicherte mich zunehmend, machte mich ein wenig wütend. Aber schließlich hatte ich es ihm ja irgendwie versprochen oder? Für ihn da zu sein, meine ich. Außerdem war die Wette noch nicht vorüber. Ich würde das einfach so schnell wie möglich hinter mich bringen, danach könnte ich wieder alles so werden lassen wie früher. Danach. Ich stieg unter die Dusche, ich zog mir anstatt eines Hoodies nur ein blaues T-Shirt an. Die Mütze hatte ich eigentlich auch aufbehalten wollen, aber als ich merkte wie angenehm es draußen war -im Gegensatz zu heute Morgen- ließ ich sie doch zuhause. Es war Juli. Endlich. Der Gedanke schien noch immer viel zu unwirklich. * Ich ließ mir Zeit, um zu Tweek zu kommen. Ich hatte noch nie sonderlich auf Pünktlichkeit geachtet. Hektik war nicht so mein Ding, die ganze Welt wurde schon von Hektik beherrscht. Ich mochte es, die Straßen entlang zu schlendern und einfach nachzudenken. Mit Clyde ging das nie wirklich, er musste immer reden. Er redete dann aber nur Müll, also nicht mal etwas interessantes. Oft setzte ich mir einfach während er erzählte die Kopfhörer auf, um ihn nicht mehr zu hören. Wenn er es bemerkte, war er meistens beleidigt, aber nicht lange. Wenn er es nicht bemerkte, redete er einfach weiter und wir waren beide zu frieden. Clydes und meine Freundschaft war unkompliziert, zumindest meistens… Scheiße. Ich hatte nicht schon wieder an Clyde denken wollen. Es passierte einfach so, es gab zu viele Dinge, welche mich an ihn erinnerten. Das war wohl ganz normal so, wenn man schon seit der Grundschule befreundet war. Clyde und ich hatten einfach schon zu viele gemeinsame Erfahrungen gemacht, ich würde wohl nie mehr von ihm loskommen können, auch wenn ich es wollte. Tweeks Haus sah genauso aus wie gestern Abend, als ich ihn hierher begleitet hatte. Es sah auch noch genauso aus, wie Dienstag, als ich ihm bei seinen Hausaufgaben ‘geholfen’ hatte. Es sah aber nicht mehr so aus, wie es noch vor vergangenem Montag ausgesehen hatte. Ich denke, es würde für mich nie wieder so aussehen, wie vor dieser Wette. Und das gefiel mir ganz und gar nicht. “Craig!” Ich hatte noch nicht einmal den Bürgersteig verlassen, da flog schon die Tür auf und Tweek kam mir entgegen gerannt. Ich war davon überzeugt, zu spät zu sein. Ich kam immer zu spät, egal wohin. Tweek hatte sicherlich schon gewartet. Als ich jedoch kurz mein Handy hervor zog und mein Blick auf die Uhranzeige fiel, musste ich feststellen, dass ich nicht zu spät war. Fünf Minuten vor sieben. Ich musste zweimal hinsehen um mich zu vergewissern, dass ich tatsächlich zu früh gekommen war, und dann auch noch zu Tweek. So schnell wie Tweek rannte, dachte ich, er würde gleich voll in mich hinein krachen, tat er aber nicht. Kurz davor stoppte er, ein wenig unschlüssig sah er aus. Ich wusste, worüber er nachdachte. Es passierte ganz von selbst, dass sich mein rechter Mundwinkel in die Höhe bewegte und ein schiefes Lächeln preisgab. Tweek quiekte einmal kurz erschrocken auf, als ich ihn einfach so, ohne Vorwarnung in meine Arme zog und kurz freundschaftlich drückte. Nicht so schwul, wie Mädchen es immer taten. Jesus, sowas würde ich nie machen. Erst war der kleine Freak ein wenig durcheinander, so wie er zu mir herauf schaute. Für ihn musste das Ganze hier immer noch echt verdammt seltsam sein -für mich natürlich auch. Dann aber schien die Angst in ihm wieder die Oberhand zu ergreifen, denn er klammerte sich regelrecht an mich, in der kurzen Umarmung, vergrub er seine Finger in dem blauen Shirt an meinem Rücken und drückte seine Nasenspitze gegen meine Brust. Sein ganzer Körper zitterte, ich konnte spüren, wie sich das Bibbern auf mich übertrug. “Hey Tweek, was ist los? Haben dich schon wieder die Monster verfolgt?”, gab ich ein wenig amüsiert von mir, in der Hoffnung die Situation damit auflockern zu können. Ich würde diese Wette als das Schlimmste abstempeln, was ich je hatte tun müssen, definitiv. Nicht, weil Tweek mir so leid tat! Sondern weil es verdammt viel Überwindung kostete. Ich umarmte schließlich Tweek Tweak. Ein Albtraum! Seine blonden Haare kitzelten ein wenig mein Kinn und ich verspürte plötzlich den Drang, sie zerwuscheln zu wollen. Aber ich traute mich nicht, aus welchem Grund auch immer. Seltsam, wie viel man innerhalb eines so kurzen Augenblicks wahrnehmen konnte. Ich hatte das Gefühl, wir hätten uns Stundenlang so in den Armen gelegen. Mein Verstand aber sagte mir, es seien nur ein paar wenige Sekunden vergangen, als wir uns auch schon wieder von einander lösten und er vor mir unsicher von einem Fuß auf den anderen trat. “D-Die Unterhosenwichtel -gah- ! S-Sie waren plötzlich -ngh- einfach da, u-und..!”, begann er zu stammeln, schüttelte energisch seinen blonden Kopf und kniff die Augen zusammen, “zumGlückbistdugekommen! Weil… Oh Gott! Was, wenn sie mir alle meine Unterhosen geklaut hätten?! Dann müsste ich meinen Eltern das erzählen, weil ich neue bräuchte, aber die würden mir nicht glauben, und sich dann fragen, was mit meinen Unterhosen passiert ist, und dann würden sie denken ich hätte irgendetwas seltsames angestellt, und-und-und-..!” “Tweek!”, ich legte beide Hände auf seine Schultern und rüttelte ihn vorsichtig, dabei schaute ich ihm eindringlich in die Augen. Ich wusste, dass das jetzt doof klang, aber ich mochte sie. Tweek hatte schöne Augen, “Beruhig dich erstmal, alles ist gut, ja? Du brauchst keine Angst zu haben, ich bin ja jetzt hier.” Das schien ihn tatsächlich ein wenig runter zu bringen. Er atmete noch immer ein wenig aufgeregter als normal, ich stellte mir vor wie sein Herz rasend schnell gegen seine Rippen schlug, wie ein kleiner Kolibri, gefangen in einem Käfig oder so. Ich seufzte schwer, Tweek war anstrengend. Er nickte stumm und schaute beschämt zu Boden, ihm war sicher klar geworden, wie er sich gerade aufführte. Seine Finger fummelten an dem Reisverschluss seiner dünnen Sweatshirtjacke rum. Es dauerte eine gefühlte halbe Ewigkeit, bis er den Blick wieder hob und mich aus seinen großen Augen unsicher ansah. “K-Können wir bitte nicht rein gehen?” Ich musste nicht fragen warum und ich musste auch nicht versuchen, ihm zu erklären, dass da keine Wichtel sein würden, welche ihm an die Wäsche wollten. Ich zuckte lediglich leicht mit den Schultern. Sollte mir nur Recht sein, schließlich hatte ich bislang viel zu wenig von dem schönen Wetter gehabt. Ein Spaziergang würde mir gut tun. Tweek und ich gingen schweigend nebeneinander her. Aber es war trotzdem nicht vollkommen ruhig. Das war es nie mit Tweek. Er war ständig in Bewegung, seine Hände zitterten, manchmal zuckte er zusammen. Es war ein wenig lächerlich, dass gerade in diesem Moment die Sonne unterging und den Himmel rötlich färbte. Ich hasste solchen Kitsch. Tweek hingegen schien es gar nicht erst aufzufallen. Vielleicht gefiel ihm der Anblick aber auch ganz gut und es war ihm zu peinlich, das zuzugeben, denn er hielt seinen Blick weiterhin gesenkt auf den Boden. Wie gestern, als er aufgepasst hatte, nicht auszurutschen. Jetzt gab es keinen Grund mehr dazu, die Gehwege und Straßen waren komplett frei von Eis und Schnee. Aber sicherlich würde sogar ein kleines Steinchen eine Bedrohung für Tweek darstellen, von daher konnte ich ihm diese Wachsamkeit nicht verübeln. Es war nicht schlimm, dass wir nicht sprachen. Es war ganz angenehm, zumindest meiner Meinung nach. Ich schielte kurz zur Seite, Tweek bemerkte es gar nicht, er war entweder zu konzentriert nicht hinzufallen, oder ganz woanders mit seinen Gedanken. Ich war froh darüber, so konnte auch ich nachdenken. Zum Beispiel fiel mir nun auf, dass der Sonnenuntergang etwas Gutes hatte. Die Gefahr eventuell Clyde über den Weg zu laufen sank, je später es wurde. Zu solch einer Zeit, an einem Freitagabend, sollte man nämlich längst eine Beschäftigung gefunden haben. Und zwar nicht sinnlos durch diese Einöde zu latschen. Clyde. Seit ich bei Tweek angekommen war, hatte ich nicht mehr an ihn denken müssen. Auch meine Laune war irgendwie etwas besser geworden, ich spürte nicht mehr dieses scheiß Gefühl in der Magengegend. Ich vernichtete den Gedanken daran, dass dies Tweeks Verdienst sein könnte. Das war lächerlich. Aber dennoch konnte ich nicht aufhören, ständig bei diesem Eindruck zu landen. Ging es mir wirklich besser, wenn Tweek in meiner Nähe war? Nein, es ging mir besser wenn ich daran dachte, bald die Wette gewonnen zu haben. Ich musste mich ablenken. “Hey Tweek”, ich nickte einmal nach rechts, neben uns ragte ein großes Eisentor in den mittlerweile dunkler gewordenen Himmel. Die letzten Sonnenstrahlen verschwanden hinter den Häusern, ein dunkelblauer, nächtlicher Himmel legte sich über South Park, “wusstest du schon, dass die Becken hier jetzt immer extra jeden tag kontrolliert werden, wegen diesem Sauberkeitsskandal damals?” Er schaute mich ein wenig perplex an, blinzelte ebenfalls zum Tor und dann wieder zu mir. Seine Schritte wurden langsamer, als ich stehen blieb, trotzdem schien er weiter zu wollen. Ein kurzes Nicken seinerseits, womit er mir zu verstehen gab, dass er es registriert hatte. “Ich glaub’ das ist seit vier Jahren so… seitdem geh ich hier im Sommer echt gerne hin. Du schwimmst doch auch gerne, oder?” Eigentlich war das mehr eine rhetorische Frage gewesen, natürlich ging er gerne schwimmen, alle Teenager aus South Park mochten es. Weil es hier so selten war, dass man Gelegenheit dazu bekam. Man will immer das, was man nicht haben kann oder darf. Ich verschränkte die Hände hinter meinem Kopf und ging an ihm vorbei. Nur aus dem Augenwinkel bekam ich mit, dass Tweek dagegen ganz stehen blieb und mich seltsam ansah, dann schüttelte er den Kopf. Verwirrt blieb ich stehen und schaute ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. “Du gehst nicht gerne schwimmen?” “Hm… i-ich… n-nein also… nicht wirklich…” “Alter, jeder geht gerne schwimmen”, antwortete ich auf sein Gemurmel und wartete eine Erklärung ab. Er rieb sich kurz die Nase und mir entging nicht, dass er meinem Blick auswich, auch als er wieder etwas nuschelte, diesmal jedoch so leise, dass ich es nicht ganz verstand. Fragend hob ich meine Brauen noch etwas höher, sicherlich waren sie längst hinter meinen schwarzen Haaren verschwunden. “I-ich hab gesagt… j-jeder der… -ngh- der schwimmen k-kann vielleicht!”, gab er etwas deutlicher von sich. Sein Blick wirkte jetzt nicht mehr ganz so schüchtern. Eher so, als wolle er das Thema so schnell wie möglich hinter sich lassen. Ich brauchte keine fünf Sekunden um zu verstehen, was er damit gemeint hatte. “Du kannst nicht schwimmen?”, platzte es geradezu aus mir heraus. Nicht so laut und aufdringlich, als sei ich Clyde und auch nicht so desinteressiert, wie Token. Sondern so wie ich eben, es lässt sich nicht so ganz beschreiben. Nicht unbedingt sehr neugierig oder geschockt würde ich sagen, mehr… ungläubig. Ganz kurz zuckte Tweek in sich zusammen. Ich hoffe, er dachte nicht wieder, ich würde ihn auslachen oder so. So langsam sollte er ja schließlich begriffen haben, dass ich es ernst meinte. Oder es zumindest vorgab. Ich erhielt keine Antwort, sein Gesichtsausdruck jedoch sprach Bände. Tweek schämte sich unheimlich, es war nicht zu übersehen, wie unangenehm ihm diese Situation gerade war. Mein erster Gedanke lautete: Es tut mir Leid, dass ich ihn anscheinend so bloßgestellt habe. Diesen strich ich jedoch und ersetzte ihn durch: Ich muss so tun, als täte es mir leid ihn so bloßgestellt zu haben. “Tweek, das ist doch nichts Schlimmes”, warf ich also ruhig ein und lächelte ihn aufmunternd an. Sachte hob er seinen Blick neuerlich vom Boden und schaute mich fragend an, vielleicht auch ein wenig prüfend, falls Tweek das überhaupt konnte. Doch, da war eindeutig Skepsis in seinen Augen. Er glaubte mir nicht, dass ich ihn nicht gleich dafür auslachte. Also musste ich ihn davon überzeugen. “Ich bin nur echt ein bisschen verwirrt… ich meine… JEDER kann schwimmen. Also warum du nicht?” Gut gemacht, Craig, dachte ich mir und klopfte mir selbst imaginär auf die Schulter. Wäre Cartman doch bloß hier gewesen, dann hätte er sein Maul nicht mehr so schnell aufgerissen und gesagt, ich wäre ein schlechter Lügner. Aber der Fettarsch war nicht hier. Nur ich und ein immer noch ziemlich verunsicherter Tweek. Ich hatte gedacht, nach gestern Mittag könnten wir diese Phase endlich hinter uns lassen, andererseits wüsste ich gar nicht, wie ich mir einen Tweek vorstellen sollte, der nicht unsicher war. Er seufzte, ganz leise und nachgiebig. Ich konnte jetzt schon behaupten, dass ich einer der ersten war, der nun Folgendes zu hören bekommen würde. “I-Ich hab es einfach nie gelernt…”, murmelte er kleinlaut und warf mir erneut ein paar beschämte und abwartende Blicke zu, ehe er weiter sprach, “ich… ich könnte ertrinken! Ich könnte einen Krampf bekommen und niemand würde es bemerken! Oh Gott! O-oder ein Seeungeheuer könnte mich angreifen u-und -ngh- es könnte mich fre-fressen!” Hektisch griff er sich in seine Haare und schien schon wieder einer Panikattacke zu unterliegen, während ich einfach nur dastand und ihn auf meine typische Art anstarrte. Jesus, das konnte einfach nicht wahr sein… ich meine, scheiße, Seeungeheuer?! Ich war schon dabei gewesen mich einfach umzudrehen und weiter zu gehen, als mir aber plötzlich eine unheimlich gute Idee kam. Ohne zu zögern schaute ich einmal die Straße auf und ab, die Laternen hatten sich bereits eingeschaltet, ohne dass ich es wahrgenommen hatte. Sie warfen warme Lichtkegel auf die ungewohnt grauen Straßen. Sonst war alles weiß. Niemand war zu sehen. Wir waren die einzigen Personen hier draußen. Ich drehte mich zu dem Gitterzaun um, griff hinein und begann mich hoch zu ziehen, während ich zusätzlich meine Füße gegen das Metall stemmte. Tweek besann sich in eben diesem Moment wieder, abgelenkt durch meine seltsame Aktion, ließ die Hände sinken und schaute mich verdutzt an. “W-Was machst du?”, fragte er mehr als verwirrt. “Über den Zaun klettern. Wenn du nicht schwimmen kannst, dann wird es jetzt höchste Zeit, dass ich es dir beibringe”, gab ich zurück, bereits oben angekommen und sprang hinab auf die andere Seite. Es war nicht sonderlich hoch, außerdem machte ich das nicht zum ersten Mal, “du solltest dich beeilen.” Wie angewurzelt stand Tweek da, die Farbe wich langsam aus seinem Gesicht und seine kaffeebraunen Augen schienen noch größer als sonst. Ich wusste was jetzt kommen würde. Drei, zwei, eins… “Argh! A-Aber das ist doch verboten! U-Und, oh Gott! Wennwaspassiert?! Wir werden riesengroße Schwierigkeiten bekommen! I-Ich will das nicht, echt nicht Craig!” Beschwichtigend hob ich meine Hände auf Brusthöhe und bedeutete ihm ruhig zu bleiben, er machte viel zu viel Lärm und ich hatte keine Lust tatsächlich noch erwischt zu werden, nur weil der Freak zum ersten Mal in seinem Leben etwas Verbotenes tat. “Tweek, komm runter. Alles ist erlaubt, solange man sich nicht erwischen lässt. Also schwing deinen Hintern hier rüber.” Ihm schien unwohl zu sein, denn er trat wie vorhin von einem Fuß auf den anderen. Sein aufgeregter Blick huschte die Straße entlang, ganz hektisch, immer wieder. Langsam wurde ich ungeduldig. “Jetzt mach schon!” Tweek schaute mich ganz unbehaglich an, ich konnte sehen, dass er schwer schluckte. Er schien wirklich mit sich ringen zu müssen. Eigentlich gäbe es für ihn keinen Grund dies hier zu tun, schließlich hatte er Angst vor Wasser und auch Angst davor, erwischt zu werden. Aber ich konnte in seinen braunen Augen sehen, dass er mir etwas beweisen wollte. Vielleicht auch sich selber, was weis ich. Ganz langsam machte er sich daran das Gitter hinauf zu klettern. Dabei rutschte er mehrere Male mit seinen Füßen ab und fing immer mehr an zu zittern. Tweek war nicht unsportlich oder so, ihm fehlte nur diese gewisse Ruhe, welche ich in Massen besaß. Ohne es zu bemerken bildete sich ein winziges Grinsen auf meinem Gesicht, als ich Tweek so dabei zusah, wie er über das Tor kletterte ohne auch nur einmal auf den Boden zu sehen. Als er oben angekommen war, sprang er nicht hinunter, so wie ich es getan hatte. Er kletterte ganz vorsichtig auf der anderen Seite runter, bis seine abgelatschten Turnschuhe auf festen Beton trafen. Ich versuchte anerkennend zu grinsen und wunderte mich, wie leicht es mir viel. Ich mochte solche Nacht und Nebel Aktionen. Sie zeigten mir, dass ich noch am leben war und nicht so grau und stumpf wie meine Eltern, die sich stumm ihrer Umwelt anpassten. Sie waren längst tot, zumindest seelisch. Und so wollte ich nicht sein. Die Wasseroberfläche war pechschwarz, glatt und unberührt. Es sah aus, als hätte man Teer -nur halt viel flüssiger- in das Schwimmbecken gefüllt. Neben dem Spiegelbild des silbernen Mondes konnte ich das, meines Gesichts sehen, wie es mich ausdruckslos anstarrte. Hier draußen war bereits alles dermaßen dunkel, dass meine Augen schwarz aussahen und nicht mehr dunkelblau. “W-Wir sollten das wirklich nicht tun…”, stammelte Tweek ein paar Meter weiter weg von mir in einem Flüsterton. Ich drehte mich zu ihm um, ganz verloren sah er aus, die dünnen Arme um seinen Körper geschlungen. Als habe man ihn im Wald ausgesetzt, mitten in der Nacht zwischen hungrigen Wölfen. Aber hier war nur ich. Na gut, vielleicht auch nicht viel besser, schließlich hatte ich ihm gegenüber ja auch nicht unbedingt die besten Absichten -nur fressen wollte ich ihn ganz sicher nicht. “Genauso wie ich eigentlich nicht rauchen, nicht lügen und anderen meinen Mittelfinger nicht zeigen sollte. Und trotzdem bin ich noch am leben, oder?” Zur Demonstration drehte ich mich einmal um mich selbst, die Arme von mir gestreckt. Er lachte nicht über meinen schlechten Scherz. Er schien noch verunsicherter als vorher. Ich seufzte stumm, dann griff ich nach dem Saum meines Shirts und zog es mir über den Kopf. Ich drehte mich dafür extra in Tweeks Richtung, ein wenig Hautzeigen hatte noch nie beim Kopfverdrehen geschadet. Kurz darauf folgten meine Schuhe, meine Hose, die Boxershorts ließ ich an, schließlich wollte ich ja noch mit Tweek schwimmen gehen und ihn nicht gleich wegen eines Herzinfarkts ins Krankenhaus bringen müssen. Es war kühler als ich angenommen hatte, was wohl auch an der späten Uhrzeit lag. Jedoch ließ ich mir das nicht anmerken, irgendwie war es mir gerade besonders wichtig, souverän zu wirken. Warum auch immer. Tweek stand noch immer ziemlich unschlüssig da. Ich schenkte ihm einen auffordernden Blick, tat ihm aber den unausgesprochenen Gefallen und drehte mich ganz desinteressiert dem Wasser zu. Auch wenn ich nicht umhin kam, einmal einen kurzen Blick über die Schulter zu werfen. Tweek war dünner als ich angenommen hatte, in der Sportumkleide war mir das nie so wirklich aufgefallen, vielleicht weil ich einfach nie drauf geachtet hatte. Ich vergaß, dass ich ja eigentlich das Wasser betrachtete, Tweek bemerkte meinen ungenierten Blick, der über seinen halbnackten Körper wanderte und ich hätte schwören können, seine Wangen kurz aufglühen gesehen zu haben. Man hatte mir mal erzählt, dass es einem leicht fiel, jemanden offen zu mustern, der einem so ziemlich egal war. Umgekehrt eben bei Personen, die einem nicht egal waren. Ich hoffte wirklich, nein, ich war davon überzeugt, dass diese Theorie stimmte. Tweek wusste, dass er rot geworden war, als ich ihn angesehen hatte. Und ich wusste, dass ich ihn deutlich ausführlicher gemustert hatte, als überhaupt nötig gewesen wäre, wenn überhaupt. Aber wir sprachen nicht darüber -und das war gut so. Stumm standen wir nebeneinander am Beckenrand, halb nackt, nur mit unseren Shorts bekleidet und starrten in das schwarze Nichts direkt vor uns. Ich denke, Tweek hatte ganz schön Angst gehabt. Seine blassen Zehen hatten gezittert, aber ganz sicher nicht weil es so frisch war. Ohne etwas zu sagen trat ich ein paar Schritte zurück, hielt kurz inne, rannte los -und sprang. Ich durchstieß die Wasseroberfläche, als wäre sie Luft. Ich öffnete meine Augen, es war ein atemberaubender Anblick, ein unglaubliches Gefühl. Um mich herum nur dunkelblaue Schwärze und abertausende von winzigen Luftbläschen, die sich selbst den Weg nach oben abschnitten und sich um mich drehten. Das Wasser war nicht so kalt, wie ich angenommen hatte. Die Sonne hatte es tagsüber aufgewärmt, es fühlte sich gar nicht so an als befände ich mich im Becken, sondern so, als stünde ich noch immer neben Tweek. Ich legte meinen Kopf in den Nacken, während ich ganz langsam tiefer sank und Arme und Beine von mir streckte. Sogar von hier unten konnte ich den Mond sehen, sein Licht brach sich an der Oberfläche und glitzerte auf dem Bläschenwirrwarr um mich herum. Ich fühlte mich, als befände ich mich mitten im Weltraum, zwischen Millionen kleiner Sterne. Je tiefer ich sank, desto mehr regulierte sich mein Puls, das Adrenalin pulsierte heftig in meinen Adern, ebbte aber langsam ab. Ich spürte wie ich auf dem Grund des Beckens ankam, ich bewegte meinen Körper nicht, bis ich ganz auf den Fliesen lag, so als wäre ich tot. Der Moment war zu schön, zu außergewöhnlich. Am liebsten hätte ich ihn nie unterbrochen, wäre für immer hier unten geblieben. Aber mein Körper erinnerte mich daran, dass ich ein Mensch war und kein Fisch, ich brauchte Sauerstoff. Mit langen, gleichmäßigen Zügen bewegte ich mich also wieder nach oben, fast dachte ich, ich würde es nicht mehr schaffen… Als ich auftauchte und tief einatmete stach die kalte Nachtluft in meinen Lungen. Dennoch fühlte ich mich immer noch prächtig. “G-Gah! C-Craig! Ich dachte du -ngh- du wärst ertrunken! Oh Gott! Du warst so lang unter -gah- unter Wasser!” Tweek sah ganz geschockt aus, er hatte seine Hände bereits wieder in den blonden Haaren vergraben, seine Augen waren vor Schreck weit aufgerissen und wieder sprang er von einem Fuß auf den anderen. Ich konnte nicht anders, ich begann zu lachen. Weil Tweek einfach unglaublich komisch ausgesehen hatte. Weil es mich gerade nicht deprimierte daran zu denken, dass ich meisten nur in Gegenwart von Clyde so lachen konnte. Weil ich glücklich war, genau in diesem Moment. Es dauerte eine halbe Ewigkeit um Tweek überhaupt erst einmal dazu zu bringen, sich an den Beckenrand zu setzen. Er hatte vorhin nicht übertreiben mit seiner Angst vor den unbekannten Tiefen des Schwimmbeckens. Seine Augen wanderten immer wieder nervös über das Wasser, suchten nach Bedrohungen, welche nicht existierten, außer vielleicht dem Wasser selbst. Ich erinnerte mich daran, wie ich schwimmen gelernt hatte. Clyde und ich waren einfach in das tiefe Becken des Freibads geklettert und hatten angefangen zu üben. Die Angst unterzugehen hatte mich fast wahnsinnig gemacht, aber es wäre mir damals peinlich gewesen, das vor Clyde zu zugeben. Ihm war es sicherlich genauso ergangen. Wir hatten uns also gegenseitig angespornt... und so schwimmen gelernt. Tweeks Beine hingen im Wasser, mit seinen Händen krallte er sich am Beckenrand fest. Wir diskutierten nun schon bestimmt eine viertel Stunde lang, aber er wollte einfach nicht ins Wasser. “Verdammt Tweek, du wirst schon nicht untergehen!”, blaffte ich ihn ein wenig genervt an. Er biss sich auf seine Unterlippe und zitterte, so wie er es immer tat. Ansonsten keine Reaktion. Ich löste eine meiner Hände, die eben noch rechts neben ihm geweilt hatte und fuhr mir durch die nassen, strubbeligen Haare. Ich seufzte. “Okay, hör zu. Ich verspreche dir jetzt, dass dir nichts passieren wird, ja? Ich pass auf dich auf”, laberte ich beruhigend auf ihn ein, diesmal ein wenig feinfühliger. Seine Miene hellte sich ein winziges bisschen auf, trotzdem schaute er mich noch immer unsicher an. “W-wirklich?”, ein genervter Blick meinerseits, “o-okay… dann… komm ich rein…”, nuschelte er nicht so ganz überzeugt von sich selber, atmete einmal tief durch und ließ sich ganz langsam in das kühle Nass gleiten, bis es ihn bis zu den Schultern verschluckt hatte. Seine Hände krallten sich nun wie ein Schraubstock an den Rand des Beckens, ich konnte sehen dass sich sein ganzer Körper anspannte. “Tweek, du musst dich schon zu mir umdrehen, wenn du schwimmen lernen willst.” “I-ich kann -ngh- nicht!” “Und warum nicht?” “W-weil ich dann ertrinke!” Gott! Dieser Junge machte mich fast wahnsinnig. Und doch musste ich zugeben, dass es ganz niedlich war, wie er sich anstellte und… nein, halt. Tweek war nicht niedlich, ich sollte mich lieber wieder konzentrieren. “Ich hab doch gesagt du wirst nicht ertrinken. Hör zu, du drehst dich jetzt ganz vorsichtig um und lässt los, ja? Ich werd’ dich festhalten.” Er warf mir einen kurzen Blick über seine Schulter hinweg zu, ich konnte in seinen Augen Zweifel aufflackern sehen und dennoch tat er, was ich ihm gesagt hatte. Ganz vorsichtig, als würde jeder nächste Schritt seinen Tod bedeuten wandte er sich in meine Richtung. Es kam mir vor, als hätte jemand die Zeit ein wenig langsamer gestellt, dann ging alles ganz schnell. Er lies den Beckenrand los, ich griff nach Tweek um ihn wie versprochen festzuhalten. Seine Arme klammerten sich um mich, als wäre ich sein einziger Halt -war ich ja auch mehr oder weniger. Ich denke, normalerweise hätte er sich das nicht getraut -mir so nahe zu kommen meine ich. Aber seine Angst schien zu siegen, denn binnen weniger Sekunden hing er wie ein kleines Äffchen an mir und bebte so stark, als stünde er unter Strom. Wir sagten nichts, ich wartete kurz um ihm Zeit zu geben, sich zu beruhigen. Ich konnte sein Herz an meiner Brust spüren, wie es heftig pochte vor Angst, und seinen aufgeregten Atem direkt neben meinem Ohr hören. Ich legte meine Arme noch etwas enger um ihn. “Tweek, du brauchst wirklich keine Angst zu haben… vertrau mir”, es war nicht beabsichtigt gewesen, dass ich flüsterte, es war einfach so passiert. Ich senkte meinen Blick ein wenig, Tweek war um einiges blasser als ich, fast käsig. Unsere Hautfarben unterschieden sich ganz deutlich. Genauso wie seine blonden und meine schwarzen Haare. Er hatte einen kleinen Leberfleck auf seiner Schulter. Das alles war mir noch nie so richtig aufgefallen. Aber wann hatte ich auch schon mal Gelegenheit dazu gehabt? Sein Zittern ebbte ein wenig ab, er wurde tatsächlich ruhiger. Ich hatte mir diese ganze Angelegenheit schrecklich schwer vorgestellt, aber nachdem Tweek erst einmal im Wasser gewesen war, klappte es ganz gut. Wir hatten sogar ziemlichen Spaß dabei, lachten immer mal wieder. Tweek lernte schnell, wie er sich über Wasser halten konnte, auch wenn das mit dem richtigen Schwimmen wohl noch ein wenig Übung brauchte. Wir alberten viel rum, aber er traute sich nicht zu tauchen. Ich erklärte ihm wie es unter Wasser war, dass man sich wie in einer anderen Welt fühlte. Ich glaube, er fand diese Vorstellung aufregend, aber wie immer dominierte die Angst über ihn. Ich war mir sicher, dass es ihm gefallen würde, also entschloss ich mich ihm einen kleinen ‘Anstupser’ zu geben. Ich tauchte einfach unter und konnte noch hören wie Tweek irgendwas rief (er hatte ständig Angst, ich würde ihn alleine lassen, hier mitten im Wasser). Ich konnte gut tauchen, ich liebte es, wie anders alles aussah, unterhalb der Oberfläche. Verschwommen konnte ich seine Beine erkennen, wie sie immer Wasser taumelten. Ohne Vorwarnung griff ich nach seinem Knöchel und zog daran. Mit einem Schwupps tauchte Tweek unter, ich konnte ein leises Gurgeln hören und sah Luftblasen aufsteigen, ehe er anscheinend realisierte, dass es besser war die Luft anzuhalten. Geschockt strampelte er mit dem Fuß in meiner Hand, aber ich zog weiter bis wir auf Augenhöhe waren. Seine Augen waren weit aufgerissen und ich begann breit zu grinsen, als ich wieder einfach meine Arme um ihn schlang, damit er nicht sofort wieder abhauen konnte. Er sollte sehen, wie schön es hier unten war und machte eine andeutende Kopfbewegung. Hektisch ließ er seinen Blick nach links und rechts wandern, da war nichts als Schwärze unter uns, neben uns, nur über uns schimmerte noch immer das silbrige Mondlicht. Er schien vergessen zu haben, dass er bis eben noch schreckliche Angst empfunden hatte, sein Blick war jetzt ganz erstaunt als er ihn mir wieder zuwandte. Es war ein seltsamer Moment, anders konnte ich es nicht beschreiben. Hier waren nur Tweek und ich. Nichts anderes. Ich musste an die Wette denken und fragte mich ob ich es wohl jemals schaffen würde Tweek dazu zu bringen sich in mich zu verlieben, oder ob ich es schon längst geschafft hatte. Ich dachte daran, wie sehr es mich verwirrt hatte, als er mir am Abend zuvor von sich erzählt und dass ich tatsächlich so was wie Mitleid empfunden hatte. Es vergingen sicherlich nur ein paar Sekunden, während ich meinen Gedanken so nachhing, dennoch reichte es um nicht zu bemerken, dass Tweek zunehmend unruhiger geworden war, er wand sich plötzlich heftig in meinen Armen und strampelte wie verrückt. Seine Wangen waren knallrot angelaufen, die Augen hatte er panisch zusammengekniffen während er das Kinn Richtung Wasseroberfläche reckte. Erschrocken lies ich ihn los und half ihm nach oben, ich hatte ganz vergessen, dass Tweek längst nicht so lange tauchen konnte wie ich. Ich kam kurz nach ihm an der Oberfläche an, wie von selbst legten sich seine Arme wieder um mich und andersherum genauso. Es war nicht mehr so seltsam, wie noch ganz zu Anfang, aber auch nicht gewöhnlich. Denn er konnte sich zwar selbst über Wasser halten, aber ich wusste, dass es anstrengend für ihn war. Tweek holte immer wieder tief Luft und ich musste leicht lachen. “Tut mir leid”, gab ich ebenfalls ein wenig aus der Puste von mir und grinste nicht sonderlich reumütig. Er sagte nichts, lächelte nur ein wenig verkrampft zurück und versuchte seine Atmung zu regulieren. “Craig?”, fragte er nach ein paar Minuten, in denen wir uns nicht sonderlich bewegt hatten. Es war noch kühler geworden, auf meinen Armen hatte sich eine Gänsehaut gebildet und manchmal konnte ich leicht meinen Atem in der Luft erkennen. “Hm?” Es kam nichts zurück, ich versuchte seinen Blick einzufangen, was mir nicht so ganz gelingen wollte. “Sind wir… sind wir eigentlich so was wie -gah- Freunde…?”, fragte er schließlich ganz unsicher. Vielleicht bereitete er sich erneut darauf vor, dass ich ihn auslachen könnte. Ich musste daran denken, dass ich vorhin noch gedacht hatte, wie gut es gewesen war, diese Frage von ihm bislang nicht gestellt bekommen zu haben. Jetzt aber empfand ich es als gar nicht so schlimm. Ich habe eine Wette zu gewinnen, rief ich mir ins Gedächtnis. “Klar”, antwortete ich breit grinsend und drückte ihn wieder ein wenig fester an mich, so dass unsere Nasenspitzen gegeneinander stupsten. Tweek schaute mich aus großen, kaffeebraunen Augen an. Mir viel auf, dass in diesen schlechten Liebesfilmen genau in diesem Moment immer romantische Musik eingespielt wurde und sich die beiden Hauptprotagonisten langsam aufeinander zu bewegten, um sich zu küssen. Mein Herz setzte für ein paar Schläge aus. Ich war nicht schwul, die Vorstellung einen anderen Jungen zu küssen war… abartig. Aber sollte es nicht auch abartig sein, eng umschlungen mit einem anderen halbnackten Jungen im Wasser zu treiben? Außerdem wäre es doch nur für diese beschissene Wette… Die Zeit verging wieder langsamer. Ich nahm plötzlich viel mehr Einzelheiten wahr, zum Beispiel den warmen Atem meines Gegenübers auf meinem Gesicht. Die Kälte des Wassers. Ich drehte meinen Kopf ein bisschen. Mit meiner Nasenspitze berührte ich Tweeks kühle Wange und dann… BUMM. Ein Schock durchfuhr mich, wie ein Blitzschlag. Gleißendes Licht flutete alles um uns herum, blendete meine Augen, sodass ich sie fest zusammenkneifen musste. Jemand richtete einen großen Scheinwerfer auf uns. Tweek fuhr erschrocken in sich zusammen und über Lautsprecher ertönte eine unfreundliche Stimme. “Ihr da! Was habt ihr hier zu suchen?!” Eine leisere Stimme, nicht über Mirkophon rief so was wie: “Siehst du, ich hab dir doch gesagt, ich hätt’ da was gehört!” Dann ging alles ganz plötzlich. Ich zog Tweek so schnell ich konnte mit zum Beckenrand, wir kletterten aus dem wasser und schnappten uns in Windeseile unsere Klamotten, dann sprinteten wir los. “Halt! Stehen bleiben!!”, riefen sie uns noch hinterher, aber mit solch einem Fluchtmanöver schienen sie nicht gerechnet zu haben. Das Tor des Freibads stand offen, perfekt um abzuhauen. Tweek war außer sich, er jammerte wie ein kleines Kind und schien kurz vor einem Nervenzusammenbruch zu sein. Als er leicht hinter mir zurück fiel, griff ich spontan nach seiner Hand und zog ihn weiter. Was, wenn uns die Kerle hinterher liefen? Das Adrenalin beflügelte mich und lies mich noch schneller laufen. Das war das beste an Verbotenem, es fühlte sich zehnmal so intensiv an, als wenn ich log. Erst unzählige Straßenecken später und als wir schon lange nicht mehr konnten, wurden wir langsamer und blieben keuchend stehen. Ich schaute flüchtig zur Seite, Tweeks und mein Blick begegneten sich und ich erinnerte mich wieder daran, einfach so seine Hand genommen zu haben. Schnell ließ ich sie los. Tweek stützte sich auf seinen Knien ab, zitterte und zuckte wie verrückt. “Oh Gott! Wir kommen ins Gefängnis! G-Gah! Oh Gott!”, stieß er panisch und atemlos hervor. Ich musste leicht lachen und schüttelte amüsiert meinen Kopf. Mit dem Rücken lehnte ich mich an eine graue Hauswand, mein Puls ging rasend. “Verdammt, das war echt geil”, war mein einziger Kommentar, woraufhin ich einen entgeisterten Blick des Kaffeejunkies erntete. Wir trugen immer noch nur unsere Boxershorts, waren klatschnass und standen irgendwo mitten in South Park, weil wir vor Freibadaufsehern oder so was geflüchtet waren. Sowas in der Art schien wohl auch mein Blick auszusagen, denn plötzlich fing auch Tweek an zu glucksen. Es war nicht wirklich ein Lachen, aber auch nicht so ein mädchenhaftes Kichern. Irgendwas dazwischen. Und ich ohrfeigte mich innerlich für den Gedanken, dass mir dieses Geräusch gefiel. * Der Beton unter unseren nackten Füßen war eiskalt, als wir nachhause gingen. Tweek hatte die Arme um sich selbst geschlungen, dabei drückte er seine Klamotten fest an sich. Seine Zähne klapperten ein wenig aufeinander, während er zitterte. Ihm schien noch kälter als mir zu sein. Wir hatten uns nicht extra angezogen, nachdem wir zu der Erkenntnis gekommen waren, dass wir während unserer Flucht sogar die richtige Richtung eingeschlagen hatten. Außerdem waren wir noch immer ganz nass, da hätten die Klamotten auch nicht viel gebracht. “W-Wenn ich zuhause bin… trink ich -gah- trink ich eine riesige Tasse K-Kaffee…”, murmelte Tweek, den Blick zu Boden gerichtet. “Ich werd’ mir ne Pizza machen”, antwortete ich schief lächelnd, obwohl mir ebenfalls schrecklich kalt war. Ich schaute Tweek aus dem Augenwinkel an und versuchte mich zu erinnern, ob er jemals schon mal so zufrieden ausgesehen hatte und mir viel der Moment ein, als wir auf diesem Flecken Gras gelegen hatten. Da war sein Gesicht auch so entspannt gewesen, vielleicht noch ein bisschen mehr, weil ihm da nicht so kalt gewesen war. Keine Ahnung. An der nächsten Kreuzung trennten sich unsere Wege. Ich hob nur kurz die Hand und Tweek brachte ein halbwegs glückliches Lächeln zustande. Trotzdem schien dieser Abschied für mich herzlicher als jede Umarmung. Genau in diesem Moment fiel mir wieder ein, dass Tweek und ich uns fast geküsst hätten. Wir hatten nicht darüber geredet, aber mir war klar, dass wir beide es wussten. Zumindest war ich mir ziemlich sicher, dass auch Tweek das mitbekommen haben musste. Angesprochen hatte es aber wie gesagt keiner von uns. Und das war auch gut so. Es war erstaunlich wie schnell sich Dinge ändern konnten, ohne dass wir es so richtig registrierten. Heute Morgen noch war ich wütend gewesen, weil Tweek mir so ein schlechtes Gewissen bereitet hatte, indem er mir zu verstehen gab, wie es in seinem Kopf so aussah. Jetzt war ich irgendwie stolz, was mich ziemlich beunruhigte. Aber es ließ sich nicht leugnen. “Tweek!”, rief ich über meine Schulter hinweg und drehte mich noch mal um. Er war schon fast am anderen Ende der Straße, aber als er mich hörte, blieb er trotzdem stehen. “Was ist deine Lieblingsfarbe?!” Es dauerte kurz bis eine Antwort kam. Braun, dachte ich. Ganz sicher. “… Blau!”, dann drehte er sich wieder um. Und ging. ___________________________________ Ah, verdammt, es hat schon wieder ne halbe Ewigkeit gedauert! Und schon wieder sind es viel mehr Wörter geworden, als beabsichtigt! Okay, egal… hier ist also euer Freitag! Man, dieses Kapitel hat mir meine letzten Nerven genommen, ich musste fünfmal neu anfangen, weil ich es jedes Mal scheiße fand. Ich denk mal jetzt geht’s so einigermaßen… Und ich hoffe die Szenen im Freibad haben euch gefallen! ;D Allein auf dieser Idee basiert übrigens diese ganze Fanfik. Ich wollte unbedingt was schreiben, wo Craig zusammen mit Tweek in nem Freibad einbricht und dann… ist der Rest irgendwie nach und nach dazu entstanden. Der Samstag ist schon in Planung, man darf also gespannt sein :P Nach wie vor vielen lieben Dank für eure schönen Feedbacks, ihr lasst mein kleines Schreiberherz wirklich höher schlagen! :D Greezes! Kapitel 6: VI - Samstag ----------------------- Kapitel 6 Ich belog Menschen ziemlich oft. Und ich belog mich selbst ziemlich oft. Aber damit war ich nicht alleine. Meiner Meinung nach bestand die ganze Welt aus einem riesigen Haufen Lügner. Jeder tat es ab und an mal. Der Unterschied zwischen mir und dem Rest der Welt war jedoch: Ich gab es zu, hatte es akzeptiert, und lebte damit. Ich mochte es sogar. Die anderen nicht. Menschen redeten sich schon seit Anbeginn der Zeiten Dinge ein wie: “Ich bin nicht dick, das macht der Spiegel!”, oder, “Nicht ich bin das Problem, die anderen verstehen mich nur einfach nicht!”. Sie beruhigen sich selber. Sie tun so, als wäre alles in Ordnung. Warum sie das tun? Es macht sie glücklich. Gestern Nacht, als ich nach Tweeks und meiner kleinen Nacht-und-Nebel-Aktion nach Hause gekommen war hatte ich mir tatsächlich wie gesagt eine Pizza gemacht. Ich hatte am Küchentisch gesessen und gedacht: morgen gehe ich zu Clyde und regle das mit ihm, ganz bestimmt. Der Gedanke hatte mich für diesen Moment zufrieden gestimmt, ich war glücklich gewesen. Doch ich tat es nicht.. Er würde mir gar nicht erst die Tür aufmachen. Wir würden sowieso nur wieder aneinander geraten. Mir fallen eh nie die richtigen Worte für so was ein. Eigentlich will ich mich doch gar nicht mit ihm vertragen. Tausend Ausreden hatte ich mir einfallen lassen und mir schließlich eingestehen müssen, dass ich einfach feige war. Dass ich ein größerer Lügner war, als ich gedacht hatte. Das Ding war nur, je mehr Ausreden ich mir einfallen ließ, desto leichter fiel es mir, damit umzugehen. Ich tat also genau das, was alle anderen Menschen auch taten. Aber wie bereits erwähnt, war ich da noch ein wenig anders. Ja, ich schaffte es, damit umzugehen, verdammt. Aber ich war nicht glücklich. Ich konnte mir vielleicht einreden, dass ich glücklich war, schaffte es sogar, dies für einen gewissen Zeitraum zu glauben. Doch im Grunde genommen, war ich es nicht. Denn ich wusste, dass ich mich selbst belog. Und das pisste mir wiederum ganz gewaltig ans Bein. Die gute Laune von gestern Nacht war wie verflogen, stattdessen fühlte ich mich ziemlich zermatscht, platt, wie durchgekaut und ausgekotzt, während ich regungslos in meinem Bett lag und mir wünschte, der Morgen wäre nicht ganz so schnell gekommen. Hätte mich nicht ganz so schnell zurück ins Hier und Jetzt befördert. Hätte mir noch ein kleines bisschen Ruhe gegeben, vor diesem abartigen Gefühl in meinem Bauch. Sicherlich bahnte sich da eine Erkältung an, oder so. Anders konnte ich mir meinen Gemütszustand nicht erklären. Ich hörte wie meine kleine Schwester unsere Treppe runter polterte. Sie war gerade in diesem Alter, wo man in jedem Fußbodenbelag eine kleine Herausforderung sah, eine Art Spiel. Zum Beispiel, dass man penibel darauf achtete, bei den Gehwegen auf keine einzige Fuge zu treten. Oder die wenigen, hellen Pflastersteine nicht zu berühren. Sowas eben. Damals, als ich jünger gewesen war, hatte ich immer gedacht, ich wäre seltsam, weil ich so etwas machte. Dann war mir aber bei genauem Hinsehen aufgefallen, dass fast alle in meinem derzeitigen Alter solch komische Anstalten beim Gehen gemacht hatten. Clyde zum Beispiel war einmal, als er nach der Schule mit zu mir gekommen war, auf jeden einzelnen, verfluchten Ast getreten, der uns im Weg gelegen hatte. Jetzt war das natürlich nicht mehr so, wie waren älter geworden. Wie auch immer. Meine Schwester hatte es sich also angewöhnt jetzt jedes Mal wenn sie unsere Treppe hinunter ging die oberste Stufe, zwei aus der Mitte und die vorletzte am Fuße zu überspringen. Das waren alle Treppenstufen, die ein Knarren von sich gaben, wenn man sie betrat. Jetzt konnte man sich vielleicht fragen, warum ausgerechnet ich als 17-Jähriger so etwas wusste. Aber wie gesagt, ich war auch mal in dem Alter gewesen… Neben dem Gepolter meiner Schwester hörte ich nur ein wenig später die schlurfenden Schritte meiner Mutter. Sie machte sich nicht die Mühe, unsere knarrenden Stufen auszulassen. Ich glaube sie hätte nicht einmal gewusst welche es gewesen wären. Sie war erwachsen, da hatte man den Kopf mit anderen Dingen voll, als knarrenden oder nicht knarrenden Treppenstufen. Wenn man mich jemals gefragt hätte, ob mir unser Haus gefiel, hätte ich ‘Nein’ gesagt. Auch wenn ich es liebte zu Lügen und daraus bereits eine richtige Leidenschaft gemacht hatte… in diesem Thema wäre es lächerlich gewesen, unehrlich zu sein. Es lag nicht direkt an unserem Haus, dass ich es nicht mochte. Viel mehr an der Atmosphäre. Die Stille hier fühlte sich erdrückend an. Man hörte es zwar nicht, aber man spürte förmlich die Präsenz meiner unzufriedenen Mutter, wie sie einsam am Küchentisch saß und sich fragte, ab welchem Punkt ihres Lebens es so bergab gegangen war und was sie hätte anders machen können. Man spürte förmlich wie erschreckend schnell sich meine Schwester in genau die selbe Richtung entwickelte, welche ich eingeschlagen hatte: vollkommene Abschottung, Resignation. Sie führte ihr eigenes Leben. Vielleicht war das ja sogar das Beste was sie tun konnte. Und dann war da noch unser Vater, der trotz allem jeden Abend wenn er nach Hause kam gemeinsam mit uns zu Abend aß und einfach wie bisher weiter machte, anstatt sich zu fragen, warum meine Mutter kaum noch lächelte, warum meine Schwester nie etwas von Freunden oder Erlebnissen erzählte, so wie es für Kinder typisch war. Warum die meisten unserer ‘Konversationen’ darin bestanden, uns gegenseitig den Mittelfinger zu zeigen. Man spürte einfach in jeder einzelnen Gott verdammten Sekunde, dass wir alle ein riesiger Haufen Lügner waren, indem wir so taten, als wären wir eine Familie. Normalerweise kam ich mit dem Kram ganz gut zurecht. Solange ich in meinem Zimmer blieb war alles okay, da befand ich mich eh in meiner eigenen Welt. Aber jetzt gerade drückte alles auf mich nieder, machte mich aggressiv und ließ mir keine Ruhe. Vielleicht, weil es mir ohnehin beschissen ging. Ich war ja auch so kein Sonnenschein in Person, sondern schlicht gesagt ein riesengroßer Pessimist. Aber jetzt gerade… die Sache mit Clyde ging mir ganz schon an die Nieren. Scheiße, er war nun mal mein bester Freund, auch wenn ich mir nicht sicher war, warum überhaupt. Wenn ich an ihn dachte, fiel mir grundsätzlich nur ein, wie nervtötend er sein konnte, wie oft ich mir vorstellte, ihn bei seinem Gefasel, Gemecker und Geheule einfach an den Haaren zu packen und seinen Kopf gegen die nächste Wand zu klatschten. Oder auf die nächst gelegene Tischplatte, von mir aus. Und trotzdem konnte ich mir einfach nicht vorstellen, ohne ihn zu sein. Als wäre ich dann unvollständig. Wer sich jemals mit einem sehr guten Freund gestritten hatte, der würde wissen, was ich meinte. Man fühlte sich hundeelend, so als ob jemand gestorben war und man selbst hätte es verhindern können. Und dann war da noch Tweek, welcher immer wieder in meinem Kopf auftauchte, ohne, dass ich ihn heraufbeschwört hatte. Einfach so, war er immer wieder ganz plötzlich da und ließ sich nicht mehr vertreiben. Es pisste mich an. Vielleicht war auch das der Auslöser für dieses beschissene Gefühl in meiner Magengegend. So genau wollte ich es gar nicht wissen… Was mich tierisch störte war nur, wie anders es war, wenn sich Tweek wirklich in meiner Nähe aufhielt und nicht nur in meinem Kopf. Dann fühlte ich mich nicht so wie jetzt, nicht ansatzweise. So wie am Donnerstag, als noch Schnee gelegen hatte, oder gestern, im Freibad. Manchmal hatte er dieses gewisse Lächeln, das mir schon von Anfang an aufgefallen war. Ich hatte noch nie jemand anderes auf diese Art und Weise lächeln sehen. Und jedes mal wenn ich es sah, war ich mir ziemlich sicher, dass er in diesen Momenten verdammt glücklich sein musste, ohne dass ich wusste, was wirklich in ihm vor sich ging. Ich musste hier raus. Ich brauchte dringend Ablenkung. Frische Luft. * Obwohl es mir so schlecht ging, schien draußen noch immer fröhlich die Sonne. Ziemlich ironisch wie ich fand. Als wolle mir das Leben extra auf die Nase binden, wie unbedeutend es war, wenn sich das Leben eines 17-Jährigen in eine Katastrophe zu verwandeln schien. Denn die Welt drehte sich weiter, alles nahm seinen gewohnten Lauf. Sicherlich war das gut so, besonders ich als Gewohnheitsmensch sollte ja froh darüber sein. Das Problem war nur eben, dass ich die Rolle des Angearschten hatte übernehmen müssen. Ein paar Kids fuhren auf ihren Skateboards an mir vorbei, während ich den Gehweg entlang ging, und unterhielten sich genervt über Inlineskater. Skateboardfahrer hassten Inlineskater, aber sie hassten zum Beispiel auch Fußballspieler und Streber. Ich glaube, Skater mochten nur sich selbst. Bei uns damals war das anders gewesen, wir waren Skateboard gefahren, weil es Spaß gemacht hatte. Wir haben Leute gehasst, weil sie echt scheiße gewesen sind. Und nicht aufgrund ihrer Freizeitaktivitäten. Da hatte man Cartman gehasst. Oder Butters. Und auch Tweek. Aber das war ja auch egal. Trotz des schönen Wetters hatte ich mir meinen blauen Lieblingshoodie übergezogen. Damit fühlte ich mich wohler. Die Hände hatte ich tief in dessen Taschen vergraben, wo ich unbewusst mit einer Zigarette hantierte. Ich hatte immer ein, zwei Zigaretten in meinen Taschen. Einfach so, aus Angewohnheit. Ich wusste, dass meine Finger nun nach Nikotin riechen würden, aber das störte mich nicht. Ganz im Gegenteil. Ich mochte den Geruch, er gehörte zu mir. Alles was ich besaß roch nach Zigaretten, nach Nikotin. Es beruhigte mich. Am Anfang war ich nicht genau sicher gewesen, wohin ich überhaupt hatte gehen wollen. Es passte nicht zu mir, desorientiert und ziellos durch die Gegend zu latschen. Trotzdem war ich ein wenig verwirrt, als ich schließlich vor einer mir ziemlich bekannten Haustür stehen blieb und auf den Klingelknopf drückte. Ich kam nicht oft hierher, schon gar nicht also versehentlich, niemals aus Gewohnheit. Und ganz besonders kam ich nicht unter solchen Umständen hier her. Ich wusste nicht, was mich zu diesem Entschluss geritten hatte. Und dennoch hatte ich nicht das Gefühl, umdrehen zu wollen… “Craig, das ist ja eine Überraschung. Komm doch rein!” Ich war mir ziemlich sicher, dass Tokens Mum meinen schlechten Ruf kannte. Sie wusste, dass ich kein guter Einfluss war, dass ich oft Mist baute und nicht weniger oft nachsitzen musste. Trotzdem war sie nie unfreundlich zu mir gewesen. Vielleicht, weil sie genauso wusste, dass Token sich nie irgendwo mit reinziehen lassen würde. Oder weil sie wusste, dass ich auch ganz in Ordnung sein konnte, keine Ahnung. Aber sie schien mich zu akzeptieren, vielleicht mochte sie mich sogar ein wenig. Token hatte nicht viele Freunde. Eigentlich nur Clyde und mich. Aber nicht, weil er unbeliebt war. Damals war das so gewesen, da hatten die anderen ihn nicht leiden können, wegen seiner Hautfarbe, wegen seines Geldes, seiner hochgestochenen Art. Heute war das anders. Da machten ihn genau diese Dinge zu etwas Besonderem, und so was mochten die Leute. Individualität. Bei Gott, nein, Token hätte denke ich viele Freunde haben können, wenn er wollte. Aber das tat er nicht. Umso öfter wunderte es mich also, dass er ausgerechnet mich und Clyde freiwillig ertrug. Vielleicht sollte ich ihn mal fragen, obwohl ich noch im selben Moment wusste, dass es eh nie dazu kommen würde. Vielleicht war ja auch das der Grund, warum Tokens Mutter mich zu mögen schien Ihr Sohn hatte nicht viele Freunde, war aber auch nicht dumm… Er würde schon ziemlich genau wissen, wen er sich an seine Seite holte. “Danke Mrs. Black. Sie sehen gut aus, waren sie beim Friseur?” Ein winziger Rotschimmer legte sich auf ihre Wangen, während sie peinlich berührt, vielleicht auch geschmeichelt abwinkte. Es war lustig anzusehen, das Rotwerden meine ich. Wegen ihrer dunklen Hautfarbe. Die Stellen, in welche das heiße Blut schoss, wurden ganz hell. Mit einem freundlichen Grinsen ging ich an ihr vorbei, den kurzen Flur entlang und bog in Tokens offen stehendes Zimmer. Hinter mir schloss ich die Tür, rein aus Gewohnheit. So fühlte ich mich wohler. “Du sollst aufhören meine Mutter anzugraben, Tucker”, grummelte Token mir entgegen, der noch im selben Moment ein wichtig aussehendes Buch zu klappte und mich dann abschätzend ansah, “du hast dich noch nicht mit Clyde vertragen?” Das vorige Thema war mir lieber gewesen, aber das konnte ich ja schlecht zugeben. Ich machte einen gleichgültigen Gesichtsausdruck und ließ mich auf sein bonziges Sofa fallen, bevor ich die Schultern zuckte. “Nope. Hast du das an dem Schild auf meiner Stirn gelesen, oder was?” Ein Augenrollen seinerseits. Das machte Token oft, wenn er Clyde oder mir stumm zeigen wollte, für wie kindisch er uns doch hielt. “Craig, ganz ehrlich. Du kommst mich sonst nie alleine besuchen… ergo gehe ich davon aus, ihr zickt euch immer noch an, wie Pussys.” Ärgerlich ließ ich ein kurzes Schnauben von mir hören und sank noch weiter in die gemütlichen Kissen. Erneut fragte ich mich, warum ich ausgerechnet zu Token gegangen war. Andererseits… wir waren befreundet, oder? Sowas machte man wohl, wenn man schlechte Laune hatte. Man drückte sich bei seinen Freunden herum, bis es einem besser ging. Und da die Option Clyde ausgeschlossen war… “Wenn hier wer ne Pussy ist, dann er, okay? Woher weißt du das überhaupt mit dem Streit? Hat er sich etwa schon wieder schön über mich ausgekotzt? Hat er wenigstens dolle geflennt?”, gab ich zerknirscht von mir. Ich hörte es zweimal leise Zischen, jedes Mal viel kurz darauf klimpernd etwas zu Boden. Mit einem resignierenden Kopfschütteln setzte sich Token mir gegenüber und reichte mir eine dieser kleinen Colaflaschen aus Glas. Die echten meine ich, die man immer in der Werbung sehen konnte. Oder die es im Kino immer gab. Kein gefakter Schrott. Bei uns gab es so was nicht, da trank man seine Cola aus der Plastikflasche. War viel billiger. Scheiß Bonze. “Ihr solltet das klären, echt jetzt. Clyde ist ziemlich fertig deswegen. Er hasst es mit dir zu streiten. Und du wirkst auch nicht unbedingt sehr ‘ausgeglichen‘.” “Na und? Ich hasse auch einiges… wenn es ihn so stört, dann soll er gefälligst bei mir angekrochen kommen, und nicht umgekehrt.” Wir nahmen jeder einen großen Schluck Cola. Token dachte nach, das konnte ich genau an seinem Blick erkennen. Wenn Token über etwas nachdachte, so was wie das, was jetzt in seinem Kopf vor sich ging, dann wirkte er nicht abwesend. Sein Blick war dann ziemlich wach und er schaute einen mit diesem ‘wissenden’ Blick an. Das konnte einem echt Angst machen. “Ich glaube es geht hier um viel mehr, als um diesen Streit.” “Ach wirklich? Und an was denkst du da?”, gab ich unbeeindruckt von mir, zog die Augenbrauen etwas höher. Token sah mich noch ein paar Sekunden mit diesem Blick an, er schien mich dadurch förmlich analysieren zu können. Auf meinen Armen bildete sich eine Gänsehaut und ich war froh, etwas langärmliges anzuhaben. Nach ein paar Sekunden des Schweigens zuckte er leicht die Schultern und lehnte sich weiter zurück. “Ich denke… du bist nicht wirklich auf Clyde sauer. Dich beschäftigt was. Also gehe ich davon aus, du bist hier, um mit mir darüber zu reden… ist das so?” Ich hasste ihn. Er war ein verdammter Klugscheißer, als ob der irgendwas über mich wissen würde, verdammt. Trotzdem schien mir der Gedanke, ihn an zu blaffen irgendwie unpassend… “Gott, es ist einfach… ich glaube einige Dinge sind anders, als ich dachte, verstehst du?”, seufzte ich irgendwann resignierend und fuhr mir mit einer Hand durch die schwarzen Haare. Meine Mütze hatte ich wie gestern schon zuhause gelassen. “Und Token, Alter. Du weißt, ich hasse Veränderungen…” Token nickte stumm, natürlich wusste er es. Der Kerl kannte mich besser, als ich selbst. Und auch, wenn ich nicht viel gesagt hatte, irgendwie fühlte ich mich gleich ein wenig besser. Ich hatte nämlich wirklich das Gefühl, dass er es verstand. Und trotz seiner kühlen und sarkastischen Art nahm er mich mehr oder minder ernst. Es wäre nicht gut gewesen, hätte er mich jetzt weiter ausgefragt. Auch das wusste Token natürlich. Ohne große Absprache begannen wir also mit irgendeinem sinnlosen Videospiel, lachten ab und an ein wenig (nicht so viel, wie wenn Clyde dabei war… obwohl dann sowieso er derjenige war, der am meisten von uns lachte) und ich erzählte ihm wie es zu dem Streit gekommen war. Denn Clyde hatte sich zwar anscheinend wirklich bei ihm ausgeheult, jedoch nicht erwähnt, was nun genau passiert war. Auch die Wette kam einige Male auf und wir diskutierten ein wenig darüber, wie wenig Zeit mir noch blieb, während ich ihm von meinem bisherigen Stand erzählte. Natürlich in ein wenig abgewandelter Form… Denn auch wenn Token ein Hellseher zu sein schien. Er konnte nicht alles wissen und das musste er auch nicht. Trotzdem musste ich aber zugeben, dass es mir gefiel mit ihm darüber zu reden. Zumindest besser, als ich es mir mit Clyde vorstellte. Token blieb sachlich, ich hatte ihn noch nie “Freak” sagen hören, soweit ich mich erinnerte. Irgendwie schien der Bastard wohl reifer zu sein als ich und Clyde es jemals sein würden. Und mit solchen Leuten konnte man immer gut reden. “Die anderen wollen sich heute am See treffen und ein Lagerfeuer machen. Um zu feiern, dass wieder Juli ist. Da könntest du ihn einfach abfüllen und dann mit ihm reden. Dann ist dein Problem gelöst.” Ich warf ihm einen flüchtigen Blick von der Seite zu, bevor ich mich wieder auf das Spiel konzentrierte. “Häh, wen meinst du jetzt?” Wieder ein kurzer Blickaustausch, welcher mir soviel sagte wie ’such es dir aus’. Daraufhin musste ich wieder kurz lachen, ich hatte gar nicht gewusst, dass Token so skrupellos sein konnte. Vielleicht war er ja doch nicht so reif, wie ich angenommen hatte? Denn solche Spielchen fielen meiner Meinung nach irgendwie unter die Kategorie Kindergarten. Was aber nicht heißen musste, dass ich mich selbst nicht auch dort einordnete… “Ich soll also Clyde und Tweek abfüllen, mich mit dem einen vertragen und den anderen gleichzeitig zu einem Liebesgeständnis bringen?”, fragte ich noch einmal amüsiert nach. Dabei entging mir nicht, dass Token mich aufmerksam von der Seite beobachtete. Ich nutzte diesen Moment und zog ihn voll in dem Rennspiel ab, welches wir gerade laufen hatten. Mit elektronischer Stimme verkündete der Fernseher, dass ich der Sieger sei, dann ließ ich den Controller sinken und wandte mich mit nun ungeteilter Aufmerksamkeit an den Anderen. “Aber vielleicht ist das wirklich keine so schlechte Idee... Und Clyde will da auch hin?” “Er meinte, wenn ich gehe dann kommt er auch. Fragt sich nur ob Tweek da hinkommen wird…” Ich wusste was Token damit sagen wollte. Clyde war nicht das Problem, sondern der blonde Kaffeejunkie. Tweek war sonst nie auf irgendwelchen Partys, dafür war er schlichtweg zu unbeliebt. Und niemand ging freiwillig an Orte, von denen er wusste, dass er da nicht erwünscht war. “Ich krieg das schon irgendwie hin”, antwortete ich zuversichtlich. Ich war Craig Tucker, wenn ich Tweek nicht zu dem Lagerfeuer überreden konnte, wer dann? Außerdem, vielleicht freute er sich ja sogar, wenn er mal zu so was eingeladen wurde. Es war seltsam darüber nachzudenken, aber vielleicht wäre diese Wette morgen um diese Zeit schon längst beendet. Ein Gedanke, der mir bis vor Kurzem noch so unendlich weit weg vorkam… “Dann geht’s heute Abend also zum See, huh?” Token zuckte nur neuerlich die Schultern und schlug dann in die Hand ein, welche ich ihm hinhielt. So langsam wusste ich wieder, warum Token und ich Freunde geworden waren. Es war unkompliziert. Wir kamen gut aus miteinander. Danach spielten wir erneut Videospiele, diskutierten noch einmal kurz über Tokens Mum, nachdem ich das Thema angeschnitten hatte. Ich blieb nicht lange. So langsam wurde mir nämlich klar, warum genau ich zu Token gegangen war. Auch wenn es sich schwul anhörte, ich hatte jemanden zum Reden gebraucht, wenigstens ein bisschen. Jungs gaben so was nicht gerne zu, das war ganz natürlich. Trotzdem brauchte ich das ab und an mal. Als wir aufstanden und ich in Aufbruchstimmung geriet, fiel mir jedoch noch etwas ein. Unser Plan für heute Abend stand zwar fest, aber bei einer Sache war ich mir trotzdem noch nicht so ganz sicher. “Hey Token”, sprach ich ihn an, als er gerade die leeren Colaflaschen wegräumte, “Weißt du… warum Clyde und ich überhaupt befreundet sind? Ich meine, er kotzt mich echt an, ich ihn genauso… das ergibt doch keinen Sinn.” Token schaute gar nicht erst auf und zuckte wieder nur etwas desinteressiert mit den Schultern. Dann antwortete er mir so leichtfertig, als habe ich ihn gerade gefragt, wozu man atmen müsse. “Ich glaube ihr braucht das einfach ab und an mal. Und weil ihr beide so riesige Idioten seid, schafft ihr es auch, euch immer wieder zusammen zu raufen. Das bringt nicht jeder fertig also… gehe ich davon aus, ihr macht euch gegenseitig glücklich.” Ich wusste nun nicht, ob ich mich durch diese Antwort beleidigt und angegriffen fühlen sollte, oder ob er tatsächlich recht hatte. Kurz ließ ich nur ein etwas angesäuertes “Hmpf” von mir hören, als wir uns auch schon Richtung Haustür bewegten. Ungerührt trat ich über die Schwelle, er selbst blieb im Türrahmen stehen. Ich drehte mich nicht noch einmal um, trotzdem konnte ich noch seine tiefe und ruhige Stimme hinter mir hören. “Du vergisst einfach viel zu oft, dass man Menschen braucht, die einen glücklich machen, egal auf welche Art und Weise. Man sollte sie nicht einfach wegschmeißen, dafür findet man sie zu selten… denk mal drüber nach.” Ich wusste nichts darauf zu antworten, irgendwo in meinem Innern klingelte es leise, aber ich ignorierte es noch im selben Moment, wo ich es bemerkte. Wieder machte sich dieses dumpfe Gefühl in mir breit. Ich hob nur einmal kurz die Hand über die Schulter, dann hörte ich die Haustür ins Schloss fallen und ich vergrub meine Hände neuerlich in den unendlichen Weiten meiner Taschen, ließ die Schultern noch etwas mehr hängen als sonst. * Ein kleiner, rauchiger Ring flog direkt vor meiner Nase in die Luft und löste sich langsam auf. Dann noch einer. Und noch einer. Der Geschmack von Rauch und Nikotin auf meiner Zunge und das Gefühl von eben diesen in meinen Lungen ließ mich für einen Moment vergessen, wie scheiße doch alles war. Ich hatte bereits gar nicht mehr daran gedacht, wie gut eine Zigarette im Juli tun konnte, draußen in der Sonne, wenn nur ganz lauer Wind wehte und der Himmel so blau war, dass man dachte, über einem befände sich ein Ozean. Als ich mich auf diese Holzbank hier gesetzt hatte -oder besser gesagt auf die Rückenlehne der Bank- war ich der Meinung gewesen, ich müsste dringend über einiges nachdenken. Aber jetzt schien mir nichts ferner als genau dieser Gedanke. Warum auch nachdenken, wenn doch gerade alles in Ordnung zu sein schien? Abwesend senkte ich meinen Blick auf die halb verglühte Zigarette in meinen Händen und drehte sie leicht hin und her, als ich auf etwas anderes in meinem Blickfeld aufmerksam wurde. Direkt zu meinen Füßen, inmitten des Grüns wuchs unverkennbar ein einziges weißes Gänseblümchen… Einerseits ist das Gänseblümchen hier zwischen uns so unauffällig, dass man kaum Kenntnis von ihm nimmt. Gleichzeitig sticht es aber derartig hervor, wie ein totaler Außenseiter, hier mitten im grünen Gras. Ich komme mir dumm vor, aber trotzdem stelle ich mir die Frage, ob… Wie ein Echo hallten die Worte in meinem plötzlich ganz leeren Kopf wieder. Die Gedanken, welche mir am Donnerstag durch den Kopf gewuselt waren, als Tweek und ich zusammen auf dem kleinen Flecken Gras gelegen hatten, zwischen uns das unscheinbare Gänseblümchen. …ob er sich wohl mit ihm vergleicht…? Irgendwie schien sich in diesem Moment alles um mich herum schlagartig zu verändern, ohne dass ich hätte sagen können, was genau es war. Meine Zigarette schmeckte plötzlich bitter und fast wurde mir übel von dem Rauch. Meine Mundwinkel verzogen sich, ohne dass ich es gewollt hatte und ich fühlte mich nicht mehr ansatzweise so ausgeglichen wie vor ein paar Sekunden noch. Ich war mir nicht ganz sicher, warum sich meine Stimmung so plötzlich geändert hatte, aber jetzt nervte mich der blaue Himmel und die strahlende Sonne. Alles kam mir falsch und heuchlerisch vor. Mit mir stimmte wirklich irgendetwas nicht. Wie gesagt… ganz bestimmt Grippe. Vielleicht hätte ich einfach aufstehen und nach Hause gehen sollen. Das wäre sicherlich das Beste gewesen. Aber ich wusste ja in diesem Moment noch nicht, was auf mich zukommen sollte. Es war genauso wie am Montag. Hätte ich da von meinem Schicksal gewusst, dann hätte ich so einiges anders gemacht. Dann wäre ich gar nicht erst zur Schule gegangen, hätte nicht so lange im Klassenzimmer gesessen, um an der Diskussion mit Cartman teil zu haben. Diese ganze verfluchte Wette wäre nie gewesen, wenn ich auch nur ein einziges Detail verändert hätte. Jesus, aber schon da hatte ich mir ja klar machen müssen, dass man Dinge nicht wissen konnte, bevor sie passiert waren. Ich konnte gar nicht verhindern, was sich nicht verhindern ließ. “H-hey Craig!” Eher teilnahmslos hob ich den Kopf, obwohl ich sowieso schon wusste, welches blonde Nervenbündel direkt vor mir stehen geblieben war. Ich wusste nicht womit ich es verdient hatte, dass ausgerechnet Tweek mir nun über den Weg gelaufen war. Gut, Clyde wäre wohl noch weniger prickelnd gewesen, aber mal ehrlich… warum ausgerechnet Tweek, wo ich doch gerade jetzt absolut gar nicht in Stimmung war, irgendwas von wegen ‘Hey, ich bin deine Große Liebe’ vorzutäuschen. Mein Gehirn begann bereits damit, sich irgend eine Ausrede einfallen zu lassen, womit ich ihn wieder hätte loswerden können. Ich könnte erzählen, dass meine Tante gestorben war und ich deswegen allein sein wollte. Oder, dass ich irgendeine gruselige, ansteckende Krankheit hatte. Oder dass ich nur ein Alien, getarnt als Craig Tucker sei. Ich war mir ziemlich sicher, dass Tweek mir all dies geglaubt und so schnell wie möglich die Flucht ergriffen hätte. Aber dann kam mir ein anderer Gedanke. Nämlich, dass ich noch immer eine Wette zu gewinnen hatte, zu welcher unweigerlich ein Lagerfeuer gehörte, zu dem ich den Kaffeesuchti einzuladen hatte. Außerdem, war nicht gerade das meine Stärke, die ich unter Beweis stellen sollte? Dass ich es schafte den Menschen immer und überall etwas vorzumachen? Gib dir einen Ruck, Tucker, dachte ich also seufzend und versuchte es mit einem Lächeln, doch irgendwie merkte ich noch im selben Moment, wie kläglich ich daran scheiterte. Tweek schien das ebenfalls zu bemerken, trat ein wenig nervös von einem Fuß auf den anderen, sagte aber nichts. Ganz schlechte Atmosphäre hier, dachte ich mir. Erst da fiel mir der leere Korb in den Händen meines Gegenübers auf, dessen Griff er fest umklammert hielt, so als wäre darin flüssiges Nitroglycerin, welches er unter keinen Umständen fallen lassen durfte. Fragend hob ich eine Augenbraue und zog nochmals an der Zigarette, die nur mal so nebenbei bemerkt immer noch keinen Deut besser schmeckte. “I-ich soll -gah- e-einkaufen gehen…”, kam es von Tweek, wie aus der Pistole geschossen, dann ein schüchterner Blick. Wäre Tweek ein Mädchen, hätte ich es als süß empfunden. Ganz ehrlich. Aber, Gott, in diesem Moment nervte es mich einfach nur. Ich war mir nichteinmal sicher warum, schließlich hatte er ja nichts falsches gesagt. Er war genauso wie immer. Wie die ganzen Tage zuvor auch schon. Aber dennoch machte mich seine beschissene Art gerade dermaßen wütend, dass ich ihm am lebsten einfach meine Zigarette ins Gesicht gedrückt hätte um ihn dann mit einem Wink meines Mittelfingers links liegen zu lassen. Innerlich sträubte sich irgendetwas in mir gegen diese Gedanken und sagte mir, dass nicht er der Grund für meine schlechte Laune sei, dass ich noch gestern gedacht hatte, wie beruhigend seine freakige Art in Wirklichkeit auf mich wirkte. Doch ich war ganz gut darin, es einfach zu verdrängen und gar nicht erst herausfinden zu wollen, auf was oder wen ich wirklich wütend war. Die Wette, Craig, denk einfach an die Wette, schoss es mir neuerlich durch den Kopf, ohne dass sich meine gleichgültige Miene änderte. “Was dagegen, wenn ich mitkomme?”, fragte ich also gerade heraus, wobei ich nicht halb so motiviert klang, wie ich es gerne getan hätte. Tweeks Miene schien sich ein wenig zu erhellen, trotz meines schroffen Untertons. Ich wusste, dass er sich freute. Ich wusste auch, dass er sicherlich noch tausendmal an gestern Abend, beziehungsweise Nacht gedacht hatte. Ich wusste auch, dass er eigentlich darauf wartete, ich würde ihn noch einmal darauf ansprechen. Doch ich tat es nicht.. Ich wartete gar nicht erst auf eine Antwort, schnipste meinen glimmenden Zigarettenstummel auf den Boden und trat nur wenig später auf eben diesen, als ich wieder festen Grund unter den Füßen hatte. Dass ich dabei auch das kleine Gänseblümchen erwischte und somit skrupellos niedertrampelte, tat mir nur wenig leid. Oder gar nicht, wie auch immer. Als wir nebeneinander her gingen, sagten weder Tweek, noch ich ein Wort. Ich war mir ziemlich sicher, dass er bereits bemerkt haben musste, wie schlecht gelaunt ich war. Ziemlich missmutig schlurfte ich neben ihm her, die Hände wieder tief in meinen Taschen vergraben und den Blick stur auf den Asphalt vor mir gerichtet. So als wäre ich gar nicht freiwillig mitgekommen, sondern dazu gezwungen worden. Aber irgendwie war es ja auch so gewesen, oder nicht? Ich hatte mich dazu zwingen müssen, mitzugehen. Als ob ich sonst jemals freiwillig Zeit mit so nem Spinner verbringen würde, das war doch echt… Tweeks Unsicherheit schien fast zum Greifen nahe. Genauso wie meine pissige Laune, denke ich. Er wusste nicht, was los war, da war ich mir sicher. Gestern noch hatten wir zusammen gelacht und jetzt benahm ich mich ihm gegenüber so, wie vor dieser Wette - von der er ja natürlich nichts wusste. Der einzige Unterschied war, dass ich ihn nicht beleidigte, oder auslachte. Das Problem war aber, dass nicht einmal ich selbst wusste, was los war. Alles in mir kochte, meine Hände sehnten sich danach, irgendetwas zu zerstören und all den unerklärlichen Frust heraus zu lassen. Aber es ist nicht Tweeks Schuld, schlich es mir erneut dumpf und leise durch den Kopf. Obwohl ich mir nicht sicher war, warum mich jedes Zittern, jedes Zucken und jeder Blick von ihm nur noch mehr zu Weißglut brachte. Ich war mir ziemlich sicher, dass ich wirklich gleich etwas zerstörte, wenn ich so weiter machte. Nämlich das kleine bisschen Vertrauen zu Tweek und die einzige Chance, diese Wette so schnell wie möglich zu gewinnen - und zu beenden. Am besten wäre wohl gewesen, ich hätte ihm jetzt irgendetwas gesagt, das alle Zweifel weg wischte, so wie die letzten Tage auch immer. Dass wir so was wie gestern öfter machen mussten. Oder wie beknackt meine Familie war und ich mich schon den ganzen Vormittag über sie aufgeregt hatte. Dann hätte er denken können, nicht er wäre der Grund für meine schlechte Laune. Aber ich tat es nicht. Warum konnte er nicht einfach so sein, wie jeder andere Mensch auch und sich solche Dinge selber einreden? Warum musste ich Tweek sagen, dass die Welt nicht so schlecht war, wie er dachte? Auch wenn das eine Lüge war, die wir alle zu akzeptieren hatten? Warum, verdammt noch mal, konnte er das nicht selber?! Weil Tweek anders ist, fiel es mir in diesem Moment ein. Weil Tweek ein guter Mensch ist, der niemanden belügt nichtmal sich selbst. Der jedem alles glaubt, nur sich selber nicht. Besonders nicht, wenn er sich einzureden versucht, dass er an etwas keine Schuld trägt, oder dass die Welt in Ordnung sei. Und so schwiegen wir also den ganzen Weg. Ich wusste, dass Tweek sich dadurch nicht gut fühlte, dass er sich Sorgen machte und noch unsicherer war als sonst. Ein Satz von mir hätte genügt. Aber es war mir egal. Ich war ein Egoist und einfach kein guter Mensch. So war das schon immer gewesen. Und ich hatte nicht vor, das zu ändern. * “I-Ich würde gerne eigene -ngh- eigene Erdbeerpflanzen haben, a-aber Mum meint, sie- gah- sie würden sterben, w-weil unsere Sommer zu kurz sind”, stotterte Tweek, als wir gerade an einem großen Fach voller Erdbeeren stehen geblieben waren. Behutsam griff er nach einem der kleinen Plastikbehälter, gefüllt mit den Früchten, packte ihn in seinen Korb und machte dann ein Kreuzchen auf seinem Einkaufszettel. Ein kleines Lächeln bildete sich auf Tweeks Gesicht, als er dann zu mir empor schaute. “M-magst du auch Erdbeeren?”, fragte er, weil ich noch immer kein Wort gesagt hatte. Das war nun schon der dritte Versuch von ihm, mich zu einem Gespräch anzuregen, seit wir den Supermarkt betreten hatten. Und das, obwohl ich wusste, wie wenig Tweek zu der Sorte Mensch gehörte, die immer reden mussten. Aber diese komische Stimmung zwischen uns, die Tatsache, dass ich mich so anders verhielt, schien er wohl noch weniger leiden zu können, als gedrungene Gespräche zu führen. Zumindest machte er ganz deutlich diesen Eindruck. Ich schaute Tweek stumm an, dann zu den kleinen, roten Früchten und wieder zu ihm. Noch immer wartete er hoffnungsvoll und ganz schüchtern lächelnd auf eine Antwort von mir. Ich bemühte mich gar nicht erst um einen einigermaßen freundlichen Blick. Meine Laune hatte sich nämlich noch immer kein Stück gebessert. “Nein”, meinte ich schroff als ich den perplexen Gesichtsausdruck meines Gegenübers sah, der mich wie ein Auto anschaute, oder wie ein Reh, dessen Mama gerade eben totgefahren worden war, ging ich einfach weiter. Warum störte mich in diesem Moment bloß alles so arg? Nicht nur die schleppende Ladenmusik, welche gute Laune vorgaukelte, sondern wie bereits erwähnt das Gezucke und Gezitter von Tweek. Sein Lächeln. Seine Stimme. Seine Art. Die kleinen Hände wie sie etwas aufhoben, wenn es herunter gefallen war. Die unergründlichen, kaffeebraunen Augen. Der kleine, runde Leberfleck, welcher manchmal hervorblitzte, wenn sein T-Shirt an der Schulter verrutschte. Vielleicht war ich so wütend, weil mir gerade diese Dinge auffielen, dachte ich mir. Weil ich nicht auf so etwas achten sollte, zumindest nicht bei Tweek. Das war nicht normal. Das war nicht ich. Ablenkung, ich brauchte dringend Ablenkung. Noch zwei weitere Male versuchte der kleine Kaffeejunkie irgendwie ein Gespräch zu beginnen und immer wieder blockte ich eiskalt ab, bis er es schließlich aufgab und wir nur noch Schritt für Schritt seine Liste abarbeiteten. Das Seltsame daran war, dass ich dabei nicht einmal so was wie Reue verspürte, gerade ging mir das alles ziemlich am Arsch vorbei. Zumindest redete ich mir das ein. Das einzige was ich wirklich verspürte war Wut, Wut und nochmals Wut. Ich fühlte mich grässlich, während dieses seltsamen Konflikts in mir, denn Himmel, es war nichts anderes. Ehrlich. Jedes Gestotter, jedes Zucken und was nicht noch alles brachte mich dazu, Tweek unglaublich zu hassen, mir zu wünschen es befände sich mindestens ein halber Kontinent zwischen mir und ihm. Und gleichzeitig jagten mir diese Gedanken, jeder unfreundliche Blick und jede ignorierte Frage, welche er mir stellte, ein Messer in die Magengegend sodass ich mich schrecklicher denn je fühlte. Sicherlich fragte er sich bereits, warum ich überhaupt mitgekommen war. Prüfend warf ich einen Blick zur Seite, wo Tweek neben mir her tapste und ein ziemlich trauriges Gesicht machte. Noch im selben Moment blickte er ebenfalls verstohlen zu mir hinauf - es erstaunte mich immer noch, dass er einen ganzen Kopf kleiner war, trotz des geringen Altersunterschieds von nur einem Jahr - jedoch schaute er sofort wieder weg, nachdem sich unsere Blicke begegnet waren. So als wäre der Blickkontakt zu mir verboten und ich würde ihn gleich verprügeln oder sowas. Aber sicherlich machte ich gerade genau diesen Eindruck. Mit zittrigen Fingern kramte er nach seiner Liste und entfaltete sie umständlich. Tomaten, stand da in schön geschriebener Handschrift, als einziges Wort, welches noch nicht abgehakt worden war. Ich biss mir auf die Unterlippe und versuchte mich endlich zusammen zu reißen. “Zwei Reihen weiter”, meinte ich und trotz aller Anstrengung klang meine Stimme so tot und unmotiviert wie nie zuvor. Tweek neben mir zuckte zusammen, was mich nicht überraschte. Anscheinend hatte er nicht mitbekommen, dass ich ihm über die Schulter gesehen hatte. Zögerlich nickte er, dann gingen wir weiter. * Als sich die Glastür automatisch vor uns aufschob, kam uns eine Welle schwüler Mittagsluft entgegen. Der Parkplatz wirkte noch trister als sonst und war bis auf ein paar einzelner Autos komplett leer. Ich hätte mir vielleicht doch ein T-Shirt statt des Hoodies anziehen sollen, schoss es mir durch den Kopf, als ich bereits im Inbegriff war, den Rückweg anzutreten. Erst nach ein paar Schritten fiel mir auf, dass Tweek stehen geblieben war und hektisch in seinem Einkaufskörbchen kramte, bevor er mich mit großen Augen ansah. “Was?”, seufzte ich unfreundlich, was ihn kurz zusammen zucken ließ. Ich redete mir ein, dass er genauso reagiert hätte, wäre mein Tonfall anders gewesen. Weil Tweek immer zusammenzuckte, egal was passierte, egal wie man redete. Ich redete mir etwas ein, das ganz offensichtlich eine Lüge war. “I-Ich glaube ich hab -gah- ich hab mein Portemonnaie a-an der Kasse vergessen”, stotterte er kleinlaut, “a-aber wenn ich jetzt mit dem Korb wieder reingehe, dann denkt die -ngh- die Kassiererin bestimmt ich hätte davon etwas n-nicht bezahlt und… oh Gott! Was, wenn sie dann die Polizei ruft?! Ich hab den Kassenbon gar nicht mitgenommen! G-Gah!” Erneut seufzend schaute ich ihn missmutig an und wartete gar nicht erst, bis er sich wieder beruhigt hatte. Normalerweise hätte ich das wohl getan. Normalerweise hätte ich mir Mühe gegeben, ihn wieder runter zu bringen. Stattdessen drehte ich mich wortlos um und ging geradewegs an ihm vorbei, zurück in den Laden um das Teil zu holen. Im Nachhinein denke ich, dass das mein Fehler gewesen ist. Ich hätte ihn nicht alleine draußen warten lassen sollen. Es war wie immer das altbekannte Thema. Hätte ich etwas anders gemacht, wäre mir eine Menge Ärger erspart geblieben. Bereits als ich erneut nach draußen trat, diesmal mit Tweeks Portemonnaie in meiner Hosentasche, hatte ich dieses dumpfes Gefühl gehabt, welches sich nicht beschreiben ließ. Der kleine blonde Spinner stand nicht wie eben noch vor den großen, sich automatisch öffnenden Glastüren des Supermarktes, auch so konnte ich ihn nicht entdecken Nachdenklich wanderte mein Blick über den weiten, grauen Parkplatz. Eine Mutter, die mit einem Baby auf dem Arm an mir vorbei ging, verschwand im Laden. Eine Oma fuhr mit ihrem Wagen davon. Ansonsten war da nur noch etwa sechs Meter weiter eine Traube von Jugendlichen, die sich über irgendetwas lustig machten. Ich hatte die Typen noch nie zuvor gesehen, also interessierte es mich anfangs nicht weiter. Vielleicht ist er schon vorgegangen, ging es mir durch den Kopf, bis mich ein paar spöttische Rufe erneut auf die Gruppe Jugendlicher aufmerksam machten. “Was ist los, du Freak? Kannst du dich nicht wehren?!” Fast schon automatisch zogen sich meine Augenbrauen ein Stück zusammen, während ich näher trat. Gelächter drang mir entgegen, diesmal ein wenig lauter. Erst als ich einigermaßen zwischen zwei der dicht stehenden Gorillas hindurch sehen konnte, wurde mir klar, was hier vor sich ging und am liebsten hätte ich mir eine mentale Ohrfeige verpasst. Klein und wehrlos befand Tweek sich in der Mitte der Gruppe von Halbstarken, die ihn gehässig spottend und grob hin und her schubsten, von einem zum Nächsten. Wütend dachte ich, warum er sich nicht wirklich zu wehren versuchte, bis mir klar wurde, dass diese Typen so groß waren wie ich, also jeder mindestens einen Kopf größer als Tweek. Außerdem war da noch etwas anderes… “Fre-ak, Fre-ak, Fre-ak~”, sang ein großer, blonder und äffte Tweek nach, welcher ganz verzweifelt zu sein schien und sich die Hände auf die Ohren presste, während er vom nächsten Typen grob an den Schultern gepackt und wieder weg geschleudert wurde. “Gott! I-ich meine, seit wann redest du plötzlich mit mir? Und seit wann -gah- seit wann hilfst du mir bei den Hausaufgaben?! U-und warum lädst du mich zu dir ein?! Oh Gott, das -ngh- das ist doch nicht normal, oder?!” “Hmm… warum denn nicht?” … “W-Weil… ich ein Freak bin!” Wie betäubt fühlte ich mich, als sich die Szene vom Donnerstag vor meinem geistigen Auge abspielte und mir plötzlich wieder klar wurde, wie schwer Tweek es hatte. Für manch anderen mochte das Wort ‘Freak’ vielleicht nicht so schlimm sein, für ihn war es reine Tortur. Wahrscheinlich hatte er es schon so oft ertragen müssen, so genannt zu werden, dass er mittlerweile selber glaubte ein Freak zu sein. Ein Ziehen breitete sich in meiner Brust aus und ich spürte, wie die Wut erneut in mir hoch kochte. Diesmal jedoch noch intensiver als die ganze Zeit zuvor schon Und diesmal wusste ich auch, auf wen ich sauer war.. Ich verachtete diese Kerle für das, was sie da veranstalteten, aber noch viel wichtiger war, dass ich mich selbst verachtete. Denn in just diesem Moment wurde mir klar, dass ich der Grund für meine schlechte Laune gewesen war. Die ganze Zeit. Ich bin auf mich selbst wütend gewesen, weil Tweek mir mitlerweile mehr zu bedeuten schien, als mir lieb war. Und es war hart, sich das einzugestehen. Innerlich hatte ich die ganze Zeit über gewusst, dass nach dieser Wette, egal wie sie ausginge, nichts mehr so sein würde, wie zu Anfang. Und das hatte mich angepisst, das tat es noch immer, aber wenigstens war mir dies nun klar geworden. Ich mochte keine Veränderungen, ich war ein Gewohnheitsmensch, aber Dinge welche einmal ihren Lauf genommen hatten, konnte ich nicht ändern. Ich war praktisch machtlos. Und diese Erkenntnis hatte mich unglaublich fertig gemacht, da war ich mir nun zu hundertprozent sicher. Ohne zu zögern drängelte ich mich zwischen zwei der Idioten hindurch, genau in dem Moment, als Tweek erneut geschubst worden war. Nur dass er diesmal nicht in die Hände von jemandem geriet, der ihn erneut nach vorne schleuderte, sondern mitten in zwei Arme die ihn schützend an sich drückend. Zitternd und auf wackeligen Knien wartete er auf den nächsten Stoß -ohne dass dieser kam. “Gibt’s irgendein Problem?”, gab ich zerknirscht aber ruhig von mir, über Tweek hinweg den Kerl anschauend, welchen ich als Anführer der Truppe ausgemacht hatte. Bei meiner Stimme zuckte der Junge in meinen Armen stark zusammen und schaute ganz perplex zu mir auf. Es war nicht schwer zu erraten, dass die Tränen in seinen Augen dem Überschwappen nahe waren. “Verpiss dich, das geht dich nichts an!”, fauchte Angesprochener und machte einen zielstrebigen Schritt auf mich zu. Ich konnte spüren, wie sich Tweeks Finger verzweifelt in meine Arme gruben und er weiter zurück zu weichen versuchte – was ja nicht ging, der ich hinter ihm stand. Vorsichtig löste ich einen Arm um den bibbernden Körper, ließ den anderen locker auf Tweeks Schultern liegen und streckte dem Typen meinen Mittelfinger entgegen. Ein paar höhnische Gluckser ertönten, ohne mich aus dem Konzept zu bringen. “Oho~ soll ich jetzt Angst bekommen?”, gab der Alphagorilla spottend von sich und trat so nah an mich heran, dass ich seinen widerlichen Atem auf meinem Gesicht spüren konnte. “Wäre vielleicht besser…”, zischte ich angriffslustig zurück und hielt dem Blick meines Gegenübers stand, nur darauf wartend, dass er den Anfang machte. Ich hatte keine sonderliche Angst vor einer Prügelei, schließlich wäre es nicht die erste in meinem Leben gewesen. Außerdem kochte mein Blut vor Ärger so sehr, dass ich mir eine heftige Außeinandersetzung fast schon ersehnte, nur um Dampf abzulassen. Vielleicht hätte mich die Tatsache, dass ich eindeutig in der Unterzahl war, etwas zurückhalten sollen. Tat sie aber nicht. Ängstlich drehte sich Tweek unter meinem Arm hinweg und schob sich zwischen den Typen und mich, mir das Gesicht zugewandt. Vorsichtig stemmte er seine kleinen Hände gegen meine Brust und versuchte mich zurück zu drängen. “C-Craig ist… ist schon gut, b-bitte lass uns… einfach -ngh- einfach gehen…!”, stotterte er kleinlaut, den Blick auf den Boden gesenkt. Schritt für Schritt ließ ich mich langsam zurück schieben, ohne den Blick dabei von dem Typen mir gegenüber zu nehmen, der mich noch immer feindselig anfunkelte, ehe sich ein dreckiges Grinsen auf seinem Gesicht bildete. “Genau, hör besser auf den kleinen Freak!” Bäm! Ein widerliches Knacken ertönte, als meine Faust mitten in dem rundlichen Gesicht des Arschlochs landete und ihn schmerzhaft aufschreien ließ. Tweek vor mir hatte die Augen zugekniffen und krallte sich ängstlich in meinen Hoodie, die Nase in dem blauen Stoff vergraben. “Scheiße!”, fluchte der Schrank wütend und starrte mich in etwa so an, als wäre er ein Stier und ich ein zum Leben erwachtes, rotes Tuch. Ein schiefes Grinsen trat auf mein Gesicht als ich arrogant meine Augenbrauen in die Höhe zog und ihn abwertend ansah. Genugtuung beflügelte mich und verstärkte das Gefühl des Hochmuts in mir. Fast schon vor Wut schnaufend registrierte er, wie seine Nase zu bluten begann, starrte mich erzürnt aus zusammengekniffenen Schweinsäuglein an und war mit einem Satz so schnell vor geprescht, dass ich gar nicht so schnell gucken konnte, als auch er einen gezielten Schlag mitten in mein Gesicht abfeuerte. Sein Schlag hatte eine solche Wucht besessen, dass ich drei Schritte zurückgestolpert war. Zornig wischte ich mir über die aufgeplatzte Unterlippe. Der Geschmack metallischen Blutes machte sich in meinem Mund breit und fast konnte ich spüren wie sich mein Blick noch ein wenig mehr verdunkelte, während sich der dumpfe Schmerz in meinem Unterkiefer ausbreitete und ich mit zielstrebigen Schritten den neuen Abstand zwischen mir und dem Kerl wieder einzuholen versuchte. “C-Craig! Hör… hör auf! Bitte!”, jammerte Tweek, als ich kurz etwas des roten Blutes ausspuckte und schon wieder auf den Typen losgehen wollte. Ein jähzorniger Ausbruch einer bislang ungehörten Stimme jedoch, ließ mich unterbrechen und icht nur mich aufschauen. “Wenn ihr euch prügeln wollt, macht das woanders!”, keifte der Ladenbesitzer, welcher anscheinend alles von drinnen mit angesehen zu haben schien, “Und ihr Bengel aus North Park, ich will euch hier nicht haben, kapiert?! Macht bei euch Ärger, aber hier habt ihr nichts verloren!” Kurz passierte nichts. Ich konnte sogar noch aus der meterweiten Entfernung erkennen, wie auf der Stirn des Mannes wild eine Ader pochte. “Oder soll ich erst die Polizei rufen?!” Diese Worte schienen selbst den Letzten der Typen überzeugt zu haben. Leise grummelnd, aber doch irgendwie feige, senkten sie ihre Köpfe und machten sich daran, abzuhauen. Böse funkelte mich der Typ mit dem Nasenbluten ein letztes Mal an, ehe sie um die nächste Ecke verschwanden und man wenig später ein paar Reifen quietschen hören konnte. Auch uns funkelte der Mann mit Halbglatze nicht sehr freundlich an. Ich spürte wie sich mein Gesicht bitter verzog. Wortlos griff ich nach Tweeks Hand und zog ihn hinter mir her, griff energisch nach dem Korb, der da mutterseelenallein herumstand und stampfte wütend vom Parkplatz. “D-Du hättest das -ngh- das nicht tun sollen!”, murmelte Tweek nach kurzer Zeit des Schweigens und blieb ruckartig stehen. Traurig sah er mich an und es war nicht schwer zu erraten, dass er sich das eben Geschehene zum Vorwurf machte. Betroffen wanderte sein Blick von meinen tiefblauen Augen ein Stück hinab, zu der Stelle wo ich meine blutende Lippe vermutete. “Ach nein? Und was wäre deiner Meinung nach richtig gewesen? Einfach zuzusehen?”, maulte ich ihn immer noch viel zu wütend an, was ihn gleich wieder ein ganzes Stück beschämter aussehen ließ. Trotzdem antwortete er nichts. Was hätte er auch sagen sollen? Ganz kurz blieb es still zwischen uns. “Verdammt Tweek…”, seufzte ich dann und fuhr mir mit der freien Hand durch die schwarzen Haare, ehe ich ihn ehrlich ansah, “Niemand darf dich so behandeln, okay? Und außerdem wollte ich dir ja helfen… das alles war nicht deine Schuld.” Vorsichtig hob der Junge sein Gesicht etwas und schaute mich so an, als könne er mir das eben gesagte nicht ganz abkaufen. Ich wusste seinen Gesichtsausdruck kein Stück zu deuten, als sein Blick zwischen meinen Augen hin und her wanderte. Erst als ihm aufzufallen schien, wie offensichtlich er mich ansah, wandte er das Gesicht wieder dem Boden zu. “Aber vorhin… ich dachte nicht… ich dachte, dass -gah- dass du vielleicht nicht mehr mit mir befreundet sein willst”, platzte es kleinlaut aus ihm heraus. Natürlich wusste ich, was er damit meinte und ich konnte gar nicht leugnen, wie sich das unterdrückte schlechte Gewissen ganz plötzlich in mir breit machte. “Will ich aber, okay? Ich hab dich echt gern, Tweeky”, meinte ich entschieden, mit einem leisen Lächeln im Gesicht und zerwuschelte ihm einmal die ohnehin wirren, blonden Haare. Das entlockte auch ihm ein winziges Lächeln, das selbe, welches mir auch schon die ganzen Tage zuvor aufgefallen war und ich einfach nicht mehr aus dem Kopf bekam. Damit schien das Thema beendet und wir setzten uns schlendernd wieder in Gang. Auch wenn es irgendwie ziemlich beschissen war, dass erst soetwas zustande hatte kommen müssen, um mir die Augen zu öffnen... war ich irgendwie froh in diesem Moment. Ich fühlte mich um einiges besser, jetzt wo ich wieder im Reinen mit mir selbst war. “Craig?”, murmelte Tweek plötzlich doch noch mal. “Hm?” “Magst du -gah-… magst du wirklich keine Erdbeeren?” Ich konnte nicht anders, als lachen zu müssen. Gott, wie hatte ich vorhin bloß denken können, dass diese Art von ihm mich wütend machte? Das Klingeln meines Handys unterbrach mich und als ich auf den Display schaute fiel mir etwas ein, das ich bei dem ganzen Gefühlswirr-warr in mir fast vergessen hätte. Vielleicht auch bewusst. „Hey Token, was gibt’s?“ * Ich konnte nicht sagen, warum, aber ich fühlte mich unwohl. Vielleicht hätte ich es gekonnt, wenn ich weiter darüber nachgedacht hätte, aber ich tat es nicht, Stattdessen lenkte ich mich ab, mit dem Schein des Feuers oder dem schwappenden Wasser im Hintergrund. Ich denke Tweek neben mir ging es nicht sehr viel besser, wir beide redeten kein Wort, weder miteinander noch mit irgendwem anders. Es versuchte aber auch niemand mit uns zu reden. Nicht mit mir, weil es für mich nicht ungewöhnlich war, so da zu sitzen. Ich mochte es für mich selbst zu sein, oder wenn nicht, dann eben nur mit Token und Clyde. Und das wusste jeder. Und nicht mit Tweek, weil ihn nunmal kaum jemand leiden konnte. Das wusste ebenfalls jeder, genauso wie er selbst. Die ganze Zeit schon warf er mir daher unsichere Blicke zu, die mir immer wieder die Frag evorwarfen, warum ich ihn hierher geschleppt hatte. Ich war mir nicht einmal ganz sicher, wie ich es angestellt hatte, ihn zu überreden, mitzukommen. Hundertmal hatte ich ihm versprochen, aufzupassen, damit nichts geschah. Ziemlich lächerlich, aber der gewünschte Effekt war trotzdem eingetreten. “Hör zu, niemand hier will dir was Böses, okay? Und wenn doch, dann bin immer noch ich da, um dich zu beschützen. Zur Not gehen wir halt einfach wieder”, erklärte ich ihm leise und nachdenklich, als er mich eneut mit diesem nervösen Blick zu foltern begann. Und als ich den Anflug eines Lächelns auf seinem Gesicht erkennen konnte, schmerzte es mit einem Mal ganz höllisch in meinem Bauch. Ich hätte das wieder auf irgendeine erfundene Grippe zurückführen können, aber wenn ich ehrlich war, wusste ich, woher dieses scheußliche Gefühl kam. Das nannte man wohl schlechtes Gewissen, denn die einzige Person, die Tweek heute Abend tatsächlich etwas Böses wollte, war ich höchst persönlich. Schließlich war ja der einzige Grund, weswegen ich ihn hierher geschleppt hatte der, dass ich ihn stark unter Alkohol stehend zu einem Liebesgeständnis bringen wollte, nur um ihm direkt darauf das Herz zu brechen. Abwesend biss ich mir leicht auf die Unterlippe, die noch immer von vorhin ein wenig schmerzte. Ich würde diese Wette zu Ende bringen. Es stört mich nicht, redete ich mir ein. Dass ich dabei etliche nicht unbedingt schlechte Erinnerungen aus meinem Kopf verbannte, war mir egal. Es geht nur um diese Wette. Ging es die ganze Zeit schon. Und ich schaffte es, mir selbst zu glauben. Wie immer belog ich mich selbst, so wie alle anderen Menschen es auch taten. Hatte ich nicht heute morgen noch darüber philosophiert, wie normal das war und warum Menschen sowas taten? Mit einem mal wurde ich aus meinen Gedanken gerissen, als sich jemand neben mich setzte. “Craig, Tweek”, meinte Token leicht nickend zur Begrüßung und öffnete mit einem Feuerzeug sein Bier, “Haben irgendwie die Zeit vergessen.” Bei dem Wort 'wir' wanderte mein Blick zu dem braunhaarigen Jungen, der sich uns gegenüber neben Kevin und Bebe gesetzt hatte und mir flüchtig einen Blick zuwarf, den ich nicht deuten konnte. Clyde. “Hm…”, machte ich nur abwesend und zog mein Handy aus der Hosentasche um nachzusehen, ob es wirklich schon so spät war. 00:01, zeigte mir der Display in grünen Lettern an. Sonntag. Heute würde ich die Wette zu Ende bringen. Ich komme damit klar, sagte ich mir selbst. Ich belüge andere. Ich belüge mich selbst. Und ich komme damit klar. Und trotzdem hörte ich ganz weit entfernt, irgendwo eine winzig kleine Stimme flüstern: “Und… bist du auch glücklich?” ___________________________________ Ohhh Gott D: Das Ende rückt immer näher... fragt sich nur, warum ausgerechnet ICH deswegen aufgeregt bin! Der "Samstag" hat mir so ziemlich alle Nerven geraubt und ich finde ihn immer noch nicht sonderlich prickelnd, aber natürlich hoffe ich wie immer, dass ihr trotzdem Spaß beim Lesen hattet :) Was nun bei dem Lagerfeuer passiert seht ihr dann im "Sonntag", dem Grande Finale! Aber natürlich ist die FF dann noch nicht zu Ende... aber das werdet ihr dann ja selbst sehen. Auf jeden Fall erwartet euch jetzt nicht dieses typische 'Party-Klischee' im nächsten Kapitel ;D Bin sowieso gespannt ob jemand mit dem rechnet, was ich nun für das Ausgehen der Wette geplant habe... höhöhö Gut, aber ich laber schon wieder viiieeel zu viel Mist (falls das hier überhaupt jemand lesen sollte...) Auf jeden Fall möchte ich mich noch für die ganzen tollen Reviews bedanken und die 48 Favo's :') Danke liebe Leser, ich liebe euch alle! (Sogar die Schwarzleser!) Wir sehen uns im "Sonntag" (?) Greezes! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)