Tease von Anemia ================================================================================ Kapitel 4: Wetten, dass...? --------------------------- Minuten später im Klassenzimmer. Der Unterricht beginnt jeden Augenblick. “Na, hat er dich nun geknutscht, oder warum wart ihr so lange beschäftigt? Doch nicht etwa ein Quickie auf dem Klo?” “Nein, liebster Kevin, wir waren nicht auf dem Klo. Tommy hat mir auf dem Schulhof einen geblasen, vor allen Schülern.” “Das ist nicht dein Ernst?” Er müsste sich jetzt selbst sehen, wie dämlich er aus der Wäsche schaut. “Natürlich ist das nicht mein Ernst! Eher lasse ich mich lebendig begraben, als etwas sexuelles mit der Schwuchtel anzufangen.” “Du würdest sogar als Emo rumlaufen, für den Rest deines Lebens?” “Uh, nein, das vielleicht auch nicht gerade, ich glaube, das wäre noch schlimmer, weil der Sex wäre nach ein paar Minuten vorbei. Oder schon nach Sekunden, weil Tommy der Schlappschwanz nicht mehr kann.” Plötzlich grinsen Kevin und Timo sich verheißungsvoll an. “Was ist denn nun wieder los? Was führt ihr im Schilde?” “Nun, du würdest also lieber mit Tommy schlafen als für den Rest deines Lebens als Emo rumzulaufen, haben wir das richtig verstanden?” “Nein…so meinte ich das nicht…also…” Shit, was habe ich nur gesagt? Ich habe die dumpfe Vorahnung, dass das hier für mich noch böse enden wird und ich nicht mehr lebend aus der Sache herauskomme. Mit Tommy zu schlafen muss doch total abartig und ekelig sein, schon der Gedanke daran lässt mich erschaudern. “Also abgemacht, wenn du mit Tommy schläfst, dann färben wir uns die Haare grün und pink. Solltest du aber Schiss haben, rennst du für den Rest deines Lebens als Emo rum. Schlag ein, Dennis.” Kevin hält mir seine ausgestreckte Hand hin, während Timo sich vor lachen kaum noch einkriegt. Mürrisch verschränke ich meine Arme vor der Brust und ziehe einen Schmollmund. “Auf die Wette lasse ich mich nicht ein”, verkünde ich. “Ich schlaf doch nicht mit der Transe.” “Dennis ist ein Schisshase!”, posaunt Timo lautstark, was mich schon wieder auf 180 bringt. “Du hast ja bloß Angst, dass Tommy deinen Schwanz lutscht und es dir auch noch gefällt.” “Hab ich nicht!” “Hast du. Sonst würdeste auch drauf eingehen.” “Meine Fresse, da mach ichs halt. Zufrieden?” “Öh, so kennen wir dich, Alter. So kennen wird dich. Du hast eine Woche Zeit, okay? Dann wollen wir aber Erfolge sehn.” Seufzend schlage ich ein und verdrehe die Augen. Die sind doch dumm wie Brot, die raffen es eh nicht, wenn ich nur lüge, dass mit Tommy was lief. Irgendwie werde ich die Sache hoffentlich umgehen können, fragt sich nur, wie. Also heißt es für diese Mathestunde: Pläne schmieden. ***** Ich nehme kaum war, wie Herr Becker den Raum betritt, mit den Arbeiten in der Hand. Ich könnte Tommy kastrieren. Oder ihm gleich den Schwanz abschneiden. Nein, das ist nicht gut, ich müsste sein Stück dazu anfassen. Nun reißt mich die laute und kräftige Stimme unseres Mathelehers doch aus meinen Mordgedanken. “Einige von Ihnen haben ein gutes bis sehr gutes Ergebnis erzielt. Für manche Schüler jedoch ist die Arbeit weniger erfreulich ausgefallen.” Er dreht den ersten Zettel um und schaut in die Runde. “Kevin Neumann. Eine eins. Sehr gut.” Mein Kumpel kann sich einen Freudenschrei natürlich nicht verkneifen. “Du Streber!”, buhe ich ihn aus, weil ich mit einer hundertprozentigen Sicherheit weiß, dass ich mal wieder der Sechserkandidat bin, wie immer. “Dennis Bartsch. Das war wohl nix. Wir sprechen uns nach der Stunde noch mal.” Mit schweren Schritten gehe ich auf den Lehrertisch zu und entreiße Herrn Becker, der scheißfreundlich grinst, meine Arbeit. Unter tausenden von “Fs” prankt eine große, rote, dicke, fette Sechs. Na super. Eigentlich rede ich mir nach jeder schlechten Zensur ein, dass sie mir egal sein könnte, da ich die ganze Schulbildung eh nicht nötig habe. Die ganzen berühmten Leute auf der Welt hatten schlechte Zensuren in der Schule, was sagen Noten schon über die Intelligenz aus? Für manche Personen scheinbar sehr viel, in der Pause werde ich mich wieder dem Spott meiner Klassenkameraden hingeben können und versuchen, auf Durchzug zu schalten. Doch das kann ich nicht so einfach. Tief in mir drin weiß ich, dass mir meine schlechten Zensuren nicht so leicht am Arsch vorbeigehen, wie ich es gerne hätte. Sauer über mich selbst und Herrn Becker studiere ich meine Fehler und nun spüre ich den starken Drang, irgendjemanden provozieren zu müssen. “Und F steht für Fuck, nicht wahr, Herr Becker?”, rufe ich dem Lehrer zu, als ich wieder Platz genommen habe. “Wissen Sie was? Sie können mich mal. Wer knallt mir denn ständig die scheiß Mathesechsen rein? Wohl Sie, nicht wahr? Weil Sie mich nicht abkönnen. Das ist doch pure Willkür.” Mein Kopf fühlt sich an wie eine heiße Leuchtboie, bestimmt sieht er auch so aus. “Jetzt gehen Sie erstmal vor die Tür, Dennis, und kühlen sich ein wenig ab. Nachher können wir uns gerne noch mal über mögliche Ungerechtigkeiten unterhalten, wenn Sie dies wünschen”, meint Herr Becker in einer Seelenruhe, die mich nur noch mehr aufregt. Eigentlich kommt es mir gerade recht, dass ich ein paar Minuten vor dem Klassenraum verbringen soll, also stehe ich hastig auf, packe meinen Kapuzenpulli, den ich kurz zuvor ausgezogen habe und reiße die Tür auf, um sie von außen mit aller Wucht zuzuschlagen. Hoffentlich sind drinnen die Blumentöpfe heruntergefallen, würde ich feiern… “Na, wohl auch nicht brav gewesen, Denni?” Neeeein! Vor der Tür des gegenüberliegenden Unterrichtsraumes steht mein Hassobjekt. “Wenn du mich noch einmal Denni nennst, dann sorge ich dafür, dass du dein Essen aus der Schnabeltasse trinken musst”, schnauze ich Schwuchtel-Tommi an und werfe ihm einen verbiesterten Blick zu. Sauer lasse ich mich auf den Boden sinken, lehne meinen Rücken an die Wand, während ich meine Beine anziehe und sie mit den Armen umklammere. Man könnte auch sagen, ich nehme eine Abwehrhaltung ein. “Warum bist du denn immer so gereizt? Ich habe gar nichts gesagt und du knallst mir gleich wieder Beleidigungen an den Kopf. Schon mal was von Soft Skills gehört? Nein? Kann ich mir vorstellen.” Zur Anstachlung meiner Wut setzt der Schwarzhaarige sich auch noch neben mich, ganz nah kommt er heran und ich kann seinen Blick förmlich auf mir ruhen spüren. “Ich kann dich nicht ab”, erkläre ich dem Anderen nach einem Schweigemoment nun etwas weniger aufgebracht, aber doch entschlossen und überzeugt von meinen Worten. “Du bist eine scheiß arrogante, transige Emo-Schwuchtel. Eigentlich ist nicht abkönnen der falsche Ausdruck. Ich hasse dich.” Nachdem ich das ausgesprochen habe, bin ich mir plötzlich gar nicht mehr so sicher, ob meine Worte okay waren. ‘Ich hasse dich‘, das klingt noch intensiver und gefühlsgeladener als ‘Ich liebe dich‘, da viele Menschen letzteres viel zu oft benutzen, obwohl es totaler Schmarrn ist. Liebe, was ist das schon? Hass hingegen ist klar definiert. Wenn man jemanden auf den Tod nicht ausstehen kann, wenn man den Anderen am liebsten eigenhändig begraben würde, dann ist das Hass. “Wirklich? Du hasst mich? Aber wieso? Irgendwie dachte ich eigentlich, dass du nur nicht zugeben möchtest, dass du mich magst. Aber dass du solche negativen Gefühle für mich hegst, das…macht mich sehr traurig. Denni. Warum. Erklär es mir bitte.” Mein Kopf hebt sich nun Widerwillen, mein etwas erstaunter aber auch erschrockener Blick trifft genau in Tommys traurige Augen und plötzlich frage ich mich ernsthaft, ob ich diesen Jungen wirklich so sehr hasse, wie ich eigentlich dachte. Klar, er verkörpert die Dinge, die ich nicht ab kann, aber mir wird nun bewusst, dass Tommy ein menschliches Wesen ist, das Gefühle zeigt und mir noch nie etwas getan hat, wenn man von den Provokationen einmal absieht. “Ich…ich weiß nicht…”, bringe ich als Antwort auf seine vorangegangen Frage nur hervor und blicke auf sein dichtes, schwarzes Haar, welches Tommys Augen wieder fast vollständig verdeckt. “Du kennst mich doch gar nicht, woher willst du dann wissen, ob du mich magst oder nicht? Man sollte nicht nur vom Äußeren auf den Charakter einer Person schließen und den Vorurteilen und Klischees glauben. Leider bist du nicht der Einzige, der das so macht.” Tief in mir bin ich ganz schön beeindruckt von Tommys Worten, er scheint wirklich ziemlich intelligent zu sein, wenn er sich so äußert. Nervös zupple ich an meiner Kapuzenjacke herum, da ich weiß, dass der Andere recht hat, mit dem was er sagt und ich mich irgendwie schäme für meine Hassbekundung. “Ich meine, du musst mich ja nicht heiraten, aber es wäre toll, wenn du mich respektierst, so wie ich dir auch Respekt entgegenbringen werde”, redet Tommy weiter. “Wahrscheinlich werden wir nicht gerade die besten Freunde, und das müssen wir auch nicht. Es ist ganz normal, dass man manche Menschen eben nicht besonders leiden kann. Nachdem man dies nach einem näheren Kennenlernen festgestellt hat.” Mir fehlen nun endgültig die passenden Worte, doch mit einem stummen Nicken signalisiere ich, dass ich meinem Gegenüber recht gebe. “Also, was ist? Wollen wir uns nicht ein wenig kennen lernen?”, durchnscheidet Tommys Stimme schließlich die Stille. “Ich bin Tommy, Tommy Tease, und du?” Mein verdutzer Blick trifft sich mit seinem, ein Lächeln breitet sich auf Tommys Gesicht aus, während er mir seine Hand entgegenhält. Nun weiß ich, auf was er hinaus will, auf einen Neuanfang. Vielleicht ist das wirklich eine gute Idee. “Dennis Bartsch, auch gennant ‘Denni’”, stelle ich mich vor und kann mir ebenso ein Lächeln, wie Tommy es mir zeigt, nicht verkneifen. “Ich gehe in die 10a, und du?” “In die 10b”, antwortet Tommy fröhlich. “Also in deine Paraklasse. Cool, da haben wir morgen zusammen Sport.” “Echt?”, erwidere ich, während Tommys Lippenpiercings meinen Blick gefangen nehmen, die mich auf eine gewisse Weise faszinieren. Keines der Mädchen, mit dem ich bisher ausgegangen bin, trug diese Art von Körperschmuck. “Stören die eigentlich nicht beim Küssen?”, platzt es mir heraus, mit dem Zeigefinger deute ich auf meine Unterlippe. Tommy kichert nur und spielt mit der Zunge an seinem rechten Ring. “Das sind Labrets, auch Snakebites genannt. Kannst mich ja mal küssen, dann weißt du, ob die stören.” Ich muss wie das Schwein ins Uhrwerk gucken, denn nun fängt Tommy erst richtig an zu lachen. “Nein, quatsch, das war nur Spaß”, beruhigt er mich. “Aber du musst wissen, ich provoziere sehr gerne. Und ich finde es sehr toll, wenn jemand darauf gut kontern kann.” Wir unterhalten uns noch eine ganze Weile über dies und das, doch irgendwann werde ich von Herrn Becker wieder in die Klasse gerufen. “Schade”, bedauert Tommy und zieht einen Schmollmund. “War echt cool mit dir. Vielleicht setzen wir das heute Nachmittag fort, bei einer Tasse Kaffee, hier um die Ecke beim Café Zeisig. Ich lad dich ein.” “O…okay”, stottere ich, während ich vom Fußboden aufstehe und mittlerweile völlig perplex geworden bin. “Ich hab nach der 7. aus, da könnten wir uns vor der Schule treffen.” “Gut, ich auch”, zeigt sich Tommy begeistert. “Also dann, bis nachher. Ich freu mich.” “Ich mich auch”, entgleitet es mir, als ich die Tür zum Unterrichtsraum öffne und eintrete. Gott, was war das denn? Das klingt ja fast, als würden wir ein Date haben. Und ich für mich auch noch total peinlich auf. ‘Ich mich auch, liebster Tommy’, pah, wie doof ist das denn. Aber ich weiß, dass ich den Emo nun nicht mehr hassen werde. Dafür interessieren mich noch ganz viele Dinge über ihn, nach denen ich heute Nachmittag fragen werde. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)