Love's just pain von Ishizuka-Kazumi (Oder woher kommt sonst dieses Loch in meinem Herzen?) ================================================================================ Kapitel 2: Seit wann bin ich ein Genie?! ---------------------------------------- "Ciaossu, Tsuna!" Das Herzsignal neben mir setzte wieder aus, jetzt vollständig und länger, während ich mit dem altbekannten und äußerst unguten Gefühl in meiner Magengrube, das dieses mal eindeutig nicht von Bianchis Kochkünsten stammte, langsam meinen Kopf zur Tür drehte und einen Blick auf den wie ein Baby aussehenden Auftragskiller Reborn warf, dessen Lebenssinn es ja nun anscheinend war, meines noch schlimmer zu machen als es ohnehin schon war. "Reborn! Was sollte das mit meiner Mutter? Ich war kurz davor, ihr von der Mafia zu erzählen und musste mich von Lambo retten lassen! Und jetzt wird sie bestimmt irgendein unschuldiges Bauunternehmen in den Ruin treiben!" Wow, ich konnte mir wirklich in so einer Situation Sorgen um ein Bauunternehmen machen? Mich wie immer ignorierend kam Reborn mit kleinen Schritten auf mein Bett zu, hüpfte mit einem physikalisch gesehen völlig unmöglichen Satz zu mir herauf, fischte die Ring-Tüte unter meiner Hand hervor und hielt sie mir vors Gesicht. "Na, hat Dame-Tsuna wieder mal versagt? Was glaubst du, was das hier ist?" "Reste. Zerstörte Reste. Genau wie wir." "Und was, glaubst du, wird in fünf Tagen damit passieren?" Fünf. So langsam konnte ich diese Zahl nicht mehr hören. Fünf. Und morgen wären es vier, dann drei, dann zwei, dann einer und dann... Okay, so weit wollte ich im Augenblick lieber gar nicht denken. "Weiß nicht... vielleicht... vollständig püriert...?", schlug ich vor. Ja, ich glaube, das kann man "Galgenhumor" nennen. Sehr viel mehr blieb mir im Moment ja nicht übrig. "Aha, vollständig püriert also... Vielleicht sollte Haru doch Namensschilder für euch machen, damit nachher jeder ins richtige Grab kommt." Wow. Tolle Aussichten. "Reborn, lass das! Wir sollten uns lieber überlegen, wie wir Chrome retten können!" Kaum zu glauben, aber meiner Meinung nach hatte Chrome tatsächlich ein noch größeres Problem als ich. Sie war schließlich mitgenommen worden, also konnte die Shimon-Familie theoretisch jederzeit mit ihr anstellen, was auch immer sie wollte. "Wir sollen Chrome retten? Hat Dame-Tsuna etwa noch nicht begriffen, dass er zu schwach ist? Außerdem kannst du mit diesen Verletzungen niemandem helfen, du solltest froh sein, wenn du es in fünf Tagen schaffst, ohne Hilfe diesen Raum zu verlassen." Reborn ließ die Tüte zurück aufs Bett plumpsen und schaute mich an. In seinem letzten Satz hatte nicht das kleinste bisschen Sarkasmus gelegen und das machte mir mehr Sorgen als alles andere. Im Normalfall hätte Reborn mich jetzt aus dem Krankenhaus gejagt und irgendein abnormal brutales und völlig unmenschliches Training durchziehen lassen, egal wie schlecht es mir ging, um aus "Dame-Tsuna" doch noch den Helden zu machen, der alle retten würde, aber jetzt schien selbst der Arcobaleno sich ernsthafte Sorgen um mich zu machen. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals so denken würde, aber im Moment wünschte ich mir nichts mehr, als dass er mich wieder auf irgendein horrendes Himmelfahrtskommando schicken würde. Aber das tat Reborn nicht. Stattdessen schaute er mich mit einem Blick an, als habe er mich in Gedanken bereits beerdigt. "Reborn..." Dieses Schweigen machte mir wirklich Angst, es verbreitete diese schreckliche "In fünf Tagen"-Stimmung wie einen ungreifbaren, schwarzen Nebel im Raum. "Steht es wirklich so schlimm um uns?" "Kann sein." "Man, hör auf damit! Es ist richtig gruselig, wenn du so nett zu mir bist!" "Möchte Dame-Tsuna nicht, dass man nett zu ihm ist?" Auf Reborns Gesicht erschien wieder dieses Grinsen, das er immer aufsetzte, wenn er sich wieder eine neue Gemeinheit für mich hatte einfallen lassen, und das ungute Gefühl, das ich immer bekam, wenn er so grinste, kehrte in meine Magengrube zurück, nur mit dem Unterschied, dass ich mich dieses mal darüber freute und es mich beruhigte, mehr als irgendetwas anders hätte beruhigen können (außer vielleicht, dass ich aufwachte und feststellte, dass das alles nur ein Alptraum war). "Hast du etwa eine Idee, die uns alle heil hier rausbringt?", fragte ich hoffnungsvoll. "Nein, ich stelle mir nur gerade deinen Gesichtsausdruck vor, wenn du erfährst, dass du zum Essen zwei Treppen laufen musst." "Ich muss WAS?!" Ich sah wahrscheinlich in etwa so entsetzt aus, wie Reborn gehofft hatte. "Das kann doch nicht dein Ernst sein! Hast du nicht eben noch gesagt, ich wäre so schlimm verletzt, dass ich vielleicht in fünf Tagen noch nicht laufen kann?! Und überhaupt, ich bin hier an lauter dubiose Geräte angeschlossen, soll ich die etwa mittragen oder was?" "Die Schwester kommt gleich und entfernt die Schläuche. Außerdem ist es gut, wenn ein Mafiaboss lernt, sich mit Verletzungen zu bewegen und den Schmerz zu ertragen." "Aber Reborn-" "Kein Aber! Ich denke, Dame-Tsuna will nicht, dass jemand nett zu ihm ist?" Jede Wette, er hatte es mit voller Absicht so eingefädelt, dass ich das sagen würde. Die Schwester kam, sie war schon vorher von Reborn über meine "vorzeitige Genesung" unterrichtet worden. Ich fixierte starr irgendeinen Punkt an der gegenüberliegenden Wand, während sie irgendwelches Zeug aus mir herausfischte, und musste mich danach von Reborn mit einer Leon-Peitsche zur Kantine jagen lassen, wo er mir dann nach einigen Vorschlägen zu Chromes Rettung ein absolutes Verbot zum Verlassen des Krankenhauses erteilte, was mich darauf schließen ließ, dass es doch ziemlich mies um uns bestellt war, da "Zwei Treppen runter und anschließend wieder hoch laufen" ja anscheinend das Schlimmste war, was man mir im Moment antun konnte. Die Tatsache, dass ich danach mit meinen Kräften völlig am Ende war, zurück aufs Bett fiel (was übrigens wehtat) und sofort einschlief, obwohl es noch nicht einmal 11:30 Uhr war, trug auch nicht gerade zu einer Besserung des Gesamtbildes bei. Als ich wieder aufwachte, fühlte sich mein Körper zwar etwas besser an, dafür hatte ich aber unglaubliche Kopfschmerzen. Diesen Kopfschmerze schrieb ich es zunächst auch zu, dass ich den gesamten Raum und auch Dino-san, der in der Zwischenzeit anscheinend wieder auf den Stuhl neben meinem Bett zurückgekehrt war, um auf mich aufzupassen, dann eingeschlafen war und jetzt durch meine unruhigen Bewegungen wieder wach wurde, zunächst in einem tiefen Blutrot wahrnahm, was aber, wie ich nach einigen Momenten feststellte, daran lag, dass draußen gerade die Sonne unterging, was wiederum bedeutete, dass ich selbst nach den beiden Tagen, die ich ohnmächtig gewesen war, noch einmal mindestens sieben Stunden geschlafen hatte. "Und, auch wieder wach, kleiner Bruder?", begrüßte Dino-san mich fröhlich. "Du hast echt was verpasst, das Gesicht von diesem Bauarbeiter war echt zu komisch, als deine Mutter ihn für diese nicht existente Baugrube angeschrieen hat. Aber irgendwann hat sie sich wieder beruhigt und alle sind nach Hause gegangen. Naja, alle bis auf mich zumindest." Er lächelte. Ich konnte jetzt endlich die Sorge "Ausrede" aus meinen Gedanken streichen und versuchte, aus dem Bett zu kommen, allerdings mit wenig Erfolg. "Reborn hat mich übrigens hier hinpostiert, damit ich verhindere, dass du irgendwelche leichtsinnigen und selbstmörderischen Rettungsversuche startest." Dino-san lächelte weiter und drückte mich mit sanfter Gewalt zurück ins Bett (nicht, dass man viel Kraft bräuchte, um Menschen in meiner Verfassung zum Liegenbleiben zu bringen), wobei er erstaunlicherweise weder mich noch sich selbst verletzte. "Aber Dino-san! Ich kann doch nicht einfach so hier herumliegen und Chrome mal eben schnell vergessen!" "Überleg doch mal, Tsuna!" Er wollte es jetzt anscheinend mit Argumenten versuchen und setzte sich wieder hin, wodurch ich mich schlagartig etwas besser fühlte, weil er im Sitzen keine allzu große Gefahr mehr für seine Umwelt darstellte. "Es gibt drei wirklich gute Gründe, weshalb es keinen Sinn hätte, jetzt völlig planlos in dein eigenes Verderben zu rennen: Erstens mal bist du schwer verletzt und kannst dich gar nicht richtig bewegen," - Aber ich hatte es immerhin zwei Treppen runter und anschließend wieder rauf geschafft! - "zweitens hättest du auch völlig gesund keine Chance, einen von diesen Typen in einem Kampf zu besiegen" - Dann musste ich halt einen Kampf vermeiden! - "und drittens haben wir nicht die geringste Ahnung, wo sie überhaupt ist! Wir haben noch nicht mal einen Hinweis zum Aufenthaltsort der Shimon-Familie, und du kannst ja schlecht mal eben schnell den gesamten Erdball nach ihnen absuchen, oder?" Das saß, gegen dieses Argument konnte ich nichts sagen; ich hatte die Diskussion verloren, bevor sie richtig begonnen hatte. Kapitulierend aufseufzend entspannte ich meine Muskeln, ließ mich zurück aufs Bett sinken und starrte mit leerem Blick an die Decke, ohne sie überhaupt wahrzunehmen. Mein Zeitgefühl siechte dahin, irgendwann konnte ich nicht mehr sagen, ob ich erst seit zwei Minuten oder schon fünf Stunden in meinem trübsinnigen Gedanken-Wirrwarr versunken war. Enma-kun hatte sie alle zusammen fertiggemacht, und ich hatte nichts dagegen unternehmen können. Und zu allem Überfluss hatten wir jetzt nichts Besseres zu tun, als im Krankenhaus zu liegen... Ich stieß scharf die Luft aus. Wie sehr konnte man eigentlich auf dem Schlauch stehen?! Chrome zu retten war einfach, das reinste Kinderspiel, wenn ich mich beeilte! Sie waren alle gleich angegriffen worden; Hibari-san, Onii-chan und Gokudera-kun lagen bewusstlos im Krankenhaus, was zu dem einzig logischen Schluss führte, dass Chrome auch irgendwo medizinisch versorgt werden musste, denn dieser Kerl hatte sie ja nicht umbringen wollen. So lange nicht wie ich aufwachte, musste sie ganz einfach irgendwo hier sein, denn - Mafiafamilie hin oder her - die Shimon-Familie war nicht aus Namimori und ein tragbares Krankenhaus hatten sie wohl kaum, Chrome konnte man in ihrem Zustand nicht weit bringen, also war sie wohl in ein öffentliches Krankenhaus gebracht worden. Wahrscheinlich war dieser Typ noch nicht einmal mehr bei ihr, sondern stalkte schon der nächsten Frau hinterher! Wenn ich es schaffte, Chrome zu retten, bevor sie aufwachte und der Perversling sie wieder anmachte, würde es leicht werden, weil niemand eine Ohnmächtige in einem öffentlichen Krankenhaus zwei Tage am Stück bewachen würde, schon gar nicht, wenn er jedem weiblichen Geschöpf dieses Planeten nachlief, und den anderen Mitgliedern der Shimon-Familie war sie vorerst egal. Ich musste ganz einfach nur in ein paar Krankenhäusern und Arztpraxen nach einem Mädchen mit einer Augenverletzung fragen! Das alles schoss mir in noch nicht einmal einer Sekunde durch den Kopf, bevor ich, ohne noch weiter auf so etwas Nebensächliches wie Schmerzen zu achten, hochschoss. Beeilen! Ich musste nur schnell sein, das war alles, worauf es jetzt ankam! Wachte Chrome auf, bevor ich sie gefunden hatte, was so ziemlich jede Sekunde möglich war, hatte ich keine Chance mehr, aber im Moment konnte ich es wirklich schaffen! Ich musste nur schnell genug sein! "Kleiner Bruder, leg dich wieder hin! Du musst dich ausruhen!" "Kann nicht, ich muss Chrome retten!" Dino-san startete einen weiteren Versuch, mich zurück ins Bett zu zwingen, was allerdings in dem schon längst überfälligen Unfall endete: Er stolperte, wurde von seinem eigenen Schwung über das Bett geworfen, riss die Decke mit sich, schlitterte dann darauf durch die aus irgendeinem Grund offen stehende Tür und zog sie, als er versuchte, sich daran festzuhalten, in einem so seltsamen Winkel hinter sich zu, dass sie sich total verklemmte und ohne Hilfe eines Handwerkers demnächst nicht mehr öffnen würde. Ich dankte schnell in Gedanken Gott, Buddha, den grünen Männchen oder was auch immer da oben gerade sein Unwesen trieb, dass sich weder Romario noch sonst ein Mitglied der Cavallone-Familie in der Nähe befand und Dino-san sich ganz von alleine ausgesperrt hatte, was wohl bedeutete, dass ich tatsächlich mal Glück hatte. Dann stand ich auf, ignorierte sämtliche Proteste von meinen Muskeln und Dino-san, der jetzt von draußen verzweifelt, aber erfolglos, gegen die verklemmte Tür hämmerte, und riss den Schrank auf, in dem die Sachen aufbewahrt wurden, die man bei seiner Einlieferung ins Krankenhaus getragen hatte, was in meinem Fall ein verdreckter, vollgebluteter und reichlich zerfetzter Anzug war. Ich stöhnte und machte mich schnell ans Umziehen. Die Taschen waren groß genug, um die Tüte mit den Ringen, besser gesagt dem, was von den Ringen noch übrig war, und Kyoko-chans Glücksbringer hineinzustecken. Die Handschuhe zog ich an, dann stellte ich mich vors Fenster - jetzt die Tür zu nehmen wäre selbst für "Dame-Tsuna" zu dämlich gewesen - schluckte zwei Todeswillenpillen, schob, noch bevor die Wirkung eintrat, die Dose ebenfalls in meine Hosentasche und sprang dann im wahrsten Sinne des Wortes in mein Verderben, auch bekannt als "zweiter Stock". Um meinen Finger spürte ich Natsus Ring, ich hatte ihn noch vor dem Einschlafen angezogen. Es war beruhigend, dass er da war, auch wenn sich meine Hand ohne den Vongola-Ring jetzt, wo ich mich an ihn gewöhnt hatte, seltsam leer anfühlte. Mit einem Kopfschütteln verdrängte ich diese Leere und die Splitter in der Tüte aus meinen Gedanken, ich hatte jetzt Wichtigeres zu tun. Es ging alles nur darum, wie schnell ich war, der Rest war egal. Ich federte mein Gewicht auf dem Boden ab und sah ein gutes Stück neben mir Dino-san aus dem Haupteingang des Krankenhauses stürmen - er hatte anscheinend so weit gedacht, dass ich die Tür nicht benutzen würde. "Warte... Tsuna!", brachte er zwischen tiefen, hektischen Atemzügen heraus und versuchte, mir zu folgen. "Sag den anderen, dass ich ihnen verbiete, das Krankenhaus zu verlassen!", rief ich ihm über die Schulter zu, während ich schon losrannte. Es kam nur auf meine Geschwindigkeit an. "Und sie sollen daran halten! Um alles andere werde ich mich kümmern!" Ich drehte beim Rennen meine Handflächen nach hinten, ich konnte es mir nicht leisten, hier auch nur eine Sekunde mehr zu verschwenden, es bestand schließlich immer noch die Chance, dass meine Theorie falsch war, und selbst, wenn sie stimmte, konnte Chrome jeden Augenblick aufwachen und dann hatte ich versagt, als Boss und als Freund. Das Krankenhaus und den völlig verzweifelt hinter mir herrufenden Dino-san ließ ich schnell hinter mir, aber meine Gedanken rasten weiter. Wo auch immer Chrome war, sie hatten sie bestimmt so weit wie eben möglich weggebracht, was mich auf ein für eine einzelne Person nicht unbedingt kleines Gebiet eingrenzte. Ich musste mich jetzt also möglichst schnell in einem sehr großen Umfeld bewegen, am besten, ohne dabei groß bei späten Passanten aufzufallen, was man als fliegender Junge mit Flammenantrieb-Handschuhen in der Regel ja doch tat. Diese Situation erinnerte mich irgendwie stark an unsere Vorbereitungen auf das Choice-Spiel in der Zukunft. Nur dass wir hier keine mit Todeswillenflammen betriebenen Motorräder hatten... oder? Wenn ich jetzt genauer darüber nachdachte, hatte Reborn uns nie wirklich erzählt, was er alles aus der Zukunft mitgebracht hatte. Kennt ihr diese Weisheit, dass man unter Stress besser denken kann? Keine Ahnung, ob das stimmt oder nicht, aber ich bin jedenfalls gerade dabei, zu beweisen, dass man, wenn man nur noch fünf Tage zu leben und eine unbekannte, aber in jedem Fall ziemlich kleine Zeitspanne um eine Freundin zu retten hat, zu einem Genie mutiert. Mal angenommen, die Motorräder wären auch in unserer Zeit, wo hätte Reborn sie wohl versteckt? Leicht und schnell zu erreichen, möglichst so offensichtlich, dass niemand darauf kommen konnte. Am besten direkt vor unserem Haus. Oder darunter. In Italien sollte es ja sehr viele Häuser mit Kellern geben, in Japan waren sie eher selten; wir hatten auch keinen. Oder zumindest keinen, von dem ich wusste. Und Reborn traute ich es durchaus zu, dass er, ohne es irgendjemandem zu sagen, einen Geheimkeller für Zukunftsfahrzeuge unter unserem Haus aushob. Seltsamerweise hatte Reborn am Tag nach unserer Rückkehr aus der Zukunft ein verdächtig schweres Schränkchen in einer Ecke unseres Flurs platziert. Ich dachte immer mehr darüber nach, während ich eher unbewusst in die Richtung meines Zuhauses lenkte. Das Motorrad wäre ein enormer Fortschritt - weniger auffällig, schneller, weniger energieaufwendig und für eine Mafiafamilie wie Shimon, die Todeswillenflammen aufspüren konnte, quasi unsichtbar, zumal sie noch nicht einmal wussten, dass so etwas existierte. Wirklich eine geniale Idee - vorausgesetzt, es war hier. An der Straßenecke hielt ich an - bis vor die Tür zu fliegen wäre zu auffällig gewesen - , lief das letzte Stück und brach dann mit dem Wissen, wo der Ersatzschlüssel lag, in mein eigenes Haus ein. Es war alles leise, und nach der Dunkelheit draußen zu urteilen so spät, dass alle längst schon schliefen, wahrscheinlich auch mein Ausbilder Reborn, was die ganze Sache mit dem unbemerkt bleiben natürlich wesentlich einfacher gestaltete. Jetzt erschien mir die ganze Aktion doch etwas lächerlich. Ich brach bei mir selbst ein, um nach einem Geheimkeller für futuristische Fahrzeuge zu suchen? Ganz offensichtlich war ich jetzt auch durchgedreht. Über mich selbst den Kopf schüttelnd versuchte ich, Reborns Schränkchen zu bewegen - ohne Erfolg. Natürlich, was hatte ich denn erwartet, etwa, dass sich jetzt ein Geheimgang öffnen würde? Die Wirkung der Todeswillenflammen hatte auch aufgehört, resigniert lehnte ich mich gegen das verhängnisvolle Schränkchen - als es sich plötzlich in die Wand hinein bewegte! Ganz klar, so etwas konnte nur Reborn einfallen. Darunter kam ein tiefes, schwarzes Loch hervor - natürlich ohne Leiter, Treppe oder ähnliches. Ja, das musste von Reborn sein. So abnormal das alles auch war, dank seiner Trainingsmethoden reagierte ich eigentlich recht gefasst darauf, auch wenn ich nicht so ganz verstand, wie der Schrank in unsere Wand gepasst hatte. Mit einem unguten Gefühl, das ich mittlerweile gar nicht mehr so beruhigend wie im Krankenhaus fand, ließ ich mich langsam in die scheinbar bodenlose Finsternis gleiten, löste schließlich meine Hände von der Kante und stürzte - wenn auch wesentlich weniger tief, als ich befürchtet hatte; das Loch war alles in allem vielleicht zweieinhalb Meter tief. Ich rieb mir kurz den schmerzenden Hintern und stand auf, dann ging anscheinend von alleine das Licht hier unten an, und mir stockte der Atem. Da waren sie. Alle. Standen ordentlich aufgereiht vor mir in dem gigantischen, hell erleuchteten Raum vor mir und schienen nur darauf zu warten, wieder von der zehnten Generation der Vongola-Famiglia in Betrieb genommen zu werden. Ungläubig strich ich mit den Fingern über das glänzende, glatte Metall. Mein Motorrad stand hier, genau vor mir, als würde es sich schon darauf freuen, dass ich wieder einen schrecklichen Unfall damit baute. Langsam drehte ich mich um mich selbst, um unseren Geheimkeller einer genaueren Inspektion zu unterziehen. Das Design erinnerte mich stark an das unserer Zukunfts-Geheimbasis, nur die ganzen Stützpfeiler fehlten. Die Wände waren alle glatt, nur an der gegenüberliegenden und der hinter mir liegenden gab es Unebenheiten. Hinter mir handelte es sich um einen Knopf, der, als ich darauf drückte, doch noch Stufen aus der Wand ausfahren ließ, die durch das Loch, durch das ich gekommen war, wieder zurück nach oben führten. Dann drehte ich mich um, lief quer durch den Raum zu dem anderen Gebilde, bei dem es sich um eine Art Metallkasten mit gemeinerweise gleich mehreren Knöpfen handelte. Als ich versuchsweise den am ungefährlichsten aussehenden weißen Knopf drückte, erklärte mir eine Computerstimme, was ich mit diesem Metallkasten zu tun hatte, damit sich die dritte der vier Wände, auf die alle Motorräder gerichtet waren, für fünf Minuten öffnete und ich zu einer sehr wenig befahrenen Seitengasse fahren konnte, natürlich auch über einen unterirdischen Geheimweg. Ich folgte den Anweisungen, mit dem Erfolg, dass der ganze Raum zu beben begann und die Wand tatsächlich komplett hochgefahren wurde und die Sicht auf einen längeren Metalltunnel frei gab. Schließlich schaffte ich es tatsächlich mit nur zwei Unfällen samt Motorrad in den öffentlichen Verkehr, der sich momentan allerdings stark in Grenzen hielt, mit anderen Worten, ich war der einzige auf der Straße, was mir aber nur Recht und bei meinen "Fahrkünsten" wahrscheinlich auch das Beste für alle war. Ich entdeckte sogar das eigentlich unübersehbar vorne anmontierte GPS-System aus unserer Zeit, das mir nach einigen Versuchen, vielleicht so sechzehn oder siebzehn, sogar sämtliche Krankenhäuser und sonstige medizinische Versorgungen in einem Umkreis von 25km anzeigte. Schnell machte ich mir in Gedanken einen ungefähren Plan, in welcher Reihenfolge ich sie am besten anfahren sollte, dann gab ich Gas. Ich hatte schon wieder so viel Zeit verschwendet. Ein gutes Stück entfernt und von Tsuna unbemerkt sah eine kleine Gestalt ihm aus dem Fenster nach. "Und du bist dir wirklich sicher, dass wir ihn nicht aufhalten sollten?", tönte Dinos Stimme mechanisch aus dem Telefon in der Hand der Person, in dem man mit einer Fantasie immer noch Leon erkennen konnte. "Ja", meinte Reborn und hob Leon zurück an sein Ohr, nachdem er eben in seine Beobachtung versunken weggestarrt und den Arm sinken lassen hatte. "Ich glaube, unser Dame-Tsuna fängt langsam an, selbstständig zu denken. Anscheinend hat er doch was gelernt. Jeder Boss denkt erst an das Wohl seiner Untergebenen, dann an sein eigenes." Das Motorrad fuhr vollkommen geräuschlos, genau wie immer, deshalb überraschte es mich auch nicht, dass ich in der Ferne eine Kirchturmuhr schlagen hören konnte. Einmal. Zweimal. Immer wieder, mit tiefen vollen Schlägen, die die ganzen Stunden angaben. Zehnmal. Elfmal. Zwölfmal. Mitternacht. Und während ich so mit lauter Verbänden und zerstörten Mafia-Ringen in einem verbluteten Anzug auf einem Zukunfts-Motorrad mit Todeswillenflammenantrieb aus unserem Geheimkeller durch die nachtschwarzen Straßen fuhr, wurde mir auf einmal bewusst, dass uns jetzt nur noch vier Tage blieben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)