Reqium of Darkness & Quiet Symphony von abgemeldet (Walker x Kanda) ================================================================================ Kapitel 52: Verantwortung ~ 4 ----------------------------- In der Nacht tobte ein Unwetter. Hart prasselte der Regen gegen meine Fensterscheiben, während ich nur bedingt zum Schlaf fand, mich vielmehr rollte und räkelte, als wirklich Erholung zu finden… und am nächsten Morgen schon recht früh auf den Beinen war. Auf der Matratze hielt mich nicht mehr viel. Vor meinem Fenster plätscherten die letzten Regentropfen. Zurückgeblieben war ein schneidiger Wind, der in den Rissen meiner Scheiben summte und ein dunkel bewölkter Himmel, der den neuen Tag nur vermuten ließ. Der Schlaf, dem ich während der Meditation verfallen war, war so seltsam gewesen aber spätestens jetzt war ich dankbar für diese vergangenen Stunden. Eine wirkliche Erholung war mir nicht zugekommen und benommen kratzte ich mich im wirren Schopf, kämpfte die Decke zur Seite und schob mich zur Kante der Matratze. In letzter Zeit musste ich den Tagen gewachsen sein. Sie forderten mich heraus, stellten mich vor Proben und so war der erste sichere Schritt, erst einmal vollständig wach zu werden. Langsam schloss ich die Arme um die angewinkelten Beine. Die Augen trübe auf das helle Gestein des Onsen gerichtet, neigte ich den Kopf zur Seite und bettete die Wange auf den Knien. Wieder hatte ich das Gefühl, wieder einzuschlafen. Immer an den falschen Orten, immer zu den falschen Zeitpunkten und als hätte sich selbst das Wasser gegen mich gestellt, drang das leise Plätschern beruhigend an meine Ohren. Müde blinzelte ich, bekam die Umwelt nicht so recht zu fassen. Sie verschwamm, genau wie die Umrisse meiner Füße, als sie sich im annähernd undurchsichtigen Wasser regten. Meine Schulten hoben und senkten sich unter einem tiefen Atemzug, meine Lippen pressten sich aufeinander und unter einem ausgiebigen Gähnen schloss ich die Augen. Die vergangene Nacht zehrte noch immer an meinen Kräften, an meinen Gedanken, die sich schwer damit taten, brauchbar und geordnet zu sein und ermüdend umspielte mich das warme Wasser, als ich mich kurz regte. Murrend wandte ich das Gesicht zu den Knien, bettete die Stirn auf ihnen und schloss die Augen. Es war gefährlich, letztendlich aber sehr angenehm und ich nahm es auf mich, konzentrierte mich darauf, wach zu bleiben. Flüchtig und ziellos spreizte ich die Finger, bevor ich sie abermals fest um meinen Unterarm schloss. Der drückende Wasserdampf erschwerte mir etwas das Atmen, leise rauschte mein tiefes Luftholen in dem Raum, als ich das Gesicht wieder wandte, träge nach der Bequemlichkeit suchte. Bald darauf rollte ich auch mit den Schultern, bettete die Wange neu und öffnete die Augen. Verschwommen kam die Umwelt abermals zum Vorschein. Es schleppte sich dahin aber langsam wurde alles in mir wach. Bereit für die Tatsachen, die mich zu einer späten Einsicht führten. Mein Kopf fühlte sich so… überladen an. Es steckte soviel in mir, das mir dieses Gefühl der Überlastung sandte. Soviel tummelte sich in mir, soviel lebte rumorend und dumpf auf… zuviel, ohne, dass mir die vermeintlich richtige Richtung aufgezeigt wurde. Ich schluckte, verdrehte die Augen und rieb sie mir. Ein leichter Kopfschmerz war mein lästiger Begleiter, seitdem ich von der Matratze losgekommen war und erneut erschallte mein Stöhnen, wurde, wie auch das monotone Plätschern, von einem leisen Geräusch durchbrochen. Lauernd wandte ich mich zur Seite und wie sehr erschlug mich die Anwesenheit eines weiteres Onsen-Besuchers. Mein Körper fand noch nicht zu der Überwindung, sich zu bewegen, als ich mit finsterer Miene auf den Finder starrte, der sich in den Raum schob. Langsam drehte ich den Kopf, spürte die sofortige, alte Missstimmung, in der ich die Stirn runzelte und diese Frühaufsteher verfluchte. Mit einer knappen Bewegung zog sich der Finder das Handtuch von der Taille und unachtsam wurde es fallen gelassen, als er auf den Onsen zusteuerte. Um Gottes Willen… murrend wandte ich das Gesicht ab, presste die Lippen aufeinander und fand plötzlich nichts Entspannendes mehr an dieser Situation. Man kam wirklich nicht vor ihnen davon. Unterdessen erreichte der Mann sein Ziel und meine deutlichen Reaktionen entgingen ihm vollends, als er in eines der anderen Becken stieg und durch das seichte Wasser watete. Das reichte. Bitter begann ich mich zu regen, zwang mich vielmehr dazu und kaum war ich auf den Beinen, griff ich auch schon nach dem Handtuch. Jede weitere Minute hätte ich sehr zu schätzen gewusst und nur kurz starrte ich zu ihm zurück, bevor ich mir den Stoff um die Hüften schwang und aus dem Wasser stieg. Es war nur eine Intuition, nur eine der vielen Befürchtung, die ich seit kurzem permanent hatte… aber dieser Tage, obwohl er kaum richtig angebrochen war, flößte mir Respekt ein. Eine Nacht, die nicht zufrieden stellte. Schlaf, der nicht genügte und nicht einmal jetzt ein Moment, in den man sich vertiefen konnte! Ruppig öffnete ich die Tür, schob mich in die Umkleidekabinen und suchte mir meine Bank. An einer Trennwand zog ich vorbei, zielstrebig auch an der nächsten und nur einen Schritt tat ich in den richtigen Gang, bevor sich meine verbitterte Miene perplex entspannte und meine Schritte ins Stocken gerieten. Die Ferse auf dem Knie gebettet, die Hände noch am Shirt, das er sich soeben übergestreift hatte, erwiderte er meine Aufmerksamkeit sofort. Nass umspielten die weißen Strähnen sein erstauntes Gesicht, wortlos waren seine Lippen einen Spalt weit geöffnet und nur stockend bewegte er den Strumpf in der Hand, ließ ihn etwas sinken. Wirklich… mit so etwas rechnete ich nicht. Ich war der Erste, der den Blick abwandte, der den Augenkontakt enden ließ und schweigend näherte ich mich ihm, zog an ihm vorbei und zu meinem Platz. Gar nicht weit entfernt. Und er drehte sich mit mir, sah mir nach. Es gab eine Unsicherheit, die sich spüren ließ, die ihn zögern ließ. „Guten Morgen.“ Beinahe verhalten erhob sich seine Stimme in der Stille des Umkleideraumes. Ungewohnt, nachdem sie in letzter Zeit vor Verachtung und Wut triefte. Und trotzdem… es überraschte mich. Der Eifer, mit der er mich ansprach und flüchtig trafen unsere Augen abermals aufeinander, bevor ich mich niederließ, das Handtuch zur Seite zog. „Morgen.“ Ich reagierte bedacht, antwortete ruhig und tastete nach meinen Kleidern. Neben mir erwachte auch er wieder zum Leben, zog sich an. Scheinbar hatte er geduscht und war somit klüger gewesen, als ich. Bestimmt hatte man ihn nicht gestört. Nur flüchtig trocknete ich mich ab, zog den Stoff zu mir und achtete dabei dennoch stets auf seine Bewegungen. Unauffällig ließ ich ihn nicht aus den Augen, nahm diese drängende und trotzdem vielversprechende Atmosphäre wahr, in der sich unsere Augen beinahe öfter begegneten. Es waren wenige stille Momente, in denen ich in die Hose schlüpfte, bequem sitzen blieb und irgendwann ein leises Räuspern neben mir wahrnahm. „Wie hast du geschlafen?“ Wieder… Es war ehrliches Interesse, ehrliche Entspannung wieder spürte ich seine Aufmerksamkeit, als er zu mir spähte, in die Weste schlüpfte. Ich selbst tastete nach den Knöpfen, rückte mich auf der Bank zurecht und besah mir beiläufig die gegenüberliegende, geflieste Wand. Antworten tat ich auch die Frage durchaus unentschlossen. Es blieb bei einem unwirschen Brummen und während ich mir das Hemd überstreifte, schlüpfte er bereits in die Stiefel. Mit gesenktem Kopf machte er sich an den Schnallen zu schaffen. „Du hast noch nie gut geschlafen, wenn es gewittert“, flüsterte er in die Arbeit vertieft und ich schürzte die Lippen, suchte mir die nötige Befreitheit mit einem tiefen Durchatmen. Das, was gestern passiert war, schien vorbei zu sein. Deutliche Spuren nahm ich nicht an ihm wahr… zumindest zu diesem Zeitpunkt, in welchem er mich an unsere alte Vertrautheit erinnerte. Natürlich hatte ich nicht gut geschlafen. „Und du?“, erkundigte ich mich beiläufig, tastete nach den Knöpfen und drehte sie in die Löcher. „Wie ein Stein.“ Dumpf ging der Stiefel auf den Boden nieder, sofort griff er nach dem Zweiten. Das dachte ich mir… ihm machte nur der Vollmond zu schaffen. Andere Einflüsse hielten ihn nicht davon ab, im Tiefschlaf zu versinken. So oder so war er ein besserer Schläfer, als ich. Das Klirren der Schnallen und unsere Atemzüge bestimmten in den nächsten Sekunden die Atmosphäre. Schweigend zogen wir uns an und er war mir voraus gewesen, bereits fertig, während ich noch den Fuß zu mir auf die Bank zog, in den zweiten Stiefel schlüpfte und mir das Haar zurückstrich. Es war mir nicht entgangen, dass er trotz alledem noch sitzen blieb, einfach auf der Bank verharrte. Er schien zu warten, es nicht eilig zu haben. Natürlich, er hatte nichts Bestimmtes vor… keine festen Ziele. Und er wartete, presste die Hände zwischen den Knien und übernahm mein Interesse, was die kahle Wand vor uns anbelangte. Still folgten seine Augen den dunklen Fugen. Er verfiel einer gewissen Beklemmung und es versetzte mich nicht in Verwunderung. Alles in seiner Welt schien verdreht, wackelig und unsicher. Auch er in Augenblicken, wie diesen. Nach gewissen Vorfällen fiel es schwer, den alten Kontakt zu suchen… auf etwas einzugehen, was er davor strikt ablehnte. Er hatte seinen Stolz und so ließ ich ihm genug Zeit, einen Weg zu finden, der ihn nicht verletzte, der ihm nicht das Gefühl gab, sich zu erniedrigen. „Hast du… schon gefrühstückt?“ „Mm-mm.“ Kopfschüttelnd rollte ich mit den Schultern, suchte mir die Bequemlichkeit in dem Hemd und kam auf die Beine. Vorerst hatte ich es aber nur auf den Haargummi abgesehen und wieder lenkte sich seine Aufmerksamkeit auf mich zurück, als ich ihn herauszog und zwischen die Lippen klemmte. Ich war fertig, durchkämmte meine Haare flüchtig mit den Fingern und band den Zopf neu. Und er? Als ich mich in Bewegung setzte und an ihm vorbeizog, fand ich es heraus. Ein Zögern hielt ihn noch etwas länger auf der Bank aber bevor ich hinter der Trennwand verschwand, setzte er sich in Bewegung. Er folgte mir und zusammen traten wir in den steinernen Gang hinaus. Eigentlich hätte ich erleichtert sein müssen, befreit von Sorgen und Themen, um die meine Gedanken kreisten. Dass nicht mehr ich es war, der sich an die Fersen des Anderen heftete. Dass es mir abgenommen wurde, Gespräche auf die Beine zu stellen… es müsste mich entlasten aber es waren seine unberechenbaren Stimmungswandel, die mich nicht voreilig sein ließen. Es waren Momente, in denen er sich drehte. In denen er nicht wiederzuerkennen war. Dieses Beisammensein und diese Wort… ich ging davon aus, dass es sich um eine Ausnahme handelte und legte gerade deshalb immensen Wert auf seine Anwesenheit. Hinter mir hatte er die Tür hinter sich gelassen, sie geschlossen und nur kurz hielten wir inne, bevor wir zur Seite bogen und er sich bei mir hielt, als hätten wir dasselbe Ziel und keinen Grund, getrennte Wege zu gehen. Seine Arme verschränkten sich. Kurz zog er die Nase hoch und nach einem vergänglichen Blick zur Seite war ich mir sicher, dass ihm die vergangene Nacht weitaus mehr gebracht hatte, als mir. Er sah erholt aus. Kontrolliert setzte er einen Fuß vor den anderen, regte die Finger an den Armen und schien den alten Grübeleien zu verfallen. Handelte es nur darum, was er sagen sollte? Also um dieselben Fragen, die ich mir auch oft gestellt hatte? Was beschäftigte ihn. „Mm…“ Seine Lippen pressten sich aufeinander, seine Lider senkten und binnen der nächsten Schritte blickte er annähernd gedankenverloren zu Boden. „Wie war dein Training…? Gestern.“ Spielte er darauf an, dass er nicht mitgekommen war? Dass er sich durch den Rotschopf sofort ins Straucheln bringen ließ? Ich sah ihn nicht an, war noch ein bisschen an meinen Haaren zugange. „In der Halle hatte ich keine Ruhe“, erwiderte ich aber ohne lange Grübeleien. So war es gewesen. Was sollte ich sonst sagen? „Linali und Lavi hielten es für nötig, mir einen Strich durch die Rechnung zu machen.“ „Oh.“ ‚Ja, verstehst du?’, dachte ich mir dabei und rümpfte die Nase. ‚Nicht nur von dir erwartet man Antworten.’ Und er verstand es. Ich entnahm seinem Gesicht, dass er sich einer gewissen Schuld bewusst war. Er rollte mit dem Kopf, schien etwas verspannt. „Ich war im Wald“, fuhr ich fort, um diese Stimmung nicht zu vertiefen. „Das war gut.“ „Wir holen es nach“, versprach er gedämpft, juckte sich an der Wange und folgte mir um eine Ecke in den nächsten Gang. Vor uns erstreckte sich das Treppenhaus und beiläufig fischte ich nach einer verirrten Strähne. „Wenn wir Gelegenheit dazu haben.“ Ich stellte es als fraglich dar, tat es bewusst und strikt darauf achtend, nicht sofort in die Knie zu gehen, wenn einer seiner Schritte in meine Richtung führten. Ich war zu unausgeglichen, um jedem seiner Worte zu danken… zu gebranntmarkt von vergangenen Ereignissen. Und er richtete sich nach mir, tat nichts anderes, als ich erwartete. Er spähte zu mir. „Du musst weg?“ Ich beließ es bei einem Schulterzucken. Wer wusste das schon? Wer wusste, wie die nächsten Tage verlaufen würden? Ob man mich weiterhin für eine so fragwürdige Sache entbehren könnte. Wir erreichten das Treppenhaus, richteten uns irgendwie nach meinem Weg. Auf den Speiseraum war ich aus, während der, der neben mir trottete, heute schon einmal dort gewesen sein musste. Er war so ausgeglichen, grob gesagt so zufrieden, dass sein Magen unmöglich nüchtern sein konnte. Aber er folgte mir und ich sah keinen Grund dazu, ihn danach zu fragen, zum Ausdruck zu bringen, wie plötzlich seine Gesellschaft kam. Also blieb ich still und überließ das Sprechen ihm. Er hatte einiges nachzuholen und war scheinbar auch nicht abgeneigt, dem nachzukommen. Nur die Suche nach Worten war eine Problematik. Mir musste er nichts erzählen. Ich kannte sie seit kurzem auch. Wir schwenkten in den nächsten Gang, entfernten uns vom Treppenhaus und näherten uns allmählich meinem Ziel. Ob er mich bis in die Halle begleiten würde, blieb fraglich. Vielleicht war es ihm das nicht wert. „Kanda, ich…“, plötzlich verlangsamten sich seine Schritte. Etwas schien vor ihm zu liegen, dass ihn innehalten ließ und kurz darauf stand er wirklich dort und ich stand neben ihm, verfolgte, wie seine Hand über den Mund glitt, er sich die Lippen rieb und zu Boden starrte. Es wurde interessant und aufmerksam wartete ich, musterte seine Mimik, während er mit sich rang, tief Luft holte. Man erlebte es selten, dass ihm Worte so schwer fielen und auch ich schloss mich seinem Durchatmen an, verschränkte die Arme vor dem Bauch. „… ich…“, murmelte er wieder, „… das, was ich… du bist nicht derjenige, den ich…“ Ich hob die Brauen, nahm kaum wahr, wie direkt neben uns eine Tür klickte. Ich wollte es nicht hören, es nicht wahrhaben, ganz anders mein Gegenüber, der sofort verstummte, an mir vorbeistarrte und die Hand sinken ließ. Seine gesamte Haltung schien abzuschwächen, jede Anspannung von ihm zu fallen, genauso wie das Vorhaben, das hier und jetzt in die Brüche ging. Jedes Wort, das ich hören wollte, blieb hinter seinen Lippen und nur kurz richteten sich seine Augen auf einen Punkt in meinem Rücken, bevor sich seine Lippen zusammenpressten, er zu Boden starrte und die Augen verengte. Eine Anspannung, ein Knistern… von einem Moment zum Nächsten und ein verbissenes Zischen kam über meine Lippen, als ich herumfuhr, seiner vorherigen Beobachtung folgte. Die Hand auf der Klinke der Tür, die Augen bestürzt an mir vorbeigerichtet, schien Komui diese Angelegenheit schnell zu begreifen. Auch das, dem er gerade in die Quere kam. Er trat neben uns in den Gang…? Befand sich inmitten des riesigen Hauptquartiers gerade jetzt genau hier?! Er achtete nicht auf meinen funkelnden Blick, bevor ich ihm den Rücken kehrte, stockend die Arme löste und die Hände zu Fäusten ballte. Währenddessen schien man sich geradewegs hinter mir zu verstecken. Ihm brachte diese Begegnung nicht viel weniger Aufregung, als mir. „Allen…“, leises Kratzen verriet Komuis Bewegungen. Gedämpft erhob sich auch seine Stimme… er suchte Kontakt, versuchte, diesen Zufall zu nutzen und kaum unternahm er diesen Versuch, durchfuhr ein Zucken die Miene des Jungen, der vor mir stand. Auch seine Hände wurden unruhig, bevor sich die Finger im Stoff der Hose versenkten und er sich mit einer strikten, zielstrebigen Bewegung abwandte. Er flüchtete… einmal mehr und nicht vor mir!! Was sollte ich sagen! Es lag nicht im Bereich meiner Möglichkeiten, ihn zurückzuhalten. Ich starrte ihm nur nach und tat mich schwer damit, meinen Atem zu beruhigen. Hinter mir herrschte Stille. Nur die Schritte des Jungen schallten in dem steinernen Flur, bis er hinter der nächsten Ecke verschwand und uns zurückließ. Finster fixierten sich meine Augen noch immer auf den Punkt, an welchem er sich meinem Blick entzogen hatte, fest hielt ich die Hände geballt und konnte sie kurz darauf nur mit viel Überwindung entspannen. Und ich blieb stehen, rang mit mir, könnte von einem Augenblick zum nächsten schreien, wüten und alles verfluchen, was hier und jetzt geschah! Jeder, der mich bat, mich zu kümmern, den Kontakt zu suchen… jeder von ihnen kam mir in die Quere, wenn ich kurz davor war!! Hinter mir schien Komui erneut erstarrt. Nur leise quietschte die Tür, als seine Hand sie stockend in Bewegung setzte, er sich scheinbar von ihr löste. Ein lautloses Seufzen folgte… drängte mich verkrampft in meine aufrechte Haltung zurück. Irgendetwas stimmte nicht…! Irgendetwas ging hier nicht mit rechten Dingen zu!! … und mit einem Mal fuhr ich herum, wandte mich Komui zu und biss die Zähne zusammen. Von der Mauer fanden seine Augen zu mir und als würde ihn meine Reaktion überfordern, als verstünde er meine Wut nicht, bröckelte auch der kümmerliche Rest der Fassung aus seinen Gesichtszügen. „Ist das dein Ernst…?“ Nur fauchend kamen die Worte über meine Lippen. Mir gegenüber rutschte die Hand von der Klinke. „Meinst du das wirklich ernst?! Jetzt tauchst du auf?!“ Ich konnte mich nicht mehr halten, brach durch meine Schranken und nahm kein Blatt vor den Mund. Sein perplexer Blick, die Tatsache, dass auch er erschrocken war, hier auf uns zu treffen. Nichts sah ich als Entschuldigung an! Nichts, als Grund, mich zu beruhigen. „Weißt du was?“ Mit dem Zeigefinger stieß ich nach ihm, trat einen ruppigen Schritt näher. „Ihr kommt zu mir!“ Aufgebracht schnappte ich nach Luft. „Ihr braucht meine Hilfe! Und Ihr macht mir jede Gelegenheit zunichte!“ Lautlos bewegte er die Lippen, suchte nach Worten, die ich nicht hören wollte. „Ob du es glaubst, oder nicht! Es gab bisher nicht viele!“ Ächzend riss ich die Hand zurück, abermals bissen meine Zähne aufeinander und zitternd ballte ich die Hand zu einer Faust, entlud ein weiteres, geringes Fragment meines Zorns mit einem verbissenen Zischen und setzte mich ruppig in Bewegung. Meine Schritte waren schnell, strikt und Komui blieb schweigsam. Auch, als ich an ihm vorbeizog, meinem alten Ziel folgte. Weshalb sollte ich es auch nicht?! Der Junge war fort und mich hielt nichts mehr auf!! Ruppig riss ich die nächste Tür auf, trat in den Speiseraum und schleuderte sie hinter mir in die Angeln. Das Dröhnen durchfuhr die gesamte, steinerne Halle… ließ eine Totenstille unter den Essenden folgen und mir ihre Blicke, als ich mir fahrig das Gesicht rieb, zwischen den Tischen entlang zog und einen verbitterten Fluch ausstieß. Scheppernd stellte ich das Tablett auf, schob mich auf die Bank und klammerte mich in den ersten Momenten nur an den Tisch. Diesmal gab es kein Geflüster… diesmal war es um mich herum still und erst nach mehreren, tiefen Atemzügen, löste und entspannte ich meine Hände, schlug sie aneinander und griff nach den Stäbchen. Meine Vorahnungen trafen ins Schwarze! So widerlich es auch war… alles, was ich schon nach dem Aufstehen befürchtet hatte, traf ein und wie gerne würde ich mir das recht herausnehmen, für den Rest des Tages zu verschwinden, mich einfach an einen abgeschiedenen Ort zurückzuziehen und nichts mehr mitzubekommen! Es könnten Dinge sein, die ich nicht mehr vertrug… die mich in eine Verfassung drängten, die der des Jungen recht ähnlich war! Irgendwann würde ich vielleicht sogar verstehen, weshalb er so handelte… weshalb er die Geduld verlor und sich nicht mehr in seinen Schranken hielt. Es war einfach alles unerträglich und in den nächsten Momenten schlang ich das Essen hinunter, wusste die allgegenwärtige Stille nicht zu schätzen und war so in mich gekehrt, wie lange nicht mehr. Ich schmeckte nichts, ich hörte nichts, starrte nur auf dieses Essen und verfluchte selbst dieses. Dieser Sarkasmus war so bitter, dass ich ihn hervorwürgen wollte! Die Zufälle reihten sich in anormaler Grausamkeit aneinander und der einzige Verhöhnte war und blieb ich! Ich, der sich bereit erklärte und letztendlich nur in die Irre geführt wurde! Gäbe es wenigstens ein Erfolgserlebnis, an das ich mich klammern könnte! Nur einen Grund, zuversichtlich zu sein und mir einzugestehen, dass auch die anderen keine Schuld an den Zufällen trugen! Dass sie einfach dort waren, wo sie nun einmal waren und dass nichts von alledem ihren Absichten entsprach! Ich hatte nicht mehr die Kraft, so zu denken… nach kurzer Zeit nicht einmal mehr die Lust, hier zu sitzen! Selbst die leisen Geräusche verstummten, als ich in die Höhe fuhr, den Becher nach dem letzten Schluck auf das Tablett zurückrammte und einfach ging. Nur wohin… wohin! Nachdem ich diese Tür in ihre Angeln geschleudert hatte, zog es mich vorerst nur geradeaus. Schnellen Schrittes stürmte ich einfach in den nächsten Gang, blickte nur kurz zurück und schickte der Tür einen vernichtenden Blick. Gerade so, als wünschte ich mir, dass sie es war, die die Verantwortung für all das trug. Dass ich ihr mögliche Schuld auflasten könnte! Meine Wut zeigte mir nur, dass ich scheinbar nicht damit umgehen konnte, ebenso, dass es vorerst für mich und auch für andere am besten war, wenn ich in meinem Zimmer verschwand. Ohne mich um etwas zu kümmern, ohne auf etwas achten zu müssen und so erreichte ich kurz darauf das Treppenhaus. Es waren Schritte, die ich sofort wahrnahm. Rasche, Überstürzte und ich schloss mich ihnen an, stürmte an dem Geländer vorbei und zu meinem Zimmer. „Allen…?“ Abrupt endeten die Schritte, sowie etwaige andere Geräusche. Die Stimme hatte sich erhoben und auch ich war stehengeblieben, fühlte mich plötzlich in meiner ganzen Hast gebremst. Leise wurden die Schritte fortgesetzt. Es musste die Etage unter mir sein und ohne zu zögern trat ich zu dem Geländer, blickte hinab und bekam alles geboten, was sich dort unten abspielte. Er war es wirklich und nicht in der Stimmung auf den Rothaarigen zu achten, der aus einem Nebengang aufgetaucht war, die Abneigung und die Schritte des Jungen bestürzt verfolgte. Er ging seiner Wege und kurz darauf erhob sich das zermarterte Ächzen des Rothaarigen. „Allen…“, beinahe flehend rief er ihn, folgte ihm, „… warte doch mal!“ Ich in seiner Position hätte anders gehandelt. Abwesend streiften meine Fingerkuppen das Gestein, drehte das Gesicht und sah Lavi rasch aufholen. Ihm wurde keine Aufmerksamkeit geschenkt und vermutlich war es auch nur bei einem kurzen Innehalten geblieben. „Allen!“ Laut hallten Lavis Schritte und wie ungebrochen schien in er in dem Willen, die erdrückende Mauer des Schweigens zu brechen. Wie fahrig streckte er den Arm nach dem Jungen aus, versuchte seine Schulter zu erreichen. „Hey, können wir nicht mal re…?“ Nur kurz… mehr, als eine flüchtige Berührung erfassten meine Augen nicht, dafür aber deutlich die heftige Reaktion. Es wurde eine Grenze übertreten. Nicht einmal ich hatte es gewagt und meine Hand hielt in der gedankenlosen Erkundung des Gesteines inne, als die Schritte ein weiteres Mal verstummten. Nur ein abruptes Scharren und ein lautes, erschrockenes Ächzen, als Lavis Reflexe gänzlich scheiterten, ihn nicht rechzeitig zurückweichen ließen und ihn den Händen aussetzte, die sich in den Kragen seines Hemdes schlugen. Wie schnell war der Junge herumgefahren, wie plötzlich hatte er reagiert und Lavi war zu keiner Reaktion fähig. Er stolperte, schien so überfordert und dumpf traf sein Rücken auf die nahe, steinerne Säule. Er wurde gegen sie gedrängt, gegen die gestoßen und kaum, dass er dort lehnte, keuchend die Hände erhoben hielt und den Jüngeren anstarrte, ließ dieser von ihm ab. Die Hände rissen sich aus dem Stoff und in derselben Bewegung trat er zurück, machte mit einem letzten Blick deutlich, was Lavi allein von seiner Nichtbeachtung nicht abgeleitet hatte. Es geschah so schnell und endete so plötzlich. Die alten Schritte, in denen sich der Junge dem alten Ziel zuwandte, den nächsten Gang nutzte, um zu verschwinden… und Lavi, der dort lehnte und noch in dieselbe Richtung starrte, als von dem Jungen nicht vielmehr übrig geblieben war, als die sich entfernenden Schritte. Ganz anders, als ich. Es grenzte am Dramatischen, dass mich nichts von alledem überraschte, dass ich das Entsetzen des Rothaarigen nicht teilte. Es passte zu ihm… passte zu seiner derzeitigen Verfassung. Dabei legte ich diese Reaktion nur als Gegenwehr aus. Es war kein Angriff gewesen, keine Absicht, Lavi weiteren Schaden zuzufügen und den Prellungen in seinem Gesicht Weitere hinzuzufügen. Er wollte einfach nur seine Ruhe und war aus irgendeinem Grund so offensichtlich in die alte unausgeglichene Anspannung zurückgetaumelt, dass er sich keine Zeit für Worte nahm. Nichts, worauf Lavi aus gewesen war. Meine Nase rümpfte sich, langsam löste ich mich von dem Geländer und rollte mit den Augen. Was war jetzt schon wieder passiert! Komuis Auftauchen allein, konnte nicht die Schuld daran tragen! Er war noch anders gewesen, bevor er gegangen war. Ich trat zurück, nahm nur beiläufig wahr, wie Lavi zum alten Leben erwachte. Die Erstarrung fiel von ihm abzufallen, als er auf mich aufmerksam wurde, sich zu mir wandte und hinaufstarrte. Nur die alten Fragen, die Verwirrung… all das entsprang seiner bleichen Miene. Es war nichts Neues und bevor er weiteren Gebrauch von seiner Stimme machen konnte, wandte ich mich ab und erreichte meine Tür. Mir würde nichts anderes übrig bleiben, als es ihm mit Worten zu erklären. Dass ich nicht mit ihm sprechen wollte. Derzeit eigentlich mit gar keinem und geräuschvoll schloss ich die Tür hinter mir. Ich ruhte mich aus, ließ mich einfach auf das Bett sinken und blieb liegen, wie ich eben gefallen war. Wenige Momente blinzelte ich noch der Wand entgegen, bewegte ziellos die Finger auf dem Laken und die Lippen aufeinander… dann schloss ich die Augen und tat alles andere, als zu schlafen. Es wäre undenkbar und so blieb ich einfach dort liegen, atmete tief und konzentriert. Es war nicht mein Körper, der neue Kräfte brauchte. Die Belastungen lagen nur in meinem Kopf, in dem Schmerz, der sich allmählich wieder hinter meiner Stirn erhob. Ich fühlte mich, als stünde ich kurz vor einer Wendung. Sie würde nicht in meiner Umwelt liegen, nicht das Handeln der anderen Menschen ausmachen. Ich selbst stand an diesem Punkt zu meinen Seiten niemand. Ich wusste nicht, wie sehr ich auf meine Entschlossenheit vertrauen konnte… wusste nicht, wann sie mich im Stich lassen würde. Nur, dass sie es tun würde… eines Tages und irgendwann. Die einzige Sicherheit. Wie ernüchternd. Dass mich all das selbst so formte, dass es mich so mitnahm, die Menschen zu beobachten, für die ich mich über gewisse Grenzen hinaus, nie interessierte. Zumindest nicht offensichtlich. Bisher hatte ich einfach gut damit gelebt. Es war auch die Wut, die ich leid war. Meistens war ich nicht zornig. Meistens entsprach mein Gesicht nicht einmal annähernd meinen innerlichen Vorgängen. Ich war nicht geübt darin, so lange verbittert zu sein. Es machte mich müde. Irgendwann erwachte ich zum Leben, zwang mich viel eher noch dazu und schob mich vom Bett. Es war ein seltsames Gefühl aber nicht einmal hier fühlte ich mich richtig wohl. Nicht abgeschottet, obwohl mich die dicke Tür von der Außenwelt trennte. Ich passierte sie, kehrte in genau diese Außenwelt zurück und auch zu der alten Ablenkung. Und ich holte mir mein Buch, erinnerte mich in der Bibliothek daran, was auch dort passiert war, bevor ich sie verließ und mir einen anderen ruhigen Ort suchte. Ich wählte die Lounge. Einen Ort, an dem ich wirklich selten aufhielt. Sonst waren meine Schritte nicht ziellos und ich nicht im besitz der Ambition, dorthin zu gehen und einfach gar nichts zu tun. Soviel hatte sich verändert und so saß ich bald darauf auf einem der Sofas, im etwas dämmrigen Licht der Lampen und las. Die Beine von mir gestreckt, war ich tief in die Polster gerutscht, versteckte mich ein weiteres Mal hinter diesem Buch und tat es für eine lange Zeit. Es musste mehr als eine Stunde sein, die ich völlig ungestört damit verbrachte, in das Buch zu starren und einfach an nichts anderes zu denken. Nur hin und wieder schlürfte jemand vorbei, ohne die Lounge zu betreten. Irgendwann auch ein einzelner Forscher, der es sich in einer entfernten Ecke gemütlich machte, eine Zigarette rauchte. So etwas beachtete ich nicht. Ich sorgte für meine Ungestörtheit, blätterte und blätterte, machte endlich die lang ersehnten Fortschritte, was die Geschichte anging. Beinahe völlige Stille umgab mich. Nur die vereinzelten Regungen des Forschers waren nicht dazu imstande, meine Aufmerksamkeit von dem Buch zu lösen und selbst, als irgendwann eine kleine Gruppe aus jungen Wissenschaftlern an mir vorbeizog, blickte ich nicht über das Buch hinweg. Es gelang mir, so einiges einfach aufzublenden und auch, als sie in nicht allzu weiter Ferne eine kleine Sitzecke für sich einnahmen, gab ich mich nicht einmal innerlicher Unzufriedenheit. Ihre Stimmen nahm ich kaum wahr. Stockend und vertieft hob ich den Zeigefinger zu den Lippen, befeuchtete ihn und setzte ihn auf die Kante der Seite. Nur noch einen kleinen Absatz und bald blätterte ich wieder um, rückte mich zurecht und regte die Füße. Das war ja interessant… nicht nur im wahren Leben gab es unerwartete Wendungen. Flüchtig kratzte ich mich an der Stirn, schürzte die Lippen und verharrte wieder still. „Wusstet ihr, dass Dr. Dylan eigentlich Psychologie studiert hat?“ Nur beiläufig nahm ich es wahr, flüchtig rutschten meine Augen von der Zeile und sofort vertiefte ich mich wieder in die richtige Stelle. „Wirklich?“ Einer der Forscher rutschte zur Kante des Sofas, spähte in die Runde. „Was hat der denn noch alles studiert?“ „Das tut nichts zur Sache“, meldete sich ein Anderer zu Wort. „Ich habe ihn auch darüber sprechen gehört.“ „Worüber?“ Nein…! Kurz drifteten meine Augen an dem Buch vorbei, richteten sich finster auf den Boden. Um welches Thema würde es sich wohl handeln! Wie schnell war meine Konzentration gebrochen! Wie schnell führte man mir vor Augen, dass ich wirklich an keinem Ort meine völlige Ruhe fand. Angestrengt beherrscht regten sich meine Finger am festen Umschlag des Buches, hielten ihn fester und unter einem tiefen Atemzug starrte ich auf die Schrift zurück. Ich wollte mich nicht ablenken lassen! Ich konnte weghören, wenn ich es wollte! Soweit musste ich mich noch im Griff haben! „Über diesen einen Exorzisten.“ „Der, der dich heute Morgen angeschrien hat?“ „Mmm“, wurde murrend zugestimmt und verbittert begann ich erneut zu lesen, zwang mich dazu, jeden Satz zweimal zu überblicken, um ihn wirklich zu begreifen. „Jedenfalls“, sie rückten näher zusammen, ich konnte es mir bildlich vorstellen, „… er hat ihn eingeschätzt und irgendwie verstehe ich es jetzt.“ „Was hat er gesagt?“ Ein leises Räuspern erhob sich in der Gruppe und wieder rückte ich mich zurecht, atmete tief ein. „Dieser Walker, meinte er, ist einer der Stärksten. Dabei ist er gerade mal Sechzehn.“ „Ja, und?“ „Es soll ohnehin problematisch sein, wenn so junge Menschen solche enormen Fähigkeiten haben.“ „Hat er das gesagt?“, folgte sofort die Frage. „Kann ich mir schon vorstellen“, stimmte ein Anderer nachdenklich zu. „Bestimmt steigen sie denen zu Kopf.“ „So in etwa“, fuhr der Erzähler fort und seit wenigen Augenblicken starrte ich nur noch auf ein und dasselbe Wort, ohne es zu lesen. „Jedenfalls soll dieser Walker ziemlich von sich überzeugt sein. Immerhin verlässt man sich auch sehr auf ihn, vertraut ihm schwierige Aufträge an.“ Ich presste die Lippen aufeinander, spürte dieses Zittern in meinen Oberarmen. „Man gibt ihm… wie hat er das ausgedrückt? Ja, man gibt ihm tagtäglich seine Bestätigung, also dürfte er auch große Stücke auf sich selbst halten und so, wie wir es gehört haben, steckte er in einer schweren Lage, aus der er nicht selbst raus kam.“ „Vielleicht ist ihm seine Kraft so zu Kopf gestiegen, dass er sich überschätzt hat“, schlussfolgerte einer und ein flüchtiges Muskelzucken in den Händen machte mich darauf aufmerksam, wie sehr ich mich an dieses Buch klammerte. „Gut möglich.“ Ein leises Murmeln ging durch die Runde. „Es ist jetzt auf jeden Fall ganz klar, warum er sich nicht mehr zusammenreißen kann und sich so aufführt. Ganz klar. Eigentlich hätte ich auch selbst darauf kommen können.“ „Erzähl“, wurde der Mann sofort aufgefordert und in der erwartungsvollen Stille fiel nicht einmal mein Atem. Er steckte in meiner Brust fest. „Er ist wütend, weil er einsehen musste, dass er nicht allmächtig ist. Bisher hat er bestimmt geglaubt, alles zu schaffen und jetzt wurde ihm die Tatsache vor Augen geführt, dass es doch Stärkere gibt.“ „Er fühlt sich nur in seinem Stolz verletzt?“ Damit schien man nicht gerechnet zu haben. „Ja, natürlich“, erhob sich ein Ächzen. „Manchmal ist es schon schwer, auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht zu werden.“ Leises Lachen erhob sich und beinahe durchzuckte ein Schmerz meine Schulter bei der plötzlichen Bewegung, in der ich das Buch zur Seite schleuderte, mich vom Polster abstemmte und in die Höhe fuhr. Dieses Lachen… es ließ meinen erstarrten Körper augenblicklich explodieren! Gar nichts wussten sie! Und ich entbrannte… sprang auf die Beine und starrte zu der Gruppe. Nur einen Augenblick, bevor meine Augen weiterdrifteten, sich starr auf einen Punkt richteten und sich weiteten. Abrupt war der weiße Schopf über der Lehne eines nahen Sessels erschienen. Nur im wenige Sekunden war ich ihm voraus gewesen und ich spürte, wie mich auch der Rest meiner Fassung verließ, ich in der alten Erstarrung die fahrigen Bewegungen des Jungen verfolgte. Dumpf schlug sich seine Hand um eine nahe Vase… noch während das Lachen der Unaufmerksamen neben uns ertönte und klirrend zersplitterte sie in jedes Einzelteil, als sie gegen die nahe, steinerne Säule geschleudert wurde. Mit einer Wucht, die ich kaum zu verfolgen imstande war. Ebenso wenig, wie die nächsten Augenblicke, in denen das Lachen der Wissenschaftler abrupt endete und jeder von ihnen herumfuhr, als hätten sie schon einen Schluss gezogen. Keuchend war der Junge der fahrigen Bewegung nachgestolpert. Deutlich erhob sich sein gehetzter Atem und der Eigene schien erneut tief in mir erfroren, als er den Kopf hob, mir den Ausdruck seines Gesichtes offenbarte. Selten hatte ich seine Augen so gesehen… vielleicht war es ein einziges Mal, das ich bis zu diesem Zeitpunkt auch nicht vergessen hatte. Geweitet waren sie, während die Augenwinkel zuckten und die Pupillen die Männer taxierten, als wäre er abrupt dazu bereit, sie hier und jetzt umzubringen. Eine bodenlose Tobsucht, in der er blind für alle seine Prinzipien schien und sich den bleichen, erstarrten Männern um einen strauchelnden Schritt näherte. Sein ganzer Körper schwankte unter dem zischenden Keuchen, zu beben schienen auch seine Hände, die bereit waren, alles zu tun. Der schwarze Arm, den er bewegte, als wolle er ihn einsetzen und ächzend zwangen sich die Forscher zu Bewegungen. Nicht nur ich hatte es wahrgenommen… auch sie deuteten, was sie sahen. Seine verzerrte, vor Zorn erblichene Miene, in der er nichts als diese Menschen wahrzunehmen schien. Sie taxierte, wie den meistgehassten Feind. Vor Angst benommen, schoben sie sich über das Polster, schoben sich stockend zurück. Eine ernste Bedrohung… ein fataler Moment und mit dem nächsten Schritt pirschte er sich schon an den Tisch heran, näherte sich ihnen beinahe lauernd, während er selbst nach Atem rang. Nicht einmal ich wagte es, ihn einzuschätzen. Nicht einmal ich könnte es!! Nicht einmal ich!! Das Haar peitschte in sein Gesicht, als sein Körper mit einer erschreckenden Schnelligkeit hinabzuckte, sich die schwarze Hand um die Kante des Tisches schlug und kaum war die zerspringende Vase wahrzunehmen, als er das schwere Holz zur Seite riss, es sich einfach aus der Quere schleuderte und einige Meter entfernt gegen ein Sofa prallen ließ. Ohne Worte… Er hatte es aufgegeben und die vorherige Stille wurde von dem panischen Schreien der Forscher durchdrungen. Noch bevor er den nächsten Schritt tat, nutzten sie jede entgegengesetzte Richtung. Laut hallten ihre Stimmen in dem Saal, als sie sogar über die Lehne sprangen, dem Jungen in kopfloser Panik zu entgehen versuchten und ich wurde wach. Es wiederholte sich! Die Verantwortung, die ich trug, die ich bitter schmeckte und in solchen Situationen zu tragen hatte! Und dabei war ich selbst zu keinem Wort imstande, als ich mich in Bewegung setzte, einfach drauflos sprintete, über einen Tisch hinweg sprang, als sich seine Schritte verschnellerten, er blind dazu neigte, sich mit ihrem Verschwinden nicht zufrieden zu geben. Er ging in die Knie und schlitternd setzte ich auf, rutschte zu ihm und tat nichts anderes, als einfach die Hand in seine Schulter zu schlagen, selbst kopflos irgendetwas zu tun, um ihn aufzuhalten und kurz darauf um mein Gleichgewicht zu kämpfen, als er sofort zu mir herumfuhr. Ich hatte keine Vermutungen, keine Befürchtungen. Selbst in mir war alles leer, alles blockiert und heftig riss ich die Hand in Höhe, schlug sie um seine Faust, die plötzlich und im ersten Moment des Entsetzens hervorzuckte. Er reagierte so schnell und meine blanken Reflexe ließen mich seinen kraftvollen Schlag blocken. Auch das Glück, dass es nicht die Schwarze war, die es gnadenlos auf mein Gesicht abgesehen hatte. Ein abgehaktes Keuchen entrann mir, als ich mich um die Faust klammerte, einfach zudrückte und in den ersten Augenblicken nicht einmal dazu fähig war, sie von mir zu drängen. Ich erwartete keinen zweiten Schlag… erwartete es nicht, als ich sein Gesicht sah. Wie es sich fassungslos entspannte, wie ihm mit einem Mal alles Blinde und Tobsüchtige entrissen wurde und er mit erhobenem Arm vor mir stehen blieb. In weiter Entfernung schallten die panischen Schritte, als sich die Forscher allesamt durch den Ausgang drängten, sich völlig kopflos nicht einmal einen Blick wagten und ächzend im Gang verschwanden. Und wir standen immer noch dort. In genau den Haltungen, in denen wir aufeinandergetroffen waren und selbst einer Bewegung unfähig. Geweitete waren die grauen Augen auf mich gerichtet, leicht geöffnet die Lippen, über die kein Atem drang und nur kurz spürte ich das Zucken seiner Hand, die ich mit meiner umschloss. Das konnte doch nicht wahr sein…! Das konnte nicht wahr sein!! Zitternd rang ich nach Luft, krampfhaft schlossen sich meine Finger noch fester um seine Faust. Ich bemerkte es nicht. Erst als ein schmerzerfülltes Zucken dem bleichen Gesicht die erste Regung brachte und ihn aus dem Schock riss. Ein leises Zischen erhob sich und mit einem Mal trat er zurück, riss sich frei. „Was…“, ich fühlte mich noch nicht dazu bereit, die Stimme zu gebrauchen. Aber haltlos und bebend kam sie über meine Lippen, während der Junge die Hand nur kurz schüttelte, meinem entsetzten Blick entkam und fauchend zur Seite herumfuhr, „… was ist mit dir los?!“ Gellend erschallte meine Stimme in der Halle und nun selbst gepackt von der Wut, trat ich an ihn heran. Es eskalierte. Es eskalierte einfach völlig. „Bist du wahnsinnig?!“ Ich schrie ihn an, tat es aus vollem Hals, näherte mich ihm um einen Schritt, kurz davor, ihn selbst zu schlagen, ihm den alten Verstand einzuflößen, den er verloren haben musste. „Du kannst doch niemanden angreifen!!“ Mir ging die Luft aus, ächzend rang ich nach ihr, während er vor mir unruhig wurde. Zischend vertrat er sich die Beine, wurde gepackt von einer schieren Kopflosigkeit, in der er das Gesicht verzog, sich zur anderen Seite wandte und sich den Mund rieb. „Was glaubst du, wie viel man dir noch durchgehen lässt!!“ Es brach aus mir heraus und unerbittlich trat ich um ihn herum, folgte seinem flüchtenden Gesicht. „Komm endlich zu dir und werde wach, verdammt noch mal!! Du bist… sieh mich an!!“ Es genügte, dass er andeutete, sich abwenden zu wollen und schon schlug ich die Hände in seinen Kragen, zerrte ihn zurück zu mir. „Ich werde diese Verantwortung nicht tragen!!“ „Niemand zwingt dich!!“ Seine Stimme zitterte, brach unter der Belastung und sofort setzte er sich zur Wehr. Schierer Schmerz durchzuckte meinen gesamten Arm, als die schwarze Hand mein Gelenk umklammerte. Dagegen ließ sich die andere kaum spüren, als sie sich gegen meine Brust rammte, mich zurückzustoßen versuchte. „Was weißt du schon!!“ Aufgelöst neigte ich beinahe dazu, ihn anzuflehen, hielt ebenso verbittert den Griff bei, zerrte an ihm, als wolle ich ihn wachrütteln. Ich kannte keine Lösung mehr…!! „Was erwartest du von mir?! Was soll ich tun?!“ „Du sollst mich loslassen!!“ Das Knacken meines Handgelenkes schien geradewegs bis an meine Ohren zu dringen und entsetzt von dem aufkeimenden Schmerz riss ich mich los, strauchelte zurück. Brennend und scharf folgten mir seine Augen und nur kurz testete ich die Hand auf ihre Beweglichkeit, bevor ich die Zähne zusammenbiss. „Es ist nichts passiert…!“ Plötzlich senkte sich seine Stimme zu einem annähernd erstickten Zischen. Ich erkannte ihn nicht wieder. „Nichts, was du verantworten musst!“ „Nichts, worum ich mich kümmern muss…?!“ Beinahe heiser zischte ich zurück, spürte schon das kühle Kribbeln der Selbstheilung. Es durchströmte meinen Arm, machte ihn für wenige Momente schwer, in denen ich ihn einfach nur anstarrte und all das nicht glauben wollte. Ein flüchtiges, seltsames Zucken durchfuhr das Gesicht des Jungen. Ich konnte es nicht deuten, verfolgte nur keuchend, wie er die Lippen aufeinanderpresste, den beinahe verstörten Blick an den Boden nagelte. Es schien in ihm zu rumoren. Wenn es auch nur Worte waren… und kurz darauf bekam ich sie zu hören. „Nichts, worum du dich kümmern musst…!“, wiederholte er leise, schneidig… ohne ein Weiteres Mal auf meinen Blick zu treffen. „Mir gefiel nur die Vase nicht!“ Was…! Was?! Auch meine Miene wurde in plötzliche Regung versetzt. Ich spürte die Reaktion meines verwirrten Verstandes. Und völlig überfordert blieb ich nur dort stehen, als er sich abwandte, mir den Rücken kehrte und ging. Starr blieben meine Augen auf die Stelle gerichtet, an der er soeben noch stand. Immer matter umklammerte ich mein Handgelenk, löste mich bald von ihm und bemerkte, dass mein Mund offen stand. Das Schallen der Schritte erreichte die Tür, seine Gestalt wurde von der steinernen Wand verschluckt und beinahe gespenstisch war die zurückgekehrte, friedliche Stille des Saales. Das Kribbeln verblasste, problemlos ließ sich die Hand wieder bewegen und ich brauchte meine Zeit. Nur, um mich aufzurichten und um weiterhin dort zu stehen. Meine Schultern hoben sich matt, senkten sich zitternd und irgendwann blinzelte ich nur noch… fühlte mich selbst von meinen Kräften verlassen. Von meiner Entschlossenheit. Das alles war nicht mehr die Realität. Das alles war ein Trug. Ich konnte es nicht nachvollziehen, nicht begreifen, nicht fassen… Selten war ich so schockiert gewesen und selten war es mir so anzusehen. Es überstieg mein Können, meine Fähigkeiten, meine Bereitschaft… Etwas in mir schien zu kapitulieren. Und die ersten Bewegungen, zu denen ich fähig war, führten meine Schritte schlingernd zur Seite und mich hinab auf das Polster eines Sessels, auf dem ich in mir zusammensank und die Stirn in beide Hände stemmte. Ich hatte es noch nie eingesehen, aufzugeben… hatte noch nie einen Grund dazu akzeptiert und spätestens, als all das die Aufmerksamkeit anderer weckte, ging auch ich. Einfach hindurch durch die Gruppe, die perplex im Türrahmen stehen blieb und völlig erschöpft meiner Wege. Abgeschiedenheit… nur ein verzweifeltes Sehnen in Momenten, in denen ich weder denken noch handeln konnte und taub ließ ich die Umwelt hinter mir und schob mich in mein Zimmer. ~*tbc*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)