Reqium of Darkness & Quiet Symphony von abgemeldet (Walker x Kanda) ================================================================================ Kapitel 51: Verantwortung ~ 3 ----------------------------- Ein geringer Vorteil, dass es nicht schwer war, den Jungen zu finden. Genau genommen musste man einfach nur von einem Gang zum nächsten und ziellos seiner Wege gehen und unterwegs traf man auf soviel Getuschel, dass sich alle Fragen erübrigten. Ich fühlte mich einfach danach, zu ihm zu gehen, ihn zu finden. Aus anderen Gründen war ich nicht hier und außerdem bestand die Hoffnung, dass er aus der vergangenen Nacht mehr Erholung geschöpft hatte, als ich. Dass er irgendwie mit sich reden ließ. Worüber auch immer. Etwas anderes blieb mir nicht übrig und so erfuhr ich schnell genug, wohin er gegangen war. Nach einem kurzen Marsch erreichte ich das Ziel und hatte keinen Grund, zu zögern, bevor ich mich gegen die Tür schob, flüchtig nach dem Kragen meines Hemdes tastete und den oberen Knopf in das Loch drehte. Mich währenddessen bereits umsehend. Hier befand ich mich wieder an einem anstrengenden Ort. Es war die Küche, die ich durch den Hintereingang erreichte. Zwischen den Zeilen tummelten sich die Köche, klirrend versank Geschirr in einem schaumigen Bad und überall klirrten Teller sowie Besteck. Die Luft war stickig durch den Dampf der kochenden Speisen. Überall und in jedem Topf blubberte es und auch Jerry ließ nicht lange auf sich warten. „Wo sind die Auberginen?“ Sobald der Trubel der Arbeit ihn zu fassen bekam, schien alles Überflüssige von ihm abzufallen. Möglicherweise wäre es doch nicht falsch gewesen, sich selbst auch wieder der Arbeit zuzuwenden. Er jedenfalls bewegte sich in diesen Momenten leicht und flink zwischen den Köchen, folgte dem ausgestreckten Arm in die Lagerräume. Nur flüchtig sah ich ihm nach, bevor ich meine Suche begann. Hier sollte er also sein. Um mich spähend, ließ ich die Kochgehilfen ausweichen, bahnte mir meinen Weg und erkundete den großen Raum. Gekocht und gewerkelt wurde offensichtlich mehr im vorderen Teil und so konzentrierte ich mich auf den Hinteren, in welchem sich vielmehr die Regale reihten. In einem wirren Durcheinander war dort alles untergebracht, was man sonst benötigte und nur knapp verfehlte ich einen Topf mit dem Ellbogen, hörte ihn scheppern und sah ihm Stirnrunzelnd nach. Was für ein Arbeitsplatz. Schon die wenigen Momente hier reizten meine Nerven auf eine Art und Weise, wie es nur ein anderer Ort, verbunden mit der richtigen Gesellschaft könnte. Es war stickig und eng und ich lehnte mich in jeden Gang, um jede Ecke… bis ich innehielt. Meine Augen richteten sich auf einen bestimmten Punkt und nach einem kurzen beherrschenden Durchatmen trat ich in den Gang. In nicht allzu weiter Entfernung kauerte der Junge. Das Haar zu einem kleinen Zopf gebunden und in Gesellschaft eines Eimers, bearbeitete er das raue Gestein des Bodens. Seit kurzem bezogen sich seine Fähigkeiten also darauf, verschüttete Suppe aufzuwischen. Ich rümpfte die Nase, näherte ich mich dem Jungen in bequemen Schritten und wurde sofort bemerkt. Es blieb bei einer vergänglichen Aufmerksamkeit. Das Wasser plätscherte, als er einen Lappen hinauszog, flüchtig auswrang und sich kurz umblickte. Auf eine Bürste hatte er es abgesehen und sofort war auch diese entdeckt. Unterdessen hatte ich ihn erreicht, blieb vor dem Eimer stehen und stemmte die Hände in die Hüften. Und ich begutachtete seinen Fleiß säuerlich. Menschen, wie er, gehörten nicht auf den Boden. Für solche kümmerlichen Arbeiten gab es Leute, die ihnen ebenbürtig waren. „Hey.“ Ohne zu zögern sprach ich ihn an und sofort hob er den Kopf. Seine Augen richteten sich auf einen bestimmten Punkt und nur kurz schloss ich mich seiner Beobachtung an, spähte an mir hinab und zu meinen Stiefeln. Unter den dreckigen Sohlen glänzte der frisch geputzte Boden. Es schien ihn zu stören aber letztendlich verlor er einfach das Interesse und putzte weiter. „Hey.“ Seine Stimme offenbarte keinen Funken der alten Wut, als er den Gruß erwiderte und ich die Hände in den Hosentaschen versenkte. Ungestört bearbeitete er den Boden weiterhin mit dem Lappen, wendete die Bürste in der Hand und machte auch von dieser Gebrauch. Ganz toll machte er das aber ich war nicht hier, um ihn anzustarren und meine Zeit zu vergeuden. „Hast du nichts Besseres zu tun, als hier herumzukriechen?“ Ich kam nicht um die Frage herum. Ihn so zu sehen, war einfach zu tragisch aber zu meinen Füßen wurde nur mit den Schultern gezuckt. „Wieso? Macht doch Spaß.“ Beiläufig wurde die Bürste fallen gelassen, als einer der Ärmel unerlaubte Freiheit genoss. Ich beschränkte mich auf ein resignierendes Brummen, als er sich daran machte, den Stoff hoch zu strüffeln. „Ich sehe schon, du schäumst fast über vor Freude.“ Somit trat ich zur Seite, lehnte mich seitlich gegen eine Ablage und kreuzte die Beine. Und in der kurzen, darauffolgenden Stille blieb ich mit nicht viel mehr Enthusiasmus bei ihm stehen. Ich fühlte mich einfach nicht wohl dabei und vermutlich war ich nicht der Einzige, der es wahrnahm. Er kannte mich. „Zuhören wirst du wohl trotzdem können.“ Lächerliche Betteleien hatten mir noch nie gestanden und aus seiner Richtung war ein leises Seufzen zu vernehmen. Er schien sich meiner Stimmung anzupassen und stur starrte ich zur Seite, presste die Lippen aufeinander. Die kommenden Worte würden mir bitter auf der Zunge liegen. Schon ging der Lappen erneut auf den Boden nieder. „Wenn du dir sicher bist, dass deine Fähigkeiten immer noch über das Putzen hinausgehen, kannst du genauso gut auf Mission gehen.“ Abwartend spähte ich nach unten. Zu meinen Füßen wurde weitergeputzt. „Findest du es nicht peinlich, auf dem Boden herumzurutschen? Komui lässt bestimmt mit sich reden.“ Das würde ich wohl übernehmen müssen. Natürlich… so, wie alles andere auch. „Ich finde es hier unten ziemlich gemütlich.“ Die Antwort erfolgte sofort und zeugte von mangelnder Begeisterung dem Vorschlag gegenüber. „Könnte mir nichts Besseres vorstellen.“ Spätestens jetzt bekam also auch ich einen Teil seines Sarkasmus’ ab. Nicht sehr schmerzhaft und langsam verschränkte ich die Arme vor dem Bauch. Der Junge rutschte um ein Stück zurück. „Du kannst ja mitmachen.“ So plötzlich, wie der Sarkasmus seine Stimme schwanken ließ, so plötzlich entließ er sie auch schon mit dem klaren, ruhigen Klang. Ich hob die Brauen… er schien es ernst zu meinen. Mit gesenktem Kopf tastete er abermals nach der Bürste, begann zu schrubben. „Ts.“ Eine flüchtige Grimasse durchzuckte mein Gesicht. „Es reicht wohl, wenn sich einer erniedrigt.“ Aber letztendlich und hinter diesem dummen Gerede, steckte doch die Tatsache, dass er etwas gesprächiger war, als in der vergangenen Nacht. Mir gegenüber… ich erkannte es. Erkannte meine Position, die ich derzeit wohl mit niemandem zu teilen hatte. „Mm.“ Undeutlich erkannte ich das leichte Lächeln, als er das Gesicht wandte, der Arbeit treu blieb. „Schon klar.“ „Mm.“ Träge drehte ich mich, kehrte der Arbeitsfläche den Rücken, stemmte mich auf die Kanten des kühlen Metalls und ließ die Augen schweifen. Ich verstand die Abneigung der Mission gegenüber, wenn er es andeutete. Eine weitere Frage musste ich nicht stellen. Ich würde es auch nicht. Etwas zu wiederholen, lag mir fern. Allmählich entspannte sich mein Gesicht, als ich anschließend die Hast der Köche verfolgte, mir auch das Geschirr betrachtete. Neben mir rauschte die Bürste und tat es äußerst penibel. An diesem einen Fleck schien er schon eine Weile zu sitzen und nach wenigen Momenten tat ich nicht viel mehr, als ihn einfach nur still zu beobachten. Ich war doch derjenige, der jegliche Versuche anderer, ein Gespräch mit mir zu beginnen, zunichte machte. Wie er sich fühlte, das wusste ich genau, dabei war er in diesen Momenten soviel offener… wenn auch durch seine Haltung leicht distanziert. Eine Distanz, mit der ich leben konnte. „Was machst du danach?“ Eine unschlüssige Kopfbewegung wurde mir zuteil, anschließend ein knapper Griff, mit welchem der Junge den Eimer zu sich zog. „Das wird sich zeigen.“ „Mir nicht.“ Die fließenden Bewegungen zu meinen Füßen ließen nach, die Bürste verharrte reglos und kurz starrte er nur schweigend auf den Boden. Zwischen den Strähnen seines Haares biss er sich auf die Unterlippe, schien flüchtig zu grübeln. „Ich weiß nicht.“ … und schon setzte sich die Bürste wieder in Bewegung. Wusste er gerade überhaupt, was er tat? Mir war danach, es auszusprechen aber gestern hatte mir meine Direktheit wenige Vorteile gebracht. Die oberflächliche Unterhaltung hatte ihr jähes Ende gefunden und deshalb kam ich von meinem Weg ab, sagte nicht mehr, was ich dachte. „Wenn du schon hier bist“, suchte ich mir einen Umweg, „… solltest du wenigstens etwas Nützliches machen.“ Die Hand des Jungen regte sich an der Bürste. Nur die Finger, die sich spreizten, bevor er das Holz sicher umschloss, den Kopf gesenkt hielt. Ein ungewisses Murmeln war letztendlich das Einzige, was er hervorbrachte, bevor er die Bürste in den Eimer warf. „So, wie ich“, fuhr ich trocken fort, spürte die Ernüchterung mit jedem Wort stärker. „Ich werde trainieren.“ Ich verzog das Gesicht, grübelte. „Nachher.“ Wollte er mich begleiten? Die entscheidenden Worte brachte ich nicht über die Lippen. Ein tiefer Atemzug drang an meine Ohren und abermals wurde der Boden vernachlässigt. Die Finger des Jungen lösten sich aus dem Lappen und mit entspannter Miene lugte er zur Seite, besah sich die Ausstattung. „Mit dir zu trainieren, bringt mir nur blaue Flecke.“ Er hatte es trotzdem begriffen. Eigentlich hätte ich damit rechnen können. „Mm.“ Augenrollend legte ich den Kopf schief, spürte, wie sich mein Körper weiterhin entspannte… ich mich in dieser Situation wohler zu fühlen begann. Fast wirkte er so, als wäre zuvor im Speiseraum nichts passiert. „Ich könnte dich schonen.“ Eine Provokation, der er schon einmal zum Opfer gefallen war und wirklich… der Lappen wurde liegen gelassen. Seine Fixierung auf das sinnlose Gewische schien plötzlich geschwächt und er richtete sich auf, stemmte die Hände auf die Oberschenkel und erwiderte meinen erwartungsvollen Blick durchaus kritisch. Vielleicht konnte ich mir Hoffnungen machen, dass sich meine Überwindung bezahlt machte. „Du willst mich schonen“, wiederholte er skeptisch und ich bekam den berechtigten Argwohn zu spüren. „Seit wann denn das?“ Der Lappen schien mit seinem sämtlichen Zubehör nicht mehr zu existieren. Er sah mich an, war aufmerksam und so ruhig, wie ich ihn lange nicht mehr erlebt hatte. Es war wie ein Hauch unserer Normalität, in der es hin und wieder wirklich zu Gesprächen dieser Art kam. Wenn wir unter uns waren. So, wie jetzt. „Dumme Frage. Mit jeder Sekunde, die du hier schrubbst, wirst du mehr zu einem Schwächling.“ Ich wandte mich ab, spähte überheblich zur Seite. „Schwächlinge sollte man schonen. Sie gehen schnell kaputt.“ Lautlos öffnete sich sein Mund, reglos verharrten die Hände auf seinen Oberschenkeln und nach einer vergänglichen Suche nach Worten verengte er die Augen. „So große Worte, obwohl du ohne Schwert unterwegs bist? Woher kommt das Selbstvertrauen?“ „Wenn man dich so sieht, ist das nicht schwer.“ Bequem regte ich mich an der Kante, kreuzte die Beine und zuckte mit den Schultern. Ich bekam ihn zu fassen. Wenn auch auf eine andere Art und Weise. „Was für eine Ehre, mit dir verglichen zu werden.“ Zu meinen Füßen erhob sich ein leises Ächzen. „Aber ich glaube fast, ich könnte wirklich…“ Abrupt versiegten seine Worte, auf einmal kehrte die Stille zurück und mir blieb keine Zeit, mich darüber zu wundern. Ich erfasste eine Bewegung, wandte mich um. „Oh…“ Stockend und perplex verlor Lavi die Hast, mit der er soeben an uns vorbeieilen wollte. Er wirkte erschrocken, schien mit jeder Faser seines Körpers zu erstarren, während sich seine Pupille von mir aus senkte. War das sein ernst…? Gerade jetzt tauchte er auf?! Ein knappes Zucken durchfuhr meine Miene, als auch ich zu dem Jungen zurückspähte… sehen musste, wie er abrupt dem alten Verhalten verfiel. Mit versiegelten Lippen und gesenktem Kopf tastete er nach der Bürste, rang sich nur noch zu einem leisen Räuspern durch. Daraufhin setzte sich die Bürste wieder in Bewegung und neben mir schabten Lavis Schuhsohlen, als er sich etwas aufrichtete. Er schloss sich dem Räuspern an, lenkte meine Aufmerksamkeit wieder auf sich. Natürlich… die Atmosphäre war seit seinem Auftauchen eine andere und bestimmt war er auch nicht der Einzige, der sich mit ihr nicht wohlfühlte! Kurz trafen unsere Blicke aufeinander und während neben mir geschrubbt und gewischt wurde, starrte ich zu Boden, presste die Lippen aufeinander. „Ich…“, unsicher erhob sich Lavis Stimme, als er sich einem Regal näherte, „… ich wollte nur kurz…“ Ein Topf schepperte, als er nach etwas zu suchen begann. Seit wann hatte er hier etwas zu erledigen! Ich fühlte mich verhöhnt, einfach ausgelacht von meinen Anstrengungen, die hier zunichte gemacht wurden! Meine Hoffnung verflog und neben mir suchte er weiter, tat es still und verhalten. Was für ein Zufall und kurz hatte ich Lust, mich einfach umzudrehen und zu verschwinden… als mir der Rotschopf zuvor kam. Ein kleines Kästchen war es, das er aus einer der hintersten Ecken zog, unter einem weiteren Räuspern an sich nahm. „Tschuldigung…“ Er umschloss das Kästchen mit den Armen, presste es an sich und stahl sich davon. Umdrehen tat er sich auch. Seine Aufmerksamkeit traf meinen Rücken und unter einem tiefen Atemzug senkte ich das Gesicht, saugte an meinen Zähnen und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Da kauerte er… zu meinen Füßen, wie zuvor und ein weiteres Mal wurde die alte Aufmerksamkeit nicht aufgebracht. Er schrubbte, rutschte auf den Knien zur Seite und fuhr sich mit dem Unterarm über die Stirn. Mürrisch sah ich ihn an. „Was ist jetzt?“ Die Frage kam nur leise über meine Lippen. Fragen, deren Antwort ich schon kannte, waren schwer auszusprechen und wirklich… er zuckte mit den Schultern. „Ich leg mich dann hin.“ „Mm.“ Ein deutliches Zeichen aber zu gehen fiel mir jetzt ohnehin nicht schwer. Ich hatte mein Möglichstes getan, war gescheitert und löste mich von der Arbeitsfläche. Schnell war ihm der Rücken gekehrt und mit ihm auch dieser Angelegenheit. Ich hatte genug! Zum Teufel mit den Überwindungen! Die Zufälle waren nicht auf meiner Seite und bevor ich mich weiterem Gebettel genauso erniedrigte wie er mit seiner Bürste, kehrte ich lieber zurück zu meinen eigenen Wegen, die wenig mit ihm zu tun hatten! Wege, deren Ziele sicher waren! Ein schmaler Flur war es, in den ich bald darauf einbog und innehalten tat ich vor einer kleinen Blechtür. Als ich sie öffnete, tat sich eine große steinerne Halle vor mir auf. Eine der Trainingshallen. Die Größte, die mir völlig leer zur Verfügung stand. Ein geringer Trost und ich schob mich hinein. Ein leises Dröhnen durchzog die Halle, als ich die Tür hinter mir schloss und leise schallten die Absätze meiner Stiefel, als ich an einer hölzernen Bank vorbeizog, die Jacke zu dieser warf und in die Mitte der weiten Ebene trat. Den Blick fest auf die gegenüberliegende Wand fixiert, umfasste ich die Scheide sicherer, legte die andere Hand um den ledernen Griff und verdrängte das Gewirr aus Ratlosigkeit und zu erfüllenden Erwartungen aus meinem Kopf, als ich die blanke Klinge hervorzog. Kurz erhob sich das Zischen des kalten Stahles in der Stille und matt schimmerte er unter dem Tageslicht, als ich das Mugen erhob. Von diesem Moment an, existierte nichts mehr. Es blieben nur ich und dieser Stahl. Kontrolliert füllte ich meine Lunge mit Sauerstoff und regte die Finger an dem Griff. Weit streckte ich den Arm nach vorn, stemmte ihn durch und ließ das Mugen nach wenigen Momenten sinken. Gut… ich konnte zuversichtlich sein. Meine Haltung verlor augenblicklich an Festigkeit, als ich in die Knie ging, die Scheide behutsam ablegte und mich wieder erhob. Erneut nahm ich Haltung an. Eisern bewegte ich meinen Körper, schob das linke Bein zurück, verlagerte das Gewicht auf dieses und straffte den Rücken. Ebenso fest schlossen sich meine Finger um den Griff und abermals begegnete die Klinge dem warmen Tageslicht. Auch mit der zweiten Hand umfasste ich das Heft, platzierte den Griff konzentriert und schloss die Augen. Meine Gedankenwelt begehrte auf… mit jedem Augenblick, in dem ich so verharrte. Ich spürte, wie ich driftete. Immerzu in Regionen, von denen ich mich verbissen fernzuhalten versuchte. Meine Brauen verzogen sich unter einer knappen Verwirrung. Dass ihn eine unangenehme Begegnung sofort aus dem Konzept brachte… ihm jede Offenheit nahm, zu der ich ihn trieb! Ein unauffälliges Zucken durchfuhr meine Miene und so gab ich die Haltung auf. Der nachlässig gebundene Zopf peitschte über meine Schulter, surrend durchschnitt die Klinge die Luft und ich fuhr herum, führte einen sauberen Seitenhieb aus. Ohne innezuhalten, setzte sich das andere Bein nach vorn, fand sicheren Halt und die Klinge surrte weiter, wurde gerade nach vorn gestoßen und verharrte reglos. Verkrampft umklammerten meine Hände das Leder, mürrisch presste ich Lippen aufeinander und stramm verharrte ich in der neuen Haltung. Es war ernüchternd, wie schnell mich mein Denken in die Irre führte. Ich spürte kaum, wie meine Augen zur Seite drifteten, sich finster auf die Tür richteten. Eine vielleicht einmalige Gelegenheit! Singend löste die Klinge die Stille der Halle ab, zischend bewegte sie sich im Licht, tauchte ein in den Schatten und blieb in permanenter Bewegung. Mit übertriebener Strenge achtete ich auf eine jede Bewegung, konzentrierte mich auf einen jeden Muskel meines Körpers und führte das Training unbarmherzig fort. Ich tat es oft und niemals so unkonzentriert! Meine Fähigkeiten konnte ich nicht beibehalten, nicht weiterhin schulen, wenn ich mich so schnell ins Straucheln bringen ließ! Verbittert bewegte ich mich weiter, trat über den steinernen Boden hinweg und fuhr herum, bis sich mein Keuchen erhob. Das Leder des Schwertheftes knackte unter meinem Griff und Zorn schlich sich in den sicheren Bewegungen ein, als meine Füße sich schwer damit taten, den perfekten Halt zu finden und mein Körper beinahe das Gleichgewicht verlor. Strauchelnd löste ich mich aus impulsiven Techniken, stieß leise Flüche aus, jedoch stets die alte Haltung wieder einnehmend. Etwas Nützliches sollte man tun, wenn man schon hierblieb! Ich redete es dem Jungen ein und tat jetzt nichts, was dem annähernd gleichkam! Ich forderte mich, trieb mich an die Grenzen und erst, als sich abrupt ein bekanntes Geräusch erhob, hielt ich inne. Meine Schultern hoben und senkten sich unter schweren Atemzügen, leicht ließ ich Mugen sinken und starrte zur Seite. Es war die Tür, die sich öffnete und kurz darauf öffnete sich mein Mund annähernd ungläubig. Das konnte doch nicht…! Mit einem Mal klammerten sich meine Hände fester um das Heft. Heiß stieß ich den Atem aus und blinzelte unter den Strähnen, die im Schweiß meiner Stirn hafteten. „Oh, Kanda…“ Linalis Gesicht entspannte sich überrascht, ihre Hand regte sich unruhig auf der Klinke und auch Lavi schien mich nicht erwartet zu haben. Mit großen Augen lehnte er sich hinter Linali hervor, blinzelte mir perplex entgegen und kratzte sich am Kopf. Was jetzt folgen würde, war kein Geheimnis und allein der Gedanke daran widerte mich an! Zischend kehrte ich ihnen den Rücken, durchschnitt mit der Klinge die Luft und näherte mich der entgegengesetzten Ecke um wenige Schritte. Das Hierbleiben wurde noch unerträglicher, wenn sie es auch taten! Wenn sie mir permanent in die Quere kamen und ihnen die Fragen schon anzusehen waren! Leises Flüstern erhob sich in meinem Rücken, als ich an meinem Hemd zerrte, die Nase rümpfte und mich einfach von alldem abzuschotten versuchte. „Sollen wir wirk…?“ „Na klar, geh schon.“ Sie traten ein und während das Dröhnen der Tür wieder erschallte, vertrat ich mir kurz die Füße, wendete Mugen in die andere Hand und vertiefte mich in die alten Übungen. Solange mich selbst meine Bewegungen nicht zufrieden stellten, konnte ich diese Übungen nicht beenden. Ich brauchte keinen weiteren Schatten, der mich unter Druck setzte! Dass ich sogar an mir selbst zweifelte, fehlte mir gerade noch! „Alles in Ordnung?“ Raunend erhob sich Lavis Stimme von der anderen Seite der Halle, gedämpfte Geräusche begleiteten sie. „Nimm es dir nicht zu Herzen, okay? Er hat das bestimmt nicht so gemeint.“ „Mm.“ Die Antwort bestand nur aus einem leisen Seufzen. Auch, wenn ich die Augen davor verschließen wollte… es war zu offensichtlich, dass Linali unter weitaus mehr litt, als der allgemeinen Besorgnis. Ich spähte zu ihr, wurde nur Zeuge eines weiteren Seufzens und wandte mich ab. Was war jetzt schon wieder passiert! Was trieb der Junge, wenn ich nicht gerade wie ein Idiot hinter ihm herlief! „Vielleicht sollte ich nachher noch einmal mit ihm reden…?“ „Ah“, hörte ich Lavi zischen. „Vergiss das, ja? Wenn er gerade in Ruhe gelassen werden will, dann machen wir eben unser eigenes Ding.“ Gerade sie, die auch die Möglichkeit dazu hatten… gerade sie sollten das wirklich tun und sich langsam entscheiden, ob sie trainieren oder quatschen wollten! Sehr mysteriös war das alles jedenfalls nicht mehr. Ich zog meine Schlüsse und auch, wenn mir so etwas noch nie zu Gesicht gekommen war, konnte ich mir gut vorstellen, mit welchem Nachdruck er auch Linali von sich fernhielt. Sie war keine Ausnahme. Und weiterhin entschieden sie sich lieber dafür, sich auszutauschen. Ihre Worte strömten, durchwachsen von weiterem Seufzen und minutenlang saßen sie wirklich nur dort und raubten mir meine Konzentration. So störend waren sie noch nie gewesen und verbunden mit ihren Themen wuchs all das zu einer Situation heran, an der mir schnell die Lust fehlte. Unter einem dumpfen Ächzen senkte ich das Schwert, trottete zu der Bank und warf mir den Mantel über die Schulter. Vielleicht war es ohnehin angenehmer, sich in den Wald zurückzuziehen und kaum wurden sie darauf aufmerksam, endete ihr Redefluss. „Oh…“, schuldbewusst folgten mir Linalis Augen, als ich an ihnen vorbeizog und nur noch darauf hoffte, in Frieden die Tür zu erreichen und ganz schnell durch sie zu verschwinden. Danach konnten sie die Übungshalle gerne als Besprechungsraum nutzen und weiterhin nach Antworten suchen, die es nicht gab. „Hey, Yu.“ Fast hatte meine Hand die Klinke erreicht, als mich die Befürchtungen einholten und durchaus missgelaunt hielt ich inne, ließ die Hand auf das Metall niedergehen und schüttelte den Kopf. „Auch, wenn ich es nicht kapiere.“ Bequem blieb Lavi neben Linali sitzen und kurz spähte ich finster zurück, traf auf seinen fragenden Blick. „So, wie es aussieht, bist du der Einzige, der von Allen auch noch etwas anderes als Beleidigungen und Flüche hört. Also wenn ihr euch mal wieder über den Weg lauft…“, er runzelte die Stirn, „… könntest du ihm sagen, dass Linali es auch versteht, wenn er nicht gleich eklig und ausfallend wird?“ War das so gewesen, ja? Von Lavi drifteten meine Augen zur Seite. Linali kroch in sich zusammen, biss sich auf die Unterlippe. Sie sah aus, als hatte sie sich wirklich eine Menge anzuhören gehabt… trotzdem kein Grund, gleich übermütig zu werden. Augenrollend wandte ich mich wieder der Tür zu, schaffte es endlich, sie zu öffnen. „Mach es selbst.“ Er war immer so bemüht, so fleißig, sich in die Angelegenheiten der jungen Frau einzumischen und alles das zu übernehmen, was sie auch selbst könnte. Es gab keinen Grund, diese liebliche Hilfsbereitschaft an diesem Punkt enden zu lassen. Als ich mich nach draußen schob, erhob sich das erwartete Ächzen. „Yuu! Komm schon… in der Küche sah es doch auch nicht aus, als würdet ihr euch gleich an die Kehle spring…!“ Dumpf schloss ich die Tür, rückte an dem Mantel und machte mich auf den Weg nach draußen. Letztendlich gab es doch noch einen Lichtblick. Sobald ich die anstrengende Gesellschaft losgeworden war, erarbeitete ich mir im Wald meine Gründe, doch noch zufrieden mit mir zu sein. Mehrere Stunden, in denen ich alles um mich herum vergaß und auch, als ich danach die Duschen verließ, fühlte ich mich frei genug, um es mit dem Rest des Tages und auch meiner Aufgabe aufzunehmen. Ein Handtuch um den Hals geschlungen, ging ich so wieder einmal meiner beinahe ziellosen Wege, bewegte den Stoff abwesend im Haaransatz und spähte um mich. Irgendwie stand mir nicht der Sinn danach, mich von dem Gerede der Leute zu dem Jungen führen zu lassen. Was seine Belagerung anging, hatte vermutlich nicht nur ich genug. Wenn es noch einmal zu einem scheinbar zufälligen Treffen kam, würde bestimmt nicht nur ich an mir zu zweifeln beginnen. Ein seltsamer Gedanke, dass er von mir genervt zu sein könnte, obwohl es bis zum heutigen Tag meistens er war, der nach meiner Gesellschaft suchte. Ihn mit mir zu überfordern, lag hinter einer Grenze, die nicht einmal überschreiten könnte, wenn ich darauf aus wäre. Mich ein wenig auf mich selbst zu konzentrieren, gefiel mir da weitaus besser und so nahm ich mir ein seltenes Ziel. Es war die Bibliothek, auf die ich es abgesehen hatte. Sie versteckte so einige Dinge, für die ich mich interessierte und nur beiläufig registrierte ich die sandfarbenen Mäntel, die sich zwischen den hohen Regalen bewegten. Mit Büchern beladen, schleppten sie sich von einer Ecke zu nächsten, halfen bestimmt bei einer weiteren, überflüssigen Umräumarbeit. Überall liefen sie herum. In einer Nische saßen sogar zwei von ihnen und blätterten in irgendwelchen Büchern. Es war nicht das erste Mal, dass es mir auffiel. Sie waren in einer so großen Zahl, dass sie einen zu jeder Tageszeit und an jedem Ort stören konnten. Säuerlich sah ich ihnen nach, zog an dem kleinen Tresen des Bibliothekars vorbei und verschwand in einem schmalen Gang. Hoch ragten die Regale zu meinen Seiten auf und kurz verschaffte ich mir einen Überblick, betrachtete mir die Buchrücken und trat näher an die Reihen heran. Die Auswahl war groß. Meistens stellte sie mich wirklich zufrieden und wieder suchte ich nach dem einen Buch. Seit mehr als einem Jahr schaffte ich nicht, es zu Ende zu lesen. Eigentlich könnte ich noch einmal von vorne anfangen. Vertieft setzte ich die Finger an die Buchrücken, strich über sie hinweg und wurde schnell fündig. Japanische Literatur war selten vergriffen. Bequem zog ich es aus der Reihe und machte mich daran, herauszufinden, ob es hier noch ruhige Orte gab. Plätze, an denen die Finder sich nicht ächzend vorbeischleppten. Hie und da gab es wirklich Sitzecken und eine von ihnen fand ich verlassen vor. Kreuz und quer standen die Sessel, zwischen ihnen auch einzelne Tische und endlich schob ich mich aus der Geräuschkulisse. Auf einen Sessel hatte ich es abgesehen und beinahe hatte ich ihn erreicht, lockte eine Bewegung meine Aufmerksamkeit zur Seite. Mich an dem schmalen Tisch vorbeipirschend, fiel mein Blick auf ein nicht allzu weit entferntes Sofa und sofort stockten meine Bewegungen. Wortlos öffnete ich den Mund, tat den nächsten Schritt und wendete das Buch in die andere Hand. Die Stiefel auf den gegenüberliegenden Tisch gestemmt und tief in die Polster gerutscht, saß er dort… gerade so, als hätte ich letztendlich doch nach ihm gesucht. Möglicherweise war ich schon früher entdeckt worden. Vielleicht, denn jetzt starrte er nur in dieses Buch, das er auf dem Schoß hielt. Was für ein Zufall… Ich erreichte mein Ziel, ließ mich naserümpfend nieder und zerrte ein Kissen hinter meinem Rücken hervor. Es landete auf dem nächsten Sessel und während ich mich zurechtrückte, raschelten gar nicht weit entfernt die Seiten. Nur beiläufig tastete ich mich unter den Umschlag meines Buches, schlug es auf und begann einfach zu blättern. In anderen Fällen hätte ich seine Anwesenheit wohl einfach abgetan und mich mit mir selbst beschäftigt. Jetzt jedoch, gelang es mir vorerst nicht, die Augen von ihm zu lösen. Den Hinterkopf an der Rückenlehne gebettet, rupfte und zerrte er an den einzelnen Seiten, als interessiere er sich mehr für die Zerstörung des Werkes, als für dessen Inhalt. Wieder einmal… ihm war eine gewisse Wut anzusehen, eine Unruhe, die den Anschein erweckte, als wäre er nur hier, um sich abzulenken. Um irgendetwas zu tun, was ihn nicht weiterhin reizte. Kurz senkte ich den Blick zu dem Buch, blätterte weiter. Lag es nur an Linali? Er wirkte, als wäre der gesamte Tag nicht vielmehr, als eine Tortur, die er mit Flüchen belegte. So unausgeglichen, so angespannt… es musste einen Sumpf geben, aus dem er einfach nicht herauskam und jedes Mal, wenn ich ihn so sah, verstand ich es einfach nicht. Nicht einen Satz schien er wirklich zu lesen, riss ein Blatt zur Seite, zog es zurück und rückte sich ruppig zurecht. Seine Nase rümpfte sich, seine Lippen flüsterten etwas, das ich nicht wissen wollte und bald darauf richtete ich mich einfach danach, was er zum Ausdruck brachte. Ich ließ ihn in Ruhe und es fiel mir nicht schwer. Ich war hier, um selbst ungestört zu sein. Also ließ ich mich nicht stören und störte auch keinen anderen. Er hatte seinen Moment gehabt und ich derzeit nicht einmal die Lust, ihn irgendwie anzusprechen. Das Knittern und Rascheln aus meiner Wahrnehmung zu drängen, war leicht und bald ließ auch ich mich etwas tiefer rutschen, streckte die Beine von mir und kreuzte sie. Das schien die richtige Stelle zu sein und demonstrativ versperrte ich mir mit dem Buch die Sicht, hob es vor meine Augen und vertiefte mich in den Text. Die richtige Stelle war gefunden und so schottete ich mich mit meinem Buch ab, verharrte reglos und nahm die Geräusche nur noch beiläufig wahr. Eine gewisse Distanz musste auch ich mir bewahren. Es war noch nie so gewesen, dass wir nahe Seite an Seite lebten und keine Momente für uns alleine hatten. Jetzt war es so. Er saß nicht weit entfernt und trotzdem zwang ich mich zu dem Gefühl, hier und jetzt nicht für ihn zuständig zu sein. Er hatte seine eigenen Wege, auch, wenn sein Verhalten daran zweifeln ließ. Ruhig überflogen meine Augen die einzelnen Zeilen, entspannt ließ ich das Buch irgendwann sinken und kam nicht mehr davon los. Reglos verharrte meine Hand auf dem Umschlag, hielt es sicher und nur abwesend und langsam nahm ich die Zweite zu Hilfe, um weiterzublättern und mich sofort in den neuen Text zu vertiefen. Endlich machte ich Fortschritte, endlich traf ich auf neue Passagen und allmählich drängte sich auch der allgemeine und vorherige Verlauf der Geschichte in mein Gedächtnis zurück. Augenblicke, in denen ich mich nicht stören lassen wollte. Selbst das Ächzen und Schnaufen des jungen Finders nahm ich kaum wahr. Ein weiterer, der schwer zu schleppen hatte und das Einzige, was mich erreichte, war die Brise, als er sich nahe an mir vorbeipirschte, sich in der Enge zwischen den Regalen und Sesseln einen Weg bahnte. In völliger Vertiefung verzog sich mein Gesicht. Eine üble Wendung, ich hatte es nicht erwartet und konzentriert begann ich die Unterlippe mit den Zähnen zu bearbeiten, verengte die Augen. Laut erhob sich das plötzliche Poltern in meiner entspannten Stille, kappte abrupt meine gesamte Konzentration und ließ mich über das Buch hinwegspähen. Mit einem Schlag zurück in die Wirklichkeit, in welcher der Finder stolperte, zur Seite strauchelte und jedes einzelne der dicken Bücher verlor, die er zwischen seinen Armen zu einem Turm gestapelt hatte. Ein heilloses Durcheinander, in welchem die Bücher zu Boden donnerten, gegen die Sessel prallten und ebenso in die Richtung des Jungen. Meine Augen verfolgten es kaum, wurden nur auf die plötzliche Bewegung aufmerksam, mit welcher er auf die Beine kam. Sein Bein hatte eines der Werke geschrammt, ihm beinahe das eigene Buch aus den Händen gerissen und keine Sekunde verging, bis er auf den Beinen stand. Dumpf und flatternd ging das Buch auf den Boden nieder, als er es zur Seite schleuderte, nicht nur den Finder mit dieser Reaktion mehr als überraschte. Ein erschrockenes Ächzen brachte er hervor, als er zurückwich, auch die letzten Werke aus den Armen verlor, während ich still verharrte, das Buch ebenso reglos erhoben hielt und aufmerksam war. Der Körper des Jungen schien zu beben, zitternd suchte sich auch jeder seiner Atemzüge seinen Weg zwischen die zusammengebissenen Zähne und unter einem scharfen Zischen ballte er die Hände zu Fäusten. Es erinnerte mich an ein vergangenes Geschehnis. Seine zitternde Fassade, die viel unter sich verbarg, die in ihrer Schwäche jedoch nicht vielem standhielt. Und wieder einmal entlud es sich. Eine gänzlich unerwartete, unberechenbare Tobsucht. „Pass auf, was du tust!“ Die ersten Worte… gellend erhoben sie sich in der ruhigen Bibliothek und abrupt endeten nahe Geräusche. Köpfe wendeten sich, Bücher wurden sinken gelassen und verstört versteckte sich der Finder hinter seinen Händen. Nur kurz deuteten seine Lippen eine Entschuldigung an, bevor seine Stimme gänzlich von der Wucht des Zorns niedergeschmettert wurde. Die Gestalt des Jungen hatte nichts Zierliches mehr an sich, nichts Zerbrechliches… in der alten, zielstrebigen Kraft, setzte er sich in Bewegung. Der Tisch war im Weg und mit nur zwei Schritten ließ er ihn hinter sich. „Ist der Weg nicht breit genug?!“ Vernichtend richtete sich alles in ihm nur auf diese einzige, kümmerliche Gestalt, ließ sie in sich zusammensinken. „Willst du mir irgendetwas sagen?! Nur raus damit!!“ Die alte Totenstille… die alte, knisternde Atmosphäre, in der sich seine Wut gebündelt auf den Vertreter der Finder richtete. Der Finder, die ihn mit jedem Wort verspotteten. Die lästerten, Lügen verbreiteten… „Nein, ich… es tut mir leid! Es war keine Ab…“ Ein letzter Schritt, mit dem er ihn erreichte. Mit einer Wucht, als wolle er sie sofort und gnadenlos gegen den hageren Körper des Finders richten. Ohne Gnade, ohne Rücksicht… „Überschreite nicht deine Grenz…!!“ Dumpf schloss ich das Buch mit der Hand, ließ schallend die Seiten aufeinanderprallen und ihn auf mich aufmerksam werden. Erst jetzt… seine Mimik ließ mich vermuten, dass er mich wirklich nicht früher wahrgenommen hatte, denn nachdem ihm die Stimme aus dem ersten Schrecken heraus versagte, schien die Fassung förmlich aus seinem Gesicht zu bröckeln. Plötzlich sah er mich, fand sich unter meinem scharfen, stillen Blick wieder und weitete die Augen. Leicht geöffnet blieben seine Lippen, verkrampft die Haltung aber der Finder schien verblasst. Ebenso alles, was zu dieser Lage geführt hatte. Und ich warnte ihn… löste den Blick keine Sekunde lang von ihm, durchbohrte ihn, drohte ihm und tat all das still und reglos. Und ich musste nicht vielmehr tun, als das. Alleine meine Anwesenheit ließ ihn aus seiner blinden Wut hinausstolpern und zu sich kommen. Zitternd hatte der Finder die Gelegenheit wahrgenommen, hatte sich zurückgezogen und stets in die Richtung, aus der andere nähertraten. Zögerlich, nervös… und stehenblieben, sobald sie in dem Jungen erneut den Grund erkannten. Scheu erhob sich das Flüstern, unruhig wurde der Finder in Empfang genommen und es war nur ein weiterer, zitternder Atemzug, zu dem der Junge imstande war, bevor er sich ruppig abwandte, sich in Bewegung setzte. Gnadenlos hinein in die Menge, die sofort zurückstolperte. Es fiel ihm nicht schwer, sich einen Weg zu bahnen. Zu seinen Seiten wurde ihm großzügiger Platz gelassen und kaum war er hinter dem nächsten Regal verschwunden, nahm auch ich mir Zeit für ein tiefes Durchatmen. Der Zufall führte mich hierher und meinte es dabei gut mit dem Finder. Weitere Eskalationen sollte es nicht geben… durfte es nicht geben. Die Meinungen der anderen, sowie seine Lage, waren schon jetzt gnadenlos genug. Ich schürzte die Lippen, verlor das Interesse an der erstarrten Menge der Finder und blickte zu dem Buch zurück. Kurz regte ich mich, schlug es auf und fand keine Schwierigkeit darin, die alte Stelle wiederzufinden. Auf die alte Konzentration war ich aus, ebenso gespannt auf den weiteren Verlauf der Geschichte und augenblicklich schien auch das Murmeln der Finder zu verblassen, als ich wieder zu lesen begann. Die Gesellschaft während des Essens veränderte sich nicht… besserte sich nicht. Es blieb dabei, dass ich das aß, was nötig war und den Saal so schnell verließ, wie ich gekommen war. Ertragen hatte ich es diesmal alleine und ich stellte mir nicht die Frage, warum dem so war. Nicht nur für ihn war es gut, sich vorerst von diesen Leuten fernzuhalten. Was er auch tat, wie er auch reagierte, alles, was seinem derzeit unkontrollierbaren Wesen entsprang, würde am Ende auf mich zurückfallen. Fast war es schon eine zurückhaltende Zufriedenheit, als ich die Tür hinter mir schloss, mir den Mund rieb und mich abwandte. Was mir dieser Tag noch bringen sollte, war mir nicht klar. Ich rechnete nicht mit irgendwelchen Wendungen. Ich war nicht naiv und jede der vergangenen Stunden entfernte mich mehr und mehr davon, es zu sein. Übler Realismus war angebracht und so ging ich einfach wieder darauf los, folgte meinem eigenen Beispiel. Heute kam so oder so alles auf mich zu, ohne, dass ich es erwartete. Ich musste mich nicht bemühen, um etwas zu erleben oder in Gespräche verwickelt zu werden. Vorerst tat ich aber gut daran, in meinem Zimmer zu verschwinden und mir dort etwas Ruhe zu suchen. Mit diesem festen Ziel, lenkten sich meine Schritte endlich in eine vorgegebene Richtung, führten mich um eine Ecke und… Abrupt blieb ich stehen, wollte weder meinen Augen trauen, noch diesem erwarteten Zufall. Urplötzlich stand ich vor zwei Männern und während ich nur völlig perplex dazu fähig war, den Mund zu öffnen, hielt das Schweigen bei einem meiner Gegenüber nicht lange an. „Kanda!“ Das Gesicht des jungen Mannes erstrahlte in schierer Freude und irgendwie passte diese Gestik seit geraumer Zeit nicht mehr zu diesem Ort. Immerhin traf man hier nur noch auf finster dreinblickende Gestalten. Mich eingeschlossen. Man näherte sich mir um einen Schritt, wurde das strahlende Grinsen nicht los, während ich noch kurz meinen Grübeleien nachhing und damit, den alten Durchblick wiederzuerlangen. „So eine Freude, dass du der Erste bist, den ich hier treffe!“ Vor mir hielt er inne, gestikulierte mit den Händen, während sich der Finder, der ihn begleitet hatte, unbeteiligt am Kopf kratzte, meinen flüchtigen Blicken gekonnt auswich. „Es ist eine Weile her, nicht? Erinnerst du dich noch an mich?“ Von dem Finder fanden meine Augen zu dem jungen Mann zurück und auch in den nächsten Momenten beäugte ich ihn mir nur kritisch. Was für eine Frage! Mein Gedächtnis war in gewissem Sinne noch zu gebrauchen. Es reichte sogar über fünf Monate zurück und brummend legte ich den Kopf schief, besah ihn mir knapp. Jetzt trug er also auch unsere Robe. Jetzt war er also angekommen und wenn ich daran dachte, was er hinter sich haben musste, stimmte mich diese Heiterkeit wirklich misstrauisch. „Mm“, brummte ich wieder und hoffentlich legte er es als Bestätigung aus, denn mir stand nicht der Sinn danach, mich seiner Gesprächigkeit anzuschließen. Vor allem nicht in solchen plötzlichen Situationen. „Ähm… Chaoji?“ Zögerlich meldete sich auch der Finder zu Wort, erntete zumindest die Aufmerksamkeit von einem von uns. „Kommen Sie klar?“ „Ja, ja… natürlich!“ Nur für einen knappen Wink ließ sich Chaoji Zeit und als sich der Mann an ihm vorbei schlich, lehnte er sich an mir vorbei, winkte weiterhin. „Vielen Dank!“ Stimmt ja, jetzt kam alles wieder. Tiedoll hatte ihn mitgenommen. Ihn trainiert. Der arme Bursche. Und wacker blieb er bei mir stehen, erweckte nicht den Anschein, seiner eigenen Wege gehen zu wollen. „Ich bin gerade erst angekommen“, verkündete er stattdessen und träge tastete ich nach einer Strähne, fischte sie mir aus dem Gesicht. „Wie geht es dir?“ Manchmal ging es mir prächtig, obwohl es äußerlich nicht viele Unterschiede gab. Heute war es nicht so aber ich hatte keine Lust auf Sarkasmus. Der stand einem anderen besser. Jedenfalls blieb ich stehen und wunderte mich kurz selbst darüber. So gesehen war es an diesem Tag die erste Wendung, die mich nicht völlig verzweifeln ließ. Vermutlich sollte ich diesen Moment nutzen. Außerdem war wirklich eine gewisse Zeit vergangen und sein sonniges Gemüt gab mir das traurig beruhigende Gefühl, als wäre alles in Ordnung. „Mm“, beteiligte ich mich also. „Und selbst?“ Meine Fähigkeit, ehrliches Interesse vorzutäuschen, war durch die letzten Tage etwas geschwächt aber diese Tatsache schien nicht bis zu meinem Gegenüber durchzudringen. Berauscht atmete er ein, schüttelte die Arme und sah sich seufzend um. „Ich bin glücklich“, seufzte er und ich wurde auf die nächste Strähne aufmerksam, sah mich flüchtig um. „Endlich bin ich hier. Endlich kann ich mich für andere einsetzen und das tun, worauf ich mich so lange vorbereitet habe. Ich habe mich so auf diesen Tag gefreut. Auch darauf, euch alle wiederzusehen.“ Mal sehen, wie lange diese Freude anhielt. Er würde nicht lange drum herum kommen, die derzeitige Atmosphäre wahrzunehmen, die hier herrschte. All die finsteren Gesichter, auf die er sich so freute. Grinsend wurde ich weiterhin in Augenschein genommen, verpasste irgendwie den Zeitpunkt der Antwort. „Geht es den anderen gut? Allen und Lavi? Und Linali? Ich freue mich schon darauf, sie zu treffen.“ „Mm… sind alle glücklich.“ Es ging so schnell. Die alte Verbitterung holte mich nur um ein Stück ein und schon pendelte ich doch hinein in das trockene Gebiet der Ironie. Mir gegenüber erhob sich ein leises Lachen. Meine Gesprächigkeit schien seinen Erwartungen zu entsprechen. In anderen Fällen hätte es wohl keinen großen Unterschied gemacht. Und immer noch blieb ich stehen, gab nicht vor, wichtige Ziele zu haben, die mich von einem Gespräch mit ihm abhielten. „Ja“, lachte er und rieb sich die Nase. Und ich wurde auf seine Haare aufmerksam. Sie waren immer noch so kraus. Unterdessen wurde auch ich von Kopf bis Fuß gemustert. „Dein Schwert?“, hob er plötzlich an, lenkte mich von seinen Haaren ab und ließ mich ihn wortlos anstarren. Was war damit? „Wurde es repariert? Bevor ich mit Tiedoll auf Reisen gegangen bin, war es doch schwer beschädigt?“ Es war nicht mehr als ein Haufen Eisen gewesen. Endlich wusste ich etwas damit anzufangen, wurde in gewissem Sinne etwas wacher und nickte. „Ich habe eine neue Waffe.“ „Ja?“ Darüber schien er sich unglaublich zu freuen. Und wieder besah ich ihn mir kritisch. Ich war nicht mehr verwöhnt von allgegenwärtiger Freude, seine Heiterkeit war wirklich ungewohnt. „Und hast du deine Schwertkünste auch weiterhin ausgebaut?“ „Mm.“ „Unglaublich.“ Davon zu hören, reichte ihm, um beeindruckt zu sein. Er blähte die Wangen auf, stemmte die Hände in die Hüften. „Du trainierst bestimmt sehr viel. Tiedoll meinte, das soll ich auch tun. Ich solle mir ein Beispiel an dir nehmen, meinte er.“ „Ach.“ Ich verengte die Augen, runzelte die Stirn. Ein befürchtetes Kapitel, dass er mich zu sehr mit alldem in Verbindung brachte oder, noch schlimmer, an mich weitergab, was das lose Mundwerk Tiedoll’s über mich losgeworden war. Innerhalb all dieser Monate. Es war eine lange Zeit. Viel Zeit, um zu reden. Bestimmt hatten sie sich prächtig verstanden. „Ja!“ Bestätigend wurde genickt und das Grinsen schien stetig, schwächte nur leicht ab, als er plötzlich um sich spähte, sich im wirren Haar kratzte. „Ach“, fiel ihm ein. „Ich soll mich bei Komui melden, sobald ich da bin.“ Als wäre es ihm entgangen, sah er sich nach dem Finder um. „Ähm… ach, könntest du mir vielleicht sagen, wo ich ihn finde?“ „In seinem Büro“, half ich aus und wieder wurde mir gegenüber genickt. „Ah ja“, er verzog den Mund. „Im Büro… ähm. Aber wo ist das? Weißt du…“, ein unsicheren Lachen unterbrach ihn, „… es ist doch schon eine Weile her.“ Ach so, ja… ich blickte auf, musste mir erst selbst einen Überblick verschaffen. „Vierzehnte Etage.“ Mit einer Kopfbewegung wies ich nach oben. „B-Flur, rechter Gang, viertes Zimmer, linke Seite.“ Somit nahm ich ihn erwartungsvoll in Augenschein. Ich hatte meine Pflicht getan aber richtig zufrieden sah er nicht aus. Etwas wirr starrte er um sich. „Und… in welcher Etage sind wir jetzt…?“ Wieder kratzte er sich. „Elfte.“ „Gut…“, tief atmete er durch, rieb sich das Kinn. Entschlossen wirkte er nicht. Auch nicht so, als würde er sich gleich auf den Weg machen. „Die Treppen waren doch…“, sein Zeigefinger driftete in sämtliche Richtungen, „… irgendwo… dort…?“ Nein, überhaupt nicht. Weiterhin blickte er um sich, rieb sich die Hände und ich runzelte die Stirn, während ich mir all das so besah. In letzter Zeit hatten wir kaum Unterstützung bekommen. Auch, wenn es zu der derzeitigen Atmosphäre passte… es wäre tragisch, irgendwie jämmerlich, wenn er schon jetzt und auf der Suche nach dem Büro inmitten der Gänge verschellen würde. „Mm.“ Brummend wandte ich mich ab, winkte ihn träge mit mir. „Komm einfach mit.“ Die ersten Schritte tat ich noch alleine. Er zögerte aber dann ertönte das erleichterte Ächzen und kurz darauf fand er sich auch schon neben mir ein. „Vielen Dank!“ Neugierig sah er sich auch weiterhin um. Seine Augen erkundeten jede Ecke, während ich irgendwie der alten Miene verfiel und mich mehr für den Boden interessierte. „Ich bin stolz darauf, denselben Lehrer zu haben, wie du, Kanda.“ Kaum hatten wir die nächste Ecke hinter uns gelassen, fand er zur Sprache zurück, ließ mich skeptisch zu ihm lugen. „Tiedoll ist ein sehr guter Lehrer. Die Zeit mit ihm hat mir sehr gefallen und der vorläufige Abschied war schwer.“ Ich versenkte die Hände in den Hosentaschen, bog in das Treppenhaus. „Er ist mir sehr sympathisch.“ Ja, natürlich… die beiden waren wie füreinander geschaffen. Glücklicherweise war ich nicht dabei gewesen. Keinen Augenblick lang. „Manchmal saßen wir einfach nur beieinander und haben uns unterhalten.“ Sein Blick traf mich und ich wandte mich etwas ab, verdrehte die Augen. „Er ist sehr stolz auf dich. Eigentlich auf jeden seiner Schüler.“ Letztendlich fiel es auf ihn zurück. Wir alle wären nicht zu denen geworden, die wir waren, ohne, dass wir in früheren Zeiten gelenkt und ausgebildet wurden. Unschlüssig bewegte ich letztendlich nur den Kopf, stieg diese Stufen hinauf und war noch erleichtert, dass er etwaige Dinge, die er über mich erfahren hatte, für sich behielt. Das Wissen, dass etwas Unliebsames in seinem Kopf herumspukte, genügte schon. „Beinahe wären wir vor zwei Monaten kurz vorbeigekommen“, verriet er, als wir die Treppen hinter uns brachten, in das Treppenhaus zurückkehrten. „Wir waren in der Nähe und er meinte, du würdest dich bestimmt über einen Überraschungsbesuch freuen.“ Mit entrann ein Ächzen. Bevor ich es zurückhalten konnte und kurz verstummte er neben mir, während ich mir die Augen rieb. Er wäre der Einzige gewesen, der sich gefreut hätte. Mich hätte er nur aufgezogen und beinahe konnte ich ihn mir vorstellen, wie er in diesen Momenten voller Genugtuung schmunzelte. Pure Berechnung… vielleicht wäre ich ohnehin nicht hier gewesen. Es waren andere Gedanken, die ich in diesen Momenten führte. Ich bemerkte es nicht, wusste es nicht zu schätzen und trotzdem schien mein Inneres irgendwie aufzuatmen, sobald diese alltäglichen Dinge auf mich einströmten. „Na ja“, grinsend strich sich Chaoji über die Uniform, seufzte. „Ich bin so gespannt, was mir die nächsten Tage bringen werden.“ Da war er nicht der Einzige und ich blieb stehen, wies mit einem Nicken auf die Tür neben uns. „Wir sind da.“ „Oh.“ Er drehte sich, trat an mir vorbei und besah sich die Tür, als wäre er auch auf sie gespannt gewesen. „Vielen Dank“, wandte er sich dann wieder an mich, hob die Hand. „Das war wirklich nett von dir, wo du doch bestimmt sehr beschäftigt bist.“ „Pf.“ Eine flüchtige Grimasse ließ sich nicht verhindern. Das erste Mal seit geraumer Zeit traf ich hier auf eine wirklich witzige Sache. Neben mir wurde schon nach der Klinke gegriffen. „Ich will deine Zeit nicht länger in Anspruch nehmen. Ab hier finde ich den Weg bestimmt alleine.“ Wie bitte? Um nichts um alles in der Welt… Natürlich ging er von hier aus alleine weiter. Seit einiger Zeit durchquerte ich diese Tür nicht mehr freiwillig. Schon wandte ich mich ab, versenkte die Hände in den Hosentaschen und hörte schon das Klicken. „Bis später!“ „Mm.“ Meine Augen fanden zurück zum Boden und während er verschwand, rückte mein altes Ziel zurück in den Vordergrund. Die Ruhe. Ich wusste nicht, woran es lag aber plötzlich wollte ich sie lieber woanders suchen. Mein Zimmer wirkte nicht mehr wie der richtige Ort. Irgendwie hatte es mir in letzter Zeit die frische Luft angetan. Mit ihr ließ sich klarer denken, bestimmt erleichterte sie auch die Entspannung so trat ich wenige Minuten später auf den Vorhof hinaus, entfernte mich von dem Turm und zog unter den vereinzelten Bäumen hindurch. Ich suchte mir einen angenehmen Punkt für eine Meditation, die ich allmählich nötig hatte. Der letzte Versuch war gescheitert, wurde ebenso in unpraktischen Voraussetzungen unternommen. Nicht so, wie jetzt. Jetzt konnte ich mich als halbwegs entspannt bezeichnen, schöpfte tiefen Atem in den frischen Brisen und trottete weiter, bis sich die Bäume auf der Rückseite etwas verdichteten. Zielstrebig ließ ich mich dort nieder, setzte mich einfach auf den Boden und hatte das Gefühl, hier wirklich abgeschottet zu sein. Versteckt unter der dichten Baumkronen, geschützt vor den massivsten Geräuschen und wirklich hörte ich nur das Rauschen der Blätter, als ich es mir bequem machte, einfach etwas zurücklehnte und den Rücken spannte. Auch die Augen hielt ich nicht mehr lange offen und das erste Mal seit langem spürte ich wirklich die Ruhe meines Körpers, konnte meinem eigenen Atem lauschen, ohne von einem komplizierten Gefilde zum nächsten zu driften und einfach keinen klaren Kopf zu haben. Tief atmete ich ein, hob und senkte die Schultern, versenkte die Hände zwischen den Beinen und umschloss sie bequem. Nur eine gewisse Zeit bräuchte ich. Nur und endlich ein paar Momente für mich und nur argwöhnte ich der anhaltenden Stille, die mich umgab. Ein Frieden, dem ich erst traute, als er länger anhielt und sich meine Wahrnehmung von der Realität löste. Völlig gedankenlos verfiel ich daraufhin dem schwarzen, rauschenden Nichts, existierte nur noch mit den Worten, die ich still in mich hineinflüsterte, auf dass sie bis auf meinen tiefsten Grund drangen und mich prägten. Ich saß reglos, spürte weder den Druck der einzelnen Steine, noch die Frische des Windes, entrückte völlig der Realität und nahm irgendwann überhaupt nichts mehr wahr, dass einer Wahrnehmung entsprach. Meine Worte verliefen sich im Nichts, erstarben irgendwann und während sich meine Atemzüge vertieften, sank ich irgendwann in mir zusammen. Alles wurde schwer und dunkel, angenehm warm… nicht das, worauf ich ausgewesen war. Es war mir neu, während der Meditation einzuschlafen. „… u…?“ Irgendwann drangen diese Laute in mein Bewusstsein, ließen mich langsam auftauchen aus meiner dumpfen, angenehmen Welt. „Yu?“ Eine knappe Berührung erreichte meine Schulter und mit einem Mal nahm ich auch meinen Körper wieder wahr. Meine Lider, die verschlafen zuckten, mein Leib, der sich etwas aufrichtete, während ich wach wurde. „Hey.“ Leise sprach man mich an und erst, als ich es realisierte, öffnete ich die Augen und kehrte vollends zurück. Noch leicht vom Schlaf benommen, blinzelte ich in die Abenddämmerung hinein, starrte von einer Seite zur anderen und dann zu dem Rotschopf, der sich vor mir auf die Knie stemmte, unter einem leichten Grinsen die Hand sinken ließ. Na, wundervoll… brummend kam ich zu mir, tastete nach meinem Gesicht und rieb es. So etwas hatte ich nicht beabsichtigt. Und dann auch noch er. „Meine Güte, ich hatte schon fast die Hoffnung, dich zu finden, aufgegeben.“ Schmunzelnd richtete er sich auf, wies mit einer Kopfbewegung nach oben. „Komui will dich sprechen.“ „Mm.“ Träge regte ich mich, winkte ihn fort und sah ihm zertreten nach, nachdem er mir seufzend den Rücken kehrte und davon trottete. Das auch noch. Wieder einmal betrat ich dieses Büro, wurde mit einem trägen Wink empfangen und löste mich von der Tür. Irgendwie war ich selbst noch nicht ganz bei Sinnen und unterdrückte ein Gähnen, bevor ich mich an dem Sofa vorbei schob und zum Stehen kam. Der plötzliche Schlaf war so ungelegen gekommen. Vor allem in diesen Momenten hatte ich doch vollständig aufmerksam zu sein. Aber ich schien nicht der Einzige zu sein, der mit der Müdigkeit rang oder damit, wach zu sein. Die Haltung meines Gegenübers war auch nicht sehr überzeugend, nicht viel besser, als am gestrigen Tag. Natürlich, es war wieder etwas passiert. Das tat es immerzu. Ich war dabei gewesen und eigentlich überraschte es mich nicht, nun hier zustehen. Auch die besorgte Mimik hinter dem Schreibtisch und die alte Angewiesenheit auf den Kaffee, der meistens alle war. Nur ein knapper Blick in die Tasse, bevor sich Komui unter einem tiefen Durchatmen zurücklehnte, sich die Augen rieb… und beobachtet wurde. Müde sah man ihn oft. Vor allem nach all den Jahren, in denen ich ihm oft begegnete, wusste ich seine Mimik einzuschätzen und zu diesem Zeitpunkt war es weitaus mehr, als mangelhafter Schlaf, das ihn belastete. Er wirkte zermürbt, bewegte kurz die Lippen aufeinander, bevor er zu Worten fand. „Setz dich doch“, bot er mir an, winkte mich zum Sofa und zeigte mir damit nur, dass es kein kurzes Gespräch sein würde. Meine Augen folgten dem Wink nicht und kopfschüttelnd verharrte ich auf meinem Punkt. Gesessen hatte ich lange genug. „Mm“ Er fand sich damit ab, ließ die Hand auf die Armlehne niedergehen und bewegte die Beine unter dem Tisch. „Ich möchte mich gerne mit dir über Allen unterhalten.“ Und das kam nicht überraschend. Das Nicken deutete ich nur an, meine Hände fanden in die Hosentaschen zurück und widerwillig überließ ich die Fragen ihm. Ich hätte nicht viel zu sagen, wenn er mir die Freiheit lassen würde. „Seit dem Vorfall habe ich ihn nicht mehr gesehen.“ Seine Kräfte schienen nicht mehr zu genügen, um strikt bei den Fakten zu bleiben. Auch sonst war er eher ein Mensch, der drauf los redete. Seine gesamten Emotionen schienen mit den Worten mitzuschwingen, ihn beinahe tiefer in den Stuhl zu drücken. Er war einer von denen, die es belastete. Einer von denen, die hilflos waren und mir deshalb Fragen stellten. Annähernd inständig sah er mich an. „Bist du etwas an ihn herangekommen? Wie geht es ihm?“ Es war noch leicht, nur davon zu sprechen, was ich sah. Noch erwartete er nicht von mir, meine Gedanken auszudrücken und das, was in mir vorging, wenn ich ihn mir so betrachtete, ihm begegnete, und das, was dabei in mir vorging. Ich schürzte die Lippen, betrachtete mir die losen Unterlagen zu meinen Füßen und bewegte die Hände in den Hosentaschen. „Er ist distanziert“, murmelte ich, fasste mich kurz. „Wütend, unausgeglichen.“ „Ah.“ Keine Antwort, die ihn beruhigte und das Nicken war nicht vielmehr als ein Verstehendes. Schweigend sah ich auf, sah ihn auf die Unterlagen starren und sich das Kinn reiben. „Hast du mit ihm gesprochen?“ „Mm.“ „Mm“, erwiderte er mein Brummen beinahe abwesend und mit einem Mal fiel mir auf, dass sich seine Gedanken um weitaus mehr drehten. Seine Pupillen drifteten nachdenklich von einem unbedeutenden Gegenstand zum nächsten. Auch das Kinn rieb er sich weiterhin, atmete tief ein, als würden ihm die folgenden Worte schwerfallen. Eine kurze Stille brach über uns herein, hielt an, bis er sich deutlich zusammenreißen musste und meinen Blick teils unruhig, teils durchdringlich erwiderte. „Kanda…“, hob er dann an, „… ich habe einige Gespräche geführt, bin auch weiterhin nicht um meine eigenen Gedanken und Befürchtungen herumgekommen. Ich möchte dir eine Frage stellen. Du bist vermutlich der Einzige, der es einschätzen kann.“ Wieder brauchte er ein tiefes Durchatmen, tastete sich zu einer Mappe und begann sie mit den Fingern zu bearbeiten. Sein Gesicht wurde von einer annähernden Verzweiflung heimgesucht und er senkte den Blick. „So, wie Allen jetzt ist… so, wie er sich verhält.“ Er presste die Lippen zusammen. „Stellt er eine Gefahr dar?“ Als würde er sich vor der Antwort fürchten, fanden seine Augen zu mir zurück und mit einem Mal fiel auch die letzte Müdigkeit einfach von mir ab, ließ mich ihn anstarren. In diese Richtung hatten mich meine Gedanken nie geführt und eine flüchtige Bestürzung durchfuhr meine Miene, bevor ich mich damit befasste, nach der schnellsten und passensten Antwort suchte. Und ich spürte seine Augen. In jedem Moment, in dem ich zu Boden blickte, die Brauen verzog und grübelte. Komui war dem extremen Denken verfallen… etwas, zu dem er in seiner Position gezwungen wurde und was weitaus unangenehmer sein musste, als meine Problembearbeitung. Von dem Schlimmsten auszugehen, alles zu befürchten und wirklich… wenn ich mich diesem Denken anschloss, dann waren es beunruhigende Resultate, auf die ich stieß. Die Kraft des Jungen war verheerend… richtete sich mit einer solchen Zerstörungskraft gegen den Feind, dass es beklemmend war, sich selbst in der Rolle des Feindes zu sehen. Wenn er sich gegen den Orden stellte. Gegen alles, wofür er bisher kämpfte und gegen all die, an denen er derzeit zweifelte… die er derzeit verachtete. Eine entsetzliche Wendung und akribisch vertiefte ich mich in die Geschehnisse der letzen Tage, erinnerte mich an die Beobachtungen und an die Gespräche, zu denen es gekommen war. Komui war nicht dabei gewesen. Er hatte den Jungen nicht so erlebt, wie ich es in wenigen Momenten getan hatte. Es war nachvollziehbar, dass er aus dieser Entfernung und aus dieser Distanz derartige Befürchtungen hegte aber ich fühlte mich sicher, als ich meinen eigenen Entschluss traf. Eine ehrliche Entscheidung und entgegen all das Dinge, die passieren könnten, würde ich mich irren, richtete ich mich letztendlich entspannt auf… und deutete ein Kopfschütteln an. Mir gegenüber wurde offensichtlich aufgeatmet. „Er ist keine Gefahr“, versicherte ich und nickend rieb sich Komui die Augen. Es schien genau das zu sein, was er hören wollte. „Und dass er zu einer werden könnte, kann man einfach verhindern, indem man ihn in Ruhe lässt.“ Ein leiser Vorwurf. Nicht direkt gegen Komui aber gegen viele, die unter ihm arbeiteten und über die Hand hinweg, fanden seine Augen zurück zu mir. Ich wusste, dass diese Worte auch etwas anderes zum Ausdruck brachten. Etwas, das ich mir selbst zur Last legte, während ich ihn verteidigte. Man sollte ihn in Ruhe lassen… letztendlich bedeutete es nur, dass ich es war, der mit ihm reden musste. Ich machte meine Pflicht ein weiteres Mal öffentlich und hoffte, dass ich nicht an ihr erstickte. Komui schien es zu begreifen. Wieder nickte er und nach diesen Worten sah es so aus, als wäre er um diese große, schwere Befürchtung leichter. Zurück blieben die kleinen Problematiken, die in ihrer Vielzahl genauso überwältigend waren. „Hast du denn erfahren, was wirklich dahinter steckt?“ Einer Hürde folgte die nächste. Es war das Gebiet der Fragen, die sich nicht so leicht beantworten ließen… eigentlich gar nicht. „Ich kann nicht immer um ihn sein.“ Leise murmelte ich zurück, fühlte mich mit einem Mal unwohler. „Es ist nicht leicht.“ Und immerhin war es erst ein Tag gewesen. Keine lange Zeit, verglichen mit dem undurchschaubaren, komplizierten Wesen des Jungen. Und Komui schien es zu akzeptieren… machte zumindest den Anschein und nur kurz überzeugte ich mich, bevor ich den Blick an ihm vorbeidriften ließ, mir träge die Beine vertrat. „Es ist in Ordnung“, versicherte mir Komui, als hätte er mir den Argwohn angesehen. „Du hast deine eigenen Methoden.“ Hatte ich die? Er hatte ja keine Ahnung. Es blieb bei wenigen, weiteren Worten. Gerade so viele, wie ich ertrug, bevor ich mich abermals unter Druck gesetzt fühlte. Nur knapp verfehlte er meine Grenze, bevor er mich gehen ließ und ich nahm mir nicht viel Zeit, zögerte es nicht heraus und ließ die Thematik für den heutigen Tag enden. Ich verließ sein Büro, ging meiner eigenen Wege. Den Weg, der zu den Sorgen führte, teilte Komui nur mit mir. Nur führte mich mein Weg auch ohne Abweichungen in das Bett und zu weiterer, gedankenloser Ruhe. ~*tbc*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)