Reqium of Darkness & Quiet Symphony von abgemeldet (Walker x Kanda) ================================================================================ Kapitel 49: Verantwortung ~ 1 ----------------------------- Irgendwann stahl ich mich wieder hinein. Mein Kopf machte mich mit einem leichten Schmerz darauf aufmerksam, dass er nicht gerne auf diese Art beansprucht wurde. Meinen Gedanken war noch nie danach gewesen, zu lange um einen einzigen Punkt zu kreisen und letztendlich blieb es nicht vielmehr, als eine Belastung. Es widerte mich an… dass nichts so lief, wie ich es erwartete… dass soviel die Ufer des Gewöhnlichen durchbrach. Die Tatsachen strömten wild hinein in Gebiete, die ich noch nie zuvor betreten hatte. Gebiete, die so schwierig zu begehen waren, dass ich mich selbst nach diesen wenigen Schritten schon müde und erschöpft fühlte. Die Augen finster auf den Boden gerichtet, ließ ich die Wachen hinter mir, durchquerte den Innenhof und näherte mich dem Hauptgebäude. Einerseits fragte ich mich, wie die Dinge hinter den Mauern standen, andererseits konnte ich mir weitaus bessere Dinge vorstellen, als es herauszufinden. Soviel Geschehnisse, die einfach nicht existent sein sollten… so viele Vorfälle, die es nie gegeben haben sollte. Es war einfach alles falsch und die Stille, der ich daraufhin begegnete, wirkte beinahe schon trügerisch. Ich betrat das Treppenhaus, spähte nur flüchtig um mich, bevor ich mich auf den Weg zu meinem Zimmer machte. Eigentlich war es doch, wie immer. Selbst hier kam es manchmal vor, dass seltsame Krawalle ausblieben und trotzdem drifteten meine Augen in jeden Gang, an dem ich vorbeizog. Es war kühl geworden. Selbst in diesen Mauern und obwohl es höchstens die frühen Abendstunden sein könnten. Bald darauf verschwand ich in meinem Zimmer, zog die Tür hinter mir in ihr Schloss und blickte mich flüchtig in dem Raum um, währenddessen bereits an den Schrank herantretend. Hatte ich erwartet, dass er hier war? Ich runzelte die Stirn, öffnete den Schrank unter einem resignierenden Ächzen und zerrte eine wärmende Jacke ins Freie. Was durfte ich überhaupt erwarten? Um mich herum war es dunkel. Es gab einfach nichts, was ich begriff. Beiläufig schloss ich den Schrank mit dem Fuß, streifte die Jacke über und war auch schon auf dem Rückweg zur Tür. Meine Gedanken bewerkstelligten es nicht einmal mehr, über meinen knurrenden Magen hinauszukommen und so nahm ich mir vor, erst einmal gegen ihn etwas zu unternehmen. Abwesend machten sich meine Hände noch an den Ärmeln der Jacke zu schaffen, als ich mich zurück in das Treppenhaus schob und die Tür mit der Schulter schloss. „Kanda…?“ Eben noch nach dem Reißverschluss getastet, hielten meine Finger abrupt in ihrer Arbeit inne und beinahe ungläubig wandte ich mich um. Eine bekannte Stimme, ein scheinbar zufälliges Aufeinandertreffen und trotzdem wusste ich genau, weshalb sie mich ansprach. Aus einem der Nebengänge war Linali getreten. Sie schickte mir ein scheues, brüchiges Lächeln, in welchem sie sich mir zögerlich näherte und nur knapp gelang es mir, meine Mimik vor einem unwilligen Zucken zu bewahren. Noch nie war mir mein Eingreifen zu späteren Zeitpunkten so schwer zur Last gelegt worden. Ich war keine Anlaufstelle bei jeden Problemen… ich wollte keine sein und Stirnrunzelnd wandte ich mich dem Geländer zu. Nur kurz hatte ich sie angesehen und während ich ihre leisen Schritte vernahm, ließ ich mir alle Zeit der Welt, starrte nach unten und vertiefte mich bald darin, völlig grundlos an dem Stoff zu rücken. Ich mochte es nicht, wenn sie mich an solchen Orten ansprach. Ich brachte ihr eine Offenheit entgegen, die weit über meine öffentlichen, allseits bekannten Grenzen hinausging. „Verzeihung.“ Leise entschuldigte sie sich. Beinahe so, als hätte sie meine Gedanken gelesen, als spüre sie meinen Unwillen. „Was willst du.“ Nur resignierend und offensichtlich missmutig stellte ich eine völlig unnötige Frage, versenkte die Hände in den Hosentaschen und begann die Zähne mit der Zunge zu bearbeiten. Es war wirklich überflüssig. Zu meinem Bedauern standen Dinge dieser Art doch längst fest. „Eh…“, knapp vor mir kam sie zum stehen. Zusammengesunken, schüchtern… sie wirkte wie das Sinnbild des allgemeinen Unverständnisses. Eine regelrechte Darstellung der vereinten Entrüstung und nur knapp musterte ich sie, bevor ich genervt an ihr vorbeistarrte. Wenn sie wüsste, wie ähnlich sie mir in diesem Punkt war. Wir unterschieden uns allein in der Haltung, in welcher ich aufrecht vor ihr stand und einen so immensen Wert auf den Anschein legte. „Na ja…“, abermals zuckte das nervöse Lächeln über ihre Lippen, während auch sie an mir vorbeistarrte, sich unentschlossen die Wange rieb und sich an Ort und Stelle die Beine vertrat. „Kanda, ich…“, aus den Augenwinkeln blickte ich auf sie hinab, sah sie die Lippen aufeinanderpressen, die Lider senken, „… was ist vorhin nur passiert?“ „Was fragst du mich. Du warst dabei.“ Das konnte doch alles nicht wahr sein… ich verdrehte die Augen, starrte zur Seite und regte die Hände in den Hosentaschen. Weshalb wollte sie immer Festigkeit von mir, wenn ich selbst am Fallen war? Seit geraumer Zeit waren die quälenden Zufälle auf ihrer Seite. „Ja, ich weiß…“ Weiterhin kroch sie in sich zusammen, rieb sich den Oberarm. Sie suchte nach überflüssigen Worten, während ich vor ihr stand und mir nur wünschte, sie würde sich umdrehen und mich in Frieden lassen. „Ich begreife es nur nicht.“ Sie zog die Nase hoch, rieb sie sich. Ihre Nervosität schien zu wachsen, in ziellosen Gestiken hob sie die Hände und ich blies mir eine Strähne aus dem Gesicht, gab mich so unbeteiligt, wie zuvor. „Ich habe ihn nicht wiedererkannt. Er… schien nicht mehr er selbst zu sein und ich habe darüber nachgedacht, komme aber einfach nicht auf die Lösung!“ Verzweifelt raufte sie sich das Haar. „Ich mache mir solche Sorgen… das sah ihm nicht ähnlich…! Alle sind so aufgebracht deswegen.“ Vermutlich zu Recht. Und normalerweise würde sie mich automatisch aus diesem Kreis ausschließen. Die Öffentlichkeit hatte mich als Unbeteiligten zu sehen, wenn es sich um den Jungen handelte. Abermals fanden meine Augen zurück zu ihr. Annähernd argwöhnisch betrachtete ich sie mir. „Ich dachte nur…“, sie presste die Hände vor der Brust, blickte annähernd flehend zu mir auf, „… vielleicht… weißt du ja… etwas…?“ Lautlos öffnete ich den Mund. Meine Miene drohte mir zu entgleisen und in den ersten Momenten starrte ich sie nur an. Es war etwas anderes, wenn sie meinen Rat um ihretwillen benötigte. Es waren Situationen, in denen ich ihr zu gegebenen Zeiten helfen konnte. Doch diesmal ging es nicht um sie… und ich zeigte ihr jede Abneigung, die ich in diesen Momenten empfand, verstrickte mich in einem perplexen Blinzeln und wandte mich etwas ab. „Kanda…“ Sofort trat sie näher. „Ich dachte nur, du…“ „Du dachtest, ich weiß, was in der Bohnenstange vor sich geht?“ Verbittert und ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Ich soll so etwas wissen?“ Hier an diesem Punkt wurden all meine Befürchtungen übertroffen! Sie, mit ihrem Wissen, hätte sich keine schlechtere Bezugsperson suchen können! Die Blöße, die ich mir gegeben hatte, war so gering gewesen, dass man sich in diesen Gebieten keine Hoffnungen machen sollte! Ich hatte nicht vielmehr getan, als ihn festzuhalten… ihn in seine Schranken zurückzuzwingen! Ich hatte nichts getan, was nicht auch jeder andere hätte schaffen können. Mit dem richtigen Timing, mit der richtigen Technik. Wie nahe, glaubte sie, stand ich ihm! „Ich weiß nicht…!“ Unsicherheit durchzuckte ihr Gesicht und schon wich sie um einen Schritt zurück. „Erst, als du eingegriffen hast, hat sich die Lage beruhigt… Allen… hat sich beruhigt. Ich dachte nur, vielleicht hast du ja…“, sie stockte, nervös drifteten ihre Pupillen zur Seite, „… hast du ja…“ „Ich habe keine Ahnung.“ Strikt durchbrach ich ihr Gestammel, trat bereits zurück. „So was interessiert mich nicht.“ „In Ordnung.“ Sie blieb stehen, ergab sich in einem müden Nicken. „Es tut mir leid.“ „Ts.“ Ein letztes Mal trafen meine Augen auf ihr gesenktes Gesicht, bevor ich mich endgültig abwandte und meinen Weg fortsetzte. Was ging nur in ihr vor…! Natürlich hatte ich den Jungen überrascht. Natürlich hatte er mich dort nicht erwartet und vermutlich hätte es auch jeder andere umso schwerer gehabt… doch es waren und blieben Tatsachen, die nur ich wusste! Wie schnell zog man Schlüsse! Meine eigenen Sorgen waren eine Sache, die ich wohl auf mich zu nehmen hatte, um die kein Weg herum führte. Aber weniger freiwillig gäbe ich mich einer Rolle hin, in der man mich als Medium ansah, als Verbindung zwischen dem Jungen und der Außenwelt, wenn diese nicht mehr zu ihm drang! Sah ich aus, wie jemand, der Antworten hatte? Urplötzlich war ich mir meiner Rolle in dieser Gemeinschaft nicht mehr sicher. Die Aufmerksamkeit der Menschen, als ich mich in den Speisesaal schob… Ich spürte sie, deutete sie… und verwarf sie. Die Menschen glaubten, was sie wollten. Eine Sache, an der es nichts zu rütteln gab und ohne den Umständen weitere Beachtung zu schenken, holte ich mir mein Essen von einem verstörten Koch, der jäh zu seinem Seufzen zurückgefunden hatte. Eine Wendung nach der nächsten… seit geraumer Zeit ging es so schnell, dass man von einer Seite zur anderen gerissen wurde und völlig die Orientierung verlor. Ich war keine Besonderheit in diesem Meer aus Verwirrung und Unsicherheit. Ich war den anderen so ähnlich, wie noch nie zuvor und die eigene Lage ließ mich Jerry gänzlich ausblenden und mich blind nach meinem Tablett greifen. Komui… Der Gedanke kam mir abrupt, verbunden mit so einigen Erinnerungen, die mir mein nächstes Ziel klar offenbarten. Zu ihm musste ich auch noch. Meine Schultern hoben und senkten sich unter einem dumpfen Ächzen und kurz starrte ich nur auf den Boden, während ich mir einen freien Platz suchte. Nicht lange, bis mich eine Bewegung aufblicken ließ und ich flüchtig auf den Blick des Rothaarigen traf, der mir, am heutigen Tag recht schweigsam, entgegenkam… mir keine längere Aufmerksamkeit schenkte, als ich ihm. Geschweige denn, ein Wort. Nur kurz sah ich die geschwollene Wange, die gerissene Lippe… und spähte zu einem freien Tisch, als wir aneinander vorbeizogen. Deutlicher könnten die Folgen nicht sein und nur kurz wurde ich mir der Tatsache bewusst, dass ich keine spöttischen Gedanken mit seinen Verletzungen verband. Eigentlich seltsam. Es stimmte alles nicht mehr. Schweigend ließ ich mich nieder, zog das Tablett zu mir und griff nach den Stäbchen. Ich wagte es kaum, mir die Frage zu stellen, wie all das weitergehen würde. Barrieren und Schranken schien es nicht mehr zu geben. Es war nicht nötig, weitere zu durchbrechen, um die Lage weiter eskalieren zu lassen! Unter einem tiefen Atemzug versenkte ich die Stäbchen in den Nudeln, beugte mich über das Tablett und begann zu essen. Und es hätte vieles sein können. Der Geschmack drang kaum in mein Bewusstsein und mit den stets gleichen Gedanken kämpfend, kaute ich nur mechanisch und bannte den finsteren Blick auf das Tablett. Alleine, dass ich diese Mahlzeit nicht genießen konnte, trug zu meiner Unzufriedenheit bei. Beinahe lächerlich, dass ich versuchte, mich zu dem Appetit zu zwingen, dass ich mir gezwungen Zeit ließ und daraufhin nur in ein noch tieferes Loch stürzte. Geräuschvoll verdichteten sich währenddessen die Massen um mich herum. Die Stimmen erhoben sich in einem einzigen Rauschen und bald darauf war selbst die gegenüberliegende Seite des Tisches besetzt und ich in eine Enge getrieben, die mich nur noch mehr reizte. „… du es schon gehört?“ In meinem Rücken erhoben sich Bewegungen. Finder suchten sich die letzten freien Stellen am nächsten Tisch, schoben sich auf die Bank. „Einer soll den Verstand verloren haben.“ „Wirklich?“ Das erste Mal seit langem löste ich die Augen von dem Tablett, starrte darüber hinweg und zu meinem Gegenüber. Nur kurz, bevor ich die Stäbchen zwischen den Fingern wendete und nach dem Glas griff. „Hat mir einer der Forscher erzählt.“ Geschirr klirrte in meinem Rücken, nebenbei begannen sie zu essen und ich nahm einen kleinen Schluck, wendete den Tee im Mund und starrte regungslos um mich. Heute wurde besonders viel geredet. Die Stimmen erhoben sich so wirr und durcheinander, wie es nur bei besonderen Anlässen der Fall war. Es waren viele Gesichter, die sich einander zuwandten, viele Münder, die sich zuflüsterten. „… soll genau hier passiert sein.“ „Hier?“, ächzte eine ungläubige Stimme und auf ein Zeichen, verstärkte sich das Stimmengewirr in meinem Rücken. „Hast du es nicht gesehen?“, mischte sich ein Anderer ein. „Vor einer Stunde war es hier noch ganz schön verwüstet.“ „Ich hab gehört, dass sogar der Abteilungsleiter angegriffen wurde.“ „Der Abteilungsleiter?! Von wem?“, erkundigten sich sofort andere und ich ließ den Becher sinken, schluckte hinter und senkte den Kopf. „Ein Wissenschaftler“, war sich einer sicher, augenblicklich meldete sich der Nächste zu Wort. „Es war ein Exorzist.“ „Was?!“ Klirrend ging Besteck auf den Tisch nieder und meine Hand verlor die Lust, die Stäbchen zu den Nudeln zu führen. Annähernd reglos verharrte sie. Klackend trafen die Stäbchen auf den Rand der Schale. „Ein Exorzist hat den Abteilungsleiter angegriffen?!“ Wie eine Woge zog ein Raunen durch die Halle. Die Stimmen hielten sich nicht besonders leise. „Wer war es?!“ Ich senkte den Kopf, hatte kaum bemerkt, wie ich die Zähne zusammenbiss und den Blick starr nicht mehr von dem Tisch lösen konnte. „Der mit den weißen Haaren.“ „Echt…?“ „Mm-mm“, wurde es sofort bestätigt. „Das ist heftig. Wenn so einer außer Kontrolle gerät. Kann Komui das verantworten?“ „Er scheint gefährlich zu sei…“ Augenblicklich verstummte die Stimme, als ich auf die Beine kam. Als hätte ich es eilig, stemmte ich mich nach oben, tauchte aus dem Meer der Köpfe auf und wandte mich um. Ein vergängliches Kribbeln floss von meinen Fingerkuppen bis in meine Füße und starr suchten sich meine Augen nun ein anderes Ziel. Hinein in die Gruppe der erstarrten Gesichter, hinein in die Finder, die mich erst jetzt bemerkten. Im Allgemeinen war es in meiner Nähe um einiges stiller geworden und nur beiläufig tastete ich nach meinem Tablett, spähte von einem Gesicht zum anderen und auch zu denen, die sich unter einem nervösen, scheuen Räuspern abwandten, sich schnell mit ihrem Essen befassten. Sie… mit ihrem lächerlichen Rang…! Ich atmete tief durch, zog das Tablett vom Tisch und bettete es auf dem Unterarm. Sie wagten es…! Nur langsam setzte ich mich in Bewegung, schob mich an der Bank vorbei und ließ meine Aufmerksamkeit doch nicht abbrechen. Ich verfluchte sie, ich verdammte sie, während ich mich um das Tablett klammerte und mich gleichzeitig zu entrüstet fühlte, um angemessen zu handeln. Ein gewisses Schweigen begleitete mich, bis ich die Bank hinter mir ließ, nahe an jenem Tisch vorbeizog und die Finder zurückweichen ließ. „Dummes Pack.“ Zielstrebig und vernichtend schickte ich ihnen einen letzten Blick, spürte das Zucken meines Gesichtes und lauschte der Stille, das an dem Tisch zurückblieb. Nur dort… bei jedem Schritt, den ich zurück zum Tresen tat, erreichten mich die Fetzen der unwissenden, dummen Redner. Eine Krankheit, die sie sich zu schnell verbreitete und die mir auch den letzten Willen zum Essen entriss. Dumpf landete mein Tablett auf der Theke, scheppernd erzitterte der Becher und schon wandte ich mich ab und verließ die Halle. Den Ort, über den jeder sprach und an dem niemand von ihnen zur rechten Zeit gewesen war! Bebend stieß ich den Atem aus, als ich den Gang trat. Ich ballte die Fäuste, versuchte all das von mir zu stoßen und fuhr mir über den Schopf. Dabei war es mir nicht neu. Geredet wurde unter den Dummen immer gerne und viel! Eigentlich hatte es mich nicht zu interessieren… Die Augen finster auf den Boden gerichtet, machte ich mich auf den Weg zu meinem nächsten und vielversprechenden Ziel. Seit einiger Zeit hatte ich kein gutes Gefühl mehr, wenn ich dieses Büro betrat. Diesmal war es nicht anders und bedacht hatte ich keinen einzigen Blick zu den Wissenschaftlern geworfen, bevor ich die Klinke hinabdrückte und mich in den nächsten Raum schob. Ich wusste doch, wie sie aussahen… schlimm genug, damit ich meine eigene Stimmung vor ihren Mienen schützte. Es war wohl besser so und naserümpfend schloss ich die Tür hinter mir, um mich jemandem zuzuwenden, vor dessen Einfluss ich mich wohl kaum schützen könnte. Bitter nahm ich ihn in Augenschein, als ich an dem Sofa vorbeizog. Für Komuis Miene hätte es keinen Unterschied gemacht, ob der Junge noch immer verschwunden wäre… er hätte nicht weniger abwesend auf seinen Schreibtisch gestarrt, die Arbeit nicht weniger vernachlässigt. Es waren so viele Emotionen zurückgekehrt. Soviel, das ich für kurze Zeit beseitigte. Ich brauchte einen tiefen Atemzug, als ich vor dem Schreibtisch stehenblieb, die Hände in den Hosentaschen verstaute und Komui erwartungsvoll ansah. Was ich erwarten sollte, wusste ich nicht… viel konnte es nicht sein und wirklich brauchte Komui noch einige Momente, bevor er sich etwas aufrichtete, mir ein brüchiges Lächeln schickte und sich zurücklehnte. Dass er mich vor einigen Stunden zu sich bestellt hatte, schien er vergessen zu haben… und mein Erscheinen ihn trotzdem nicht zu verwundern. Er nahm es hin, rückte ziellos an der leeren Tasse und rümpfte die Nase. „Wie geht’s?“ Kurz blickte er zu mir auf, sah mein knappes Schulterzucken. Äußerlich ging es mir nicht anders, als sonst. Wie zu jedem anderen Zeitpunkt, an welchem er nicht wirklich mit einer ordentlichen Antwort zu rechnen hatte. Was waren das auch für Fragen. „Meine Mission“, beließ ich es letztendlich dabei, ihn zu erinnern… bei den Fakten zu bleiben. Die darauffolgende Kopfbewegung wusste ich kaum zu deuten. Er wusste es noch… spätestens jetzt und trotzdem machte er den Anschein, als würde meine Hast ihn in diesen Augenblicken überfordern, ihn annähernd unter Druck setzen. „Mm“, machte er nur und faltete die Hände auf dem Bauch. „Stimmt ja, du wolltest dich schon heute Morgen auf den Weg machen.“ Bestätigend hob ich nur den Kopf und mir gegenüber wurde flüchtig das Gesicht verzogen. Er grübelte, sinnierte und ich verfolgte seine abwesenden Bewegungen bitter… befürchtete, sie sogar zu durchschauen. Er hatte mir mehr mitzuteilen, als Instruktionen und während er noch immer nachdenklich vor sich auf den Schreibtisch starrte, verdrehte ich leicht die Augen und starrte zur Seite. Seit wann war ich jemand, mit dem man sich über solche Angelegenheiten austauschte! Linali, jetzt auch noch er…! Ich presste die Lippen aufeinander. „Ich wollte mich erst einmal für dein Eingreifen bedanken“, erhob er da auch schon die Stimme, erlebte mich nicht sehr überrascht. „Es gehört zu meinen Pflichten, Schäden zu verhindern.“ Ich antwortete trocken, spähte noch immer zur Seite. „Ich bitte niemanden darum, sich zu bedanken, also lasst es einfach.“ Die Belastung sprach aus mir… und nicht nur ihm schien ich es zu sagen. Ich sagte es jedem, auf dass ich endlich in Ruhe und selbst darüber brüten konnte! Danksagungen und anderes Gerede stahlen mir nur meine Zeit! Die eigenen Sorgen waren groß genug! Meine Ratlosigkeit mindestens so immens, wie die der anderen und wie wünschte ich mir, diese Tatsachen jedem entgegenzuschleudern, der hilfesuchend an mich herantrat! „Es tut mir leid, wenn ich mich damit gerade an dich wende…“ Ich spürte das flüchtige Zucken meiner Miene, schöpfte abermals einen tiefen Atemzug und blickte halbwegs gefasst zu ihm. Komui schien auf seinem Stuhl kleiner und kleiner zu werden, müde stemmte er den Kopf in die Hand, rieb sich die Augen. „… nur habe ich viel und lange darüber nachgedacht. Eigentlich zerbreche ich mir den Kopf darüber, seit es passiert ist.“ Er stöhnte und ich senkte den Blick. „Berichtige mich, wenn ich mich irre und nehme es mir nicht übel… aber ich habe das Gefühl, dass du der Einzige bist, der mir Antworten geben kann.“ Müde blickte er auf, sah mich an. „Immerhin hast du ihn gesucht und gefunden. Du weißt, was passiert ist und ohnehin hast du mehr mit Allen zu tun, als ich. Ehrlich gesagt…“, seine Hand hob sich zu einer wirren, hilflosen Geste, „… ich bin mit meiner Weisheit am Ende und mache mir schreckliche Sorgen.“ „Dann sprich mit ihm“, ächzte ich daraufhin nur, löste die Hände aus den Hosentaschen und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Auf der anderen Seite des Schreibtisches erhob sich ein unentschlossenes Murmeln. „Ich habe das Gefühl, dass ich damit warten sollte… und dass er wenig redselig sein würde.“ Weniger, als ich? Kritisch spähte ich zu ihm, durchschaute ihn mit einer Leichtigkeit, dass es tragisch war. Die Vorwürfe hatten ihn getroffen… ihn, als einen, an den sie gerichtet waren. Und sie hatten ihn verunsichert… weil sie im Grunde… und hinter der übertriebenen Wut, berechtigt blieben. „Lass mich offen sprechen.“ Er schien um die alte Fassung zu ringen, als er sich aufrichtete, seine Pupillen an mir vorbeidrifteten. „Du bist der Letzte, von dem ich erwartet hätte, entgegen der Befehle nach Allen zu suchen.“ Natürlich… Für oberflächliche Augen blieb es eine Pflicht, der ich nachgegangen war, während hilflose Augen alles andere darin sahen und mir somit nur auf die Schliche kamen. Genervt vertrat ich mir die Beine, starrte stur zur Seite. „Und du bist auch der Letzte, den ich bei dem Spektakel erwartet hätte.“ Ich spürte seine alte Aufmerksamkeit. „Aber beide Male hast du dich gegen all meine Erwartungen gerichtet.“ „Sag doch einfach, was du denkst.“ Nur leise und verbittert ergriff ich das Wort, rümpfte die Nase und starrte auf den Boden. Das Herumgerede war noch schlimmer, als es einfach auf den Punkt zu bringen! „So, wie du dich ihm gegenüber verhältst…“ … und nachdem ich bis jetzt keinen Widerspruch eingelegt hatte… „… völlig gleichgültig scheint er dir nicht zu sein.“ „Er ist wichtig für den Orden“, warf ich ein. Wenn auch verspätet, wenn ich bei dieser Wahrheit blieb, fühlte ich mich wohler. Soviel wohler, als wenn ich es abgestritten hätte. „Mm.“ Komui schien zu einer Einsicht zu kommen, sich seltsam bestätigt zu fühlen und argwöhnisch verfolgte ich, wie er sich wieder zurücklehnte, die Lippen schürzte. „Weißt du, was mit ihm los ist?“ „Er war deutlich genug.“ „Da liegt das Problem“, stimmte er zu, brachte mich dazu, mich ertappt zu fühlen. „Du weißt, dass ich anders hätte handeln können, wenn die Möglichkeit bestanden hätte.“ Erwartete er von mir einen Freispruch? Stur blieb ich meinem Schweigen treu, starrte seit einigen Momenten ausschließlich zu Boden und klammerte mich in meine Arme. „Bestimmt war es auch eine schwere Zeit für ihn“, fuhr Komui fort, „aber das rechtfertigt nicht, was passiert ist.“ Er hatte ja Recht… natürlich war das alleine nicht dazu fähig, dem gefassten Jungen die Kontrolle zu entreißen. Ich wusste es doch auch… „Ich weiß nichts darüber.“ Starrköpfig murmelte ich es gen Boden, lauschte dem leisen Seufzen. „Aber du hast ihn gesucht… und wirst dich kaum gefühlt haben, als wären diese Vorwürfe auch an dich gerichtet. Vermutlich warst du der Einzige, den er ausgeschlossen hat.“ Das konnte doch nicht wahr sein… Ich vertiefte mich in ein resignierendes Kopfschütteln, presste die Lippen aufeinander und schluckte die in mir aufsteigende Wut hinunter. Meinte er das ernst…? Erst jetzt schienen wir uns dem Kern zu nähern und das Schweigen währte nicht lange, bis ich aufblickte, ihn widerwillig in Augenschein nahm und die pure Bitte in seinen Zügen las. Wie schwer hatte ich nur zu büßen… Das Leben des Jungen war mir genug wert, um nichts zu bereuen und trotzdem gefiel mir der Gedanke nicht. Nichts an dieser Situation gefiel mir und man sah es mir an. „Kanda…“, flink suchte er nach Worten, kam auf die Beine. „Bitte fasse es nicht falsch auf. Du weißt, dass ich dich niemals um so etwas bitten würde, wenn es andere Möglichkeiten gäbe. Wenn du welche kennst, dann sag es mir.“ Schräg gegenüber lehnte er sich an den Schreibtisch, presste die Hände ineinander. „Wenn du eine Idee hast… irgendetwas…“ Ideen… Starr behielt ich den Blickkontakt bei, biss die Zähne zusammen. Was man tun konnte? Was dem Jungen hilfreich wäre? Wie sehr, glaubte er nur, kannte ich ihn? Ging er davon aus, dass ich der Einzige war, der keine neue, erschreckende Seite an ihm kennen gelernt hatte? Ich wusste nichts… Den Jungen, der aus vollem Hals schrie, der beleidigte, verhöhnte, wütete und keine Rücksicht mehr nahm… ich kannte ihn nicht. Seinen Körper könnte ich beschreiben. Jeden Fleck und die Oberfläche seiner Haut, jeden Muskel, der sich abbildete. Ich könnte philosophieren über seinen Geruch, seine Wärme… aber was sich hinter seinem Lächeln versteckte, hinter seiner sonnigen Miene… Ich wusste gar nichts. Bisher war es mir nicht zur Last gefallen. Bisher hatte uns diese Oberflächlichkeit soviel Anstrengung erspart. Das war es doch, was uns ausmachte. Wir hinterfragten nicht. Die dunklen Geheimnisse versteckten wir in unseren finsteren Abgründen. Auch, wenn sie uns vermutlich nicht schockieren würden… „Du hast Recht… er ist wichtig. Und das nicht nur für den Orden.“ Ich sah ein trauriges, bedauerndes Lächeln auf den Lippen Komuis. „Könntest du versuchen… ihm zu helfen? Ich kann es nicht.“ Es schienen vorerst die letzten Worte zu sein. In völliger Hilflosigkeit hob er die Hände, streckte die Arme und schüttelte den Kopf. Ratlosigkeit durch und durch… so sah man ihn selten. Und ich wusste, was er wollte. Wusste es ganz genau und schwieg. Sich um jemanden zu kümmern… zurückzustecken für einen anderen… Das war ich einfach nicht. Wir waren doch voneinander unabhängig. Wir verpflichteten uns, gingen getrennte Wege und waren uns in der Nacht keine Rechenschaft schuldig. Wir schürften nicht unter der Oberfläche des Anderen… vermutlich wussten wir nicht einmal, wie man so etwas tat. Fragen, die tiefer gingen, widersprachen uns gänzlich. Und nun dieser Wechsel, den ich mir nicht erklären konnte. Alles war aus dem Gleichgewicht geraten und die Gewohnheit ließ uns wahrscheinlich nicht einmal auf die Hilfe des anderen hoffen. Es entsprach nicht unseren Erwartungen, dass der andere etwaigen Grundsätzen untreu wurde und sein Verhalten umstellte… sich selbst in eine Rolle zwang, die ihm einfach nicht passte. Wie viel war er mir wirklich wert? Wie gewichtig war seine Existenz? Gewichtig genug, um mich jetzt in diese völlig neue, unbekannte Richtung zu drängen? Könnte ich meine Tatenlosigkeit verantworten und es mir selbst nicht übel nehmen? Langsam drifteten meine Augen zu den schwarzen Mappen und sofort wurde Komui darauf aufmerksam. Schweigend folgte er meiner Beobachtung. Eine von diesen könnte ich gleich in den Händen halten. Ich könnte sie durchblättern, Komui zuhören und mich möglicherweise keine Stunde später auf den Weg machen. Ich würde meinen normalen Pflichten folgen und Erwartungen hegen, bis ich zurückkehrte. Dass es ihm besser ging… dass sich sein Wutanfall in Wohlgefallen auflöste und keine Spuren hinterließ. Nichts, das man hinterfragen musste, während man wieder mit ihm lebte, als wäre nichts geschehen. Wie lächerlich… Ich hatte mir so oft Hoffnungen gemacht, hatte mir so oft selbst gut zugeredet und es letztendlich nur als Selbstbelügung wahrgenommen. Einfach, weil es lächerlich war. Einige Dinge veränderten sich nicht von alleine. Ich lernte aus meinen Fehlern. Keine Entscheidung, die mich zu dem Jungen geführt hatte, hatte ich leichtfertig getroffen. Ich hatte meine Gründe, ich hatte meine Sicherheit und die realistische Voraussicht, dass sich viel verändern würde. Tief atmete ich durch, starrte immer noch auf diese Mappen und nahm eine knappe Regung Komuis wahr. Seine Nervosität teilte ich in diesen Momenten nicht. Beinahe fühlte ich mich entspannt, als ich die Lippen aufeinanderpresste, mit den Schultern rollte und zu ihm aufsah. Ich riss mich von den Mappen los, tat es wirklich und vertiefte mich in ein durchdachtes Nicken. Nur knapp, nur undeutlich und trotzdem kehrte augenblicklich eine gewisse Regung in das Gesicht meines Gegenübers zurück. Er hob die Brauen, öffnete den Mund und suchte neuen Halt an der Schreibtischkante. Diesmal wurde ich seinen Erwartungen gerecht und erwartete keine weiteren Worte. Ich ergab mich nicht, ohne von jeder Unzufriedenheit befreit zu sein. Mein Vorhaben konnte ich weder greifen, noch passte es in irgendeine Vorstellung. Vielleicht erwartete ich zuviel von mir. Vielleicht war ich dieser Aufgabe nicht gewachsen und so drehte ich mich nur um, löste die Arme voneinander und kehrte zu der Türe zurück. Ohne Mappe, ohne Ziel… nur mit einem Entschluss, der kein Konzept hatte. So planlos ging ich nie vor. Schon diese Schritte pendelten aus meiner gewohnten, sauberen Linie und mein Gesicht wurde von der alten Verbitterung befallen, als ich die Hand zu der Klinke hob. „Danke.“ Ich nahm es kaum wahr… da ich bis jetzt noch nichts getan hatte, setzte mich dieses Wort nur unter Druck. Eine Antwort war nicht nötig und so schob ich mich nur nach draußen, stahl mich an den Wissenschaftlern vorbei und ohne Umwege in mein Zimmer. Ich hatte selbst erst zu begreifen, was ich auf mich nahm. ~*tbc*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)