Reqium of Darkness & Quiet Symphony von abgemeldet (Walker x Kanda) ================================================================================ Kapitel 47: Trügerischer Alltag ------------------------------- Irgendwann öffnete ich die Augen und blinzelte in das dunkle Zimmer hinein. Vor den Fenstern lag die Nacht und für die ersten Augenblicke blieb ich nur dort liegen und war damit beschäftigt, meinen müden Kopf zu den ersten Gedanken anzutreiben… mich zu erinnern. Aber letztendlich kam das, was hinter mir lag, annähernd problemlos zurück und ich richtete mich auf. Den Rest des Tages und die halbe Nacht hatte ich also verschlafen. Müde fuhr ich mir durch den Schopf, gab mich dem letzten Gähnen hin und rieb meinen Bauch. Diese lange Ruhepause schien meinem Körper sehr gut getan zu haben. Nach Nächten, die ich nur damit zubrachte, mich in Gedanken zu wälzen und wach zu liegen, fühlte ich mich jetzt das erste Mal seit langem angenehm gestärkt und befreit von all den Dingen, die mir dabei in die Quere kommen könnten. Und ich hatte Hunger… Es war der erste Gedanke, der mir kam und so schob ich mich zur Bettkante, befreite mich von der Decke und setzte die Füße auf den kalten Boden. Nicht einmal der tagtägliche Lärm des Treppenhauses war zu mir gedrungen. Auch das Einschlafen schien sehr schnell gegangen zu sein und nachdem ich auch mein Gesicht gerieben hatte, kam ich auf die Beine. Entgegen dem Knurren des Magens führte mich mein erster Weg zum Onsen. In meinem gestrigen Zustand hatte es mir wohl nichts mehr ausgemacht aber nun, da ich die Freiheit hatte, mich auch damit zu befassen, zog ich ein Bad allem vor. Es war eigentlich auch ganz passend. Die Chancen, zu dieser Uhrzeit auf keinen Anderen zu stoßen, der dasselbe vorhatte, standen gut und wirklich lagen die Umkleideräume völlig verlassen und leer vor mir, als ich mein Ziel erreichte. Leise fiel die Tür hinter mir zu, beiläufig streifte ich den Lichtschalter und kurz darauf blinzelte ich unter dem grellen Licht und warf das mitgebrachte Kleiderbündel auf die nächste Bank. Meine nächste Aufmerksamkeit galt der Wanduhr. Gerade noch dabei, aus den Schuhen zu schlüpfen, hielt ich inne und runzelte die Stirn. Es war nicht nur die halbe Nacht gewesen. In weniger als einer Stunde würde die Sonne aufgehen. Das war übel… und kopfschüttelnd befreite ich mich von meinen Kleidern und stieg in die heißen Quellen. So lange zu schlafen, lag nicht in meiner Natur und wirklich, als ich dort im warmen Wasser saß, die Hände unter der Oberfläche bewegte und trübe zu den nahen Bastwänden starrte, wurde ich mir der Tatsache bewusst, dass ich immer noch nicht vollständig wach war. Ich blinzelte vor mich hin und gähnte unter der drückenden Schwere des Wasserdampfes. Der übertriebene Schlaf machte träge, annähernd rückfällig und bequem rückte ich mich zurecht, schöpfte das Wasser mit beiden Händen und versenkte das Gesicht in ihnen. Angenehm perlte die Wärme auch über meine Schultern und ich bewegte die Arme, testete sie auf ihre Stärke und war nicht unzufrieden. Es fühlte sich gut an… alles an mir und gerade so, als läge eine schwere Zeit hinter mir, von der ich mich nun endlich gelöst hatte. Dazu bereit, das Leben weiterzuführen und alles so zu nehmen, wie es kam. So begann ich mich zu waschen, nahm mir Zeit und lauschte dem leisen Glucksen des Wassers. Vermutlich hatte der Schlaf nicht nur mir gut getan… möglicherweise standen einige Dinge heute besser, als am gestrigen Tag. Unter einem tiefen Atemzug senkte ich die Lider, tastete nach meinem Haar und zog es über meine Schulter. Meine Zehen ertasteten einen vereinzelten Stein, begannen sich ebenso abwesend mit ihm zu befassen, sowie meine Hände dem Verlauf der Strähnen folgten, etwas Ordnung hineinbrachten. So oder so… auf den kommenden Tag war ich neugierig und nahm es nach nicht allzu langer Zeit mit ihm auf. Gewärmt durch einen schwarzen Yukata verließ ich mein Zimmer. Die Hände in den weiten Ärmeln verborgen, machte ich mich auf den Weg zum Frühstück und verfolgte das allmorgendliche Treiben, das mir begegnete. Wissenschaftler eilten von einem Raum zum anderen, Finder zogen an mir vorbei und obwohl ich ihnen nur einen geringen Teil meiner Aufmerksamkeit schenkte, entging es mir doch nicht, wie viel Aufmerksamkeit ich selbst erhielt. Augen blieben länger an mir hängen, einige Gespräche endeten abrupt, nachdem man mich erspähte und selbst umdrehen tat sich ein Finder, nachdem ich ihn hinter mir gelassen hatte. Es wunderte mich nicht… die gestrige Euphorie über die erfreuliche Rückkehr schien sich spätestens jetzt auf das gesamte Hauptquartier ausgebreitet zu haben und ich bereitete meine Nerven auf so einige Herausforderungen vor. Nachteile gab es immer und ich würde alldem einfach entgehen, indem ich mir eine neue Mission geben ließ. Hoffentlich schon heute. Ich würde mich auf den Weg machen, ohne mit Verbitterung etwas zu erwarten, sobald ich zurückkehrte… ohne viel dafür tun zu müssen, dass meine Gedanken strikt auf meine Aufträge gerichtet blieben. Die Normalität hatte mich wieder und so schenkte ich all den Reaktionen schlichtweg keine Beachtung, öffnete die Tür zum Speiseraum und schob mich hinein. Nur flüchtig verschaffte ich mir einen Überblick, festigte den Sitz der Wajaris und zog durch die Tischreihen. Viele waren noch nicht hier, weshalb mir die Lautstärke noch nicht viel abverlangte. Nur vereinzeltes Klirren und Rascheln, sowie leise Gespräche zwischen den Findern. Die waren nicht von Belang. Das letzte Mal noch angespannt und voller Befürchtungen, hatte ich mich diesmal nur beiläufig nach dem Jungen umgeschaut und es einfach abgetan, als ich ihn nicht sah. Er hatte noch nie ein Problem damit gehabt, länger zu schlafen. Bestimmt tat er es immer noch und unter diesem Wissen atmete ich tief durch. Die Lügen, mit denen ich mich in letzter Zeit verzweifelt ruhig stellte, waren diesmal die reine Realität, in der ich mich entspannt bewegte und meiner alten Rolle in diesem Gebäude wieder treu wurde. Ohne mich erneut umzusehen, erreichte ich den Tresen, versenkte die Hand im weiten Ausschnitt des Yukata und kratzte meine Brust. Es gab keinen Anlass, ich assoziierte nicht aufgrund einer Begebenheit… doch plötzlich driftete ich zurück zur vergangenen Nacht, in welcher ich ihn endlich fand. Zurück zum vergangenen Tag, an welchem ich mit ihm zurückkehrte und es letztendlich doch alleine tat. Es war soviel vorgefallen, dass sich meine Stimmung in eine völlig unerwartete Richtung lenkte. Abwesend zupfte ich am robusten Saum, hakte den Daumen unter den Stoff des breiten Gürtels. Es war letztendlich sogar Wut gewesen. Ein seltsames Zusammenspiel von Zorn und Enttäuschung, unter der ich irgendwann nur noch kapitulierte. Mit dem Schlaf hatte ich alldem ein striktes Ende bereitet und zugegeben, mehr als diese leichte Entspannung war auch am heutigen Tag nicht in mir zurückgeblieben. Das Wissen, dass er wieder hier war… ohne, dass ich die Freude der anderen teilte. Ein seltsames Gefühl. Eine Wendung, die mich nicht wirklich berührte. „Uhh…!“ Eine Bewegung riss mich aus meinen Gedanken und als ich aufblickte, hatte sich mir ein Mann genähert, dessen Freude und Heiterkeit das normale Maß bei weitem überstiegen. Das breite Grinsen, die sonnige Miene und nachdenklich nahm ich diesen weiteren glücklichen Menschen wahr, wurde von Kopf bis Fuß gemustert. „Na so etwas...!“ Begeistert folgten Jerrys Augen dem Stoff des Yukata, selbst über den Tresen lehnte er sich, um auch die Wajaris zu begutachten. „Heute ganz leger?“ Seufzend presste er die Hände, schmiegte sich gegen das Holz der Theke. „Bei so einem wundervollen Anblick kann es nur ein herrlicher Tag werden! Findest du nicht auch, Kanda?“ Ja, natürlich… Auch hier traf ich auf die alte, heitere Realität… und mit jedem Seufzen, mit jedem Grinsen des Kochs fühlte ich mich, als wäre ich kein Teil von ihr. Ich stand dort mit derselben Miene, mit derselben Säuerlichkeit aber in mir war nicht vielmehr, nichts, das der Art des Mannes auch nur im Geringsten ähnelte. „Was darf ich dem Held des Tages bringen?“ Somit spähte ich kurz zu seiner Sonnenbrille, rümpfte die Nase und starrte zur Seite. „Das Übliche.“ „Och…!“ Jerry wirkte enttäuscht und kritisch lugte ich zu ihm zurück. „Nichts Besonderes? Du hast dir ein Essen verdient, das du dein ganzes Leben lang nicht mehr vergisst! Eine Speise, in die ich meine ganze Liebe… meinen ganzen Dank stecken kann!“ Ich zeigte mich wenig begeistert, hatte noch nie Lust darauf gehabt, mich mit knurrendem Magen über das weit entfernte Essen zu unterhalten und auch diesmal verzog ich nur das Gesicht und stellte mir die Frage, was in den Köpfen der anderen vor sich ging. So oder so… niemand kannte meine persönlichen Beweggründe und letztendlich und offiziell blieb es eine meiner Pflichten, für einen Kollegen einzustehen! Für die Ausübung meiner Pflichten hatte man mir nicht zu danken… und vor allem nicht sie. Komui, die Wissenschaftler, jetzt auch Jerry… Es gab nur einen Einzigen, vom dem ich Dank erwartete. „Ich will nur die Nudeln“, murrte ich letztendlich. „Mm…“ Der Koch verzog den Mund, rappelte sich auf und schien kurz zu grübeln, bevor sich sein Gesicht erhellte. „Ah… weißt du was? Dann gebe ich mir heute einfach noch mehr Mühe bei deinem Leibgericht! Ich schwöre dir, du wirst meine Liebe und meine Dankbarkeit schmecken!“ „Ich will sie so, wie immer!“ Es war wohl sicherer, das noch einmal klarzustellen, bevor er die Möglichkeit hatte, sich an sein fragwürdiges Werk zu machen. Eine düstere Befürchtung offenbarte mir ein wild verziertes Tablett und Nudeln, die durch die ganze Liebe und die Dankbarkeit schlichtweg ungenießbar wurden. Und hoffentlich hatte er es gehört, denn er war bereits auf dem galanten Rückweg zur Küche und kurz darauf in ihr verschwunden. Es war belastend und noch viel schlimmer, seitdem er der depressiven Phase entkommen war. Eigentlich schade, dass ich nicht dazu imstande gewesen war, seine stillen und ruhigen Momente auszukosten. Ich stieß einen langen Atem aus, straffte die Schultern und schwang mit einer knappen Bewegung die Ärmel zurück. So verschränkte ich die Arme, regte die Zehen im Freien und warf einen knappen Blick über die Schulter. Es war nicht viel leerer geworden und bestimmt hatte es dem Gespräch an Zurückhaltung gefehlt. Wieder traf ich auf knappe Blicke, begegnete ihnen finster und kehrte den Anwesenden bitter den Rücken. Jerry erwartete einen wunderbaren Tag und ich eine anstrengende Prozedur. Die Nudeln waren letztendlich recht annehmbar. Nur ein ungewohntes, komisches Kräuterblättchen verzierte den Rand der hölzernen Schale und ich ließ dem Koch keine Zeit für weitere Worte, zog das Tablett zu mir und wandte mich ab. „Lass es dir schmecken, Kanda!“ Laut erschallte sein Juchzen in der Halle und ich könnte es nicht eiliger haben, zwischen den Essenden zu verschwinden. Am ersten freien Tisch bog ich ab, wurde das Tablett los und ließ mich nieder. Kurz den Halt des Yukata überprüft, griff ich auch schon nach den Stäbchen und wischte das Blättchen von der Schale. Ich schmiss es einfach auf das Tablett, rückte mich zurecht und griff nach dem Tee. Ich nahm mir vor, nach dem Frühstück keine Zeit zu verschwenden und Komui aufzusuchen. Wenn es derzeit wirklich eine große Anzahl von Angelegenheiten gab, würde die nächste Mission vermutlich nicht lange auf sich warten lassen. Es wäre mir auch gleich, wie lange ich unterwegs wäre. So oder so, wenn ich zurückkehrte, würde sich die Euphorie wohl wieder gelegt haben. Dann wäre es bestimmt wieder erträglich und ich keiner mehr, dem man mit Dankesreden die Zeit stahl. Leise setzte ich die Tasse ab, versenkte die Stäbchen in den Nudeln und begann endlich zu essen. Es schmeckte genauso, wie immer. Jerry hatte sich wirklich zusammengerissen und das erste Mal seit langem vertiefte ich mich wirklich in diesen Geschmack, kaute genügsam und ließ mich nicht stören. Je mehr Zeit verging, desto mehr füllten sich auch die benachbarten Bänke. Gruppen von Findern strömten in die Halle, Wissenschaftler schlürften gähnend an mir vorbei und vorsorglich tat ich so, als würde ich die einzelnen nicht bemerken. Alles, nur damit sie ihre Vorträge von gestern nicht fortsetzten und mich in Frieden essen ließen. Und sie taten es. Es war schon gut so. Wir konnten ruhig wieder unsere eigenen Wege gehen. Übertrieben geschätzt zu werden, war niemals meine Absicht gewesen und für die nächsten Minuten behielt ich es stur bei, ausschließlich auf meinen Teller zu starren… höchstens über ihn hinaus zur Tasse oder zum Wasabi-Schälchen. Mechanisch strich ich mir währenddessen eine Strähne von der Wange, zupfte am Saum des Yukata und stahl mich erst aus meiner dunklen, unauffälligen Vertiefung, als sich gar nicht weit entfernt, diese bekannte Stimme erhob. Nur flüchtig verlangsamten sich meine Bewegungen, nur leicht blickte ich auf und ließ die Nudeln dennoch nicht außer Acht. Nur ein Fetzen des vertrauten Ausdruckes zwischen den vielen und wirklich zog kurz darauf eine Gruppe vorbei, welcher er sich angeschlossen hatte. Bequem schluckte ich hinter, schöpfte unter dem Brennen des Wasabi tiefen Atem und langte nach der Tasse. Die Gestalten erschienen und annähernd beiläufig spähte ich über den Rand der Tasse zu ihnen. Ich schien mich wirklich unauffällig zu verhalten… jedenfalls wurden sie nicht auf mich aufmerksam. Denn wären sie es geworden, hätte ich die nächsten Kommentare zu hören bekommen. Wie wunderbar. Auch Lavi konnte wieder grinsen und scherzen. In eine, seiner Meinung nach humorvolle Erzählung vertieft, gestikulierte er mit den Händen, verlangte Linali so manches Lachen ab. Gemeinsam waren sie unterwegs zum Tresen und zwischen ihnen, nein, eher etwas zurückliegend, dieser Junge. Er bummelte hinter ihnen und oft drehte sich Lavi stolpernd um, um ihn einzubeziehen in seine neuesten, interessanten Erkenntnisse. Langsam regte ich die Finger auf der Tasse, umschloss sie lockerer und nippte kurz darauf nur noch. Ich war in diese Beobachtung vertieft und es bot sich mir so einiges. Sein weißes Haar hatte seine reine, saubere Helligkeit wieder und war mit einem dünnen Gummi zurückgebunden worden. Einzelne und lose Strähnen wippten unter seinen schlendernden Schritten, während er das Gesicht des Öfteren von seinen Begleitern abwandte und um sich spähte. Von einer Seite zur anderen, als hätte sich hier viel verändert. Selbst über mich drifteten seine grauen Augen hinweg und empor zur Decke. Auch sein Gesicht war sauber… durchaus noch etwas blass, wirkte er dennoch ausgeschlafen und recht gekräftigt. Annähernd abwesend tastete sich seine schwarze Hand kurz darauf über den schwarzen Stoff des Hemdes und ausgiebig kratzte er sich den Steiß, bis sie den Tresen erreichten und Lavi seine alte Aufmerksamkeit forderte. Er schien da in wirklich spaßige Gespräche verwickelt und ich sah ihn nicken, jedoch vielmehr die Küche fixierend. Lachend presste sich Linali beide Hände auf den Mund und währenddessen war auch der Junge ein Teil des Mittelpunktes. Die Leute hatten etwas Neues zum Starren und schweigend löste ich meine Augen von ihm und die Tasse von den Lippen. Ich stellte sie ab, rieb mir den Mund und begutachtete die restlichen Nudeln. Viele waren es nicht mehr und trotzdem offenbarte mir mein Körper immer noch dieses Hungergefühl. Die Mahlzeiten waren auch bei mir etwas zu kurz gekommen und so vertiefte ich mich wieder in das Essen. Hier begegnete mir genau das, wonach ich mich Tag für Tag gesehnt hatte. Dass ich im Speiseraum auf ihn traf. Dass er einfach nur hier war und seiner Wege schlenderte. Laut erschallt das freudige Juchzen des Kochs in der Halle und ich schenkte ihm keine Beachtung, neigte mich zu den Stäbchen und versenkte die nächsten Nudeln im Mund. Eigentlich war es auch wie immer. Wir trafen hier oft aufeinander, oft auch nach gemeinsamen Nächten und prinzipiell driftete unsere Aufmerksamkeit gekonnt am anderen vorbei. Wir grüßten uns nicht, schenkten uns keine Beachtung und taten es später umso mehr. Es war eine Routine, die wir zur Perfektion getrieben hatten, doch… ich wendete die Stäbchen zwischen den Fingern, kratzte im Wasabi und rümpfte die Nase. Verbunden mit seiner gestrigen Abweisung, seiner Resigniertheit und der Abneigung allem gegenüber, fühlten sich sein Erscheinen und seine Aufmerksamkeit an diesem Morgen sonderbar an. Ich genoss diesen Moment nicht, ich wurde mir nicht der alten Erleichterung bewusst. Heute fühlte ich mich selbst abweisend und resigniert dem gesamten Umfeld gegenüber und mit seinem Erscheinen wurden diese Gefühle nur noch verstärkt. Und ich fühlte mich abgeneigt… möglicherweise auch ihm gegenüber. Erschöpfung hin oder her, vermutlich hatte er auch einiges durchgemacht aber meine Geduld, sowie meine Nachsicht hatten bereits am gestrigen Tag ihr Ende gefunden. Er hatte mir gegenüber so einiges nachzuholen. Ich hatte es nicht nur für mich getan. Wäre ich nicht aufgebrochen… ich hätte überlebt! Mit der Belastung der allseitigen Trauer, im Stillen auch belastet von der Eigenen hätte ich trotzdem weitergeatmet, wäre weiterhin meinen Pflichten nachgekommen… während er verhungerte, verdurstete oder den Akuma zum Opfer fiel, die ihn in seiner völligen Erschöpfung ausfindig machten und seinem Leben ein Ende bereiten. Ganz im Gegensatz zu ihm, war mein Überleben nicht von dem Anderen abhängig gewesen! Ja, es war Zorn aber der veränderte mein äußerliches Erscheinungsbild nicht sonderlich. Ich blieb einfach sitzen, starrte auf diese Nudeln und zog bald die Letzten aus der Schale. Zeitgleich, wie auf dem gegenüberliegenden Tisch ein riesiges Tablett mit hochgestapelten Schalen und Tellern abgestellt wurde. Ein lautes Scheppern machte mich darauf aufmerksam, brachte mich jedoch nicht dazu, aufzublicken. Da gab es nichts Neues zu sehen und ich grübelte nicht lange, warf die Stäbchen auf das Tablett, griff danach und erhob mich. Heute würde ich wohl auch etwas länger bleiben und kurz tastete ich mit den Zehen nach der verlorenen Sandale. „Oh… Yu?! Guten Morgen! Mein Gott, wir haben dich gar nicht gesehen!“ Ich bekam sie zu fassen, schlüpfte unter die Riemen und blickte düster auf. Keine zwei Meter entfernt war Lavi soeben sein Frühstück auf dem Tisch losgeworden. Die Hände noch am Tablett, starrte er mich an und ich schob mich hinter dem Tisch hervor. Heute überhörte ich bestimmte Worte… tat es beinahe, ohne es zu bemerken. „Hast du dich etwa versteckt?“ Verspielt zog der Rotschopf eine Grimasse und wie hätte ich es begrüßt, wenn er sich auf seinen Hintern setzte und sich den Mund mit seinen Hörnchen stopfte. Aber er machte sogar Anstalten, sich mir zu nähern. Beinahe stellte er sich mir in den Weg. „Oijoi…!“ Seine Augen weiteten sich, als er von meiner Kleidung abgelenkt wurde und langsam schlossen sich meine Hände fester um das Tablett. „Heute magst du es gemütlich, was?“ Sein Lachen versuchte ich aus meiner Wahrnehmung zu drängen, wurde ebenso abgelenkt von einem leichten Wink, der meine Augen zu Linali führte. Vor sich eine dampfende Suppe, lächelte sie mir sonnig entgegen. „Guten Morgen, Kanda. Hast du es dir schön schmecken gelassen?“ Nur kurz hatte ich sie angesehen, war vielmehr zu dem Jungen weitergedriftet, der neben ihr saß. Ganz im hysterischen Essen vertieft, war er der Einzige, der nichts von sich hören ließ und nur nachlässig richtete ich ein lustloses Nicken an Linali, bevor ich mich an den Schlimmsten von ihnen richtete. „… werden heute noch viel Spaß haben“, drang auch sein Geplapper wieder in mein Bewusstsein und kurz darauf sah ich ihn krampfhaft blinzeln. Entweder er wollte mir irgendetwas mitteilen oder hatte sich einen Gesichtsmuskel geklemmt. Beides nichts, was mich interessierte, ganz im Gegensatz zu meinem Ziel, von welchem er mich abhielt. „Magst du nachher vielleicht…“ „Du stehst mir im Weg.“ Trocken unterbrach ich ihn, schürzte die Lippen und sah ihn endlich verstummen. Unter einem schmollenden Seufzen endete sein Redeschwall und kurz darauf starrte er nur perplex auf mein Tablett, das ich gegen ihn schob, ihn zur Seite drängte und mir den Weg frei räumte. „Och… komm schon, ist das dein Ernst? Jetzt setzt du schon das Tablett gegen mich ein…?“ Zermürbt blieb er stehen, als ich endlich an ihm vorbeikam und noch immer erhoben sich das permanente Klirren des Besteckes und das Schmatzen in meinem Rücken. Mein Zorn war derzeit zu anspruchsvoll, was die Gründe anging. Zu anspruchsvoll, als dass sich der Rotschopf einen Teil davon ergattern könnte. An der Theke angekommen, blieb ich nicht lange alleine. Jerry hatte seine alte Schnelligkeit zurück und mit einem knappen Nicken wies ich auf das Tablett. „Noch eine Portion.“ „Eh?“ Abrupt hielt er inne, spähte überrascht zu mir auf und kam kurz darauf doch nicht um das breite Grinsen. „Na, so etwas aber auch! Da hast du ja mal einen Appetit mitgebracht. Nicht mehr lange und du machst Allen Konkurrenz.“ Worin? In bizarrem Auftreten? Meine Miene wurde von keiner einzigen Regung heimgesucht, über meine Lippen kam kein Ton aber Jerry schien auch nicht mit einer Antwort gerechnet zu haben. „Bin schon dabei!“ Winkend und das Tablett auf dem Unterarm, verschwand er in der Küche und ich stand wieder dort, starrte auf die zufallende Tür und sehnte mich mit jedem Augenblick mehr nach einer Mission, die mich vorerst weit weg führte. Er hatte mich in den letzten Tagen so intensiv beschäftigt… alles hatte sich nur um ihn gedreht und ich hatte nicht erwartet, dass es nach seiner Rückkehr genauso weiterging. Fragen, keine Antworten und daneben die pure Unzufriedenheit. Schweigsam nahm ich so auch das nächste Tablett entgegen, sah mich nach einem anderen freien Tisch um und kehrte letztendlich und gezwungener Maßen nur zu dem Alten zurück. Die Lärmkulisse war unterdessen immens und es war ein Wunder, an der Gruppe vorbeizukommen, ohne, dass es weitere Kommentare gab. Kauend und bequem saßen sie beieinander und ich ließ mich auf dem alten Platz nieder. Vor mir zwei Rücken und glücklicherweise nicht zu sehen, der Rotschopf, gab es Aussichten auf eine gewisse Ruhe und ich forderte nichts heraus, hielt mich bedeckt und machte mich an den Nudeln zu schaffen. „Mm…“, es dauerte nicht lange, bis Lavi zwischen seinem Gebäck zu nuscheln begann. Nur undeutlich drang seine Stimme zu mir und wieder konzentrierte ich mich nur auf mein Frühstück. „Sag mal, Allen… du siehst immer noch etwas käsig aus. Bist du sicher, dass du nicht mal im Krankenflügel vorbeischauen willst?“ „Lavi hat Recht.“ Sofort mischte sich Linali ein und kurz rührte ich nur im Nudelberg, bevor ich ihn verkleinerte. „Es ist immer besser, sicherzugehen.“ Das heftige Scheppern und Kratzen setzte sich fort und auch ich schnappte nach meinen Nudeln, tastete nebenbei nach der Tasse. „Nicht doch.“ Die Worte des Jungen waren noch schwieriger zu entschlüsseln, als die des Rotschopfes. Er schien eine kurze Pause zu machen, kaute noch nebenbei. „Allein durch eure Beforgnis geht’s mir gut.“ „Allen, du Scherzkeks.“ Lavi hörte sich beinahe geschmeichelt an. Ihm gegenüber räusperte sich auch Linali. Die Worte verliefen sich in einem kurzen Lachen und schon klapperte das Geschirr weiter. Ich selbst hatte kurz innegehalten, die Stirn gerunzelt und den Entschluss gefasst, dass es an den Worten nichts gab, worüber man lachen könnte. Die Stäbchen zwischen den Fingern festigend, lugte ich zur Seite, fuhr mir mit dem Handrücken über den Mund und beschäftigte mich kurz darauf wieder mit den Nudeln. Vielleicht fasste ich seine Worte durch meine Grundstimmung anders auf, doch während Lavi darüber lachte und der Junge als humorvoll dargestellt wurde… sah ich in dem Gesagten einen bitteren Vorwurf, eine unauffällige und dadurch umso heftigere Andeutung auf eine unterlassene Hilfe, durch die sich nichts, aber auch gar nichts verbesserte. Ein Unterton, der mich stocken ließ und meine Konzentration restlos von dem Frühstück löste. Was ging hier vor… „Ist das lecker.“ Seufzend regte sich Linali auf der Bank, rückte an ihrem Schälchen und lugte zu ihrem Nebenmann. Und sie lächelte immer noch, verfolgte annähernd genießerisch das Schlingen und Schmatzen. „Na, den Appetit hast du auf jeden Fall nicht verloren.“ Von der gegenüberliegenden Tischseite richtete sich kurz ein Hörnchen auf den Jungen und wieder ertönte das Lachen der jungen Frau. Diesmal gab es keine Erwiderung und so wurde kurz darauf auch wieder in der Suppe gelöffelt. „Und gut geschlafen hast du auch?“, erkundigte sie sich, bevor sie sich zum Löffel neigte. „Mm-mm.“ Sofort wurde neben ihr genickt. Nur kurz tauchte die schwarze Hand auf, um nach einer Serviette zu tasten. „Soviel Ruhe hatte ich lange nicht mehr.“ „Wirklich…?“ „Muss ja sehr Nervenaufreibend gewesen sein.“ „Mm… kaum Zeit zum Durchatmen.“ Kurz bekamen meine Zähne die Unterlippe zu fassen… bis mich ein leichter Schmerz durchzuckte und ich die Stäbchen auf dem Weg zum Mund so fest umklammerte, wie noch nie zuvor. „Ach…“, und die heiteren Gespräche gingen weiter. Linali hielt sie am Laufen, „… Allen, mein Bruder hätte dich nachher auch gerne gesehen.“ „Mm…“ Der Junge zuckte mit den Schultern und durch die Nudeln kratzte ich über den Boden der Schale. „Na klar, für ihn habe ich doch immer Zeit.“ So, wie er für ihn? Nur wenige Nudeln blieben zwischen den Stäbchen hängen, als ich sie hob… im Mund hatte ich seit kurzem keine mehr und irgendwie stand mir plötzlich auch nicht mehr der Sinn danach. Wem schleuderte er all diese scharfen Vorwürfe entgegen! Er war kein Mensch, der sich viel beschwerte… erst recht keiner, der es unauffällig tat. Wenn er etwas zu sagen hatte, tat er es Normalerweise auch. Leicht senkte ich den Kopf, starrte auf die Stäbchen und schöpfte tiefen Atem. Auf dem Nachbartisch wurde entspannt weitergegessen. „Erzählst du uns nachher noch ein bisschen mehr?“ Schlürfend leerte Lavi sein Glas, rammte es auf den Tisch zurück und zückte ein Messer. Das nächste Hörnchen ließ nicht lange auf sich warten. „Ja.“ Wieder konnte Linali nur nicken. „Wir wissen immer noch nicht, was eigentlich passiert ist.“ Nachdenklich hielt sie inne. „Natürlich nur, wenn du möchtest, Allen.“ „Ach.“ Entspannt ertönte neben ihr ein leises Lachen. Sie nahm es einfach hin, während ich unter diesem humorlosen Laut beinahe erschauderte. „Viel gibt es da nicht zu erzählen.“ Geräuschvoll gingen meine Stäbchen auf das Tablett nieder, sofort griff ich auch danach und ich hatte nicht vor, die nächste Bemerkung abzuwarten. Ich kam auf die Beine, meine Augen umgingen den bestimmten Punkt weiträumig und schon war ich auf dem Weg zurück zum Tresen. Zügiger, als ich gekommen war und es verging kaum eine Minute, bis ich den Speiseraum verlassen hatte. Es rumorte soviel in mir, soviel ließ mich auf den ersten Schritten im Flur zittern und beben. Es fühlte sich an, als wäre ich einer von denen, an die er die Vorwürfe richtete! Völlig unverblümt und gerade so, als wäre man zielstrebig darauf ausgewesen, einfach grausam zu ihm zu sein! Es zog sich einfach in die Länge. Nichts kam, wie ich es erwartete. Eine kleine Ausnahme würde wohl der Besuch bei Komui sein. Ich konnte mir vorstellen, wie er heute aussah, konnte ahnen, welche Stimmung herrschte und wie anstrengend sie sich auf mich auswirken würde. Jeder hatte diese Nacht wohl das erste Mal seit langem mit einem gesunden Schlaf zugebracht und wirklich, schon, als ich die Wissenschaftsabteilung betrat, spürte ich eine heitere, allgegenwärtige Befreitheit. Wenn sie auch müde aussahen und in Bergen aus Arbeit ertranken, meine Augen streiften grinsende Gesichter, entspannte Mienen und richteten sich stur geradeaus, als man mich mit einem heiteren Wink begrüßte. „Morgen Kanda!“ River lehnte sich aus seinem Stuhl, nebenbei konzentriert einen Stapel von Papier ausbalancierend. „Gut geschlafen?“ „Mm.“ Naserümpfend wollte ich nur zu dieser Tür und grinsend kreuzte Johnny meinen Weg, als ich das Ziel beinahe erreicht hatte. „Jedenfalls sieht er wieder richtig gesund aus“, vernahm ich seine frohgemute Stimme in meinem Rücken und sofort erhob sich ein zustimmendes Murmeln. Sie konnten sagen, was sie wollten. Einfach alles, wovon sie keine Ahnung hatten. Ich klopfte nur an diese Tür, achtete nicht auf ihre Worte und entzog mich alldem, sobald ich eine Antwort erhielt. Ich betrat das Büro Komuis, sah ihn telefonieren und mir entspannt zuwinken. Es schien sich um keine sonderlich wichtige Angelegenheit zu handeln. Munter und redselig befasste er sich noch mit dem Hörer, als ich das Sofa hinter mir ließ und mich auch hier auf so einiges vorbereitete. Er war heute sehr gesprächig. Vielleicht wurde es für mich zum Nachteil und flüchtig gab ich mich seiner Musterung hin, während ich mich niederließ und abwartete. „Da hast du schon Recht… ja, aber natürlich.“ Grinsend lehnte er sich zurück, wendete den Hörer an das andere Ohr und schickte mir eine knappe Handgeste. Er bat um Geduld und ich schürzte die Lippen, rutschte etwas zurück und zupfte am Saum des Yukata. „Also bitte.“ Komuis Gesicht wurde von einer knappen Entrüstung befallen. „Du solltest es mehr zu schätzen wissen, dass du einmal Recht hattest. Es kommt…“, er wurde unterbrochen, zog eine Grimasse, „… nein, das kommt so gut wie nie vor! Wovon redest du bitte?“ Ein leises Stöhnen erhob sich in dem Zimmer und unterdessen waren es die schwarzen Mappen, die mein Interesse darstellten. Es waren wirklich viele… der Stapel hatte kaum an Größe abgenommen und all das machte mich recht zuversichtlich, nicht mehr lange hierzubleiben. „Ja, ja… ich hab doch auch zu tun. Glaubst du, ich drehe hier Däumchen? Natürlich habe ich angerufen aber es war doch wichtig.“ Entspannt und unbeteiligt lauschte er in den Hörer und ich meinte, die aufgebrachte Stimme des Gesprächspartners bis zu mir zu hören. „Schon gut, dann mach dich einfach wieder an die Arbeit.“ Endlich richtete er sich auf und kündete das Ende des Telefonates an. „Mach’s gut, Bak-Liebling.“ In der Leitung wurde weitergeschrien aber dafür hatte Komui nur ein leises Lachen übrig und bevor ich mich versah, lag der Hörer wieder da, wo er hingehörte. „Na, Kanda? Zurück von den Toten?“ Schmunzelnd rückte Komui an wahllosen Unterlagen und ich riss mich von den Mappen los, runzelte die Stirn. „Wir dachten schon, du lässt dich gar nicht mehr blicken.“ Das sagte er, nachdem er mir soviel Zeit gab, wie ich brauchte? Letztendlich war und blieb es hier trügerisch aber er war schon darüber hinweg, lehnte sich zurück und drehte Däumchen. „Aber es scheint sich ausgezahlt zu haben. Du siehst besser aus, als gestern.“ Entspannt musterte er mich, bemerkte scheinbar schnell, dass ich nicht gekommen war, um über so etwas zu sprechen. „Was kann ich für dich tun?“ Konnte er es sich nicht denken? Vor kurzem ließ er noch jeden von uns pausenlos rennen und klagte über die zahlreichen Aufträge und jetzt stellte er diese Frage, als meine er es wirklich ernst? „Ich bin bereit für die nächste Mission.“ „Was? Du willst heute schon los?“ Eine seltsame Verblüffung ergriff von seinem Gesicht Besitz und ich selbst wurde von einer gewissen Skepsis befallen, erwiderte seinen verwunderten Blick kritisch. „Wenn es viel zu tun gibt, liegt das nahe.“ „Na ja.“ Seine Daumen umkreisten sich auch weiterhin und kurz darauf zuckte er nur mit den Schultern. Den Berg der schwarzen Mappen wurde dabei nicht beachtet. „Wie wäre es denn mit morgen?“ „Wie wäre es mit heute?“, murrte ich zurück und hatte schon nach diesen wenigen Worten keine Lust, weiterhin um den heißen Brei herumzureden. Ich traf hier auf eine ungewohnte Reaktion und mir gegenüber wurde tief durchgeatmet. Komuis Augen durchschweiften den Raum, bevor er zu dem alten Lächeln zurückkehrte und den Anschein erweckte, als wolle er mir endlich eine Antwort geben, mit der sich etwas anfangen ließ. „Es ist so.“ Mit einem Mal richtete er sich auf, zupfte an einem einzelnen Blatt und wirkte beinahe heimlichtuerisch. Verständnislos verengte ich die Augen. „Wir veranstalten heute Mittag eine kleine Party für Allen. Und so eine Feier wird nur gut, wenn viele dabei sind, oder nicht?“ War das sein Ernst? Mit offenem Mund sah ich ihn an und das einzige, was mich wirklich beschäftigte, war die Tatsache, dass er mich plötzlich in peinliche Feiern einplante. Allein der Gedanke daran versetzte mein Gesicht in offensichtliche Regungen und Komui entging es nicht. „Bis heute Mittag werden auch Crowley und Miranda hier sein.“ Dennoch fuhr er fort, als würde diese Tatsache etwas an meiner Einstellung ändern und ich war nur zu einem knappen, resignierenden Kopfschütteln imstande. „Wir überraschen ihn. Was hältst du davon?“ „Als ob ich kommen würde!“, murrend lehnte ich mich zurück und auf der anderen Seite des Schreibtisches rutschte Komui etwas in sich zusammen. „Wir dachten nur, du, der ihn zurückgeholt hat, hätte vielleicht auch Lust…“ „Komui!“ Verwirrt verzog ich das Gesicht, hob die Hände. „Gib mir meine Mission. Das interessiert mich nicht!“ „Och… nicht einmal der freie Tag würde dich reizen?“ Wem, glaubte er, saß er hier gegenüber! Seine Fragen stellten sich einfach nicht! Ganz im Gegensatz zu einer Tatsache, derer ich mir bewusst wurde. Eine seltsame Begebenheit, von der ich nicht wusste, was ich darüber denken sollte. Vor kurzem hatte ihm selbst ein einziger Exorzist gefehlt, um ihn auf eine möglicherweise lebensrettende Mission zu schicken und jetzt, keine zwei Tage später, behielt er jeden von uns hier, um eine Party zu feiern? Ganz plötzlich überfiel mich diese Tatsache, ließ mich kurz schweigsam und nachdenklich verharren. „Wie wäre es mit heute Abend?“ Komuis Stimme ließ mich aufblicken. Vertieft rieb ich mir das Kinn und sah ihn an. Vermutlich war es der gänzlich falsche Moment, um meine Gedanken auszusprechen. Ich war ohnehin nicht gut darin und so erbrachte ich kaum eine Antwort, verzog nur die Brauen und starrte zur Seite. „Du musst auch nicht unbedingt kommen, wenn du wirklich gar keine Lust darauf hast.“ Oh doch, und wie er darauf bestand. „Du machst dir einfach einen schönen Tag. Tust das, wonach dir der Sinn steht und heute Abend kommst du einfach wieder zu mir und bekommst deine Mission.“ Eindringlich sah er mich an und ebenso nachdrücklich starrte ich zurück und fragte mich, was in ihm vorging. Er wusste es doch längst. Wie ich zu solchen Feierlichkeiten stand. Auch, dass alle Bemühungen nichts brachten. Ich war einfach nicht interessiert. Lag es vielleicht daran, dass es sich um den Jungen handelte? Hatte ich durch meinen ungewöhnlichen Eifer eine Vermutung in ihm geweckt? Mir entrann ein dumpfes Stöhnen, unter welchem ich mich etwas aufrappelte, mir den Hals kratzte und die Lippen aufeinanderpresste. Es lag mir wirklich nichts daran aber vermutlich spielte es letzten Endes keine Rolle, wie sehr ich mit ihm diskutierte. Er hatte seine Hoffnungen und so kapitulierte ich. „Heute Abend.“ Ich stellte es klar, wollte mir diese Tatsache sichern und sah, wie sich Komuis Gesicht sofort erhellte. Natürlich würde ich nicht kommen aber trotzdem schien er ein Ziel erreicht zu haben und nickte. „Selbstverständlich.“ Sofort sah er sich nach seiner Tasse um und ich kam auf die Beine. „Also dann, bis nachher.“ „Ts.“ Augenrollend wandte ich mich ab, zog um das Sofa herum und verließ das Büro. Immer noch den Kopf schüttelnd ließ ich auch die Tür hinter mir und glättete den Stoff des Yukata mit beiden Händen. Wie stellte er sich das nur vor? Nach achtzehn Stunden Schlaf war es alles andere als weitere Freizeit, die ich brauchte! Knapp spähte ich zu den Wissenschaftlern, konnte ihre anhaltende Freude in der Zwischenzeit deuten. Eine Überraschungsparty also… Stirnrunzelnd wandte ich mich nach vorn, erreichte die nächste Tür und trat in den Flur hinaus. Tun, wonach mir der Sinn stand. Es gäbe viel, würden die Tatsachen anders liegen. Wirklich, in anderen Fällen hätte ich diese Freizeit wohl begrüßt und sie nur mit Widerwillen getarnt, um meiner Rolle treu zu bleiben. Es gab nichts, was ich wirklich tun wollte und die Augen auf den Boden gerichtet, löste ich mich von der Tür und machte mich auf meinen ziellosen Weg. Die Meditation wäre etwas, worin ich mich erneut versuchen könnte. Vermutlich stand es mit den Vorraussetzungen nun deutlich besser und in diesen Gedanken verfangen, nahm ich abrupt Bewegungen wahr. Eine Gestalt drang in meine Wahrnehmung, ließ mein Sinnieren enden und mich aufblicken. Die Hände in den Hosentaschen verstaut und in einen schlendernden Gang vertieft, zog mir dieser Junge entgegen. Wahrscheinlich zu dem Ort unterwegs, von welchem ich soeben kam und es war die erste, knappe Aufmerksamkeit, die unsere Blicke aufeinandertreffen ließ. Er setzte heute scheinbar ebenso gedankenlos einen Fuß vor den anderen und wirkte in den ersten Augenblicken selbst überrascht. Eine knappe Regung durchzog seine junge Miene, seine Brauen hoben sich und dennoch wandten wir uns zeitgleich ab und blieben unserem Weg treu. Es war ernüchternd und tief atmete ich unter der leichten Brise auf, als wir aneinander vorbeizogen, uns die Rücken kehrten und ich die Augen zurück auf den Boden nagelte. Es hatte sich nicht viel verändert. Ich war strikt und niemand von denen, die seine Kommentare oberflächlich und unbedacht auffassten. Ich war niemand von denen, die ihm nachliefen und mit einer knappen Kopfbewegung warf ich mir das Haar aus der Stirn und blinzelte zu dem Quergang, auf den ich es abgesehen hatte. Leise schallten seine Schritte in meinem Rücken, verloren mit jedem Augenblick an Lautstärke sowie an meiner Beachtung. Gestern war es doch nicht anders gewesen. Ohne Worte, ohne einen zweiten Blick und mit verschiedenen Zielen. Die Belastung war greifbar… greifbar für mich, da dieser Augenblick so unerwartet kam, wie er ging. Ich rieb mir die Hände, spreizte die Finger und lauschte in die plötzliche Stille, die um mich herum ausgebrochen war. Keine Schritte außer meine eigenen und beinahe erreichte ich diesen Gang. „Kanda?“ Seine Stimme erhob sich leise in dem steinernen Gang. Es war nicht mehr als ein Murmeln und trotzdem gerieten meine Schritte sofort ins Stocken. Ich meinte, beinahe vergessen zu haben, wie sich seine Stimme anhörte, wenn sie sich völlig klar und rein, unbeeinflusst von jeglichen negativen Emotionen und Sarkasmus erhob. Natürlich war es angenehm und trotzdem hang mein Körper meiner Reaktion nach. Ich blieb entspannt, ruhig… beinahe unbeteiligt, als ich mich umdrehte und ihn dort stehen sah. Die dunkle Hand ruhte bereits auf der Klinke der Tür, die andere machte sich mit einem seltsamen Anflug von Nervosität am schwarzen Hemd zu schaffen. Ich sah sie zupfen und tasten, blickte zurück zu seinem Gesicht und las in seinen Zügen einen Ausdruck, der dem morgendlichen Auftritt völlig widersprach. Entspannung, entgegen der fleißigen Hand wurde seine Mimik von nichts anderem geprägt und nur leicht verzogen sich seine Brauen, während er augenscheinlich nach Worten suchte. Jetzt sprach er mich an? Hatte ich ihm gestern nicht genug Gelegenheiten geboten? Entgegen all der Abnormitäten, die mir in letzter Zeit begegneten… nun rutschen wir zurück zu unserem Ursprung und ich blieb der Unbewegliche, dessen äußere Hülle nicht auf die inneren Vorgänge schließen ließ. „Ich…“, seine Augen drifteten zur Seite, seine Hand regte sich an der Klinke, „… ich bin froh, dass du mich gefunden hast.“ Und er meinte es ernst. Selbst ihm fiel es zu manchen Zeiten nicht schwer, zu sagen, was er fühlte. Was hatte ihn gestern blockiert? Er presste die Lippen aufeinander, senkte den Kopf und vertiefte sich in ein selbstbestätigendes Nicken, während ich nur dort stand und es kurz darauf alleine tat. Ein weiteres Mal trafen unsere Blicke nicht aufeinander. Leise öffnete er die Tür und erst, als sie den Jungen verschluckte und sich wieder schloss, kam auch ich wieder vollends zu mir. War es so schwer gewesen? Hatten ihm diese wenigen Worte viel abverlangt? Wie angenehm wäre es gewesen, sie eher zu hören. Jetzt jedoch fühlte ich mich wenig bewegt… nicht zufrieden. Einfach so, als hätte ich es zur Kenntnis genommen… als wäre es mir nicht neu. Fest zurrte ich den Stoff um meine Hand, sicherte den Halt mit einem letzten Griff und verstaute das Ende des Stoffes unter der festen Bandage. Es saß fest, es spannte angenehm und beiläufig stieß ich den Sandsack mit dem Ellbogen an, bevor ich an ihm vorbeizog, barfuss über den steinernen Boden der Trainingshalle schlenderte. Mit einem letzten Griff überzeugte ich mich davon, dass mir meine Haare nicht in die Quere kamen, rollte mit den Schultern und blieb stehen. Ich stand dort und inmitten der wunderbaren, kühlen Stille dieser Halle, schöpfte tiefen Atem und wandte mich dem Sandsack zu. Mein Körper blieb in ständiger Bewegung. Schnell fiel auch mein Atem durch die großzügige Aufwärmung und schon bevor ich beide Hände zu Fäusten ballte, spürte ich, wie gut es mir tat. Mich wieder zurückzuziehen, mir diesen stillen Ort zu suchen und mich völlig zu verausgaben. Der Freizeit wurde die Tragik genommen, wenn ich sie mir zunutze machte und kurz darauf wurde die Halle von den dumpfen Schlägen erfüllt, die auf das robuste Leder trafen, den Sandsack in ständiger Bewegung hielten und alles an Kraft aufboten, was in mir steckte. Ein angenehmer Widerstand, eine wunderbare Losgelöstheit und völlig in die Bewegungen meines Körpers und in die Kontrolle vertieft, trat ich um den Sandsack herum, rammte den Ellbogen gegen ihn und kurz darauf die Faust. Rasselnd regte sich die Kette, nur kurz, bevor ich herumfuhr, den schweren Sandsack mit einem Tritt zur Seite drängte und ihn mit dem nächsten Schlag schon wieder aus der Schwungbahn riss. Gnadenlos trieb ich meinen Körper an seine Grenzen, spürte die Belastung meiner Muskeln und drängte mich dem Hindernis immer wieder entgegen. Alles an meinem Körper setzte ich ein, schob mich an dem schwingenden Gewicht vorbei, wich ihm aus und tastete flüchtig nach den Handriemen. Allmählich erhob sich mein Atem immer heftiger, warm pulsierte das Blut in meinem Kopf und fortwährend bearbeitete ich den Sandsack, hielt die Fäuste unter Spannung und übte mich im Nahkampf. Ich tat es nicht oft, konzentrierte mich zu gegebenen Zeiten lieber auf das Training mit dem Schwert, das die Grundlage meiner Arbeit darstellte, mich stets zu Verbesserung antrieb und meinen Durst in diesen Augenblicken doch nicht gelöscht hätte. Lange hatte ich mich nicht mehr dermaßen ausgetobt, hatte es lange nicht mehr nötig gehabt, überflüssige Anspannungen und Aggressionen abzubauen und tat es diesmal umso heftiger. Der Sandsack blieb in ständiger Bewegung und für kurze Zeit schlug ich nur noch auf ihn ein, tat es immer wieder und pausenlos, bis ich mich keuchend zurückstemmte und mir die Beine vertrat. Vereinzelte Strähnen hafteten im Schweiß meines Gesichtes und nur knapp wischte ich sie mit dem Unterarm zu Seite, schnappte nach Luft und bewegte die Hände. Den Sandsack ließ ich nur kurz außer Acht, nur kurz aus den Augen und nur wenige Sekunden später, trat ich schon wieder um ihn herum, trippelte auf der Stelle und ließ ihn die Fäuste spüren. Es war so zermarternd…! Das Verschwinden des Jungen, das für jeden anderen scheinbar als vergangenes Geschehnis abgehakt war, schien soviel verändert zu haben. Ich biss die Zähne zusammen, stieß den Sandsack mit der Hand von mir und wechselte die Seite. Vermutlich könnte ich nach seinem verspäteten Dank beruhigt sein… auch durch sein Gesicht, das seine gesunde Farbe beinahe vollständig zurück hatte. Dass er wieder aufrecht ging… sich unterhielt, in die alte Gesellschaft zurückgekehrt war…! Knapp verfehlte mich der Schwung des Sandsackes und ebenso rasch wich ich zurück, riss das Bein in die Höhe und schickte ihn in die andere Richtung. Zurück an jenem Punkt, an welchem ich einfach nicht sein wollte. Sowie ich mich um ihn sorgte, als er nicht hier war, sorgte ich mich auch jetzt und ertappte meine Gedanken dabei, sich alleine um ihn zu drehen. Um ihn und seine Verwandlung zu einem sarkastischen, stillen und bissigen Zeitgenossen, der nichts so meinte, wie er es sagte! Weshalb war es nur mir aufgefallen? Warum empfand ich mich als Einziger, der der Ruhe des Jungen nicht traute! Ich biss die Zähne zusammen, rammte mich gegen den Sandsack und das Knie in seine Seite. Es war soviel mehr als ein stiller Vorwurf an alle die, die tatenlos geblieben waren…! Man könnte sich eher fühlen, als hätte man ihm bewusst und aus reiner Grausamkeit ein Leid zugefügt! Das Haar peitschte in mein Gesicht, als ich herumwirbelte, der Sandsack an mir vorbei schwang. Vermutlich war es schwer für ihn gewesen… ohne Frage auch überaus gefährlich, doch er hatte mit schwierigen Begebenheiten zu leben! Wir alle steckten in brenzligen Lagen… wir alle wurden von Zeit zu Zeit in die Enge getrieben und verkrafteten diese Notlagen mit der Kraft, zu der wir hier gezwungen waren! Jeder auf seine Weise und Allens Art ermöglichte es ihm dabei so problemlos, seine Kraft auch aus der Anwesenheit der anderen zu ziehen! Ihm half es doch, wenn man lachte, wenn man einfach nur mit ihm sprach und mit ihm unterwegs war! Er wusste von den Möglichkeiten, die man hier hatte… wusste von der Arglosigkeit, in der man einfach nicht zur Unterstützung fähig gewesen war und trotzdem war er grausam genug, die anderen still und unauffällig anzuklagen?! Was hatte er erwartet?! Ging das Leben nicht für ihn weiter?! Wir mussten mit solchen Fehlschlägen fertig werden! War er nicht stark genug, um sich von sinnloser Unversöhnlichkeit fernzuhalten?! Er wirkte wie verwandelt, ließ selbst mich von einer ungewohnten Zurückweisung kosten! Wie wenig hatte mir plötzlich sein Dank bedeutet! Wie unzufrieden blieb ich auch nach seinen Worten! Erst jetzt fiel mir auf, zu welcher immensen Problematik unser Zusammenleben wurde, wenn sich Fragen stellten, die zuvor nie eine Rolle spielten. Wir waren nicht immer ehrlich zueinander, selbst, wenn wir uns Dinge verschwiegen… aber gerade das war doch eine Facette, die unsere Beziehung funktionieren ließ! Wir waren dem anderen gegenüber zu keiner Rechenschaft verpflichtet, wir konnten nicht in das Wesen des anderen blicken und so stand ich plötzlich vor einem Berg aus völligem Unverständnis. Durch die Veränderung seines Verhaltens, durch die Veränderung seiner Mimik… und nichts von alledem konnte ich mir erklären. Er war stets anders gewesen. Ich hatte nie Fragen stellen müssen… war nicht dazu gezwungen gewesen, ihn tiefer zu ergründen, vorausgesetzt, man könnte es! „Huuui…!“ Unerwartet mischte sich der Ton einer bekannten Stimme unter meinen rasenden Atem und sofort hielt ich inne, spähte keuchend zur Seite und stoppte den zurück schwingenden Sandsack mit den Händen. Meine Aufmerksamkeit enttäuschte mich ein weiteres Mal. Keine vier Meter entfernt und vor der Stufe stand Lavi… schien es schon länger zu tun und blähte die Wangen auf. „Bist du auf irgendjemanden sauer?“ Gekleidet in eine bequeme Hose und ein lockeres Hemd, schien er hier auf dasselbe ausgewesen zu sein, wie ich. Dabei gab es auch andere Übungsräume und letztendlich verzog ich nur das Gesicht, wischte mir den Schweiß von der Stirn und wandte mich wieder dem Sandsack zu. Ich hatte ihn übel in Mitleidenschaft gezogen, schob die Hände über das feste Leder und schob ihn von mir, um ihn kurz darauf wieder mit den Fäusten zu begrüßen. „Die anderen Übungsräume sind belegt.“ Entspannt zog sich der Rothaarige das Handtuch von der Schulter, kratzte sich im Schopf und wies mit einem Nicken in eine seltsame Richtung. „Stört es dich, wenn ich hier bleibe?“ Scheppernd wurde der Sandsack in die Höhe gerissen, als ich ihn mit dem Schienbein erwischte. Sofort fuhr ich herum, trat abermals nach ihm und wich zurück. „Du machst doch sowieso, was du willst…!“ Nur undeutlich schwang meine Stimme in dem Ächzen mit. „Na dann?“ Schon machte er sich auf den Weg zu einer der nahen Bänke, warf das Handtuch nach ihr. „Irgendwie könnte man diesen Tag als einzige Übungseinheit bezeichnen.“ Mit den Armen rudernd, schlenderte er zu mir zurück. „Linali trainiert auch gerade.“ Er ließ die Stufe hinter sich, trat näher und strüffelte die Ärmel höher. Er schien es nicht eilig zu haben, rückte in den nächsten Momenten nur an dem Stoff und blieb gänzlich unbeachtet. Nicht einmal seine Stimme nahm ich deutlich wahr, während ich mich in die alten, heftigen Bewegungen vertiefte. „Mm…“, drang ein Murmeln an meine Ohren, als ich auf das Leder einschlug, „… eigentlich wollte ich mit Allen trainieren aber den habe ich nicht gefun…“ „Quatsch nicht, trainiere…!“ Verbittert fuhr ich herum, trat an dem Sandsack vorbei und wurde darauf aufmerksam, wie nahe er bei mir stand. Kaum zwei Meter entfernt, wirkte es nicht so, als würde er in nächster Zeit in einer anderen Ecke der Halle verschwinden. Und wie würde ich es bevorzugen! Vielmehr, als ihn auf meinen wunden Stellen herumreiten zu lassen! Nur einen knappen Blick schickte ich ihm, schluckte trocken und postierte mich neu. „Kann man das nicht verbinden?“ Dumpf trafen meine Fäuste auf das Leder, hintereinander weg und immer schneller, wobei der Sandsack stets nachgab und ich ihm zu folgen hatte. Neben mir wurde sich erneut am Kopf gekratzt und in den nächsten Augenblicken verfolgte er mein Schweigen mit einer angenehmen Stille. Kaum nahm ich ihn wahr, während er nur dort stand und die Hände in die Hüften stemmte. Dabei hatte ich ihn hin und wieder zu umgehen und mir meinen Freiraum zu sichern. Er stand im Weg! „Haben dich die Finder geärg…“ Abrupt versagte seine Stimme, als der Sandsack gegen ihn schwang. Dumpf trafen seine Hände auf das Leder und im letzten Moment stoppte er ihn. Nicht unbedingt das, worauf ich ausgewesen war aber immerhin war er still, lugte an dem Sandsack vorbei und überrascht zu mir. „Meine Güte…“, ächzte er. „Sag doch einfach, wenn ich dich nerve.“ Keuchend und lauernd zog ich von einer Seite zur anderen. Den Sandsack zu lange zu entbehren, gefiel mir nicht und so winkte ich ihn barsch zurück, hob die Fäuste und taxierte das Ziel verbissen. Ich hatte keine Lust, mit ihm zu reden, beachtete ihn kaum, als er den Sandsack zurückpendeln ließ und zu mir auf die Übungsfläche trat. Hinter dem schweren Gewicht blieb er stehen und fixierte es mit den Händen… verstärkte den Widerstand und tat es auch, als ich sofort wieder zuschlug. Er hielt sich wacker, hielt den Sandsack sicher. „Heute mal ohne Schwert?“ Seine Stimme verriet ein Grinsen und irgendwie spornte es mich dazu an, noch fester zuzuschlagen, ihn unter der Wucht beinahe zurückweichen zu lassen. „Wollte Komui dich nicht gehen lassen? Hat dir die Party die Laune verdorben?“ Ich presste die Lippen aufeinander, verfehlte ihn nur knapp, als ich das Bein in die Höhe riss. Ein kräftiger Tritt und plötzlich schien er die Lust zu verlieren. Der Sandsack schwang zurück, als er sich von ihm löste und zurücktrat. Ich nutzte die Gelegenheit für eine kurze Pause. Meine Lunge machte mich darauf aufmerksam, dass ich es mit dem Atmen untertrieben hatte und so stemmte ich mich kurz auf die Knie und rang nach Luft. Und permanent spürte ich seine Aufmerksamkeit, in der er mich anstarrte. „So zügellos sieht man dich selten“, ertönte kurz darauf seine Stimme und als ich aufblickte, weitete er die Augen und wies mit einem Nicken auf den Sandsack „Und seit wann suchst du dir Gegner, die sich nicht wehren können?“ „Ich sehe hier keinen anderen…!“ Ächzend ließ ich den Kopf wieder sinken, schloss kurz die Augen und richtete mich auf. Mein Gesicht glühte und wieder wischte ich mir den Schweiß von den Wangen. Und plötzlich war ich nicht mehr der Einzige, der ächzte. „Ach, bin ich jetzt auch ein Sandsack?“ Ungläubig beugte sich Lavi nach vorne, schien seinen Ohren nicht zu trauen. „Ist ja schön, dass du mich plötzlich einbeziehst!“ „Was ist?“ Ich strich mir das Haar zurück, sah mich nach meiner Flasche um und machte mich sofort auf den Weg zu ihr. „Ist das eine Herausforderung?“ Somit bekam ich die Flasche zu fassen, begann zu schrauben und schickte ihm einen knappen, provokanten Blick. „Eh…“, ganz sicher schien er nicht zu sein. Sein Gesicht wurde von so einigen Grimassen heimgesucht und letztendlich kratzte er sich wieder im Schopf. „Na, herrlich“, stöhnend sank er in sich zusammen. „Ich sollte meine Klappe halten.“ „Wer am Ende noch steht, hat gewonnen.“ Mit diesen Worten nahm ich einen weiteren Schluck, kehrte Lavi den Rücken. Er saß auf der nahen Bank, war damit beschäftigt, seine Hände straff zu bandagieren. „Was?“ Entrüstet hielt er inne. „Warum gleich so rabiat?“ „Kannst ja gehen.“ Kurz sah ich mich nach dem Deckel um, wurde die Flasche los und lauschte dem leisen Brummen. „Pass auf, ich bin nicht derjenige, der sich die ganze Zeit verausgabt hat!“ Lauernd ließ er mich nicht aus den Augen, kam auf die Beine und streifte sich das lockere Hemd über den Kopf. „Ts.“ Eine gewisse Entschlossenheit hatte nach ihm gegriffen und kurz überprüfte ich noch den Halt der eigenen Bandagen, während er sich das zottelige Haar zurückstreifte und mit einem Haargummi bändigte. Gemeinsam betraten wir anschließend die freie Fläche der Halle, schlenderten über den steinernen Boden und suchten uns unseren Platz. „Weißt du was?“ Ein breites Grinsen zog an seinen Lippen, als er auf der Stelle tänzelte, sich von der Beweglichkeit seines Körpers überzeugte. „Wir schließen eine Wette ab.“ Ich zog die Nase hoch, regte die Schultern in dem engen Hemd und schüttelte die Hände. Noch immer bewegte er sich auf der Stelle, sprang in die Höhe und näherte sich mir um einen Schritt. Herausfordernd wurde ich taxiert, als er innehielt, die Hände zu Fäusten ballte und sich einen sicheren Stand verschaffte. Gleichzeitig ging auch ich in die Knie, straffte meine Haltung, fixierte meine Aufmerksamkeit. „Wenn ich gewinne…“, raunte er, „… kommst du zur Party.“ Das stand nicht zur Debatte… und kaum hatte er ausgesprochen, setzte ich mich in Bewegung. Nur zwei Schritte, bis ich ihn erreichte und überaus ausgeprägte Reflexe geboten bekam. Dumpf trafen unsere Arme aufeinander, als er meinen Schlag blockte und so wie ich zur Seite fuhr, trat auch er an mir vorbei, stieg über mein Bein hinweg und duckte sich unter meinem Ellbogen. Er war wendig. Er war schnell. Ihn zu unterschätzen, hatte ich längst aufgegeben und nur knapp gelang es mir, mich mit einem Schritt von ihm zu lösen, bevor er in meine Kniekehle steigen konnte. Zielstrebig schoss mir seine Faust entgegen und ebenso schnell riss ich seinen Arm zur Seite und leitete den Schlag fehl. Beinahe zeitgleich blockte ich auch einen anderen, schlug die Hand um seinen Unterarm und löste den Griff, um einer präzise ausgeführten Hebeltechnik zu entkommen. Stets in Bewegung und ebenso in ständigem Kontakt hielten wir uns nahe beieinander, trafen keuchend aufeinander und belebten die Halle mit den dumpfen Lauten der Schläge, die nie ihr Ziel erreichten. Seine Reflexe waren beachtlich, seine Fußarbeit fließend und völlig in diesen Nahkampf vertieft, passte ich mich ihm an, kam seinen Angriffen bei. Heftig wich ich zur Seite aus, spürte den Luftzug des Schlages, der an meinem Gesicht vorbeiführte und hatte seine Faust im nächsten Augenblick auch schon gepackt und mit mir gezogen. Er wusste sich zu wehren und hastig brach ich sein Gleichgewicht, ließ ihn stolpern und beugte in einem kurzen Moment der Unaufmerksamkeit seinen Arm, sowie ich mich in seinen Rücken schob, stets seinen Arm mit mir führend und den Hebel verfestigend. Eine sichere Technik, aus der er sich geschickt befreite. Es war ein Zweikampf, der mir gefiel. Ein Zusammenspiel von fließenden Bewegungen, durchbrochen von plötzlichen Techniken und zielstrebigen Schritten auf sicheren Boden. Nur selten traten wir zurück, nur kurz blieben wir dem anderen fern, um uns lauernd zu umkreisen. Natürlich war es nicht mit dem Sandsack zu vergleichen… einfach befriedigend durch die völlige Ablenkung, in der man sich völlig auf die Bewegungen des Gegners und auf die Techniken zu konzentrieren hatte. Augenblicke, die nur mir gehörten und ich ließ ihm keine Zeit, überwand die Distanz und griff an. Sicher wurde der erste Schlag geblockt, unter dem zweiten hindurchgetaucht und schon spürte ich wieder seine Ferse, die meine Wade streifte. Er setzte viel auf Beinarbeit und aufmerksam festigte ich meine Haltung, sicherte mein Gleichgewicht und schob mich aus der Schlagrichtung seiner Faust. Ich verließ nicht die Stellung, nahm eher die Gefahr auf mich, gegen ihn zu prallen und zog ihm mit einem Tritt das Bein weg. Abrupt rutschte er an mir vorbei, schaffte es nur knapp, sich abzustoßen und sich stolpernd vor dem Sturz zu bewahren. Keuchend lief er sich aus, fuhr sich hektisch mit dem Arm über das Gesicht und nahm es sofort wieder mit mir auf. Kraftvoll trafen wir aufeinander und entgegen der Dauer dieses Kampfes wurden unsere Schläge nur noch heftiger und unsere Blöcke stärker. Fließend riss er meinen Arm zur Seite, ließ unsere Schultern aufeinandertreffen und gab sich einem kurzen, direkten Kräftemessen hin. Dumpf trafen unsere Hände aufeinander, verbittert übten wir Druck aufeinander aus und einen kurzen Fehler seiner Beinarbeit machte ich mir zunutze, um mich zu wenden und mich gegen seinen Körper zu drängen. Kaum hatte ich die Hand in den hinteren Bund seiner Hose geschlagen, hob ich ihn auch schon vom Boden, riss ihn in die Höhe und mühelos über meine Schulter hinweg. Er hatte sich kurz die Blöße gegeben und doch wusste er sich auch in dieser Lage zu helfen. Heftig überschlug er sich, stürzte von meinem Körper und doch waren es seine Füße, die zuerst auf den Boden trafen. Kaum hatte ich den Griff in mein Hemd gespürt. Erst, als er die Wucht meines Wurfes gegen mich verwendete und mich mit sich zog, wurde ich mir der Tatsache bewusst, dass ich ihm nicht wirklich seiner Kontrolle beraubt hatte. Schon schob sich mir sein Bein in die Quere und mit Leichtigkeit setzte er selbst zu einem Wurf an, indem er meinen Schritt blockierte und mich einfach über sich zog. Es ging schnell, doch er bot mir genug Platz und sicher stemmte ich die Hand hinab auf den Boden, schwang mich einfach über ihn hinweg und entriss mich seinem Griff. Und kaum stand ich sicher, war auch er wieder auf den Beinen. „Sagen… wir mal… unentschieden…!“ Kaum waren seinem Keuchen die Worte zu entnehmen. Arme und Beine von sich gestreckt, lag er dort und starrte mit glühendem Gesicht zur hohen Decke der Halle auf. Auch ich hatte mich gesetzt, fühlte mich für kurze Zeit einfach nicht danach, aufzustehen und stemmte die Arme auf die angewinkelten Beine. Mein Körper pochte unter der Anspannung, mein Atem rasselte unter der Belastung und letztendlich war ich nur zu einem heiseren Brummen imstande. Meinetwegen… es war mir so egal… ich war auf meine Kosten gekommen und wenn ich mich auch fühlte, als würde mir Batteriesäure durch die Venen schießen… genau das war es, was mich von all den lästigen Facetten des Alltages befreite. Ich dachte nicht an den Jungen, wenn mein Körper meine gesamte Aufmerksamkeit forderte… dachte nicht an das Bevorstehende, wenn mir schwindelig vom Keuchen wurde und für die nächsten Minuten blieben wir einfach dort sitzen und liegen und rangen um die alte Fassung. ~*tbc*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)