Reqium of Darkness & Quiet Symphony von abgemeldet (Walker x Kanda) ================================================================================ Kapitel 46: Rückkehr -------------------- Noch nie hatte ich das Rattern der Zugräder in dieser Deutlichkeit wahrgenommen. In gewissem Sinne bestimmte es die gesamte Atmosphäre, in welcher wir uns in einem Abteil gegenübersaßen und gleichzeitig nicht weiter voneinander entfernt sein könnten. Ich spürte es mit jedem Augenblick intensiver… wie zerrissen er war und in dieser Spaltung kaum an der Realität teilzunehmen schien. Den müden Körper zurückgelehnt, die trüben Augen auf das Fenster gerichtet und dabei so wenig auf das, was hinter den Scheiben vorbeizog. Die grauen Pupillen blieben nicht hängen, schlossen sich einfach den Bewegungen des Zuges an, während seine Wange in der Hand eine Stütze fand und er die Beine von sich streckte. Ich schien in diesen Momenten ebenso wenig relevant für ihn zu sein, wie der goldene Golem, der sich auf seinem Kopf niedergelassen hatte und vereinzelt mit den Flügeln schlug. Schritte zogen an unserem Abteil vorbei. Jenseits der hölzernen Tür herrschte Leben, während in der Kabine nicht einmal die Atemzüge deutlich zu hören waren. Nur meine eigenen, die in meinen Ohren rauschten, während ich dort saß und ihn so offensichtlich anstarrte, wie lange nicht mehr. Ich erwartete und ich zweifelte, während mein Gesicht deutlich zum Ausdruck brachte, dass alle Erwartungen unerfüllt und meine Zweifel dagegen nur bestätigt blieben. Das Schweigen war so unangebracht, wie seine Undurchsichtkeit, die er mir beinahe ignorant servierte, immer darauf bedacht, die bittere, sarkastische Beilage nicht zu vergessen. Meine Aufmerksamkeit war ungebrochen, nicht weniger zielstrebig, denn was ich an ihm entdecken könnte, war mir nicht klar. Er zeigte ebenso wenig Regung, wie Emotion und würde er nicht die Augen offen behalten, könnte er ebenso gut schlafen. Den Hinterkopf an dem weichen Polster gebettet, starrte ich einfach nur auf das blasse Gesicht, ließ mich nicht ablenken von den Regungen des Golem und bewegte mich bald nicht vielmehr, als mein Gegenüber. Er hatte keine Lust, zu reden. Er war nicht gesprächig und auch zu müde, um sich großzügig mit anderen zu befassen. Niemand hatte ihn in den vergangenen Tagen dazu gezwungen. Und letztendlich, wenn ich meine Enttäuschung und die etlichen Fragen zurückstellte, musste man es wohl irgendwie verstehen. Es… war vermutlich in Ordnung, auch wenn ich in diesen Momenten nur widerwillig vor seiner unbeweglichen Hülle kapitulierte. Jedenfalls für diese Stunden, die sich wahrscheinlich eigneten, um die nötigsten Kräfte zu sammeln. Und es verging keine lange Zeit, bis er wirklich zu altem Leben erwachte. Die Hand rutschte von seinem Gesicht, der Ellbogen von der schmalen Fensterbank und beinahe in einer fließenden Bewegung wandte er sich auf dem weichen Polster, drehte sich auf der Bank und schwang die Beine nach oben. Nur knapp schweiften seine Augen an mir vorbei, beinahe provokant und kurz rückte er sich zurecht. Er schob sich tiefer und schweigend ließ ich ihm meinen Blick folgen, als er sich einfach lang legte und die Sitzbank als Lager nutzte. Beinahe schien es so, als würde es seinen Körper regelrecht nach unten ziehen. Wie er sich sinken ließ, als wäre er nicht einmal mehr dazu fähig, sich aufrecht zu halten… und ein tiefer Atemzug war das Letzte, was ich zu hören bekam, bevor er sich wälzte, mir den Rücken kehrte und binnen der kürzesten Zeit auch schon zu schlafen schien. Die Hände auf dem Bauch gefaltet, blieb ich flüchtig bei der erneuten Musterung der zerschlissenen Uniform hängen, holte daraufhin selbst tief Luft und führte seine ziellosen Beobachtungen durch das Fenster fort. Zugegeben, es hatte eine gewisse Wirkung, einfach nur durch dieses Glas zu starren und alles in sich abzuschalten, was dazu fähig war, Sorgen, wie auch Unzufriedenheit zu wecken. Es gab derzeit einfach zuviel… zuviel Wahrnehmungen, zu viele Gedanken und Möglichkeiten, die Fragen, die sich mir stellten, zu beantworten. Er selbst könnte es ohnehin viel besser. Er, der dort lag, reglos… und unter tiefen, ruhigen Atemzügen zu schlafen schien. Er, der mir den Rücken kehrte und kaum ein Wort verlor. Es war wohl der falsche Moment und so akzeptierte ich die Schweigsamkeit auch weiterhin. Als der Zug sein Ziel erreichte und sich der Junge aufrappelte, als hätte er nur auf diesen Augenblick gewartet. Während er sich die Augen rieb und kurz darauf auch schon wackelig auf den Beinen stand. Es war seltsam… und ich fühlte mich in alte Zeiten versetzt, als unser Schweigen einfach nur auf Antipathie basierte und wir uns beide damit gut fühlten. Tat er das? Nicht einmal unsere Blicke trafen aufeinander, als wir den Zug verließen, den vertrauten Boden betraten und uns auf den Weg zum endgültig letzten Ziel machten. Leise schallten unsere Schritte in den frühen Mittagsstunden, als wir den Bahnhof verließen und uns unter das Getümmel der Stadt mischten. Die Geschäftigkeit der anderen begleitete uns auf unserem Weg und wie abwesend und nicht vorhanden wirkten wir in der Menge, die sich unterhielt, die lachte und einfach nur energisch am Leben teilnahm. Es war mir noch nie aufgefallen, wie abgeschieden man sich trotzdem fühlen konnte und wie deutlich spürte ich das Zucken meines Gesichtes, als ich bald nur noch auf den Boden starrte und meinem stillen Nebenmann keine Aufmerksamkeit mehr schenkte. Immer noch der falsche Moment? Ich schürzte die Lippen, gab mir keine Mühe, den Eindruck zu machen, als wäre ich mit irgendetwas zufrieden. Es wirkte beinahe dümmlich, wie eisern wir unsere Lippen versiegelt hielten und den Anschein erweckten, als gäbe es nichts, worüber man erleichtert sein müsste. Als gäbe es keine positiven Wendungen… als wäre man vor kurzem nicht einen quälenden Berg aus Sorgen losgeworden. Neben mir knackte der Kies unter seinen Schritten, auch die Bäume rauschten, als wir das Stückchen Wald betraten und flatternd begleitete uns der Golem, dessen feste Programmierung mehr Freude erkennen ließ, als wir. Selbst, wie er mit den Flügeln schlug und den Jungen umkreiste… man könnte meinen, er wäre euphorisch. Wie lächerlich. Der Kies zu unseren Füßen endete, steinern ragten die Mauern des schmalen Schachtes vor uns auf und still zogen wir in den Schatten des Tunnels. Falsche Momente waren nicht von langer Dauer… sie waren einfach nicht ewig und flüchtig lenkten sich meine Augen auf meinen Begleiter. Nur kurz streiften sie das wirre Haar, wandten sich nach vorn, als sich mein Gesicht annähernd zu verhärten schien und ich mich in einem plötzlichen Ansturm voller wütender Ungeduld mit einem tiefen Atemzug zu beruhigen hatte. Es war ihm noch nie schwergefallen, von seiner Stimme Gebrauch zu machen! Er tat es so oft in sinnlosen Situationen! Spätestens an diesem Punkt gab ich mich nicht mehr mit dem falschen Moment zufrieden und finster starrte ich auf die grauen Türen des Fahrstuhles, denen wir uns näherten. Nachdem wir diesen Fahrstuhl verließen, würde sich jede Gelegenheit auf ein Gespräch unter vier Augen verflüchtigen. Nachdem wir die Kabine verließen, hätte uns die Öffentlichkeit wieder und wir selbst den Zwang, uns dieser anzupassen. Meine Lippen pressten sich aufeinander, meine Hand um den Waffengurt und die Schritte des Jungen blieben dem Tempo treu, sowie die Augen förmlich nach dem Schalter zu suchen schienen und ich alles an dieser Situation verfluchte, derer er sich scheinbar nur entledigen wollte. Waren die Gelegenheiten nicht offensichtlich genug gewesen? Hatte ihm der kurze Schlaf nicht zumindest die Kraft gebracht, seinen Mund zu benutzen? Was tat ich hier eigentlich! Abrupt rutschte meine Hand von dem Gurt. Ich brauchte keine Stütze, musste mich an nichts klammern, wenn er sich endlich dazu durchrang, Kenntnis zu nehmen! Es war nicht einmal ein Dank, auf den ich aus war! Er sollte von mir Kenntnis nehmen, von meiner verdammten Anwesenheit! Einen letzten Schritt tat er, um die Distanz zum Fahrstuhl hinter sich zu lassen, selbst die Hand reckte sich schon jenem Schalter entgegen und beinahe diese Bewegung genügte, um alles in mir wachzurütteln und meinen Körper reagieren zu lassen. Abrupt führte mein letzter Schritt zur Seite, strikt schob ich mich in seinen Weg und sofort hielt er in seinem Vorhaben inne, als sich meine Hand gegen das Gestein der Wand rammte und mein Arm ihm jedes Vorankommen verbot. Er war stehengeblieben, in seinem letzten Schritt erstarrt, bevor unsere Körper aufeinander hätten treffen können und wie verbittert studierte ich das Driften seiner Pupillen in eine gänzlich falsche Richtung. Er stand dort und von mir in die Enge getrieben und tat doch nichts anderes, als zu warten und mir nichts zu offenbaren, das einem Entgegenkommen ähnelte. Mein Handeln schien völlig grundlos… ohne Bezug zu ihm und seinem Verhalten! Keine Verblüffung, keine Ahnung, weshalb ich so handelte. Als stünde mir nur einmal der Sinn danach, das Erreichen des Zieles etwas vor uns herzuschieben! Er erschlaffte einfach, seine Hand sank hinab und seine Augen beschäftigten sich ausschließlich mit den Wänden, bevor sie ihren Weg zu mir fanden. Ohne Verständnis… mein Gesicht schien keinen Eindruck zu machen, so verbittert ich ihn auch anstarrte und die Finger am Gestein regte. Wenn er jede Gelegenheit tatenlos an sich vorbeiziehen ließ, dann führte ich ihm hier eine vor Augen, die ihm nicht entgehen konnte! Eine Lage, aus der er sich nur mit Worten befreien könnte und während seine Lippen völlig reglos blieben, stand mir kurz der Sinn danach, ihn einfach nur zu packen, eine Reaktion aus ihm herauszupressen! Geräuschvoll drang ihm mein Atem entgegen, rigoros erwiderte ich diesen verständnislosen Blick… ließ ihn auch an mir vorbeischweifen und zum alten, steinernen Ziel zurückkehren. Ich hatte nichts zu sagen! Jeden möglichen Augenblick hatte ich mit Worten gefüllt! Und jeden dieser Augenblicke hatte ich unter den eigenen, jämmerlichen Versuchen gewürgt! Ich war kein Mensch, der zuviel Wert darauf legte, andere zu formen… andere zu bewegen! Ich hatte nichts mehr zu sagen! Meine Schultern hoben und senkten sich unter einem weiteren, tiefen Atemzug. Er hallte in dem engen Gang wider und wie stimmlos schrie ich ihn an, forderte ihn auf, einen Ton von sich zu geben! Langsam senkten sich seine Lider. Seine Geduld schien im Gegensatz zu meiner so immens, dass er kein Problem darin zu sehen schien, einfach nur dort zu stehen und von meinem Blick durchbohrt zu werden. Jetzt war es auch der Boden, für den er sich interessierte und mein Gesicht versteinerte mit jedem Moment stärker… ließ mich die Zähne aufeinanderbeißen, als er an meinem Arm vorbei und zurück zu dem Schalter spähte. Hatte er nichts begriffen? Wollte er es nicht begreifen? Gerade er wusste doch, wie meine Wut aussah! Vor allem er kannte meine Grenzen! … und seine Lippen öffneten sich einen Spalt weit, schürzten sich… Ein weiterer tiefer Atemzug erhob sich daraufhin und wieder trafen unsere Blicke aufeinander. Er spähte so zielstrebig zu mir auf, als gäbe es einen Entschluss. ‚Sag etwas!’, fauchte ich ihm abermals lautlos entgegen, verfolgte, wie seine Zähne die trockene Unterlippe zu fassen bekamen, sie entspannt bearbeiteten. Ebenso gelockert, wie seine Kopfbewegung, mit der er auf jenen Schalter wies. „Ich würde gern drücken.“ Monoton und leise erhob sich die Stimme, die ich hören wollte. Mit einem Inhalt, den ich nicht erwartet hatte und beinahe gleichzeitig verstärkte sich mein Griff in das trockene Gestein neben seinem Kopf. Meine Fingerkuppen schürften über den Lehm, rieselnd bröckelte er neben ihm hinab und es verlangte mir einiges ab, nur den Arm zurückzuziehen und meinen Körper daran zu hindern, sich der Wut zu ergeben. Die Antwort schien mich annähernd zu lähmen und er ließ mich keuchen und um mich starren, zog schon an mir vorbei und erreichte den Schalter. Selbst mit dieser Geste war ich ihm noch nachgelaufen! Schon diese Bemühung war mehr, als ich mir vorgenommen hatte und die Reaktion auf sie umso fataler. Knirschend versenkten sich meine Finger im Stoff der Uniform, als ich die Hände in die Hüften stemmte, ihm den Rücken kehrte und mit jeder Faser meines Körpers vor ihm kapitulierte. Vermutlich war es wirklich besser, dass ich mich nicht mitreißen ließ. Ich hatte ihn nicht gerettet, um der Nächste zu sein, der ihn angriff! Er konnte es nehmen, wie er wollte! Worauf er aus war, das gab ich ihm! Letztendlich blieb ich ja der Einzige, der einen Nachteil daraus zog! Der nächste Laut, der sich zwischen uns erhob, war das leise Schaben, als sich die Türen des Fahrstuhles vor uns öffneten und wir in das hell erleuchtete Treppenhaus hinaustraten. Es war wohl der Moment, in welchem man endgültig zurück war und ich mich daran erinnerte, was hier auf mich zukam. Keine Ruhe, nein, vorerst nicht. Wir hatten einiges zu erklären, hatten Rede und Antwort und stehen und wohl einfach nur darauf zu hoffen, dass es nicht zu lange dauerte und man unsere Müdigkeit bedachte. Schon der Gedanke an das Kommende ließ mich zwischen neuer Gereiztheit und Lustlosigkeit schwanken! Wenn es nach mir ginge, würde ich mich dem Verhalten des Jungen einfach anschließen und darauf hoffen, dass sich alles erklärte, ohne, dass ich ein Wort zu verlieren hatte! Vergrämt und doch ein weiteres Mal nur kapitulierend, bog ich nach links und machte mich auf den Weg zur letzten Hürde. Weitere Schweigsamkeit neben mir würde ich nicht akzeptieren. Es ging hier nicht um mich und in zielstrebigen, genervten Schritten ließ ich eine Tür nach der anderen hinter mir, blickte schon hinauf in die nächste Etage und abrupt zurück, als sich ein leises Klicken in meinem Rücken erhob. Müde hatte die schwarze Hand eine Klinke zu fassen bekommen und beinahe beiläufig öffnete er die Tür zu seinem Zimmer, während meine Schritte sofort endeten und ich meinen Augen keinen Glauben schenken wollte. Er hatte keinen Grund, kurz in seinem Zimmer zu ver… „Nacht.“ Die andere Hand hob sich zu einem kraftlosen Wink und erst, als die Gestalt des Jungen hinter der offenen Tür verschwand, wagte ich es mir, zu realisieren, was er da tat. Kein weiterer Blick streifte mich, kein Zögern verlangsamte seine Schritte und unweigerlich riss mich diese Atmosphäre mit sich, ließ mich selbst vereisen und nur lautlos den Mund öffnen, als die Tür träge in das Schloss gezogen wurde und ich dort alleine zurückblieb. Es war schnell gegangen… möglicherweise hatte er die gesamte Reise über nichts anderes vorgehabt, als sich jeder weiteren Pflicht einfach zu entziehen. Ganz einfach… er gestaltete es sich so und auch in den nächsten Momenten stand ich nur dort, starrte auf diese Tür und erwartete, dass sie sich wieder öffnete. Dass er in den Flur hinaustrat und sich erinnert hatte, was es noch zu tun gab. Ich erwartete, dass es ein Missverständnis war. Eine kurze Unaufmerksamkeit, die sich schnell aufhob… sich nicht als völlige Ignoranz und Ungerechtigkeit entpuppte. Aber es blieb still um mich herum. Nicht einmal ein Laut drang durch die Tür. Selbst die Wut schien durch das Entsetzen in mir erfroren zu sein. Wie hätte ich nach ihm geschrien, ihm vor Augen geführt, dass er unverzüglich herauszukommen und sich an der Aufklärung der Sachlage zu beteiligen hatte! Wie aufgebracht wäre ich gewesen, wie gnadenlos, während ich ihm deutlich machte, dass ich nicht dazu bereit war, die gesamte Last zu tragen! Er wusste, wie es mich anwidern würde! Meine Nerven waren auch am Ende, dicht gefolgt von der Kraft, die meinem Körper zur Verfügung stand! Geschah es wirklich? Wirklich?! „Kanda!“ Erst der Klang der bekannten Stimme holte mich in die Realität zurück, ließ mich blinzeln und abermals zu dem Geländer der nächsten Etage aufblicken. Ich hatte ihn nicht bemerkt. Die Schritte mussten mir völlig entgangen sein aber es war River, der dort oben stand, gelöst den Arm streckte und nicht um ein vorfreudiges Grinsen kam. „Kommt ihr hoch?“ Entspannt erhob sich seine Stimme in dem Treppenhaus und in jeder Befürchtung bestätigt, starrte ich nur zur Seite. Es gelang mir, den Mund zu schließen und noch immer entrüstet, schluckte ich erst einmal nur trocken. „Komui möchte euch sehen!“ Eine witzige Rollenverteilung… Der Zufall erlaubte es dem Jungen, zu verschwinden, während man auf mich kurz darauf aufmerksam wurde und mir keine andere Wahl ließ. Fest legte sich meine Hand um die Klinke. Ich hörte schon die Stimmen der Wissenschaftler, die dort auf der anderen Seite des Holzes warteten und wieder schluckte ich, schloss ich die Augen unter dem eiskalten Schauer, der mir durch Mark und Bein fuhr. Mein Griff zeugte weniger von Stärke, als von Verbitterung, in der ich mich einfach um etwas zu klammern hatte und ohne mich in das Gefühl zu vertiefen, öffnete ich einfach diese Tür und schob mich annähernd lauernd in den großen Arbeitsraum. Ich wollte nicht hier sein, war nur nicht reich genug an Gleichgültigkeit, um alle Pflichten schlichtweg über Bord zu werfen! Raschelnd wurden Papiere sinken gelassen, sofort lenkten sich die Augen in meine Richtung und als ich die Tür hinter mir in das Schloss drückte, war es recht still in der Abteilung geworden. Natürlich wunderte man sich. Ich tat es ja auch. Strikt achtete ich darauf, die Aufmerksamkeit nicht zu erwidern, nicht in die Gesichter zu sehen und die Fragen in ihnen zu lesen, die ich daraufhin zu beantworten hätte. Komuis Fragen würden mir genügen und so nagelte ich den Blick nur an den Boden, zog die Nase hoch und setzte mich in Bewegung. „Ah?“ Es war River, der zu altem Leben erwachte, sich irritiert aus seinem Stuhl lehnte. „Wo ist Allen?“ „War er verletzt?“ Beinahe überschnitten sich die Stimmen und nur knapp spähte ich zur Seite. Johnny war auf die Beine gekommen. So schnell und enthusiastisch. „Ist er im Krankenflügel?“ „Mm-mm.“ Ich hatte keine Lust zu antworten, wollte nur zu dieser einen Tür und verlangsamte die Schritte, als sie sich im selben Moment auch schon öffnete. Ein Niederschlag folgte dem anderen und letztendlich blieb ich doch in diesem Vorraum hängen, denn Komui kam mir entgegen und schon nach dem ersten Blick teilte er die allgemeine Irritation. Die entspannte Freude, in der er mir im ersten Moment nur zugelächelt hatte, verlor keinen großen Teil ihrer Intensität. Er labte sich an einer Stimmung, die durch so etwas wohl nicht zum Scheitern verurteilt war und spätestens, als wir voreinander standen, lächelte er erneut. „Na, hoi? Ich dachte, du bringst jemanden mit?“ Wie leichtfertig er es nahm… als hätte der Junge eine solche Reaktion erwartet. Und mir war so unwohl in meiner Haut. Ich wollte mich nur noch von dieser allgemeinen Aufmerksamkeit abschotten und mich aus dem Mittelpunkt stehlen, in dem ich hier ganz offensichtlich stand. Mürrisch sah ich mich um. River und Johnny waren bereits auf dem Weg und der Rest der Weißkittel hatte ebenso wenig Lust, die alte Arbeit aufzunehmen. „Er ist in seinem Zimmer.“ Möglichst kurz gefasst und aufschlussreich. Mürrisch nuschelte ich zurück, hakte den Daumen in den Waffengurt und rümpfte die Nase, als sich die Beiden bei uns einfanden. „Oh.“ Komui wirkte alles andere als entrüstet, als er den Kopf schief legte und neben mir ertönte ein leises Lachen. „Das sollte man ihm wohl nicht übel nehmen.“ River ließ seiner Erleichterung freien Lauf und auch Johnny gab sich einem befreiten Seufzer hin. „Die Hauptsache ist, dass wir ihn hier wissen.“ „Fühlt sich gut an.“ Neben mir wurde an der runden Brille gerückt und nur kurz starrte ich zu dem jungen Wissenschaftler, fühlte mich nicht nach einer Zustimmung und mich gleichzeitig selbst beobachtet. Es war Komui, der mich von Kopf bis Fuß beäugte. „Es sieht nicht danach aus, als wäre es einfach gewesen. Geht es dir gut?“ Ein Nicken genügte wohl und schon seufzte auch Komui. „Gott sei dank.“ Er schien wirklich um eine große Last befreit, rieb sich den Nacken, während um uns herum so einiges Getuschel ausbrach. Auch Lachen mischte sich darunter. „Und wie geht es Allen?“ Neugierig schob sich Johnny in mein Blickfeld und mürrisch trat ich um einen Schritt zurück, entzog mich der befürchteten Belagerung mit unsinnigen Mitteln. Letzten Endes blieb mir gar nichts anderes übrig und so brachte ich es einfach hinter mich, begann zu erzählen. Wie ich ihn fand… den Verlauf meiner Suche strikt umgehend, ließ es sich auf wenige Sätze reduzieren und so lustlos und monoton ich es auch ausdrückte, es waren nichts als Fragen, die in den Gesichtern der Umherstehenden entflammten. „Sie haben ihn belauert? Sogar ein Level 2?“ Annähernd ungläubig lehnte sich Komui zu mir. Die allgegenwärtige Euphorie war einer kritischen Ungläubigkeit gewichen, in der Blicke gewechselt und angespannt gegrübelt wurde. „Das glaube ich einfach nicht.“ „Mit so etwas hat niemand gerechnet.“ River schloss sich der Reaktion Komuis an. Und während mich schon allein der Gedanke anwiderte, dieser Sache hier und jetzt auf den Grund zu gehen, rieb er sich das Kinn. „Hatten sie es gezielt auf ihn abgesehen?“ „Anscheinend.“ Unter einem tiefen Atemzug machte ich mich an dem Kragen meiner Uniform zu schaffen, begann ihn etwas zu lockern und überließ die Fragen und Grübeleien den anderen. „Er musste sich in einer Höhle verstecken?“ Ächzend stemmte Johnny die Hände in die Hüften. Neben ihm schienen River und Komui noch tief in Gedanken versunken. „Weshalb ist Walker nicht gegen diese Gegner angekommen?“ Ein anderer Wissenschaftler war es, der die nächste Frage stellte und nur knapp lugte ich zu ihm, tastete nach dem zweiten Riemen. „Ein einziger Level 2? Seit wann bereitet ihm so etwas Schwierigkeiten?“ „Wer weiß, wie viele es zu Beginn waren.“ Komui nahm es mir ab und bewusst senkte ich das Gesicht zu den Riemen und ließ mir Zeit. Sie sollten es unter sich klären, soweit sie es konnten. „Der Feind kennt Allens Fähigkeiten. Er hat gelernt, ihn ernst zunehmen. Sollte er wirklich darauf aus gewesen sein, ihn zu töten, wird er eine größere Gruppe entsandt haben. Vermutlich war er in lange Kämpfe verstrickt, bevor er sich verstecken musste.“ „Das müsst ihr ihn fragen.“ Nur müde mischte ich mich ein, schob die Hand unter den Kragen und rückte ihn zurecht. Ich hatte nicht wirklich förderliche Antworten erhalten. Es ließ sich hoffen, dass Komui mehr Glück hatte. Ein allgemeines Nicken folgte. „Das werden wir, sobald er sich ausgeruht hat.“ Komui schien die unsicheren Grübeleien ebenso schnell leid zu sein, wie ich. Auch River schien sich zu entspannen, nickte in sich hinein. „Das Wichtigste ist, dass es Allen gut geht und dass er wieder hier ist. Hier, wo er hingehört.“ „Ja“, stimmte Johnny sofort zu. „Ich hätte ihn trotzdem gerne gesehen.“ „Lass dem Jungen doch erst einmal seine Ruhe.“ Mahnend wandte sich ein anderer Wissenschaftler an ihn. „Wir werden später noch genug Gelegenheit dazu haben.“ „Auf jeden Fall…“, ein kurzer Klaps auf die Schulter ließ mich aufblicken und in das heitere Gesicht starren, zu welchem Komui zurückgefunden hatte, „… das alles verdanken wir nur dir, Kanda. Ich will mir nicht vorstellen, wie es ausgegangen wäre, wärst du nicht aufgebrochen.“ „Wirklich, eine gute Leistung.“ Auch River nickte mir voller Anerkennung zu und beinahe zwang ich mich zu diesem knappen Nicken, tat, als würde ich diesen Dank für mich akzeptieren. Als wäre ich mir der Tatsache bewusst, dass ich etwas auf die Beine gestellt hatte. „Vielen Dank!“ Wieder wurde meine Schulter heimgesucht und sofort wandte ich mich zur Seite, brachte mich in Sicherheit. Eine Reaktion, die praktischer Weise völlig in dem Meer der Euphorie unterging. Alles wäre mir lieber, als auch noch mein eigenes Verhalten zu rechtfertigen und Fragen zu beantworten, die sich nur auf mich bezogen. Kurz darauf umgaben mich dieses Stimmgewirr, die Freudesbekundungen und das Gerede über den Jungen, der jedes Recht hatte, sich erst einmal zurückzuziehen. Was für ein Verständnis wurde da aufgebracht und ich stand in diesem Meer, rückte immer noch an meiner Uniform und war mit den Gedanken schon längst in meinem Zimmer. Ich hatte auch das Recht, mich zurückzuziehen. Ein kleiner Lichtblick, dass Komui diese Tatsache nicht länger übersah und während jeder dem Thema noch treu blieb und die verschiedensten Meinungen ausgetauscht wurden, nahm ich eine knappe Handbewegung wahr. Er winkte mich mit sich, bevor er sich entspannt umdrehte und zu seinem Büro schlenderte. Und ich tat nichts lieber, als ihm zu folgen… nahm das kleinere Übel und löste mich endlich aus der heiteren Masse. Davonstehlen tat ich mich und kurz spähte ich zurück, bevor ich mich hinter Komui durch die Türe schob und unter der Stille in dem Büro erst einmal aufatmete. Komui hatte währenddessen schon seinen Schreibtisch erreicht und seine Hand ohne Umwege die Kaffeetasse. „Ich möchte dich nicht lange aufhalten“, meinte er nur, bevor er an der Tasse nippte und sich auf dem Schreibtisch umschaute, etwas zu suchen schien. Zermürbt und müde trat ich näher. „Du siehst aus, als hättest du den Schlaf genauso nötig. Davon will ich dich nicht abhalten.“ Und wieder… er lächelte mir zu, schob die Hand unter eine Mappe und zog einen Hefter hervor. „Wir können später noch etwas reden.“ Wie gleichgültig mir das war. Ich erreichte das Sofa und trat zum Schreibtisch, gegen den sich Komui lehnte. Weitere Fragen würde ich gerne auf mich nehmen, sobald mein Kopf durch einen gesunden Schlaf halbwegs frei und meine Gedanken geordnet waren. Der heutige Tag war für mich verloren, auf dem Morgigen ruhten meine Hoffnungen und durchaus trübe starrte ich auf das Blatt, das sich Komui heraussuchte. Ich hatte eine Vermutung… aber mein Gegenüber sah nicht so aus, als würde eine dramatische Angelegenheit auf ihn zukommen. Beinahe desinteressiert ließ er das Blatt sinken, als wäre es von geringem Wert und er nahm sich auch die Zeit, noch einmal an der Tasse zu nippen, bevor er sich dem Wesentlichen zuwandte. „Befehlsverweigerung“, nuschelte er dann und mehr als beiläufig und wirklich angespannt und neugierig war selbst ich nicht. Ich unterdrückte ein Gähnen, hörte das Papier rascheln und sein Schlürfen, als er sich noch einmal der Tasse widmete. „Mm… ich denke nicht, dass es notwendig ist aber folgen wir einfach dem Protokoll.“ Er präsentierte mir das Blatt und es gab nichts, was mich derzeit weniger interessierte, als die Konsequenzen. Ganz gleich, welche es wären. Die Müdigkeit, die Überforderung durch die Tatsachen, das Wirrsal aus Gedanken und Zweifeln… es machte mich einfach taub. „Bestimmt ist es sowieso das erste und einzige Mal, dass ich dich belehren muss.“ Mit diesen Worten hob er das Papier und begann es zu überfliegen. Nur oberflächlich und sein Vorlesen drang lediglich als beiläufiges Nuscheln zu mir, in welchem er den einen oder anderen Satz einfach zu überspringen schien. „… mm, gemeinsam mit dieser Belehrung wird eine Verwarnung erteilt, die bei erneutem Regelverstoß unverzüglich zu… ach, das lassen wir sowieso weg.“ Er rümpfte die Nase, seine Pupillen schweiften weiter und ich rieb mir die Wange, steckte meine letzte Kraft in den Anschein, aufmerksam zu sein. „… mm… ja…“ Schnell schien er die Lust zu verlieren. Das Blatt wurde sinken gelassen und unter einem Schulterzucken auf dem Schreibtisch abgelegt. „Du weißt ja, dass man so etwas nicht macht.“ Somit zog er um seinen Schreibtisch herum und ließ sich hinter ihm nieder. „Mehr muss ich wohl nicht sagen.“ Mit der Tasse wies er auf das Blatt, ließ mich nähertreten. „Wenn du willst, kannst du es dir durchlesen… letzten Endes und formhalber brauche ich eigentlich nur deine Unterschrift, dass du es zur Kenntnis genommen hast, ohne, dass dich die Konsequenzen erwarten, die dort geschrieben stehen.“ Ein langer Text… es war das Einzige, was mir an diesem Blatt auffiel und so langte ich einfach nach dem Füller, der mir über den Schreibtisch gereicht wurde. Mir gegenüber wurde wieder geschlürft, als ich mir einen knappen Überblick verschaffte, den Füller zwischen den Fingern wendete und trübe meine Zeichen setzte. Es ging schnell und kaum hatte Komui das Blatt zurück, wurde es auch schon zur Seite geworfen und inmitten des allgemeinen Chaos’ abgelegt. „Das wär’s.“ Behaglich lehnte er sich zurück, hob wie in einem stillen Triumph die Tasse und offenbarte das alte Lächeln. „Du kannst gehen und dich ausruhen, solange du es nötig hast. Wir werden dich nicht stören.“ Ich hatte es geschafft. Die Hürde lag hinter mir und trotzdem war die darauffolgende Zufriedenheit kaum spürbar. Ein stilles Nicken brachte ich hervor, auch eine knappe, ziellose Handgeste und schon wandte ich mich ab und machte mich auf den Weg zu meinem letzten Ziel. Das einzige Ziel, das mir derzeit etwas bedeutete. „Kanda?“ Beinahe hatte ich die Türe erreicht, als sich Komuis Stimme abermals und unerwartet erhob und mich innehalten ließ. Die Hand auf der Klinke, drehte ich mich um. Er saß immer noch hinter seinem Schreibtisch, hatte sich um ein Stück aufgerichtet und musterte mich mit vollkommener Zufriedenheit. „Ich weiß es sehr zu schätzen, was du getan hast. Wir alle wissen das.“ Langsam ließ er die Tasse sinken, stellte sie ab und nickte mir verstärkend zu. „Die Fähigkeit, in schwierigen Zeiten auch eigene, richtige Entscheidungen zu treffen, macht unter anderem einen exzellenten Exorzisten aus. Im Gegensatz zu mir warst du dazu imstande, dich den Befehlen zu widersetzen… genau das zu tun, was ich auch gerne getan hätte.“ Ein mildes Lächeln entfaltete sich auf seinen Lippen. „Es macht mich stolz, dass wir uns in solchen brisanten Fällen exakt ergänzen.“ Ich hatte es kaum wahrgenommen aber meine Hand war bereits dabei, die Klinke hinabzudrücken. Als würde ich meine Ruhe selbst seinen Worten vorziehen. Als wäre ich nicht mehr dazu imstande, sie richtig aufzufassen und mir ihres Wertes bewusst zu werden. Ich konnte es auch nicht… Kein Fünkchen Stolz, kein Fünkchen Zufriedenheit. Der Inhalt seiner Worte schien an meiner müden Fassade abzuprallen und dennoch entsprach es wohl trotzdem meiner bekannten Art, dass ich lediglich ein Nicken andeutete und ohne ein Wort verschwand. Durch den Raum der Wissenschaftler. Es konnte nicht schnell genug gehen, ich konnte mir nicht sicher genug sein, mich vor weiteren Fragen zu schützen und letztendlich war ich es erst, als ich die Tür hinter mir schloss und nur noch mein Bett vor Augen hatte. Ich war jedem weiteren Gedanken einfach überdrüssig. Es gab keine Kraft, keinen Willen… mechanisch und bereits halb abgedriftet befreite ich mich nur von meiner Kleidung und schob mich auf die weiche Matratze. Der Junge war hier. Der Tag würde vorbeigehen und der Nächste kommen. Mehr brauchte ich nicht zu wissen und nachdem ich still lag, drang kaum noch ein wacher Augenblick in mein Bewusstsein, bevor ich die Augen schloss. ~*tbc*~ Hosted by Animexx e.V. 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