Reqium of Darkness & Quiet Symphony von abgemeldet (Walker x Kanda) ================================================================================ Kapitel 45: Schweigen --------------------- Das Hinaufkommen ging weitaus schwieriger vonstatten, als das Hinabgelangen. Die Erde war feucht und rutschig und nur konzentriert fand ich Halt auf verborgenen Steinen und festen Erdklumpen. Ich schob mich höher und bald durch den schmalen Spalt, der die Höhle vor der Außenwelt verbarg, sich auch vor meinen Augen getarnt hatte. Sicher bekam ich eine nahe Wurzel zu fassen und so zog ich mich ins Freie, spürte die klare Nachtluft, die mir sofort entgegen zog. Es war kühl geworden und mein Atem beschlug leicht in der völligen Finsternis, die uns umgab. Der Himmel war so schwarz… ich blickte zu ihm auf, als ich mich auf die Knie stemmte. Weder Sterne, noch der Mond. Nur das leise Zirpen weniger Grillen umgab uns, als ich mich umwandte, die Umrisse der schwarzen Hand erspähte und nach ihr griff. Beherzt fasste ich zu, spürte nur einen geringen Gegendruck und half dem erschöpften Jungen hinaus. Er schob sich auf den Knien vorwärts, löste sich von meiner Hand, sobald er einen gewissen Halt fand und gemächlich kam ich auf die Beine. Geräuschvoll erhob sich der Atem des Jungen neben mir, ein leises Scharen zeugte davon, dass er sich ein weiteres Stück auf den Knien vorarbeitete und die anschließende Stille ließ mich zu ihm zurückspähen. Er blieb sitzen, hatte sich einfach zurückfallen gelassen und kauerte nun dort im feuchten Gras. Die Beine von sich gespreizt, die Arme zwischen ihnen versenkte, wirkte er annähernd teilnahmslos. Er blickte um sich und raschelnd erhob sich der goldene Golem aus dem hohen Gras. Nicht weit entfernt, war er gut zu erkennen und während ich ihn mir nachdenklich betrachtete, schenkte ihm der Junge kaum Beachtung. Selbst, als sich der Golem flatternd zu seinem Kopf erhob, blinzelte er in eine andere Richtung. Langsam und noch immer schweigend spähte er zu den zerstörten Körpern der Akuma, die uns schwer und dunkel umgaben. Ich konnte seine Augen nicht sehen. Sie verbargen sich hinter den wirren Strähnen seines weißen Haares, das matt in der Schwärze der Nacht schimmerte. „Kannst du aufstehen?“ Die Hand auf dem Heft des Mugen, kehrte ich der Finsternis den Rücken, wandte mich an ihn und hörte vorerst nur einen tiefen Atemzug. Das junge Gesicht wandte sich in die andere Richtung, die Finger untersuchten desinteressiert den Boden und abermals vertiefte ich mich in die intensive Musterung seiner Gestalt. Eine Antwort erhielt ich nicht. Vielleicht zuckte er mit den Schultern, ich konnte es nicht erkennen und nachdenklich bewegte ich die Lippen aufeinander, blickte um mich. Ein weit entfernter Kadaver rauchte noch immer. Grau stieg der Qualm zum schwarzen Himmel auf und hinter ihm erhoben sich die Lichter eines weit entfernten Zuges wie winzige Glühwürmer, die trunken ihres Weges drifteten. Ich wollte nicht hierbleiben. Es waren so viele unerwartete Gegner gewesen und neue wollte ich nicht auf mich nehmen. In meiner Lage, in der ich wohl auf ihn zu achten hatte. Er wirkte wie eine graue Hülle, die keinerlei Kraft mehr inne hatte. Ich konnte mich nicht auf weitere Gefechte einlassen, wenn er hier kauerte. Wir mussten hier weg. „Wann hast du zuletzt etwas gegessen?“ Die Umgebung verlor mein Interesse. Mit ruhiger Stimme ging ich vor ihm in die Knie, verfolgte die ziellose Regung seines Beines, als er es zu sich winkelte, lahm mit dem Arm umschloss. Die wirren Strähnen fielen in seine junge Stirn, als er den Kopf schief legte, trunken, als würde er einschlafen. Ich folgte seiner Bewegung, neigte mich tiefer und versuchte einen Blick auf sein Gesicht zu werfen. „Ist eine Weile her.“ Entgegen seines müden Körpers erhob sich seine Stimme halbwegs gefestigt. Von mir wandte er das Gesicht zur Seite, spähte zu jenem qualmenden Überrest und ich gab mich einem langsamen Nicken hin, schloss mich seiner Beobachtung an. Hier vor der Höhle hatten sie gelauert, mich zu dem Jungen geführt, der sich vor ihnen verschanzte. In dieser finsteren, kalten Höhle, in der er ausharrte… wer weiß, wie lange. Wer hätte damit gerechnet. Wer hätte sich vorgestellt, dass Akuma seit kurzem neue und direkte Ziele verfolgten. Sie handelten so methodisch, so bezüglich, dass es beängstigende Ausmaße annahm. Und es passierte nur ihm. „Wir müssen hier weg.“ Diese Gedanken… diese Suche nach Gründen hielt uns nur auf. Es war der falsche Zeitpunkt und so stemmte ich mich nach oben, warf prüfende Blicke in alle Richtungen. „Die Stadt ist nicht weit entfernt.“ Und erneut streckte ich ihm meine Hand entgegen, blickte zu den pechschwarzen Umrissen des nahen Waldes. „Es ist möglich, dass sich weitere Akuma in der Gegend aufhalten.“ Noch immer regte ich die Finger im Freien. Da war keine Berührung, kein Geräusch und in der Befürchtung, er habe das Bewusstsein verloren, riss ich mich von diesem Wald los und sah mich nicht bestätigt. Er saß noch immer aufrecht, hatte sich nicht bewegt… nur das Gesicht zu mir gehoben. Seine Miene versteckte sich in den dunklen Schatten der Nacht und doch spürte ich seinen Blick, als sähe ich seine Augen direkt vor mir. Direkt und unausweichlich starrte er an meiner Hand vorbei, regte die Eigenen noch immer im kalten Boden und machte keine Anstalten, sich meiner Vorsicht anzuschließen. Flüchtig wirkte er wie eine schattenhafte Gestalt, die mit dieser Realität nichts zu tun hatte. Undeutlich und still zu meinen Füßen und ich ließ die Hand sinken, öffnete lautlos den Mund. Noch nie hatte mich ein Blick so durchdrungen. Allein das Gefühl führte mir vor Augen, dass er mich durchbohrte, die Aufmerksamkeit mit einer solchen Intensität auf mir lastete, als wolle er alles, was zu meinem Äußerlichen gehörte, hinter sich lassen. Als suche er nach Antworten… Ich verzog die Brauen, atmete leise unter dem allseitigen Zirpen und blinzelte mich von der seltsamen Atmosphäre frei, als er sich plötzlich zu bewegen begann. Als hätte ich ihn gerade erst darauf aufmerksam gemacht. Er löste sich von mir, ließ sich zur Seite sinken und stemmte sich hinauf. Seine Bewegungen stockten, seine Beine schienen die Beanspruchung seit geraumer Zeit nicht mehr gewohnt zu sein und ich reichte ihm die Hand kein weiteres Mal, als er sich strauchelnd in die Höhe schob und kurz um Gleichgewicht rang. Er tat einen ziellosen Schritt, fand Halt auf dem rutschigen Boden und hob die Hände zum Bauch. Er betastete sich, als wolle er sich seines Daseins überzeugen, glitt tiefer bis zu den Hüften und wischte beiläufig die feuchte Erde von der Uniform. Und ich sah ihn noch immer an, verfolgte und studierte jede Bewegung und grübelte über dieses Bild, das sich mir hier bot. Ich wusste, wie er Erschöpfung zum Ausdruck brachte. Ich wusste, wie er aussah, wenn er müde war. Ich wusste, wie er sich verhielt, wenn er Hunger empfand… und still folgten ihm meine Pupillen, als er sich von alleine in Bewegung setzte, sich abwandte und an mir vorbeizog. Er fand die richtige Richtung, stieg unsicher und träge durch das hohe Gras, rückte stoisch an dem Gürtel und blickte nicht zurück. Seine schmalen Schultern schwankten bei jedem Schritt, bald senkte sich auch der Kopf und ein letztes Mal überprüfte ich die Umgebung, bevor ich ihm folgte. Ich durchstreifte das Gras und fand mich schnell neben ihm ein. Unbeachtet ließ er die reglosen Kadaver hinter sich, zog an ihnen vorbei und stets den weit entfernten Lichtern des Dorfes entgegen. Seine Augen schienen sich über den finsteren Boden zu tasten. Ob er mehr sah, als ich, wusste ich nicht und oft beschränkte ich mich darauf, einfach nur zu ihm zu spähen, auf die Strähnen, die mir jeden Blick auf seine Miene untersagten. Er wirkte mager, sein ohnehin zierlicher Körper mit einem Mal annähernd so zerbrechlich, wie das dünnste Glas. Nur ein falscher Schritt, nur ein Stolpern und er könnte zerspringen. Lange sah ich ihn an, lange grübelte ich über ihn, bevor ich mich auf unseren Weg konzentrierte. Quer über die nächtliche Wiese. „Wir haben es nicht eilig.“ Mir war einfach danach, etwas zu sagen. Es war noch nie vorgekommen, dass mir das Schweigen zwischen uns missfiel. „Wir können uns irgendwo einquartieren. Du solltest etwas essen und schlafen.“ Ich sah die Lichter näherkommen, blickte zu ihm. Er starrte noch immer nach unten, stieg lahm über eine kleine Grube. „Ich will niemandem Umstände bereiten.“ Ich sah nicht seine Lippen, vernahm nur seine leise Stimme und ein versteckter Ausdruck brachte mich dazu, mich unverzüglich nach vorne zu wenden. Unentschlossen blinzelte ich in die Finsternis hinein, spürte die knappe Regung meines Gesichtes. Und neben mir herrschte die alte Stille. „Du willst zurück?“, erkundigte ich mich leise. „Dringend.“ Es war nicht vielmehr, als ein dumpfes Hauchen und aufmerksam hielt ich mich von Fehlinterpretationen fern, nahm seine Antwort und das festgelegte Ziel und kam dennoch nicht um die alten Grübeleien. So kannte ich seine Stimme nicht. Dieser Ausdruck war mir fremd… soviel an ihm. Er hielt sich neben mir, hielt ebenso einen gewissen Abstand und die Hände nahe bei sich. Die eine hatte zum Gürtel gefunden und sich in ihn gehakt, während die andere unentwegt am Saum der Uniform hing. Es entging mir alles nicht. Wie er zupfte, den Stoff zwischen den Fingern rieb und dabei so abwesend wirkte, als wäre ich der Einzige, dessen Weg durch diese Nacht führte. Wir blieben dem Tempo treu. Er hielt sich gut und wacker auf den Beinen, als wir die Stadt durchquerten, durch die finsteren Straßen zogen und vorbei an geschlossenen Fensterläden. Die Laternen waren rar und die Gewohnheit brachte uns dazu, uns im Schatten zu halten. Nahe an den Fassaden der Häuser und zielstrebig hin zum großen Gebäude des Bahnhofes. Es war nicht weit entfernt und die Stille zwischen uns war durch kein einziges Wort unterbrochen worden, als sich das steinerne Gebäude vor uns auftat. Auf der anderen Seite eines kleinen Platzes und vereinzelte Leute zogen uns entgegen, als wir diesen hinter uns ließen, uns dem Eingang näherten. Hinter den gläsernen Türen erstreckte sich die hell erleuchtete Halle. Ich sah sie von weitem und passierte die Treppe kurz vor meinem Weggefährten. Ich hatte nicht damit gerechnet, unverzüglich zurückzukehren aber ich dachte daran, dass es vielleicht gar nicht falsch war, keine weitere Zeit zu vergeuden. Er hatte es gesagt, er wollte es so… und ich schob mich gegen die schwere Tür, schob sie auf und verengte die Augen unter dem stechenden Licht der Lampen. Die Helligkeit hatte uns wieder und nach dem langen Schweigen nahm ich hier seit langer Zeit die ersten Stimmen wahr. Für die frühe Stunde herrschte ein seltsamer Betrieb. Einige Reisende erzeugten ein gewisses Stimmengewirr, ein wartender Zug zischte vor sich hin und selbst die Imbisse hatten schon geöffnet. Hinter mir tastete ich nach der Tür, hielt sie auf und trat einen Schritt zur Seite. Ich wollte es ihm nicht schwerer machen… nichts von alledem und als mich seine müden Schritte erreichten, löste ich die Aufmerksamkeit von der Halle und sah ihn an mir vorbeiziehen. In der ersten Reaktion hob sich seine schwarze Hand über die Augen. Das Licht schien ihm nach dem langen Aufenthalt in der Höhle so unangenehm zu sein… und kaum bemerkte ich, wie der Atem in meiner Lunge versiegte, ich lautlos den Mund öffnete, als ich ihm nachsah. Er offenbarte sich mir das erste Mal in einem Licht, in dem sich nichts verstecken ließ. Hier sah ich ihn zum ersten Mal deutlich und konnte nicht behaupten, diese Tatsache zu genießen. Er war sterbensbleich. Sein Gesicht hatte keine Farbe mehr inne, außer der leichten Rötung seiner Augen, die zögerlich hinter der Hand hervorblinzelten. Die blasse Haut war übersäht von den Überresten der Erde, des Drecks… so auch sein Haar, während die Uniform so zerschlissen wirkte, dass ich schwere, lange Kämpfe vermutete. Das schwarze Leder seiner Stiefel war unter all dem Schlamm kaum noch zu erkennen und ich starrte ihm immer noch nach, als er auf etwas aufmerksam wurde, abrupt die Richtung änderte und auf einen der Imbisse zusteuerte. Ich stand immer noch dort und sobald ich mir der Erstarrung bewusst wurde, ließ ich die Tür zufallen und setzte mich wieder in Bewegung. Was hatte ich erwartet? Dass sein Aussehen seinem Verhalten gänzlich widersprach? Ich verfluchte mich für meine an Wahnsinn grenzenden Erwartungen, schickte ihm einen letzten Blick und senkte die Hand zu einer der Gürteltaschen. Ich folgte ihm nicht, steuerte viel eher auf die Telefone zu und raschelnd erhob sich der schwarze Golem in die Lüfte, folgte mir flatternd, bis ich stehenblieb und beiläufig das Kabel hervorzog. Ich hatte Meldung zu erstatten und wie lange hatte ich mich danach gesehnt, das zu tun. Jemandem mitzuteilen, dass er am Leben war, dass es ihm gut ging… Nur knapp lenkte ich die Augen auf ihn zurück, bekam den Golem zu fassen und koppelte ihn an. Ich hatte in diesem Moment eine weitaus größere Erleichterung erwartet, eine Befreiung von allen Sorgen. Naserümpfend hob ich den Hörer von der Gabel, wählte routiniert eine Nummer. Ich hatte kaum gewagt, mir meine Erleichterung vorzustellen. Dieser Gedanke wäre zu utopisch. Aber das war er nicht. Er war einfach nur albern. Ich fühlte mich nicht einmal sonderlich gut, als ich dem Rufsignal lauschte, mit der Schulter Halt an der steinernen Wand suchte. „Ja, hier Komui.“ So schnell ging es selten. Es hatte kaum dreimal geklingelt und ich stemmte die Hände in die Hüfte. Er erwartete gute Nachrichten und genau gesehen konnte ich ihm diese liefern. „Ich bin es.“ „Kanda.“ Ein angespannter Atemzug rauschte in der Leitung. Die Frage schien ihm schwerzufallen, obwohl er es offensichtlich eilig hatte. Nur wenige Augenblicke vergingen im Schweigen. Er musste nicht fragen. „Ich habe Walker gefunden.“ „Er ist bei dir?“ Augenblicklich hob sich Komuis Stimme. Im Hintergrund erhob sich ein hektisches Rascheln… die Starrheit, die Anspannung, die Besorgnis… alleine an seiner Stimme konnte ich verfolgen, wie all das von ihm abfiel und beherzt gab er sich einem lauten Stöhnen hin. „Mein Gott…“ Mehr wusste er vorerst nicht zu sagen und ich regte mich an der Wand, lehnte mich mit dem Rücken an und verfolgte das Treiben in der Halle. „Wir sind am Bahnhof.“ Beherrscht vertiefte ich mich in den Bericht, fühlte mich nicht sonderlich einbezogen in seine Euphorie. Er war nicht hier. Er sah nicht das, was ich sah. „Wir sind in fünf Stunden da.“ „Geht es ihm gut?“ Sofort folgte die nächste Frage und träge tastete ich nach dem Kabel. „Ist er verletzt?“ „Mm-mm“, verneinte ich letztendlich nur und wieder keuchte er in die Leitung. „Gott… Kanda…“ Teilweise abwesend begann ich das Kabel zwischen den Fingern zu drehen, nahm seine Freude nur bedingt wahr. Nur oberflächlich. Irgendwie war sie für mich und an diesem Ort nicht ernstzunehmend. „Ich danke dir. Ich habe so darauf gehofft, dass du mir keine schlechten Nachrichten bringst. Das waren vielleicht Stunden und Tage…!“, ein heiseres, müdes Lachen erhob sich und ich zog die Nase hoch, behielt die Halle im Blick. „Und mach dir keine Sorgen. Den Rest kriegen wir hin.“ Wie egal mir das war. Ich erwachte zu altem Leben. Das Kabel fiel zurück und ich löste mich von der Wand. „Ich muss Schluss machen.“ „Ja, natürlich.“ Er hörte sich völlig verändert an, sprach entspannt und vollends losgelöst. „Ich erwarte euch.“ „Mm.“ Somit löste ich den Hörer von meinem Ohr, hing ihn ein und zog das Kabel ins Freie. Und erneut suchten meine Augen nach dem bestimmten Punkt, während sich meine Hände völlig mechanisch in die vertraute Arbeit vertieften. Er hatte den Stand um ein gesamtes Tablett erleichtert. Berge von Krabbenspießen balancierte er auf dem Arm, während er sich zu einer nahen Bank aufmachte, einen von ihnen bereits zwischen den Lippen bewegte. Unter seinem Arm klemmte eine Flasche Limonade, die andere hielt er in der Hand… kein außergewöhnlicher Anblick. Man kannte ihn so und viel eher waren es seine müden, langsamen Schritte, die mir auffielen. Er ging schlaksig, unsicher und schlürfend… es schien geradewegs so, als hätte er die Beine lange nicht mehr benutzt und er ließ sich keine Zeit, sank auf die Bank, sobald er die Kante erreichte und wendete das Tablett auf den Schoß. Zerzaust fiel das Haar in seine Stirn, als er den Kopf zu dem Essen senkte, eine Flasche neben sich abstellte und sofort an der anderen zu schrauben begann. Seine Schultern waren schon immer zierlich gewesen. Aber sie wirkten soviel schmaler, wenn er sie gesenkt hielt, keinen Wert auf seine Haltung legte. Ich betrachtete ihn mir aus der Ferne, tat es, als hätte ich zum ersten Mal Gelegenheit dazu und setzte mich kurz darauf in Bewegung. Leise erhob sich das Zischen der Limonade in der großen Halle und das erste, was er tat, war, die Flasche an die Lippen zu setzen und zu trinken. Es war nur irgendeine billige Limonade und trotzdem senkten sich seine Lider unter einem Genuss, als handle es sich um den teuersten Tropfen. Sein Hals regte sich unter regelmäßigen Schlucken, schäumend gluckste die Limonade in der Flasche und die Hand auf das Heft des Mugen gebettet, kam ich gar nicht weit neben ihm zum Stehen. Und ich wurde auf seine Hand aufmerksam. Ungeduldig tasteten sich die Finger über die noch dampfenden Spieße, rückten an ihnen, als würde er allein dadurch schon gegen das Hungergefühl ankämpfen. Er trank außerdem immer noch und bald schürzte ich die Lippen. Schon die Hälfte und es sah nicht so aus, als würde er sich damit zufrieden geben. Aber er hatte es verdient. Jeden Schluck, jeden Spieß und noch vielmehr. Er sollte essen und trinken, soviel er wollte. Ich würde ihn keiner Hast aussetzen. Wir hatten Zeit und ziellos ging ich spazieren, entfernte mich von der Bank, schlenderte an ihm vorbei und war mit den Gedanken längst woanders. Ich stellte mir die Frage, ob er wirklich die vollen sieben Tage in dieser Höhle feststeckte und somit gelangte ich schon an den Punkt, an welchem ich es nicht wagte, ihn einfach zu fragen. Was wäre, wenn… Dumpf ging die leere Flasche auf die Bank nieder, wurde achtlos fallen gelassen und mit verschränkten Armen lugte ich zu ihm, verfolgte, wie er sich sofort den Spießen zuwandte. Ohne aufzublicken, ohne die Umgebung zu erkunden… in diesen Momenten schien es nur diese eine Sache zu sein, die ihm etwas bedeutete. Eine Krabbe nach der anderen erwischte er mit den Zähnen, zog sie von dem hölzernen Stäbchen und kaute eilig, während Timcanpy ihn umflatterte und keine Aufmerksamkeit erhielt. Und ich wandte mich ab, trat zu den Gleisen und blickte auf sie hinab. Was hatte ich erwartet, nachdem ich ihn fand? Erst hier und jetzt, da er wirklich dort saß, da er wirklich hier war, wagte ich es, darüber zu grübeln. Ich hatte mit allem gerechnet und der Ausgang dieser Suche war beinahe utopisch, wenn man ihn mit all meinen Befürchtungen verglich. Auch mit den Befürchtungen der anderen, die im Gegensatz zu meinen ausgesprochen worden waren. Hatte ich erwartet, dass er erleichtert war? Darüber, dass man nach sieben Tagen und Nächten auftauchte? Hatte ich erwartet, dass er mir von den Geschehnissen erzählte? Dass er das tat, was prinzipiell nicht seiner Natur entsprach? Nicht einmal in Bezug auf unwichtige Missionen? Soviel Unklarheiten aber wenigstens erkannte ich in all dem Gewirr meine eigene, stille Erleichterung. Ich hatte nur erwartet, dass sie größer wäre… Es war keine lange Suche gewesen, jedoch so Nervenaufreibend, dass ich mich selbst müde und ausgelaugt fühlte. Ernüchtert durch das Bild, das meinen Erfolg darstellen sollte. Selbstverständlich war er erschöpft durch den Hunger und mögliche Gefechte. Natürlich war er entkräftet durch die ungewissen letzten Tage aber es war soviel mehr, das ich seiner Schweigsamkeit und Absenz entnahm. Soviel, das ich in seiner Stimme las, wenn er sie erhob. Ich kannte doch seine Haltungen und Mimiken. Soviel genauer, da mir seine inneren Vorgänge verschlossen blieben. Klirrend landete der nächste Spieß auf dem Tablett und sofort wanderte der Nächste zum Mund. Und so, wie er sich in diesen vertiefte, setzte ich mich in Bewegung, kehrte zielstrebig zu ihm zurück. Ich ließ mir nichts ansehen, wirkte vermutlich so wie immer, als ich nahe bei ihm zum Stehen kam. Die weißen Strähnen seines Haares verwehrten mir den Blick auf sein gesenktes Gesicht. Nur das permanente Schmatzen und Knirschen der Krabben drang zu mir, als ich mir den Hals rieb und zur Bahnhofsuhr spähte. Fünf Uhr… spätestens zur Mittagszeit wären wir an unserem Ziel und einen Teil dieser Rückkehr konnte ich mir bildlich vorstellen. Vermutlich wäre es eine übertriebene Euphorie, der er in seinem Zustand kaum gewachsen war. Bestimmt genossen alle eine Erleichterung, die ich nicht mit ihnen teilen konnte. Und er? Von da an verschwammen meine Vorstellungen und unter einem tiefen Atemzug trat ich zur Seite, ließ mich neben ihm nieder und bettete den Arm auf der hölzernen Lehne. Seine Aufmerksamkeit gehörte immer noch und ausschließlich dem Essen und auch ich starrte für die ersten Augenblicke nur abwesend nach vorn und auf einen nicht existenten Punkt. Was boten wir nur für ein Bild? Wir beiden gingen unseren Beschäftigungen nach und konnten dabei wohl nicht einmal im Entferntesten erahnen, was in dem anderen vorging. Ich für meinen Teil gab mich damit nicht zufrieden und still nahm ich ihn in Augenschein. Ich wollte, dass er mit mir sprach. Alleine sein Anblick gab mir nicht das Gefühl, als wäre er wirklich hier. Dabei war ich doch immer derjenige von uns beiden gewesen, der schwieg. Ich wandte das Gesicht ab, starrte zurück zu den Gleisen und begann meinen Kragen zu richten. „Wir werden beide nicht um die Erklärungen herumkommen“, beiläufig hob ich an, ertastete den Reißverschluss und folgte seinem Verlauf. Kurz darauf zerrte ich an dem Stoff, befand ihn endlich für gut und bettete den Arm zurück auf der Lehne. Resigniert blieb ich meiner unwichtigen Beobachtung treu und lauschte dem Schmatzen. Es hörte sich an, als hätte er nicht einmal inne gehalten und ich schöpfte einen tiefen Atemzug. „Komui hörte sich erleichtert an“, fuhr ich fort und das mit mangelnder Anteilnahme. Ich mochte es nicht. Nicht einmal, dieses Wort auszusprechen und vermutlich lachte auch er innerlich darüber. Vielleicht, aber wenn er es tat, dann ließ er es sich nicht ansehen. Sein Gesicht blieb gänzlich regungslos, meine Worte einseitig und ich selbst unbeachtet. Das war lächerlich. Einfach alles an dieser Situation und ich rieb mir die Stirn, schüttelte einfach den Kopf. „Hey.“ Tief durchatmend richtete ich mich daraufhin auf, ließ müde die Hand sinken und nahm ihn ebenso trübe in Augenschein. Das, was ich hier versuchte, konnte ich einfach nicht. Es entsprach weder meiner Art, noch fühlte ich mich wohl dabei. Und ich wartete… blieb stur dabei, ihn einfach anzusehen und darauf zu hoffen, endlich eine Reaktion zu erhalten. Die Augen zu den Spießen gesenkt, wurde er das nächste kahle Stäbchen los, bekam das Nächste zu fassen und schürzte vorerst nur die Lippen. Was sollte ich noch tun! Er kannte mich gut genug, um zu wissen, dass ich bei gewissen Dingen schnell kapitulierte. Und wirklich… den nächsten Spieß bereits zwischen den Fingern, hob er endlich den Kopf, spähte kurz in die Halle und daraufhin direkt zu mir. Unverwandt drehte er sich zur Seite, sah mich an und tat es mit einer annähernd müden Erwartung. Sie war nicht groß und ich tat absolut nichts anderes, als seinen Blick wortlos zu erwidern und mich dabei unsagbar unwohl zu fühlen. Ich hatte mir die Worte noch nicht bereitgelegt, wusste nicht, was ich ihm sagen wollte und während er mich ansah, wurde mir selbst der Wille nach diesen Grübeleien entrissen. Ich konnte und wollte meine Stimme kein weiteres Mal benutzen und mich damit umso mehr im Netz der Lächerlichkeiten verfangen. Es lag an ihm, ich hatte meinen Teil getan und resignierend deutete ich es ihm mit einem matten Kopfschütteln, unter welchem ich mich auch schon abwandte. Beinahe gleichzeitig schloss er sich mir an. Als wäre es somit getan und mit vereister Miene starrte ich nur auf diese Uhr, während das Knacken und Schmatzen neben mir weiterging. Ich hatte alle Pflichten erfüllt, die es gab. Die Grenzen meiner Nachsicht waren ebenso nahe, wie die meiner Geduld und so schwieg ich einfach, bis das Tablett neben mir leer war und der Zug in den Bahnhof einfuhr. ~*tbc*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)