Reqium of Darkness & Quiet Symphony von abgemeldet (Walker x Kanda) ================================================================================ Kapitel 40: Pleiten, Pech und Pannen ------------------------------------ Man erwartete alles, wenn man das Hauptquartier verließ. Eine aus Erfahrung aufgebaute Erwartung ließ mich das Gefühl der Ernüchterung umso immenser spüren, als ich das Ziel nach einer langen Reise erreichte. Das Einzige, in das ich mich nach dem Treffen mit den zuständigen Findern verwickelt sah, waren Recherchen und Fragen, die ich vielen stellte, ohne die notwendigen Antworten zu erhalten. Selbstverständlich sorgte das Sichten weniger Akuma für Aufmerksamkeit. In der vorgestrigen Nacht war eine Gruppe von ihnen durch die finsteren Straßen gezogen, in schleierhafter Angelegenheit, mit ungewissem Ziel und aus Gründen, nach denen ich zu suchen hatte. Eingeschüchterte Augenzeugen brachten nichts als Stammeln hervor, offenbarten mir eine Verwirrung, mit der sich nichts anfangen ließ. Ebenso wie mit denen, die ihre Beobachtungen verängstigt für sich behielten. Ein Entgegenkommen, auf das ich genauso gut verzichten konnte. Es brachte mir nichts als Unzufriedenheit und mich selbst in eine Lage, in der sich die Recherchen als ein Ding der Unmöglichkeit darstellten. Den gesamten Tag war ich unterwegs, den gesamten Tag auf den Beinen und in jedem Stadtteil. Ich besuchte Gaststätten… öffentliche Einrichtungen und von ihnen viele, beschränkte mich nach der ersten Einsicht darauf, mich auf den Anfang zu konzentrieren und einfach auf das, was mir möglich war. Möglich war es auf jeden Fall, erst einmal den Finder loszuwerden. Es handelte sich bei dem Gesprächen und den Befragungen um keine Dinge, die ich genoss und freiwillig täte. Ich hatte Kontakt zu suchen. Zu jedem, den ich in anderen Lagen gemieden hätte, ließ mich über die Stadt informieren und das meistens ausschweifender, als ich es vertrug. Nach ungewöhnlichen Vorkommnissen fragte ich, nach Vorfällen, die auffielen, die man sich erzählte. In einer solchen Stadt machte viel die Runde. Gelangweilte Menschen übertrugen Informationen rasanter, als ein Telefon. „Auffälligkeiten“, wiederholte der Barkeeper zum zweiten Mal, wendete das Glas abwesend zwischen den Händen, bearbeitete es mit dem Tuch und ließ die Augen durch die Gaststätte schweifen. „Mm… lassen Sie mich nachdenken.“ Er schürzte die Lippen und juckte sich mit dem Glas im Gesicht. Nachdenken tat er schon eine Weile und ich starrte auf die Theke, festigte meine Geduld mithilfe eines tiefen Atemzuges und nahm den Mann abermals in Augenschein. Er verzog das Gesicht, begann quietschend über das Glas zu schrubben. „Was genau meinen Sie damit? Das Wetter, die Leute? Man hört ja viel.“ „Und was hört man?“, erkundigte ich mich, konnte mein aufkeimendes Desinteresse nur schwerlich verstecken und legte letztendlich auch keinen Wert mehr darauf. Solche Missionen waren die Schlimmsten von allen und jeder Kontakt zu diesen Leuten pure Zeitverschwendung. Und er zuckte mit den Schultern. „In den letzten Tagen hat es viel geregnet.“ Seine Augen fanden zu mir, wussten meine Mimik zu deuten und kurz grübelte er, bevor er hinzufügte: „Auffällig viel.“ Meiner Ansicht nach, vergaß man keine wirklich abnormen Vorkommnisse. Sie brannten sich ein und ganz bestimmt brauchte es keine lange Zeit des Nachdenkens, um sich an sie zu erinnern. Mit einer verwerfenden Handgeste wandte ich mich also ab und verließ einen weiteren Ort, der mir nichts gebracht hatte. Unter diesem Zeichen stand der gesamte Tag und erst, als es dunkel wurde, suchte ich mir einen Platz zum Übernachten. Eine kleine, unauffällige Herberge, in der man mir am Morgen auch keine große Hilfe gewesen war. Die Nacht galt es, zu überdauern und als sich die völlige, schwarze Finsternis über die Stadt neigte, kauerte ich auf dem hohen, hölzernen Dach des Gebäudes. Das Mugen auf dem Schoß, über mir der bewölkte, dunkle Himmel, behielt ich die Stadt aufmerksam im Blick. Sobald eine gewisse Stille eintrat, ließen sich bestimmte Geräusche besser wahrnehmen. Jede Regung auf den nahen Straßen würde ich bemerken, jede Lichtquelle, die nicht von Strom oder Feuer herrührte. Tief atmete ich die kühle Nachtluft ein, saß lange reglos und in die Straßen hinabspähend. Schritte erhoben sich, auch irgendein Getier sorgte für seine Geräusche und einzelne Stimmenfetzen der Nachtschwärmer… leises Scheppern aus der Herberge unter mir, eine flimmernde Glühbirne im gegenüberliegenden Haus… nichts. Es gab nur den rasch kühler werdenden Wind und meine Befürchtungen, dass mein Aufenthalt überflüssig war und diese Stadt lediglich eine ungewisse, lange Route der Akuma geschnitten hatte. Möglicherweise gab es etwas, das ihr Interesse weckte. Vielleicht in weiter Ferne, einer benachbarten Stadt, nur nicht hier. Zu manchen Zeiten spürte man die Anwesenheit des Feindes. Ohne ihn ausmachen zu können, ohne ihn zu erkennen oder sich für eine Richtung zu entscheiden. Es war einfach ein Gefühl, das ich zu deuten wusste und in dieser Stadt nicht wahrnahm. Es war still, es war friedlich. Die Angst der Bürger war mir gleich, in gewissem Sinne auch die Informationen, die sie mir aus dieser Angst vorenthielten. Ihr Erscheinungsbild des Feindes kannte ich, seine Bewegungen… vermutlich wussten die Menschen darüber nicht vielmehr, als ich. Nur schwach war die gedämpfte Form des hochstehenden Mondes zwischen den Wolken auszumachen, als die Mitternacht über mich hereinbrach und ich das Interesse an der Umgebung endgültig verlor. Unter einem tiefen Atemzug senkte ich den Kopf, stieß einen langen Atem aus und schloss flüchtig die Augen. Solche Missionen gab es. Und es gab auch Gründe, sich ihnen dennoch zu widmen. Wie Komui sagte, es geschah, dass man überrascht wurde, dass die Schätzungen nicht ins Schwarze trafen und man kurz darauf beinahe überfordert war mit den Tatsachen, auf die man am Zielort traf. So etwas gab es… Das leise Zirpen einer Grille zog zu mir, als ich die Hand unter dem Zopf versenkte, auch den Weg unter den Kragen der Uniform fand und mir den Nacken zu reiben begann. Es würde wohl nicht lange dauern, bis ich das Hauptquartier wiedersah. Den morgigen Tag würde ich nutzen, um mich in meiner Vermutung bestätigt zu sehen und das Interesse an diesem Ort und den Vorkommnissen begründet zu verlieren. Vielleicht wenige, weitere Befragungen, um auf eine brauchbare Information zu hoffen. Ich schürzte die Lippen, runzelte die Stirn und gab mich einem tiefen Gähnen hin. Dass man hier ermüdete, hatte mich nicht zu verwundern und trübe spähte ich auf. Die Lampe hinter dem gegenüberliegenden Fenster funktionierte immer noch nicht und so rieb ich meinen Nacken weiter, erlaubte es mir, meine Gedanken, meine Konzentration von diesem Ort zu lösen. Glatt und warm spürte ich die Haut unter meinen Fingern… übte einen gewissen Druck auf sie aus, folgte ihrem Verlauf. Sie war längst von den Striemen befreit. Jedes Überbleibsel des Abschiedes war verheilt und warm bettete ich die Hand wiederum im Nacken, ließ die Augen absent zur Seite schweifen. Er wäre hier sehr hilfreich. Seine Fähigkeiten wären wohl eine Vorraussetzung dafür, zu dieser Zeit bereits auf dem Rückweg zu sein. Er bräuchte keine Fragen, er wäre nicht angewiesen. Auf keinen, der hier lebte. Einfach auf niemanden. Ich senkte die Lider, abwesend rückte ich an dem Mugen, rückte es zurecht und ließ die Hand aus dem Nacken rutschen. Hoffentlich wurde ihm eine Mission zugeteilt, auf die ein gewisses Erfolgserlebnis folgte. Einfach eine Mission, die meiner nicht gleichkam und Aufgaben bereit hielt, die ihn von Dingen fernhielten, die meinem untätigen Herumsitzen ähnelten. Träge fand meine Hand ihren Platz auf der Schwertscheide, folgte ihrem glatten Verlauf. Es war wohl nicht schwer, gesund zurückzukehren, mich nach seiner Bitte zu richten. Vermutlich würde ich es wirklich schaffen und das flüchtige, lustlose Grinsen, das sich über meine Lippen flüchtete, zeugte vielmehr von unzufriedenem Sarkasmus, als von Belustigung. Es war wirklich lächerlich… und trotzdem sagte er es immer wieder, kurz bevor wir unserer Wege gingen und das auf unbestimmte Zeit. Das Einzige, was mir hier gefährlich werden würde, wäre ein Tag, der dem Vergangenen ähnelte. Er hatte keinen Grund, sich Sorgen zu machen. „Guten Morgen, Kanda.“ Ja, so war es wohl. Es war in den frühen Morgenstunden und die Helligkeit der Sonne bislang nur zu erahnen. Es dämmerte vor den Fenstern der Herberge und neben mir stand der Finder, den ich mir am gestrigen Tag mit viel Mühe vom Hals gehalten hatte. Um genauer zu sein, stand er nun neben meinem Frühstückstisch und finster lugte ich zu ihm, bevor ich die Stäbchen im frisch gedünsteten Reis versenkte und die Stirn runzelte. Es war der denkbar schlechte Zeitpunkt, mich zu stören. Beinahe war ich noch nüchtern und meine Nerven nicht gestärkt genug. Ich benötigte stets so einiges an Zeit, bevor ich ansprechbar war, ohne, dass es mich zuviel Anstrengung kostete. Unter einem unwirschen Brummen wandte ich mich zu meinen Schüsseln, schnappte nach dem Reis und leerte nebenbei eine Schale mit Soße über dem Reis. Neben mir ertönte ein leises Räuspern. „Wie Sie es mir aufgetragen haben, habe ich das Rathaus aufgesucht. Leider ist der Bürgermeister auf Reisen, also habe ich mit dem Stellvertreter gesprochen, konnte aber auch nichts ausfindig machen. Er hat keine Meldungen erhalten. Die Gerüchte über die Sichtung scheinen noch gar nicht zu ihm gedrungen zu sein und da habe ich jemanden…“ Aha, kauend spähte ich in die andere Richtung, drängte die Stimme des Typen mit viel Übung aus meiner Wahrnehmung. Meine Erwartungen, bestehend aus den neuesten Erkenntnissen, wurden also bestätigt. Vermutlich würde es nicht viel Sinn machen, noch länger hierzubleiben. „Kanda…? Was halten Sie davon? Werden Sie dieser Spur folgen?“ Ich schluckte hinter, wandte mich dem Finder zu und sah ihn sich die Hände reiben. Er wirkte etwas nervös und kurz starrte ich ihn nur an. „Ich meine“, er zuckte mit den Schultern, „vielleicht ist das der Hinweis, den wir brauchen?“ Warum nutzten diese Typen immer den kurzen Moment der Unaufmerksamkeit, um etwas anscheinend Brauchbares loszuwerden? „… also ist er den Akuma einfach um ein Stück gefolgt.“ Fragen waren nicht nötig gewesen. Als wir bald darauf die Herberge verließen, brauchte ich dem Finder nur zu folgen und kam nicht umhin, die gesamte Geschichte, die mir entgangen war, erneut zu hören. Es gab einen richtigen Helden in dieser Stadt, der nicht viel auf das Leben setzte und sich unglaublich für unbekannte Erscheinungen interessierte. Eine Dummheit, die sich vielleicht für mich auszahlte, die eine gewisse Hoffnung darstellte, doch noch etwas zu bewirken. Jede Information, so gering sie auch war, wäre mehr, als ich bis jetzt erreicht hatte und so stand ich kurz darauf neben einem Mann, der an einer Werkbank hockte und wild an einem Holzscheit feilte. Der erste, der bereit war, mir Auskunft zu geben aber jetzt, wo ich ihn sah, wunderte ich mich nicht darüber. Der alte Typ sah aus, als wäre sein Denken diesem Holzscheit recht ähnlich. „Ich dachte, das wären nur Wolkenschatten. Außerdem hatte ich meine Brille nicht dabei“, keuchte er, während die Späne stiebten und ich um einen Schritt zurücktrat. Dieses permanente Schaben und Raspeln verschluckte seine Stimme beinahe vollends. „Es gibt in der Gegend viele Idioten, die sich einen Spaß daraus machen, die Leute mit irgendeinem gebastelten Schabernack zu erschrecken. Ist denen auch bei einigen hier gelungen. Aber nicht bei mir, ich meine, man hört ja auch so Einiges aus anderen Städten.“ „Bleiben wir in dieser Stadt“, schlug ich vor und verschränkte die Arme vor dem Bauch. Wirklich begeistern tat mich dieser Augenzeuge nicht mehr. Spätestens, als ich ihn dort hocken und wie ein Wilder raspeln sah. „Wie viele waren es?“ Mürrisch wurde ich auf einen großen Span aufmerksam und schüttelte ihn von meinem Stiefel. „Wie viele was?“ Sein Gesicht war zu einer merkwürdigen, konzentrierten Grimasse verzogen, als er ganz kurz zu mir starrte. „Erscheinungen“, drückte ich es also vorsichtig aus. „Na, ich würde sagen…“, schnaufend richtete er sich auf, fuhr sich mit dem Arm über die Stirn, „… mehr als drei dürften es nicht gewesen sein.“ „Drei.“ Meine Miene ermüdete. „Vielleicht nur zwei“, zuckte er mit den Schultern. „Die fingen am Stadtrand an und haben sogar den großen Bauernhof überquert.“ „Wie sahen sie aus?“ Ich nuschelte es ihm entgegen, betrachtete mir die Menge an Werkzeugen, die mich, wild verstreut, umgab. „Das ist schwer zu erklären… ähm…“, klirrend wurde die Feile zur Seite geworfen und in einem Werkzeugkasten gewühlt, „… sie waren groß und… lassen Sie mich überlegen.“ „Rundlich?“ „Ja!“ Sein Gesicht erhellte sich und ich weitete in lustloser Faszination die Augen. „Genau so sahen sie aus. Irgendwie ziemlich dumm, so was zu bauen. Ich denke, diese Dinge waren sogar richtig hässlich. Wie richtige Geister eben und…“ Höchsten drei Akuma des ersten Levels, die sich fortbewegten, ohne zu zerstören…? „In welche Richtung sind sie verschwunden?“ Wären es mehr gewesen… Der Typ zog eine weitere Feile hervor, rückte an dem Holzstumpf und zog die Nase hoch. „Bevor ich umgekehrt bin, sind sie nach Südosten abgehauen.“ „Wirkten sie zielstrebig?“ „Ach… ne, die sind von einer Seite zur anderen und zurück. War ja auch ziemlich dunkel.“ Mehr musste ich vermutlich nicht wissen. Außerdem wusste ich nicht, ob ich Lust hatte, weitere Fragen zu stellen und auf eine utopische Wendung seiner Verwirrung zu hoffen. „Mehr wollte ich nicht.“ Somit löste ich die Arme von meinem Bauch, rümpfte die Nase und wandte mich ab. Er konnte ruhig weiter an seinem Kunstwerk arbeiten. „Sind Sie irgend so ein Polizist?“, rief er mir noch nach, als ich endlich aus der dreckigen Werkstatt verschwinden wollte. Die Augen verdrehend, schob ich mich gegen die schwere, hölzerne Tür des Schuppens. „Kümmern Sie sich um solche Idioten?“ Um Idioten kümmerte ich mich wirklich hin und wieder. Überaus unfreiwillig und lustlos winkte ich ab, bevor ich mich nach draußen schob. Endlich Erkenntnisse… auf Genauere konnte ich nicht hoffen und so war kurz darauf der Kontakt zum Hauptquartier hergestellt. Im Schatten eines Baumes lauschte ich dem Freizeichen, traf mit der Schulter auf den Stamm, abwartend um mich blickend. Es dauerte nicht lange, bis ich den gewünschten Gesprächpartner an der Leitung hatte und ebenso kurz blieb auch die Erklärung. Viel war immerhin nicht vorgefallen. „Was soll ich machen?“, erkundigte ich mich letztendlich. „Die Spur der Akuma verfolgen und sie ausfindig machen?“ „Ach… nein, ich denke, das brauchst du nicht.“ Im Hintergrund raschelten Unterlagen. Vermutlich wühlte er wieder in einem undurchsichtigen, schleierhaften Haufen aus längst verpassten Angelegenheiten. „Bis du die eingeholt hast. Falls sie wieder gesichtet werden, kann sich auch ein anderer aus der Nähe darum kümmern. Du kommst einfach zurück.“ „Verstanden.“ Das war mir recht. Alles, außer hier zu bleiben und ehrlich gesagt, hielt ich die Verfolgung der Akuma selbst für sinnlos. „Es wird spät, vermutlich in den Abendstunden.“ „Ist in Ordnung, Kanda. Du kannst dir Zeit lassen, solange du dich morgen früh bei mir blicken lässt und für die nächste Mission bereit bist. Es gibt viel zu tun.“ Alles war gesagt und ich nicht bereit, Komuis Großzügigkeit auszunutzen und mir ‚Zeit zu lassen’. Keine Stunde später erreichte ich den Bahnhof. Befreit von der Last des Fehlschlages, mit dem ich mich nun nicht mehr zu befassen hatte. Genauso war ich den Finder los und mit ihm jeden Gedanken an die vergangenen zwei Tage, auch zu bezeichnen als reine Zeitvergeudung. Die Mission, die mich am morgigen Tag erwartete, brachte mir eine gewisse Zuversicht, in der ich die Tagesreise ruhig und entspannt auf mich nahm und mein Ziel erst erreichte, als die Sonne auf den Horizont traf. Es dämmerte, als ich das Hauptquartier betrat, die gewohnte Luft atmete und mich auf den Weg zu meinem Raum machte. Nach dem Frühstück, bei dem ich zusätzlich noch gestört worden war, musste der Schlaf zugunsten eines reichlichen Abendbrotes warten und ich hielt mich nicht lange damit auf, die Uniform loszuwerden, in etwas Bequemes zu schlüpfen und auch der Dusche einen Besuch abzustatten. Es war stets ein angenehmer Abschluss und Zwischenschritt zu neuen Herausforderungen und ich blieb länger unter dem Wasserschauer hängen, als geplant, genoss die Wärme, reinigte mich penibel und war bald darauf auf dem Weg zu meinem nächsten Ziel. Ein lockeres Shirt war auf Dauer weitaus bequemer, als die Uniform. Auch die Hose saß locker und kurz fischte ich mit dem Fuß nach der widerspenstigen Schlappe, als ich mich gegen die Tür des Speiseraumes schob. Schnell hatte ich sie mit den Zehen zurückgezogen, war hineingeschlüpft und schlürfte in die Halle. Wie jedes Mal, wenn ich zurückkehrte, hegte ich gewisse Erwartungen und Vorstellungen. Jedes Mal zog ich eine Möglichkeit in Erwägung, die mich zufrieden stellte und flüchtig studierte ich die Anwesenden, ließ die Augen durch ihre Reihen schweifen und hob die Hände zu dem Haarknoten, um eine verirrte Strähne unter dem Band zu verstauen. Eigentlich musste man sich nicht umschauen. Eigentlich musste man nur lauschen und sich an einem auffälligen Scheppern und Schlürfen orientieren, doch die Halle umgab mich annähernd leer. Still. Nur wenige Finder traf ich hier an und ich hielt mich nicht lange mit ihnen auf, zog an ihnen vorbei und besorgte mir mein Abendbrot. Natürlich, er hatte es ja gesagt. Er war genauso unterwegs, wie ich, war losgeschickt worden und das vermutlich mit weitaus produktiveren Zielen. Er war noch nicht zurück und so gab ich mich mit aller Ruhe dem Essen hin, hielt den weitmöglichsten Abstand zu den anderen Gästen und musste auf diese Art und Weise nicht einmal Fetzen ihrer Gespräche mitbekommen. Unterdessen immer mal wieder nach einzelnen Strähnen fischend, versenkte ich die Stäbchen in dem Berg aus Nudeln, schob die Schlappen unter dem Tisch mit den Füßen von einer Seite zur anderen und fühlte mich durch nichts gestört. Vermutlich erwartete mich auch eine ruhige, ereignislose Nacht. Sobald mein Magen gefüllt und ich vollends satt war, verschwand ich aus dem Speiseraum und machte mich auf den Weg zu meinem vorerst letzten Ziel. Unter einem tiefen Atemzug stellte ich den Wasserhahn ab. Meine Hüfte traf auf das Waschbecken und die Augen teilnahmslos auf den Spiegel gerichtet, versenkte ich die Zahnbürste im Mund und begann zu putzen. Beiläufig befreite ich auch einen Fuß aus einer Schlappe, drehte und wendete sie und regte mich am Waschbecken. Es gab so langweilige Dinge und während meine Hand permanent in Bewegung blieb, drifteten meine Augen im Spiegel zur Seite, betrachteten sich gelangweilt die Einrichtung des Bades. Wenn ich zu dieser frühen Stunde schlafen ging, war es ein Leichtes, morgen nichts an Pünktlichkeit auszusparen und Komui früh zu besuchen. Der Schlaf hatte soviel mehr Wirkung, wenn man sichere Erwartungen in den folgenden Tag legen ko… Abrupt bekamen meine Zähne die Borsten der Zahnbürste zu fassen und mit aufgeblähten Wangen starrte ich in den Spiegel, verfolgte die Bewegungen eines unerwarteten, oder vielmehr noch unerhofften Zeitgenossen. Das Hauptquartier war nicht klein. Die Ausweichmöglichkeiten immens und die Räume in einer solchen Vielzahl, dass es einem schaurigen Zufall ähnelte. Und das immer und immer wieder. Vermutlich war ich verflucht und Augenrollend tastete ich wieder nach der Zahnbürste, als er am benachbarten Waschbecken zum Stehen kam, träge eine Tube Zahnpasta auf die Ablage warf und tiefen Atem holte. Etwas wirr fiel das rote Haar in seine Stirn, als er die Hände in die Hüften stemmte und den Kopf schief legte. Er schien müde zu sein, war angenehm still und kratzte sich flüchtig am Ohr, bevor er die Augen vom Spiegel löste und zu mir rüberspähte. Stoisch putzte ich weiter, nahm nur beiläufig wahr, wie er schmatzte und am Gürtel seiner Hose rückte. „N’Abend“, begrüßte er mich aber letztendlich nur entspannt und zückte die Zahnbürste. „Mm“, brummte ich nur und er begann zu werkeln, gab sich einem Gähnen hin. „Auch gerade angekommen?“ Der Wasserhahn rauschte kurz, bevor er Gebrauch von der Zahnbürste machte, sie klackernd zwischen den Zähnen bewegte. „Iff ganf fön kalt draufn.“ „Mm.“ Skeptisch lugte ich kurz zu ihm, ließ die Zahnbürste sinken und tastete nach dem Wasserhahn. Keine dumme Bemerkung? Bevor ich zu der gescheiterten Mission aufgebrochen war, hatte ich mir die Zähne nur geputzt, damit mein Lächeln noch strahlender wirkte. Jetzt putzte er einfach vor sich hin und kratzte sich den Rücken. Sehr viel hatte er nicht zu sagen und ich beugte mich zum Waschbecken. Lavi war nie müde genug, um etwas Intelligentes loszuwerden und als ich nach einem Handtuch langte, erwischte ich mich erneut dabei, wie ich zu ihm spähte. Vermutlich war er einfach nur erschöpft oder verletzt. Flüchtig trocknete ich mir das Gesicht, ließ die Zahnbürste aus der Hosentasche lugen und zog an ihm vorbei. Nur bedingt erwachte er zum Leben, blinzelte und nickte mir knapp im Spiegel zu. „Mmacht.“ „Mm.“ Binnen weniger Augenblicke eingeschlafen, erwachte ich in den frühen Morgenstunden völlig ausgeschlafen. Auf Stärkung war ich nie angewiesen und so präsentierte sich mir ein Tag, mit dem ich es problemlos aufnehmen konnte. Beiläufig befreite ich mein Gesicht von verirrten Strähnen, schwang die Beine über die Bettkante und streckte mich ausgiebig. Der Moment war passend. Ich hatte die Morgendämmerung erwischt und bevor ich vor Komui stand, würde es nicht einmal sieben Uhr geschlagen haben. So folgte ich also meinen morgendlichen Wegen und von der erfrischenden Dusche direkt zum Speisesaal, der zu dieser Uhrzeit noch eine ausreichend ruhige Geräuschkulisse bot. Es lag in einem Maß, mit dem ich mich zufrieden stellte. Einige Wissenschaftler waren es, die die Gunst der frühen Stunden nutzten, jedoch zu müde und zu überarbeitet waren, um zu sehr auf sich aufmerksam zu machen. Nur nuschelnd unterhielten sie sich, während sie ihren Kaffee tranken und auf ihren Tellern stocherten. Die wenigen Finder saßen voneinander getrennt und in der beinahe völligen Lautlosigkeit atmete ich tief durch, schlürfte zum Tresen. Natürlich war ich auch diesmal auf die Tatsache aufmerksam geworden. Schon gestern Abend war sie mir begegnet und ich registrierte sie, rieb mir das Gesicht und erreichte das Ziel. Nur flüchtig klopfte ich auf die hölzerne Theke, machte mich kurz an dem Shirt zu schaffen und fand sofort Beachtung. Nur wenige Sekunden, bis die Tür zur Küche aufschwang, sich mir leichte Schritte näherten und mich eine frische Brise erfasste. Schwungvoll stemmte sich Jerry auf den Tresen, musterte mich schmunzelnd und stützte das Kinn in beide Hände. „Einen wunderschönen guten Morgen, Kanda. Gut siehst du aus… ausgeschlafen, meine ich.“ Sein Schmunzeln vertiefte sich, sowie er mit dem gesamten Leib etwas tiefer zu rutschen schien und ein lautes Seufzen ausstieß. „Ach ja…“, er rollte das Gesicht von einer Seite zur anderen, schwang sich einen Zopf über die Schulter. „Was darf’s sein? Womit kann ich dich beglücken?“ Es handelte sich nicht um eine Frage, die man schwer beantworten konnte. Ich benötigte nur wenige Sekunden länger, um es zu tun und starrte ihm skeptisch nach, als er sich herum schwang und zur Küche zurückkehrte. Und wieder sein Seufzen, unter dem er sich durch die Tür schob und wild gestikulierend verschwand. Es ging mich ja nichts an aber nicht nur der Rotschopf schien bei schlechter Laune zu sein… Nein, es ging mich wirklich nichts an und stoisch verschränkte ich die Arme vor dem Bauch und betrachtete mir völlig grundlos die hohen, steinernen Wände. Würde mich so etwas interessieren, hätte ich vermutlich alle Hände voll zu tun. Ich lauschte dem Werkeln hinter der Tür, ebenso dem pausenlosen Geschnatter, mit dem Jerry jeden seiner Schritte verriet. Sehr mitteilungsbedürftig heute. Er erzählte und redete, das Geschirr klirrte und die Wissenschaftler murrten in meinem Rücken. Ich wollte nur frühstücken und blieb geduldig stehen. Die Hände in den Hosentaschen verstaut, die Augen über den Tresen schweifen lassend, zogen nur wenige Augenblicke an mir vorbei, bevor ein leises Quietschen verriet, dass sich die große Tür erneut öffnete. Ein unbedeutendes Regal war das Ziel meiner Augen gewesen, geriet jedoch abrupt in Vergessenheit und beinahe zufällig drehte ich mich um ein Stück, wandte mich der Halle zu und kurz darauf auch schon wieder zur Theke. Es waren zwei, die nun die Tischreihen hinter sich ließen und sich mir näherten. Ihre Stimmen hörte ich von weitem und entspannt regte ich die Schultern, streckte mich auf den Beinen und entspannte mich. Noch zwei Redselige. „… davon muss man nicht ausgehen“, vernahm ich Lavis Stimme und ihre Schritte kurz darauf in meinem Rücken, bevor sie mich erreichten. Sie hatten sich Zeit gelassen und ich hielt mich mit meiner Aufmerksamkeit zurück, als sie in meiner Nähe stehen blieben und sich sofort und abermals aneinander wandten. „Aber eine andere Möglichkeit sehe ich auch nicht.“ „Mm.“ Lediglich ein unentschlossenes Seufzen drang aus Linali’s Richtung und ich presste die Lippen aufeinander, blinzelte unbeteiligt in die entgegengesetzte Richtung. Heute taten sich mir hier so einige Mysterien auf. „Ah, guten Morgen, Kanda.“ Ich hatte es erwartet und als ich flüchtig zu der jungen Frau lugte, präsentierte sie mir ein Lächeln, das brüchiger nicht sein könnte. Die eine Hand in der Hüfte, die andere im Schopf, bearbeitete Lavi neben ihr den Boden mit den Schuhsohlen und starrte auch auf genau diesen. „Tut mir leid, ich habe dich gar nicht bemerkt.“ Das Lächeln vertiefte sich entschuldigend und kurz vom Rotschopf abgelenkt, ließ ich mir auch mit dieser Antwort Zeit. Letzten Endes war es nur ein Brummen, das ich selbst nicht definieren konnte und unter dem ich mich auch schon wieder abwandte. Mehr erwartete man hoffentlich nicht von mir und wirklich herrschte in meinem Rücken daraufhin ein kurzes Schweigen. Ein Schweigen, zwischen Lavi und Linali. Und Jerry brauchte auch seltsam lange. Ein Verlust? Mir war nichts zu Ohren gekommen, was diese erdrückende Atmosphäre erklären könnte. Lavis Schweigen, das Scharren seines Fußes und ebenso meinte ich die Unruhe der jungen Frau zu spüren. „Vielleicht…“ Sie ertrug das Schweigen wirklich nicht allzu lange und argwöhnisch lauschte ich dem Scheppern des Geschirrs in der Küche. Hinter mir wandten sie sich wieder aneinander, „… ja, könnte er sich nicht einfach verlaufen haben?“ Nur zögerlich und leise stellte sie diese Frage. Geradewegs, als hätte sie Respekt vor der Antwort und während ich das Interesse an der Küche verlor, übernahm es Lavi. „Telefone gibt’s überall. Er könnte sich einfach melden“, brummte er und es war ein seltsames Gefühl, abrupt auf die Antwort zu stoßen. Ich meinte es zu verstehen und ohne, dass ich ihn zu lenken hatte, wandte sich mein Leib von der Theke ab. Das Gesicht gesenkt, die Augen sorgenvoll auf den Boden gerichtet, rieb die junge Frau ihre Arme. Es schien, als würde sie frieren und als ich von ihr zu Lavi spähte, blähte dieser die Wangen auf. Er wirkte beinahe trotzig, als er daraufhin auch den Kopf schüttelte. „Es dauert einfach zu lange. Verdammt, vielleicht ist ihm wirklich etwas zugestoß…“ „Lavi…!“, entsetzt wurde er unterbrochen. Die Stimme der jungen Frau war nicht mehr, als ein Keuchen, als sie an den Rotschopf herantrat. Sofort war dieser verstummt und seine Miene zeugte von einer verbitterten Anspannung, als er sich mit einer Hand die Haare raufte. Die Hände vor der Brust umfasst, wandte sich auch Linali ab, presste die Lippen aufeinander und ich hob die Augenbrauen. Ich war hellhörig geworden, war aufmerksam und machte keinen Hehl daraus. Zielstrebig fanden meine Augen zu Lavi zurück und nachdem er einen stillen, zurückhaltenden Fluch losgeworden war, spähte er auf und traf auf meinen Blick. Ich hatte Vermutungen, hatte sie automatisch und ohne, dass sie einen Namen nannten. Vorerst nur schweigsam sah er mich an, presste die Lippen aufeinander und stemmte die Hände in die Hüften. „Allen hätte vor knapp zwei Tagen von seiner Mission zurückkommen sollen“, er nickte angespannt in sich hinein, weitete die Augen, „… ist er aber nicht.“ „Jeder Kontakt zu ihm ist abgebrochen.“ Unerwartet mischte sich Linali ein, lenkte meine Aufmerksamkeit auf sich. So besorgt hatte ich sie schon lange nicht mehr gesehen, sie versteckte so etwas nicht. „Der Finder, mit dem er unterwegs war, hat ihn verloren. Er ist…“, hilflos hob sie die Hände, „… einfach verschwunden. Seit zwei Tagen und zwei Nächten.“ „Die Mission sollte nur einen Tag dauern“, mischte sich Lavi ein, „Kämpfe waren eigentlich nicht vorgesehen aber der Finder meinte, dass plötzlich doch einer ausgebrochen wäre, woraufhin Allen einfach wie vom Erdboden verschwand.“ Schweigend blickte ich von einem zum anderen, runzelte die Stirn. Es schien sich herumgesprochen zu haben und ich musste mir keine Fragen mehr stellen. Die Tatsachen lagen deutlich vor mir, nicht minder deutlich, wie die Besorgnis in ihren Gesichtern und unter einem tiefen Atemzug rieb ich mir die Wange, spähte an ihnen vorbei und verstrickte mich selbst in Gedanken. Diese Mission hatte er erwähnt, kurz bevor ich mich auf den Weg gemacht hatte. Nicht viel später als ich musste auch er das Hauptquartier verlassen haben. „Die Finder vor Ort sollten ihn schon suchen aber bisher gibt es keine Spur.“ Lavi war es, der mich aus den Gedanken riss, mich in die Realität zurückholte und mir die Tatsache vor Augen führte, dass ich kein Verständnis für sie übrig hatte. Alles in mir sträubte sich, mich ihren Befürchtungen anzuschließen und so blieb mir nichts anderes übrig, als abermals die Stirn zu runzeln. „Zwei Tage“, wiederholte ich skeptisch und sofort nickte Linali. „Zwei Tage sind keine Zeit.“ „Wa…?“ Augenblicklich entspannte sich das Gesicht der jungen Frau perplex. Für Lavis Miene interessierte ich mich nicht, nahm eher sie in Augenschein und tat es skeptisch. „Wir reden hier nicht von einem Finder, der nichts auf die Reihe kriegt.“ Ich nahm mir Zeit, nicht bewusst, um ihnen ein sorgenfreies Leben zu verschaffen, nein, die Art, wie sie sprachen, missfiel mir und ich sagte, was ich zu sagen hatte. „Ihr macht es euch ziemlich einfach, gleich vom Schlimmsten auszugehen.“ „Na, hör mal.“ Während Linali deutlich verunsichert den Blick abwandte, ließ Lavi es nicht auf sich sitzen. „Wir würden uns auch Sorgen machen, wenn es nicht um Allen gehen würde und zwei Tage sind eine verdammt lange Zeit, dafür, dass er sonst immer pünktlich ist und ansonsten gleich anruft.“ Wortlos öffnete ich den Mund, spähte zu Linali zurück und vernahm nur beiläufig das Geräusch der Küchentür. Um mein Verständnis bemühte er sich vergebens. Es war kein Geheimnis, dass ich ihn kaum verstand… eigentlich sehr wenig an ihm aber spätestens zu diesem Zeitpunkt gab es nur diese Abneigung in mir. Eine ehrliche, aufrichtige andere Meinung, die sich nicht als Schutz vor Ängsten und Tatsachen manifestierte. Leise schepperte das Geschirr, als das Frühstück neben mir auf der Theke abgestellt wurde und sofort drehte ich mich um, nickte Jerry zu und griff nach dem Tablett. „Deine kalten Soba-Nudeln. Lass es dir schmecken“, folgte kurz darauf das nächste Seufzen und das Tablett auf dem Oberarm, hielt ich noch einmal kurz bei den Beiden inne. Die Lippen aufeinandergepresst, schien Linali förmlich auf weitere Worte zu hoffen. Nicht nur ihr Gesicht, auch ihre Augen taten es, während Lavi mich mit einem Anflug von gewohnter Enttäuschung musterte. Vermutlich war ich jetzt wieder der Gnadenlose. Es interessierte mich nur nicht. „Nach einer Woche hätte ich vielleicht eine andere Meinung dazu.“ Beiläufig rückte ich an einem Schälchen und blickte zu Linali auf. Auch Jerry harrte auf der anderen Seite des Tresens aus. „Wenn ihr fair sein sollt, vertraut ihm. Er ist zwar nur eine Bohnenstange, wird aber wohl trotzdem auf sich aufpassen können.“ Mit diesen Worten zuckte ich mit den Schultern, entzog mich weiteren Reaktionen und schob mich an ihnen vorbei. Schweigen war vorerst die Antwort und die ersten daraufhin folgenden Wortfetzen versuchte ich erst gar nicht zu verstehen, suchte mir die nächste freie Bank und schob mich mitsamt dem Tablett auf den Platz. Den Tresen im Rücken und somit auch alle dort lauernden Angelegenheiten, zog ich die Unterlage näher, griff nach den Stäbchen und schöpfte tiefen Atem. Als hätte ich mir die Zweifel selbst ausgetrieben, bevor sie in mir empor wucherten, als hätte ich sie im Keim erstickt. Ich stand hinter meinen Worten, sowie hinter meiner Meinung und an meiner morgendlichen Entspannung hatte sich nichts geändert. Selbst meine Zufriedenheit war annähernd unangetastet. Womöglich fasste man meine Meinung anders auf, wenn man nicht wusste, wie sehr ich diesen Jungen kannte. Vermutlich ähnelte es einer oberflächlichen Meinung, um sich selbst von etwaigem Interesse fernzuhalten, doch dem war nicht so. Bequem ließ ich es mir schmecken, achtete nicht auf meine Umwelt, nicht auf Geräusche, nicht auf Worte. Natürlich, bis auf den Grund seines Wesens konnte wohl niemand schauen. Seine Gewässer waren trübe und undurchsichtig und die Grenzen, vor denen ich stand, hoch. Doch Grenzen hatten wir beide. Auch er stand vor meinen. Die Äußeren hatten wir überwunden, waren weiter vorgedrungen, als andere, bis uns die Distanz für das Beisammensein genügte und dieses funktionierte. Fragen gab es immer. Fragen, die man dennoch nicht stellte, weil es keinen Anlass dafür gab. Und neben diesen Fragen gab es auch Dinge, die nicht angezweifelt wurden. Dinge, die am Ufer lagen… für alle Augen ersichtlich. Er war nicht schwach… er war alles andere, als das und beileibe war ich nicht der Einzige, der ihn in Kämpfen erlebte, der seine Fortschritte sah und diese respektierte. Und er war kein Kind mehr… seine Stärke hatte ihm das Recht genommen, sich als ein solches zu bezeichnen, sollte er auch der Jüngste unter uns sein. Er gab sich selbst nicht dafür aus, verhinderte jedoch nicht, dass ihn andere als Kind sahen, wenn sie es so wollten, wenn sie es sich so vorstellten. Er wusste, wer er war und er war nicht der Einzige. Vor Sorgen wusste man sich nicht permanent zu schützen. Auch mich hielten sie zu gewissen Zeiten gefangen, in Augenblicken, die soviel ungefährlicher schienen, als zwei Tage, die er als vermisst galt. Doch diesmal nicht und ich brauchte nicht nach Erklärungen zu suchen. Ich war mir sicher in meiner Einstellung und ich zwang niemanden, sie zu verstehen. Letztendlich ging es doch um ihn. Wir waren hier und ich sah keinen Anlass, aus einem solchen Grund an allem zu zweifeln, was ihn ausmachte. Was meine… Faszination ihm gegenüber ausmachte. Ich aß mein Frühstück und tat es auch weiterhin, ohne mich einbeziehen zu lassen. Die Gesprächsthemen drangen nicht in mich, die Sorge konnte mich nicht erreichen und als ich das Tablett bald darauf und gesättigt zurückbrachte, sah ich mich nicht um. Es war kein Blick nötig, um die Bitterkeit zu spüren, in der mir ein Blick folgte. Es verwirrte mich, wie realistisch meine Mitstreiter in prekären Lagen dachten, wie selbstbewusst sie sich trotz der größten Gefahr an die Entschlossenheit klammerten und sich eines Überlebens sicher waren. Und so verwirrte es mich auch, dass sie sich in Situationen wie diesen, so fleißig am Pessimismus bedienten. Aber es blieben ihre Sorgen, denn ich dachte anders und ohne ihnen Beachtung zu schenken, verließ ich den Speisesaal und machte mich auf den Weg zu meinem nächsten Ziel. Ich würde mich dieser Atmosphäre bald entziehen können, würde diesen Ort verlassen und mit ihm ihre Schwankungen. So klopfte ich kurz darauf an jene Tür, senkte die Hand zur Klinke und schob mich in das Büro des Abteilungsleiters. Aus einer gewissen Höhe starrte er auf mich hinab, sicherte seinen Halt auf der Leiter und wandte sich wieder seiner Suche zu. Sie bezog sich auf die Bücher und nur kurz tastete er sich durch ihre Reihen, bevor er nach einem Werk griff und es an sich nahm. „Ah, guten Morgen, Kanda… schön, dass du so früh kommst.“ Das Holz der Leiter knarrte, als er sie vorsichtig hinab stieg, das dicke Buch unter den Arm geklemmt. Ein angestrengtes Keuchen erhob sich, als er den sicheren Boden erreichte und entspannt wurde ich zum Schreibtisch gewinkt. „Setz dich doch.“ Dumpf landete das Buch auf der Arbeitsfläche und während er sich hinter ihr niederließ, langte er schon nach dem Telefonhörer. Ich ahnte etwas und verfolgte sein Treiben genau, als ich mich niederließ, mich zurechtrückte und einen zerknüllten Zettel unter mir hervorzog. Hier lag wirklich überall etwas herum. In jeder Ecke, jedem Spalt und Naserümpfend warf ich das Ding zur Seite und lehnte mich zurück. „Ich bräuchte Miranda in meinem Büro“, erhob sich da schon Komuis Stimme und ich blickte auf, öffnete den Mund und sah nur ein zustimmendes Nicken, direkt und unausweichlich an mich gerichtet. Er kannte meine Gedanken, interessierte sich nur nicht dafür. Weshalb auch? Ich runzelte die Stirn, bettete den Arm auf der gepolsterten Lehne und blickte zur Seite. „Mm… es wäre wichtig.“ Leise trommelten Komuis Finger über die Arbeitsfläche und kurz lauschte er nur in den Hörer, schürzte die Lippen. „Na, dann sucht ihr sie natürlich. In fünf Minuten. Hopp, hopp, macht eure Arbeit.“ Der Hörer landete an seinem alten Platz und wieder hörte ich dieses Ächzen. „Ach ja…“ Er faltete die Hände, stemmte die Ellbogen auf den Tisch und betrachtete mich etwas müde. „Lass uns noch warten, bis sie da ist. Es handelt sich um eine so wichtige Sache, dass ich es nicht zweimal erklären will.“ „Meinetwegen.“ Vergrämt rückte ich mich zurecht. Es lag weniger daran, dass ich die nächste Mission nicht alleine auf mich zu nehmen hatte. Die Bevorzugung lag woanders, doch Miranda war halbwegs erträglich… angenehm still, vorausgesetzt, ich hatte Glück und sie einen müden Tag. Mein Problem war abrupt eingetreten, war genau hier und jetzt und ich presste die Lippen zusammen, zog die Nase hoch und lauschte der Stille. „Hast du gut geschlafen?“ Sie hielt nicht lange an. Es war eine Gelegenheit, die für ein inhaltsloses Gespräch herzuhalten hatte und genau da lag das Problem. „Mm“, bejahte ich und blickte zur hohen Decke des Raumes auf. „Das ist schön. Ich nicht.“ „Mm.“ Wie hoch die Regale reichten… man könnte meinen, die Blätter, die den Boden bedeckten, flatterten bei fragwürdigen Erdbeben direkt von dort oben hinab. Wie ein raschelnder, weißer Regen, der dieses Chaos hinterließ. „Mm.“ Nach einer kurzen Stille erwiderte er mein unwirsches Murmeln, kurz darauf raschelte das Papier. Wenn man es recht bedachte, wurde mir das Glück schon in diesem Moment zuteil. Komui schien unter jenen zu sein, die sich um Belangloses sorgten und unauffällig nahm ich ihn in Augenschein, verfolgte, wie er sich dem Buch widmete, den Versuch, ein Gespräch zu beginnen, schnell aufgeben hatte. Die Baskenmütze hing über der Lehne des Stuhles und unter einem tiefen Atemzug fuhr er sich durch das Haar, blätterte weiter. Schätzte nicht einmal er den Jungen richtig ein? War er es nicht, der all seine Berichte las? Die Zeugnisse seines Könnens? Und wir saßen dort, schwiegen in uns hinein und teilten die Gedanken in keiner Weise. Es hatte sich nichts geändert, die Miene, die sich mir gegenüber präsentierte, war nicht dazu imstande, etwas in mir aufzuwühlen und erst, als die Tür klickte, erwachten wir zu altem Leben. Komui blickte auf, ich zog den Arm von der Lehne und lenkte die Augen auf die schwarzen, dünnen Mappen, die dort schon bereit lagen. „Guten Morgen. Komm rein.“ Das Buch wurde geschlossen und nur beiläufig lauschte ich den Schritten, die sich dem Sofa näherten. „Guten Morgen.“ Eine kühle Brise erfasste mich und knapp nickte ich dem Neuankömmling zu. Auch Komui schloss sich meinem Nicken an, schob das Buch zur Seite und ließ sich Zeit, bis sich Miranda auf der anderen Seite des Sofas niedergelassen hatte. Flüchtig lugte ich zu ihr und bekam sofort ein leichtes Lächeln geboten. Sie rückte sich zurecht, zupfte an ihrem weißen Baumwollpullover und schloss sich meiner Aufmerksamkeit an. Gemeinsam warteten wir und Komui kam zum Wesentlichen. Er räusperte sich, griff schon nach den beiden Mappen und zog sie zu sich. „Der Grund, weshalb ich euch beide schicke, ist, dass die folgende Mission unter keinen Umständen scheitern darf. Ich denke, dass ihr euch perfekt ergänzen könnt, sollte es zu Gefechten kommen.“ Vermutlich, so unterschiedlich unsere Fähigkeiten auch waren… in Verbindung zueinander boten sie eine nicht zu unterschätzende Sicherheit. „Vor kurzem erhielten wir ein Schreiben von Marshall Cloud.“ Er blickte um sich, suchte nach dem Dokument und schien diese Sache doch sofort wieder zu verwerfen. „Sie befindet sich in Paris und ist durch geschäftliche Angelegenheiten außerstande, die Stadt zu verlassen, also schicke ich euch, um ihr neue Einheiten Innocence zu überbringen.“ Kein gewöhnlicher Auftrag und trotzdem nichts Neues. Es war unerfreulich gewesen, den eigenen Marshall vor einem Jahr aus denselben Gründen aufzusuchen und im wahrsten Sinne des Worten zu ‚suchen’. Genau und ungern erinnerte ich mich noch heute an all die Neuigkeiten, die er mir dringend mitzuteilen hatte. Cloud war vermutlich anders und ich dem Auftrag nicht abgeneigt. Es würde sich nicht wiederholen und ehrlich gesagt, war ich recht zufrieden. Komui reichte uns die Mappen und sofort kamen wir auf die Beine, nahmen sie entgegen. „Sie hat uns ihren genauen Standort mitgeteilt.“ Mit einem Nicken wies er auf die Mappen und ich trat zurück, öffnete meine. „Ihr findet sie also ohne Probleme. Brecht bitte sofort auf und geht zu Hebraska. Sie wird euch die Einheiten übergeben.“ Er lehnte sich zurück und ich blätterte weiter, betrachtete mir die Karte, studierte die Markierung. Eine Suche erwartete mich schon einmal nicht. „Ach, sie hat außerdem um die Unterstützung zwei neuer Finder gebeten.“ Was…? Augenblicklich verlor ich das Interesse, blickte auf und strengte mich nicht an, meine Frustration zu verstecken. Neben mir wurde unbeeindruckt weitergeblättert und meine Reaktion erneut übersehen. „Die nehmt ihr gleich mit.“ Das war es mit meiner Zufriedenheit und ich behielt es für mich und schloss die Mappe. Man konnte sich nicht weit genug entfernen und sobald man nicht mehr zu einer gemeinsamen Reise gezwungen war, zog ich mich zurück. Der Zug bot die besten Gelegenheiten und die leere Kabine mir die ersten ruhigen Stunden. Losgelöst von dem permanenten Gerede in meinem Rücken und den versteckten Blicken der Finder, atmete ich in dieser Stille auf, suchte mir auf dem Polster die bestmöglichste Bequemlichkeit und postierte den Koffer sicher neben meinen Beinen. Gemütlich nutzte ich auch die Rückenlehne, wandte das Gesicht zum Fenster und bearbeitete die schwarze Mappe mit den Fingern. Mich erwartete eine lange Fahrt, eine lange Zeit, in der mich niemand in meinen Gedanken stören würde. Und sie waren da… permanent und in einer solchen Vielzahl, dass ich mich nicht vor ihnen zu schützen wusste. Ich betrachtete mir das Glas des Fensters, weniger die Dinge, die auf der anderen Seite vorbeizogen, verfolgte jeden Kratzer mit den Augen und ertastete den Waffengurt, der um meinen Hüften lag. Auch ihn begann ich abwesend zu bearbeiten. Meine Meinungen zu gewissen Dingen hatten sich nicht geändert. Vor allem hier und an diesem neutralen Ort fühlte ich keine Regung in mir, die der Besorgnis gleichkam. Hier war ich befreit von all den Einflüssen, gegen die ich mich möglicherweise zu wehren hatte. War sicher vor der Schwäche der Anderen, ihrer Blindheit, in der sich die eigenen Befürchtungen sahen und neben ihnen nichts anderes. Nicht die offensichtlichen Tatsachen, die ihnen etwaigen Grund für ihr Verhalten nahmen. Es gab die einen und anderen unter uns, die mit jeder Lage umgingen, die einen klaren Kopf bewahrten. Welche, die nie blind in Hinterhalte liefen, niemals planlos mit den Situationen überfordert waren. Ich war keiner von denen, die diese Gegebenheiten nicht beachteten. Ich war keiner von denen, die sich Gedanken machten… Und ich tat es doch und löste die Augen vom Fenster, als ich mir dessen bewusst wurde. Wie einfach sie mich doch in ihre düsteren Ahnungen gezogen hatten. Was hatte ich zu grübeln, wenn es keine Zweifel in mir gab? Ich hatte keine Gedanken daran zu verschwenden, sondern vielmehr meine eigenen Erwartungen. Ich wäre nicht lange unterwegs. Die Mission würde sich nicht in die Länge ziehen. Voraussichtlich nicht und keine drei Tage würden vergehen, bis ich wieder das Hauptquartier betrat. Drei Tage, in denen sich dort alles veränderte, in denen er zurückkehrte und irgendeine Geschichte erzählte, die all das aufklärte und die anderen über ihre hirngespinstigen Befürchtungen lachen ließ. Er wäre unverletzt… vermutlich müde und hungrig. Erschöpft von einem langen Weg und all den Außerplanmäßigkeiten, die ihn aufgehalten hatten. Möglicherweise würde er bald selbst darüber schmunzeln und seinen Ohren nicht trauen, wenn er erfuhr, welchen Aufruhr er auslöste. Es endete in einem Kopfschütteln und als kleine Notiz in den Akten, der niemand mehr Aufmerksamkeit schenkte. So etwas passierte. Hin und wieder und wohl jedem von uns zu bestimmten Zeiten. Lavi, der in den falschen Zug stieg und schlafend einen ganzen Tag in ihm zubrachte. Crowley, der die Landkarte verlor und weit wanderte, bevor er die Orientierung zurückerlangte. So etwas hatte es gegeben und es war, verbunden mit einem beschämten Lachen, an meine Ohren gedrungen, während ich meine Nudeln aß. Ein Kopfschütteln, ein Augenverdrehen… anders hatte ich nicht reagiert, doch diesmal wäre es soviel mehr, als verächtliche Ignoranz. In dem Wissen, der Einzige zu sein, der sich nicht über die unspektakuläre Rückkehr des Jungen wunderte, würde ich dem Rothaarigen noch etwas mit auf den Weg geben. Es würde an Schadenfreude grenzen, mir ein Gefühl der Überlegenheit verschaffen. So offensichtlich war in diesen Zeiten nur wenig und bequem streckte ich die Beine aus, bettete die Hand auf dem Gürtel und betrachtete mir die gegenüberliegende Wand. Zwei Tage… vielleicht drei. Eine sichere Vermutung, dass ich ihn dann wiedersah. Einfach eine Tatsache. Also schützte ich mich vor weiteren Gedanken, lenkte sie vielmehr in die passende Richtung und auf die bevorstehende Mission. ~*tbc*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)