Reqium of Darkness & Quiet Symphony von abgemeldet (Walker x Kanda) ================================================================================ Kapitel 22: Ohne Sinn und Verstand ---------------------------------- Die Niederlande... Sie begrüßten mich mit einer eisigen, frischen Morgenluft, als ich aus dem kleinen Bahnhof Amsterdams trat. Wieder einmal war der Mantel wirklich von Nöten. Erneut hüllte ich mich behaglich ein, während meine Schritte eilig in eine bestimmte Richtung führten. Meine Hände suchten bereits. Sie tasteten die Taschen der Uniform ab, wurden rasch fündig und durch den weißen Dunst, in den sich mein warmer Atem verwandelte, blickte ich auf jene Karte, die mir der leitende Finder des belgischen Lagers vorbereitet hatte. Eine Karte, die die Stadt zeigte. Auch ein deutliches, rotes Kreuz, das über ein scheinbar größeres Gebäude gezogen war. Möglicherweise eine Lagerhalle, eine Baracke... ich hatte es nicht vor Augen, doch lief noch immer rasch und zielstrebig. Endlich am Ziel angelangt... nach plagenden und unsicheren Stunden, hatte ich es nun umso eiliger und war nicht darauf aus, weitere Zeit zu vergeuden. Ich wusste nicht, was gerade in jenem Gebäude geschah, wusste nicht, wie die Dinge standen... wusste gar nichts und bahnte mir meinen Weg durch die Straßen. Zu dieser frühen Stunde, kurz nach der Morgendämmerung, traf ich nur auf wenige Menschen. Zeitungshändler, die mir nachspähten. Vereinzelte, die es in der klirrenden Kälte ebenso eilig hatten. Nur wenige, unter denen ich in meiner Hektik auffiel. Es war ein recht langer Weg, der mich erwartete, mehrere Kilometer, die ich in dieser Stadt hinter mich zu bringen hatte und die Augen stets auf die Karte gerichtet, verfiel ich bald in ein umso schnelleres Schritttempo. Nach den Sorgen und Gedanken... ich war mir nicht sicher, ob mir mein Verstand fälschlicherweise ein schlechtes Gefühl einhauchte. Meine Intuition war so vorbelastet, dass sie mich irre leiten könnte und so gab ich mir Mühe, bald an gar nichts mehr zu denken. Was auch immer gerade bei Kanda geschah... ich hatte keinen Einfluss darauf. Ich war noch nicht da. Noch nicht ganz. Mein Finger fuhr eine Straße entlang, eilig schob ich mich zwischen zwei Kutschen hindurch und überquerte eine leere Straße. Nach rechts... rasch bog ich ab, fand mich in einer kleinen Seitenstraße wieder und blickte auf. Ich folgte dem Plan sicher, legte immensen Wert darauf, tückische Umwege zu umgehen. Ich kannte mich nicht aus, meine Orientierung war zuweilen von solchen Plänen abhängig, doch ich näherte mich meinem Ziel, hielt nach circa einer halben Stunde aufmerksam danach Ausschau. Es war eine recht verlassene, unbewohnte Gegend, in die mich die Karte geführt hatte. Bestehend aus verlassenen, leeren Läden, kleinen Lagerhäusern, freien, unbenutzten Flächen, umrandet von hässlichen, kahlen Stahl-Zäunen. Ein einziges Gewirr aus Schächten und Türen, schmalen Gassen und Durchgängen. Der Überblick ging sofort verloren, als ich mich mit all dem konfrontiert sah und ohne zu zögern sprang ich weit hinauf und auf ein tiefliegendes Dach. Ich brauchte eine Übersicht, spähte dort oben nur kurz um mich und erreichte mit einem weiteren Satz ein höheres Dach. Flink nach der Regenrinne gegriffen, ebenso schnell hinaufgezogen und sofort kam ich auf die Beine und hob die Karte. Wo war ich? Ich drehte sie, hielt sie näher an mein Gesicht, verengte die Augen und sah mich um. Konnte es sein...? Wieder starrte ich auf das Blatt, blickte auf... und unter einem tiefen Atemzug ließ ich das Papier sinken. Da war es. Direkt vor mir und ich konnte mich wahrhaft als überrascht bezeichnen. Verblüfft und doch gleichzeitig gepackt von der alten Sorge. Einen solchen Anblick hatte ich nicht erwartet. Das kahle Haus erhob sich bis zur vierten Etage in die Höhe, ragte so finster auf, als entspränge es einem Alptraum, in welchem die finsteren, Fensterlosen Löcher pechschwarz gähnten. Kein Glas, nicht einmal eine Tür und mit offenem Mund besah ich mir die finsteren Verfärbungen. Über jeder Öffnung, die die Fassade unterbrach, über jedem leeren Türdurchgang. Es wirkte... ausgebrannt. Raschelnd zerdrückte ich die Karte in der Hand, ließ sie fallen und trat zur Kante des Daches. Was hatte ich davon zu halten? War es schon immer so ausgebrannt gewesen oder hatte erst kürzlich ein Feuer in den Innenräumen gewütet? Wo war Kanda? Ich legte den Kopf schief, spürte eine schneidige Böe, die meinen Schopf durcheinanderbrachte und sprang in die Tiefe. Hinab zu Boden und annähernd lautlos setzte ich auf diesem auf und kam zurück auf die Beine. Dieser Ort, dem ich mich hier und jetzt näherte... Er wirkte nicht wie der Platz, an dem es etwas zu tun gab. Alles schien so tot und leer, so unbenutzt und wertlos. Dreckig, finster, kalt... Ich erreichte den alten Maschendrahtzaun, der das Gebiet umrandete, blieb vor einem großen Riss stehen. Er zog sich durch das dünne Gitter, das insgesamt nicht mehr als zu Schutz zu betrachten war. Dieser Zaun war an so einigen Stellen marode und es war so leicht, sich einfach hindurchzuschieben und jenes Gelände zu betreten. Trocken knirschte dunkler Kies unter meinen Schuhsohlen, als ich aufblickte und mir das Gebäude aus der Nähe besah. Die Fassade war altersgrau, rissig. Hie und da bröckelte bereits der Putz hervor. Es sah so marode aus. Als würde ein schneidiger Wind genügen, um es dem Erdboden gleich zu machen. Mein Atem fiel gedämpft und leise, als ich die Fassade erreichte und stehenblieb. Ich wusste nichts über diesen Ort. Wusste nichts über mögliche Gefahren. Es bot sich an, still und unauffällig zu bleiben und leicht fuhr ich mit den Fingerkuppen über eine verußte Stelle der Außenmauer. Ein dünner Film blieb am Stoff des Handschuhes haften und kurz rieb ich ihn zwischen den Fingern und roch. Was für ein Feuer hier auch immer ausgebrochen war... viel Zeit war seitdem nicht vergangen und nachdenklich spähte ich zu einem nahen, Türlosen Eingang in das Haus. Ein Kampf...? Hatten Explosionen dieses Gebäude in Brand gesetzt? Leise trat ich zur Seite, näherte mich dem Eingang vorsichtig und lugte um die Ecke. Der Innenraum, der sich mir bot, war beinahe schwarz. Kaum ein Lichtstrahl fiel in das fensterlose, enge Treppenhaus, doch es war nicht die Dunkelheit allein, die mich ein seltsames Gefühl wahrnehmen ließ. Gefahr... ein Instinkt, den ich diesmal nicht hinterfragte. Hier und jetzt war er richtig. Ich hatte dieses Haus zu betreten. Hierher hatte mich der Plan geführt. Nach Kanda hatte ich zu suchen, nach irgendwelchen Zeichen, die verrieten, was aus seiner Mission geworden war. Ich hatte es so eilig gehabt, diesen Ort zu erreichen. Jetzt hier zu stehen und zu lange zu grübeln, gefiel mir gar nicht und kurz wandte ich mich zu Tim um. Ich bettete den Zeigefinger auf den Lippen und sofort schien er es zu verstehen. Zu meiner Schulter flatterte er und kaum schob ich mich in den finsteren Eingang, ließ er sich auf dieser nieder und unterdrückte somit seinen Flügelschlag. Erwarten konnte ich mich hier in diesen engen Gängen alles. Ich achtete auf jeden Dreck des Bodens, auf Gegenstände, die einen verrieten, sobald man auf sie trat und vertieft in diese sorgfältige Aufmerksamkeit kam ich letztlich doch nur sehr langsam voran. Doch sie war sicher... ich hatte diese Zeit herzugeben und erreichte die Treppe. Die Stufen bestanden aus Holz, wirkten so morsch, als dürfe man erst gar nicht den Fuß auf sie setzen. Zu gefährlich, verräterisch und nachdem ich hinaufgespäht hatte, stieg ich auf das breite Geländer. Die beste Möglichkeit, sich lautlos fortzubewegen und schon bekam ich das nächste Geländer zu fassen und zog mich hinauf. Die erste Etage hielt einen breiten, kurzen Gang für mich bereit. Ein leerer, ausgebrannter und schwarzer Flur, der in einen recht großen Lagerraum führte. Auch ihn musterte ich aufmerksam, als ich dort auf dem Geländer kauerte, die Hand stützend auf der Unterseite der nächsten Treppe. Ich meinte, etwas zu hören. Eine Wahrnehmung, viel stärker als ein Instinkt und vorsichtig neigte ich mich zur Seite, verengte die Augen und starrte weiterhin in diesen Lagerraum. Ein Geräusch... ein leises Knacken und aufmerksam zügelte ich meinen Atem, verharrte reglos auf dem Geländer und wartete. Doch nicht lange. Es war ein großer, runder Schatten, der sich über eine Wand des Raumes hinwegbewegte. Fließend, schwebend und bevor der Akuma, von welchem er stammte, den Flur erreichte, griff ich erneut hoch und zog mich in die nächste Etage. Ich stahl mich aus seinem Blickfeld, verschaffte mir auch in der zweiten Etage einen Überblick und tat es diesmal, bevor ich mich auf das Geländer schob. Eine Etage ähnelte der anderen hier überhaupt nicht. Diesmal waren es zwei breite Gänge, die von dem Treppenhaus abgingen, zwei Flure, an denen sich so einige, offenstehende Räume reihten. Allesamt ausgebrannt. Ich hatte das Gefühl, mich in einem völlig schwarzen Haus zu bewegen. Doch nicht so leblos, wie es schien. Hier bewegte sich so einiges und das erneute Knacken, das deutlich an meine Ohren drang, hatte ich diesmal nicht mehr zu hinterfragen. Ich wusste, wovon es stammte, erblickte erneute Schatten... mehrere von ihnen. Level 1-Akuma... Sie schienen sich überall in diesem Gebäude zu bewegen, überall zu lauern und auf Eindringlinge zu warten. Das gesamte Haus war sozusagen verwanzt und ich bereite meine lautlose Vorgehensweise nicht. Es war richtig gewesen... das Beste, was ich hätte tun können. War Kanda hier irgendwo? Ich presste die Lippen aufeinander, kam auf die Beine und tastete nach dem oberen Geländer. Wieder zog ich mich hinauf und tat es völlig lautlos. Nein... ich konnte es mir nicht vorstellen. Wenn Kanda irgendwo war, dann war er es nie längere Zeit gemeinsam mit Akuma. Letzten Endes blieb nur er übrig. Nach einer sehr kurzen Zeit und einem ebenso kurzen Kampf. Level-1... mit ihnen konnte er es doch in jedem Zustand aufnehmen. Ich atmete tief ein, still aus und lugte in die nächste Etage. Ein ähnlicher Aufbau wie im zweiten Stock. Zwei Flure, mehrere Zimmer und eilig ließ ich mich zurück hinter das Geländer rutschen, als aus einem dieser Räume der runde Körper eines Akuma driftete. Er schwebte hinaus in den Gang, wandte sich ab und bewegte sich auf ein größeres Zimmer zu, welches das Ende des Ganges bildete. Es war gerade noch gut gegangen und in seinem Rücken hangelte ich mich zum vierten und letzten Mal hinauf. Ich hatte Kanda zu suchen. Wo sollte er sein, wenn nicht hier? Ich wusste so wenig über seine Mission. Wüsste nicht, wo ich sonst die Augen nach ihm offenhalten sollte. Das einzige, was ich kannte, war dieser Ort und die Tatsache, dass ich hier auf ihn treffen sollte. Ich musste ihn suchen. Und ich würde ganz oben beginnen. Im vierten Stock, den ich nun erreichte und in ähnlicher Weise vorfand. Das Treppenhaus war das Mittelstück zwischen zwei Gängen, gefährlich wie sehr man hier ausgeliefert war und so schob ich mich vom Geländer, bevor sich in meinem Rücken etwas aus den Zimmern schob, was ich lieber vor mir hatte. Diese Umgebung machte einen Kampf soviel komplizierter. Auch nicht verknöpft mit dem Wissen, dass Kanda hier irgendwo sein sollte. Nur wenige Explosionen, schätzte ich, mehr würde dieses Gebäude nicht aushalten, bevor es in sich zusammenstürzte. Nichts, das ich provozieren musste und es war lange her, dass ich so aufmerksam war, als ich zielstrebig in einen der Gänge trat. Auf Geräusche hatte ich zu achten... auf meine Intuition zu hören... für mich war es nicht schwer, einen Akuma in meiner Nähe zu erspüren und so spähte ich in den ersten Raum, fand ihn leer vor und tastete mich weiter zum Nächsten. Gegenstände auf dem Boden umgehen, oft umdrehen und den anderen Gang im Auge behalten. Auf so vieles hatte ich zu achten, während ich mich weiterpirschte und im nächsten Gang geradewegs den Rücken eines Akuma vor mir hatte. Er bewegte sich abgewandt durch das Zimmer und lautlos schlich ich mich an ihm vorbei, tauchte kurz im Türrahmen auf und genauso schnell im Flur wieder unter. Es waren vereinzelte, blecherne Türen, die das Feuer überstanden hatten und es mir schwer machten. Die Angeln drohten zu quietschen, wenn ich sie öffnete, über den Boden zu kratzen, mich zu verraten und so zog ich leisen Schrittes an der ersten dieser Türen vorbei. In die offenen Zimmer wollte ich zuerst einen Blick werfen. Die nächsten Schritte würden folgen und oft hatte ich abrupt zurückzuweichen, um den Augen eines Level-1 zu entgehen. Sie waren überall... schienen so auffällig in diesem Gebäude postiert, als handle es sich um eine waschechte Falle. Für wen war sie gedacht? Für die Verstärkung oder für denjenigen, der diese Verstärkung anforderte? Es waren Fragen, für die ich mir keine Zeit nahm. Für die ich mir keine Zeit nehmen durfte und es vergingen so einige Minuten, bis ich den ersten Flur verließ und mich in den anderen schlich. Reglos hielt sich Tim noch immer auf meiner Schulter. Er passte sich an, änderte nichts an meiner Lautlosigkeit. Es war eine angespannte Atmosphäre, in der ich mich bewegte. Eine knisternde Stille, die jederzeit von einem krachenden Geräusch durchdrungen werden konnte. Es war zu leise, viel zu still und aufmerksam umging ich einen Haufen herabgerieselten Putz. Das nächste Zimmer, an dem ich mich vorbei stahl, offenbarte mir keine Gefahr. Im Gegensatz zu den nächsten und umso angespannter blickte ich in den langen Flur zurück, als ich das Endes des Ganges erreichte und somit die letzte Tür. Jederzeit könnte einer von ihnen sein Zimmer verlassen, jederzeit hier auftauchen und mit zusammengepressten Lippen nahm ich diese blecherne Tür in Augenschein. Sie verwehrte mir den Blick in den Raum und die Bewegung, in der meine Hand zu deren Kante fand, war überaus unentschlossen und zögerlich. Durfte ich es wagen? Es war nicht der einzige Raum, der sich hinter einer solchen Tür verbarg. Wie sollte ich nach Kanda suchen, wenn ich diese Zimmer umging. Erneut spähte ich zurück, fasste Tim an beiden Flügeln und verstaute ihn unter meinem Mantel. Ihn auf meiner Schulter zu lassen, wirkte zu gefährlich und so klemmte ich beide Flügel unter meinen Gürtel und ließ ihn baumeln. Diese Vorkehrung war getroffen, ein letzter Blick zurück und mutig schloss sich meine Hand fester um die Kante des dicken Bleches. Entweder es quietschte oder es funktionierte. Im letzten Fall hatte ich es mit einem Mal mit etlichen Akuma zu tun. Ein Gedanke, der mir nicht gefiel und doch begann ich die Tür zu bewegen. Langsam, vorsichtig... und sie bewegte sich lautlos. Nur ein fast stilles Schaben begleitete die Bewegung und geräuschlos trat ich zur Seite, trat zum Spalt und schob mich unter einem letzten Blick zurück in den Flur in das dahinterliegende Zimmer. Vorsichtig hielt meine Hand die Tür umschlossen, als ich den Rahmen passierte, aufblickte... und inne hielt. Mein Körper schien zu erstarren, mein Atem zu erliegen und mit leicht geöffnetem Mund sah ich Kanda vor mir. Er kauerte dort... mir direkt gegenüber und nicht zu nachlässig an einen Stuhl gefesselt. Seine Beine, seine Arme... selbst um seinen Oberkörper, der lediglich mit einem dünnen, weißen Hemd bekleidet war, lagen die festen Stricke. Er war fixiert und in dieser Haltung in sich zusammengesunken. Tief war sein Kopf geneigt, wirr streifte sein halboffenes, langes Haar die zum Teil freiliegende Brust und es musste dieser pure Anblick sein, der mich an meinen Fleck nagelte, mir jede Bewegung verweigerte. Offen gähnte hinter ihm ein Fenster. Das Glas musste unter der Hitze der Flammen geberstet sein und eisig zog mir die Luft entgegen, die auch ihn erfasste. Stockend bewegten sich meine Lippen, erst jetzt gelang mir ein Blinzeln und es war ein leises Schaben meiner Stiefel, das ihn zum Leben erwachen ließ. Abrupt hob sich sein Kopf... alarmiert schien er direkt zu mir zu starren, ohne dass sein Blick durch das schwarze Tuch drang, das seine Augen unter sich verbarg. Er war blind, bewegungsunfähig und Gott weiß, weshalb sich meine Stimme nicht erhob. Weshalb ich nicht zumindest flüsterte, um mich zu erkennen zu geben. Weshalb ich nichts an seiner deutlichen Anspannung änderte. Er wusste nicht, wer hier stand... wusste nicht, wem er ausgeliefert war. Einem Mensch... Einem Akuma... Nein, ich war es. Eine beklemmende Lage, in die ich mich hineinmanövrierte. Für jede Sekunde, die ich mit Schweigen zubrachte, hätte ich mich später zu rechtfertigen... zu erklären, weshalb es mir nicht in den Sinn kam, ihn augenblicklich von den Fesseln zu befreien und somit auch aus dieser gefährlichen Lage. Wie still musste er in dieser klirrenden Kälte ausgeharrt haben, um keinen der Akuma auf sich aufmerksam zu machen. Wie viel Geduld und Stärke musste es ihn gekostet haben, in dieser Eiseskälte nicht den Verstand zu verlieren. Er brauchte Hilfe... er musste befreit werden und stockend glitt meine Hand vom Blech der Tür, senkte sich, ballte sich zur Faust, während sich mein Hals unter einem trockenen Schlucken bewegte. Was geschah mit mir... was tat oder unterließ ich? Wie gleichgültig war mir seine Lage im Gegensatz zum Anblick, den er bot. Er war hier, doch völlig ausgeliefert... so auch meinen Augen, die zu seinen Lippen fanden. Eine deutliche, bläuliche Verfärbung... wohl eine Unterkühlung, doch zu spät bemerkte ich, wie wenig ich mich für diese Tatsache interessierte. Viel eher verfolgte ich, wie sich seine Lippen aufeinanderpressten. Eine einfache Bewegung, die so interessant schien, während ein Zucken durch sein bleiches Gesicht fuhr. Fürchtete er sich...? Wen sah er hier vor seinem geistigen Auge? Jemanden, der ihm Schaden zufügen... der seine Lage ausnutzen würde...? Lautlos atmete ich ein, spürte nur beiläufig die Regung Tims unter meinem Mantel und zwang ihn mit einem flüchtigen Griff zur alten Regungslosigkeit. Nicht hier... Nicht jetzt... Es war eine gewisse Freiheit, die ich spürte... Möglichkeiten, mir weitaus mehr an ihm zu betrachten, als sich meinen Augen jemals geboten hatte. Ohne, dass er es wusste... Ohne, dass er es sah. Wie sehr war ich hier im Vorteil und fähig, mir für jede Betrachtung Zeit zu nehmen. Kein Gedanke über seinen Zustand... alles Menschliche schien mich hier und jetzt zu verlassen, als sich mein Blick zu seinem Schlüsselbein senkte, zu seiner Brust. Wie stark musste das Herz hinter ihr schlagen. Wie aufgeregt... War es eine Gänsehaut, die seinen Körper überzog? Oder war es vielleicht meiner, der in diesen Momenten kühl erschauderte? Das Haar... Der Zopf saß so locker, seit längerer Zeit schien das Band nicht mehr jede Strähne unter Kontrolle zu haben. Eine bewegte sich vor seinem Gesicht, wiegte sich unter jedem Atemzug, den er ausstieß. Stockend sank mein Kopf zur Seite. Meine Augen verengten sich und ich blieb schweigsam, blieb leise... doch setzte mich in Bewegung. Nur ein Schritt und abrupt schien sich sein Leib zu verkrampfen. Eine Vorsichtig, die ihm nichts nutzte. Ein Wissen, das ihn nicht weiterbrachte. Er war nicht mehr alleine hier und die Augen nicht von diesem Haar lösend, trat ich an ihn heran, schien geradewegs angezogen zu werden von seiner Bewegungslosigkeit. Ich taumelte, ich schwankte ihm entgegen, während ich tief atmete, meinen noch immer leicht geöffneten Lippen jede Feuchtigkeit nahm. Und ich wurde größer und größer, baute mich kurz darauf vor ihm auf und blickte auf ihn hinab. Kaum hatte sich sein Gesicht gewandt, kaum der Körper einen Fluchtversuch unternommen. Er wusste um die Sinnlosigkeit dieses Unterfangens. Vielleicht nicht von Anfang an, doch er schien schon lange hier zu sitzen. Lange genug, um die Stärke der Stricke zu spüren und diese ausweglose Lage. Was konnte ich tun... was wollte ich tun...? Fast erschreckend, wie sehr mir jede Möglichkeit offenstand. Kaum zu realisieren, wie ungleich diese Verteilung war. Ich war zu allem fähig und während ich dort stand, fast Knie an Knie mit Kanda, betrachtete ich mir wieder dieses Haar. Eine Facette an ihm, die mir nicht zu spät aufgefallen war. Wie früh hatte ich diesem Haar Aufmerksamkeit geschenkt, wie früh über diese Länge gestaunt... ... und wie früh mich gefragt, wie es sich wohl anfühlte. Ein Geheimnis, das ich geglaubt hatte, nie zu lüften. Ein Griff, der über jede Grenze hinausgegangen wäre. Ein kurzes Tasten, auf das sein Zorn gefolgt hätte. Zorn, der sich nur gegen mich richtete und meine tölpische Neugierde. Es juckte... in meinen Fingern und nervös spreizte ich sie, lauschte versunken dem zitternden Atemzug, der über seine bläulichen Lippen drang, sich in einen weißen Dunst wandelte und geradewegs zu mir zu driften schien. Ich wollte ihn einatmen, wollte Grenzen überschreiten, Fehler begehen, Respekt verlieren. Alles, indem ich den Bewegungen folgte, in die sich mein Körper von ganz allein setzte. Es war falsch... so falsch... Doch welcher Fehler schreckte ab, wenn er keine Folgen nach sich zog? Wer hielt sich von einem Verbrechen fern, auf das keine Strafe folgte? Ich hob die rechte Hand, hob sie zum Mund und biss nach dem Handschuh. Ich wollte es spüren. Nur ein Griff... nur ein kurzes Tasten. Mehr wollte ich nicht. Ganz... kurz... Und ich zog die Hand ins Freie, spürte sofort die Kälte, die sich auf meine Haut legte und ließ die linke Hand nach dem Handschuh greifen. Er wurde sinken gelassen, fest umfasst, gedrückt... Alles in mir pulsierte so wild... war so aufgeregt... und beinahe zitternd hob ich die rechte Hand, streckte sie seinem Gesicht... seinem Haar entgegen. Ich tat es... ... tat es wirklich und es fühlte sich nicht schlecht an. Zu verlockend, zu gut, dass ich alles vergaß und völlig entrückt diese eine seidige Strähne berührte. Eine kurze Begegnung, die meine Fingerknöchel mit seiner Wange hatten. Ein unbeabsichtigter Kontakt, unter welchem Kanda merklich in sich zusammenzuckte. Wer erwartete schon eine simple Berührung in einer solchen Lage? So schmerzlos, so leicht... und tief atmete ich ein, als ich diese seidige Glätte auf meiner Haut spürte. Als ich die Strähne durch meine Finger gleiten ließ, nach ihr tastete, sie umgriff... mich an diesem leichten Kitzeln ergötzte. Ich berührte sein Haar, sprengte etwaige Erwartungen und schloss den Mund. Nur kurz, ein Schlucken, bevor ich das Ende der Strähne von meinem Handrücken gleiten ließ und die Hand zur Faust ballte. Nahe an seinem Gesicht verharrte sie. Beinahe glaubte ich schon die Kälte zu spüren, die von diesem ausging... doch meine eigene Wärme dadurch nur umso mehr. Er wirkte verwirrt... Mit gutem Grund. Was wusste er schon von seiner Wirkung? Wie wenig machte er sich Gedanken über das, was mich so faszinierte. Alles, was er als normal ansah. Alles, was einfach zu ihm gehörte und keine Aufmerksamkeit wert war. Sein Haar... Noch immer presste ich meine Hand. Der Moment war ein so Kurzer gewesen. Das Gefühl so vergänglich und doch so atemberaubend. Sein Gesicht... Ich sah nicht die Augenbinde, sah nicht den angespannten Ausdruck... Nur seine Wangen, seine ebenmäßige Stirn. Das Gesicht, das sich zu solch finsteren Ausdrücken verzog. Das abschreckte und verachtete. Wie... fühlte es sich an...? Durfte ich es wagen? Ich wagte es. Wie könnte er mich hassen, sollte er es erfahren. Wie könnte er mich beleidigen und verachten... Wie gleichgültig es mir war. Ich ließ alles außer Acht zugunsten dieses Augenblickes. Langsam löste ich die Faust, streckte die Finger, streckte sie zu seinem Kinn. Reglos blieb sein Kopf erhoben, in meine Richtung gewandt. Als erwarte er mit der richtigen Entschlossenheit durch jenes Tuch blicken und mich erspähen zu können. Ein trauriges Unterfangen und zitternd belächelte ich es, noch während ich die Fingerkuppen auf sein Kinn setzte... und er abrupt zurückwich. Er zog den Kopf zur Seite, ruppig und doch still... entging meiner Berührung nachdrücklich und senkte den Kopf zur Seite. Wie fluchte er wohl innerlich... Wie musste die Wut in im pulsieren... die Irritation. Sie drang nicht zu mir, drang nicht durch den warmen Sog, der mich unablässig mit sich zog und meine Hand dazu aufforderte seinem Gesicht zu folgen. Ich wollte es berühren. Er konnte es nicht verhindern und kaum strich ich über seine Wange, da zuckte sein Gesicht zur anderen Seite. Pure Abneigung... Natürlich. Er war es nicht gewohnt, berührt zu werden und umso verlockender wirkte diese unschuldige, reine Haut. Hatte es jemals Fingerkuppen wie meine gegeben? Die ihn voller Begeisterung erforschten... sich interessierten? Mein Körper schien ein Eigenleben zu entwickeln. Aus purem Trotz. Sein Widerstand kam mir in die Quere und kaum nahm ich es bewusst wahr. Wie sich meine Hand zu seinem Hinterkopf senkte, ihn packte... ihn fixierte und verkrampft aufzischen ließ. Er sollte seine Lage einsehen... den ausgelieferten Zustand und dass ein anderer Macht über diesen Augenblick besaß. Wie nachdrücklich ich zugriff... kaum darauf achtend, ihm keinen Schmerz zuzufügen und mit einem Mal ergriff ich ihn fester, versenkte die Finger in seinem Haar und drängte seinen Kopf zurück. Wie wurde ich gelenkt... wie kopflos verschaffte ich mir diesen seltsamen Genuss, folgte einer undurchsichtigen Leidenschaft, in welcher ich mich hinabneigte, ohne irgendeinen Gedanken seinem Hals entgegenstrebte. Er bot sich mir dar. So ungeschützt... es gab keine Grenzen und wie vertieft suchte ich nach dem Geruch, den ich schon einmal wahrgenommen hatte. Es war nicht lange her... im Krankenflügel geschehen. Als er an mir vorbeizog. So nahe, dass es ein Leichtes gewesen wäre, ihn zu packen. Doch eine durch und durch ungeeignete Lage, in der es mir nur übrig geblieben war, in der Brise, die er nach sich zog, tief durchzuatmen. Er hatte rein gerochen, nach Seife und doch ganz speziell. Ein ihm eigener Geruch, nach welchem ich an seinem Hals suchte. Er regte sich unter einem schweren Schlucken. Eine anziehende Regung und kitzelnd streifte ich seinen Adamsapfel mit der Nasenspitze. Und ich atmete ein. Tief und nachdrücklich und spürte diesen Ausdruck, zu dem sich meine Lippen verzogen. Ein Schmunzeln, ein Lächeln... da war er. Genau das war der Geruch, der mich schon einmal einen nicht geringen Teil meiner Aufmerksamkeit gekostet hatte. Nicht ohne Grund und meine Zähne kamen zum Vorschein, als sich das Lächeln vertiefte. Ich regte die Finger... schon die ganze Zeit und in seinem Schopf, als wäre ich darauf aus, ihn zu graulen. Eine Zärtlichkeit, bei der ich den nachdrücklichen Griff dennoch aufrecht erhielt. Eine fordernde, zwingende Liebkosung, zu der sich meine Hand ohne etwaigen Gedanken meinerseits entschloss. Eine gute Bewegung, wohltuend für mich und mit leicht gesenkten Lidern verfolgte ich die erneute Regung seines Halses. Doch dieser Hals... Wieder regte ich die Hand in seinen Strähnen. Auch ihn wollte ich berühren... wollte diesen Moment auskosten und etwaige Möglichkeit nutzen, die mir gegeben waren. Meine Finger wurden von einem Punkt zum nächsten gelockt. Einer interessanter als der andere und fürsorglich löste ich den Griff in sein Haar, löste die Hand von ihm und bezeichnete mich nicht als überrascht, als er diese zurück gewonnene Freiheit sofort nutzte. Wie ruppig er den Kopf zur Seite wandte... zurückstreckte... Jede Berührung schien die Wut in ihm zu schüren. Als wäre mein Erforschen unangenehmer als das Auftauchen eines der Akuma. Als würde er ein solches Treffen diesem ohne zu zögern vorziehen. Wie albern... Meine Hand schien allmählich geübt. Jedes Zögern war von ihr gefallen und kaum eine Sekunde später setzte ich die Finger schon auf seinen Hals. Die Haut... sie war soviel glatter, als es den Anschein hatte. So makellos. Es war mir schon einmal aufgefallen. Auch sein Hals wurde von keiner Narbe geziert. Keine Schramme... so rein... so kalt. Als hätte der klirrende Wind bereits den Großteil seiner Körperwärme davon getrieben. Doch wie seltsam war die Tatsache, dass diese Kälte irgendwie zu ihm zu passen schien. Wie seltsam hätte es sich angefühlt, auf Hitze zu treffen... wie fremd. Man vermutete es nicht. Als wäre sein Körper stets in diesem einen Zustand. Abrupt wich er erneut zurück. Zuckend und allmählich wirklich aufgebracht, ohne die Stimme erheben zu dürfen. Es wäre keine gute Idee, es zu tun. Weshalb hätte er ausharren müssen, wenn er sich nun mit einem Mal in eine solche Gefahr brachte? Es war nicht sein Leben, das hier auf dem Spiel stand. Es war mein Unschuld. Nichts, das ihn zu tangieren hatte und wieder reagierte mein Körper, bevor ich ihm den Befehl dazu gab. Meine Zähne erfassten auch den anderen Handschuh, zogen ihn ins Freie und lautlos wandelte sich meine Hand zu jener Klingenbesetzten Klaue. Sein Protest missfiel mir... Ich wollte ihn anpassen... so gefügig machen, wie Kanda es nur sein konnte und gnadenlos senkte ich eine der Klingen zu seinem Hals, setzte sie an seine Kehle... und ließ ihn den kalten Stahl spüren. Es könnte ein Messer sein, irgendeine Waffe... alles, außer meiner Hand, die ihn hier in seine Schranken wies. Eine Drohung, die Früchte trug, die seinen Widerstand zum erliegen brachte und ihn dazu, reglos zu verharren. Ein leichter Druck... noch ein wenig und auf der Flucht vor der spitzen Klinge senkte sich sein Hinterkopf abermals in den Nacken. So, wie ich es brauchte. So, wie ich es wollte und nur kurz kratzte ich mit der Klinge über seine Haut... beinahe zärtlich... und postierte sie unter seinem Kinn. Eine Verletzung, die verheerend wäre. Selbst für ihn und ich brauchte einen weiteren, tiefen Atemzug, als ich realisierte, wie ausgeliefert er mir war. Weiter und weiter... bis zu diesem Punkt, an welchem er völlig unterlag und neben der Klinge doch lieber meine Hand zu spüren bekam. Es wären keine Berührungen, die schmerzten. Vielleicht litt sein Stolz... Vielleicht... Flach bettete ich die Hand auf seiner Kehle, umschloss sie, jeden Druck verhindernd. Ich wollte ihm nicht wehtun. Nicht seinem Körper... und wie fesselnd war die erneute Regung seines Halses unter meiner warmen Handfläche. Wie zog sie mich in den Bann, wie sehr trieb sie mich zu immer höherer Aufmerksamkeit. Mehr Aufmerksamkeit brachte mehr Genuss und genau das war es, was ich hier und jetzt spürte. Genuss durch und durch, während seine blinden Augen einzig und allein die Bedrohung vor sich sahen. Ich wärmte ihn... Er konnte sich ruhig entspannen... es zu schätzen wissen. Ich kümmerte mich um ihn und letztendlich doch nur im mich selbst, als ich mit der Hand tiefer strich, ehrfürchtig sein Schlüsselbein erreichte. Es war deutlich zu spüren, von solch wunderbarer Form, dass sich meine Finger dazu verleiten ließen, ihr zu folgen. Ich strich zur Seite, zurück zu seiner Brust und kaum hatte ich bemerkt, wie ich selbst die Augen schloss, während mein Gesicht seinem freien Hals entgegenstrebte. Die Lider senkten sich... als genüge es der Nase, für meine Wahrnehmung zu sorgen. Als wäre es ausreichend und vermutlich war es das auch. Sein Geruch ließ beinahe einen Schwindel in meinem Kopf ausbrechen... wie eine Fährte führte sie mich zu jener kalten Haut und wieder atmete ich tief ein, streifte sie mit der Nase und erzitterte von Kopf bis Fuß. Seine Brust... Wie rasch war meine Hand tiefer gesunken. Wie schnell hatte sie sich nicht mehr mit dem Schlüsselbein zufrieden gegeben und wie viel Genuss brachte mir jeder dieser Flecke, die ich erforschte. Unruhig bewegte ich die Lippen, presste sie aufeinander, während ich mit der Nasenspitze höher strich, aufmerksam jene Klinge unter seinem Kinn still hielt und kehrt machte, bevor ich sie erreichte. Dieser Hals war es wert, sich länger bei ihm aufzuhalten und wieder schürzte ich die Lippen. Es schien, als wären sie es, die noch immer unzufrieden waren. Als wollten sie teilhaben an dieser einzigartigen Erforschung und mein Leib erschauderte unter einer fließenden Kälte, als ich mich näher an ihn schmiegte, zitternd mit den Lippen seine Haut streifte. Mein Unterkiefer erbebte, alles an mir erbebte und mit einem Mal zog es mich mit sich... zog mich näher an seinen Hals und ließ mich entrückt nach ihm beißen. Ich küsste ihn... schabte mit den Zähnen über seine Haut, schmiegte mich einfach an ihn und schloss die Augen. Beinahe trunken bewegte ich mich nahe bei ihm, nachdrücklicher verstärkte sich mein Griff an seiner Brust und rauschend nahm ich meinen Atem wahr. So heftig, so erregt, während dieser Sog permanent an Hitze und Stärke zuzunehmen schien. Es riss mich mit sich... es entriss mir den Verstand und die Fähigkeit auch nur eines einzigen Gedankens. Es geschah... es passierte und keuchend riss ich mich kurz darauf von ihm los. Ich stemmte mich zurück, löste mich aus der hitzigen Umklammerung und stolperte nach hinten. Die Klinge löste sich von seinem Hals, augenblicklich zuckte er zusammen und zog das Gesicht zur Seite. Nur undeutlich nahm ich diese Bewegung wahr. Wie verschleiert war mein Blick und angespannt verbarg ich meinen keuchenden Mund hinter der Hand. Ich presste sie auf ihn, blinzelte und tat es so perplex. Was war geschehen...? Das Herz raste in meiner Brust, stieß so dumpf gegen meine Rippen, dass ich die Schläge im gesamten Körper spürte. Ein Ausnahmezustand, wie ich ihn bisher nur nach schwersten Kämpfen wahrgenommen hatte. Nichts stimmte mehr und stark erschauderte ich unter einem immensen Hitzeschwall, der mich überkam. Mein Körper spielte verrückt... eigentlich alles an mir und zittrig fuhr ich mir durch den Schopf. Es war zuviel... Ich hatte übertrieben... zuviel von diesem kostbaren Wein gekostet, auf dass ich nun völlig trunken und ohne Verstand zurückblieb. Auch Kandas Keuchen erhob sich kurz darauf in jenem Zimmer. Mit einem Mal brach es hervor, war so lange zurückgehalten worden und wutentbrannt bissen auch seine Zähne aufeinander. Die Stricke wurden zu meiner größten Sicherheit und ich war mir der Tatsache bewusst, als ich das Innocence deaktivierte und mit beiden Händen über meine Brust fuhr. Alles in mir bebte, alles in mir krümmte sich unter Hitze- sowie unter Kälteschauern und angespannt wandte ich mich ab, riss mich los und löste den Blick von ihm. Ich durfte nicht weitergehen... ich würde stolpern, Fehler machen... mich in Gebiete begeben, in denen ich mir selbst nicht mehr gut tat. Zuviel... Viel zu viel... Und ohne einen weiteren Blick zu Kanda zu werfen, drehte ich mich ganz um und griff nach der Tür. Schon einmal hatte sie nicht gequietscht. Noch einmal müsste sie es tun und wirklich... sie bewegte sich still und leiser als zuvor. Als würde sie meine finsteren Vorgehensweisen decken, als würde sie mich schützen und es war so furchtbar schwer, den Atem zu zügeln, als ich wieder im Flur stand und hektisch um mich blickte. Hatten die Akuma es gehört...? Waren sie aufmerksam geworden? Ich starrte zur einen Seite, zur anderen und mit großen Augen erspähte ich knapp über mir und am Ende des Ganges eine Luke. Sie musste zum Dach führen... sie musste es einfach! Und ohne zu zögern, sprang ich hinauf, hielt mich an einem kleinen Griff und zog mich an einem Arm in die Höhe. Wäre sie verschlossen, hatte ich den Rückweg durch das Haus zu gehen. Mich den Gefahren erneut auszusetzen... und es wären so weitaus mehr. Was brachte mein Schweigen und meine Zurückhaltung, wenn die Akuma meine Identität in den nächsten Augenblicken verrieten? Wie hätte ich mich verrannt... mit welchen Konsequenzen hatte ich zu rechnen... ... doch die Luke öffnete sich. Nur leicht schob ich die Hand gegen sie und wieder einmal war es nicht einmal ein Quietschen, das diese Bewegung begleitete. Es funktionierte... eigentlich fast zu gut und lautlos zog ich mich weiter hinauf und stieg hinaus auf die eisige, leere Fläche des Daches. Frische Luft... Ich japste nach ihr, als hätte ich lange Zeit über nicht atmen können. Meine Lunge sehnte sich nach ihr und kaum hatte ich die Luke hinter mir verschlossen, sank ich auf die Knie und blieb kauern. Es hatte mich hinabgezogen. Mit einem Mal, als wäre ich hier und jetzt aus einem seltsamen Traum erwacht. Aus einem Traum, in welchem ich etwaige Kontrolle verlor und ein Handeln an den Tag legte, dass ich mir selbst nicht erklären könnte... hätte ich es versucht. Wie wild rasten die Gedanken in meinem Kopf... führten mir die letzten Minuten vor Augen. Genauso intensiv, wie mich mein Körper auf die Nachwirkungen aufmerksam machte. Mein Herz... meine Glieder... Was hatte ich getan? Welcher Teufel hatte mich geritten! Wie konnte etwas, das so gut tat... gleichzeitig so wehtun...?! Dumpf ging meine Hand auf den Kies nieder, erschöpft neigte sich auch mein Kopf und keuchend schloss ich die Augen. Meine andere Hand tastete nach der Uniform, nach meiner Brust und klammerte sich in den Stoff. Ein Gefühl überkam mich... so mächtig, dass es mit der größten Angst einhergehen könnte. Atmen... ich musste ruhig atmen, mein Herz beruhigen. Und ich fühlte mich bei diesem Kampf so... überstrapaziert. War es zuviel gewesen...? Ich hätte nicht aufhören können... hätte es nicht einmal gewollt. Langsam blickte ich auf, betrachtete mir vereinzelte Schneeflocken, die von Himmel taumelten. Nur leicht begann es zu schneien und ich hob den Kopf weiter, blinzelte, als eine Schneeflocke auf meiner Nasenspitze schmolz. Mitten in das weiße Getümmel blickte ich. Von hier unten sah es nach einem solch dichten Schnee aus. Seltsam, wie wenig von ihm letztendlich den Erdboden erreichten. Ich nahm mir Zeit, blieb kauern und bald verfiel mein Herz in den alten, normalen Rhythmus. Es verlangsamte sich, so wie sich mein Atem legte und unter einem letzten Ächzen fuhr ich mir mit beiden Händen über das Gesicht. Zu mir zu finden... irgendwie zu mir zurückzukehren und rasch erinnerte ich mich auch daran, dass ich mich inmitten einer Mission befand. Sie war nicht vollendet. Dies war eine Sache, die nur von mir abhängig war. Kanda saß dort unten, noch immer gefesselt und unfähig, etwas auszurichten. Ich hatte den ersten Schritt zu tun, ihm zu helfen... mich zum ersten Mal anzukündigen und so zu tun, als hätte ich ihn gerade erst jetzt gefunden. Überrascht musste ich wirken, muss anwesend sein und kein Geheimnis daraus machen. Tief atmete ich ein, atmete ich aus und schlüpfte in meine Handschuhe zurück. Ich zog sie fest, befreite auch Tim aus seiner Lage und kam kontrolliert auf die Beine. Es war vorbei... diese Mission brauchte meine Konzentration, meine Durchsetzungsfähigkeit. Ich hatte bei mir zu sein... und zu bleiben. Jene Gedanken durften hier und jetzt nicht bis in die Realität hineinreichen... mussten verschwinden. Wenigstens für wenige Augenblicke, die ich benötigen würde, um Kanda zu befreien und das Haus um etwaigen Akuma zu erleichtern. Ich blieb stehen, spähte nach links, spähte nach rechts und abrupt kam mir dieses offene Fenster in Erinnerung. Kein Glas, die obersten Etage und sofort drifteten meine Augen zum Rand des Daches. Es wäre so einfach, so nachvollziehbar und ohne zu zögern trat ich zur Dachkante. Langsam beugte ich mich nach vorn, spähte hinab zu jenem offenen Fenster und zögerte nicht. Es lag nicht sehr viel tiefer, war leicht zu erreichen und so stieß ich mich leicht ab, sprang über die Kante des Daches und drehte mich. Problemlos schlossen sich meine Hände um die Regenrinne, doch diese gab mir nur kurzen Halt. Kaum hielt sie meinem Gewicht stand, ließ mit einem Mal nach und sackte tiefer. Doch die Zeit genügte, mich zurückzuschwingen und mit einem weiteren Satz glitt ich durch das offene Fenster und setzte auf dem Boden auf. Dieser Weg war weitaus geräuschvoller gewesen und kaum setzten meine Füße auf dem Boden auf, fuhr Kanda auf seinem Stuhl in die Höhe. Ein erleichtertes Ächzen kam über meine Lippen. „Kanda...!“ Voller Erleichterung keuchte ich seinen Namen und ruppig wandte er das Gesicht zur Seite. „Bohnenstange...!“ Seine Stimme war nicht viel mehr, als ein heiseres Fauchen. „Gottverdammt! Wo bist du gewesen...!“ Was für eine Dankbarkeit... Flink kam ich auf die Beine und eilte zu ihm. „Du hast leicht reden...!“ Aufmerksam hielt auch ich meine Stimme gesenkt, als ich um ihn herumtrat, mich zu ihm neigte. „Hast du eine Ahnung, wie viele Akuma sich in diesem Haus aufhalten?“ „Woher soll ich das wissen...! Verdammt, mach mich los!“ Ich tastete nach der Augenbinde, tastete am Hinterkopf nach dem Knoten und wie sehr hatte ich mich zu konzentrieren, um die Bewegungen ruppig und lieblos wirken zu lassen. So darauf fixiert, konnte ich meine Augen doch nicht davon abhalten, hinab zu seiner nackten Brust zu driften... mich zu erinnern... und diese Gedanken mit einem heftigen Kopfschütteln zu vertreiben. Es war vorbei! Hier und jetzt begann der alte Ernst und flink streifte ich Kanda das Tuch vom Kopf. Sofort schüttelte er ihn, öffnete die Augen nur stockend und verfolgte mit unglaublich finsterer Miene, wie ich mich an den Fesseln zu schaffen machte. Es waren feste Knoten, doch meinem Griff trotzdem nicht gewachsen und eines nach dem anderen löste ich die Stricke und gab ihm die alte Freiheit zurück. Ungeduldig riss er sich los, in stockenden, ungeschickten Bewegungen, die auf seine Unterkühlung aufmerksam machten. So kannte man ihn nicht. Eilig kam ich zurück auf die Beine, sah ihn die letzten Stricke zur Seite schleudern. „Was ist hier passiert?“ Kurz darauf stellte ich ihm diese Frage, bezog sie vor allem auf die Lage, in der ich ihn vorgefunden hatte und erhielt zur Antwort nur ein Zischen. Wie wütend er war... wie aufgebracht. So unruhig, dass sein Körper diesem Zustand kaum gewachsen war. „Was kümmert es dich...!“ Er rollte mit den Schultern und während jedem Wort begannen seine Zähne aufs Neue zu klappern. Ich verstand ihn kaum und kurz fragte ich mich, ob ich seinen Zustand nicht unterschätzt hatte. Nur ein kurzer Moment, in dem ich mich damit befasste und schnell wurde ich auf eine andere Sache aufmerksam. Ich blickte um mich. „Wo ist Mugen?“ „Im Keller...!“ Ächzend machte er sich daran, auf die Beine zu kommen. Es sah mühevoll und schwerfällig aus und die ersten Schritte, die er tat, waren eher ein Straucheln... ein Stolpern. Unsicher folgte ich ihm. „Alles in Ordnung?“ „Kümmere dich um deinen Kram...!“ Dumpf rammte sich seine Hand gegen die Wand. Er verschaffte sich kurzen Halt, vertrat sich die Beine und es dauerte kaum zwei Sekunden, da traf mich sein durch und durch verbitterter Blick. „Ich hole Mugen!“, entschied er und bereitwillig nickte ich. „Ich kümmere mich um die Akuma.“ Was ihn anging... ich war mir nicht sicher, ob er schnell genug im Keller wäre. Seine Beine sahen nicht danach aus, als wären sie hier und jetzt von großem Nutzen. Im Grunde wollte ich ihn nicht alleine gehen lassen aber kaum war mir dieser Gedanke gekommen, da riss er die blecherne Tür auf und strauchelte in den Flur hinaus. Ein Quietschen begleitete ihn. Dieser Wucht war die Tür nicht gewachsen und eilig verdrehte ich die Augen, während ich den Stoff von der linken Hand streifte. Er verließ sich auf mich. Schön und gut aber hätte er nicht kurz warten können? Eilig verließ auch ich den Raum, folgte ihn in den Flur und kaum hastete ich an ihm vorbei, schoben sich auch schon mehrere runde, monströse Körper aus den einzelnen Zimmern in den Gang hinaus. Abrupt lenkten sich diese Kanonen auf uns und während Kanda einfach weiterstrauchelte, blieb es mir überlassen, die donnernden Schüsse der Akuma abzuhalten. Grell erhoben sich die Mündungsfeuer, so manche Wand riss es in Trümmer und... selbst die Böden, als die Akuma aus den tieferen Etagen aufstiegen und sich alles auf mich konzentrierte. War das meine verdiente Strafe...? Sie brachten mich wirklich ins Schwitzen, während sich Kanda in meinem Rücken in das Treppenhaus schob und verschwand. So unauffällig, dass er so manch finsterer Aufmerksamkeit entging und abrupt fuhr ich herum, als es den Boden hinter mir zerriss. Sie kamen von allen Seiten und ächzend ergab ich mich meiner Rolle und wandte mich ihnen zu. Der Kampf nahm das Gebäude schwer mit. Stahlträger brachen, Stützwände sanken in sich zusammen und bald war der Konflikt auch damit verbunden, rechtzeitig aus dem Gebäude zu kommen. Gerne konnte der Einsturz die Akuma mit sich reißen, nur ich wäre zu diesem Zeitpunkt gerne in Sicherheit und so sprang auch ich in das Treppenhaus, sprang die Stufen hinab und wich in die dritte Etage aus, als die unteren Treppen unter schweren Salven zerstört wurden. Ein Weg, der mir nicht mehr offen stand und es war eines der Fenster, das ich als neuen Ausweg ansah. Nur wenige waren noch hinter mir, als ich an eines der vielen heraneilte, mich auf das Fensterbrett stemmte und hinabblickte. War Kanda fündig geworden? Hatte er Mugen und war er in Sicherheit? Die bedrohlichen Geräusche näherten sich und doch ließ ich mir Zeit, neigte ich weiter hinaus und starrte nach unten. Und dort...! Er erkannte eine Gestalt, die sich im Erdgeschoss aus einem Fenster schob und hinab auf den Schneebedeckten Boden des Vorplatzes sprang. Er war draußen. Fabelhaft und ein kraftvoller Schlag genügte, um einen der letzten Stahlträger zu zerteilen und das Haus einstürzen zu lassen. Es rumorte, es krachte und mit dem Blick auf einen vereinzelten Akuma, der in meine Richtung trieb, schwang ich die Beine über das Fensterbrett und sprang hinaus. Gerade noch rechtzeitig, bevor das Dach donnernd tiefer sank und sich der Einsturz des Hauses mit den Explosionen der Akuma vermischte. ~*tbc*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)