Reqium of Darkness & Quiet Symphony von abgemeldet (Walker x Kanda) ================================================================================ Kapitel 13: Kandas Sieg ----------------------- Dass ich hilflos war, hatte ich letzten Endes einzusehen. Genau wie die Tatsache, dass es an Sinnlosigkeit grenzte, sich mit pessimistischen Gedanken zu beschäftigen. All das würde nur an mir hängen bleiben. Wie so oft auch, würde ich mir nur Schaden zufügen. Der eine oder andere teilte diese Sorgen nicht… der eine oder andere ging so mit der Situation um, wie ich es auch tun sollte. Resigniert ging ich meiner Wege. Einfach kreuz und quer durch das Hauptquartier. Ich meinte, meine Gedanken im Griff zu haben aber das hatte ich so gesehen noch nie geschafft. Wenn sie sich nicht mehr auf Kanda richteten, dann auf andere Thematiken. Und von ihnen musste es viele geben, denn als ich irgendwann stehenblieb und aufblickte, wusste ich weder, wo ich war, noch, wie lange mich meine Beine getragen hatten. Hinter einem nahen Fenster lag noch die finstere Nacht, leise umflatterte mich Timcanpy und kaum hatte er sich auf meinem Kopf niedergelassen, spähte ich naserümpfend um mich. Ein breiter Flur… irgendwo… Ich drehte mich zur anderen Seite, erspähte eine Treppe und setzte mich genauso so blind in Bewegung, wie ich hierhergekommen war. Das Laufen tat gut. Dass es ziellos war, versuchte ich auszublenden, mich vielmehr auf die Orientierung zu konzentrieren. Und ich fand sie wieder. Irgendwann. Die Umgebung wurde vertrauter, gelassen bog ich noch um zwei Ecken, durchschlenderte zwei Gänge und blieb in dem runden Treppenhaus stehen. Es war die richtige Etage und von meiner Tür blickte ich auch zu jener anderen. Sie lag meinem Raum fast gegenüber, verbarg nichts hinter sich. Keinen Bewohner, nur Geheimnisse, das Unbekannte. Ein Schmunzeln zog an meinen Lippen, als ich mich abwandte und zu meinem Zimmer trottete. Ich freute mich schon darauf… Diesen Klang wieder zu hören. Das dumpfe Dröhnen, wenn ein junger Mann auf seinen unglaublich wichtigen Wegen sie permanent aufriss und in den Rahmen zurückstieß. So ein süßes Geräusch… und ich kam nicht um ein trockenes, kurzes Lachen, bevor ich in meinem Raum verschwand und mich dazu zwang, mich hinzulegen. Einfach die Beine entspannen, die Augen schließen und vor der Situation kapitulieren. Der Schlaf war in dieser Lage ohnehin das Beste, um die Zeit totzuschlagen. Wenn ich wieder aufwachte, würden handfeste Informationen auf mich warten. Ob gut oder schlecht. Während ich hier lag und noch einige Minuten aus dem Fenster starrte, entwickelten sich die Dinge in Russland. Bald darauf bekam mich eine Müdigkeit zu fassen, die ich herzlich begrüßte. Die Möglichkeit, Unterlassenes nachzuholen und endlich zu den Kräften zurückzufinden, die ich nötig hatte. Meine Lider wurden schwer, Tims Flattern verstummte in meinen Ohren und das einzige, was noch in mein Bewusstsein drang, war die träge Bewegung meines Körpers, der sich vom Fenster abwandte und sich auf die Seite drehte. Ich schlief… Ich tat es wirklich, wenn auch nicht lange. Im Laufe der Zeit gab man sich mit wenig zufrieden. Ich war es stets auch mit wenigen Stunden und dass die Augen nach dem Aufstehen immer noch müde und trübe waren, nahm ich durch die Gewohnheit kaum noch wahr. Gerade erst war ich zu mir gekommen, da richtete ich mich auch schon auf. Ein Gähnen stieg in mir empor und beiläufig erwischte ich Tim, der sich sofort von der Matratze erhoben hatte, mit dem Ellbogen, bevor ich mir das Gesicht rieb. Mein Mund schmeckte fade, das Haar stand mir zuberge und großzügig half ich noch etwas nach, indem ich mich ausgiebig kratzte. Wieder erhob sich der Golem in die Luft und stoisch hob ich die Hand zu einem stummen Morgengruß. Da war er also, der neue Tag… Der neue Tag? Müde blinzelnd blieb ich sitzen, rollte mit den Schultern und grübelte, weshalb er so wichtig war. War er etwas Besonderes…? Ich runzelte die Stirn, wandte das Gesicht zum Fenster und piepelte an der Decke, die sich nur noch mit einer kleinen Ecke verzweifelt auf der Matratze hielt. Ich schlief zu unruhig, auch heute wieder und während ich immer noch nachdachte und meinen Kopf anstrengte, zog ich die Decke langsam zurück auf das Bett. Mm… Ich presste die Lippen aufeinander, verspielt verbiss sich Tim in dem Stoff und abwesend stellte ich mich einem kurzen Kräftemessen. Er zog, ich zog… und dann fiel es mir ein. Sofort ließ ich die Decke los, haltlos fiel Tim zu Boden und während ich auf die Beine kam und zu meinem Schrank trottete, erwachte die Decke auf dem Boden zum Leben. Aufgebracht regte sich Tim unter ihr aber ich hatte keine Augen dafür. Zielstrebig zog ich ein Hemd hervor, wand mich unterdessen schon aus dem Alten und sah mich nach meinen Stiefeln um. Ich war wach… Und ich hatte es eilig. Die Antworten auf meine Fragen warteten auf mich. In der Wissenschaftsabteilung… bei Komui. Ich musste sofort dorthin, musste sofort erfahren, unter welchem Zeichen die vergangene Nacht stand. Mein trotziges Gleichgewicht ließ mich daraufhin auf einem Bein springen. Den Eingang in die Hose zu finden, war plötzlich schwer aber dann zog ich sie doch herauf, warf die Decke eilig auf das Bett zurück und ließ mich auf die Knie sinken, um unter ihm zu suchen. Meine Schlappen… Auch sie konnte man jeden Morgen suchen aber diesmal brauchte ich nur unter das Bett zu greifen. So schnell war ich selten. Flink rutschten meine Füße in die Schuhe, das Hemd war falsch geknöpft und kurz nahm ich mir noch die Zeit, zumindest die Hose ordentlich zu schließen, bevor ich Tims Schweif zu fassen bekam, ihn unter der Decke hervorzog und zur Tür strauchelte. Was sagte mir meine Intuition…? Unter der kühlen Luft des Treppenhauses atmete ich tief durch, schloss die Tür nicht besonders leise und juckte mir den Steiß. Ich machte mich sofort auf den Weg. Wenn das Schicksal der Hoffnung die Dramatik vorzog, spürte man es bisweilen. Schon wenn man die Augen öffnete, gab es diese Befürchtungen, die der Wahrnehmung nicht entgingen. Befürchtungen, die so pessimistisch waren und sich letzten Endes doch leider nur als Realismus entpuppten. Gegen diese Tatsachen anzukämpfen, war erbärmlich… Flink bog ich um eine Ecke. In gewissen Lagen war Hoffnung nicht viel mehr als Verzweiflung und das Streben nach dem Sieg eine Ausflucht, um die Wahrheit nicht sehen zu müssen. Eine einzige Erfahrung war es, die bis heute einen bitteren Geschmack hinterließ. Bis heute so spürbar… Bis heute so präsent. Doch die abgrundtief finsteren Vorahnungen, die mich einst zu Suman führten, begleiteten mich hier und jetzt nicht. Kurz drifteten meine Augen zu Boden, kurz fuhr ich mir dem Handrücken über den Mund, bevor ich tief einatmete und mich an die Gegenwart klammerte. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mir eine Hiobsbotschaft bevorstand… nicht das Gefühl, diesen Weg besser nicht zu gehen und meine Schritte verlangsamten sich nicht. Ich erreichte die große Tür rasch, griff sofort nach der Klinke und der Anblick, der sich mir in der ersten Sekunde bot, schien eine immense Last von meinen Schultern zu heben. Es war das gewohnte Seufzen und Stöhnen, das mir entgegen zog… die Folgen einer durchgearbeiteten Nacht. Vermutlich hatte jeder viel zu tun gehabt, doch es blieb bei dieser Erschöpfung, neben der weder Schweigen, noch bedrückte Mienen das Bild beherrschten. Johnny schnarchte, Rokujugo schwebte von Regal zu Regal und River schwenkte den Kaffee in der Tasse, während ein wahrer Redeschwall über ihn hereinbrach. Er kam geradewegs von Komui, der neben ihm am Schreibtisch lehnte, mit einer gewissen Tasse gestikulierte und alles andere als bedrückt wirkte. Es war alles in Ordnung… neben der Tinte zahlreicher Kopien roch es hier auch nach einem Erfolg und diesmal schloss ich die Türe weitaus entspannter, weitaus ruhiger hinter mir. „Oh!“ Mit großen Augen entdeckte mich Komui und irgendwie schien River ganz erleichtert, als er ihm den Rücken kehrte. „Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich dir!“ Seine verzerrte, todernste Miene hatte die alte Entspannung inne. Seine Lippen konnten wieder lächeln und grüßend hob er die Tasse, als ich näher schlenderte. „Wie sieht es aus?“ Obwohl ich meine Antwort in gewissem Sinne schon hatte, wollte ich mir trotzdem keine Zeit für einen Gruß nehmen. Die Neugierde war zu groß und Komui nahm es mir nicht übel. „Glänzend.“ Jetzt stieß er doch ein erleichtertes Seufzen aus, bettete die Hand auf meiner Schulter und führte mich mit sich. Wir schlenderten auf sein Büro zu. „Linali und Marie waren pünktlich… meine Güte, wenn sie es nicht gewesen wären, wäre es wohl übel ausgegangen.“ Er stemmte die Hand in die Hüfte, setzte die Tasse an die Lippen und entschied sich dann doch anders. Sofort wurde die Tasse wieder sinken gelassen. „Das Gefecht endete heute Morgen gegen fünf Uhr.“ Sofort suchten meine Augen nach einer Uhr. Zehn Uhr… „Und wie geht es allen?“ Genauso gut hätte ich diese Frage nur auf Kanda beziehen können. Um Linali und Marie hatte man sich wohl keine Sorgen zu machen. Nur für einen anderen hatte dieser Kampf nicht eine Stunde, sondern einen halben Tag gedauert. „Ach, Linali geht es gut.“ Wir erreichten die Tür und lachend stemmte Komui den Ellbogen auf die Klinke, drängte sie auf. „Gott sei Dank, sie hat etwas Rauch geschluckt und ist leicht angekratzt aber sie meinte, es wäre in Ordnung, also musst du dir keine Sorgen machen.“ Das tat ich nicht. Genauso wenig, wie ich mit dieser Antwort zufrieden war. Stirnrunzelnd folgte ich Komui durch das Meer der Unterlagen. „Sie hat sich wirklich beeilt, war sogar eine halbe Stunde früher da, als erwartet. Und dann hat sie sich gut geschlagen.“ Beiläufig wurde die Tasse auf dem Tisch abgestellt und anschließend ausgiebig an dem Stuhl gerückt. Etwas resigniert blieb ich neben dem Sofa stehen und Komuis Hand reckte sich geballt in die Höhe. „Wie es nicht anders von ihr zu erwarten war! Immerhin ist sie mein Fleisch und Blut! Ja!“ „Mm-mm“, murrend nickte ich, tastete mich zur Rückenlehne und begann an dem Polster zu piepeln. „Sie ist mit Marie noch vor Ort und kümmert sich etwas. Oje, das war wirklich spannend, was?“ Er grinste mir zu, bevor er sich hinter den Schreibtisch schwang. „Jetzt ist jedenfalls alles in bester Ordnung.“ Und…? Es sah erschreckend wenig danach aus, als würde er noch etwas sagen. Lieber rückte er an den Unterlagen und schaffte so auch nicht viel mehr Ordnung. Auch an der Tasse wurde gedreht und nach wenigen Momenten des Schweigens beschloss ich, einfach Kandas Trick anzuwenden. Die spezielle Form der Kommunikation, die mir so schwer fiel… letztendlich nur das direkte Fragen. „Was ist mit Kanda?“, tat ich es dann einfach und auf der anderen Seite des Schreibtisches wurde plötzlich eine Grimasse gezogen. Gerade so, als hätte ich ihn an etwas Unangenehmes erinnert. Er zog den Kopf zwischen die Schultern, schüttelte ihn und holte zischend Luft. „Seeeehr schlecht gelaunt“, brachte er dann hervor und lugte in einer bösen Erinnerung zum Telefon. Ja, das konnte ich mir vorstellen… ich ertappte mich bei einem tiefen Durchatmen. Spätestens jetzt war ich unbeschwert und entspannt. Vermutlich war es bei einem ganz schön kurzen Telefonat geblieben. „Wie auch immer“, holte sich Komui die alte Fassung zurück und machte es sich an der Lehne bequem. „Ich habe ihm vorgeschlagen, sich noch etwas auszuruhen und da sagte er…“ abrupt hielt Komui inne, seine Augen kreisten aber letztendlich fuchtelte er nur verwerfend mit der Hand. „Ist ja auch egal, nicht? Er ist schon auf dem Rückweg, kommt wohl in den Nachmittagsstunden an.“ Endlich wusste ich das, was ich wissen wollte. Wenn er zu so einem temperamentvollen Telefonat fähig war, dann musste es ihm den Umständen entsprechend gut gehen. Und jetzt kehrte er zurück. Es blieb bei wenigen weiteren Worten, bevor ich Komuis Büro sowie die Wissenschaftsabteilung verließ und mich mit Tim auf den Weg zum Frühstück machte. In langsamen und bequemen Schritten… wenn auch wieder in der alten Nachdenklichkeit versunken. In der gestrigen Nacht hätte ich nie gewagt, einen solchen glimpflichen Ausgang zu erwarten. Er hatte in so weiter Ferne gelegen… alles war so unsicher gewesen, doch nun blieben dieses Gefecht und die damit verbundene Aufgebrachtheit nur Erinnerungen. Intensive Erinnerungen, gegen die ich nichts einzuwenden hatte. Die Hände in den Hosentaschen durchstreifte ich wieder die Gänge, lauschte dem leisen Hallen meiner Schritte und senkte das Kinn zum Schlüsselbein. Was war dieses Gefühl…? Wie konnte ich definieren, was mich hier und jetzt beschäftigte? Etwas regte sich in mir… nichts Unangenehmes, nichts Lästiges oder Verbotenes. Es ließ mich kaum schwanken, machte leicht und sachte auf sich aufmerksam. Was war es…? Ich verzog die Brauen und blieb stehen. Das Ziel lag direkt neben mir aber während Tim sich bereits an der Klinke zuschaffen machte, stand ich nur dort und spähte zur Seite. Erleichterung…? Selbstverständlich… aber war es nur das? Ein stummes Kopfschütteln überkam mich. Es war mehr, als das… weitaus mehr und als ich mich langsam der großen Tür zuwandte, fand ich ein Wort für diese Empfindung. Stolz. Ja… ich blickte auf, bewegte die Lippen aufeinander und verfolgte Tims erfolglosen Kampf abwesend. Ich war stolz… und das nicht etwa auf mich. Ich war stolz auf meinen Kameraden, der nach drei Missionen noch die Kraft besaß, einen zehnstündigen Kampf fast im Alleingang zu führen. Was war das nur für ein Teufel…! Sein Verhalten schwankte zwischen Extremen. Von dem Anschein, auf einen Freitod aus zu sein und nicht mehr nachzudenken, pendelte er abrupt in eine Lage, in der er alles im Griff hatte und es auch nie nach etwas anderem aussah. Er hatte den Sieg errungen… natürlich hatte er das und das einzige, was ich getan hatte, war, wie ein Tölpel an ihm zu zweifeln. Als hätten all die Erfahrungen, die ich mit ihm gemacht hatte… all die Gefechte, die ich gemeinsam mit ihm austrug, nie existiert. Ich wusste doch, wie stark er war. Vermutlich war meine vergangene Sorge nicht viel mehr als blanker Egoismus, aus Furcht vor einem Verlust. Möglicherweise hatte ich nie um ihn Angst gehabt… sondern vielmehr um mich. Ich ließ ihn nicht gehen. Nicht nachdem ich diesen Schlupfwinkel in seiner Barriere gefunden hatte. In bequemen Schritten erreichte ich die Theke und stemmte mich auf sie. Die Tür zur Küche war geschlossen und so spähte ich kurz zurück und in die Halle. Sie war gut besucht zu dieser Stunde und auch die Gesprächigkeit der Hungrigen war heute enorm. Vermutlich war mein Thema auch ihr Thema. Gewisse Dinge sprachen sich hier schnell herum und wirklich… manche Worte sprühten so vor Begeisterung und Erleichterung, dass es sehr gut sein konnte. So wandte ich mich wieder ab, hob den Fuß auf die Zehen und drehte ihn gedankenverloren. Die Tür der Küche regte sich nicht. Eigentlich war es auch selten, dass sie geschlossen war. Ich stemmte das Kinn in die Handfläche, schürzte die Lippen und spähte Tim nach. Er flatterte zu jener Tür, als wäre er derjenige, der Hunger hatte aber als er das Ziel erreichte und gegen das massive Holz dauzte, tat sich auch nicht besonders viel. „Jerry…“ Meine Stimme war nicht vielmehr, als ein laues Murmeln. Wieder flog Tim gegen das Holz und mein Fuß begann über den steinernen Boden zu scharren. „Jeeeerry…“ Ich hatte Hunger… Die Lage war so ernst, wie jeden anderen Morgen auch. Lauter rufen wollte ich trotzdem nicht, also hoffte ich einfach auf Tim, der sich nicht wirklich klug anstellte. Ich blieb dort stehen, rollte mit dem Kopf, gähnte und als Tim nach weiteren Momenten in die Klinke biss, bewegte sich die Tür endlich. Mit einem Mal wurde sie aufgerissen, Tim wurde fortkatapultiert und mit großen Augen sah ich einen jungen, fremden Hilfskoch näher straucheln. In der einen Hand hielt er noch einen Kochlöffel, die andere wischte er sich hastig an der Schürze ab und irgendwie wirkte er ziemlich nervös, als er auf der anderen Seite der Theke zum Stehen kam und röchelte, als hätte er einen Marathon hinter sich. „Guten… Morgen!“, ächzte er mir entgegen und ich hielt noch immer das Kinn in der Handfläche und starrte ihn an. „Was darf ich Ihnen bringen?“ Langsam lehnte ich mich zur Seite, spähte an ihm vorbei zur Küche und runzelte die Stirn. Sofort folgte er meinen Blicken, drehte sich um und wurde schon wieder in Augenschein genommen. „Wo ist Jerry?“ „Jerry… äh…“, mit derselben Hektik fuhr er zu mir herum und aus der Küche glaubte ich laute, aufgebrachte Stimmen zu hören, „… er macht ein paar Besorgungen in der Stadt.“ Das Lachen, das daraufhin folgte, wirkte ziemlich zappelig. „Er hat uns kurz das Feld überlassen.“ Das schien wirklich ein schweres Feld zu sein… da, hinter der Tür. Irritiert verfolgte der Jungkoch Tims Bewegungen, verfolgte, wie sich der Golem auf meinem Kopf niederließ und starrte mich anschließend an, als wolle ich ihm an die Gurgel. Dabei war ich völlig entspannt… fast. „Na gut.“ Seufzend rappelte ich mich auf. „Ich hätte gern…“, mein Zeigefinger bettete sich auf mein Kinn und kurz grübelte ich. „… fünf Croissants mit Erdbeermarmelade, drei Rühreier, Vanille-Pudding, Mangocreme, Mango-Saft, Pfannkuchen, Himbeerjoghurt, Kuchen…? Ja, Kuchen. Zwei Brötchen mit Pflaumenmus, Schokoladenmüsli, Pfirsich-Mus und wie hießen die Dinger noch…“, nur kurz spähte ich zu dem Jungkoch, ohne auf seine Miene zu achten, „… ja, Windbeutel! Soviel, wie ihr da habt.“ Die waren wirklich lecker. „Dann noch Kakao und nicht zu wenig davon, ach und anstatt der Rühreier doch lieber zwei Omelettes aber ohne Basilikum. Habt ihr noch die süßen Cornflakes?“ „Eh…“, gurgelte es da aus dem jungen Mann heraus und sofort winkte ich ab. „Dann eben keine Cornflakes. Aber noch die Müsli-Riegel… vier davon und zum Schluss…“ Ich verengte die Augen, rieb mir das Kinn und grübelte kurz, bevor ich mich meinem Gesprächspartner entschlossen zuwandte. „Lasagne!“ Der Mund meines Gegenübers öffnete und schloss sich. Ich erwartete, dass er sich sofort in die Küche zurückzog und sich an die Arbeit machte aber er blieb dort stehen und begann irgendwie zu schwitzen. Erwartungsvoll hob ich die Augenbrauen und nach wenigen Sekunden brach er in fahriges Lachen aus und rieb sich den Hinterkopf. „Also Pfannkuchen und… eh… Müsli…“ „Schoko-Müsli“, verbesserte ich ihn stoisch. „Okay… ähm…“, plötzlich begann er sich umzuschauen. Der Kochlöffel wurde auf den Tresen geschmissen und so begann er seine Hosentaschen abzutasten. Was er suchte, erfuhr ich nicht sofort aber meine Gesichtsmuskeln zog es leicht nach unten, als er einen kleinen Notizblock zückte und die Suche, wahrscheinlich nach einem Stift, hektisch fortsetzte. „Einen Moment.“ „Klar.“ Seufzend machte ich es mir wieder bequem und verfolgte unbeteiligt den Kampf, bis er endlich fündig wurde und zu kritzeln begann. Na gut… also dann. „Fünf Croissants.“ Ich fing von vorne an und er kritzelte immer heftiger. „Erdbeermarmelade…“ „Einen Moment.“ Wieder kratzte er sich den Kopf. „Der Stift tut’s nicht mehr… ich eh… gehe schnell einen Neuen holen.“ Und schon drehte er sich um und rannte zur Küche zurück, als wäre es eine Flucht. Träge ließ Tim die Flügel über meine Ohren hängen und genau so wie sie, hing auch ich kurz darauf dort. Erst jetzt fiel es mir auf… Jerrys unglaubliches Gedächtnis. Das, was ich hier erlebte, war irgendwie nervig. Hoffentlich kam Jerry schnell zurück. Der Jungkoch tat es und als er wieder vor mir stand, sah er aus, als würde er vor Aufregung gleich explodieren. Er zückte den neuen Stift. „Also vier Croissants mit Marmelade…“ „Fünf“, unterbrach ich ihn. Wer von uns beiden hatte gerade Flügel auf den Ohren? „Natürlich, also fünf mit Marmelade…“ „Erdbeermarmelade“, seufzte ich. „Vanille-Pudding, Mangocreme, Mango-Saft…“ „Moment.“ Er kam nicht nach und naserümpfend lugte ich zur Seite. Warten tat ich einige Momente, bis sich seine Stimme erhob. „Apfelsaft…“ „Mangosaft!“ Ich kam nur knapp um ein Augenrollen, strengte mich an, geduldig und nachsichtig zu bleiben. Wenn man es recht bedachte, könnte es dieser junge Koch aber weitaus schwerer haben. Im Gegensatz zu mir gab es auch andere, die etwas nur ungern wiederholten. Oh Gott… dieses Bild… wie die nahe Apokalypse. „Und weiter?“ „Pfannkuchen, Himbeerjoghurt, Kuchen.“ Diesmal sprach ich besonders langsam, verfolgte, wie er kritzelte und sich die Lippen leckte. „Zwei Brötchen mit Pflaumenmus, Schokoladenmüsli, Pfirsich-Mus und Windbeutel!“ „Eh…“, eilig kratzte er sich mit dem Stift die Nase, „… wie viele Brötchen?“ Tief durchatmend regte ich mich, spürte die schwindende Geduld. Heute war es irgendwie schwer… ich denke, gerade in solchen Momenten bemerkte man, wie wenig man geschlafen hatte. In solchen Situationen neigte ich dazu, gemein zu werden und irgendwie passierte es dann auch. „Sagte ich doch“, murrte ich so nur und der junge Mann schluckte schwer, kniff die Augen zusammen. „Ähm… drei?“ „Vielleicht auch vier?“ „Also vier?“ „Ich sagte ‚zwei’.“ Hastig strich er durch. „Okay, zwei Brötchen.“ „Gib mir zwei Doppelte.“ „Also doch vier.“ Keuchend blickte er auf und ich winkte ab. „Mit… äh…“ Jetzt rollte ich doch mit den Augen, sank tiefer und tiefer gen Theke. „Apfelmus…?“, erhob sich da fast ein Wimmern. „Pflaumenmus“, murrte ich. „Aber Apfelmus kann es auch noch sein.“ „Also kein Pflaumenmus, sondern Apfelmus?“ „Gurkenmus.“ Dumpf traf meine Stirn auf das Holz und ich musste ihn nicht sehen, um zu wissen, dass ihm das Blut mit jeder Sekunde mehr in den Kopf stieg. Ich befürchtete, allmählich wirklich genervt zu sein und was er als nächstes aus seinen Zettel schrieb, interessierte mich ziemlich wenig. „Und… dann…“, seine Stimme war kaum noch hörbar, „… Milch…?“ „Kakao!“ Kurz blickte ich auf. „In Ordnung. Und dazu…“, in seinem Kopf arbeitete es, während er auf den Zettel starrte und die Lippen zu einem schmalen Strich presste. „Nu… deln…?“ Unter einem leisen Ächzen sank ich wieder auf den Tresen zurück. „Keine Nudeln…!“ „Wirklich nicht…? Hatten Sie das nicht gesagt…?“ „Würde ich sonst widersprechen!“ Murrend rieb ich mir die Augen. „Meine Güte, das kann doch nicht so schw…“ „Moin, moin“, erhob sich da plötzlich eine bekannte Stimme und als ich mich aufrichtete, schleppte sich River das letzte Stück und suchte ebenso Halt auf der Theke. Mit ihm schien es auch zu ende zu gehen aber sobald er mich erreichte, war mein Gesicht wieder halbwegs entspannt. Kurz lächelte ich ihm zu, lächelte auch zu dem jungen Koch und holte tief Luft. „Zwei Omelettes, ohne Basilikum“, begann ich dann erneut zu erklären und hektisch wurde es notiert. „Vier Müsli-Riegel und Lasagne.“ Der Koch kniff die Augen zusammen aber er kam hinterher und wirkte ziemlich erleichtert, bevor er kehrt machte und zur Küche zurück rannte. Ernüchtert sah River ihm nach, während ich ihm lächelnd winkte. „Danke.“ „Ich…“, stockend regte sich River neben mir auf der Theke, „… spüre meine Beine nicht mehr.“ Kurz und abgelenkt nickte ich, behielt die Küchentür im Blick. Hoffentlich waren die Köche beim Zubereiten nicht genauso schwer von Begriff, wie bei der Bestellung! „Ich glaube…“, wurde da weitergeächzt, „… ich sterbe… aber diesmal wirklich.“ „Mm.“ Ich stemmte die Hände in die Hüften, spürte eine plötzliche, wenn auch müde Aufmerksamkeit. River hatte ein Auge frei gewühlt. „Du bist auch nicht richtig bei der Sache, kann das sein…?“ „Mm?“ Erst jetzt sah ich ihn wieder an, hob die Brauen. „Warum legen Sie sich nicht etwas hin?“ „Das mache ich dann auch.“ River zog die Nase hoch und machte es sich wieder bequem. „Aber erst essen…“ Wir verbrachten weitere, schöne Momente miteinander, bevor ein anderer und genauso überforderter Hilfskoch meine Bestellung aus der Küche schleppte und sich seltsam räusperte, als ich all das kritisch beäugte. Es schien alles da zu sein… aber irgendwie sah es so lieblos zusammengeschmissen aus. Es fehlte Jerrys Fantasie und seine Liebe, in der er alles so zurechtrückte, dass die Augen getrost mitessen konnten. Während River dann seine karge Bestellung nuschelte, zog ich mich an einen der Tisch zurück und begann zu essen. Gewartet hatte ich heute so lange, wie noch nie und deshalb hoffte ich, dass das Essen diesmal ganz besonders gut schmeckte. Der Mango-Saft war lecker und schnell ausgetrunken, der Pudding… etwas fade und spätestens, als ich die Omelettes kostete, fror ich ein. Versalzen… völlig versalzen. Ich schöpfte tiefen Atem, schluckte mit viel Mut hinter und spähte zur Theke zurück, an der schon die nächste Bestellung aufgegeben wurde. Was für ein Start in den neuen Tag… Mürrisch schob ich die Omelettes zur Seite, versenkte die Gabel im Kuchen und sah diesen trocken auseinander bröckeln. Schmecken tat er undefinierbar und spätestens, als ich da wirklich etwas erspähte, das wie Gurkenmus aussah, kam ich nicht um ein laues Stöhnen. Jerry… wo war er nur? Wie konnte er mir das antun? Die Windbeutel waren ganz gut aber der Himbeerjoghurt schmeckte nicht nach Himbeere und nachdem sich einige andere Sachen auch als Zumutung entpuppt hatten, brachte ich das Ganze kommentarlos zurück und verließ verdrießlich den Speisesaal. Mit welchen sinnlosen Tätigkeiten ich den Tag füllen würde, wusste ich noch nicht. Natürlich hatte ich mir nichts vorgenommen aber im Treppenhaus angelangt, zog es mir kurz durch den Kopf, den Arzt aufzusuchen. Vielleicht würde es ja klappen? Ich machte mir Hoffnung aber nachdem ich die Rippen kurz betastet hatte, ging diese Hoffnung genauso schnell verloren, wie sie gekommen war. Komui hatte es selbst gesagt. Jedes Betteln würde nichts bringen und bevor ich meine angekratzte Laune noch weiterhin strapazierte, hielt ich mich doch lieber von der Krankenstation fern. Mein Zimmer war wie immer wenig verführerisch und so betrat ich wieder die Wissenschaftsabteilung… wo ich sofort von Johnny geschnappt wurde. Ich bekam doch etwas zu tun… Etwas, worauf ich nicht wirklich Lust hatte aber es war mir alle Mal lieber, als wieder Stunde um Stunde dort zu sitzen und nichts zu tun. So zog ich mir etwas Wärmeres an, stieg in die Stiefel, hüllte mich in den schwarzen Mantel und machte mich bequem auf den Weg in die Stadt. Ich endete als Kurier. Nachdem mich Johnny überredet hatte, ein bestelltes Buch abzuholen, hatte es auch noch andere gegeben, die mich mit Aufgaben beluden und so sah ich einigen Stunden voller Erledigungen entgegen. Draußen war es wie immer eisig und der Weg zur Stadt sehr lang. Letzten Endes tat es mir aber doch gut. Einfach etwas rauszukommen… jetzt auch ohne jede Sorge und mit einer nur leicht angekratzten Stimmung. Die Stadt bot vermutlich die Gelegenheit, wieder etwas heiterer zu werden. Ich dachte weniger an mich, als ich mein Ziel erreichte und mit übergestreifter Kapuze in die Menschenmassen eintauchte. Den Schaufenstern schenkte ich keine Beachtung, war hier und jetzt einfach nicht daran interessiert, etwas für mich zu tun. Die Besorgungen für andere würden schon genug Zeit kosten und so bahnte ich mir meinen Weg zielstrebig zu jener Buchhandlung. Ich fiel kaum auf, bewegte mich in der Masse und tat es unauffällig. Das Gesicht zumeist leicht gesenkt, den Halt der Kapuze mit der Hand überprüfend und nur kurz spähte ich in beide Richtungen, bevor ich mich durch die Tür der Buchhandlung schob und den Gehweg verließ. Es war ein älterer Laden und sofort zog mir der für Bücher typische Geruch entgegen. Zwischen den hohen Regalen bewegten sich Menschen, in einer Ecke wurde gelesen, die Fächer durchstöbert und ich zog an all dem vorbei und trat an den Tresen. Eine ältere Frau blickte von einigen Unterlagen auf, musterte mich innig und wurde doch rechtzeitig von dem Zettel abgelenkt, den ich ihr mit einem knappen Lächeln reichte. Nickend nahm sie ihn entgegen, überflog ihn kurz und verschwand in den hinteren Räumen des Geschäftes. Ich sah ihr nicht nach, schob die Hände unter den Mantel und in die Hosentaschen und sah mich kurz nach Tim um. Er war nicht im Laden… ich drehte mich zur einen Seite, zur anderen und kurz sah ich ihn hinter der gläsernen Tür auf und abflattern und für einige Aufmerksamkeit sorgen. Diese Wirkung hatten wir gemeinsam… nur ihm machte es vermutlich nichts aus. Kurz darauf flatterte er davon, entzog sich meinem Blick und gab mir die Zeit, mich etwas und weiterhin in dem Laden umzusehen. Ein älterer Mann zog an mir vorbei, bog in einen schmalen Gang zwischen den Regalen, während von draußen das laute Läuten einer Glocke zu mir drang. Auf der Straße wurden sie verschiedensten Waren feilgeboten und kurz erfassten meine Augen die Gestalt einer Frau, die an dem Laden vorbei eilte. Flink wurden neben mir zwei Bücher abgelegt und kaum hatte ich mich umgedreht, war eine alte Frau wieder davongeeilt, um sich weiter umzuschauen. Die Blätter raschelten, neugierig starrten die wenigen Besucher des Ladens um sich, zogen von einem Regal zum nächsten. Hier war alles in Bewegung… Die Welt war so hektisch und ich stand reglos mittendrin. Als wäre ich kein Teil dieser Gesellschaft… als wäre ich ein Punkt, um den sich alles dreht und am Ende doch nichts. Langsam hob ich die Schultern, ließ sie sinken und hielt nach der Frau Ausschau. Sie schien länger zu brauchen und kurz versenkte ich die Hand unter der Kapuze, um mich zu jucken. Die alte Kasse stand geschlossen neben mir… vor mir lagen auch einige uninteressante Broschüren und abrupt lösten sich meine Augen von ihnen, als ich neben mir eine weitere Regung ausmachte. Etwas hatte meine Beine gestreift und schweigend musterte ich diesen kleinen Jungen, der neben mir stehen geblieben war. Er interessierte sich für das raschelnde Papier kleiner Hefte, betastete es begeistert und spähte von einem zum anderen. Wie schön musste es sein, wenn die Welt so voller Geheimnisse war… Ich löste die Augen nicht von diesem Kind, betrachtete es mir fast abwesend und ohne zu blinzeln. Von dem interessanten Papier wanderte die kleine Hand zu einer Bommelmütze. Der Junge rückte an ihr, sicherte ihren Halt und beugte sich weiter nach vorn, um an eine kleine Mappe heranzukommen. Etwas zerzaust ragten die Strähnen des brünetten Haars unter der Mütze hervor, während die Augen des Jungen mit jedem Augenblick der Erkundung größer und größer wurden. „Quience.“ Nur leise erhob sich eine Stimme in meinem Rücken. Ich nahm sie kaum wahr, doch der Junge reagierte sofort. Es fiel ihm schwer, sich von den spannenden Dingen zu lösen, doch er wandte sich um und mit ihm tat auch ich es. Langsam folgte ich seiner Beobachtung und kaum erblickte ich diesen hochgewachsenen Mann, der nahe der Tür auf den Jungen wartete, da eilte dieser schon an mir vorbei. Er folgte dem Wink seines Vaters, tat es trotzdem freudig und still verfolgte ich die Bewegung der großen Hand, die sich auf die Mütze des Jungen setzte, diesen kurz tätschelte und ihm ein leises Lachen entlockte. Nur einmal blinzelte ich, bewegte die Hände in den Hosentaschen und geschwind nahm der Mann seinen Sohn auf den Arm, hielt ihn sicher… … gab ihm Schutz… … gab ihm Geborgenheit… Und auch die Arme des Jungen schlangen sich um seinen Hals, als der Mann die Tür öffnete und mit seinem Sohn auf die Straße trat. Leise meldete sich das Glöckchen, als die Tür hinter ihnen zufiel und aus den Augenwinkeln sah ich die Beiden verschwinden. Dort, inmitten des Getümmels. „… ung…?“ Noch immer starrte ich auf den Punkt, an dem die Masse die Beiden verschluckt hatte. Meine Hände waren so nervös wie zuvor, regten sich unablässig, ballten sich zu Fäusten, entspannten sich… „Verzeihung?“ Erst jetzt drang die Stimme zu mir, erst jetzt fühlte ich mich angesprochen und als ich mich umdrehte, stand da die Verkäuferin, die mir unter einem recht verhaltenen Lächeln etwas reichte. Die Bestellung… Nach einem kurzen Zögern nahm ich sie entgegen, hielt jedoch inne, als ich sie mir näher betrachtete. Was war das…? Ich legte den Kopf schief, wendete die Bestellung, besah mir die Rückseite. Ein Comic? „Stimmt etwas nicht?“, erkundigte sich die Verkäuferin da schon aber vermutlich war alles in Ordnung. Johnny eben… Nur kurz schüttelte ich den Kopf, hob verabschiedend das Heft und verließ den Laden. Zurück in das Getümmel und nach nur wenigen Schritten begleitete mich auch Tim wieder. Flatternd hielt er sich bei mir, als ich das Heft unter den Arm klemmte, mit gesenktem Gesicht eine Straße überquerte. Meine Stimmung würde sich noch bessern. Ganz bestimmt… Irgendwann. Ich legte wenig Wert darauf, den Menschen auszuweichen, überließ es eher ihnen, mir aus dem Weg zu gehen. Ich war gar nicht aufmerksam genug, um ihnen viel Beachtung zu schenken, sah nur die Schuhe, die an mir vorbeizogen und hüllte mich tiefer in den Mantel, während verschiedene Schultern mich leicht streiften. Ich wollte mich nicht verkriechen, mir war nur kalt… Schon suchte meine Hand in der Hosentasche nach dem nächsten Zettel. Noch eine Bestellung für einen Wissenschaftler und fürs erste interessierte ich mich nur für die Adresse. So blickte ich zum Straßenschild auf, überquerte die nächste Straße und verschaffte mir die richtige Orientierung. Weit konnte der Laden nicht mehr entfernt sein. Wenn ich mich nicht irrte, trennten mich nur noch zwei Querstraßen von meinem Ziel. In der klirrenden Kälte zog ich die Nase hoch, versenkte die Hand samt Zettel wieder in der Tasche und schob mich an einem Straßenstand vorbei. Es war voll… ich war mitten in den Mittagstumult geraten und hielt mich irgendwann nahe an den Häuserwänden. Zuviel Gedränge, selbst Tim ging hin und wieder verloren. Aber stets hatte ich nur kurz zu warten, bis er zu mir aufholte. Eine Straße, noch eine… und schon sah ich das Schild des richtigen Ladens. Um was für eine Bestellung es sich diesmal handelte, wusste ich nicht. Wirklich spannend war es aber auch nicht und so betrat ich den nächsten Laden und stahl mich aus der Kälte der Straße. Es war ein kleiner, staubiger alter Laden für Büroartikel, in dem wenig Betrieb war. Die hölzernen Vitrinen hatten bisher wenig Interessenten angelockt und hinter der Kasse saß nur eine alte Frau, die aussah, als würde sie schlafen. Leise schloss sich die Tür hinter mir, während ich vorerst nur stehenblieb und mich umblickte. Es roch nach Tinte und nach allerlei anderem, was ich nicht definieren konnte. Ich näherte mich der Kasse um einen Schritt, war noch immer nur in die Betrachtung vertieft und streifte ebenso beiläufig die Kapuze zurück. Es gab dicke, in Leder gebundene Mappen, Schreibwaren… wenn die Auswahl auch nicht groß war… irgendetwas hatte dieser Laden an sich. Ich tat noch einen Schritt, wurde auf eine kleine Ablage neben mir aufmerksam und auf kleine Schatullen, die dort säuberlich in Reih und Glied lagen. Ich nahm kaum wahr, wie sich die Tür hinter mir öffnete und schloss, betrachtete mir eine der Schatullen intensiver, streckte die Hand nach ihr aus… Und ein leichter Schubser drängte mich mit einem Mal zur Seite. „Weg da, Opa!“ Zischend zog ein junger Mann an mir vorbei, ging zur Kasse, ohne sich umzudrehen und riss die alte Frau mit seiner impulsiven Stimme aus dem Halbschlaf. Die Schatulle war nicht mehr interessant, vielmehr war es der Mann, dem meine Augen folgten. Das Gleichgewicht hatte er mir nicht wirklich genommen und trotzdem reichte so ein Schubser, um mich meine Rippen wieder spüren zu lassen. Nur kurz tastete ich mich zu meiner Brust, kehrte den Schatullen den Rücken und schöpfte tiefen Atem. „Wie, Sie haben so etwas nicht!“ Stöhnend raufte sich der junge Mann die Haare, während die alte Frau schuldunbewusst mit den Schultern zuckte. „Wo kriege ich das denn sonst her!“ „Da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen.“ „Ach, verdammt!“ Langsam tastete ich nach dem Zettel, zog ihn aus der Hosentasche und näherte mich der Kasse gemächlich. Ein kühler Schauer hatte mich überkommen… nur ein kurzer Moment, bevor ich die alte Fassung wieder erlangte. Es… war in Ordnung… Wieder holte ich tief Luft, trat zu dem Mann, der die Hände auf den Tresen niedergehen und die alte Verkäuferin zusammenzucken ließ. „Das ist jetzt schon der dritte Laden, in dem ich bin!“, erregte er sich, als ich neben ihm stehenblieb, gemächlich den Zettel auseinanderfaltete. „Ich habe keine Lust, noch alle anderen Läden abzuklappern und… hey!“ Ohne zu mir zu schauen, streckte er mir den Arm in die Quere. „Drängle dich nicht vor!“ Langsam lugte ich zu seinem Arm. Es sah aus, als wäre er kurz davor, das Drängeln zum zweiten Mal selbst zu übernehmen. Ich betrachtete mir sein Handgelenk und nachdem die alte Frau noch einmal mit den Schultern gezuckt hatte, erhielt ich die volle Aufmerksamkeit des Mannes. „Ich hab gesagt, du sollst dich nicht…!“ So, wie er sich zu mir drehte, so blickte ich auf und mit einem Mal verstummte er. Ich sah ihn an, geradewegs und schweigsam… und um meine Laune stand es nicht zum Besten. Ein kurzes Zucken zeigte seine Verwirrung. Natürlich… wer rechnete bei diesem Haar schon mit so einem Gesicht. Er war nur einer unter vielen. Nur… Meine Mimik blieb völlig entspannt, während ich das Braun seiner Pupillen erforschte, den Blickkontakt keine Sekunde lang unterbrach und raschelnd den Zettel zwischen den Fingern wendete. Wenn er noch etwas zu sagen hatte, dann war dies der passende Moment und während er mich anstarrte, als würde er der tückischen Entspannung meines Gesichtes keinen Glauben schenken, hob ich die Brauen. Nein, langsam glaubte ich… dass es doch nicht der passende Moment war. Kein Moment könnte passend für solche Worte sein… kein Moment für mich zu einer größeren Geduldprobe werden. Ohnehin brauchte man hier und jetzt kein Wort und kaum bewegte sich sein Mund unentschlossen, senkte ich den Kopf, fixierte ihn schärfer und sah ihn schon um einen Schritt zurückweichen. Ich sah ihm nicht nach. Noch ein Schritt, bis er sich aus meinem Blickwinkel schob und es war eine wüste Beleidigung, unter der er letztendlich den Laden verließ. Wie freundlich… jetzt ließ er mich doch vor und während die alte Frau dem unangenehmen Gast nachblickte, reichte ich ihr lächelnd den Zettel. Diesmal war es ein teurer Federhalter, den ich an mich nahm und ein weiteres Mal auf die Straße hinauszutreten, fiel mir diesmal nicht mehr so leicht. ~*tbc*~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)