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Reqium of Darkness & Quiet Symphony

Walker x Kanda
von

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Treffen mit Marshall Tiedoll ~ 1

Entspannt bekam ich die Schiebetür zu fassen, die mich vom Innenhof trennte, und öffnete sie. Noch immer lastete die stockfinstere Nacht auf der Insel und trotzdem schimmerte der Schnee in diesem Garten so immens, als wäre es erst die Dämmerung. Ich genoss die frische Luft, die mir entgegen zog, blinzelte unter der Kälte und spähte kurz zu den wenigen Lampen, die den Garten umgaben. Beinahe ruhig loderten die kleinen Flammen, während hinter mir und in den Räumen Stille herrschte.

Ich löste die Hand von dem dünnen, hölzernen Rahmen der Tür, rieb mir den Oberarm und spähte zur Seite. Ordentlich standen dort die schwarzen Stiefel auf dem hölzernen, überdachten Weg. Und neben ihnen lehnte Kanda an einem hölzernen Stützpfeiler. Im Schneidersitz hatte er es bequem. Das offene Haar über die Schulter gezogen, schien er sich den Garten zu betrachten. Bemerkt hatte er mich schon längst. Auch, wenn ich seine Aufmerksamkeit nicht gespürt hatte, er wusste, dass ich es war und ließ sich nicht stören. Die Arme vor dem Bauch verschränkt, spähte er zu dem kleinen See, zu dem Röhrchen, das sich füllte, neigte, leerte und sich wieder emporhob.

Immer und immer wieder und kurz verfolgte ich all das, bevor ich mich in Bewegung setzte und zu ihm trat. Die Hände in den Hosentaschen, blieb ich kurz in sicherer Entfernung neben ihm stehen, bevor ich in die Knie ging.

„Was willst du.“

Endlich schenkte er mir Aufmerksamkeit. Auch, wenn er mich nicht ansah, seine Mimik war deutlich und wie immer hatte ich mich sofort zu rechtfertigen, wenn ich ihm Gesellschaft leistete. Ich spreizte die Finger, faltete die Hände ineinander.

„Crowley und der Finder sind gegangen“, hob ich an, betrachtete mir meine Fingerknöchel. „Wir haben den nächsten Auftrag.“

„Worum geht es.“

„Ähm…“, ich rümpfte die Nase, lugte kurz zu ihm. Jetzt würde ich es abkriegen. „Wir sollen Tiedoll in China treffen und ihm das Innocence überbringen.“

Kaum hatte ich ausgesprochen, da erhob sich schon dieses Murren. Kanda schien irgendwie zum Leben zu erwachen. Er richtete sich auf, sank unter einem weiteren Stöhnen in sich zusammen.

„Warum ausgerechnet ich!“ Ruppig zerrte er an seiner Uniform. „Würde völlig ausreichen, wenn du gehst!“

Ich presste die Lippen aufeinander, spürte einen scharfen Blick.

„Warum mache ich das eigentlich mit! Dieser verdammte Typ!“ Er zerrte noch mal, lehnte sich zurück gegen den Pfeiler. „Jetzt gleich?“

„Morgen“, konnte ich ihn beruhigen aber wirklich zur Ruhe fand er nicht. Hier zeigte er sich mir genauso, wie ich ihn immer gekannt hatte und wäre er einen weiteren Fluch über die Lippen brachte, besah ich mir im Schutz der Dunkelheit seine Hände, besah ihn mir fast von Kopf bis Fuß.

Hätte ich es nicht selbst gesehen…

Unter einem stummen Kopfschütteln kam ich zurück auf die Beine, atmete tief durch.

„Ich gehe schlafen.“

„Als ob mich das interessiert!“

Natürlich…

Aber entgegen dieser barschen Worte, kam ich trotzdem nicht um ein letztes Schmunzeln, als ich mich abwandte und zu unseren Zimmern zurückkehrte.
 

Ein weiteres Mal öffnete ich die Schränke, in denen die Futons säuberlich untergebracht waren und zog einen von ihnen mitsamt Decke und Kissen ins Freie. Kurz bevor wir in dieser Nacht aufgebrochen waren, hatte ich ganz gut auf ihm geruht. Jetzt war ich zuversichtlich. Auch wenn die vergangene Mission weniger Gefahren für uns bereitgehalten hatte, als erwartet… trotz alledem war es eine anstrengende Nacht, die beinahe hinter uns lag.

Viele Stunden zum schlafen würden uns vermutlich nicht bleiben, also war es das Beste, es nicht länger herauszuschieben. Träge rollte ich den Futon in dem großen Nebenraum des Essenszimmers aus, warf die Decke auf die dünne Matratze und machte mich daran, aus den Stiefeln zu schlüpfen. Die Hose und das Hemd konnten bleiben, wo sie waren und ich vergeudete keine weitere Zeit, bis ich mich hinlegte und die Decke über mich zog.

Es war der Moment, an dem ich endlich abschaltete. An dem ich alles vergaß und mich durch nichts mehr beeinflussen ließ. Für wenige Stunden würde meine Existenz in der kontrastreichen Realität enden und so ließ ich mich in dem warmen, dunklen Gewässer treiben. Ich musste so schnell einschlafen. Erst in diesen Augenblicken zeigte sich die wirkliche Erschöpfung.

Was für ein Genuss und auch, als ich irgendwann wieder die Augen öffnete, schien ich noch zu schlafen. Alles an mir, bis auf die Lider, die sich hoben…

Blind sah ich das große, kahle Zimmer des Ryokan vor mir, war nicht dazu imstande, dieses Bild in mich dringen zu lassen, zu spüren, dass ich wach war oder mir die Frage zu stellen, weshalb es der Fall war. Nicht einmal nach Kanda suchte ich… als wäre er nie mit mir hier in diesem Gebäude gewesen.

Reglos verharrte ich auf dem Rücken, reglos lag meine Hand neben meinem Gesicht gebettet und ohne zu blinzeln blickte ich auf die Konturen eines Wandschrankes. Dort, auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, der in nächtliche Dunkelheit gehüllt war.

Der Mond schien hell… vermutlich hatte er es die ganze Zeit über getan und allmählich begann ich die Tatsachen zu realisieren. Ein tiefer Atemzug durchflutete rauschend meinen schweren Körper, als ich den Blick von dem Schrank löste, ihn zu dem hellen Umriss des Fensters senkte, den der Schein des Mondes auf den Boden warf.

Die Realität ergriff mich abermals. Annähernd still tickte der Zeiger irgendeiner Uhr und noch immer vom Schlaf benommen, regte ich die Finger, bewegte die Lippen aufeinander.

Von einem Moment auf den nächsten. Vermutlich war es schnell gegangen. Ich war wach.

Und es war tiefe Nacht. Um welche Stunde es sich handelte, war mir gleich. Die Uhr war es nicht, für die ich mich interessierte und reglos blieb ich liegen, blinzelte dem Boden entgegen und spürte die weichen Daunen des Kissens unter meinem Ohr.

Wach…

Es überraschte mich nicht, denn es geschah oft. Dass sich mein Geist mit einem Mal von der Absenz trennte, mich hier in die Realität zurücksandte, als duldeten ferne Gebiete nicht meine Existenz. Als würden sie mich verstoßen, kehrte ich ein ums andere Mal hierher zurück und reglos verharrten meine Mundwinkel, sowie meine Miene in einem schweren, resignierten Ausdruck.

Was erwartete man hier von hier…?

War mein Körper dieses Pendeln nicht leid?

Diese Unentschlossenheit, wohin er gehörte?

Ich senkte die Lider, spürte die Regung meines Halses unter dem folgenden, trockenen Schlucken.

Still und dunkel lag ich hier in diesem ebenso finsteren Zimmer und meine Gedanken standen dieser unergründlichen Dunkelheit in nichts nach.

Wie erbärmlich…

Seit geraumer Zeit drehte ich mich in einem mir undeutlichen Rad aus Dejavues und Endlosigkeit. Runde um Runde, auf das mir von diesem Widerhall annähernd übel wurde.

Sobald es dunkel wurde…

Kitzelnd glitt eine Strähne in mein Gesicht und abwesend blinzelte ich, richtete den Blick zurück und mitten hinein in diesen Raum. Ich sah ihn, wie er an die äußere Finsternis anknüpfte, sich in diesem matten, kalten Licht vor mir erstreckte.

Das kleine kunstvolle Bild neben dem Schrank. Nur leichte Konturen ließen es sich von der hölzernen Oberfläche der Wand abheben, während ein kleiner Hocker lange Schatten warf.

Und tickend bewegte sich der Zeiger weiter.

Es brachte mir nichts…

Jetzt aufzustehen und mich diesen belastenden Wiederholungen auszusetzen. Ich benötigte den Schlaf, war kein Mensch, der gegen sich selbst verlor.

So senkte ich die Lider abermals, ließ die Sicht vor meinen Augen verschwimmen und schloss sie dennoch nicht. Leicht geöffnet verblieben sie, als meine Pupillen abrupt einen Punkt erfassten und nicht mehr von ihm loskamen. Merklich beruhigte ich den Atem, ließ ihn kurz abebben und vertiefte mich in diese seltsame Beobachtung. Ich blieb liegen, reglos und entspannt… starrte in diese Ecke meines Zimmers, die in schierer, undurchdringlicher Finsternis vor mir gähnte.

Dort, auf der anderen Seite und so völlig unabhängig von der Helligkeit des Mondes, obwohl sie ihr doch ausgeliefert war. Pechschwarz… die Konturen der Wand schienen geradewegs in diesem dunklen Nichts zu zerfließen.

Ein Schatten, den ich mir nicht erklären konnte. Meine Glieder bewegten sich nicht. Ich lag ruhig dort und sah tief in meinem Inneren keinen Grund, etwas daran zu ändern.

Ein Hirngespinst… eines von den vielen, die mir auf meinen Wegen begegneten.

Wie das Tor zu einer anderen Welt, das mit weit geöffnet Pforten seine fremden Schatten nach mir ausspie.

Aber es drang nicht zu mir, drang nicht durch den Raum…

Keine Kälte, die zu mir drang. Nichts, das dieser Erscheinung wahre Existenz schenkte.

Augen konnten täuschen und meine taten es zu oft.

Ungerührt, absent und stoisch akzeptierte ich es hier an meiner Seite und ohne es zu hinterfragen.

Doch…

Zielstrebig und unvermeidlich folgten meine Augen einer unauffälligen Strömung innerhalb des Schattens. Eine Wanderung inmitten des schwarzen Nichts, die ich nicht definieren, nicht erklären konnte. Wie ein Wirbel, der sich dort bildete… eine seltsame, fremde Bewegung, die mich die Augen vollends öffnen und den Atem abermals anhalten ließ.

Was war das…?

In meiner Dunkelheit existierte kein Leben. Ich war alleine, auch wenn sie mir Gesellschaft leistete und ich legte keinen Wert auf Bewegung, fand meine Konzentration blind auf diesen Punkt fixiert.

Und abrupt weiteten sich meine Augen.

Nichts war mehr wie zuvor. Es veränderte sich binnen weniger Momente, als sich deutliche Konturen bildeten… sich etwas aus der Finsternis des Schattens in das Licht des Mondes hinausstreckte. Hinaus in das Zimmer. Hinaus zu mir.

Fließend, langsam und geräuschlos wand sich etwas ins Freie, streckte sich mir aus weiter Entfernung entgegen… sowie lange, klobige Finger, die mich die Erscheinung als Arm erkennen ließen. Ein schwarzer Arm reckte sich mir entgegen und abrupt schnellten meine Pupillen hinab, als dem Arm ein kurzes, breites Bein folgte.

Eine Gestalt…!

Stumm öffneten sich meine Lippen, waren so trocken durch den Atem, der über sie hinweg strich. Nur vorsichtig erhob er sich, still und zitternd, als der Schatten mir eine volle Gestalt offenbarte. Hinabgebeugt und schwarz trat sie hinaus auf den steinigen Boden, zog träge die langen, dünnen Arme mit sich, die hinabpendelten, sobald sie sich aus ihrem Schatten lösten.

Ein runder, kontrastloser Kopf blieb auch weiterhin gesenkt, sowie die kräftigen Schultern des breiten, schwarzen Körpers und dieser der Bewegung nicht lange fern.

Brennend machten mich meine Augen darauf aufmerksam, dass ich nicht mehr blinzelte. Dumpf schlug das Herz in meiner Brust, während es um den Sauerstoff kämpfte, den ich durch keinen Atemzug mehr in mir aufnahm.

Entsetzen… die plötzliche Erscheinung der undurchsichtigen Gestalt hielt mich in meiner Erstarrung, selbst von dem Gedanken oder dem Willen fern, in die Höhe zu fahren.

Groß und klobig ragte sie dort auf, stand auf den leicht gebeugten Beinen und selbst der Uhrzeiger schien durch kalte Angst gelähmt zu sein, als sie sich aufrichtete. Als sie sich zu ihrer vollen Größe erhob und mich mit dem mimiklosen Gesicht fixierte.

Eine Aufmerksamkeit, die sich merklich auf mich richtete, mir einen eisigen Schauer durch den Körper jagte und ihn fester gegen den Futon drängte. Förmlich drängten sich meine Fersen gegen den weichen Widerstand, mein Hinterkopf sich auch fester auf das Kissen. Als bestünde sein Vorhaben darin, durch die dünne Matratze zu versinken, an einem Ort zu verschwinden, an welchem er sicher war vor dieser unwirklichen, schemenhaften Erscheinung.

Und kaum spürte ich das verkrampfte Zucken meiner Muskeln, da setzte sich die Gestalt in Bewegung. Gebeugt blieben die seltsam geformten Beine, als sie den ersten weiten Schritt tat, sich annähernd ohne Schwanken näher zu meinem Bett schob.

Warum tat ich nichts…?

Der Wille zur Flucht wurde nur das Zucken meiner Muskeln deutlich, durch den Reflex meines Leibes, am Überleben festzuhalten, sobald er Gefahr witterte.

Warum tat ich nichts anderes, als mich auf den Futon zu pressen und unter den weichen Daunen der Decke eiskalt zu zittern…?!

Stockend zog ich einen knappen Atemzug in die Lunge, spürte selbst das Beben meiner Augenwinkel, während meine Pupillen starr den fremden Bewegungen folgten. Das Annähern dieses Körpers schien einen kalten Zug mit sich zu treiben. Eine Kälte, die über mich hinwegstreifte, wie die schwache Böe des Winters. Eine Böe, die mich nicht umfing und sich trotzdem spüren ließ.

Warum tat ich nichts…?

Nichts, als dort zu liegen, so wie ich aufwachte und starr hinaufzublicken zu der Figur, die mich erreichte und somit ihr Ziel.

Warum tat ich nichts, um mich zu retten…?

Nicht einmal meine Finger…!

Völlig erstarrt verharrte diese Hand vor meinem Gesicht, während mir der Schweiß auf die Stirn trat und ich mich völlig wehrlos vorfand. Völlig abgekapselt und gelähmt. Als würde sich mein Körper von meinem Geist trennen und alles verlieren, was dem Überlebenswillen gleichkam. Selbst meine Gedanken wollten mir nicht gehorchen, nicht die greifbaren Ängste aufbauen oder das Sinnieren, um diese zu verstehen… um all das… zu verstehen.

Angst… Lähmung… und das, was ich sah. Mehr gab es nicht und schmerzhaft schien mir beinahe das Herz in der Brust zu zerspringen, als sich die breiten, klobigen Arme über mich hoben.

Weit gespreizt und allem voran die Hände, die sich kurz darauf schon zu mir hinabsenkten und den schweren, dunklen Körper folgen ließen. Das Licht des Mondes schien schlagartig zu vergehen, als die Gestalt ihren Schatten mit mir teilte, mich in ihm einfing… während sie sich zu mir hinabneigte.

Langsam, fließend… und ich meinte, dieses Gewicht schon zu spüren, bevor ich auf ihre Materie stieß. Wie es über mir dunkel wurde und vor meinen starren Augen, die sich nicht schließen ließen. Höhnisch und gnadenlos ließen sie mich all das verfolgen… machten mir die Folgen meiner Reglosigkeit deutlich und mich gleichsam seltsam schwer und dumpf. Meinen in sich verzerrten, annähernd versteinerten Körper erreichte diese klirrende Kälte, legte sich auf meine Haut, als wolle sie sie betäuben… sie vorbereiten auf das, was folgen würde.

Nahe hatte sich das gestaltlose Gesicht zu mir gesenkt, nahe zu mir die kopfförmige Kugel, aus der kein Atem drang und schmerzhafte Stiche schossen durch jede Faser meines Körpers, als sich diese Masse auf mich senkte, sich auf mich legte. Gemächlich und doch unbarmherzig schloss sie mich zwischen sich und dem Futon ein, nahm mir den Raum für freie Atemzüge und offenbarte einen Druck, als wolle sie mich mit ihrem Gewicht erdrücken.

Eine Last… eine so schwere Last!

Sie nahm mir die Luft, nahm mir die Beweglichkeit… und kein Atem kam über meine starren Lippen, als die Arme sich um mich legten, mich in sich einschlossen und in eiskalter Fixierung hielten.

Zu schwer…!

Das Blut schien in mir in den Kopf zu steigen… pulsierte dumpf hinter meinen Schläfen, während ich starr dem Druck erlag, der sich in mir aufbaute.

Ich konnte diese Last nicht tragen…!

Zu schwer… viel zu schwer…!

Sie erdrückte mich!!

… und mit einem Mal erlangte ich die Fähigkeit zur Regung zurück. Verzweifelt lechzte mein Körper nach ihr, holte die Flucht mit einer viel zu schnellen Bewegung nach, mit der ich von dem Futon in die Höhe fuhr. Ein erstickter Schrei quoll aus meiner Lunge, röchelnd folgte der erste, hastige Atemzug und mit geweiteten Augen starrte ich in den Raum, den ich soeben schon einmal sah.

Der Schrank, die hölzerne Wand, das Bild…

Nur keinen Schatten.

Still und leer umgab mich das Zimmer… und meine Brust schmerzte unter dem heftigen Keuchen. Mein gesamter Körper bebte und nicht einmal den eisernen, verkrampften Griff meiner Hände in die Decke nahm ich wahr, als ich um mich starrte.

Die Realität…?

Mein Kopf fuhr zur Seite, richtete sich auf das Fenster, hinter dem sich das Licht des Morgendämmerung erhob.

Wo war ich…?

War ich hier richtig?

Ich presste die Lippen aufeinander, verschloss das Keuchen hinter ihnen, auf dass es kurz darauf nur umso heftiger hervorbrach. Meine Hände machten mich mit einem leichten Schmerz auf die Kraft aufmerksam, mit der ich die Finger in die Decke drängte.

Nur schwer ließen sie sich lösen… so schwer und ich ächzte und stöhnte weiter, blinzelte so lange, bis ich wirklich begriff… das es die Realität war. Der Ort, der stimmte.

Hier war ich sicher.

Sicher vor dem Alp und seiner erschreckenden Erscheinung.

Hier bekam er mich nicht…!

Mein gesamter Körper badete im Schweiß, als ich mich von dem Futon schob, die Füße auf den hölzernen Boden setzte und sofort Anstalten machte, mich zu erheben. Kraftlos folgte der Körper den Füßen und letztendlich schob er sich nur wankend und unsicher in die Höhe. Die Decke hatte sich in meinen Beinen verfangen, war mit gezogen wurden und blieb unbeachtet, als ich den ersten, erschöpften Schritt tat. Wie abwesend befreite ich mich von dem Stoff und es war die Schiebetür, die zu dem Speisezimmer führte. Sie fiel mir auf, sie sah ich und wankend sowie stolpernd machte ich mich auf den Weg ihr.

Frische Luft… ich musste atmen… meine Brust…

Alles in mir war so eng gezurrt…!

Meine Beine gaben mir kaum Halt und die dünne Tür gab fast nach unter meinem Gewicht, mit dem ich mich zitternd an ihr abstützte, sofort nach dem kleinen Hebel tastend, um sie zu öffnen.

Der Innenhof… Luft…

Brennend versenkte sich eine Schweißperle in meinem Auge und kaum fand die Hand dieses, um es zu wischen. Auch die andere legte sich nur unsicher um den Hebel und doch öffnete sich die Tür sofort. Ich zog sie zur Seite, wohl zu stark und kaum war sie einen Spalt weit geöffnet, strauchelte ich weiter, an dem Tisch vorbei und zur nächsten, der letzten, die mich von meinem Ziel trennte.

Meine Arme hoben sich, streckten sich dem von außen erhellten Washi entgegen und auch an dieser Tür stützte ich mich ab. Ich suchte mir Halt, tastete mich bebend über die dünnen Holzleisten und es war keine Bewegung, kein Geräusch, das mich abrupt erstarren ließ.

Etwas anderes… ein Erschrecken, ohne, dass ich etwas sah. Nur eine Ahnung, die so immens war, dass ich mich nicht täuschen konnte. Mit offenem Mund blieb ich dort stehen, reglos verharrten auch meine zitternden Finger an dem Washi und nur einmal blinzelte ich unter den Strähnen, die im Schweiß meiner Stirn hafteten… bevor ich den Kopf abrupt zur Seite wandte.

Still und durchdringend waren die annähernd schwarzen Augen auf mich gerichtet, ließen den Atem in meiner Brust gefrieren.

Dort… hinter dem Tisch hatte er seinen Futon ausgebreitet und noch immer lag er auf ihm, als wäre er gerade erst aus dem Schlaf gerissen worden. Er lag auf dem Rücken, die Decke wärmend über sich gezogen und das Gesicht unausweichlich zu mir gewandt.

Ein schierer Schmerz… ein Stich in meiner Herzgegend und sofort erwachte auch der unterdrückte Atem zu altem Leben.

Dort stand ich…

Bloßgestellt.

So nackt, wie ich es ohne Kleidung nie hätte sein können.

Er sah mich… sah mich geradewegs an und nichts ließ erahnen, was er dachte.

Keine Regung seiner Stirn, kein Zucken seiner Lippen, kein Blinzeln… kein Wort und die wenigen Sekunden erschienen wie eine quälende Ewigkeit, bis er mit einem Mal das Interesse an mir zu verlieren schien. Seine Pupillen lösten sich von mir, leicht begann er sich regen und mit geweiteten Augen verfolgte ich, wie er sich auf die Seite drehte, mir den Rücken kehrte und nach der alten Bequemlichkeit suchte.

Nicht auszudenken… ein entsetzlicher Moment und er lag noch nicht einmal still, als ich fluchtartig die Schiebetür aufriss und hinaus in die eiskalte Morgenluft strauchelte. Sofort zerrte ich die Tür hinter mir zu, schottete mich von ihm und seinem entsetzlichen Wissen ab und ächzte laut.

Luft…

Ich ging wenige Schritte. Es war eine kraftlose Flucht, die an dem nächsten, hölzernen Stützpfeiler endete. Ich streckte ihm die Hand entgegen, fand in ihm eine gute Stütze und sank gegen ihn.

Mein Körper… verkrampft versenkten sich meine Finger im Stoff des Hemdes. Er musste sich beruhigen. Er war es doch gewohnt… er kannte den Alp… begegnete ihm so oft!

Wann nahm er es nicht mehr so schwer?!

Wann begann er sich gegen die Macht der finsteren Traumgestalt zu wehren?!

Ächzend umschlang ich den Pfeiler mit beiden Armen, ließ mich sinken und zu Boden gehen. Kalt machte der Schweiß in dieser Morgenluft auf sich aufmerksam. Weiß beschlug mein fahriger Atem und noch immer bebend blieb ich nur hocken und rang um Ruhe.

Warum war ich so verletzlich, sobald ich die Augen schloss!

Mein Körper schien all seine Kräfte zu verlieren, sobald er der Realität entschwand!

Diese widerliche Gestalt…!

Diese widerliche Schwäche…

Matt ließ ich den Kopf sinken und presste die Lippen aufeinander.
 

Ich blieb lange dort sitzen und tat es wie festgenagelt. Es gab in diesen Momenten einfach keinen Grund, aufzustehen.

Wohin sollte ich auch gehen…

Es verlangte mir weder nach essen, noch danach, Kanda zu begegnen.

Ich hatte mir immer meine einsame Stille gesucht, wenn es mir so ging.

Wenn mich die Nacht der Erschöpfung nur nähergebracht hatte. Soviel näher, als es eine schwere Mission könnte. Wenn ich blass und zu keinem einzigen Witz aufgelegt war. Ich hatte diese Momente, kannte sie an mir. Und ich zog mich immer zurück… damit…

Verkrampft ballten sich meine Hände zu Fäusten. Um mich herum war es hell geworden und ich saß noch immer an diesen Pfeiler gelehnt, kaum die Kälte wahrnehmend, die mich umgab. Tief in mir war sie soviel stärker, als es der Schnee sein könnte.

Und ich zog mich zurück… tief atmete ich ein, starrte stoisch in den Schnee hinab … damit…

… mich niemand so sah!

Nicht Linali, um vor ihrer Sorge sicher zu sein.

Nicht Lavi, um mich vor seinen Fragen zu schützen.

Meine Augenwinkel zuckten erbittert.

Gerade vor Kanda… war ich immer sicher gewesen. Gerade er hielt sich doch von selbst von mir fern.

Kapitulierend ließ ich den Kopf gegen das Holz sinken und schluckte bitter. Ich war so müde.

Meine Augen gaben mir nur ein trübes Bild preis und verbittert stellte ich mir die Frage, was ich machen sollte.

Das, was in dieser Nacht geschehen war, war nicht für seine Augen bestimmt gewesen.

Was für ein widerwärtiger Unfall, dass ich es selbst gewesen war, der sich ihm und seiner Aufmerksamkeit ausgesetzt hatte!

War es eine Entschädigung?

Hatte ich es verdient, dass er mein Innerstes sah, weil ich kurz davor seines gesehen hatte?

Nein…

Das, was seine Augen gesehen hatten, war soviel schlimmer.

Allmählich spürte ich, wie taub meine Füße waren. Die ruhten nackt dort im Schnee und lange starrte ich sie nur an. Der Schmerz tat gut… er ließ mich vergessen, ließ es mich versuchen.

Kanda…

Ich presste die Lippen aufeinander, in mir tobten Grübeleien.

Kanda… ja…

Trübe starrte ich zur Seite.

Vermutlich war er ein weitaus ungefährlicherer Mitwisser, als Lavi oder Linali. Er, ja… er würde kein Wort darüber verlieren. Vermutlich bedeutete ihm der vergangene Anblick weitaus weniger, als ich dachte. Interessierte ihn weniger… bis gar nicht.

Er würde es für sich behalten, sich nicht dafür zuständig sehen, sich um fremde Probleme zu kümmern. Ich hatte mich nicht zu sorgen. Überhaupt nicht.

Unter einem zermürbten Ächzen ließ ich den Kopf sinken.

Er schmerzte…

Es war und blieb nicht akzeptabel. Nichts, womit ich mich abfinden konnte.

Wie, fragte ich mich, sollte ich mich ihm gegenüber verhalten…

Wie sehr wäre es erbärmlich, den Weg heiter mit ihm fortzusetzen?

So zu tun, als wäre nichts gewesen?

Auch, wenn er sich nicht dafür interessierte, würde er es doch bemerken… dass ich mich verstellte, dass ich verdrängte und verleugnete.

Er wüsste es und allein dadurch wäre es wohl erbärmlich genug.

Müde senkten sich meine Lider. Matt bewegte sich mein Körper unter einem tiefen Atemzug und abrupt fand er zur alten Erstarrung, als ich das plötzliche Schaben der Tür hörte.

Hinter mir.

Nicht sehr weit entfernt. Wieder starrte ich zurück in den Schnee, verharrte reglos.

Ich spürte ihn…

Seinen Blick.

Seine Anwesenheit.

Er stand direkt hinter mir und meine Zähne bissen aufeinander.

Was wollte er?

Er würde doch nicht…

Nein, bestimmt würde er es nicht ansprechen!

Auf ihn und sein mangelndes Mitgefühl war Verlass!

Er kümmerte sich nicht darum und nur träge richtete ich mich auf, konnte mich aber nicht dazu durchringen, den Kopf zu drehen.

„Wir müssen los.“
 

Und wir taten es.

Vermutlich hätte er mir noch die Möglichkeit gelassen, schnell etwas zu essen aber das einzige, was ich tat, war, in die Uniform zu schlüpfen und meine wenigen Habseligkeiten zusammenzusuchen. Wir konnten diesen Ort sofort verlassen… eigentlich nicht schnell genug und es war nur ein kurzer Wortwechsel mit der Herrin des Ryokan, der uns von unserer gemeinsamen Weiterreise abhielt.

Ich überließ es Kanda… stand bereits draußen in den eisigen Temperaturen und machte mich an den Ärmeln meiner Uniform zu schaffen. Völlig unnötig, wohl auch zu ruppig und mit viel zu müden Augen.

Ich hatte meine Entscheidung getroffen… viel gab es da nicht nachzudenken und so verharrte mein Gesicht in der ernüchterten Mimik und meine Lippen stumm.

Oh, es wäre lächerlich gewesen. Sogar mehr als das.

Wenn ich jetzt mit geheuchelter Leichtigkeit hier stehen und die Helligkeit des Schnees genießen… mit aller Kraft so tun würde, als wäre alles in Ordnung. Die Kraft verschwenden würde. Ganz ohne Sinn und Verstand.

Es kam unerwartet, doch mir stand eine Reise bevor, die ich so auf mich nehmen konnte, wie ich es wollte. Ohnehin wäre es viel zu spät gewesen… in allen Facetten sinnlos. Er hatte es gesehen… vor kurzer Zeit erst und er sah es auch jetzt, ohne all dem auch nur die geringste Beachtung zu schenken. Große Gesprächigkeit hätte es wohl so oder so nicht gegeben. Genauso wenig wie Aufmerksamkeit oder Fragen seinerseits.

Ich hatte keinen Grund.

Ich war, wie ich nun einmal war und ebenso schweigend folgte ich ihm kurz darauf aus dem gepflegten Vorgarten des Ryokan.

Kanda kannte den Weg.

Kanda ging den Weg.

Ich brauchte nur zu folgen und da ich meine Position hinter ihm stets hielt, setzte ich mein Gesicht keinen Anstrengungen aus.

Finster und sinnierend durchschweiften meine Augen die helle Umgebung, blinzelten fortwährend, um die Müdigkeit, wenn auch nur etwas, loszuwerden.

Voraussichtlich wären wir den gesamten Tag unterwegs. Auf der Fähre, die uns nach Südkorea brachte. In dem Zug, der uns nach China fuhr und auf jedem Weg, den wir zu Fuß hinter uns bringen würden.

Viel Zeit, um miteinander zu reden, doch noch mehr, um einfach nur zu schweigen.

Diese Atmosphäre wäre um einiges angenehmer, wenn wir beide keinen Grund darin sahen, die Stimme zu erheben. Meine verbitterten Gedanken genügten, um den ganzen Weg mit ihnen zu füllen und Kanda war ohnehin nicht sehr redselig, wenn ich seinen möglichen Gesprächspartner darstellte.

So zogen wir los und weiter und als wir die Anlegestelle des Schiffes erreichten, hatte ich mich großzügig zurückfallen lassen. Weit genug, um mir einzubilden, ich wäre alleine unterwegs und somit noch ungestörter in meiner finsteren Gedankenwelt.

Hinter Kanda betrat ich so auch das Schiff und kaum hatten wir diesen schmalen Steg hinter und gelassen, führten uns unsere Schritte auseinander. Kanda schien es lieber mit der eisigen Luft des Meeres aufzunehmen, als mit der Stickigen, die in den engen Gängen und viel zu kleinen Kajüten herrschte. Er schlenderte an der Reling entlang und nur kurz spähte ich zu ihm, bevor ich mich in den dunklen Innenraum des Schiffes schob.

Flatternd folgte mir Timcanpy und dumpf fiel die blecherne Tür hinter mir zurück in das Schloss. Das Ziel hatte ich nicht direkt vor Augen aber wenn ich einfach weiterging, würde es sich mir vermutlich von selbst eröffnen und wirklich, ich erspähte nach wenigen Schritten eine kleine, in der Wand verborgene Bank und nahm sie sofort für mich ein.

Ungehindert ließ ich dem Ächzen freien Lauf, als ich mich auf das dünne, durchgesessene Polster sinken ließ und müde die Beine von mir streckte. Nur beiläufig spürte ich das Gewicht des Golems auf dem Kopf und unter einem weiteren, tiefen Atemzug sank mein Rücken gegen die grob gearbeitete Wand.

Es lagen einige Stunden vor mir. Eine lange Überfahrt, die ich getrost hier sitzen bleiben und mich etwas erholen konnte. Ich sah keinen Grund, hinauszugehen… mich den Augen meines Kameraden auszuliefern und den Wortschwallen der Matrosen, die ich aus Erfahrung als zu redselig einschätzte. Kanda war wohl vor ihnen sicher, nur ich bot vermutlich ein viel zu leichtes Ziel.

Vorsichtig bettete ich den Hinterkopf an der Wand, spürte Tims kurzes Ringen um Gleichgewicht und schloss die Augen. So verharrte auch er wieder still und inmitten der Dunkelheit, die den tristen Anblick des kahlen Ganges vor meinen Augen eingenommen hatte, spürte ich bald das Ablegen des Schiffes und einen temperamentvollen Wellengang.

Nicht schlafen, nur ruhen…

Hier auf diesem Schiff hätte mir im anderen Fall an jedem nur erdenklichen Ort die Ruhe gefehlt und gleichzeitig hatte ich nicht vor, den zweiten Versuch zu wagen. Die Erinnerungen waren zu frisch… mein nächtliches Schreckgespenst noch viel zu nahe.

Er lauerte… erwartete hingebungsvoll die Kapitulation meiner Kräfte.

Er lauerte, um mir eine erneute Begegnung zu sein, sobald ich mich doch vom Schlaf packen ließ.

Was für eine lächerliche Gefahr Akuma dagegen darstellten…

Ja…

Ein mattes Grinsen zog an meinen Lippen.

Wie lächerlich…

Kurz machte ich es mir ein wenig bequemer, regte die verspannten Schultern und streckte die Beine aus. Die Maschinen dröhnten dumpf in meiner Nähe, selbst das Rauschen des Meeres meinte ich wahrzunehmen und empfand diesen Lärm letztlich nur als meine Absicherung.

Ich würde nicht schlafen…

Lange verharrte ich reglos, in ein- und dieselben Gedanken vertieft und in ein- und derselben Entfernung zu einer möglichen Antwort.

Wie lange wurde ich schon verfolgt?

Von den Schrecken der Vergangenheit… der Schwere ebenso vergangener Fehler, die durch jede Sühne nicht leichter wurden.

Sie blieben schwer.

Meine schwerste Last.

Langsam regte ich die linke Hand, die Finger in dem robusten Stoff der Handschuhe. Und ich spürte diese Kraft. Die Macht, all jenes zu besiegen, was mir begegnete, solange ich die Augen offen behielt, mich in zweifellos wachem Zustand befand.

Die Macht, all das zu zerstören, was mir und meinem Glauben gefährlich werden könnte…

Und wie jämmerlich versagte ich indessen gegen die Feinde anderer Art, die sich in Gefilden bewegten, die mit der Realität nichts zu tun hatten.

Wie schwach ich gegen sie war, so wehrlos, wie der Junge, der ich vor zehn Jahren gewesen war.

Mit allem überfordert und auf der verzweifelten Suche nach der richtigen Waffe, um mich in jeder Facette sicher zu wissen.

Mir die Frage stellend, ob eine solche überhaupt existierte.

Und wenn es so war…

Ob ich sie verdiente.

Vermutlich war es mein Schicksal, ohne sie zu leben.

Ja…

Meine Augen öffneten sich einen kleinen Spalt und abwesend betrachtete ich mir die Strukturen der gegenüberliegenden Wand.

Vermutlich war es das wirklich.
 

Ich hielt mich wach, schaffte es und ließ Stunde um Stunde an mir vorbeiziehen, bevor die Bewegungen und Geräusche um mich herum zweifellos darauf aufmerksam machten, dass wir den Boden Südkoreas erreicht hatten.

Es war eine lange Zeit gewesen und eine lange Untätigkeit, nach der ich mich noch in der alten Resigniertheit befand und erst, als Kanda und ich zwei Stunden später mit jenem Zug reisten, kamen mir Gedanken, die mein Befinden zögerlich und sehr zurückhaltend erhellten.

Ich erinnerte mich… unser Ziel war ein Marshall der angenehmen Sorte.

Ein Mann, mit dem ich ausschließlich gute Erinnerungen verband.

Möglicherweise wäre der Einfluss, den er auf mich haben würde, etwas, das ich brauchte.

Und Chaoji…

Wie konnte ich ihn die gesamte Zeit über vergessen haben?

Den Marshall zu sehen, bedeutete auch Chaoji zu sehen, immerhin waren sie miteinander unterwegs und Chaoji in das verstrickt, was wir alle unter anderem mehr schlecht als recht hinter uns gebracht hatten: Die Ausbildung.

Es waren Momente, in denen sich mein Gesicht etwas erhellte und ich dem Horizont erwartungsvoller entgegenblickte und mich dabei wieder einmal völlig ungestört vorfand.

Das Abteil gehörte nur mir… natürlich, aber ich war mir sicher, dass Kanda irgendwo in der Nähe saß. Seine Schritte hatten nicht weit von meiner Kabine geendet und ich empfand es als unsagbar angenehm, als mein Sinnieren in völlig andere und weitaus hellere Gefilde driftete.

Er würde seinen Meister wiedersehen und das waren und blieben immer besondere Momente, die zum schmunzeln anregten.

Oft hatte ich sie bis zum heutigen Tag nicht zusammen gesehen aber sobald man es tat, löste man sich nur zu einfach von den Sorgen.

Wie gesagt, interessante Momente…

Das Polster in dieser Kabine war weitaus bequemer, als das, was in dem Schiff als solches bezeichnet wurde. Ich saß gemütlich und wieder streckte ich die Beine aus und starrte durch das Fenster hinaus auf unendlich erscheinende, weiße Umgebung.

Wieder tat ich es lange…

Und irgendwann erreichten wir unser Ziel.
 

Es blieb stumm zwischen uns beiden und so, wie wir beieinander liefen, hätten wir auch getrennte Wanderer sein können, die zufällig dasselbe Ziel hatten. Ich hielt mich hinter Kanda und seinem Tempo stand. Ich brauchte mich nicht zurückfallen zu lassen, um den Anschein zu erwecken, nicht zu ihm zu gehören. Einzig und allein unsere Mäntel schmolzen uns in gewisser Weise zusammen… nein, die Gesichter taten es wohl auch.

Angespannte Mienen, versiegelte Lippen und Augen, die sich überall aufhielten, nur nicht bei dem Kameraden. Kanda bewegte sich also so, wie er es immer tat, doch ich war mir meiner Müdigkeit bewusst. Auch der Tatsache, dass man mir die letzte schlaflose Zeit ansah. Die Arme irgendwo unter dem Mantel verborgen, folgte ich Tim schweigend, blickte nur selten auf, um mich von seiner Anwesenheit zu überzeugen.

Man sah es mir vermutlich nicht an aber meine Freude über das bevorstehende Treffen war nicht abgeebbt. Ich setzte große Hoffnung in Tiedoll… und auch in Chaoji. Dass man die Verbitterung in ihrer Anwesenheit beibehalten konnte, war sehr fraglich. Nur Kanda konnte das aber er hatte auch viel Zeit zum üben gehabt.

Ein kalter Sonnenstrahl erfasste mich, als sich die einseitig grauen Wolken flüchtig am Himmel verdünnten und die Sonne einen kleinen Spalt fand, um die Welt an sie zu erinnern. Ich blinzelte. Hart knackte der Schnee unter meinen Stiefeln und bald spähte ich auf, erkannte die kontrastreiche Umgebung. Von dem vollends weißen Untergrund hoben sich die schwarzen Kontraste der Bäume ab, selbst Steine waren hier und dort zu erkennen und in nicht weiter Entfernung auch die Umrisse der Stadt, die unser Ziel darstellte. Ich fixierte mich auf sie, blickte ihr entgegen und folgte Kanda beinahe gedankenlos über einen Hügel. Wir erreichten bald das Tiefland, die Ebene, auf der sich die Stadt erhob… doch von ihr drifteten meine Augen bald zur Seite. Es waren Bewegungen, die ich vor uns ausmachte, gar nicht mehr fern und es war auch nicht besonders schwer zu erkennen, dass uns die Beiden, die wir suchten, nicht erst in der Stadt erwarteten. Sie waren hier… und automatisch hob sich mein Kopf. Ich richtete mich auf und meine Augen boten mir ein klareres Bild, als ich sie auf diese festen Punkte fixierte. Kanda hatte sie eher bemerkt. Er hatte seine Gedanken beisammen und ging dem Aufeinandertreffen in denselben zielstrebigen Schritten entgegen.

Es tat wirklich gut… ich hatte nichts anderes erwartet und an meinen Lippen zog der Deut eines Lächelns, als sich die Gestalt, die in permanenter Bewegung blieb, als Chaoji entpuppte.

Wie lange war es nur her?

Er war seit Monaten mit dem Marshall unterwegs und kaum hatte er uns bemerkt, bewegte er sich schon auf uns zu. In eiligen Schritten, während die andere Gestalt bequem und in einen dicken Mantel gemummelt, auf einem Stein sitzen blieb und entspannt in einer großen Mappe blätterte. Vermutlich eine Zeichenmappe… und endlich verstärkte sich das Lächeln. Endlich hatte ich das Gefühl, dass es ein Ehrliches war. Es wurde mit jedem Schritt schwerer, in die alten trübsinnigen Verhaltensmuster zurückzufallen, als sich Chaojis Stimme erhob. Ebenso ein Arm, mit dem er uns ausgelassen winkte.

„Halloooo!“, hörte ich ihn über weite Ferne rufen und angestrengt stapfte er gleich weiter durch den Schnee und uns eifrig entgegen.

Es wurde ein Wiedersehen, wie ich es mir vorgestellt und gleichzeitig erhofft hatte. Als Chaoji uns erreichte, gab es wenigstens zwei, die lächeln konnten.

„Kanda! Allen!“ Er begrüßte uns mit einem strahlenden Gesicht und während Kanda nur lustlos die Hand hob und an ihm vorbeizog, nahm ich mir gerne Zeit und hielt inne.

„Allen!“ Er war sichtlich gerührt, als er vor mir zum Stehen kam. Sichtlich war auch das Zögern, dem er verfiel und das ich sofort zunichte machte, indem ich die Arme hob und die letzte Distanz zwischen uns schloss. Und er fiel mir um den Hals. Wir waren Kameraden, gemeinsame Streiter und mehr als das… wir waren Freunde und taten uns keinen Zwang an. Seine Umarmung war fest und herzlich und kaum hatten wir uns voneinander gelöst, brach ein wahrer Redeschwall aus ihm heraus.

„Es ist so lange her!“, ächzte er aufgeregt und hielt kurz nach Kanda Ausschau.

Ja, bei ihm war es auch lange her aber der Schwarzhaarige stapfte trotzdem weiter und auf den Punkt zu, der sich nun von dem Stein erhob.

„Wie ist es dir ergangen, Chaoji?“, erkundigte ich mich sofort und kurz darauf trödelten wir gemeinsam weiter.

„Wir kommen viel herum, sehen viele Länder… wir sind immer in Bewegung. Es gefällt mir. Genauso habe ich es mir vorgestellt.“ Überzeugend sah er mich an. „Bald werde ich in der Lage sein, euch richtig zu unterstützen. Zwei bis drei Monate, sagt Tiedoll, bis er mich aus seinen Fittichen entlässt.“

„Das freut mich.“ Ich lächelte und genoss es so unsagbar.

„Mich auch.“ Chaoji war Feuer und Flamme und kurz wurde ich auf Kanda aufmerksam. Er und Tiedoll trafen weiter vorne aufeinander und nach einem liebevollen Klaps gegen die Schulter konnte ich nur erahnen, welche Worte fielen. Leise erreichte uns Tiedoll’s Lachen, herzlich breitete er die Arme aus und sofort sah ich Kanda zurückweichen. Einen Schritt, noch einen Schritt und als Tiedoll ihm aufmüpfig folgte, erhob sich auch sein Fauchen.

Die Beiden… ich blähte die Wangen auf. Jedes Mal, wenn ich sie zusammen sah, stellte ich mir die Frage, wie wohl Kandas Ausbildung vonstatten gegangen sein musste.

Einseitige Liebe und jeder Tag voll mit Flüchen…?

„Wie geht es den anderen?“, forderte Chaoji sofort wieder meine Aufmerksamkeit. „Linali, Lavi, Crowley, Miranda… ich freue mich so darauf, alle wiederzusehen!“

„Uns geht es gut“, erwiderte ich nur und allmählich wurden die Worte, die zwischen Kanda und Tiedoll fielen, immer verständlicher.

„Sie sind peinlich…!“, hörte ich Kanda gedrungen fauchen und umso lauter erhob sich daraufhin das Lachen des Marshalls.

„Jeder wird sich freuen, wenn du zu uns kommst.“ Ich streifte mir die Kapuze vom Kopf. „Wir können jeden gebrauchen.“

Dann erreichten auch wir den Marshall. Kanda stand bereits in sicherer Entfernung und schenkte der weiteren Begrüßung keine Aufmerksamkeit.

„Allen, grüß dich!“

Dieses herzliche Lächeln… in diesen Momenten brauchte ich es zum leben, wie den Sauerstoff selbst. Und erneut konnte ich es ehrlich erwidern, während ich die Hand hob… und unerwartet in eine entspannte Umarmung geschlossen wurde. Ein kurzer, kräftiger Druck auf meinen Rücken, ein herzlicher Klaps und etwas überrumpelt trat ich anschließend zurück.

„Ich habe viel über dich gehört. Keine Sorge, nur Gutes. Wie erwachsen du geworden bist!“ Er nahm sich Zeit, mich mit großen Augen zu mustern. „Und wie groß…“, ein knapper Wink zur Seite, „… nur Yu wird immer mein Junge bleiben!“

Ein scharfes Ächzen erhob sich daraufhin und Tiedoll nahm es mit der Gewohnheit, die er sich durch lange Jahre des Beisammenseins angeeignet haben musste. Wieder lachte er und ich kratzte mich im Schopf.

„Nun kommt!“ Mit einem einladenden Wink wandte sich Tiedoll um. „Wir sind in einer herrlichen Herberge untergekommen! Ihr müsst das Essen probieren.“

So setzten wir uns gemeinsam in Bewegung. Essen… das war keine schlechte Idee. In dieser Gesellschaft meinte ich sogar, zu einem gewissen Appetit fähig zu sein. Irgendwie entspannte ich mich einfach und hatte nichts einzuwenden.

„Ihr könnt auch bis morgen bleiben!“, verkündete Tiedoll weiter und sofort traf ihn Kandas Aufmerksamkeit.

„Wie können Sie das so einfach entscheiden?“, murrte er. „Wir haben Wichtigeres zu tun.“

„Nichts da.“ Tiedoll schickte ihm ein liebevolles Lächeln. „Ist schon alles mit Komui abgesprochen.“

Und ächzend sank Kanda in sich zusammen.

„Das ist so typisch für Sie…!“, hörte ich ihn fast lautlos zischen aber daraufhin traf ihn nur ein aufmunternder Klaps auf die Schulter. Lachend reihte sich Tiedoll neben ihm ein, während Chaoji mir Gesellschaft leistete und wenige Momente des Schweigens gaben mir die Möglichkeit, die beiden zusammen zu beobachten und mir Gedanken über das zu machen, was ich sah.

„Ich will doch wissen, was du für Fortschritte gemacht und was du erlebt hast! Ich hab schon so lange nichts mehr von dir gehört, Yu! Das ist nicht mehr feierlich.“

„Glauben Sie, ich hab nichts Besseres zu tun, als Ihnen dauernd Bericht zu erstatten?“ Ruppig schüttelte Kanda den Kopf. „Ich hab viel zu tun. Das sollten Sie auch. Und nennen Sie mich nicht ‚Yu’!“

„Für die wichtigsten Dinge des Lebens sollte man sich trotzdem Zeit nehmen.“ Tadelnd traf Tiedoll’s Ellbogen Kandas Seite. „Ich bin mir sicher, die hattest du. Muss ich dich denn immer nötigen?“

„Keiner zwingt Sie. Sie könnten es einfach lassen!“

Ein enttäuschtes Seufzen und daraufhin das gewohnte Ächzen.

Diese Beiden…

Ich spürte, wie sich Chaoji meinen Beobachtungen amüsiert anschloss. Auch zu ihm spähte ich kurz und las die Freude in seinem Gesicht.

Es war ein wahres Schauspiel, das sich da vor uns zutrug. Wenn auch ein Irritierendes. Inmitten all des Gezankes und Foppens war doch eine Vertrautheit herauszuspüren, wie es sie nicht oft gab. Ich konnte mir nicht helfen. Wüsste ich es nicht besser, sah ich dort vor mir einen Vater, der in dauernder, aufrichtiger Sorge um seinen Sohn stand. Ich gab es zu, ich war neugierig auf die Stunden, die mir genug Gelegenheit boten, mir einen Eindruck von diesem Umgang zu verschaffen. Es gab so viele Fragen, so viele Antworten, bei denen ich mir nicht sicher war und wenn ich meinen Umgang mit Kanda verglich, auch seinen Umgang mit anderen, dann kam diese eine Frage immer und immer wieder auf mich zurück: Was genau war so liebenswert an meinem chronisch missgestimmten und mürrischen Kameraden?

Die Zuneigung, die Tiedoll für ihn empfand, musste starke Wurzeln haben.

Aber ich könnte diese Wurzeln selbst schlagen, wenn ich mir die Antwort selbst auszumalen versuchte.
 

~*tbc*~



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von: abgemeldet
2010-06-30T12:59:13+00:00 30.06.2010 14:59
Cooles Kapi. ^^
Von: abgemeldet
2010-06-29T17:56:21+00:00 29.06.2010 19:56
Über diese Stelle habe ich mich ganz besonders gefreut. Also über Froi und Chaoji, die ganz überraschenderweise aufgetaucht sind und die Fic ziemlich ankurbeln. War auch wieder gut zu sehen wie sich Yuu in seinem Umfeld benimmt und Allen hat es ja auch gut getan das er mal Chaoji wiedergesehen hat. Der sollte ja auch nicht vergessen werden.
Von: abgemeldet
2010-06-29T14:46:20+00:00 29.06.2010 16:46
Ich find Tiedoll einfach superspitze! Der ist so lustig und lieb! *-*
Von: abgemeldet
2010-06-29T14:18:55+00:00 29.06.2010 16:18
Ich freu mich lalalalala xD Tiedoll kommt! soweit musstes ja komm. Cool dass de den Chara mit einsetzt. Armer armer Kanda :D


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